In Anwesenheit von Pierre Koralnik und Produzent Yves Kugelmann
Mi 21.5. 15
18:30 INSELFILME
KURZFILMPROGRAMM MÉDITERRANÉE
Einführung von Patrick Holzapfel, 15 '
Fr 23.5. 33
18:30 PREMIERE HENRY FONDA FOR PRESIDENT
Alexander Horwath, Österreich/Deutschland 2024
Anschl. Q&A mit Alexander Horwath und Regina Schlagnitweit
Mi 28.5. 35
18:30 KURZFILMPREMIERE KICK IT GIRLS
Kollektiv Filmkids, Schweiz 2025
Anschl. Q&A mit Cast und Crew, ca. 70'
Mo 2.6. 23 18:00 PHANTASIEMASCHINE KINO
LIEBESERKLÄRUNG AN DIE
PHANTASIEMASCHINE
Vortrag von Martin Girod, 45
Anschl. WENN DER KATER KOMMT
Vojtěch Jasný, CSSR 1963
Di 3.6. 16 20:15 INSELFILME
HUMAN FLOWERS OF FLESH
Helena Wittmann, Deutschland/Frankreich 2022
Anschl. Q&A mit Helena Wittmann
Mi 4.6. 32
18:00 PIERRE KORALNIK
LE RAPT
Pierre Koralnik, Schweiz/Frankreich 1983
Anschl. PIERRE KORALNIK IM GESPRÄCH MIT PETER STAMM
In Deutsch, ca. 45 '
Mi 11.6. 25
18:00 PHANTASIEMASCHINE KINO
MY 20TH CENTURY Ildikó Enyedi, Ungarn/BRD/Kuba 1988
Anschl. ILDIKÓ ENYEDI ZU GAST
Gespräch in Englisch, 50
Do 12.6. 10
18:30 WES ANDERSON
DIE MINIATURWELTEN VON SIMON WEISSE
In einem Vortrag und Gespräch erläutert der Szenenbildner für Miniatursets und langjähriger Mitarbeiter von Wes Anderson die Bedeutung seiner Arbeit.
Mo 16.6. 16
18:30 INSELFILME
SMILE YOU ARE IN SPAIN
Vortrag von Patrick Holzapfel mit Filmausschnitten, 60'
Mi 18.6. 23
18:00 PHANTASIEMASCHINE KINO
FATHER István Szabó, Ungarn 1966
Anschl. ISTVÁN SZABÓ ZU GAST
Gespräch in Deutsch, 50
SYMMETRIE AUS DEN FUGEN 6
I N S E L FILME
LICHTSPIELE DES MITTELMEERS 12
P HANTAS!E MA CHI N E I NO 17
NICK CAVE
POET OF LOSS AND RUINATION 26
PIERRE KORALNIK
ZWISCHEN KUNST UND POP 30
SYMMETRIE AUS DEN FUGEN
Lustvoll verspielt in ihrer symmetrischen Bildanordnung, pastellenen Farbgebung, extravaganten Settings und durchdacht bis ins letzte Detail –die liebevolle Handschrift von Wes Anderson erkennt man auf den ersten Blick. Und sie ist so ikonisch, dass uns zuweilen sogar Alltagsmomente mit ihren kleineren und grösseren Absurditäten an seine Filmwelten erinnern – Accidentally Wes Anderson! Doch unter der schönen Oberfläche lauert emotionales Chaos, geraten Familien in Nöte und das Erwachsenwerden entpuppt sich als gigantische, kaum zu bewältigende Aufgabe. Das grosse, pralle Leben, verpackt in perfekte Vignetten und Miniaturen, darin liegt die Faszination seiner Filme. Oder wie der Schriftsteller Michael Chabon schreibt: «Dies ist die paradoxe Kraft eines Modells: Ein Kind, das einen Globus in der Hand hält, hat eine direktere, intuitivere Vorstellung von der Grösse und Vielfalt der Erde als jemand, der ein Jahr damit verbringt, die Erde zu umschiffen.» Anlässlich der Premiere von Andersons neustem Streich The Phoenician Scheme begeben wir uns also in den Kosmos voller Wunder von Wes Anderson. Als besonderen Höhepunkt freuen wir uns, Simon Weisse zu begrüssen, den Schöpfer zahlreicher Modelle und Miniaturen, ohne die die Filme von Wes Anderson nur schwer vorstellbar wären.
Essay von Pamela Jahn
Kaum fällt sein Name, hat man sofort die Bilder im Kopf: Ben Stiller im knallroten Jogginganzug in The Royal Tenenbaums. Oder ein leuchtend sonniges Indien hinter den verstaubten Zugfenstern des einst mondänen The Darjeeling Limited . Auch den Chefconcierge im verblasst pinken Grand Budapest Hotel . Aber fast nichts erwärmt das Herz mehr als der Auftritt von Edward Norton im verkohlt-braunen Overall als pflichtbe-
konzipiertes Bühnenbild im Puppenhausstil. Und über allem schwebt ein wohliges Gefühl von Retronostalgie und Melancholie. Im Laufe seiner Karriere hat sich der US-amerikanische Indie-Regisseur mit seinen klaren ästhetischen Visionen und stilistischen Versatzstücken eine Art filmische Visitenkarte zugelegt. Zu den wesentlichen Merkmalen des markanten Designs gehört neben der symmetrisch perfekten Bildsprache das fast schon obsessive Interesse Andersons an historischen Details. Aber der 1969 geborene Texaner ist kein Oberflächenfanatiker. Auch kein Romantiker im herkömmlichen Sinn. Anderson verweigert sich dem bemühten Tiefsinn des Gegenwartskinos, indem er sich dem Zeitgeist mit einer zuwiderlaufenden Sehnsucht entgegenstellt. Das macht sein Kino bei aller stilistischen Strenge im Innern so reizvoll wie im Äusseren: Gewünschte Irritationen, kritische Gedanken und düstere Emotionen sind bei ihm bewusst und subtil im Subtext angelegt.
Schauspiel-Ensemble
In Andersons Regiedebüt Bottle Rocket (1996), einer vergleichsweise recht ungeschliffenen Geschichte um drei überforderte kleinkriminelle Freunde, waren es zunächst nur die Figuren und Situationen, die abwegig wirkten. «Skurril» ist seitdem ein weiterer Begriff, der automatisch mit dem Regisseur gleichgesetzt wird. Tatsächlich drückt sich seine innige Leidenschaft für alles Schräge, Imaginäre und Artifizielle jedoch erst seit dem dritten Spielfilm, The Royal Tenenbaums , ebenso dezidiert auch in der Inszenierung aus. Immer wieder aufs Neue steigerte sich Anderson fortan mit ungenierter Begeisterung in seltsame fiktive Welten hinein, die, so sagt er selbst, stets «fünf Grad von der Realität entfernt» liegen – bei genauer Betrachtung wahrscheinlich noch einen Tick mehr. Bottle Rocket bedeutete auch den Anfang einer langjährigen Zusammenarbeit zwischen Anderson und seinem Film-Buddy Owen Wilson. Gemeinsam mit seinem Bruder Luke gehört der Schauspieler zu den Gründungsmitgliedern eines stetig wachsenden, engagierten Ensembles von Hollywoodgrössen, das sich für den Regisseur regelmässig in die unglaublichsten Rollen stürzt. Mit von der Partie sind von Billy Murray, Willem Dafoe und Jeff Goldblum über Cate Blanchett, Frances McDormand und Scarlett Johansson neuerdings auch Timothée Chalamet, Benedict Cumberbatch und Tom Hanks. Ein Anderson-Film ohne ihre bekannten Gesichter wäre so undenkbar wie zu leben, ohne zu atmen. Neben dem unverwechselbaren Wiedererkennungswert sind es die sichtliche Freude an der Verwandlung und das lustvolle Spiel mit der Anderson’schen Methode, die die Auftritte der Stars in seinen Filmen so unabdingbar machen.
ming-of-Age-Komödie über einen jungen Theatervisionär (Jason Schwartzman), der sich in seine verwitwete Lehrerin (Olivia Williams) verliebt, zeigt einen Regisseur mit Interesse an Selbstreflexion und am Hinterfragen gesellschaftlicher Normen. Doch über die Jahrzehnte haben sich Tonalität und Thematik von Andersons Werken konsequent verdunkelt. Zunehmend finden sich Schattierungen und Graustufen in der filmischen Textur. Als in Isle of Dogs eine Hundegrippe ausbricht, nutzt ein korrupter Bürgermeister die rasch um sich greifende Epidemie, um von den eigenen politischen Problemen abzulenken. Kurzum werden alle Vierbeiner auf eine riesige Mülldeponie verbannt. Umweltverschmutzung, Klimakrise, Rechtsruck, all das ist mit lakonischer Ironie in dieser klugen Fabel angelegt. Ähnlich komplexe und bedrohliche Gedankenwelten tun sich auf, wenn man einen Blick hinter die Kulissen einer exzentrischen Utopie in Pastell wie Asteroid City wirft. Dann wird deutlich: Die schleichende Gefahr durch den Autoritarismus ist dem Regisseur besonders unheimlich. Lieber erträumt sich Anderson deshalb die ihn umgebende düstere Realität mit Atomtests und Aliens, wie er sie sich vorstellt, wenn Künstler wie er die Wirklichkeit malen könnten, wie sie ihnen gefällt.
Hintersinniger Humor Um das Menschliche im Artifiziellen von Andersons Kunst zu erfassen, darf man ein wesentliches Element seiner Geschichten nicht unterschätzen: Zwar stehen immer höchst verschrobene Charaktere im Zentrum –zumeist hochbegabte Kinder, überforderte Eltern und natürlich (Lebens-)Künstler aller Couleur. Aber so unterschiedlich seine Sujets und Schauplätze auch sein mögen – von riskanten Tiefsee-Expeditionen (The Life Aquatic with Steve Zissou ) über das vergangene Zeitungs- und Verlagswesen ( The French Dispatch ) bis hin zu einem modellierten Fuchsbau ( The Fantastic Mr. Fox ) – seinen exzentrischen Protagonist:innen begegnet der Regisseur stets voller Respekt und mit einem hintersinnigen Humor, der jede noch so üble Katastrophe oder schwere Sinnkrise erträglich macht. In Andersons neuestem Streich, The Phoenician Scheme, wird es um Spionage und eine zerrüttete Vater-Tochter-Beziehung zwischen Benicio del Toro und Mia Threapleton gehen. Diese Kombination verwundert bei ihm so wenig wie jede andere fiktionale Konstellation. Anderson bleibt sich treu, jetzt erst recht. Vielleicht liegt darin das eigentliche Geheimnis seines Genies. Die zutiefst persönliche Erzählweise, mit der er seinen Fans und Kritikern immer wieder begegnet, ist so originell, dass sie sich nicht imitieren lässt. Zahlreiche Filmemacher:innen haben es versucht und sind kläglich daran gescheitert, weil es eben nur einen wie Anderson geben kann. Und weil seine Arbeiten so viel mehr sind als oberflächliche Unterhaltung. Noch ist die Magie, die er den Bildern einzuhauchen versteht, einzigartig. Sie ist so stark und schön und abwegig zugleich, dass man sich ihrer lebensbejahenden Wirkung nur schwer entziehen kann. Am besten, man versucht es erst gar nicht.
wusster Pfadfinderausbilder im kleinstädtischen New England des Jahres 1965 – ihn übertrifft in Moonrise Kingdom allein Tilda Swintons Hexe vom Jugendamt, zugeknöpft im königsblauen Kostüm mit passendem Häubchen im feurigen Haar. Keine Frage, es gibt ihn, den Wes-Anderson-Look. Selbst jene, die sein Werk erst entdecken, glauben bereits eine Vorstellung zu haben, was sich dahinter verbirgt: die strahlenden Farben, gerne Pastell oder knallig. Die kontrastreichen Formen, Muster, Texturen, von klassisch bis kurios. Dazu eine orthogonale Kameraführung mit keinerlei Spielraum für Improvisation. Kurz: ein raffiniert
Anschaulich lässt sich das an einem Werk wie The Grand Budapest Hotel aus dem Jahr 2014 illustrieren. Zu diesem Zeitpunkt war Andersons Riege an Stammschauspieler:innen bereits so gross, dass es ein – buchstäblich –grandioses Set-Design brauchte, um alle unterzubringen. Kurzerhand erfand der Regisseur und Drehbuchautor daraufhin gleich ein ganzes fiktives Land, Zubrowka. Die Geschichte um das titelgebende luxuriöse Gästehaus spielt im Europa der Zwischenkriegszeit, als die aristokratische Ordnung zwar bereits bröckelte, aber noch nicht verloren war. Jedenfalls hielt man noch viel darauf. Aber hinter der süssen Fantasie verbirgt sich auch hier ein Gefühl von Trauer und Verlust.
