Filmpodium Programmheft Oktober/November 2021

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4. Oktober – 15. November 2021

GEORGIENS CINEASTINNEN ALBERTO LATTUADA


ZÜRCHER FILMBUFF-QUIZ 2021. Freitag, 5. November, 20.00 Uhr. Details unter www.filmpodium.ch.

s Ticket t z jet zff.com


01 Editorial

Wir sind auch andere Unsere aktuelle Palette an Filmen und Veranstaltungen bietet sich an, um wieder einmal darauf hinzuweisen, dass das Filmpodium-Team kaum je ganz allein und nur für bildungsbürgerliche helvetische Cinephile Programme ­ ­kuratiert. Vielmehr ist ein grosser Teil der Filmreihen und Events, die wir präsentieren, nicht nur auf unserem Mist gewachsen; mindestens der Keim dazu wurde von anderen gelegt – zum Glück: Dank zahlreicher Partnerschaften und Kooperationen ist das Programm des Filmpodiums nicht nur vielfältiger, sondern auch Ausdruck einer Teilhabe diverser Kreise am Angebot ­dieses kommunalen Kinos der Stadt Zürich. So wurde etwa die exklusive Sommerreihe «Taiwan Cinema» mit ihren vielen Raritäten über mehrere Jahre von den enthusiastischen jungen Mitgliedern des tba collective zusammengestellt. Die aktuelle Reihe «Georgiens ­Cineastinnen» wiederum konnte zwar auf einer langjährigen Beschäftigung des Filmpodiums mit georgischem Filmschaffen aufbauen; zur konkreten ­Programmierung aber kam es, weil Elene Chechelashvili, die Präsidentin des Vereins Georgische Kulturplattform, das Kulturfestival «Brücke ZürichTbilissi» ins Leben rief, das Anfang Oktober erstmals stattfindet. Dank dieser Zusammenarbeit konnten zudem mehrere Filme eigens für unsere Reihe deutsch untertitelt werden. Regelmässig hat das Filmpodium in den letzten Jahren auch mit dem Locarno Film Festival zusammengearbeitet und dessen traditionelle Retrospektive in Teilen übernommen. Während aber das Festival heuer so ziemlich alles irgendwie Greifbare von Alberto Lattuada zeigte, konzentrieren wir uns auf die ersten drei Dekaden seines Schaffens und auf jene Werke, die mit Untertiteln gezeigt werden können, damit nicht nur unsere italienischsprachigen Gäste Freude daran haben. Seit vielen Jahren überdies beherbergt das Filmpodium jeweils die Retrospektive, die jener/jenem Filmschaffenden gewidmet ist, der/dem das schwullesbische Filmfestival Pink Apple seinen Festival Award verleiht. Geehrt wird diesmal Eytan Fox, der sich als Exponent sowohl des queeren wie des israelischen Filmschaffens hervorgetan hat. Natürlich bringen wir uns – mit Ausnahme von Vermietungen wie etwa dem ZFF, das sein Programm ganz autonom gestaltet – auch bei diesen Kooperationen und Koproduktionen kuratorisch ein und bleiben hauptverantwortlich für das Programm. Wenn es Ihnen gefällt, sagen Sie es weiter; wenn es Ihnen missfällt, sagen Sie es uns. Corinne Siegrist-Oboussier & Michel Bodmer Titelbild: Die langen hellen Tage von Nana Ekvtimischwili


02 INHALT

Georgiens Cineastinnen

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Schon in der Sowjetzeit haben weibliche Filmschaffende das georgische Kino geprägt. Im Rahmen des Kulturfestivals «Brücke Zürich-Tbilissi» widmen wir den Cineastinnen Georgiens eine kleine Hommage und freuen uns, dass vom 8.–10. Oktober Vertreterinnen verschiedener Generationen ihre Filme persönlich im Filmpodium vorstellen werden. Auf dem Programm stehen Klassiker der Grandes Dames Lana Gogoberidse und Nana Djordjadse, etwa Einige Interviews zu persönlichen Fragen (1978) oder Robinsonade oder: Mein englischer Grossvater (1987). Dazu kommen Filme jüngerer Generationen, die seit mehreren Jahren zum Aufschwung des georgischen Kinos beitragen und ihm international grosse Beachtung verschaffen, etwa Die langen hellen Tage, Line of Credit und – ganz neu – Beginning. Bild: Dede

Alberto Lattuada

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Das Locarno Film Festival hat dieses Jahr seine Retrospektive dem italienischen Filmemacher Alberto Lattuada (1914–2005) gewidmet. Dieser stand immer im Schatten prominenterer Zeitgenossen und ist heute vor allem als Entdecker und Förderer Fellinis bekannt. Von den 40er-Jahren bis Ende der 80er-Jahre aber drehte er viele qualitativ herausragende und inhaltlich herausfordernde Filme, die dem Zeitgeist zwar folgten, Konventionen aber auch unterliefen. Schon in den frühen Literaturverfilmungen ergriff er Partei für die Schwachen und Unterdrückten und stellte oft Frauen ins Zentrum seiner Dramen. Die sarkas­ tische Gogol-Adaption Il cappotto, die böse Satire La spiaggia und die schwarze Komödie Mafioso zählen zu den Höhepunkten seines Werks. Bild: Guendalina


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Eytan Fox

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Eytan Fox zählt zu den bedeutendsten Exponenten des israelischen Kinos, aber auch zu den wichtigsten schwul­ lesbischen Cineasten und wird deshalb mit dem Pink Apple Festival Award 2021 ausgezeichnet. Die Retrospektive zeigt seine bekanntesten Filme (Yossi & Jagger, Walk on Water, The Bubble) und einiges mehr.

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Die zehnjährige Wadjda wünscht sich sehnlichst ein Velo. Obwohl das Führen von Fahrzeugen Frauen in SaudiArabien nicht erlaubt ist, lässt sich Wadjda nicht von ihrem Wunsch abbringen. Bild: Das Mädchen Wadjda

Einzelvorstellungen

Bild: Yossi & Jagger

The Story of Film: Episoden 7+8

Filmpodium für Kinder: Das Mädchen Wadjda

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Mark Cousins erkundet die Neuen Wellen, die sich über Europa und die ganze Welt ausbreiten; dazu sind Ingmar Bergmans Persona, Federico Fellinis Otto e mezzo, Marco Ferreris El cochecito, Sergej Paradschanows Feuerpferde, Vĕra Chytilovás Die kleinen Margeriten und Ousmane Sembènes La noire de … zu sehen.

ZFF 2021 Lifetime Achievement Award: Paul Schrader Zur Kunsthandel-Kontroverse: Glut Zur Strauhof-Ausstellung: Dialog Sélection Lumière: Othello

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Georgiens Cineastinnen 1908 gilt offiziell als das Geburtsjahr des Kinos in Georgien, das in der Sowjetzeit im Bereich Film eine der produktivsten Teilrepubliken war. In jüngster Zeit erlebt das georgische Kino einen erstaunlichen Aufschwung, der auch international sehr beachtet wird. Regisseurinnen haben das georgische Filmschaffen seit jeher geprägt. Im R ­ ahmen des Kulturfestivals «Brücke Zürich−Tbilissi» widmet das F ­ ilmpodium den Cineastinnen Georgiens eine kleine Hommage und freut sich, dass Vertreterinnen verschiedener Generationen ihre ­Filme persönlich ­vorstellen werden. Wie auf der ganzen Welt ist auch in Georgien die Zahl der Filmregisseurinnen deutlich geringer als die der männlichen Filmschaffenden, doch sie bilden ­einen wichtigen Teil der georgischen Kinematografie. Die erste georgische Regisseurin­war Nutsa (Nino) Gogoberidse (1902−1966), die 1934 in der ­Sowjetunion ihren ersten Spielfilm Ujmuri (Desperate Valley, auch als IllTempered bekannt) drehte. Wie einige andere ihrer Filme konnte auch Ujmuri erst 82 Jahre später wieder in ihrer Heimat gezeigt werden, denn Nutsa ­Gogoberidse war Repressionen ausgesetzt und wurde 1937 nach Sibirien in die Gulag-Lager verbannt. Die Unterdrückungsmassnahmen hatten einen langen Unterbruch der Filmproduktion zur Folge. Selbst männliche Regisseure hatten Probleme, Filme zu drehen; nicht jeder war bereit, sich mit seinen Werken in den Dienst der Sowjet-Propaganda zu stellen. Erst in der sogenannten «Tauwetterphase» unter Nikita Chruschtschow stieg auch die Zahl der Regisseurinnen allmählich wieder an. Die mittleren Generationen Eine herausragende Vertreterin der jüngeren Generation von Filmschaffenden ist die Regisseurin Lana Gogoberidse, die Tochter von Nutsa Gogoberidse. Hauptthema ihrer Filme ist das Schicksal der Frauen, ihre Rolle im gesellschaftlichen Leben und ihr Verhalten in extremen Situationen. Lana Gogoberidse widmete den Film Walzer auf der Petschora (Walsi petschorase) (1992) den Tausenden von unterdrückten Frauen in der Sowjetunion, dem Exil ihrer Mutter und dem harten Aufwachsen auf sich gestellter Kinder. Trotz dieser schweren Schicksale strahlt der in einem «Lager der Frauen der Volksfeinde»

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Eindringliche Geschichte einer Trennung: Horizont Privates und Politisches: Einige Interviews zu persönlichen Fragen


06 in Sibirien spielende Film Hoffnung und Menschlichkeit aus. Zur gleichen Generation gehören Leila Gordeladse, Nana Mchedlidse und in den 70er-Jahren Liana Eliava. Anfang der 80er-Jahre tauchte mit Nana Janelidse, Nana Djordjadse und Keti Dolidse, die noch immer zur Avantgarde des georgischen Kinos zählen, eine neue Generation von georgischen Filmregisseurinnen auf. Sie zeichnen sich aus durch einen individuellen Stil, neue Themen, eine klare gesellschaftliche Haltung und originelles künstlerisches Denken. Schon mit ihren ersten Arbeiten, die deutlich die Folgen des Totalitarismus aufzeigten, erregte Nana Djordjadse grosse Aufmerksamkeit. Auch in ihren folgenden Werken hat sie «verbotene» Themen behandelt und Geschichten erzählt von Figuren, die in sowjetischen Filmen nie erwähnt wurden. So kombinierte sie zum Beispiel politische Ereignisse aus der Sowjetisierung Georgiens und romantische Geschichten wie in Robinsonade oder: Mein englischer Grossvater, der 1987 in Cannes mit der Caméra d’Or ausgezeichnet wurde. Aufschwung zu Beginn des Jahrtausends 1991 änderte sich das sozio-politische Leben Georgiens radikal und eine «neue Ordnung» wurde etabliert. Das Land erlangte die 200 Jahre zuvor verlorene Unabhängigkeit zurück; gleichzeitig ging es vom sozialistischen System über zu einer völlig neuen, ungewohnten Gesellschaftsform. Um 2005 beginnt das georgische Filmschaffen, die «postsowjetische Krise» zu überwinden, indem es nach neuen Wegen und Formen sucht und sein Selbstbewusstsein zurückerlangt. Eine neue Generation von Filmschaffenden wächst heran, und diejenigen, die in den 1990er-Jahren aufgehört haben, Filme zu drehen, und das Land verlassen haben, kehren in die Heimat zurück. Entscheidend zu dieser Entwicklung beigetragen hat die finanzielle Unterstützung durch den Staat. Heute sind in Georgien Regisseurinnen viel zahlreicher. An dieser Stelle seien stellvertretend nur einige wenige mit ihren Filmen vorgestellt. Die Protagonistin von Salomé Alexis erstem abendfüllenden Film Line of Credit (2014) ist eine attraktive Frau mittleren Alters, die (erfolglos) versucht, einen Bankkredit zurückzuzahlen. Meisterhaft zeichnet die Regisseurin das individuelle Porträt einer Frau und gleichzeitig das der georgischen Gesellschaft. Ein Meilenstein im neueren georgischen Kino ist Die langen hellen Tage (In Bloom) (2014) von Nana Ekvtimischwili und Simon Gross. Die Hauptfiguren des in den frühen 1990er-Jahren angesiedelten Films sind Teenager, die sich im Leben – in zum Teil extremen Situationen – zurechtfinden und Entscheidungen treffen müssen. Rusudan Glurjidses Erstling House of Others schildert die Zeit nach dem Krieg in Abchasien und erzählt von Menschen, denen das Kriegsende keinen Frieden gebracht hat. Die abendfüllenden Filme der drei Debütantinnen Mariam Chatschwani, Ana Urushadse und Dea Kulum-


07 begaschwili, Dede, Scary Mother und Beginning haben nicht nur national, sondern auch international Beachtung gefunden. In Dede erzählt Mariam Chatschwani vom Schicksal und vom Widerstand einer jungen Frau in der von Traditionen geprägten Gesellschaft in der bergigen Region Swanetien. Dea Kulumbegaschwili sucht in Beginning nach einer neuen künstlerischen Form, um häusliche Gewalt und religiöse Intoleranz darzustellen. Eine fast unwirkliche Atmosphäre schafft die junge Ana Urushadse im Psychodrama Scary Mother. Ihr Film ist einzigartig im georgischen Kino und zeugt von einer individuellen Vision und der klaren Handschrift der Autorin. Die Filme georgischer Regisseurinnen drehen sich aber nicht nur um weibliche Themen. Hauptfigur in Horizont etwa ist ein Mann in Trennung, dessen Einsamkeit und soziale Ausgrenzung Tinatin Kajrischwili eindringlich schildert. Die Grande Dame des georgischen Films Die meisten dieser Filme sind vielversprechende Debütwerke. Aber es gibt einen unter ihnen, der meiner Meinung nach einzigartig ist und dessen Autorin eine besondere Stellung einnimmt. Voll jugendlicher Energie hat Lana Gogoberidse im Alter von 91 Jahren den Film The Golden Thread (Der goldene Faden) gedreht, in dem sie neue Themen aufgreift und anders an diese herangeht. Der Film handelt von einer älteren Frau, die in ihrer eigenen Welt gefangen ist, vieles erlebt und vieles verloren hat. Sie lebt in ihren Erinnerungen und ist damit eine Metapher nicht nur für die Generation der Regisseurin, sondern auch für die vergangenen Epochen, ja das ganze Land. Lela Ochiauri

Lela Ochiauri ist Kunsthistorikerin und Professorin an der staatlichen georgischen ­Schota-Rustaweli-Universität für Theater und Film in Tbilissi.

Brücke: Zürich – Tbilissi Das interdisziplinäre georgische Kulturfestival «Brücke: Zürich–Tbilissi» (1.10. – 10.10.2021) hat zum Ziel, die aktuelle Kunst- und Kulturszene von Georgien zu präsentieren, den kulturellen Dialog zwischen beiden Ländern zu vertiefen und ein Netzwerk der Zusammenarbeit zu schaffen. Die Veranstaltungen umfassen Architektur, Literatur, Musik und Film; Partner sind neben dem Filmpodium das Literaturhaus Zürich, das Cabaret Voltaire, das ZAZ Zentrum Architektur Zürich und der Kunstraum Walcheturm. Details unter www.zuerich-tbilissi.ch In Kooperation mit der Georgischen Kulturplattform, georgische-kulturplattform.ch


> Robinsonade oder: Mein englischer Grossvater.

