VERSICHERUNGEN UND VORSORGEEINRICHTUNGEN FMA-Praxis 2021
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Schliesslich machte der StGH auch Ausführungen
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Die X Insurance AG und zwei später klagende Par-
zur Unschuldsvermutung nach Art. 6 Abs. 2 EMRK.
teien waren in Frankreich als Versicherer im sog.
Behörden und Gerichte oder durch die Presse, sie hat
von Bauwerkschadenversicherungen, Vorab-Leis-
Diese schütze «primär vor einer Vorverurteilung durch
aber grundsätzlich keine über das Willkürverbot hinausgehende Wirkung auf die Art der Beweiswürdigung im
Décennale-System aktiv. Dieses umfasst ein Bündel
tungspflichten sowie Haftpflichtversicherungen für
den Fall, dass ein Bauherr Schäden und Mängel bei der
Strafurteil. Zwar haben die Strafgerichte den ungeschrie-
Ausführung des Bauwerks erleidet. In seinem Urteil
doch hat dieser Grundsatz keinen Grundrechtscharak-
Hintergrund der konkreten Klage fest (Erwäg. 22):
benen Beweisgrundsatz ‹in dubio pro reo› zu beachten,
ter, so dass dessen Einhaltung vom Staatsgerichtshof
in der Regel eben nur auf Willkür zu überprüfen ist […].
Die Unschuldsvermutung schützt aber nicht davor, dass
bei Vorliegen eines Verdachtes entsprechende strafrechtliche Abklärungen erfolgen […] – selbst wenn diese nicht im Sinne des Beschwerdeführers vorgenommen
werden.» 161
Anmerkung der FMA: Diese Entscheide sind für
vom 25. Februar 2021 hält der EFTA-Gerichtshof zum
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«Die gegenständliche Rechtssache betrifft Ver-
fahren, welche die klagenden Parteien vor liechten-
steinischen Gerichten gegen die FMA eingeleitet haben.
Die klagenden Parteien bringen vor, die FMA habe die
ihr gegenüber [X] Insurance obliegenden Aufsichtspflichten nach dem Versicherungsaufsichtsgesetz ver-
letzt und sei daher letztlich für die infolge des Konkur-
ses von [X] Insurance entstandenen Schäden
die FMA von besonderer Tragweite. FMA-BK, VGH und
verantwortlich. Zudem stellen die klagenden Parteien
Antworten auf grundsätzliche Fragen des Verwal-
stellungsbegehren.»
Instanzen Ausführungen getätigt, warum für die von
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StGH gaben im Rahmen ihrer Ausführungen jeweils tungsstrafrechts. So wurden von den verschiedenen
der FMA zu verfolgenden Verstösse die einjährige
Verjährungsfrist gilt und warum der im Verwaltungsstrafverfahren vorgesehene Inquisitionsprozess mit
den verfassungsmässig und den nach der EMRK gewähr-
ten Grundrechten im Einklang steht. Gleichzeitig wird auch auf die Wichtigkeit der fristgerechten Einreichung
vorgeschriebener Berichte an die FMA hingewiesen.
AMTSHAFTUNG VON VERSICHERUNGS AUFSICHTSBEHÖRDEN 162
Dem auch präjudiziell grundlegenden Fall lag fol-
gender Sachverhalt zugrunde: Die X Insurance AG war
ein nach liechtensteinischem Recht gegründetes
Versicherungsunternehmen mit Sitz in Liechtenstein, über welches das LG ein Konkursverfahren eröffnet
hatte.
in Bezug auf noch nicht bezifferbare Schäden Fest-
Mit Urteil vom 20. November 2019 hatte das OG
alle von den klagenden Parteien erhobenen Begehren
ohne Beweisaufnahme abgewiesen. Das Gericht gelangte zu dem Ergebnis, dass die Klägerinnen nicht
vom Schutzzweck des VersAG oder der einschlägigen europäischen Richtlinie erfasst seien. 166
Der OGH hatte über die gegen das Urteil des OG
erhobene Berufung zu entscheiden. Er beschloss, das
Verfahren zu unterbrechen und beim EFTA-Gerichtshof einen Antrag auf Erstellung eines Gutachtens
gemäss Art. 34 des Abkommens zwischen den EFTA-
Staaten zur Errichtung einer Überwachungsbehörde und eines Gerichtshofs zu stellen.
Der OGH legte dem EFTA-Gerichtshof folgende Fragen vor:
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