Jenseits der Oberfläche Dass Anderson bei aller Hingabe zur Vergangenheit immer auf Augenhöhe mit dem Hier und Jetzt steht, offenbart sich längst nicht erst in seinen jüngeren Werken wie dem Sci-Fi-Abenteuer Asteroid City – oder seinem in liebevoll-schroffer Stop-MotionTricktechnik animierten Zukunftsszenario Isle of Dogs , der in einem fiktiven, postapokalyptischen Japan spielt. Schon sein zweiter Film, Rushmore , eine stilistisch gewagte Co-
Pamela Jahn ist freie Autorin und Journalistin u.a. für das ray Filmmagazin, die Neue Zürcher Zeitung und Filmbulletin. Sie lebt in London und ist dort auch als Übersetzerin und Filmkuratorin tätig.
Für die Unterstützung danken wir:
WES ANDERSON MIT OWEN WILSON UND GWYNETH PALTROW AM SET VON THE ROYAL TENENBAUMS
BOTTLE ROCKET
Fr 30.5. 15:00 Mi 2.7. 15:00
USA 1996, Farbe, DCP, E/d*, 91
REGIE Wes Anderson DREHBUCH Wes Anderson, Owen Wilson, nach deren gleichnamigen Kurzfilm
KAMERA Robert D.
«Die besten Freunde Anthony (Luke Wilson), Dignan (Owen Wilson) und Bob (Robert Musgrave) verüben einen aufwendigen, halbwegs erfolgreichen Raubüberfall auf einen kleinen Buchladen und machen sich anschliessend aus dem Staub. Während ihrer Abenteuer verliebt sich Anthony in die südamerikanische Haushälterin Inez (Lumi Cavazos), und sie freunden sich mit dem aussergewöhnlichen Dieb Mr. Henry (James Caan) an. Bottle Rocket ist ein witziger und liebevoller Blick auf die Verrücktheit von Träumern – gedreht vor strahlender Südwest-Kulisse – und der Film, der Anderson und die Wilson-Brüder bekannt machte.» (The Criterion Collection)
«Ein Film ohne eine Spur von Zynismus, der offensichtlich aus der Zuneigung des Regisseurs zu seinen Figuren im Besonderen und zu den Menschen im Allgemeinen erwuchs. Eine Seltenheit. Und die zentrale Idee des Films ist so zart, so menschlich: Eine Gruppe junger Männer glaubt, dass ihr Leben mit Risiko und Gefahr gefüllt sein muss, um echt zu sein.» (Martin Scorsese)
RUSHMORE
Di 20.5. 20:45 Sa 7.6. 18:30 Fr 20.6. 15:00
USA 1998, Farbe, DCP, E/d*, 94
REGIE Wes Anderson DREHBUCH Wes Anderson, Owen Wilson KAMERA Robert D. Yeoman MUSIK Mark Mothersbaugh SCHNITT David Moritz MIT Jason Schwartzman, Bill Murray, Olivia Williams, Seymour Cassel, Brian Cox, Mason Gamble, Sara Tanaka, Stephen McCole, Luke Wilson.
«Der 15-jährige Max Fischer (Jason Schwartzman) besucht die zehnte Klasse der Eliteschule Rushmore. Er ist Gründer und Mitglied der Theatergruppe, des Debattier-, Bienenzüchterund Schachclubs – und einer der schlechtesten Schüler aller Zeiten. Als er sich Hals über Kopf in seine Lehrerin Miss Cross (Olivia Williams) verknallt, holt er sich Rat und Unterstützung bei seinem väterlichen und stinkreichen Freund Mr. Blume (Bill Murray). Der soll ihm ein grosses Aquarium finanzieren, mit dem er seine Angebetete beeindrucken will. Doch Mr. Blume findet ebenfalls Gefallen an Miss Cross, und ein unerbittlicher Kleinkrieg beginnt.» (Deutsches Filminstitut, Jun 2014)
«Wie dem grossen Ernst Lubitsch gelingt es Anderson, ein Maximum an Informationen in ein Minimum an Leinwandzeit zu packen. Ganze Charaktere werden durch eine Geste, einen Akzent oder ein Detail des Kostüms etabliert. Aber die Technik allein kann die Wirkung eines so komplexen und lebendigen Films mit seiner Nüchternheit und Exzentrik, seiner Liebe zu grossen Gesten und seinem Respekt vor den kleinsten Gefühlsschwankungen (...) nur zu einem kleinen Teil erklären. Das ist der Stoff, aus dem Poesie gemacht ist, und Wes Anderson erweist sich in seinem zweiten Film als Dichter ersten Ranges.» (Dave Kehr, The Criterion Collection, 22.11.2011)
THE ROYAL TENENBAUMS
Do 22.5. 15:00 Sa 21.6. 18:15
So 6.7. 15:00
USA 2002, Farbe, 35 mm, E/d/f, 110 REGIE Wes Anderson DREHBUCH Wes Anderson, Owen Wilson KAMERA Robert Yeoman MUSIK Mark Mothersbaugh SCHNITT Dylan Tichenor MIT Gene Hackman, Anjelica Huston, Ben Stiller, Gwyneth Paltrow, Luke Wilson, Owen Wilson, Bill Murray, Danny Glover, Seymour Cassel, Kumar Pallana, Alec Baldwin.
«Die Tenenbaums aus New York – was für eine Familie! Sohn Chas (Ben Stiller) macht Karriere an der Wall Street, Tochter Margot (Gwyneth Paltrow) schreibt mit Preisen überschüttete Bühnenstücke, Sohn Richie (Luke Wilson) ist ein Tennis-Ass. Aber eine Serie von Enttäuschungen, Fehlschlägen und Katastrophen hat bewirkt, dass sich 20 Jahre später kaum noch jemand an das Genie der jungen Tenenbaums erinnern kann. Etwas vom alten Glanz wird wieder spürbar, als Royal Tenenbaum (Gene Hackman), das vor langer Zeit verbannte Familienoberhaupt, reumütig in den Kreis seiner Lieben zurückkehrt. Aber sind Gattin Etheline (Anjelica Huston) und die anderen wirklich bereit, das Kriegsbeil zu begraben?» (cineimage.ch)
«Während seine früheren Filme um einen charismatischen Visionär kreisten, geht es in diesem Film um eine ganze ‹Familie von Genies›, wobei darauf geachtet wird, jeder Person und jeder Beziehung das richtige Gewicht zu verleihen. Der Soundtrack, die Kostüme und das Produktionsdesign sowie die knackigen, witzigen Dialoge weisen viele Anderson’sche Züge auf, aber er verliert sich nie in seinem eigenen pingeligen Pointillismus. Wenn man einen Schritt zurücktritt, ist dies ein Film über eine Familie, die ihre Träume nicht verwirklichen konnte. Darin ist er rührend alltäglich.» (Scott Tobias, The Guardian, 18.12. 2021)
THE LIFE AQUATIC WITH STEVE ZISSOU
So 18.5. 20:30 Sa 31.5. 18:15 Mi 2.7. 20:45 RE:VISION 18:30 (S. 11)
USA 2004, Farbe, DCP, E/d*, 118 REGIE Wes Anderson DREHBUCH Wes Anderson, Noah Baumbach KAMERA Robert D. Yeoman, Stefano Falivene MUSIK Mark Mothersbaugh SCHNITT David Moritz MIT Bill Murray, Owen Wilson, Cate Blanchett, Anjelica Huston, Willem Dafoe, Jeff Goldblum, Michael Gambon, Bud Cort.
«In seiner Hommage an die legendären TVFilme von Jacques-Yves Cousteau erzählt Wes Anderson eine bizarre Story um den Meeresforscher und Dokumentarfilmer Steve Zissou (Bill Murray), der sich auf eine Expedition begibt, um nach dem Jaguarhai zu jagen, der seinen besten Freund gefressen hat. Doch an Land wie auf hoher See kommt es zu heftigen Konflikten mit seiner dominanten Ehefrau (Anjelica Huston) und einem unliebsamen Konkurrenten (Jeff Goldblum), einer schwangeren Journalistin (Cate Blanchett) und einem vermeintlichen Sohn (Owen Wilson) sowie mit philippinischen Piraten, sodass dem ehrgeizigen Unternehmen bald der Schiffbruch droht …» (Berlinale 2018)
«Die etwas fremde Schönheit des Dekors in Verbindung mit den Kostümen siedelt den Film irgendwo zwischen Technicolor-Traumland und naivem Comic an. (…) Die von Henry Selick erdachten fantasievollen Meeresbewohner, vom monströsen (elektrischen) Jaguarhai über regenbogenfarbene Seepferdchen, tragen zum fantastischen Charakter des Films bei. (…) Und wenn die nicht gerade sehr gesprächigen Filmhelden wieder einmal schweigen, wenn ihnen ein Übermass an Emotionen die Sprache verschlägt, übernimmt die Musik das Ruder und treibt, gefolgt von der Kamera, die Geschichte voran. Die Sprache verstummt, das Leben besetzt die Leinwand: mächtig, unkontrollierbar, magisch anziehend.»
(Delphine Valloire, Die Zeit, 23.2.2005)
THE DARJEELING
USA 2007, Farbe, 35 mm, E/d/f, 104 ' REGIE Wes Anderson DREHBUCH
«Drei entfremdete amerikanische Brüder kommen ein Jahr nach dem Tod ihres Vaters für eine sorgfältig geplante Zugreise durch Indien mit Momenten der Selbstreflexion wieder zusammen. Ausgerüstet mit elf Koffern, einem laminierten Reiseplan, einer Dose Pfefferspray, einem Vorrat an rezeptfreien Schmerzmitteln und einer Vielzahl von Familienkonflikten, die kurz vor dem Ausbruch stehen, stranden Francis (Owen Wilson), Peter (Adrien Brody) und Jack (Jason Schwartzman) schliesslich allein mitten in der Wüste – ein unerwartetes neues Kapitel ihrer Reise beginnt.» (The Criterion Collection)
«Wenn Wes Anderson in seinem fünften Spielfilm drei Brüder in einen Zug namens ‹Darjeeling Limited› setzt, dann ist wohl klar, dass auch sie im Anderson-Universum unterwegs sind, mit all seinen Absurditäten und Obsessionen: drei in sich verschlossene Charaktere, die ihr Lebensunglück hinter der Maskerade exzentrischer Kaspereien verbergen; klaustrophobische, puppenhausartige Schauplätze, die aufgesprengt werden wollen; eine Atmosphäre aus Melancholie, wohlsituierter Dekadenz und bekifftem Witz; ein Figurentheater, das sich um die Suche nach familiärem Zusammenhalt dreht.» (Rainer Gansera, Süddeutsche Zeitung, 17.5.2010)
SÜDHANG AUSTERN BAR
Mi 2.7. 18:00 – 21:00
Im Foyer und auf der Terrasse
Das Filmpodium schippert aktuell mit Steve Zissous Schiff Belafonte durch die Meere. Was läge da näher, als ein paar Austern von den Klippen zu schlagen? Gemeinsam mit unserem neuen Weinlieferanten Südhang laden wir ein zur sommer lichen Austern Bar mit Fines N°4 und passenden Weinen. Stossen Sie mit uns an auf einen langen, schönen Sommer!
Yeoman MUSIK Mark Mothersbaugh SCHNITT David Moritz MIT Luke Wilson, Owen Wilson, Robert Musgrave, Lumi Cavazos, James Caan, Andrew Wilson, Kumar Pallana, Jim Ponds.