> Atlant.

> Line of Credit.

> Walzer auf der Petschora.


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Georgiens Cineastinnen

ATLANT UdSSR (Georgien) 1976

ROBINSONADE ODER: MEIN ENGLISCHER GROSSVATER 76 Min / Farbe + sw / 35 mm / Georg/E/e // REGIE Nana Djordjadse // DREHBUCH Irakli Kwirikadse // KAMERA Lewan Paataschwili // MUSIK Enri Lolaschwili // MIT Shanri Lo-

Durch verschiedene Umstände sieht sich ein Mann plötzlich dazu verdammt, den Balkon eines Hauses zu stützen. Nana Djordjadse realisierte den Film als Studentin; alle Schauspielerinnen und Schauspieler waren mit ihr befreundet.

ROBINSONADE ODER: MEIN ENGLISCHER GROSSVATER

(Robinsoniada, anu tschemi ingliseli Papa) UdSSR (Georgien) 1987 «Die Geschichte eines Engländers, der 1920 nach Georgien kommt, um am Aufbau der Telegrafen­ linie London–Delhi zu arbeiten. Er verliebt sich in eine Einheimische, wird aber von den Revolutionären vertrieben, die die Macht übernehmen. Da der Boden drei Meter um die Telegrafenmasten von der englischen Regierung aufgekauft wurde, flüchtet er sich auf dieses Miniterritorium und richtet sich ein, bis er von einem aufgebrachten Grundbesitzer eher versehentlich erschossen wird. Die Rahmenhandlung stellt den Enkel des Engländers vor, einen Komponisten, der seinem Grossvater eine Sinfonie widmet. Ein poesievoller Film, von Witz und Humor getragen, der für ein friedliches Zusammenleben der Menschen verschiedener Ideologien und Kulturen plädiert.» (filmdienst.de) ATLANT 16 Min / sw / DCP / Georg/d // DREHBUCH, REGIE, SCHNITT Nana Djordjadse // KAMERA Yuri Kikabidse // MUSIK Temo Bakuradse // MIT Givi Sarchimelidse (Atlant), Guliko ­Emkhvari (seine Frau), Ruslan Mikaberidse (Nachbar), Keti Kezkhoveli.

GÄSTE AUS GEORGIEN

laschwili (Christopher Hughes / sein Enkel Chjos), Ninel Tschankwetadse (die junge Anna), Guram Pirzchalawa ­(Nestro), Elgudsha Burduli (Lawrenti), Tiko Eliosdie (die alte Anna).

EINIGE INTERVIEWS ZU PERSÖNLICHEN FRAGEN

(Ramdenime interwju pirad sakitchebse) UdSSR (Georgien) 1978 Sofiko, eine 40-jährige Journalistin, verantwortlich für Leserbriefe, geht ganz in ihrer Arbeit für die Zeitung auf. Während sie den Ratsuchenden Hilfe, Trost und Neuorientierung zu vermitteln vermag, bemerkt sie die Krise in ihrer Ehe fast zu spät. «Feinfühlig erzählt Lana Gogoberidse von der Verzahnung des Privaten und des Politischen, die sich auch in den Erinnerungen Sofikos an die Mutter fortsetzt, die, für das Kind unverständlich, im Gulag verschwand. Mit seinem Fokus auf die alltäglichen Kämpfe einer emanzipierten Frau und der Reflexion über weibliche Lebensentwürfe gilt Einige Interviews zu persönlichen Fragen als einer der ersten feministischen Filme der Sowjetunion.» (arsenal-berlin.de) «Dieser Film ist für mich in vielem sehr persönlich. Die Geschichte einer Frau, die schon vierzig ist, die eine schwere Kindheit hatte – und jetzt wird ihr Leben auf einmal kompliziert, voller Dramatik. Und doch ist ihr Leben auch herrlich – sie besitzt die seltene Begabung, sich absolut hinzugeben, den Kindern, der Arbeit, dem geliebten Menschen, den Freunden. Sie erlebt alles, Glück und Unglück, mit intensiver freudiger Spannung.» (Lana Gogoberidse, zit. nach: Katalogblätter Int. Forum des Jungen Films, Berlin 1979)

FR, 8. – SO, 10. OKTOBER

Lana Gogoberidse und Nana Djordjadse sind «Grandes Dames» des georgischen Kinos und entsprechend mit mehreren ­Filmen in unserem Programm vertreten – im Fall von Djordjadse auch als Schauspielerin. Wir freuen uns sehr, sie vom 8.-10. Oktober im Filmpodium begrüssen zu dürfen. Begleitet werden sie von Salomé Alexi, die ihren Film Line of Credit ­vorstellt, und von Rusudan Glurjidse mit ihrem Erstling House of Others. Eine Einführung ins georgische Filmschaffen (in deutscher Sprache) gibt Gaga Chkheidse, Direktor des georgischen Nationalen Filmzentrums. Genaue Spieldaten siehe Programmübersicht. Mit freundlicher Unterstützung von


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Georgiens Cineastinnen 95 Min / Farbe / DCP / Georg/d // REGIE Lana Gogoberidse // DREHBUCH Saira Arsenischwili, Erlom Achwlediani, Lana ­Gogoberidse // KAMERA Nugsar Erkomaischwili // MUSIK Giya Kantscheli // MIT Sofiko Tschiaureli (Sofiko, die Journalistin), Gija Badridse (Artschil), Ketewan Orachelaschwili (die Mutter), Shanri Lolaschwili (Irakli, der Fotograf), Salome Kantscheli (Maro), Ketewan Botschorischwili (Keto).

WALZER AUF DER PETSCHORA (Walsi petschorase) Georgien 1992

Im Tbilissi der 1930er-Jahre verlässt eine junge Frau, deren Vater als «Volksfeind» hingerichtet und deren Mutter nach Sibirien deportiert wurde, das Waisenhaus und kehrt in ihre vermeintlich leere Wohnung zurück, die jedoch von einem Mitglied der stalinistischen Geheimpolizei in Besitz genommen wurde. «Ich wollte diesen Film schon immer machen. Vielleicht habe ich nur deshalb das Institut für ­Kinematografie besucht, um einen Weg zu finden, das auszudrücken, was ich zusammen mit meiner Nation erlitten habe. Die Verhaftung meiner Eltern, das Alleinsein, die überwältigende Angst, die auf der Gesellschaft lastete, der innere Kampf gegen die unsichtbaren Mächte, die alles unterdrückten, in alle Sphären der eigenen Existenz eindrangen und einen psychisch wie körperlich erledigten. Damals verstand ich nicht, dass es der Totalitarismus war, gesehen mit den Augen eines Kindes, die organisierte Gewalt gegen Personen: Der Protest dagegen wurde das Ziel meines Lebens.» (Lana Gogoberidse, zit. nach: Katalogblätter Int. Forum des Jungen Films, Berlin 1993) 106 Min / Farbe / 35 mm / Georg/d // REGIE Lana Gogoberidse // DREHBUCH Lana Gogoberidse, Saira Arenischwili // KAMERA Giorgi Beridse // MUSIK Giorgi Zinzadse // MIT Guram Pirtskhalava (KGB-Offizier), Nino Surguladse (Anna), Marika Chichinadse), Tamari Skhirtladse, Nineli Chankvetadse.

DIE LANGEN HELLEN TAGE

(In Bloom/Grzeli nateli dgeebi) Georgien/Deutschland/Frankreich 2014 «Die langen, hellen Sommertage von 1992 in Georgiens Hauptstadt Tbilissi sind prägend für die beiden besten Freundinnen Eka und Natia. Die beiden Teenager haben nicht nur Lust aufzubegehren, (...) heimlich zu rauchen und sich zu amüsieren, auch müssen sie sich im postsowjetischen Georgien neu zurechtfinden, das in Chaos und Selbstjustiz zu versinken droht. (...) Virtuos, fesselnd und mit starken Bildern wird von den einschneidenden Veränderungen im Leben der

beiden Mädchen erzählt – und wie sie überkommene Werte einer Gesellschaft selbstbewusst überwinden.» (kinocameo.ch, Nov. 2017) «Die Koregisseurin Nana Ekvtimischwili hat den Umbruch in Tiflis als Vierzehnjährige selbst erlebt. (Sie) scheint die Abwesenheit jeder Autorität in dieser Zeit als Glück erfahren zu haben. Denn davon erzählt dieser Film. Vom Glück, stark zu werden, in einer Umgebung, in der die Eltern schwach sind. (...) Kameramann Oleg Mutu (...) verlieh auch diesem Film eine besondere Aura. Er nahm die Leichtigkeit und den Mut der Mädchen auf; er stellt sie nicht aus, hält Abstand und feiert diskret ihre Schönheit.» (Christina Bylow, Berliner Zeitung, 20.8.2014) 102 Min / Farbe / DCP / Georg/d // REGIE Nana Ekvtimischwili, Simon Gross // DREHBUCH Nana Ekvtimischwili // KAMERA Oleg Mutu // SCHNITT Stefan Stabenow // MIT Lika Babluani (Eka), Mariam Bokeria (Natia), Zurab Gogaladse (Kote), Data Zakareischwili (Lado), Ana Nijaradse (Ana, Ekas Mutter), Maiko Ninua (Sofiko), Tamar Bukhnikaschwili (Natias Mutter), Temiko Chichinadse (Natias Vater), Berta Khapava (Natias Grossmutter).

LINE OF CREDIT (Kreditis Limiti) Georgien/Deutschland/Frankreich 2014 «Die elegante Nino führt allem Anschein nach eine komfortable Existenz. Die schöne Fassade zeigt aber Risse. Um sich einen langgehegten Wunsch zu erfüllen, hat sie einen Kredit aufgenommen, den sie nicht zurückzahlen kann. Ihr Leben dreht sich nur noch um das Beschaffen von Geld, das Verscherbeln von Erbstücken, das Verlängern von Krediten, das Besänftigen von Gläubigern. Dem schweren Thema zum Trotz erzählt Salomé Alexi in sanft-pastellfarbenen Bildern und mit einem genauen Blick für die komischen Momente im Straucheln ihrer Heldin.» (arsenalberlin.de) «Ninos Geschichte ist eine Geschichte der 172’300 Familien, die in den Jahren 2009–2013 ihre Häuser aufgrund von Hypothekarkrediten verloren haben. Die Zahl der von der Zwangsräumung betroffenen Haushalte beläuft sich auf 14 % der Bevölkerung Georgiens.» (Focus on Georgia, Valladolid International Film Festival, 2019) «Ob mit oder ohne geopolitische Anmerkungen, dies ist ein Film über das Leben in Armut; seine Mischung aus drolliger Peinlichkeit und grausamer Ironie wird jeden ansprechen, der aufgrund seiner Verpflichtung gegenüber der Vergangenheit kaum in der Lage ist, die Gegenwart zu stemmen.» (Steve Macfarlane, slantmagazine. com, 20.3.2015)


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Georgiens Cineastinnen 85 Min / Farbe / DCP / Georg/d // DREHBUCH, REGIE, SCHNITT Salomé Alexi // KAMERA Jean-Louis Padis // MUSIK Rezo Kiknadse // MIT Nino Kasradse (Nino), Zanda Ioseliani (Natela), Ana Kacheischwili (Irma), Zaza Chkheidse ­(Merab), Tamar Mamulaschwili (Lali), Dato Darchia (Paata).

HOUSE OF OTHERS (Skhvisi sakhli) Georgien 2016 «Georgien in den 90er-Jahren. Zwei Familien haben einen kurzen, aber verheerenden Krieg in der Autonomen Republik Abchasien physisch überlebt. Diejenigen, die es geschafft haben zu entkommen und sich nun auf der Gewinnerseite befinden, bekommen Häuser zugewiesen, die zuvor vom Feind bewohnt waren. In der fremden Umgebung der Häuser, mit der Erinnerung an die Schrecken, die die ursprünglichen Bewohner erlebt haben, versuchen viele dieser Neuankömmlinge, einen frischen Anfang zu machen. Doch sie erweisen sich als unfähig, ein neues Leben in Frieden aufzubauen: Der Krieg geht im Alltag weiter, denn die Kämpfe toben in ihnen weiter.» (Focus on Georgia, Valladolid International Film Festival, 2019) «Ohne die Unsicherheit eines Neulings zu verraten, orchestriert Glurjidse wie eine Virtuosin die hervorragende Arbeit aller Mitwirkenden und erzielt mit ihrer formalen Kühnheit eine subtile Wirkung. Es ist eine traurige, als intime Miniatur dargestellte Geschichte über die Schuld des Siegers und die Besetzung der eroberten Länder durch die Eroberer, die in einer sehr spezifischen Zeit und an einem sehr spezifischen Ort spielt. Von der Stimmung her kommt sie aber vielleicht am ehesten einer Geistergeschichte gleich, in der die Geisterjäger häufig selbst zu Geplagten werden.» (Jessica Kiang, variety.com, 5.6.2016) 103 Min / Farbe / DCP / Georg/d // REGIE Rusudan Glurjidse // DREHBUCH Dato Chubinischwili, Rusudan Glurjidse // KAMERA Gorka Gómez Andreu // MUSIK Dusan Maksimovski, Alex Sparrow // MIT Salome Demuria (Ira), Ia Sukhitaschwili (Azida), Olga Dykhovichnaya (Liza), Alexander Khundadse (Leo).

DEDE Georgien/Kroatien/GB 2017 «1992. Die junge Dina lebt in einem abgelegenen Dorf hoch in den georgischen Bergen, wo jahrhundertealte Traditionen das tägliche Leben bestimmen. Ihr Grossvater hat für sie die Heirat mit David arrangiert, der gerade aus dem Krieg zurückgekehrt ist. Doch als sie den gutaussehenden Gegi, Davids Kriegskameraden, kennenlernt, verliebt sie sich in ihn und sie brennen durch, wobei sie die traditionelle Kultur der Swanetier mit Füssen treten. Ihre Weigerung, sich an die Tradition

zu halten, wird Dina teurer zu stehen kommen, als sie sich vorstellen kann …» (Focus on Georgia, Valladolid International Film Festival, 2019) «Der von Konstantin Esadse makellos fotografierte Film regt zum Nachdenken darüber an, wie Frauen in einigen Regionen immer noch an einer aktiven Rolle am intellektuellen oder kreativen Leben gehindert werden. Dabei werden auch andere relevante Aspekte wie das Fehlen von Schulen oder der Glaube an uralte Rituale zur Heilung und die Verweigerung moderner Medizin ins Blickfeld gerückt. Inspiriert von der Geschichte ihrer Grossmutter hat Chatschwani ihre Wurzeln erforscht und einen sehr persönlichen, stark feministischen und tief empfundenen Film geschaffen.» (Felipe Freitas, alwaysgoodmovies.com, 21.1.2019) 97 Min / Farbe / DCP / Georg/d // REGIE Mariam Chatschwani // DREHBUCH Mariam Chatschwani, Vladimer Katcharava, Irakli Solomonaschwili // KAMERA Konstantin Esadse // MUSIK Tako Jordania, Mate Chamgeliani // SCHNITT Levan Ku­ khaschwili // MIT Natia Vibliani (Dina), George Babluani (Gegi), Nukri Chatschwani (David), Girshel Chelidse.