Wes Anderson, Roman Coppola, Jason Schwartzman KAMERA Robert D. Yeoman SCHNITT Andrew Weisblum MIT Owen Wilson, Adrien Brody, Jason Schwartzman, Amara Karan, Camilla Rutherford, Wallace Wolodarsky, Irrfan Khan, Anjelica Huston, Natalie Portman, Bill Murray.
THE ROYAL TENENBAUMS
THE LIFE AQUATIC WITH STEVE ZISSOU
Di 1.7. 20:45
USA/GB 2009, Farbe, DCP, E/d*, 87
REGIE Wes Anderson DREHBUCH Wes Anderson, Noah Baumbach, nach dem gleichnamigen Roman von Roald Dahl KAMERA Tristan Oliver MUSIK Alexandre Desplat SCHNITT Ralph Foster, Stephen Perkins, Andrew Weisblum STIMMEN George Clooney, Meryl Streep, Bill Murray, Jason Schwartzman, Eric Chase Anderson, Wallace Wolodarsky, Jarvis Cocker, Owen Wilson, Willem Dafoe, Adrien Brody, Michael Gambon.
«Seiner Frau hat er versprochen, der Kinder wegen ehrlich zu bleiben, doch eines Tages ist die Versuchung zu gross … Mr. Fox ist eben ein Fuchs. Also stiehlt er die Hühner (und Schinken und Cider) der Herren Boggis, Bunce und Bean und bringt damit nicht nur seine Familie in Gefahr, sondern alle Tiere, die in dem Hügel wohnen, auf dem er seinen Bau, Pardon, sein Baumhaus hat. Anderson setzt Roald Dahls berühmtes Kinderbuch als StopMotion-Animation in Szene und erzählt schwungvoll – mal in flächigen Panoramen, mal in puppenstubenhafter Detailverliebtheit – die Geschichte vom Fuchs, der gar nicht so schlau, dafür aber umso optimistischer ist.» (Viennale 2015)
«Es ist nur konsequent, dass Kinoästhet Wes Anderson mit Fantastic Mr. Fox einen StopMotion-Animationsfilm präsentiert. Schliesslich bringt die Möglichkeit, eine Miniaturwelt komplett neu zu erschaffen und liebevoll auszustatten, den Gestaltungswillen des Regisseurs zur vollen Entfaltung. (...) Dabei wandelt sein fein herausgeputzter Zoo ständig auf dem schmalen Grat zwischen Intellekt und Instinkt. Sicher, der Dachs kann als gewiefter Anwalt auftreten und die Füchsin eine passionierte Landschaftsmalerin sein, aber ursprüngliche Verhaltensmuster lassen sich nie ganz domestizieren. Dass kultiviertes Äusseres immer auch eine dunkle, triebgesteuerte Natur bändigt, ist ohnehin ein beständiges Thema in Andersons Filmen.» (David Kleingers, Der Spiegel Kultur, 15.5.2010)
MOONRISE KINGDOM
Sa 24.5. 20:45 Fr 6.6. 15:00 So 29.6. 18:30
USA 2012, Farbe, 35 mm, E/d/f, 94 ' REGIE Wes Anderson DREHBUCH Wes Anderson, Roman Coppola KAMERA Robert Yeoman SCHNITT Andrew Weisblum MIT Jared Gilman, Kara Hayward, Bruce Willis, Bill Murray, Frances McDormand, Edward Norton, Jason Schwartzman, Tilda Swinton.
«Sam (Jared Gilman), der Pfadfinder, und Suzy (Kara Hayward), die traurig-verträumte Aussenseiterin, sind beide zwölf. Sie verlieben sich ineinander und beschliessen, vor der Welt in die Wildnis zu flüchten. Doch schnell sind ihnen alle auf der Spur: Sams jähzornige und martialische Pfadfinderkollegen, deren Anführer (Edward Norton), der Polizeichef des verschlafenen Küstenstädtchens (Bruce Willis), bald auch Suzys neurotische Eltern (Frances McDormand und Bill Murray). Und schliesslich schaltet sich auch noch eine durchsetzungsfähige Sozialarbeiterin (Tilda Swinton) ein.» (Patrick Wellinski, Kino-Zeit, 31.5.2012)
«Moonrise Kingdom – ein liebenswerter, sehr einfallsreicher und gewollt infantiler Film. Ohne Scheu schwelgt Anderson in regressiven Fantasien, er idealisiert eine Jugend, die wahrscheinlich so nur aus der Perspektive eines verlebten Erwachsenen Sinn ergibt. Und es ist ein schlauer Film. Wes Anderson hat selten überzeugender alle Stärken seines stilistischen Repertoires ausgespielt und damit ein weiteres Kunststück vollbracht.» (Nino Klinger, critic.de, 16.5.2012)
THE GRAND BUDAPEST HOTEL
Sa 17.5. 15:00 So 8.6. 20:45
Sa 5.7. 18:30
USA/Deutschland/GB 2014, Farbe, DCP, E/d/f, 99 ' REGIE und DREHBUCH Wes Anderson STORY Wes Anderson, Hugo Guinness, nach den Schriften von Stefan Zweig KAMERA Robert D. Yeoman MUSIK Alexandre Desplat SCHNITT Barney Pilling MIT Ralph Fiennes, Tony Revolori, Adrien Brody, Tilda Swinton, Saoirse Ronan, F. Murray Abraham, Mathieu Amalric, Willem Dafoe, Jeff Goldblum, Harvey Keitel, Jude Law, Bill Murray, Edward Norton, Jason Schwartzman, Léa Seydoux, Owen Wilson.
«Ein kleiner Staat in Osteuropa, 1932: Monsieur Gustave (Ralph Fiennes), der Empfangschef des mondänen Berghotels Grand Budapest, wird von einer alten Gönnerin, Madame D. (Tilda Swinton), testamentarisch bedacht. Er soll das Gemälde ‹Jüngling mit Apfel› erben. Um den Kunstschatz vor den gierigen Angehörigen der Verstorbenen zu retten, stehlen Gustave und der Hotelpage Zéro (Tony Revolori) das Bild. Vom Sohn der Toten des Mordes an seiner Mutter bezichtigt, landet Gustave im Gefängnis. Und während das Rätsel um den Tod der Madame D. aufgeklärt wird, verfinstert sich der zeitgeschichtliche Horizont …» (Berlinale 2017)
«In fein ziselierten, häufig symmetrischen Kompositionen schwelgt die Kamera in Dekor und Kost ü men, und Görlitz, neben Babelsberg wichtigster Drehort der amerikanischdeutschen Koproduktion, verkörpert idealtypisch eine europäische Vergangenheit, die es derart malerisch wohl nie gegeben hat. (…) Unter der Verspieltheit von Andersons Welt lauert diesmal eine tiefe Trauer angesichts der Katastrophen der Geschichte. Der Schwung leidet allerdings nicht darunter, eher noch scheint er eine trotzige Energie daraus zu ziehen. Vielleicht ist das Grand Budapest Hotel daher weniger ein nostalgischer denn ein utopischer Ort.» (Patrick Seyboth, epd-film.de, 18.2.2014)
ISLE OF DOGS
Sa 21.6. 15:00 Do 26.6. 20:45
Deutschland / USA 2018, Farbe, DCP, E/d, 101 REGIE und DREHBUCH Wes Anderson KAMERA Tristan Oliver MUSIK Alexandre Desplat SCHNITT Ralph Foster, Edward Bursch STIMMEN Bryan Cranston, Koyu Rankin, Edward Norton, Liev Schreiber, Bill Murray, Bob Balaban, Scarlett Johansson, Kunichi Nomura, Tilda Swinton, Ken Watanabe, Akira Ito, Greta Gerwig, Akira Takayama, Frances McDormand, F. Murray Abraham, Yojiro Noda, Fisher Stevens, Mari Natsuki, Yoko Ono, Harvey Keitel, Frank Wood. «Fünf ausgesetzte Hunde und ein zwölfjähriger Junge durchstreifen in einer 20 Jahre entfernten Zukunft eine giftige Einöde im japanischen Archipel und suchen nach einem entlaufenen Haustier: Wie alle Filme von Wes Anderson ist Isle of Dogs völlig ungewöhnlich, aber dennoch sofort als Wes-Anderson-Film erkennbar. So üppig mit wunderschönen Details ausgestattet, dass er wie ein Stück hoch strukturierter Haute Couture wirkt, steckt hinter den kunstvollen Nähten auch eine klare soziale Botschaft: Die Hunde sind ausgehungert, schmutzig, krank und unter Quarantäne gestellt, und nur der Waisenjunge erinnert sich daran, wer der beste Freund des Menschen wirklich ist.» (Fionnuala Halligan, Screen Daily, 15.2.2018)
«Gewiss zeichnet auch diesen Film der sagenhaft wunderliche Humor des US-Amerikaners aus. (…) Dass Anderson mit Isle of Dogs allerdings wohl auch auf eine ambitionierte allegorische Erzählung aus war, ist nicht allein den vielen politischen wie kulturellen Bezügen zu entnehmen, sondern auch der Ästhetik. Zuallererst ist dieser Film eine Hommage an das japanische Filmschaffen, vorzugsweise an dessen grossen Meister Akira Kurosawa.» (Anke Westphal, epd-film.de, 27.4.2018)
REGIE und DREHBUCH Wes Anderson STORY Wes Anderson, Roman Coppola, Hugo Guinness, Jason Schwartzman KAMERA Robert D. Yeoman MUSIK Alexandre Desplat SCHNITT Andrew Weisblum MIT Benicio del Toro, Frances McDormand, Jeffrey Wright, Adrien Brody, Tilda Swinton, Timothée Chalamet, Léa Seydoux, Owen Wilson, Mathieu Amalric, Bill Murray, Liev Schreiber, Elisabeth Moss, Edward Norton, Willem Dafoe, Lois Smith, Saoirse Ronan, Christoph Waltz, Cécile de France, Guillaume Gallienne, Jason Schwartzman. «Den Rahmen von Andersons Episodenfilm bildet die Redaktion des imaginären Magazins ‹The French Dispatch›, das dem ‹New Yorker› nachempfunden ist, jedoch in Frankreich produziert wird, in einer Stadt namens Ennuisur-Blasé. Dessen Seele ist der grummelige und visionäre Chefredakteur Arthur Howitzer Jr. (Bill Murray), der zu Beginn des Filmes bedauerlicherweise stirbt. Zurück bleibt sein Team, eine Auswahl hochkarätiger Journalisten. Drei der Geschichten, die sie recherchiert haben, werden dann als jeweils eigener Film im Film dargeboten – in dem Sinne ist The French Dispatch eigentlich ein sehr langer, sehr bunter, sehr unterhaltsamer Epilog. Und ein Nachruf nicht nur zum Tod der Hauptfigur, sondern auch auf den Magazinjournalismus an sich, eine grosse persönliche Leidenschaft, zu der sich Wes Anderson hier bekennt.» (Juliane Liebert, Süddeutsche Zeitung, 21.10.2021)
ASTEROID CITY
Fr 16.5. 20:45 Do 29.5. 18:00
Do 12.6. 20:45
GB 2023, Farbe + sw, DCP, E/d/f, 105
REGIE und DREHBUCH Wes Anderson STORY Wes Anderson, Roman Coppola KAMERA Robert D. Yeoman
Pilling
MUSIK Alexandre Desplat
Jason
Tilda
Adrien
Scarlett
«Im fiktionalen Wüstenörtchen Asteroid City, gelegen im Nirgendwo des amerikanischen Südwestens, findet 1955 ein Wochenende f ür jugendliche Nachwuchs-Weltraumforscher:innen statt. Die Location ist passend gewählt, direkt neben dem Einschlagkrater eines Meteoriten und in Sichtweite immer neuer Atombombentests. Doch als ausser den Kids und ihren Familien sowie etlichen Wissenschaftlern auch noch ein Besucher aus dem All auftaucht, befindet sich die versammelte Truppe zwischen Motel und Diner plötzlich im von der Regierung verhängten Lockdown.» (Patrick Heidmann, cineman.ch, 12.6.2023)
«Bei allem Spass und Spiel sind es auch diesmal die ernsten Untertöne, die den Film vor überästhetisierter Sterilität bewahren, die vielen wunderlichen Vignetten zusam-
THE PHOENICIAN SCHEME
Fr 27.6. 20:45 So 6.7. 18:30
USA/Deutschland 2025, Farbe, DCP, E/d, 120 REGIE und DREHBUCH Wes Anderson STORY Wes Anderson, Roman Coppola KAMERA Bruno Delbonnel
MUSIK Alexandre Desplat SCHNITT Barney Pilling
MIT Benicio del Toro, Mia Threapleton, Michael Cera, Scarlett Johansson, Tom Hanks, Bill Murray, Benedict Cumberbatch, Rupert Friend, Riz Ahmed, Charlotte Gainsbourg, Antonia Desplat, Max Mauff.
Kurz nach der Ankündigung des neuen Films von Wes Anderson konnten wir zwei Vorstellungen fürs Filmpodium ergattern. Was uns genau erwartet, wissen wir noch nicht –lassen wir uns ganz nach Anderson’scher Art überraschen. Stay tuned!
DIE MINIATURWELTEN VON SIMON WEISSE
Do 12.6. 18:30.
Vortrag und Gespräch mit dem Szenenbildner
Simon Weisse, 90'
Seien es das ikonische Hotel und die Berglandschaft in The Grand Budapest Hotel die postapokalyptische Stadt im Stop-MotionFilm Isle of Dogs oder die Wüste in Asteroid City : ohne Miniaturmodelle sind die Filme von Wes Anderson nur schwer vorstellbar. Seit 2014 ist Simon Weisse der Szenenbildner dieser wunderbaren Miniatursets. Als Modellbauer und Propmaker arbeitete er zudem auch für Jean-Pierre Jeunet, Steven Spielberg, Tom Tykwer oder Lana Wachowski. Anhand eines Vortrags mit zahlreichen Skizzen und Bildern sowie des anschliessenden Gesprächs gibt Simon Weisse Einblick in seine Zusammenarbeit mit Wes Anderson und zeigt, warum sein Beruf trotz digitalen Effekten seit einigen Jahren boomt.
menhalten und der Anderson’schen Hermetik Tiefe verleihen. So fällt zwar das handlungsauslösende Moment eines Alien-Besuchs drollig aus, während aber die daraufhin verhängte Quarantäne durch das Militär alle Anwesenden auf unbegrenzte Zeit in Asteroid City festhält, verdichten sich Motivstränge, in denen es um die Angst vor dem Fremden geht, um Kontrollverlust und die Frage nach Orientierung in einer Welt, die immer chaotischer zu werden scheint. Obwohl der Film in einer Zeit spielt, in der ‹die USA noch keinen Krieg verloren haben›, wie es einmal heisst, verhandelt er so zwischen zahllosen 1950er-JahreAnspielungen vom ‹Roswell Incident› bis Actor’s Studio und filmischen Verweisen beispielsweise auf Steven Spielberg auch ganz zeitlose bis ziemlich aktuelle Fragen.» (Patrick Seyboth, epd-film.de, 13.6.2023)
SCHNITT Barney
MIT
Schwartzman,
Johansson, Tom Hanks,
Swinton,
Brody, Margot Robbie, Rupert Friend, Bryan Cranston, Jeff Goldblum, Hope Davis, Liev Schreiber, Tony Revolori, Matt Dillon, Sophia Lillis, Steve Park, Edward Norton, Maya Hawke, Steve Carell, Fisher Stevens, Jake Ryan.
THE FRENCH DISPATCH
ASTEROID CITY
THE MISFITS
ASTEROID-CITY-KONSTELLATIONEN
Jeder Wes-Anderson-Film stellt nicht nur eine Einladung dar, sich im Anderson’schen Universum zu verlieren, sondern ist stets auch liebevolle Hommage an die Filmgeschichte. Rund um seinen grandiosen Film Asteroid City lassen wir daher funkelnde Film-Konstellationen aufscheinen mit Some Came Running , The Misfits und Close Encounter of the Third Kind
SOME CAME RUNNING
Sa 7.6. 15:00
So 6.7. 20:45 USA 1958, Farbe, Digital HD, E/d*, 137 REGIE Vincente Minnelli DREHBUCH John Patrick, Arthur Sheekman, nach dem gleichnamigen Roman von James Jones KAMERA William Daniels MUSIK Elmer Bernstein, James Van Heusen (Song) SCHNITT Adrienne Fazan MIT Shirley MacLaine, Frank Sinatra, Dean Martin, Martha Hyer, Arthur Kennedy, Nancy Gates, Leora Dana, Larry Gates, Steven Peck.
«In Vincente Minnellis phänomenal inszenierter und gespielter Geschichte über die Entwurzelung im Amerika der Nachkriegszeit spielt Frank Sinatra einen Kriegsveteranen und ehemaligen Schriftsteller, der dem Alkoholismus verfallen ist und bei der Rückkehr in seine Heimatstadt in Indiana feststellt, dass nichts mehr so ist, wie er es in Erinnerung hatte. Dean Martin ist der reuelose Glücksspieler, mit dem er sich anfreundet, und Shirley MacLaine ist herzzerreissend in einer typischen frühen Rolle als eigensinnige Frau, die ihm hinterherhumpelt, in der Hoffnung, dass er sie lieben wird. Diese Cinemascope-Verfilmung des Romans von James Jones ist zweifellos eines der grossen amerikanischen Melodramen der 1950er-Jahre und steigert sich zu einem frenetischen Karnevalshöhepunkt, der zu Minnellis besten Leistungen zählt. Der Film inspirierte Anderson bei der Konzeption von Asteroid City in seiner Darstellung von kampferprobten Männern, die nach Hause kommen und eine verwundete, verlorene und unwiderruflich veränderte amerikanische Landschaft aus der Mitte des Jahrhunderts vorfinden.»
(Museum of the Moving Image, Jun 2023)
THE MISFITS
Fr 16.5. 18:00 Sa 14.6. 20:45 USA 1961, sw, DCP, E/d*, 125 '
REGIE John Huston DREHBUCH Arthur Miller KAMERA
Russell Metty MUSIK Alex North SCHNITT George Tomasini MIT Marilyn Monroe, Clark Gable, Montgomery Clift, Thelma Ritter, Eli Wallach, James Barton, Estelle Winwood, Kevin McCarthy, Dennis Shaw, Philipp Mitchell.
«Eine frisch geschiedene Nachtclubtänzerin (Marilyn Monroe) lernt in Nevada drei von ihren Lebensverhältnissen enttäuschte Cowboys kennen, bei denen sie Trost sucht. Doch statt des erhofften Abenteuers wird die gemeinsame Jagd auf wilde Pferde zum Albtraum: Die Männer hetzen die Tiere mit Flugzeug und Autos – im Auftrag der Hundefutterindustrie. Der letzte fertiggestellte Film Marilyn Monroes und auch Clark Gables ist ein stiller Abgesang auf den Wilden Westen und die Verlorenheit seiner Figuren, nachdem die Mythen von einer prosaischen modernen Wirklichkeit eingeholt worden sind. Szenen wie Monroes nächtlicher Tanz unter den Bäumen oder die abschliessende Treibjagd sind ins Repertoire der magischen Filmmomente eingegangen.»
(Filmpodium, Feb / Mär 2023, Jul / Aug 2002)
«Elegisch und doch unterhaltsam in seiner Komplexität der Charaktere, ist The Misfits ein typisches amerikanisches Drama der frühen 60er-Jahre über Ausgestossene, und sein Geist ist in Asteroid City zu spüren, sowohl in der Atmosphäre des Schauplatzes als auch in Scarlett Johanssons Rolle. Es war auch eines der am besten dokumentierten Filmsets seiner Zeit, da Magnum einen Exklusivvertrag mit Huston für die Dreharbeiten abgeschlossen hatte.» (Museum of the Moving Image, Jun 2023)
CLOSE ENCOUNTERS OF THE THIRD KIND
Sa 31.5. 20:45 Mi 25.6. 20:45
USA 1977, Farbe, DCP, E/d, 137 ' REGIE und DREHBUCH Steven Spielberg KAMERA Vilmos Zsigmond, Douglas Slocombe, William A. Fraker MUSIK John Williams SCHNITT Michael Kahn MIT Richard Dreyfuss, François Truffaut, Teri Garr, Melinda Dillon, Bob Balaban, Lance Hendricksen.
«In einer Kleinstadt in Indiana soll der Techniker Roy Neary (Richard Dreyfuss) nächtliche Stromausfälle beheben. Die damit verbundenen Lichtphänomene hinterlassen bei ihm einen Sonnenbrand. Der alleinerziehenden Jillian Guiler (Melinda Dillon) ergeht es genauso. Als kurz darauf deren kleiner Sohn Barry (Cary Guffey) spurlos verschwindet, ahnen die zwei, wo sie ihn suchen müssen: bei einem Bergmassiv, das ihnen seit dem nächtlichen Erstkontakt mit den Ufos nicht mehr aus dem Sinn geht. Tatsächlich hat sich dort ein Team aus Wissenschaftlern und Militärs unter Leitung des Franzosen Claude Lacombe (François Truffaut) versammelt, um die Aliens offiziell zu empfangen … Entspannungspolitik auf der Leinwand: Mit seinem ‹Versöhnungsfilm› unterzog Steven Spielberg das von Fantasien des Kalten Krieges geprägte Genre einer gründlichen Revision. Statt Fremdenangst und -hass zu popularisieren, signalisiert sein traum- und märchenhaftes Lichtspiel die humane Botschaft: ‹Fürchtet euch nicht!› Auch ästhetisch ist es mit den überbelichteten Bildern des oscarprämierten Kameramanns Vilmos Zsigmond und den gleissend hellen optischen Spezialeffekten des Science-Fiction-Fachmanns Douglas Trumbull den Idealen der Aufklärung – ‹Enlightenment› – verpflichtet.» (Berlinale 2017)
Vortragsreihe mit Thomas Binotto
RE:VISION 6 / 02
Mi 2.7. 18:30
Wes Anderson ist unbestritten einer der grossen Stilisten des zeitgenössischen Kinos. Aber genau daran, dass jeder Anderson-Film unverkennbar ein Anderson-Film ist, scheiden sich die Geister: Manche Kritiker:innen werfen ihm ein Übermass an Stilwillen und einen Mangel an Emotionalität vor, während andere das verneinen und die Poesie in seiner eigentümlichen Filmsprache betonen. Thomas Binotto nähert sich Anderson weder als Fan noch als Kritiker. Ohne feststehende Kategorisierung macht sich seine «Re:vision» auf die Suche nach dem, was Wes Anderson auszeichnet. Gibt es in The Life Aquatic with Steve Zissou Kontrollverlust und Gefühlsausbrüche zu entdecken?
THE LIFE AQUATIC WITH STEVE ZISSOU
So 18.5. 20:30 Sa 31.5. 18:15 Mi 2.7. 20:45 Wes Anderson, USA 2004, Farbe, DCP, E/d*, 118
Online sind Tickets zu Film und Vorlesung separat erhältlich; vergünstigte Kombitickets gibt es nur an der Kinokasse.
Die «Re:vision» 6/03 findet am Mi 20.8. statt.
Eine Kooperation von Filmpodium und Volkshochschule Zürich.
FAMILIENFILM
Vergnügen für Gross und Klein
DER FANTASTISCHE MR. FOX
Sa 24.5. 15:00 Sa 14.6. 15:00
WORKSHOP FÜR KINDER
Sa 24.5. und 14.6.
USA/GB 2009, Farbe, Digital HD, D (Synchron.), 87 , 8 (10) REGIE Wes Anderson DREHBUCH Wes Anderson, Noah Baumbach, nach dem gleichnamigen Roman von Roald Dahl KAMERA Tristan Oliver MUSIK Alexandre Desplat SCHNITT Ralph Foster, Stephen Perkins, Andrew Weisblum STIMMEN Christian Berkel, Andrea Sawatzki, Norman Matt, Nicolás Artajo, Michael Pan, Joachim Tennstedt, Friedemann Benner, Philipp Moog, Reiner Schöne, Markus Pfeiffer, Jürgen Kluckert, Walter Alich, Uli Krohm.
Eintritt frei, ohne Voranmeldung, ca. 30' Leitung: Stefanie Schlüter, Filmvermittlerin Im Anschluss an die beiden Vorstellungen bietet das Filmpodium einen Workshop f ü r Kinder an. Die Kinder werden auf eine Entdeckungsreise durch die Welt der Filmgestaltung mitgenommen und an einzelne Szenen und Themen des Films herangeführt.