SCARY MOTHER (Sashishi deda) Georgien/Estland 2017 «Nachdem sie sich jahrzehntelang unterdrückt gefühlt hat, beschliesst die 50-jährige Manana, ihre häuslichen Pflichten aufzugeben und ihre Familie zu verlassen, um ihren Traum zu verfolgen, Schriftstellerin zu werden. Ihre frühere Stagnation wie auch ihr aktueller Emanzipationsprozess werden zum Mittelpunkt ihrer autobiografischen Fiktion. Doch der explizite Inhalt ihres Schreibens wird von denjenigen missbilligt, die sich in ihrem Text wiedererkennen. Manana muss ihre Ver­ gangenheit begraben und die Bindungen an ihre Lieben lösen, um sich vollständig zu befreien.» ­(Focus on Georgia, Valladolid International Film Festival, 2019) «Frauen bekämpfen die patriarchalische Unterdrückung oft durch Feilschen und Beschwichtigen, indem sie vorgeben, dass die einmal gewährte Freiheit nicht dazu benutzt wird, bestehende Institutionen und Prioritäten zu untergraben. Doch Urushadses kühl wirkender Film achtet in aufregender Weise nicht auf diese Art von Höflichkeiten, sondern suggeriert vielmehr, dass die Freiheit, sich wirklich selbst auszudrücken, keine Halbheiten duldet. Sie ist absolut und beinhaltet die Freiheit (…) das zu werden, was auch immer die wahrhaftigste Version von einem selbst sein mag, selbst wenn es ein Monster mit Fledermausflügeln ist, das Kinder verschlingt und bereit ist, alles und jeden seinem unersättlichen Appetit zu opfern.» (Jessica Kiang, Variety. com, 27.10.2017)


> Scary Mother.

> Beginning.

> The Golden Thread.


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Georgiens Cineastinnen 107 Min / Farbe / DCP / Georg/e // DREHBUCH UND REGIE Ana Urushadse // KAMERA Konstantin Esadse // MUSIK Nika Pasuri // SCHNITT Alexander Kuranov // MIT Nato Murvanidse (Manana), Ramaz Ioseliani (Nukri), Dimitri Tatischwili (Anri), Avtandil Makharadse (Jarji), Anastasia Chanturaia (Dea), Lasha Gabunia (Sergi), Luka Kachibaia (Toma), Darejan Kharshiladse (Mananas Mutter).

HORIZONT (Horizonti) Georgien/Schweden 2018

in ihre Wohnung einzieht – ausgerechnet sie hatte eines von Elenes Büchern auf die Schwarze Liste gesetzt. Miranda ist an Alzheimer erkrankt, und es ist unmöglich, sie allein zu lassen. Während dieser Ereignisse vergessen alle, dass Elene Geburtstag hat, doch unerwartet ruft ihre langjährige Liebe Archil sie an. Neben der aufblühenden Telefonromanze zwischen Elene und Archil entwickelt sich zwischen den beiden Frauen eine Beziehung auf Leben und Tod.» (filmneweurope.com) 90 Min / Farbe / DCP / Georg/d // DREHBUCH UND REGIE Lana Gogoberidse // KAMERA Goga Devdariani // MUSIK Giya

«Giorgi und Ana, einst ein Liebespaar, sind jetzt Ende 30 und stecken mitten im schwierigen Prozess ihrer Trennung, die still und unauffällig vonstattengeht. Zuneigung und Schock scheinen vorbei zu sein, aber die Umstellung auf ein neues Leben braucht viel Zeit und scheint endlos. Giorgi kann sich nicht damit abfinden; der Schmerz über die Zurückweisung durch seine frühere Partnerin und engste Vertraute macht es ihm unmöglich, ein neues Leben zu beginnen. Er isoliert sich vom Rest der Welt, zieht weit weg, ans Meer, und lässt sich an einem verlassenen Ort nieder, umgeben von einsamen Menschen. Ana wartet darauf, dass alles vorübergeht, aber der Ausgang ist für beide unerwartet und lässt Ana mit Schuldgefühlen und diffusen Emotionen zurück.» (Focus on Georgia, Valladolid International Film Festival, 2019) «Tinatin Kajrischwili macht wunderschönes Kino, sinnlich und detailversessen, aber auch intelligentes Kino, das dem Zuschauer weder alles zeigt noch erklärt, sodass er sich selbst eine Meinung bilden und die Teile der Geschichten und des Lebens zusammensetzen kann.» (Malik Berkati, j-mag.ch, 18.2.2018) 105 Min / Farbe / DCP / Georg/d // REGIE Tinatin Kajrischwili // DREHBUCH Tinatin Kajrischwili, Dato Chubinischwili // KAMERA Irakli Akhalkatsi // MUSIK George Khalvashi // SCHNITT Irakli Akhalkatsi // MIT Giorgi Bochorischwili (Giorgi)­, Ia Sukhitaschwili (Ana), Jano Izoria (Jano), Ioseb ­Gogichaischwili (Valiko), Lili Okroshidse (Marika), Nana Datunaschwili (Larisa), Sergo Buiglischwili (Niko), George Beridse (Sandro).

THE GOLDEN THREAD (Okros dzapi ) Georgien/Frankreich 2019 «Die Schriftstellerin Elene (Nana Djordjadse) ist fast 80 Jahre alt. Sie lebt mit ihrer Familie zusammen und kann aufgrund ihres Gesundheitszustands die Wohnung praktisch nicht verlassen. Ihr Wohlbefinden wird empfindlich gestört, als mit Miranda, der Schwiegermutter ihrer Tochter, eine ehemalige hochrangige sowjetische Funktionärin

Kancheli // SCHNITT Salomé Alexi, Elene Asatiani // MIT Nana Djordjadse (Elene), Guranda Gabunia (Miranda), Zura Kipshidse (Archil), Nini Iaschwili, Paata Inauri, Temiko Chichinadse, Lana Gogoberidse.

BEGINNING Georgien/Frankreich 2020 «In einer verschlafenen Provinzstadt wird eine Gemeinde der Zeugen Jehovas von einer extremistischen Gruppe angegriffen. Mitten in diesem Konflikt steht Yana, die Frau des Gemeindeleiters, deren vertraute Welt langsam um sie herum zerbricht. Nicht einmal in ihrem eigenen Haus ist sie jetzt sicher.» (mubi.com) «Selten geht vom Off, von den schwarzen Rändern­der kinematografischen Welt, eine solch bedrohliche Suggestivkraft aus wie in Dea Kulumbegaschwilis eigenwilligem Debüt. (…) Kulum­ begaschwili (…) mutet ihren Figuren und dem Publikum einiges zu, und zwar mit einer für eine Debütantin verblüffenden formalästhetischen Perfektion. Sie zelebriert eine Austerität, wie man sie (…) von einem Michael Haneke kennt.» (Jens Balkenborg, epd-film.de, 22.1.2021) Beginning konnte 2020 wegen Corona nicht wie geplant in Cannes präsentiert werden und feierte seine internationale Premiere in San Sebastián, wo er mit dem Hauptpreis wie auch für die beste Regie, das beste Drehbuch und die beste Schauspielerin ausgezeichnet wurde. Seither wurde Kulumbegaschwilis Film von Festival zu Festival gereicht und von der Kritik immer wieder nicht nur «als beeindruckende Entdeckung», sondern auch als «Versprechen auf eine grosse Karriere» gefeiert. 125 Min / Farbe / DCP / Georg/d // REGIE Dea Kulumbegaschwili // DREHBUCH Dea Kulumbegaschwili, Rati Oneli // KAMERA Arseni Khachaturan // MUSIK Nicolas Jaar // SCHNITT Matthieu Taponier // MIT Ia Sukhitaschwili (Yana), Rati Oneli (David), Kakha Kintsuraschwili (Alex, der Detektiv), Saba ­Gogichaischwili (Giorgi), Ia Kokiaschwili, Mari Kopchenovi, Giorgi Tsereteli.



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Alberto Lattuada Das Locarno Film Festival hat 2021 seine traditionelle Retrospektive dem italienischen Cineasten Alberto Lattuada (1914–2005) gewidmet. Der Sohn des Filmmusikkomponisten Felice Lattuada und ausgebildete Architekt ging als Regisseur zwar stets mit der Zeit, übernahm aber Stile und Moden des italienischen Kinos nur, um sie nach seinem Gusto zu variieren und brechen. Alberto Lattuada war einer der kommerziell erfolgreichsten sowie lange Jahre von der heimischen Kritik meistgeliebten Filmemacher Nachkriegsitaliens – und dennoch wird er mittlerweile von der Kinogeschichtsschreibung weitestgehend ignoriert. Was nicht einer gewissen bitteren Ironie entbehrt: Der lombardische Bürgersohn Alberto war in bester cinephiler Manier nicht nur Kritiker und Amateurfilmemacher (er zeichnet u. a. für die Ausstattung des Avantgardekurzfilms Il cuore rivelatore von Cesare Civita, Alberto Mondadori und Mario Monicelli, 1934), sondern begann auch mit einigen Freunden Kopien zu sammeln. Dieser Bestand bildete den Grundstock für das erste Film­archiv des Landes in seiner Heimatstadt Mailand: die Cineteca italiana. Zugespitzt gesagt: Ohne Lattuada gäbe es jene Kultur nicht, die ihn seit Dekaden kaum würdigt. Ausnahmen wie die diesjährige Retrospektive des Locarno Film Festivals bestätigen die Regel. Luci del varietà (1950) ist das am häufigsten erwähnte und gezeigte Werk Lattuadas, da er es zusammen mit Federico Fellini realisierte, wobei Lattuada jeweils eher wie ein Anhang behandelt wird. Sein einziger heute noch geläufiger Film ist Mafioso (1962), einer seiner vielen Versuche über das Ende der Unschuld und die Last der Geschichte, hier als Commedia all’italiana in besonders heillos grauen Tönen und voller Scherze, bei denen einem das Lachen im Halse stecken bleibt. Als quasi-kanonisches Werk galt lange die brillante Gogol-Adaption Il cappotto (1952), deren kühl-kristallene Ästhetik in manchen Augen etwas Distanziert-Formalistisches hat, eher gedacht als gefühlt, mehr akribisch erarbeitet denn intuitiv geschaffen wirkt – womit man ja mehr das Können eines Handwerkers verbindet als die Virtuosität eines wahren Künstlers.

Romeo und Julia auf dem Lande: Il mulino del Po Ruf der Heimat: Alberto Sordi in Mafioso Drama in Nachkriegsitalien: Senza pietà


16 Ein Mann für jede Kinozeit Sicher, damit ist man tief im Bereich des Klischees, aber Filmgeschichte orientiert sich (zumindest an ihrer Oberfläche) stark an Gemeinplätzen, der Erzählbarkeit halber, da sich Ausnahmen und Widersprüche schlecht zusammenfassen lassen. Und da liegt das Problem mit Lattuada: Einerseits entzieht er sich diesem Zugriff, da er zu keiner Tendenz des italienischen Kinos gehört. Andererseits gibt es keine bedeutende Tendenz, zu der er nicht einen entscheidenden Beitrag geleistet hätte: sei es mitten im Diktaturdunkel zum Calligrafismo (sein Langfilmdebüt Giacomo l’idealista, 1943), nach Kriegsende zum Neorealismo (Il bandito, 1946), in den 50er-Jahren zum Neorealismo rosa (u. a. La spiaggia und Scuola elementare, beide 1954) und zur Commedia all’italiana (Mafioso), sei es zu jenem namenlosen Moment zu Beginn der 60er-Jahre, da sich in und aus der lokalen Filmindustrie eine Art Nouvelle Vague zu formen begann (Dolci inganni, 1960; L’imprevisto, 1961), bis hin zu seinem letzten Kinofilm, Una spina nel cuore (1986), den vordergründig wenig unterscheidet von den vielen Erotikmelodramen jener Jahre. Wenn sich Lattuada mit solchen Gestaltungs- und Haltungsmoden – denn das sind diese Tendenzen letztlich – handfest auseinandersetzt, dann auch, um mit dem Publikum im Dialog zu bleiben. Lattuada macht immer Kino: Konjunkturware als Zeitgenossenschaft und damit auch als Möglichkeit, die Zeiten und Sitten zu kommentieren. Allerdings machte er (abgesehen von seiner verschrobenen Spionagekomödienfarce Matchless, 1965) nie Genrekino: Formales und inhaltliches Korsett durften nicht zu eng und zu bestimmend sein. So fand Lattuada in jeder Mode, jeder Tendenz und jedem Zeitgeist Aspekte, Themen, Bilder, die sich mit seinen Interessen, Obsessionen, Überzeugungen in Einklang bringen liessen. Was auch zeigt, wie fundamental seine Fragen sind, wenn sie wieder und wieder in unterschiedlicher Gestalt auftauchen und sich in jeder Gestalt und jeder Epoche aufs Neue stellen: die Fragen nach der Unschuld, nach dem Platz des Menschen in der Gesellschaft und in der Geschichte und die Frage, wer diese Geschichte schreibt. Zartheit und Zynismus Um seelische wie sexuelle Unschuld und was man auf sie projiziert, drehen sich viele der bekanntesten Filme Lattuadas. Gleich sein zweites Werk, La freccia nel fianco (begonnen 1943, fertiggestellt 1945 durch den ungenannten Mario Costa), dreht sich um die Frage jugendlicher Leidenschaft und deren Folgen in der Erwachsenenwelt, ebenso Guendalina (1957), der berühmte Zensurfall Dolci inganni, L’amica (1969), das Skandalon Le farò da padre (1974) und Così come sei (1978). Lattuada war sich dessen bewusst und bezeichnete etwa Così come sei als seine Rückkehr zur Welt von Guendalina und Dolci inganni.


17 Allerdings ändert sich von Film zu Film die Versuchsanordnung und damit das Machtverhältnis zwischen den Figuren und Altersgruppen: Mal geht es um Heranwachsende unter sich, erinnert aus deren Perspektive als Erwachsene, mal um Teenie-Liebeleien, mal um eine Jugendliche, die sich in einen älteren Mann verliebt; dann ist es eine verheiratete Frau von Mitte 40, die sich an einer anderen rächt, indem sie deren Gatten und Sohn verführt; ein anderes Mal beginnt ein Mann von über 50 ein Verhältnis mit einer jungen Studentin, in dessen Verlauf er realisiert, dass sie seine Tochter sein könnte, weil er mit ihrer Mutter einst eine Affäre hatte. Je älter Lattuada wird, desto verzweifelter und bitterer, aber auch grotesker wird sein Blick: Zeichnet La freccia nel fianco und Guendalina noch eine vorsichtige Zartheit und damit allen Enttäuschungen zum Trotz etwas Lebenszugewandtes aus, so haben Le farò da padre in seiner Hysterie und Così come sei in seiner abgrundtiefen Melancholie etwas unverhohlen Morbides. Grosse Hoffnungen für die Menschheit hatte Lattuada nie: Die Aufstände, von denen Il mulino del Po (1949) und La tempesta (1958) erzählen, scheitern, wenn auch nicht kläglich: Revolutionen sind dazu da, dass etwas passiert, und nicht, um ein klar umrissenes Ziel zu erreichen. Das verleiht dem dramatisch-ernsthaften Koloss La tempesta einen unerwartet süffisanten Unterton, wurde doch die Pugatschow-Rebellion in der UdSSR als einer der vielen Vorläufer der Oktober-Revolution gesehen. Was wiederum heisst, dass für Lattuada auch dieses Reich nur vorläufig war. Das ist zwar im Film nicht so zu sehen, stellt sich aber mit Blick auf das Gesamtwerk so dar. Was in beiden Fällen bleibt, ist die Möglichkeit persönlichen Glücks. Wobei auch das für Lattuada eine ambivalente Perspektive ist. Einer seiner groteskesten und in dieser Hinsicht erschütterndsten Filme ist Sono stato io! (1973): Ein Fensterputzer will berühmt werden und nimmt zu diesem Zweck ein Verbrechen auf sich, das er nicht begangen hat. Für seine 15 Warhol-Minuten fährt er 30 Jahre Bau ein – und als er im Gefängnis ankommt, weiss niemand, wer er ist. Waren seine Lattuadas erste Filme schon bitter, so gähnt in seinem Spätwerk ein Abgrund, der alles Licht verschluckt. Olaf Möller

Olaf Möller. Kölner. Filmkritiker.