«Mr. Fox, ein sympathischer, etwas selbstverliebter Fuchs, fühlt sich eines Tages zu Höherem berufen und zieht in ein schickes Baumhaus mit Blick
auf die Bauernhöfe von Grob, Grimm und Gräulich. Die Aussicht weckt Erinnerungen an sein früheres Leben als Hühnerdieb. Aus Liebe zu seiner Frau gab er dieses Leben auf und wurde Zeitungskolumnist. Doch nach einer Sinnkrise erwacht ‹das wilde Tier› in ihm, und er kehrt heimlich zu seinen nächtlichen Diebstählen zurück. Die Bauern, empört über den Verlust, setzen alles daran, den Fuchs zu fangen, und wenden immer rabiatere Methoden an. » (Katrin Hoffmann, kinofenster.de, 28.4.2010) Wes Andersons Der fantastische Mr. Fox basiert auf Roald Dahls gleichnamigem Kinderbuch und ist sein erster Film mit Puppenanimationstechnik. Er bleibt jedoch seinem detailversessenen Stil treu, nimmt die Probleme seiner putzigen Protagonisten durchaus ernst und inszeniert diese in ausgetüftelten Sets und wunderbaren Kostümen, die das Herz von Kindern und Erwachsenen erfreuen und uns auf eine spannende Reise mitnehmen.
I N S E L FILME
LICHTSPIELE DES MITTELMEERS
Das Mittelmeer als kultureller Schatz und Sehnsuchtsraum, als Ort der heissen Urlaubstage, des magischen Lichts. Aber auch: eine Region erschüttert durch geopolitische Konflikte, die Flüchtlingskrise und von den Folgen des Klimawandels. Entlang der so zahlreichen wie unterschiedlichen Mittelmeerinseln erzählt Patrick Holzapfel in der von ihm kuratierten Retrospektive die Geschichte dieser Region. Die Filme, die auf Sizilien, Mallorca, Hvar oder Kreta entstanden sind, spiegeln mal dokumentarisch nah, mal poetisch überhöht die mediterranen Lebenswelten der Insulaner:innen wider. Neben so bekannten Namen wie Michael Cacoyannis, Paolo und Vittorio Taviani oder Luchino Visconti verspricht die umfangreiche Retrospektive zahlreiche Entdeckungen und überaus selten gezeigte Filme. Wir freuen uns auf den Vortrag von Patrick Holzapfel über Mallorca und dessen wundersame Werbewelt sowie den Besuch von Helena Wittmann anlässlich ihres neusten Films Human Flowers of Flesh , und besonders auch darauf, das kroatische Filmarchiv mit Raritäten aus seinen Beständen im Filmpodium begrüssen zu dürfen.
Augen der Bauern gesehen hat, die in Kaos (1984) von den Taviani-Brüdern mit ihren Blicken einem Vogel am sizilianischen Himmel folgen, weiss, wie das gemeint ist. Die wiederkehrende Einstellung von Segelschiffen, die auf Inseln ankommen oder von ihnen abfahren, berichtet von einem ständigen Wechsel aus Anfängen und Enden auf den Mittelmeerinseln. Hier, so bekommt man den Eindruck, beginnt oder endet die Geschichte, dazwischen wird im Sinnenrausch gelebt oder tragisch gelitten.
Südeuropäische Geschichte
Diese Geschichten zwischen Tradition und Fortschritt sind nicht neu, sie prägen den Mediterran seit Anbeginn seiner Geschichte. Dennoch hat sich in den Inselgesellschaften stets etwas gehalten, das der italienische Soziologe Franco Cassano einst den «southern thought» nannte, womit er eine Form der südeuropäischen Zeitwahrnehmung und -geschichte meinte, einen Wertekatalog, der dem des gehetzten neoliberalen Daseins diametral entgegensteht. Bilder von langsam gehenden Menschen, im Schatten schlafenden Kindern, dem genussvollen Schluck Wein, tanzenden, freudigen Zusammenkünften folgen Cassanos Idee und versuchen sich in einer Antinarration zielgerichteter Effizienz. Die Bewegung des Inselkinos ist tatsächlich das mäandernde Irren und Zögern des Odysseus, nicht das plotgetriebene Erzählen und Vorwärtsschreiten, das so vieles im Kino dominiert. So unterschiedlich die Inseln und Kulturen sind, das eint sie: ein gerade noch existierender Hauch, in dem der Gesang von Zikaden das Rattern der Maschinen übertönt. Zumindest möchte man daran glauben. Aber nüchtern betrachtet sind die Werte des Südens längst in die Knie gegangen vor den Bedürfnissen des industriellen Nordens. In den letzten Jahren kam es vermehrt zu Protesten gegen den Massentourismus, trotzdem werden weiter Hotels gebaut.
Momente der Trauer
Wie kaum in einer anderen Region Europas reiben sich am Mediterran die Wirklichkeiten an den Mythen, der Raum an der Zeit, die Lebenslust an den politischen Fatalitäten. Oft als Wiege der nicht nur westlichen Zivilisation bezeichnet, erscheinen die im Mittelmeer verteilten Inseln wie archaische Überbleibsel längst vergangener Lebensformen und empfindliche Marker einer sich rasch verändernden Welt zugleich. Kein Wunder, dass auch die Geschichte des Kinos in dieser Welt aus Duft und Farbe ihre Spuren hinterlassen hat. Schliesslich fühlen sich Filme besonders dort wohl, wo die Zeit anderen Gesetzen gehorcht. Und dort, wo das Licht regiert. Auf Inseln wie Sardinien, Korsika,
Cres, Hvar, Malta, Hydra, Kreta, Zypern, Mallorca oder Sizilien berichten die Filmschaffenden vom schweren Leben der Bauern und Fischer, vom Aufwachsen am Meer, von brutalen kriegerischen Konflikten um geografisch wichtige Orte und von den Dramen wie den Komödien der Isolation.
Dabei erscheint das Gelände wie ein Schmelztiegel zeitgenössischer Themen: Von Klimawandel über Massentourismus, vom Hass zwischen verschiedenen Religionen bis zur Migrationskrise dient das Mittelmeer nicht nur als Schauplatz dessen, was die Welt beschäftigt, oft stehen diese Themen in einer erstaunlichen Nähe zueinander. Es überrascht nicht, dass der grosse kroatische Schriftsteller Predrag Matvejević den Mediterran einst als Meer der Nachbarschaft bezeichnete. Tatsächlich sieht man in Totalaufnahmen meist ein unbekanntes Land schimmern am Horizont, alles scheint erreichbar, die nächste Insel ist nicht weit, das löst einen Reisehunger aus, eine unbändige Lust am Erzählen und Fantasieren. Wer einmal das Glänzen in den
Doch das Kino ist nicht unschuldig. Den aufrichtigen Bildern von bedrohten Lebensformen, die beispielsweise die Filme Vittorio De Setas oder Ante Babajas ( Lost Homeland , 1980) prägen, stehen unzählige «falsche» Bilder der Tourismusindustrie entgegen, schöne Postkartenmotive und kapitalistische Versprechen einer Erholung vom Alltag, die auf Kosten jener geht, die dort ihr Leben aufgebaut haben. So hat die globale Werbeindustrie längst entdeckt, dass sich alles auf Mallorca verkaufen lässt, vor allem aber Mallorca selbst. Fast scheint es, als wären die Inseln im Besitz dieser (Bilder-)Industrie, die in den Landschaften nur mehr Tourismus erkennt. Das mit der Kultur der Inseln verbundene Begehren nach Freiheit wird erschüttert von Armut, finanziellen Abhängigkeiten und zynischen politischen Systemen, die Zäune um die Küsten errichten, an denen einst Odysseus strandete. Heute würde Odysseus Ithaka nie erreichen, so viel ist klar. Die Mittelmeerinseln sind zurzeit zweifache Destination, einmal für einen Urlaub, einmal für ein besseres Leben. Eine Adaption Homers wie Nostos: Il ritorno (1989) von Franco Piavoli zeigt, wie sehr unsere westlichen Vorstellungen von Schönheit und ethischer Gerechtigkeit an einer Demut vor den Reisenden hängen und vor der Landschaft, von der wir uns ernähren. Von der Kollision des Himmelblau mit dem Schrei der Ertrinkenden, dem Geschmack von Salz in der Luft mit den versiegenden Träumen einer Utopie berichten die Filme der Reihe mal romantisch, mal ironisch, mal wütend, mal sanft, immer ein bisschen wie das Meer, das hier alles bestimmt.
Die Geschichten und Traditionen der Inseln verschwinden, das Kino leistet einen kleinen Beitrag, an sie zu erinnern, sie zu bewahren. Wer Meerespflanzen filmt wie Helena Wittmann in Human Flowers of Flesh (2022), beweist für die Zukunft, dass es sie gegeben hat. Wer filmt, wie Menschen auf Hydra in den Cafés alte Lieder singen, wie Michael Cacoyannis in seinem A Girl in Black (1956), bewahrt ein Stück Kultur. Allerdings mischt sich ein Moment der Trauer in diese Bilder, denn was man sieht, das, was den Inseln eigen ist, ist stets im Verschwinden begriffen. Nur eines ist gleichbleibend: Das Kino der Inseln wird von der Natur beherrscht, es gibt da kein Entkommen, egal ob die korsische Küste in Flammen steht, die griechischen Inseln erzittern, die Vulkane im Tyrrhenischen Meer brodeln, etwas bewahrt sich unzugänglich und stolz eine Unabhängigkeit vom überall spürbaren menschlichen Eingriff. Pinien, Orangen, Zypressen und Oliven überdauern die Zeit, sie erzählen vom Durst und von der Sonne, und wer die nicht achtet, ist ohnehin verloren in den scheinbar ewigen Sommern. In vielen Filmen erzählt das Licht, das auf eine Weintraube fällt, genauso viel vom Leben wie die Tränen der in den patriarchalen Inselgesellschaften oftmals unterdrückten Frauen. Das ist keine Flucht in eine Naturästhetik, sondern eine Reibung an Lebensformen zwischen Erde und Mensch, deren gegenseitige Abhängigkeit besonders dort virulent wird, wo Menschen von der Erde leben und abhängig sind von den Gezeiten, den Launen des Meeres. In manchen Sequenzen scheint es, als würden das Licht, die Wellen und der unablässig wehende Wind die Filmschaffenden fragen: Welche Geschichten wollt ihr erzählen, welche Menschen wollt ihr zeigen? Gebt Acht, der Schein trügt, hier stammen alle von Abenteurern ab, wie sonst wäre irgendwann irgendwer auf eine Insel gekommen? Die Figuren sind schweigsam, geheimnisvoll oder sie täuschen uns, um zu überleben. Aber ihr Blick ist warm, sie wissen, dass man nur zusammen überlebt, und das Kino lebt noch einmal auf in diesen Welten der Erinnerungen, Friedhöfen, idiosynkratischen Sprachen, unwirtlichen Küsten und immer wieder auch im Blick aufs Meer, von dem Paul Valéry einst schrieb, es sei ein langes Hinschauen auf der Götter Ruhm!
Patrick Holzapfel arbeitet als Autor, Filmemacher und freier Kurator. Im Juni 2024 erschien sein Debütroman «Hermelin auf Bänken» bei den Rohstoffen von Matthes & Seitz. Er ist Herausgeber und Chefredakteur von «Jugend ohne Film» und setzt sich dort für literarische Filmkritik ein.
Essay von Patrick Holzapfel
LA TERRA TREMA
LA TERRA TREMA
Fr 16.5. 14:45 Do 29.5. 20:15 Mo 9.6. 17:30
Italien 1948, sw, DCP, I/e, 160 REGIE Luchino Visconti DREHBUCH Luchino Visconti, Antonio Pietrangeli, nach dem Roman «I malavoglia» von Giovanni Verga KAMERA G. R. Aldo MUSIK Willy Ferrero SCHNITT Mario Serandrei MIT Einwohner:innen des Dorfs Aci Trezza, Kommentar gesprochen von Luchino Visconti und Antonio Pietrangeli.