> Luci del varietà.

> Il delitto di Giovanni Episcopo.

> Il cappotto.

> Giacomo l’idealista.


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Alberto Lattuada

GIACOMO L’IDEALISTA

87 Min / sw / DCP / I/e // REGIE Alberto Lattuada // DREHBUCH Oreste Biancoli, Mino Caudana, Alberto Lattuada, Tul-

Italien 1943

lio Pinelli // KAMERA Aldo Tonti // MUSIK Felice Lattuada //

Giacomo, ein junger Philosophieprofessor, kehrt 1885 aus den Feldzügen Garibaldis heim und will seine Geliebte Celestina heiraten. Doch sein trunksüchtiger Vater hat inzwischen seinen Betrieb ruiniert, und als Mittelloser beschliesst Giacomo die Vermählung aufzuschieben. Zusammen mit Celestina findet er Zuflucht beim Grafen Magnenzio und schöpft allmählich neue Hoffnung. Da kehrt Giacinto, der arrogante und zügellose Sohn des Grafen, aus der Stadt heim und wirft ein Auge auf Celestina. Aufgrund der 1897 veröffentlichten Romanvorlage von Emilio De Marchi gestaltet Lattuada sein Regiedebüt als prototypische Parabel über Klassengegensätze, Ausbeutung und Ungerechtigkeit, die historisch verortet ist, stets aber auch die Gegenwart meint und damit auf seine nachfolgenden Werke vorausweist. Der Film galt lange als verschollen, bis die Cinémathèque suisse in ihren Beständen eine gute Kopie aufspürte. (mb)

Nazzari (Ernesto), Carla Del Poggio (Maria), Carlo Campanini

104 Min / sw / DCP / I/f // REGIE Alberto Lattuada // DREHBUCH Aldo Buzzi, Emilio Cecchi, Alberto Lattuada, nach dem Roman von Emilio De Marchi // KAMERA Carlo Nebiolo // ­MUSIK Felice Lattuada // SCHNITT Mario Bonotti, Alberto Lattuada // MIT Massimo Serato (Giacomo Lanzavecchia), Marina Berti (Celestina), Andrea Cecchi (Giacinto Magnenzio), Giulio Tempesti (Don Lorenzo), Giacinto Molteni (Graf Mag-

SCHNITT Mario Bonotti // MIT Anna Magnani (Lidia), Amedeo (Carlo), Mino Doro (Mirko), Eliana Banducci (Rosetta), Folco Lulli (Andrea), Mario Perrone (der Bucklige), Amato Garbini (Faustino).

IL DELITTO DI GIOVANNI EPISCOPO Italien 1947 Der sanftmütige, charakterschwache Bürolist Giovanni Episcopo wird vom smarten Ganoven ­ Wanzer in die sinnlichen Freuden des Lebens eingeweiht und dabei schamlos ausgenutzt. Seine Ehe mit der schönen Prostituierten Ginevra beschert Episcopo einen Sohn, aber kein Glück, und als Wanzer nach langer Abwesenheit wieder auftaucht, ist er nicht mehr gewillt, nach dessen Pfeife zu tanzen. «Ein realistisches Melodrama in düsteren Tönen, mit sorgfältiger Führung der Schauspieler, unter denen die tief empfundene Darbietung von Aldo Fabrizi hervorsticht, in einer der seltenen tragischen Rollen, die er in seiner Karriere gespielt hat. Lattuada versucht sich vom Neorealismus zu lösen, muss dabei aber mit den Grundelementen des Nachkriegskinos arbeiten. Bemerkenswert ist die szenografische Rekonstruktion von Rom am Ende des 19. Jahrhunderts.» (cinekolossal.com)

nenzio), Tina Lattanzi (Gräfin Magnenzio). 85 Min / sw / DCP / I/e // REGIE Alberto Lattuada // DREH-

IL BANDITO Italien 1946

BUCH Suso Cecchi D’Amico, Aldo Fabrizi, Federico Fellini, ­Alberto Lattuada, Piero Tellini, nach dem Roman von Gabriele D’Annunzio // KAMERA Aldo Tonti // MUSIK Felice Lattuada, Nino Rota // MIT Aldo Fabrizi (Giovanni Episcopo), Roldano

Ernesto kehrt am Ende des Zweiten Weltkriegs aus deutscher Gefangenschaft in die Heimat zurück. Aber Turin ist zerbombt, Ernestos Mutter ist tot und seine Schwester Maria verschwunden. Als Ernesto Maria als Prostituierte wiederfindet, versucht er umsonst, sie vor ihrem Zuhälter zu retten. Bald ist er selbst in Turins Unterwelt verstrickt und macht als Schützling der gefürchteten Lidia eine kriminelle Karriere. Nach einem neorealistischen Einstieg – Lat­ tua­­da dreht in den Trümmern Turins und schildert den beschwerlichen Alltag der Kriegsheimkehrer in akribischem Detail – kippt Il bandito gegen die Mitte um in einen Gangsterfilm nach klassischen Hollywood-Mustern. Anna Magnani, kurz zuvor in Rossellinis Roma, città aperta als Mutter der gebeutelten Nation verherrlicht, brilliert hier als glamouröse, unmoralische Bandenchefin. Amedeo Nazzari hält dagegen als Errol-Flynn-Ersatz, und Carla Del Poggio, Lattuadas Frau, verkörpert die schöne, glücklose Maria. (mb)

Lupi (Wanzer), Yvonne Sanson (Ginevra Canale), Ave Ninchi (Emilia Canale), Nando Bruno (Antonio), Alberto Sordi ­(Doberti), Francesco De Marco (Canale).

SENZA PIETÀ Italien 1948 «Ohne Mitleid ... Die Gesellschaft ist ohne Mitleid. Die kleine Italienerin Angela liebt einen schwarzen Amerikaner, Jerry. Und Jerry liebt Angela. O weh! In der heutigen Gesellschaft ist es nicht leicht zu leben, ist es nicht leicht zu lieben. Was Alberto Lattuada in Senza pietà schildert, ist ein Nachkriegsdrama. Aber lassen wir uns nicht täuschen. Hier geht es nicht um ein blosses ‹fait divers›, sondern vielmehr um ein Zeitzeugnis. Einst waren Liebende in der Literatur eher bereit zu sterben, als getrennt zu leben. Heute wollen Liebende im Kino, ob sie nun von Prévert oder von Fellini und Pinelli (den Drehbuchautoren von


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Alberto Lattuada Senza pietà) ersonnen werden, leben! (…) In keinem Augenblick erlaubt sich Lattuada, in jenen ‹Dokumentarismus› zu verfallen, der eine der Schwächen des zeitgenössischen italienischen Kinos ist. Das Dokumentarische zählt für Lattuada nur dann, wenn es eine Handlung gibt.» (JeanCharles Tacchella, L’Écran français, 11.7.1949)

Lattuada liess seinen bewährten Drehbuchautor Fellini erstmals mitinszenieren und beschränkte sich nach eigener Aussage auf die technischen Aspekte. Figurengestaltung und Schauspielerführung zeigen denn auch klar fellineske Züge. Mit Carla Del Poggio und Giulietta Masina stehen die Gattinnen der Regisseure als Kontrahentinnen vor der Kamera. (mb)

91 Min / sw / DCP / I/e // REGIE Alberto Lattuada // DREHBUCH Alberto Lattuada, Federico Fellini, Tullio Pinelli, nach

100 Min / sw / 35 mm / I/d // REGIE Alberto Lattuada, Fede-

einer Idee von Ettore Maria Margadonna // KAMERA Aldo

rico Fellini // DREHBUCH Federico Fellini, Alberto Lattuada,

Tonti // MUSIK Nino Rota // SCHNITT Mario Bonotti // MIT

Tullio Pinelli, Ennio Flaiano // KAMERA Otello Martelli // MU-

Carla Del Poggio (Angela), John Kitzmiller (Jerry), Giulietta

SIK Felice Lattuada // SCHNITT Mario Bonotti // MIT Peppino

Masina (Marcella), Folco Lulli (Giacomo), Pierre Claudé (Pier

De Filippo (Checco Dal Monte), Carla Del Poggio (Liliana

Luigi), Lando Muzio (Kapitän aus Südamerika).

«Lilly» Antonelli), Giulietta Masina (Melina Amour), Folco Lulli (Adelmo Conti), John Kitzmiller (John), Dante Maggio

IL MULINO DEL PO Italien 1949 Berta, die Tochter der Müllerin Cecilia Scacerni, verliebt sich in Orbino, den Sohn der benachbarten Bauernfamilie Verginesi. Die Sturheit von ­Bertas Mutter und der Ungestüm ihres Bruders Princivalle führen zu einer Katastrophe, die das junge Liebesglück zerstören wird. Gleichzeitig sorgt das Aufkommen der sozialistischen Ligen für gefährliche Konflikte zwischen Landarbeiterschaft und Grossgrundbesitzern. Lattuadas Adaption des dritten Teils von Riccardo Bacchellis Romanepos «Il mulino del Po» ist ein Heimatfilm, der im Rahmen jenes gepflegten italienischen Nachkriegskinos entstand, das später mit dem Begriff «calligrafismo» abgetan wurde. Es gelingt ihm aber, das Melodrama der Romanfiguren überzeugend mit einem sozial­ historischen Fresko über eine Zeit des Umbruchs zu vermählen. (mb) 97 Min / sw / DCP / I/e // REGIE Alberto Lattuada // DREHBUCH Federico Fellini, Tullio Pinelli, Riccardo Bacchelli, Mario Bonfantini, Luigi Comencini, Alberto Lattuada, Carlo

(Remo, der Leiter der Truppe), Checco Durante (Theaterleiter), Gina Mascetti (Valeria Del Sole), Giulio Calì (Edison Will, Zauberer).

IL CAPPOTTO Italien 1952 Carmine De Carmine, ein kleiner Schreiberling im Rathaus, wird von seinen Kollegen gehänselt, nicht zuletzt wegen seiner schäbigen Erscheinung. Als er zufällig eine zwielichtige Absprache einiger Bauunternehmer mit dem Sekretär des Bürgermeisters belauscht, gibt ihm der Sekretär ein Schweigegeld. Dies erlaubt Carmine, sich einen neuen, prachtvollen Mantel schneidern zu lassen, der ihm zunächst Prestige bringt, allmählich aber auch Scherereien. Lattuadas Verfilmung von Gogols Novelle «Der Mantel» beginnt mit einem dreisten Dementi: «Diese Geschichte hat keinerlei Bezüge zu den Umständen und Personen unserer Zeit.» Damit schafft sich der Regisseur den Freiraum, um über Bürokratie, Arroganz und Korruption im bauwütigen Nachkriegsitalien herzuziehen. (mb)

Musso, Sergio Romano, nach dem Roman von Riccardo Bacchelli // KAMERA Aldo Tonti // MUSIK Ildebrando Pizzetti //

102 Min / sw / 35 mm / I/f // REGIE Alberto Lattuada // DREH-

SCHNITT Mario Bonotti // MIT Carla Del Poggio (Berta

BUCH Alberto Lattuada, Giorgio Prosperi, Giordano Corsi,

Scacerni), Jacques Sernas (Orbino Verginesi), Mario Besesti

Enzo Curreli, Luigi Malerba, Leonardo Sinisgalli, Cesare Za-

(Clapassòn), Giulio Calì (Smarazzacucco), Anna Carena (Argìa),

vattini, nach der Novelle «Der Mantel» von Nikolaj Gogol //

Giacomo Giuradei (Princivalle Scacerni).

KAMERA Mario Montuori // MUSIK Felice Lattuada // SCHNITT Eraldo Da Roma // MIT Renato Rascel (Carmine De

LUCI DEL VARIETÀ Italien 1950 In eine drittklassige Varieté-Truppe, deren Chef Checco mit der Artistin Melina liiert ist, drängt sich die hübsche, junge und ehrgeizige Liliana. Anstelle des langersehnten Erfolgs beschert der neue Möchtegern-Star dem Ensemble vor allem Eifersucht, Zwist und Chaos.

Carmine), Yvonne Sanson (Caterina), Giulio Stival (Bürgermeister), Ettore Mattia (Generalsekretär), Giulio Calì (Schneider), Anna Carena (Vermieterin), Antonella Lualdi (Vittoria).


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Alberto Lattuada

LA LUPA

GUENDALINA

Italien 1953

Italien/Frankreich 1957

In einer kleinen Gemeinde bei Matera ist La Lupa – «die Wölfin» – eine leichtlebige Frau, die die Männer des ganzen Ortes umgarnt, womit sie deren Ehefrauen und Freundinnen gegen sich aufbringt. Sie hat eine brave halbwüchsige Tochter, Maricchia, die sich in einen der Liebhaber ihrer Mutter verliebt. Das Schicksal nimmt seinen Lauf. Lattuada adaptiert eine Vorlage aus Giovanni Vergas «Sizilianischen Novellen» und macht daraus eine Reflexion über Konformismus und Ausgrenzung, über Sinnlichkeit und sterilen Fortschrittsglauben. Die Frauen, die sich in der örtlichen Tabakfabrik ausbeuten lassen und an katholische Moral und Fortschritt glauben, nehmen La Lupa übel, dass sie ihre Triebe ausleben will. (mb)

Guendalina, ein naiver Teenager, macht mit ihren wohlhabenden Eltern Urlaub an der Riviera und verguckt sich in den Sohn eines Ladenbe­sitzers. Während Guendalina ihre erste Liebe erleben will, bricht die Ehe ihrer Eltern auseinander. «Guendalina (...) erlaubt uns, uns mit Lattuadas poetischem und kreativem Universum und seinem unzweifelhaften analytischen Vermögen anzufreunden, das auch seine nachfolgenden Filme kennzeichnet: die Unschuld, die die erotische Hinterlist einer jungen Frau durchschimmern lässt, die Verurteilung des bürgerlichen Erziehungs- und Moralmodells und der Wunsch, dieses zu überwinden, wenn auch bisweilen ohne Erfolg, die schwierigen Beziehungen zwischen den beiden Geschlechtern, eine grosse Fülle an Symbolik, nicht nur sexueller Art, und natürlich tadellose, elegante Aufnahmen.» (Guido Colletti, cinemaitalianodatabase.com, 12.9.2019)

93 Min / sw / DCP / I/e // REGIE Alberto Lattuada // DREHBUCH Ennio De Concini, Alberto Lattuada, Luigi Malerba, Alberto Moravia, Ivo Perilli, Antonio Pietrangeli, nach der Novelle «Die Wölfin» von Giovanni Verga // KAMERA Aldo Tonti //

100 Min / sw / DCP / I/f // REGIE Alberto Lattuada // DREH-

MUSIK Felice Lattuada // SCHNITT Leo Catozzo // MIT Kerima

BUCH Leonardo Benvenuti, Piero De Bernardi, Alberto Lattu-

(die «Wölfin»), Ettore Manni (Nanni Lasca), May Britt (Maric-

ada, Jean Blondel, nach einer Geschichte von Valerio Zurlini

chia), Mario Passante (Don Pietro Imbornone), Anna Arena

// KAMERA Otello Martelli // MUSIK Piero Piccioni // SCHNITT

(Giovanna, die Vorarbeiterin), Giovanna Ralli (Agnese).

Eraldo Da Roma, Leo Catozzo // MIT Jacqueline Sassard (Guendalina Redaelli), Raf Mattioli (Oberdan Pancani), Sylva

LA SPIAGGIA Italien/Frankreich 1954

Koscina (Francesca Redaelli), Raf Vallone (Guido Redaelli), Leda Gloria (Oberdans Mutter).

DOLCI INGANNI

Anna Maria Mentorsi, eine elegante blonde Dame, holt in Mailand ihre Tochter Caterina ab, die in einem Nonnenkloster lebt, um mit ihr Badeferien zu machen. Im Zug zur Küste überredet der charmante Silvio die beiden, im Städtchen Pontorno abzusteigen, als dessen fortschrittlicher Bürgermeister er sich entpuppen wird. Anna Maria, die als Witwe auftritt, wird zunächst von den bürgerlichen Feriengästen freundlich aufgenommen. Doch dann wird ruchbar, dass sie eine Prostituierte ist. «Lattuadas Thema ist die Heuchelei, und dieser Film, in dem seiner Meinung nach die Huren ehrbar und die ehrbaren Damen Huren waren, ist ein Rundumschlag gegen die traditionellen Werte des Bürgertums.» (Claude Rieffel, avoir-alire. com, 9.5.2012)

Die 17-jährige Francesca erwacht aufgewühlt aus einem Traum. Statt zur Schule zu gehen, sucht sie Enrico auf, einen 20 Jahre älteren Architekten und Freund ihrer Eltern, und erzählt ihm, dass sie von ihm erotisch geträumt hat. Sie macht ihm klar, dass sie auch in Wirklichkeit mit ihm schlafen will. Bevor es aber zu diesem schicksalshaften Rendezvous kommt, begegnet Francesca mehreren anderen Figuren, die mit Liebe und Sex hadern. Nach der «éducation sentimentale» von Guendalina erzählt Lattuada in Dolci inganni einfühlsam vom sexuellen Erwachen einer jungen Frau. Prompt bekam er Ärger mit der Zensur. Dolci inganni wirkt wie ein Teenie-Film von Antonioni. (mb)

102 Min / Farbe / DCP / I/e // REGIE Alberto Lattuada // DREH-

91 Min / sw / DCP / I/f // REGIE Alberto Lattuada // DREH-

BUCH Alberto Lattuada, Luigi Malerba, Rodolfo Sonego,

BUCH Claude Brulé, Francesco Ghedini, Alberto Lattuada //

Charles Spaak // KAMERA Mario Craveri // MUSIK Piero Pic-

KAMERA Gábor Pogány // MUSIK Piero Piccioni // SCHNITT

cioni // SCHNITT Mario Serandrei // MIT Martine Carol (Anna

Leo Catozzo // MIT Catherine Spaak (Francesca), Christian

Maria Mentorsi), Raf Vallone (Silvio, Bürgermeister), Mario

Marquand (Enrico), Jean Sorel (Renato), Milly (die Gräfin), Jua-

Carotenuto (Carlo Albertocchi), Carlo Romano (Luigi), Clelia

nita Faust (Maria Grazia), Gisella Arden (Krankenschwester),

Matania (Albertocchis Frau), Carlo Bianco (Chiastrino).

Donatella Esparmer (die Fürstin), Marilù Tolo (Margherita).

Italien/Frankreich 1960


> La spiaggia.

> Venga a prendere il caffè… da noi.

> La Lupa.

© Stephan Burchardt

> Dolci inganni.


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Alberto Lattuada

MAFIOSO Italien 1962

VENGA A PRENDERE IL CAFFÈ... DA NOI Italien 1970

«Antonio Badalamenti ist der moderne Sizilianer durch und durch. Er ist organisiert und zukunfts­ orientiert; er ist mit einer Blondine aus Bellagio verheiratet, und sie haben zwei blonde Töchter; er lebt in Mailand und ist Vorarbeiter in einem Fiat-Werk. Doch der Ruf der Heimat ist stark, und als Antonio die Familie für einen Urlaub zurück in sein Heimatdorf schleppt, erstehen die Loyalitäten der Vergangenheit und verzehren ihn. Mafioso (...) schreit nach einer Wiederentdeckung. Gedreht in heissem und ausgeblichenem Schwarzweiss, gelingt es dem Film, von einer Kulturkampf-Posse zu beklemmender Spannung zu wechseln, ohne die Kontrolle zu verlieren.» (Anthony Lane, The New Yorker, 22.1.2007)

Der ergrauende Steuerbeamte Paronzini (Ugo ­Tognazzi) wähnt sich in seinem Provinzkaff als Connaisseur und Lebemann. Als der örtliche wohlhabende Sonderling Tettamanzi stirbt und drei erwachsene, jungfräuliche und unansehnliche Töchter hinterlässt, schmeichelt sich Paronzini bei den Erbinnen ein, denn er hat ebenso viel Sinn fürs Hässliche wie fürs Schöne. «Venga a prendere il caffè… da noi stellt auf meisterhafte Weise das Paradox einer italienischen Gesellschaft dar, die kindisch und verzogen ist und fortwährend ihren weichen Unterleib betrachtet, ohne zu merken, dass sie sich dabei der Lächerlichkeit preisgibt.» (Fabio Fulfaro, ­sentieriselvaggi.it, 10.12.2018)

105 Min / sw / 35 mm / I/f // REGIE Alberto Lattuada // DREHBUCH Rafael Azcona, Marco Ferreri, Agenore Incrocci, Furio

100 Min / Farbe / DCP / I/e // REGIE Alberto Lattuada // DREH-

Scarpelli, nach einer Geschichte von Bruno Caruso //

BUCH Adriano Baracco, Tullio Kezich, Alberto Lattuada, Piero

­KAMERA Armando Nannuzzi // MUSIK Piero Piccioni //

Chiara, nach dem Roman «La spartizione» von Piero Chiara

SCHNITT Nino Baragli // MIT Alberto Sordi (Antonio Badala-

// KAMERA Lamberto Caimi // MUSIK Fred Bongusto //

menti), Norma Bengell (Marta), Gabriella Conti (Rosalia), Ugo

SCHNITT Sergio Montanari // MIT Ugo Tognazzi (Emerenziano

Attanasio (Don Vincenzo), Cinzia Bruno (Donatella).

Paronzini), Francesca Romana Coluzzi (Tarsilla), Angela Goodwin (Fortunata), Milena Vukotic (Camilla).

ZFF 2021: LIFETIME ACHIEVEMENT AWARD

MO, 4. OKT. | 18.00 & 20.45 UHR

PAUL SCHRADERS AMERICAN GIGOLO UND CAT PEOPLE Der Lifetime Achievement Award des 17. Zurich Film Festival wird dem amerikanischen Cineasten Paul Schrader verliehen. Im Januar/Februar-Programm widmen wir Schrader eine Retrospektive; als Teaser zeigen wir gleich nach dem ZFF zwei seiner Frühwerke: Mit American Gigolo (1980) machte Schrader Richard Gere als zwielichtigen Edelstricher, der in einen Mordfall verwickelt wird, zum Sexsymbol, und der erotische Gruselfilm Cat People (1982) über inzestuöse Katzenmenschen lancierte Nastassja Kinskis Hollywood-Karriere. Mehr dazu auf unserer Website.



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Eytan Fox 1964 in New York geboren, aber in Israel aufgewachsen, zählt Eytan Fox heute zu den wichtigsten Exponenten des israelischen Kinos und des queeren Filmschaffens. Das schwullesbische Festival Pink Apple würdigt Fox mit dem diesjährigen Pink Apple Festival Award. Es ist mitten im Winter auf einem abgelegenen Aussenposten der israelischen Armee, der Boden ist mit Schnee bedeckt. In einem überfüllten Raum, auf einem Armeebett sitzend, studiert Yossi, ein junger Leutnant, eine Karte und bereitet sich auf einen Angriff vor, der seinem Zug für diese Nacht zugewiesen wurde. Neben ihm spielt sein Kamerad und heimlicher Liebhaber Jagger auf seiner Gitarre. «Bleibst du bei mir, wenn ich ein Bein verliere?», fragt Jagger. «Das könnte für bestimmte Positionen tatsächlich praktisch sein», erwidert Yossi. «Und was ist, wenn mein Gesicht verbrannt ist und ich nur noch ein Auge habe? Was ist, wenn ich sterbe und du mir nicht einmal gesagt hast, dass du mich liebst?» Diese Szene aus Eytan Fox’ preisgekröntem Film Yossi & Jagger (2002) veranschaulicht das zentrale Thema, das den israelischen Cineasten während seiner gesamten bisherigen Laufbahn beschäftigt hat: die Reibung zwischen der privaten und der öffentlichen Sphäre, die einen massgebenden Teil des heutigen Lebens in Israel prägt (und das jüdische Leben in Palästina seit dem Beginn der nationalen Besiedlung). In Fox’ Filmen und Fernsehdramen wird diese Reibung oft als Spannung zwischen den sexuellen Interessen seiner Figuren – insbesondere, wenn auch nicht ausschliesslich, homosexuellen Interessen – und der Beschäftigung ihres Umfeldes mit Fragen der nationalen ­Sicherheit dargestellt, als da sind: Militärdienst, Libanonkrieg, erster Golfkrieg oder der israelisch-palästinensische Konflikt. Yossi & Jagger avancierte zum Welterfolg bei Kritik und Publikum; wichtiger aber ist, dass er Fox’ Vorstellungen von Israel, von Homosexualität in der Armee und in der Welt auf den Punkt gebracht hat. Schon Time Off (1990), sein Diplomfilm an der Filmschule der Universität Tel Aviv, thematisierte Konzepte von Männlichkeit, Homosexualität und Militärdienst – stets im erwähnten Spannungsfeld von Privatem und Öffentlichem. Mit dem «Movie of the Year»-Award des Israeli Film Institute ausgezeichnet, verlieh der Film Fox internationale Bekanntheit. Heikler Balanceakt: Walk on Water Liebe in kriegerischen Zeiten: Yossi & Jagger Ausgezeichneter Erstling: Time Off


26 Autobiografische Bezüge und politische Diskurse Eytan Fox wurde in New York City geboren, seine Familie zog nach Israel, als er noch ein kleines Kind war. Kindheit und Jugend in Jerusalem haben seine Haltung und seine kreative Vision massgeblich beeinflusst. Fox diente in der Armee, und es ist offensichtlich, dass er seine Erfahrungen für Time Off und Yossi & Jagger genutzt hat; beide Filme spielen in Armeelagern. Auch in anderer Hinsicht hat Fox seinen Werken einen deutlich autobiografischen Touch verliehen. Sogar die Tanzeinlagen, die in all seinen Filmen vorkommen, insbesondere in Cupcakes (2013), gehen auf seine persönliche lebenslange Leidenschaft für den Tanz zurück. Fox’ Filme suggerieren, dass Sexualität und Geschlecht losgelöst von den brisanten politischen Themen, die die israelische Gesellschaft beschäftigen, funktionieren. Und doch lancierten seine preisgekrönten Werke Walk on Water (2004), The Bubble (2006) oder das lange ersehnte Sequel Yossi (2012) wichtige Diskurse um das konfliktbehaftete Zusammenleben der Religionen und Kulturen in Israel. Diese Diskurse werden in der Master Class von Fox im Gespräch mit Marcy Goldberg am 29. Oktober zur Sprache kommen. Einen grossen Einfluss auf Fox’ Arbeit übt sein Geschäfts- und Lebenspartner Gal Uchovsky aus, der aufgrund seiner journalistischen Tätigkeit als eine der wichtigsten schwulen Personen in den israelischen Medien gilt. Dies vor allem auch wegen seiner Rolle in der Neue-Medien-Revolution der 1980er-Jahre, als eine Gruppe von Journalistinnen und Journalisten sowie politischen Persönlichkeiten versuchte, das soziale Klima in Israel von einem militärisch orientierten zu einem eher zivilen, urbanen und kultivierten zu verändern. Je länger seine Erfolge in TV und Kino anhalten, desto kritischer und reflektierter sind Eytan Fox’ soziokulturelle Positionen zum Status quo in Israel und in der Gay Community. Sinnbildlich dazu wirft sein neuster Film Sublet (2020) einen interessanten Blick auf das queere Selbstverständnis jüngerer Generationen, das im Konflikt zu Positionen der Gay-Aktivistinnen und -Aktivisten der ersten Stunde zu stehen scheint. Das Pink Apple Film Festival ist stolz, den Pink Apple Festival Award 2021 an eine der wichtigsten Stimmen im queeren Kino Israels verleihen zu können. Andreas Bühlmann Andreas Bühlmann ist der künstlerische Koleiter des Pink Apple Filmfestivals.

PINK APPLE FESTIVAL AWARD

SA, 30. OKT. | 18.00 UHR

Die Preisverleihung findet am Samstag, 30. Oktober um 18.00 Uhr statt. Darauf folgt eine Vorführung von Yossi & Jagger.