Der herausragendste Film des Neorealismo ist eine leidenschaftlich marxistische Studie der Arbeitsbedingungen von Fischer:innen in Aci Trezza auf Sizilien. Basierend auf einem Roman Giovanni Vergas und mit einer schlicht unglaublichen, den Menschen zugewandten Kameraarbeit von G. R. Aldo folgt Luchino Visconti der traditionellen Fischerfamilie Valastro in einer von korrupten, machtgierigen Fischhändlern dominierten Gesellschaft. Sie nimmt eine Hypothek auf ihr Haus auf, um sich selbstständig zu machen. Ein folgenschwerer Schritt in einer von den Launen des Meeres abhängigen Welt. Der quasidokumentarische Zugang mit Laiendarsteller:innen erhebt sich zu einem epischen Kampf um menschliche Würde. Eine entscheidende Rolle dabei spielen das Meer und die Natur, die sich zu eigenen Protagonist:innen entwickeln, die im krassen Gegensatz zu den feudalen, kapitalistischen oder neoliberalen (je nachdem, aus welcher Zeit man den Film betrachtet) Systemen stehen. (ph)
INSELN ZWISCHEN
TRADITION UND MODERNE: KROATISCHE KURZFILME
Di 17.6. 18:30
Einführung von Juraj Kukoč, Filmarchivar Kroatisches Staatsarchiv, in Englisch, 15'
Fünf Kurzfilme, die das Inseldasein im ehemaligen Jugoslawien aus mal romantischen, mal ironischen, mal realistischen Blickwinkeln beleuchten und so ein vielschichtiges Bild dieser malerischen Gegenden ermöglichen, und zwar aus der Sicht jener, die dort leben und gelebt haben. Autumn on the Island of Brač beschäftigt sich mit traditionellen Lebensformen auf Brač, Mediterranean Windows hinterfragt den romantischen Blick des ersten Films und thematisiert die Bedeutung von Fenstern auf der Insel – durch sie wird spioniert, gestritten und gelästert. Lonely Islands offenbart die harsche Wirklichkeit einer Familie, die im Archipel Kornati lebt. Under the Summer Sun schafft einen süffisanten Ausgang aus der Armut auf Korčula, indem die Inselbewohner alles an Touristen verkaufen und Affären mit den Reisenden beginnen. In the Winter Sun zeigt schliesslich das Leben der alten Menschen auf Hvar, nicht umsonst im Winter, wenn die Insel einmal zur Ruhe kommt und keine Touristen da sind. (ph)
SACRO E PROFANO –VITTORIO DE SETAS KURZFILME
Mo 26.5. 18:30 Fr 13.6. 18:30
Vittorio De Setas Kurzdokumentationen gelten als Heiliger Gral des Kinos. Martin Scorsese schwärmte einst von einem Filmemacher, der «die Wirklichkeit nicht nur aufzeichnet, sondern lebt». De Seta, der sich in den 1950erJahren von der italienischen Filmindustrie abwandte, um diese bildgewaltig-ethnografischen Poeme in eigener Produktion zu drehen, kennt die Vorgänge, die er filmt, en détail. Er weiss, wann die Thunfische aus dem Wasser springen und wie das Licht der Grubenlampe auf die geschundenen Körper der Arbeiter fällt, er kennt die Gesänge der Gläubigen beim Passionsspiel und das Pfeifen der Hirten im sardischen Hinterland. Die prekäre Arbeit verschmilzt in seinem Blick mit der kargen Landschaft. Statt einer Stilisierung geht es ihm darum, die Würde der Menschen zu zeigen. Viele der Bräuche und Arbeitsweisen, die er zeigt, sind inzwischen ausgestorben. Die Beziehung zum Land wurde abstrahiert. Näher sind Filme nie an manche Gedichte gekommen, die mit wenigen Zeilen alles sagen. (ph)
AUTUMN ON THE ISLAND OF BRAČ
JESEN NA OTOKU BRAČU
Jugoslawien 1957, Farbe, 35 mm, OV/e*, 14 REGIE und DREHBUCH Branko Belan KAMERA Jure Ruljančić SCHNITT Mira Janjić Belan.
MEDITERRANEAN WINDOWS
MEDITERANSKI PROZORI
Jugoslawien 1960, sw, 35 mm, OV/e*, 10 ' REGIE und DREHBUCH Branko Belan KAMERA Oktavijan Miletić MUSIK Aleksandar Bubanović SCHNITT Mira Belan.
LONELY ISLANDS
SAMOTNO OTOČJE
Jugoslawien 1955, Farbe, 35 mm, OV/e*, 14 REGIE und DREHBUCH Rudolf Sremec KAMERA Frano Vodopivec SCHNITT Radojka Golik.
UNDER THE SUMMER SUN POD LJETNIM SUNCEM
Jugoslawien 1961, sw, 35 mm, OV/e*, 14 REGIE und DREHBUCH Obrad Gluscevic KAMERA Ilija Vukas MUSIK Katja Majer.
IN THE WINTER SUN
NA ZIMSKOM SUNCU
Jugoslawien 1969, sw, 35 mm, OV/e*, 16 ' REGIE und DREHBUCH Obrad Gluščević KAMERA Frano Vodopivec SCHNITT Katja Majer.
GIRL IN BLACK TO KORITSI ME TA MAVRA
Sa 17.5. 20:45 So 25.5. 20:45 So 29.6. 15:00
Griechenland 1956, sw, DCP, Gr/e, 100 REGIE und DREHBUCH Michael Cacoyannis KAMERA Walter Lassally MUSIK Arghyris Kounadis SCHNITT Emilios Proveleggios MIT Ellie Lambeti, Dimitris Horn, Giorgos Foundas, Eleni Zafeiriou, Stephanos Stratigos, Notis Peryalis, Anestis Vlahos, Thanassis Veggos, Nikos Fermas.
ISOLE DI FUOCO
Vittorio De Seta, Italien 1954, Farbe, DCP, I/e, 11
SURFARARA
Vittorio De Seta, Italien 1955, Farbe, DCP, I/e, 10'
PARABOLA D ’ ORO
Vittorio De Seta, Italien 1955, Farbe, DCP, I/e, 11'
PASQUA IN SICILIA
Vittorio De Seta, Italien 1955, Farbe, DCP, I/e, 11'
CONTADINI DEL MARE
Vittorio De Seta, Italien 1955, Farbe, DCP, I/e, 10'
PESCHERECCI
Vittorio De Seta, Italien 1958, Farbe, DCP, I/e, 11
PASTORI DI ORGOSOLO
Vittorio De Seta, Italien 1958, Farbe, DCP, I/e, 11 '
UN GIORNO IN BARBAGIA
Vittorio De Seta, Italien 1958, Farbe, DCP, I/e, 14'
Eine in schwarze Kleider gehüllte Frau huscht entlang des weissen Gemäuers auf der griechischen Insel Hydra. Sie fürchtet jeden Schritt. Ihre Familie wird von der reaktionär-patriarchalen Inselgemeinschaft geächtet, seitdem ihre verwitwete Mutter mit anderen Männern schläft. Zwei Männer aus Athen kommen auf die Insel, um sich zu erholen. Einer verliebt sich in die Tochter, Ausgang eines Melodrams, in dessen Kern die Frage nach weiblicher Selbstbestimmung in einer Atmosphäre der von Männern geschürten Angst arbeitet. Michael Cacoyannis, der unter anderem einen Golden Globe für diesen Film einheimste, findet im Aufeinandertreffen von Zärtlichkeit und Gewalt eine mythologische Tragik. Eine Reihe an Nahaufnahmen von besorgt aufs Meer schauenden Frauen erzählt viel: Ihre nervösen, zerfurchten Gesichter, der Schmerz eingeschrieben in diesen ihnen feindlich gesinnten Inselgesellschaften, die Befürchtung des nächsten Unheils lauert bereits in den Mundwinkeln, und es wird kommen, garantiert. (ph)
LA TERRA TREMA
BANDITI A ORGOSOLO
Do 22.5. 20:30 So 1.6. 15:00 Mo 23.6. 18:15
Italien 1961, sw, DCP, I/e, 98
REGIE und KAMERA Vittorio De Seta DREHBUCH Vera Gherarducci, Vittorio De Seta MUSIK Valentino Bucchi SCHNITT Jolanda Benvenuti MIT Michele Cossu, Vittorina Pisano, Peppeddu Cuccu.
Gedreht bei der titelgebenden Kleinstadt auf der Hochebene des Supramonte auf Sardinien, die durch den Film zu ihrer eigenen Kultur der politisch motivierten Wandmalerei (Murales) gefunden hat, entfaltet sich diese neorealistische Kriminalparabel von Vittorio De Seta, in der ein unschuldiger Schafhirte vom brachliegenden System ins Verbrechen getrieben wird. De Seta filmt nicht einfach eine Handlung mit Laiendarstellern, er lässt soziale und geografische Wirklichkeiten zu bestimmenden Elementen werden und zeigt so auf, wie Vorurteile oft jene treffen, die ganz unten in der Gesellschaft stehen.
Als Vorfilm eine von Jacques Tati gedrehte und von seiner Tochter Sophie Tatischeff fertiggestellte Beobachtung der absurden Begebenheiten im korsischen Bastia während der die ganze Stadt in Beschlag nehmenden Vorbereitungen auf ein in Matsch und Regen versinkendes Europapokalspiel des lokalen Fussballvereins. (ph)
FORZA BASTIA Vorfilm
Frankreich 1978, Farbe, DCP, OV/d*, 26 REGIE Jacques Tati, Sophie Tatischeff DREHBUCH Jacques Tati KAMERA Yves Agostini, Henri Clairon, Alain Pillet SCHNITT Florence Bon.
ATTILAS 74
Mi 28.5. 15:00 Do 26.6. 18:30 Zypern 1975, Farbe, DCP, OV/e, 103 REGIE und DREHBUCH Michael Cacoyannis KAMERA Sakis Maniatis MUSIK Mihalis Hristodoulidis SCHNITT Michael Cacoyannis, Vivien Sammut-Smith. Im Zuge der türkischen Invasion Zyperns 1974 drehte Michael Cacoyannis diese persönliche, wütende und polarisierende Auseinandersetzung mit den Ereignissen, die zur Zwangsverdrängung von über 200 000 Menschen mit griechisch-zypriotischen und türkisch-zypriotischen Wurzeln führte. Im Vorspann nennt der Filmemacher sein Unterfangen ein «Zeugnis», und tatsächlich sammelt er eine beklemmende Reihe an Bild- und Tonaufnahmen, die von Menschenrechtsverbrechen berichten. In zahlreichen Interviews wird unter anderem eine Anklage gegen die griechische Junta, die britische Politik und den Einfluss der USA formuliert. Angemerkt sei, dass im Film, auch aufgrund seiner fehlenden zeitlichen Distanz, Stimmen der türkischen Minderheiten fehlen. Das ist nicht nur eine Leerstelle, sondern sorgt für eine nationalistische Färbung der Position des Regisseurs. Als unvergleichliches Zeitdokument ist diese Arbeit dennoch essenziell für ein Verständnis der zypriotischen Geschichte und Gegenwart. (ph)
KURZFILMPROGRAMM MÉDITERRANÉE
Mi 21.5. 18:30 Mo 2.6. 21:00
Mi 21.5. 18:30
Einführung von Patrick Holzapfel, 15'
Ein Kurzfilmprogramm auf der Suche nach dem Wesen mediterraner Kultur rund um die im Meereslicht badende Reise Jean-Daniel Pollets, ein einzigartiger Filmessay über die Wiege unserer Vorstellungen von Raum und Zeit, ein Film, der den Wellen, Winden und Fantasien verpflichtet ist. In Pollets Méditerranée verbinden sich ein Verständnis für Natur, Mythen und Geschichte. Diese Geschichte des Mittelmeers prägte wie kaum eine andere Kultur auch dessen wohl berühmteste Insel: In Venedig von Kurt Steinwendner lässt sich die sinkende Stadt in Cinemascope in ihren Spiegelungen neu entdecken. Aus diesen filmisch überwältigenden Hinwendungen an eine mediterrane Weltsicht entsteht fast automatisch eine Utopie des südlichen Lebens. Ben Russell findet sie auf Malta, er nennt seinen Film Atlantis, nach der versunkenen Stadt, die sich die Menschen vorstellen, wenn sie aufs gestaltlose Blau starren und den Rausch des Lebens in sich spüren, vergänglich und enthusiastisch. (ph)
MÉDITERRANÉE
Frankreich 1963, Farbe, DCP, OV/e, 44
REGIE Jean-Daniel Pollet DREHBUCH Philippe Sollers
KAMERA Jean-Daniel Pollet, Jean-Jacques Rochut MUSIK Antoine Duhamel SCHNITT Jackie Raynal.