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Eytan Fox

YOSSI & JAGGER

103 Min / Farbe / 35 mm / OV/d/f // REGIE Eytan Fox // DREHBUCH Gal Uchovsky, Knut Berger, Caroline Peters, Andreas

Israel 2002

Struck // KAMERA Tobias Hochstein // MUSIK Ivri Lider //

In der israelischen Armee ist Homosexualität zwar seit 1985 gestattet, zieht aber dennoch oft Spott und Benachteiligung nach sich. Der Unteroffizier Yossi, der mit seinem Kameraden Lior (der wie ein Rockstar aussieht und Jagger genannt wird) in einem Aussenposten an der Grenze zum Libanon sitzt, hat deshalb keine Lust, ihre Liebesbeziehung bekannt zu machen. Jagger allerdings würde gerne der Kameradin Yaeli, die in ihn verknallt ist, reinen Wein einschenken. Doch dann werden die drei von der Realität des Kriegsgeschehens eingeholt. Yossi & Jagger wurde als Fernsehfilm gedreht, avancierte aber in den israelischen Kinos zum Überraschungserfolg. Eytan Fox schöpft hier zum einen aus eigenen Erfahrungen in der israelischen Armee, zum andern beruht sein Drama um das schwule Liebespaar auf Tatsachen. Die politischen Konflikte werden ausgeblendet; im Mittelpunkt steht die Spannung zwischen der Liebe eines schwulen Paars und dem in verschiedener Hinsicht gefährlichen Umfeld der Armee. (mb)

Berger (Axel Himmelman), Caroline Peters (Pia Himmel-

65 Min / Farbe / 35 mm / Hebr/d/f // REGIE Eytan Fox // DREHBUCH Avner Bernheimer // KAMERA Yaron Scharf // MUSIK Ivri Lider // SCHNITT Yosef Grunfeld // MIT Ohad Knoller (Yossi), Yehuda Levi (Lior Amichai «Jagger»), Assi Cohen (Ophir), Aya Steinowitz (Yaeli), Hani Furstenberg (Goldie), Sharon Raginiano (Oberst), Yuval Semo (Psycho), Yaniv Moyal (Samoncha).

WALK ON WATER (LaLehet Al HaMayim) Israel/Schweden 2004

SCHNITT Yosef Grunfeld // MIT Lior Ashkenazi (Eyal), Knut man), Gideon Shemer (Menachem), Carola Regnier (Axels Mutter), Hanns Zischler (Axels Vater), Ernest Lenart (Alfred Himmelman), Eyal Rozales (Jello).

THE BUBBLE (Ha-Buah) Israel 2006 Im weltoffenen, toleranten Tel Aviv verliebt sich Noam in den schüchternen Palästinenser Ashraf. Bald wollen die beiden mit ihrer Clique einen Rave gegen Israels Besatzungspolitik organisieren, aber die friedliche «Blase» der aufgeschlossenen Stadt bleibt von der harten politischen ­Realität nicht unberührt. Frei nach Shakespeares «Romeo und Julia» und aufgrund eigener Erfahrungen erzählt Eytan Fox in The Bubble von einer Liebe, die sich über Vorurteile und alte Konflikte hinwegzusetzen versucht. «In meiner Kindheit gab es in Israel zwei Arten von Filmen: Entweder waren sie sehr ernst mit ideologischer Aussage – metaphorisch gesprochen ‹Schwarzweissfilme›. Oder es waren einfältige romantische Komödien. Tel Aviv ist eine lus­ tige, vibrierende Stadt, doch sie befindet sich im Krieg. Diesen Widerspruch, in dem junge Menschen da leben, wollte ich zeigen.» (Eytan Fox im Interview mit Bettina Spoerri, nzz.ch, 17.9.2007) 114 Min / Farbe / 35 mm / Hebr+Arab+E/d/f // REGIE Eytan Fox // DREHBUCH Gal Uchovsky, Eytan Fox, Martin Sherman

Eyal, ein Topagent des Mossad, wird von seinem Chef beauftragt, den verschwundenen NS-Massenmörder Alfred Himmelman aufzuspüren und zu töten. Die Spur führt über Himmelmans ahnungslosen und politisch linksliberalen Enkel Axel, der in Israel seine Schwester Pia besucht. Als Reiseführer getarnt, macht sich Eyal an Axel heran. Dieser erweist sich als schwul, was dem Mossad-Macker zunächst Mühe bereitet. Doch je mehr sich die beiden anfreunden, desto mehr hadert Axel mit der Vergangenheit seiner Familie, während Eyals Selbstverständnis und sein Glaube an seine Mission ins Wanken geraten. «Der Film wird durchgängig von einer mal befremdlichen, mal erfrischenden Diskrepanz zwischen Momenten grossen Genrekinos und einer kleinen, sehr persönlich inszenierten Geschichte geprägt. Walk on Water lebt von einer Fülle an Konflikten, Nebenhandlungen und Schauplätzen, von melodramatischen Versatzstücken und Thrillerelementen, ohne in eine Parodie zu münden.» (Wolfgang Hamdorf, film-dienst, 10/2005)

// KAMERA Yaron Scharf // MUSIK Ivri Lider // SCHNITT Y ­ osef Grunfeld, Yaniz Rize Sheffy // MIT Ohad Knoller (Noam), Yousef «Joe» Sweid (Ashraf), Daniella Wircer (Lulu), Alon Friedman (Yali), Zohar Liba (Golan), Tzion Baruch (Shaul), Oded Leopold (Sharon), Ruba Blal (Rana, Ashrafs Schwester).

YOSSI Israel 2012 Zehn Jahre nach dem tragischen Ende seiner Liebe zu Jagger ist Yossi zurück im Zivilleben, als alleinstehender Arzt, der seine Homosexualität nach wie vor nicht offen ausleben will. Vielmehr schwelgt er immer noch in Trauer, tröstet sich mit Pornos, versucht sich ungeschickt im Online-Dating und schottet sich mit Kummerspeck von der Welt ab. Da wird er überraschend von vier jungen Soldaten eingeladen, sie auf ihren Strandurlaub zu begleiten. Einer von ihnen, der attraktive Tom, erweckt in Yossi lange verdrängte Gefühle.


> Yossi & Jagger.

> Sublet.

> The Bubble.

© Stephan Burchardt

> Cupcakes.


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Eytan Fox «Die Liebesgeschichte im Zentrum des Films hat einen Drall in Richtung Wunscherfüllung, aber sie ist dennoch voller Zärtlichkeit und Feingefühl gestaltet, besonders in einer unerwartet berührenden Sequenz, die Toms perfekt gemeisselten Body mit Yossis teigigem, alterndem Körper kontrastiert.» (Nathan Rabin, avclub.com, 24.1.2013) 84 Min / Farbe / DCP / Hebr/d/f // REGIE Eytan Fox // DREHBUCH Itay Segal // KAMERA Guy Raz // MUSIK Keren Ann // SCHNITT Yosef Grunfeld // MIT Ohad Knoller (Yossi), Oz Zehavi (Tom), Lior Ashkenazi (Moti), Orly Silbersatz (Varda), Ola Schur Selektar (Nina), Meir Golan (Nimrod), Shlomi Ben Attar (Fefer), Amir Jerassi (Benda).

CUPCAKES (Bananot) Israel/Frankreich 2013 Der schwule Kindergärtner Ofer und seine fünf Nachbarinnen sehen sich regelmässig zusammen im Fernsehen den Musikwettbewerb UniverSong an. Als sie sich wieder dafür treffen, ist die Gastgeberin Anat, eine Bäckerin, eben von ihrem Mann verlassen worden. Spontan singen die fünf anderen, darunter die lesbische Profi-Sängerin Efrat, ein Lied, um Anat zu trösten, und die Handyaufnahme der Darbietung gerät in die Hände der israelischen UniverSong-Verantwortlichen. Bald werden Ofer und die fünf Frauen aufgefordert, Israel am nächsten Wettbewerb zu vertreten. Eine bonbonbunte Musical-Komödie im Stil eines israelischen Almodóvar hätte man von Eytan Fox nicht unbedingt erwartet, aber Cupcakes zieht in diesem Genre alle Register. Der Film funktioniert in erster Linie als kitschig-ironische Hommage an den Eurovision Song Contest, doch die sechs unterschiedlichen Hauptfiguren haben alle ihre eigenen, realitätsnahen Geschichten, die im Laufe der absurden und absehbaren Haupthandlung behutsam erzählt werden. (mb) 92 Min / Farbe / DCP / Hebr+F+E/e // REGIE Eytan Fox // DREHBUCH Eli Bijaoui, Eytan Fox // KAMERA Daniel Schneor // MUSIK Haim Frank Ilfman, Ron Omer // MIT Dana Ivgy (Dana), Keren Berger (Keren), Yael Bar-Zohar (Yael), Efrat Dor (Efrat), Anat Waxman (Anat), Ofer Shechter (Ofer).

SUBLET Israel/USA 2020 Michael, ein amerikanischer Journalist und Autor Mitte fünfzig, reist nach einer tragischen Erfahrung nach Tel Aviv, um für die «New York Times»

eine Reportage über die coolsten Orte dieser lebendigen Stadt zu schreiben. Für diesen Aufenthalt soll er als Untermieter in der Wohnung des jungen Möchtegern-Filmemachers Tomer absteigen, der dringend Geld braucht. Weil Tomer sonst keine Bleibe hat, lädt Michael ihn ein, die Wohnung mit ihm zu teilen und dafür als Fremdenführer zu fungieren. In Sachen Alter, kultureller Hintergrund und Lebenseinstellung könnten die beiden kaum unterschiedlicher sein, aber allmählich findet eine Annäherung statt. «Fox hat bereits in Filmen wie Yossi & Jagger, dessen Fortsetzung Yossi und The Bubble Facetten des israelischen Schwulenlebens untersucht. Aber er und sein Kodrehbuchautor Itay Segal bringen in diese Geschichte jene Art von verständnis- und gefühlvoller Perspektive ein, die eindeutig vom Älter- und Weiserwerden herrührt.» (Gary Goldstein, L. A. Times, 10.6.2021) 89 Min / Farbe / DCP / Hebr+E/d // REGIE Eytan Fox // DREHBUCH Eytan Fox, Itay Segal // KAMERA Daniel Miller // MUSIK Tom Darom, Assa Raviv // SCHNITT Nili Feller // MIT John Benjamin Hickey (Michael), Niv Nissim (Tomer), Lihi Kornowski (Daria), Miki Kam (Malka), Peter Spears (David), Tamir Ginsburg (Kobi).

Vom 28.–31.10. wird Eytan Fox in Zürich sein und mehrere Vorstellungen seiner Filme kommentieren und präsentieren. Am Freitag, dem 29.10. um 18.00 Uhr gibt der Regisseur eine Master Class im Gespräch mit Marcy Goldberg, und als Einstimmung ist sein kurzes Erstlingswerk zu sehen:

TIME OFF (After) Israel 1990 Der Soldat Yonatan wird im Dienst von seinem Vorgesetzten Erez schikaniert. Als die Truppe eine Auszeit in Jerusalem antritt, wird Yonatan von seinen Kameraden mitgeschleppt, die versuchen, amerikanische Touristinnen aufzugabeln. Yonatan setzt sich ab in den Park zu einem bekannten Treffpunkt für Schwule. Dort sieht er Erez … Kameradschaft und Homosexualität, Kriegsdienst und Liebe: Diese Spannungsfelder, die in Eytan Fox’ späterem Werk wiederkehren, sind bereits in seinem kurzen Erstling Time Off von 1990 angelegt. (mb) 45 Min / Farbe / DCP / Hebr+E/e // DREHBUCH UND REGIE Eytan Fox // KAMERA Avraham Karpick // MUSIK Yehuda ­Poliker // SCHNITT Yosef Grunfeld // MIT Gil Frank (Erez), Hanoch Re’im (Yonatan), Tzufit Grant (Mali), Yuval Carmi ­ (Sergeant), Dana Cohen (Shira), Moshe Ferster (Morgen­ stein).


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The Story of Film

The Story of Film: An Odyssey

Episoden 7+8 (1957–1969) Der nordirische Dokumentarfilmer und Autor Mark Cousins beschäftigt sich seit dreissig Jahren mit den unterschiedlichsten Aspekten des Kinos. In The Story of Film: An Odyssey (2011) erzählt er in 17 einstündigen Episoden die Filmgeschichte nach, den Kern bilden dabei ­kommentierte Filmausschnitte und Interviews mit verschiedenen ­Filmgrössen und Schauspielern. Mit seinen präzisen Beobachtungen und umfangreichen Analysen schafft es Cousins, unseren Blick auf die 125-jährige Filmgeschichte zu schärfen. In den ersten drei Episoden machte er sich auf zu den diversen Geburtsorten des Films und brachte uns zum Staunen darüber, wie rasch und vielfältig sich die neue Kunstform entwickelte – nur um jäh mit dem Schock, den der Schritt zum Tonfilm darstellte, zu enden. In den Episoden 4–6 schilderte er, wie sich Filmgenres herausbildeten und in alle Welt verbreitet wurden. Doch die Entdeckungsreise dieser «Sprache der Ideen» geht weiter, sie steht nach wie vor erst am Anfang. Zu jeder (unabhängig funktionierenden) Episode zeigen wir jeweils eine Auswahl der vorgestellten Filme. In diesem Programm folgen nun die Episoden 7 und 8 über die Neuen Wellen, die sich über Europa ausbreiten und dann die Welt erobern.

THE STORY OF FILM: AN ODYSSEY. EPISODE 7 – EUROPEAN NEW WAVE GB 2011

THE STORY OF FILM: AN ODYSSEY. EPISODE 8 – NEW DIRECTORS, NEW FORM GB 2011

1957–1964: In dieser Episode richtet Mark Cousins sein Augenmerk auf Bergman, Tati und Fellini, bevor er auf die Nouvelle Vague, insbesondere auf das Werk von Agnès Varda, François Truffaut, Alain Resnais und Jean-Luc Godard eingeht und zeigt, wie sich die Neuen Wellen über Europa ausbreiteten.

1965–1969: Im Mittelpunkt dieser Episode steht, wie die Neuen Wellen die Welt erobern. Mark Cousins bespricht das Filmschaffen aus Polen, der Tschechoslowakei, Ungarn, der Sowjetunion, Japan, Indien, Brasilien, dem Iran, Senegal, England und Amerika.

je 60 Min / Farbe + sw / Digital HD / E/d // DREHBUCH, REGIE, KAMERA Mark Cousins // SCHNITT Timo Langer. Die Episoden 7 und 8 von The Story of Film werden sowohl einzeln als auch im Doppelpack gezeigt (siehe Programm­ übersicht oder www.filmpodium.ch)


The Story of Film

EL COCHECITO Spanien 1960 Der alte Don Anselmo hat als Familienoberhaupt nichts mehr zu sagen, also verbringt er seine Zeit lieber mit seinem gelähmten Freund Lucca und dessen Bekannten, allesamt Rollstuhlfahrer. Um «dazuzugehören», setzt er sich in den Kopf, einen motorisierten Rollstuhl wie Lucca zu bekommen. Erst spielt er seiner Umgebung dafür Theater vor, als das aber nicht fruchtet, greift er zu radikalen Mitteln. Der makabre, gesellschaftskritische Kultklassiker El cochecito gilt als Höhepunkt von Marco Ferreris spanischer Phase. «Regisseur Ferreri, ein in Spanien arbeitender Italiener, nahm ein soziales Problem – die Lebensbedingungen alter und behinderter Menschen – und machte sich darüber lustig. Diese ungewöhnliche Kombination aus Realismus und Ironie in der spanischen Kultur stammte aus dem Theater und wurde ‹esperpento› (Groteske) genannt. (...) Darin wurzelt auch der künstlerische Ansatz von Pedro Almodóvar, Spaniens wichtigstem postfrankistischen Regisseur. Dieser sagte über El cochecito: ‹In den 50er- und 60erJahren erlebte Spanien eine Art von Neorealis-

mus, die weit weniger sentimental war als die italienische Variante, dafür viel grimmiger und amüsanter. Ich spreche von den Filmen von Fernán Gómez ... und von El cochecito.› Es ist schwierig, sich Mujeres al borde de un ataque de nervios oder Todo sobre mi madre ohne den Einfluss von Ferreris Werk vorzustellen.» (Mark Cousins: The Story of Film, Pavilion 2020) 86 Min / sw / DCP / Sp/e // REGIE Marco Ferreri // DREHBUCH Rafael Azcona, Marco Ferreri // KAMERA Juan Julio Baena // MUSIK Miguel Asins Arbo // SCHNITT Pedro del Rey // MIT José Isbert (Anselmo), Pedro Porcel (Carlos, sein Sohn), José Luis López Vázquez (Alvarito), María Luisa Ponte (Matilde), Antonio Gavilán (Don Hilario), Chus Lampreave (Yolanda), José A. Lepe (Lucca).

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The Story of Film

OTTO E MEZZO Italien/Frankreich 1963 Regisseur Guido Anselmi steckt sowohl privat als auch künstlerisch in einer Krise. Genervt von Produzent, Ehefrau und Geliebter, sucht er verzweifelt nach Inspiration für seinen neuen Film. Als er seine Kindheit, sein Verhältnis zum weiblichen Geschlecht und zur Kunst und die Missstände in der Filmbranche reflektiert, kommen seine Ängste und verdrängten Komplexe ans Licht – Traum und Realität beginnen zu verschwimmen ... Federico Fellinis Otto e mezzo wurde mit zwei Oscars ausgezeichnet (als bester fremdsprachiger Film und für die besten Kostüme) und zählt für viele Kritiker zu den besten Filmen überhaupt. «In Otto e mezzo ringt Fellinis Alter Ego Marcello Mastroianni mit seinen Ideen für eine neue Produktion und flüchtet sich in Fantasien um seine Frau, seine Geliebte und seine Hauptdarstellerin. Obwohl der Film oft als rein autobiografisch angesehen wird, ist Otto e mezzo besser als ein Werk über das Kino zu verstehen (...). Fellini nutzte die Sprache des Fantasie-Films, um eine Midlife-Crisis zu beschreiben – in diesem Fall eine künstlerische. Diese Kombination war neu.

Die Handlung von Otto e mezzo tauchte in das Innenleben von Mastroiannis Figur ein und wieder auf.» (Mark Cousins: The Story of Film, Pavilion 2020) 138 Min / sw / DCP / I/d // REGIE Federico Fellini // DREHBUCH Federico Fellini, Ennio Flaiano, Tullio Pinelli, Brunello Rondi, nach einer Idee von Federico Fellini, Ennio Flaiano // KAMERA Gianni di Venanzo // MUSIK Nino Rota // SCHNITT Leo Catozzo // MIT Marcello Mastroianni (Guido Anselmi), Claudia Cardinale (Claudia), Anouk Aimée (Luisa, Guidos Frau), Sandra Milo (Carla), Barbara Steele (Gloria Morin), Rossella Falk (Rossella), Jean Rougeul (Daumier), Caterina Boratto (die schöne Fremde), Madeleine Lebeau (die französische Schauspielerin), Eddra Gale (Saraghina), Guido Alberti (Produzent Pace), Annie Gorassini (Paces Freundin).


The Story of Film

FEUERPFERDE (Teni Sabitich Predkowi) UdSSR/Ukraine 1965 In einem Karpatendorf verliebt sich der junge Iwan in Maritschka, die Tochter des Mannes, der seinen Vater ermordet hat. Iwan geht auf Wanderschaft, um sein Brot zu verdienen. Maritschka wird von ihrem Vater aus dem Haus gejagt, als er von ihrer Liebe erfährt. Als sie in den Fluten eines Bergflusses umkommt, verfällt Iwan in Schwermut. Nach Jahren heiratet er eine andere Frau, doch das Bild der verstorbenen Geliebten verfolgt ihn. Feuerpferde (auch unter dem Titel Schatten vergessener Ahnen bekannt) war Sergej Para­ dschanows internationaler Durchbruch, wurde in der Sowjetunion aber wegen seiner radikalen Abkehr vom vorgeschriebenen Realismus aus den Kinos verbannt. «Paradschanow, 1924 in Georgien geboren, war armenischer Abstammung und arbeitete in der Ukraine. Wie die anderen sowjetischen Regisseure studierte er an der Moskauer Filmschule VGIK. (...) Paradschanow interessierte sich für die Musik, Malerei, Poesie und Folklore seiner Heimat. Sein neunter Film, Schatten vergessener Ahnen bzw. Feuerpferde, war sein erster, der von diesen nicht realistischen Einflüssen profitierte. (...)

Der Film beginnt mit der atemberaubenden subjektiven Einstellung eines umstürzenden Baumes. Die Figuren werden wie russische Ikonen ins Bild gesetzt. Das Thema ist das von Romeo und Julia; eine Liebesgeschichte vor dem Hintergrund verfehdeter Familien in der Karpatenregion des 19. Jahrhunderts. (...) Elf Minuten nach Beginn gibt es eine Einstellung, bei der die Kamera unter einem Gänseblümchen platziert ist und nach oben blickt; Paradschanows Kamera ist selten auf Augenhöhe, und kein Regisseur seit Welles nutzt den Vordergrund besser. Immer wieder tauchen Bilder von Rehen, Halstüchern und Wäldern auf. Nachdem das Mädchen gestorben ist, sehen wir, wie sie und ihr Geliebter sich im Traum berühren. Seit Fellini oder vielleicht sogar seit Jean Cocteau wurde keine so magische und persönliche Bildwelt mehr im Kino geschaffen.» (Mark Cousins: The Story of Film, Pavilion 2020) 97 Min / Farbe + sw / 35 mm / Russ/d/f // REGIE Sergej ­Paradschanow // DREHBUCH Sergej Paradschanow, Iwan Tschendej, nach dem Roman von Michail Kozjubinskij // ­KAMERA Juri Iljenko // MUSIK Miroslaw Skorik // SCHNITT M. Ponomarenko // MIT Iwan Mikolaitschuk (Iwan), Larissa Kadotschnikowa (Maritschka), Tatjana Bestajewa (Palagna), Spartak Bagaschwili (Jurko), Nikolai Grinko (Watag, der Hirte), Leonid Engibarow (Miko, der Stumme).

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The Story of Film

DIE HAND (Ruka) ČSSR 1965 Die Hand, ein Werk des tschechischen Puppentrickfilmers Jiří Trnka, «wurde zu einem der berühmtesten symbolischen Ostblockfilme. Darin wird eine sympathische, sprachlose kleine Puppe von einer körperlosen Hand terrorisiert, die eindeutig den unterdrückenden kommunistischen Staat darstellt.» (Mark Cousins: The Story of Film, Pavilion 2020)

DIE KLEINEN MARGERITEN (Sedmikrásky) ČSSR 1966

Die beiden Mädchen Marie I und Marie II sitzen gelangweilt in einem Schwimmbad. Wenn sie ihre Arme und Beine bewegen, quietscht es, wenn sie ihre Gedanken entfesseln, erschüttern sie die Werte der Gesellschaft. Sie sind sich einig, dass die Welt verdorben ist, also beschliessen sie, ab jetzt eben auch verdorben zu sein. Sie ersinnen zahlreiche Tricks, um die Gesellschaft hinters Licht zu führen. Die kleinen Margeriten ist ein Hauptwerk der tschechoslowakischen Neuen Welle. «Die Tschechoslowakei war in den 1960er-Jahren die dynamischste Filmkultur Osteuropas. (...)

Die innovativste Regisseurin jener Zeit war Věra Chytilová. (...) In Die kleinen Margeriten erzählte sie die Geschichte der Randale der beiden Mädchen als experimentelle Montage mit Verzerrungen und Überlagerungen. Die Behörden hassten den Film, und Chytilová wurde nach der sowjetischen Re-Invasion 1968 mit einem sechsjährigen Arbeitsverbot belegt. Auch Jean-Luc Godard hasste Die kleinen Margeriten, nannte ihn cartoonhaft und unpolitisch und verstand nicht, wie die Filmemacher des Ostblocks den sozialistischen Realismus zu unterwandern versuchten. Godards eigener wachsender Marxismus mag Chytilová zu ungläubigem Gelächter gereizt haben, denn sie nahm sich anstatt irgendeiner politischen Theorie den Surrealismus von Dalí und Buñuel zum Vorbild. Die kleinen Margeriten wurde zum wichtigsten osteuropäischen absurden Film seiner Zeit.» (Mark Cousins: The Story of Film, ­Pavilion 2020) DIE HAND 18 Min / Farbe / 35 mm / ohne Dialoge // REGIE Jiří Trnka.

DIE KLEINEN MARGERITEN 73 Min / Farbe + sw / 35 mm / Tsch/d // REGIE Věra Chytilová // DREHBUCH Věra Chytilová, Pavel Juráček, Ester Krumbachová // KAMERA Jaroslav Kučera // MUSIK Jiří Šlitr, Jiří Šust // SCHNITT Miroslav Hájek // MIT Jitka Cerhová (Marie I), Ivana Karbanová (Marie II), Julius Albert, Jan Klusák, ­Marie Česková, Jiřina Mysková, Marcela Březinová.


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The Story of Film

LA NOIRE DE ... Senegal/Frankreich 1966

> La noire de ....

THE HOUSE IS BLACK (Khaneh siah ast) Iran 1963

«Forugh Farrochzads The House Is Black, ein dokumentarisches Porträt über eine Kolonie von Leprakranken, war einer der ersten grossen iranischen Filme; es ist das einzige Mal, dass der erste bedeutende Regisseur einer Nation eine Frau war. (...) The House Is Black hatte grossen Einfluss auf das schnörkellose, poetische iranische Kino der 90er-Jahre, insbesondere auf die Regisseurin Samira Machmalbaf.» (Mark Cousins: The Story of Film, Pavilion 2020) The film was restored by Fondazione Cineteca di Bologna

Die junge Senegalesin Diouana arbeitet in Dakar bei einer französischen Familie als Kindermädchen und wird eingeladen, nach Frankreich mitzugehen. Doch im Westen ist sie für alle bloss noch «das schwarze Mädchen». Ihrer Freiheit, ihrer Würde und ihrer Identität beraubt, verzweifelt sie zusehends – schliesslich bleibt ihr nur ein letzter radikaler Akt des Widerstands. Ousmane Sembènes Langfilmdebüt La noire de ... ist eine scharfe, stringente Parabel über den Neokolonialismus. «La noire de ... war nicht nur der erste indigene Spielfilm, der im westafrikanischen Senegal gedreht wurde, es war auch der erste schwarzafrikanische Spielfilm, der von einem Schwarzafrikaner gemacht wurde. (...) Die Dekolonisierung in Subsahara-Afrika stellte die Afrikaner vor die Frage: ‹Welche Art von Kunst – und Film – wollen wir selber machen?› (...) Sembène, ein ehemaliger Maurer, lebte eine Zeit lang in Südfrankreich, (...) veröffentlichte einen autobiografischen Roman (...), ging 1962 nach Moskau, studierte Film bei den gleichen Lehrern wie Muratowa u. a. und kehrte zurück, um La noire de … zu drehen. Mit einfachsten Kameratechniken, Spuren von John Ford in den Bildkompositionen und einer sehr einfachen Tontechnik erzählte er die Geschichte der jungen Senegalesin (...). Um dem Film eine Innerlichkeit zu verleihen, verwendete er einen inneren Monolog des Mädchens; um diesen von der von ihren Chefs so dominierten Aussenwelt zu trennen, werden die Gedanken von einer anderen Schauspielerin gesprochen. Das war neu und rückte die verschiedenen Ebenen ihres Lebens in den Mittelpunkt der Geschichte. Sembènes Pionierarbeit inspirierte andere Regisseure; der tunesische Kritiker und Filmemacher Férid Boughedir etwa nannte La noire de ... ‹unglaublich, enorm bewegend, schön, würdevoll, menschlich und intelligent›. Sembène sollte später einige der wichtigsten afrikanischen Filme der 70er-Jahre drehen.» (Mark Cousins: The Story of Film, Pavilion 2020)

and Ecran Noir productions, in collaboration with Ebrahim Golestan. Additional support was generously provided

THE HOUSE IS BLACK

by Genoma Films and Mahrokh Eshaghian. Restoration

21 Min / sw / DCP / Farsi/e // DREHBUCH, REGIE, SCHNITT

work was carried out at L’Immagine Ritrovata laboratory

Forugh Farrochzad // KAMERA Soleiman Minassian.

in 2019.

LA NOIRE DE ... 65 Min / Farbe + sw / DCP / F/d // REGIE Ousmane Sembène // DREHBUCH Ousmane Sembène, nach seinem Roman // KAMERA Christian Lacoste // SCHNITT André Gaudier // MIT Mbissine Thérèse Diop (Diouana), Anne-Marie Jelinek (Madame), Robert Fontaine (Monsieur), Momar Nar Sene (Diouanas Freund), Toto Bissainthe (Diouanas Stimme).


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The Story of Film

PERSONA Schweden 1966 Nach einer «Elektra»-Aufführung verstummt die Schauspielerin Elisabet Vogler völlig und wird daraufhin von der Krankenschwester Alma in einem Landhaus auf einer einsamen Insel betreut. Die Frauen entwickeln eine sonderbare Beziehung gegenseitiger Abhängigkeit – während die eine schweigt, beginnt die andere zu erzählen und offenbart ihre intimsten Geheimnisse – dann kommt der Verrat. Einer der persönlichsten und intensivsten Filme von Ingmar Bergman. «Persona war ein echter Fortschritt, so herausfordernd für filmische Traditionen wie À bout de souffle, L’année dernière à Marienbad, Vardas Werk oder Antonionis Trilogie. (...) Persona spielte in einer Welt, die zersplittert, in der Gott tot ist und die menschliche Subjektivität unfassbar. Er beginnt mit einer der erstaunlichsten filmischen Traumsequenzen überhaupt: Vor weissem Hintergrund sehen wir den Tod eines Schafes, seine Eingeweide; wir sehen ins Innere eines Projektors, ein Nagel wird in eine Hand geschlagen, ein tropfender Wasserhahn, ein klingelndes Telefon, ein Junge liegt auf einem Schragen. Sechs Minu-

ten davon, dann die flimmernden Filmtitel, dann die Geschichte. (...) Die Schauspielerin wird zu einer stummen Leinwand, auf die die Krankenschwester ihre Gedanken projiziert. Schliesslich überschneiden sich ihre Identitäten. Dann der Schock. Der Film bricht zusammen und scheint dabei eine Reihe von Bildern ‹freizusetzen›, die er verdrängt hat (...). Bergman hat das Theater gegen eine psychoanalytische Metapher für das Kino eingetauscht. Der Bildstreifen ist eine reine Ober­ fläche des Bewussten, durch welche farcenhafte, gewalttätige und verstörende Bilder des Unbewussten brechen. Kein Regisseur jener Zeit hat die Struktur des Films expliziter auf die Struktur und Funktionsweise der menschlichen Psyche bezogen.» (Mark Cousins: The Story of Film, Pavilion 2020) 84 Min / sw / DCP / Schwed+E/d // DREHBUCH UND REGIE Ing­mar Bergman // KAMERA Sven Nykvist // MUSIK Lars Johan Werle // SCHNITT Ulla Ryghe // MIT Bibi Andersson (Alma), Liv Ullmann (Elisabet Vogler), Margareta Krook (die Ärztin), Gunnar Björnstrand (Herr Vogler), Jörgen Lindström (der Junge).