ATLANTIS
Ben Russell, USA/Malta 2014, Farbe, DCP, OV/e, 24
VENEDIG
Kurt Steinwender, Österreich 1962, Farbe, 35 mm, ohne Dialog, 11
LOST HOMELAND
Do 5.6. 18:30 Mo 16.6. 20:45
Jugoslawien 1980, Farbe, 35 mm, OV/e, 98 REGIE Ante Babaja DREHBUCH Ante Babaja, Novak Slobodan KAMERA Goran Trbuljak MUSIK Andjelko Klobucar SCHNITT Martin Tomic MIT Nereo Scaglia, Zvonimir Crnko, Miljenko Muzic, Neda Spasojevic, Ines Fancovic, Ivo Gregurevic, Ante Vican.
Mit spürbarer Solastalgie (jenem Verlustgefühl, das einsetzt, wenn die eigene Heimat sich verändert) beleuchtet Ante Babaja mit der ihm eigenen Mischung aus proustianischem Spielfilm und visueller Lust an den glänzenden Oberflächen der Natur die Erinnerungen eines Mannes an sein Aufwachsen auf der nordadriatischen Insel Cres. Basierend auf dem gleichnamigen Roman von Slobodan Novak zeigt der Film einen irreversiblen Wandel von landwirtschaftlichen Strukturen mit Schafherden, Thunfischfang und Weinernten hin zum Tourismus mit deutschen Urlaubern, die mit Luftmatratzen im Hof stehen und grillen. Ohne zu moralisieren, offenbart der Film, wie sehr dieser Wandel einen zerstörerischen Riss in einer Kultur manifestiert, die ihr Wissen von der Inselwelt zwischen den Generationen weitergegeben hat. Das Wissen wird nutzlos, die Menschen heimatlos. Wer gern in den Urlaub fährt, sollte diesen Film sehen. Er zeigt den Preis der Erholung, das Verschwinden einer Wirklichkeit, die zur blossen Erinnerung wird. (ph)
HAPPY DAY
Mi 21.5. 20:45 Sa 31.5. 15:00 Griechenland 1976, Farbe, DCP, Gr/e, 105 ' REGIE und DREHBUCH Pantelis Voulgaris KAMERA Giorgos Panousopoulos MUSIK Dionysis Savvopoulos SCHNITT Aristeidis Karydis-Fuchs MIT Zorz Sarri, Giorgos Moshidis, Stavros Kalaroglou, Nikos Bousdoukos, Kostas Fyssoun, Konstantinos Tzoumas, Stathis Giallelis.
Das Meer schillert purpurn in den Abendstunden, aber das Leben auf der Insel ist die Hölle. Regisseur Pantelis Voulgaris verarbeitet seine Gefangenschaft auf der Insel Makronissos während der rechtsextremen Junta, die Griechenland von 1967 bis 1974 beherrschte. Vom ironischen Titel bis zu den unmenschlichen Bedingungen auf dem im Film unbenannt bleibenden, felsigen Eiland entfaltet sich eine absurde Farce als Allegorie, die ein so abstraktes wie präzise analysiertes
Bild faschistischer Unterdrückung zeigt. So müssen die Gefangenen Fliegen fangen oder ein Theaterstück aufführen, um nach aussen zu zeigen, wie gut es ihnen doch geht. Dabei ergibt sich nie eine zusammenhängende Geschichte, alles bleibt fragmentarisch, als könne man nicht anders vom Grauen berichten als in der Zerstückelung der Eindrücke. Im wiederholten Schwenken über die Insellandschaft Griechenlands sucht der Filmemacher nach einer verloren gegangenen Identität trotz des falschen Mythos der glücklichen Tage. (ph)
MÉDITERRANÉE
VENEDIG
KAOS
So 18.5. 15:00 So 25.5. 14:30 So 15.6. 18:30
Italien/Frankreich 1984, Farbe, DCP, OV/d, 188 REGIE Paolo und Vittorio Taviani DREHBUCH Paolo und Vittorio Taviani, Tonino Guerra AUTOR Luigi Pirandello KAMERA Giuseppe Lanci MUSIK Nicola Piovani, Wolfgang Amadeus Mozart SCHNITT Roberto Perpignani MIT Margarita Lozano, Claudio Bigagli, Massimo Bonetti, Enrica Maria Modugno, Franco Franchi, Ciccio Ingrassia, Biagio Barone, Salvatore Rossi, Omero Antonutti, Regina Bianchi.
Die Taviani-Brüder erschaffen einen märchenhaften Reigen als bezaubernde Hommage an die Landschaft und Geschichte Siziliens sowie an einen der grössten von der Insel stammenden Autoren, den Nobelpreisträger Luigi Pirandello. Ausgehend von vier Novellen, die vom majestätischen Flug einer Rabenkrähe über den felsigen Gegenden um Pirandellos Geburtsort zusammengehalten werden, berichtet der Film in so magischen wie grotesken Bewegungen von der Emigration in die USA, Werwölfen, Geistern, Terracotta-Vasen, dem Zusammenleben mit der Natur und dem Kampf der Bauern und Bäuerinnen gegen den Feudalismus. Bis zum unvergesslichen Epilog, in dem Kinder auf der Insel Lipari nördlich von Sizilien über hell leuchtende Bimssteinküsten ins Meer rutschen, hält sich eine der Region eigene Durchmischung von Schönheit und Gewalt, Barbarei und Menschlichkeit, fehlender Bildung und utopischen Potenzialen sowie einer anhaltenden Trauer über den Verlust bestimmter Lebensformen an den Küsten des Tyrrhenischen Meeres. (ph)
NOSTOS: IL RITORNO
Do 22.5. 18:15 Fr 13.6. 15:00 Italien 1989, Farbe, 35 mm, OV, 87 REGIE, DREHBUCH, KAMERA und SCHNITT Franco Piavoli MUSIK Luca Tessadrelli, Giuseppe Mazzucca MIT Luigi Mezzanotte, Branca De Camargo, Alex Carozzo, Paola Agosti, Giuseppe Marcoli, Mariella Fabbris.
Do 22.5. 18:15
Einführung von Patrick Holzapfel, 5'
In seiner Adaption der «Odyssee» Homers beschwört Franco Piavoli die Landschaften des Mittelmeers, um noch einmal den grössten Mythos der Geschichte zum Leben zu erwecken. Fast gänzlich ohne Dialoge (die wenigen Worte in einer erfundenen mediterranen Sprache) folgt der Film dem von Krieg und Heimweh gezeichneten Helden auf seinen Irrwegen zurück nach Ithaka. Er droht zu ertrinken, verführt zu werden, verloren zu gehen und widersteht doch allem. In atemberaubender Manier versteht es Piavoli, die Mythen aus der gefilmten Natur entstehen zu lassen, als wäre er ein Zeitgenosse jener, die sie als Erste aufschrieben. Der Gesang der Sirenen hängt so an aus Felshöhlen schallenden Echos, das Inselparadies Kalypsos entsteht im Sinnenrausch berauschender Flora und Fauna. Piavoli zeigt den Menschen im Austausch mit seiner Umgebung die Geburt der Fiktion aus der Beobachtung der Welt. Wäre die Schönheit der Erde ein Grund, nicht zu blinzeln, würde man die Augen austrocknen lassen für diesen Film. (ph)
LAMPEDUSA IM WINTER
Di 27.5. 20:45 Mi 11.6. 21:00 Österreich/Italien/Schweiz 2015, Farbe, DCP, OV/d, 93 REGIE und DREHBUCH Jakob Brossmann KAMERA Christian Flatzek, Serafin Spitzer SCHNITT Nela Märki.
Die italienische Insel Lampedusa ist erste Anlaufstelle für Menschen, die aus Afrika nach Europa flüchten. Jakob Brossmann besucht den Ort im Winter, um das Verhältnis der Inselbewohner:innen zu den Flüchtenden zu betrachten. Er findet eine Welt vor, in der ein Fischer:innenstreik und ein Migrant:innenprotest nebeneinander existieren, eine Welt des Kampfes um Gerechtigkeit und Würde. In den beengenden, grausamen, von fragwürdigen politischen Entscheidungen geprägten Szenarien drohen humanistische Ansätze zu ersticken. Der Film sucht nach Bildern, die nicht den manipulativen, herablassenden Motiven der Medien entsprechen. Die Gegenwart des Mediterrans ist geprägt von jenen, die im Meer ertrinken müssen. Diesem Schandfleck eines geografischen Geländes, das seit jeher vom Gegenüber der Kulturen geprägt wurde, stellt Brossmann die Empathie der Bewohner:innen Lampedusas entgegen, etwa jene der Betreiber:innen eines Museums, in dem Treibgut der Ertrunkenen ausgestellt und letzte aufgeschriebene Worte erhalten werden. (ph)
HUMAN FLOWERS OF FLESH
Di 3.6. 20:15 Do 19.6. 18:15
Deutschland/Frankreich 2022, Farbe, DCP, OV/d, 106 REGIE, DREHBUCH und KAMERA
Di 3.6. 20:15
Anschliessend: Q&A mit Helena Wittmann
Helena Wittmanns mediterrane Erkundung ist eine filmische Lektion über Offenheit, Materialität und sich in eine Landschaft einschreibende Geschichten. Das äusserst feine Handlungsskelett folgt einer internationalen Schiffscrew rund um die in einer traumähnlichen Wirklichkeit geisternde Ida auf den Spuren der Légion Étrangère zwischen Marseille, Korsika und Sidi bel Abbès. Statt militärischen Zielen geben sich die Reisenden den Strömungen der Sinnlichkeit und Lyrik hin. Wie bereits in Wittmanns Drift ist das Meer selbst formales Vorbild für den Film, der wie Wellen an Land schwappt, um alles fluide und grenzenlos erscheinen zu lassen. So überlappen sich Bewegungen von gestern und heute, und der Mediterran wird noch einmal utopisches Zusammenlaufen der Welt statt Grenze zwischen Ost und West, Süd und Nord. Nicht zuletzt durch die schöne Verbeugung vor Beau travail von Claire Denis zeigt sich, dass diese Wellen auch das Kino beherrschen könnten, ein Kino auf hoher See. (ph)
SMILE YOU ARE IN SPAIN
Mo 16.6. 18:30
Vortrag von Patrick Holzapfel, 60'
Der Fund des achtminütigen Filmfragments Mallorca (1934) von María Forteza galt als kleine Sensation in Spanien, ist es doch der früheste spanische Tonfilm einer Frau. Zu sehen sind, wie oft bei Filmen, die auf den Balearischen Inseln spielen, eloquent gefilmte Landschaftsaufnahmen der Insel. Augenscheinlich allein zu diesem Zweck bereits in den 1920er-Jahren gegründete Produktionsfirmen setzen ihre Tätigkeit bis heute indirekt als globale Werbeindustrie fort, die auf Mallorca eine Heimat für Nivea oder Porsche gefunden hat. Die Stars dieses «Kinos» heissen Jürgen Klopp oder Boris Becker. Das Leben ist schön in diesen Clips, aber nicht erst, als letztes Jahr Zehntausende Inselbewohner:innen auf die Strassen gingen mit «Tourists Go Home!»-Schildern, kam das werbeträchtige Bild der Insel ins Wanken.
Ein experimenteller Abend mit dem Kurator der Reihe, Patrick Holzapfel, der versucht, in den Werbebildern Spuren der Wirklichkeit zu entdecken, und der die Geschichte längst verlorener Inselkulturen erzählt. (ph)
Helena Wittmann MUSIK Nika Son SCHNITT Helena Wittmann MIT Angeliki Papoulia, Vladimir Vulević, Mauro Soares, Gustavo de Mattos, Ferhat Mouhali, Steffen Danek, Denis Lavant.