37 FR, 12. NOV. | 18.00 UHR

ZUR KUNSTHANDEL-KONTROVERSE

GLUT VON THOMAS KOERFER Der Erweiterungsbau des Kunsthauses,

missbilligt. Zum polnischen Flüchtlings-

der die Sammlung Emil Bührle beherber-

mädchen Anna, das die Familie für Andres

gen wird, hat die Diskussion um Raubkunst

als Gefährtin ins Haus geholt hat, entwi-

und ethische Aspekte eines Kunsthandels,

ckelt der Junge eine intensive Beziehung,

der mit Waffenhandel alimentiert wird, neu

die allerdings tragisch endet. Vierzig Jahre

entfacht. Diese schwelte in der Schweiz al-

später kommt Anna, die nun ihren eigent-

lerdings schon vor gut vierzig Jahren, wie

lichen Namen Hanna angenommen hat, als

Thomas Koerfers Film Glut zeigt.

Journalistin zurück. Sie betrachtet Andres, der trotz allem in die Fussstapfen seines

1983 entwarf Thomas Koerfers Spielfilm

Vaters getreten ist, ebenso wie ihre Schwei-

Glut das Sittenbild einer Familie namens

zer Adoptivheimat mit kritischem Blick.

Korb, die durchaus Ähnlichkeiten mit der

Ergänzt wird die Vorstellung von Glut mit

Familie Bührle hat. Glut wechselt hin und

einem Filmgespräch: Der Schweizer Histo-

her zwischen der Vergangenheit von 1943

riker Jakob Tanner und die Filmwissen-

und der Gegenwart und lässt sie sich ge-

schaftlerin Marcy Goldberg beleuchten die

genseitig beleuchten.

politischen Hintergründe von Koerfers Film

Der kleine Andres Korb begreift nur wenig von der zwielichtigen Welt, in der sein Vater François sich bewegt, ein Waffenfabrikant, der alle Kriegsparteien beliefert, auch das Dritte Reich. Verständnis findet

und ordnen diesen auch in der Entwicklung des Schweizer Kinos ein. (mb) GLUT / Schweiz/BRD 1983 112 Min / Farbe / 35 mm / D+Pol/d // REGIE Thomas Koerfer // DREHBUCH Dietrich Feldhausen, Thomas Koerfer // KAMERA

der sensible, von den Eltern weitgehend

Frank Brühne, Pio Corradi // MUSIK Peer Raben // SCHNITT

ignorierte Junge bei seinem Grossvater,

Andres Korb), Katharina Thalbach (Claire Korb), Matthias

der das gewinnorientierte Treiben von François, der sich als Kunstliebhaber aufspielt und die Hautevolee um sich schart,

Georg Janett // MIT Armin Mueller-Stahl (François Korb/­ Habich (Albert Korb), Krystyna Janda (Hanna), Sigfrit Steiner (Oberst Wettach), Thomas Lücking (Andres als Kind), Agnes Zielinski (Anna), Barbara Freier (Antonia), Gudrun Geier (Lina), Walter Ruch (Karl).


38 Filmpodium für Kinder

Das Mädchen Wadjda Die zehnjährige Wadjda lebt in Riad, der Hauptstadt Saudi-Arabiens. Wenn sie im Schaufenster das glänzend grüne Velo stehen sieht, bekommt sie jedes Mal Herzklopfen. Wadjda muss sich immer wieder anhören: «Bei uns fahren Mädchen nicht mit dem Velo.» Aber als der Nachbarjunge Abdullah sie zu einer Wettfahrt her­ ausfordert, will sie an einem Koranwettbewerb teilnehmen, um sich mit dem Preisgeld das ersehnte Velo kaufen können. «Der feinfühlige Debütfilm der saudischen Regisseurin baut auf dem Wunsch und der Beharrlichkeit von Wadjda auf und zeichnet dabei ein differenziertes Bild der saudi-arabischen Gesellschaft.» (education 21)

DAS MÄDCHEN WADJDA (Wadjda) / Saudi-Arabien/Deutschland 2012 98 Min / Farbe / Digital HD / D / ab 6/8, wahlweise mit Audiodeskription // DREHBUCH UND REGIE Haifaa Al Mansour // K ­ AMERA Lutz Reitemeier // MUSIK Max Richter // SCHNITT Andreas Wodraschke // MIT Waad Mohammed (Wadjda), Reem Abdullah (Wadjdas Mutter), Abdullrahman Al Gohani (Abdullah), Ahd Kamel (Frau Hussa, Schuldirektorin), Sultan Al Assaf (Wadjdas Vater). Altersfreigabe: Zutritt ab 6 Jahren, empfohlen ab 8 (Begleitung durch Erwachsene generell empfohlen). Kinderfilm-Workshop Im Anschluss an die Vorstellungen vom 6. und 13. November bietet die Filmwissenschaftlerin Julia Breddermann einen Film-Workshop an (ca. 30 Min., gratis, keine Voranmeldung nötig). Die Kinder erleben eine Entdeckungsreise durch die Welt der Filmsprache und werden an einzelne Szenen und Themen des Films herangeführt.


39 MATINEE, SO, 24. OKT. | 12.00 UHR

ZUR STRAUHOF-AUSSTELLUNG

DIALOG VON RICHARD DINDO Noch bis zum 21. November zeigt das Mu-

spräch bar jeder Handlung als Film zeigen?

seum Strauhof die Ausstellung «Kurt Marti

Die filmische Dokumentation wird am 23. 11.

– Eros. Engagement. Endlichkeit». Anlass

1971 im Berner Kellerkino uraufgeführt

ist der 100. Geburtstag des Theologen und

und so einem grösseren Publikum bekannt

Dichters. Dazu zeigt das Filmpodium am 24.

– und damit Martis Standpunkt zur Kontro-

Oktober Richard Dindos Film Dialog (1971).

verse. Nicht zuletzt aufgrund dieses Auftritts wird der Berner Regierungsrat 1972

1971 treffen sich der kommunistische

verhindern, dass Marti eine Professur für

Kunsthistoriker Konrad Farner (1903–1974)

Homiletik an der Theologischen Fakultät

und Kurt Marti zu einem Gespräch über

der Universität Bern erhält.

Christentum und Marxismus. Farner ist seit

Nach der Vorstellung folgt ein Gespräch

1945 Zielscheibe des schweizerischen Anti­

mit den Ko-Kuratoren der Strauhof-Aus-

kommunismus und als Intellektueller ver-

stellung, Philip Sippel und Andreas Mauz.

femt. Der Filmemacher Richard Dindo zeichnet das Gespräch als filmisches Experiment mit seinen Kameras auf: Lässt sich ein Ge-

DIALOG / Schweiz 1971 46 Min / sw / DCP / D // REGIE UND SCHNITT Richard Dindo // KAMERA Peter von Gunten // MIT Kurt Marti, Konrad Farner.

FILME ERLEBEN MIT JEAN PERRET FILMSALON Cinéma Suisse: Thomas Imbach FILMSALON Cinéma Suisse: Stina Werenfels REISE an die Solothurner Filmtage

Die ersten fünf Filmminuten VERANSTALTUNGEN

La Nouvelle Vague Effi Briest und ihre Leidensgenossinnen – Tragische Frauengestalten in Roman und Film Zu Besuch im Tonstudio Roadmovies

Volkshochschule Zürich. Mehr verstehen, mehr bewegen. www.vhszh.ch · info@vhszh.ch · 044 205 84 84 ·


40 SÉLECTION LUMIÈRE

OTHELLO Orson Welles’ Othello sollte eigentlich eine italienisch-französische Koproduktion werden, die dem ehrgeizigen Cineasten jene künstlerische Autonomie erlaubte, die ihm Hollywood zunehmend verwehrte. Doch der plötzliche Bankrott des italienischen Produzenten liess das Projekt von Anfang an zu einem Independent-Film werden, dessen mehrjähriger Herstellungsprozess aus ma­ terieller Not manche künstlerische Tugend machte. Nach mehreren katastrophalen Erfahrungen

konzipieren und dabei oft von Shakespeares

in Hollywood, bei denen seine Filme von

Vorlage abzuweichen. Mehr als drei Jahre

Studios verstümmelt und Projekte abge-

bastelte Welles an seinem Film, drehte an

schossen wurden, kehrte Orson Welles

immer neuen Orten und wechselte Darstel-

Ende der 1940er-Jahre seiner Heimat den

lerinnen aus. Ein kühnes Montagekonzept

Rücken und arbeitete in Europa als Schau-

erlaubte ihm, Aufnahmen verschiedenster

spieler, um seine Schulden bezahlen zu

Herkunft zu kombinieren und dabei den

können. Der italienische Produzent Michele

­geistigen Verfall des Protagonisten nachzu-

Scalera sah ihn in Gregory Ratoffs Black

bilden.

­Magic (1949) als Scharlatan Cagliostro und beschloss, mit ihm Othello zu verfilmen.

Das Ergebnis, gezeichnet von Ton­ pro­ b­ lemen und ohne Herkunftsland, wurde

Doch kaum war Welles mit seiner Equipe

1952 unter marokkanischer Flagge in

zum Drehbeginn auf der marokkanischen

Cannes lanciert und prompt mit dem Grand

Insel Mogador gelandet, kam die Nachricht

Prix (dem Vorläufer der Palme d’Or) ausge-

von Scaleras Bankrott. Welles sah sich ge-

zeichnet. (mb)

zwungen, seine Inszenierung völlig neu zu

 am Mittwoch, 11. November, 18.45 Uhr: Einführung von Martin Walder OTHELLO / USA 1952 93 Min / sw / Digital HD / E/d // REGIE Orson Welles // DREHBUCH Orson Welles, nach dem Theaterstück von William Shakespeare // KAMERA Anchise Brizzi, G. R. Aldo, George Fanto // MUSIK Angelo Francesco Lavagnino, Alberto Barberis // SCHNITT Jean Sacha, John Shepridge, Renzo Lucidi // MIT Orson Welles (Othello), Micheál MacLiammóir (Jago), Suzanne Cloutier (Desdemona), Robert Coote (Rodrigo), ­Michael Lawrence (Cassio), Hilton Edwards (Brabantio), Fay Compton (Emilia), Nicholas Bruce (Ludovico).


41 IMPRESSUM

DAS FILMPODIUM IST EIN ANGEBOT DES PRÄSIDIALDEPARTEMENTS

in Zusammenarbeit mit der Cinémathèque suisse, Lausanne/Zürich LEITUNG Corinne Siegrist-Oboussier (cs), STV. LEITUNG Michel Bodmer (mb) WISSENSCHAFTLICHE MITARBEIT Tanja Hanhart (th), Primo Mazzoni (pm), Flurina Gutmann SEKRETARIAT Claudia Brändle BÜRO Postfach, 8022 Zürich, Telefon 044 412 31 28, Fax 044 412 31 25 WWW.FILMPODIUM.CH // E-MAIL info@filmpodium.ch // KINO Nüschelerstr. 11, 8001 Zürich, Tel. 044 415 33 66 UNSER DANK FÜR DAS ZUSTANDEKOMMEN DIESES PROGRAMMS GILT: Les Acacias, Paris; Salomé Alexi, Hamburg; Arsenal Distribution, Berlin; be-movie, Berlin; Bonner Kinemathek; Cinecittà Luce, Rom; Cineteca di Bologna; Cineteca nazionale, Rom; Cinetech Film Production, Tbilissi; Cristaldifilm, Rom; Richard Dindo, Paris; Nana Djordjadse, Tbilissi; Films sans frontières, Paris; Frenetic Films, Zürich; Georgian National Film Center, Tbilissi; Intramovies, Rom; Kinemathek Le Bon Film, Basel; ­Memento International, Paris; Minerva Pictures, Rom; NFA, Prag; Panorama Films, Van Nuys; Park Circus, Glasgow; Praesens Film, Zürich; Studio Artizm, Tbilissi; Studiocanal, Berlin; Surf Film, Rom; Tamasa Distribution, Paris; Titanus, Rom; trigon-film, Ennetbaden; 20 Steps Productions, Tbilissi; Wild Bunch, Paris; Xenix Filmdistribution, Zürich. DATABASE PUBLISHING BitBee Solutions GmbH, Zürich // KONZEPTIONELLE BERATUNG Esther Schmid, Zürich GESTALTUNG TBS, Zürich // KORREKTORAT Nina Haueter, Daliah Kohn // DRUCK Ropress, Zürich // AUFLAGE 5000 ABONNEMENTE & VERGÜNSTIGUNGEN Filmpodium-Generalabonnement : CHF 400.– (freier Eintritt zu allen Vorstellungen; inkl. Abo Programmheft) // Filmpodium-Halbtaxabonnement: CHF 80.– (halber Eintrittspreis bei allen Vorstellungen; inkl. Abo Programmheft) // alle unter 25 Jahre & Kulturlegi: CHF 9.– // Programm-Pass: CHF 60.– (freier Eintritt zu allen Vorstellungen einer Programmperiode) // Abonnement Programmheft: CHF 20.– // Anmeldung an der Kinokasse, über www.filmpodium.ch oder Tel. 044 412 31 28

VORSCHAU Corinnes Bildungslücken

Werner Herzog

«Was, Sie haben Sciuscià nie gesehen? Sissi

Werner Herzog (*1942) zählt zu den bedeu-

auch nicht?!» Nein, habe ich nicht, ebenso

tendsten und meistdiskutierten Exponenten

wenig Jaws, The Bridge on the River Kwai, The

des deutschen Kinos. In über 70 Spiel-, Do-

Silence of the Lambs und Billy Elliot. Die Liste

kumentar- und Fernsehfilmen hat er Grenz-

der Filme, die ich nie sehen konnte oder ver-

bereiche des Daseins und der Natur ausge-

passt habe, ist endlos. Dazu kommen die

lotet;

Filme, die ich damals bewusst ausgelassen

Querschläger, Vampire und Verbrecher.

hatte, die sich im Nachhinein aber als weg-

Wahn und Wirklichkeit verschwimmen in

weisend herausstellten. Jetzt, nach gut 35

seinem Werk ebenso wie Genres. Zusam-

Jahren beruflicher Auseinandersetzung mit

men mit dem Seminar für Filmwissenschaft

Kino und Film und kurz vor meiner Pensio-

der Universität Zürich und dem Verein Ciné-

nierung, kann ich das nicht nur gestehen,

passion, der Filme aus psychoanalytischer

sondern auch – gemeinsam mit Ihnen – in

Sicht betrachtet, zeigt das Filmpodium eine

meinem Abschiedsprogramm ein paar die-

Retrospektive, die die enorme Bandbreite

ser Lücken endlich füllen. (cs)

von Herzogs Schaffen vor Augen führt.

seine

Helden

sind

Abenteurer,


TA N I T F I L MS .

A ND

. C I N E T E L E F I LM .

PR E S E N T

«Ein anregendes Werk, das wichtige Themen hervorhebt und Kaouther Ben Hania erneut als aufstrebendes Talent bestätigt.» VA R I E T Y


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