LAMPEDUSA IM WINTER
KAOS
P HANTAS!E MA CHI N E
Während vieler Jahre war Martin Girod visionärer und umtriebiger Ko-Leiter des Filmpodiums Zürich. Vor 20 Jahren ist er in den wohlverdienten (Un-)Ruhestand getreten. Martin ist unserem Kino aber in all den Jahren mit Rat und Tat auch weiterhin zur Seite gestanden. Nun ist er so richtig zurück mit einem Programm, das die visuelle und narrative Kraft des Kinos jenseits ausgetretener und konventioneller Pfade feiert. Lassen Sie sich verzaubern, betören, verunsichern und beflügeln von Martin Girods Phantasiemaschine Kino. Als besonderes Highlight freuen wir uns, mit Ildikó Enyedi und István Szabó gleich zwei grosse Regiepersönlichkeiten begrüssen zu dürfen, deren Einfallsreichtum und Poesie nicht nur beglücken, sondern auch tiefere Wahrheiten im Licht des Projektors aufleuchten lassen.
Essay von Martin Girod
Kennen Sie dieses Gefühl: Man sitzt im Kino, sieht einen Film und kann – obwohl er brandneu ist – sich des Gefühls nicht erwehren, diesen Film schon mehrfach gesehen zu haben? Dieses Déjà-vu ist die Konsequenz einer Risiken scheuenden Produktionsstrategie, die einmal Erfolgreiches noch und noch kopiert in der (oft trügerischen) Annahme, das Rezept zur Wiederholung des Erfolgs zu besitzen.
In unserer Hommage an das Kino als Phantasiemaschine wird es Ihnen bestimmt nicht so ergehen (aber das dürfen Sie im Filmpodium ja ohnehin voraussetzen). Mit der «Phantasiemaschine» sind hier nicht Fantasy- und ähnliche Filme gemeint, die eine phantastische Geschichte mit den altbekannten Mitteln des illusionistischen Kinos erzählen. In diesem Programm feiern wir die gestalterische Phantasie der Regisseurinnen und Regisseure.
Jean-Luc Godard wird der Satz zugeschrieben: «Jede Geschichte hat einen Anfang, eine Mitte und ein Ende – nur nicht unbedingt in dieser Reihenfolge.» Wie so oft verbirgt sich in seinem scheinbar tiefsinnigen Geraune eine Binsenwahrheit. Zugleich führt der Satz aber in die Irre, weil er implizit voraussetzt, dass ein Film eine Geschichte – und genau eine Geschichte – erzählt. Als könne ein Film nicht mehrere Geschichten, ja eine Vielzahl von Minigeschichten erzählen – oder gar keine.
das Vergnügen am Einfallsreichtum. Darüber hinaus aber nehmen sie uns als Publikum ernst. Ihre Regisseurinnen und Regisseure appellieren an unsere Vorstellungskraft und unseren Verstand, im Wissen darum, dass aus dem Gesehenen letztlich immer erst im Kopf der Zuschauenden der Film zu Ende gestaltet wird.
Das erfordert eine wache Rezeption – wie jeder Theaterabend, jeder Konzertbesuch, jede Autorenlesung und jede Kunstausstellung. Sie werden für das bisschen investierte Energie mit Sicherheit reich belohnt werden durch das Vergnügen an filmischen Highlights der nicht schon x-mal gesehenen Art. Dabei werden Sie nicht eine Alternative zum standardisierten Film erleben, sondern staunen, wie kreativ immer wieder anders die filmischen Mittel sich künstlerisch nutzen lassen. Die einen konzentrieren sich zwar auf eine Geschichte, doch erzählen sie sie in ungewohnter Chronologie (Peppermint Candy), andere verbinden mehrere Geschichten, die sich erst in unserem Kopf zu einem Ganzen fügen ( Mon oncle d’Amérique , Dodeskaden ). Fiktive Szenen treffen mit halb dokumentarischen oder echten Dokumenten zusammen (Interview). Vergangenheit und Filmgegenwart vermischen sich in mehreren dieser Werke. Ebenso die Filmrealität mit imaginären Bildern von Träumen, Wünschen oder Verklärungen ( Apa ).
Zudem lenkt Godards Satz die Aufmerksamkeit allein auf den dramaturgischen Aufbau. Von da ist der Weg kurz zu den verbreiteten, angeblich allein Erfolg versprechenden Rezepten des «Storytelling», die weitgehend vom klassischen Hollywoodkino abgeleitet sind. Nun hat dieses unbestreitbar eine Menge erfolgreicher Filme hervorgebracht und auch viele zu Recht berühmte Meisterwerke. Aber es geht – das soll dieses Programm vor Augen führen – auch ganz anders. Verlässt man die von Hollywood und seinen Nachahmern ausgetretenen Pfade, erschliesst sich ein weites, äusserst vielfältiges Feld an Ausdrucksformen.
Die Illusion von «Realität» Ein anderer berühmt gewordener Satz des Meisters aus Rolle – der mit Filmen wie Vivre sa vie und Pierrot le fou in den 1960er-Jahren selbst nachhaltig an den klassischen Filmformen gekratzt hat – trägt ebenfalls zu Missverständnissen bei: Der Film sei die Wahrheit, 24-mal pro Sekunde. Nun fängt die Filmkamera zwar getreulich die sich vor dem Objektiv befindliche äussere Wirklichkeit in 24 Bildern pro Sekunde ein, aber sie verschweigt dabei alles, was hinter dieser Oberfläche und ausserhalb des Bildausschnitts liegt. Die «Wahrheit» ist dabei ebenso eine Illusion wie der Bewegungseindruck, den der Film durch die rasche Abfolge der fixen Einzelbilder erzeugt.
Ein in der traditionellen Art konzipierter Film will, dass wir für die Dauer einer Kinovorstellung ganz in die Filmerzählung eintauchen, der Illusion der Film-«Realität» erliegen und darüber vergessen, dass wir im Kino sind. Er nimmt uns wie kleine Kinder an der Hand und führt uns durch seine Geschichte, stimuliert unser Fühlen und Denken in der beabsichtigten Richtung. Das mag sich verführerisch bequem anfühlen, schliesst späteres Nachdenken nicht unbedingt aus, kann aber auch gefährlich manipulativ sein.
Die zwölf Spielfilme dieser Reihe, ältere und neuere, sind von erfrischend jugendlicher Frechheit. Indem sie mit ungewohnten Formen überraschen, schenken sie uns zuerst einmal
Neue Formen für neue Inhalte Die Realitätsillusion der fotografischen Bilder wird in den meisten dieser Filme gebrochen. Sei es, indem sie bereits als mediale Vermittlungen dargestellt werden ( Tenda dos milagres), sei es dadurch, dass der Film seine eigene Künstlichkeit unterstreicht. Etwa durch unerwartete Farbgebungen oder Musikeinsätze, durch surreale Zuspitzungen ( Le fantôme de la liberté ) oder das Sichtbarmachen der Inszenierung ( West Indies ). Diese kleine Aufzählung will nur ein wenig konkretisieren, in welche Richtungen der Aufbruch aus den Konventionen gehen kann. Keines der gezeigten Werke lässt sich einfach einer der skizzierten Strategien zuordnen. Die Stilmittel sind so vielfältig wie die Themen. Aktuelle Gesellschaftsporträts stehen da neben Befragungen der neueren Geschichte, Märchenhaft-Subversives neben poetischer Faszination. Gemeinsam dürfte den Autorinnen und Autoren sein, dass ihre Suche nach gestalterischer Freiheit nie L’art pour l’art ist. Ihnen geht es darum, nicht «neuen Wein in alte Schläuche abzufüllen». Dass Filme aus den 1960er- und 1970er-Jahren in diesem Programm einen Schwerpunkt bilden, ist kein Zufall. In einer Zeit des allgemeinen geistigen Aufbruchs haben viele Filmschaffende, die sich nicht mit dem Erzählen unverbindlicher Storys begnügten, für ihr inhaltliches Engagement neue Ausdrucksmittel gefunden.
Wenn wir dieses Programm dem Kino als Phantasiemaschine widmen, dann gehen das Ausbrechen aus ausgetretenen Denkpfaden und das Aufbrechen der traditionellen Filmdramaturgie zusammen. Diese «alten» Filme vereinen lustvoll neue Inhalte und neue Formen. Deshalb sind sie erfrischend aktuell geblieben.
Für die Unterstützung der Reihe und des Besuchs von Ildikó Enyedi und István Szabó danken wir:
Martin Girod war Ko-Leiter des Filmpodiums von 1993 bis 2005.
4 16. MAI — 6. JUL 2025
MAI
Do 22
15:00 WES ANDERSON
THE ROYAL TENENBAUMS
Wes Anderson, USA 2002, 35 mm, E/d/f, 110
18:15 INSELFILME
NOSTOS: IL RITORNO
Franco Piavoli, Italien 1989, 35 mm, OV, 87 ' Einführung von Patrick Holzapfel, 5'
Pierre Koralnik, Frankreich 1967, DCP, F/e, 90 ' In Anwesenheit von Pierre Koralnik
20:45 INSELFILME GIRL IN BLACK
Michael Cacoyannis, Griechenland 1956, DCP, Gr/e, 100 '
So 18
11:00 SONDERVORSTELLUNG
LOVE AND HONOR – BUSHI NO ICHIBUN
Veranstaltung der Schweizerisch-Japanischen Gesellschaft. Eintritt frei/Kollekte
Yoji Yamada, Japan 2007, 35 mm, Jap/d/f, 122 '
15:00 INSELFILME KAOS
Paolo und Vittorio Taviani, Italien/Frankreich 1984, DCP, OV/d, 188
18:45 PIERRE KORALNIK FRANÇOISE ET UDO
Pierre Koralnik, Frankreich 1968, DCP, D+F, 67
20:30 WES ANDERSON THE LIFE AQUATIC WITH STEVE ZISSOU
Wes Anderson, USA 2004, DCP, E/d*, 118 '
Mo 19
18:00 PIERRE KORALNIK KURZFILMPROGRAMM LOUISE NEVELSON, JAMES BALDWIN, FRANCIS BACON
Kurzfilme siehe S. 31
In Anwesenheit von Pierre Koralnik
In Kooperation mit OMANUT Forum für jüdische Kunst und Kultur
20:45 HENRY FONDA FAIL SAFE
Sidney Lumet, USA 1964, DCP, E/d*, 111
Di 20
18:15 PIERRE KORALNIK PIERRE KORALNIK, CINÉ ASTE ET VISIONNAIRE
Christoph Weinert, Schweiz 2024, DCP, F/d, 90 '
In Anwesenheit von Pierre Koralnik und Produzent Yves Kugelmann
20:45 WES ANDERSON RUSHMORE Wes Anderson, USA 1998, DCP, E/d*, 94
Vittorio De Seta, Italien 1961, DCP, I/e, 98 ' Einführung von Patrick Holzapfel, 5' FORZA BASTIA Vorfilm
Jacques Tati, Frankreich 1978, DCP, OV/d*, 26 ' Fr 23
15:00 PIERRE KORALNIK
DAS LETZTE VERSTECK
Pierre Koralnik, Deutschland/Schweiz 2002, Digital SD, D, 90 ' 18:30 PREMIERE
HENRY FONDA FOR PRESIDENT
Alexander Horwath, Österreich/Deutschland 2024, DCP, D+E/d, 184 Anschl. Q&A mit Alexander Horwath und Regina Schlagnitweit
Sa 24
15:00 FAMILIENFILM
DER FANTASTISCHE MR. FOX
Wes Anderson, USA/GB 2009, Digital HD, D (Synchronfassung), 87 ' 8 (10) Anschl. WORKSHOP FÜR KINDER mit Stefanie Schlüter, Filmvermittlerin, 30 '
18:30 HENRY FONDA
THE LADY EVE
Preston Sturges, USA 1941, 35 mm, E/d, 94 20:45 WES ANDERSON
MOONRISE KINGDOM
Wes Anderson, USA 2012, 35 mm, E/d/f, 94 '
So 25
14:30 INSELFILME KAOS
Paolo und Vittorio Taviani, Italien/Frankreich 1984, DCP, OV/d, 188
18:15 PIERRE KORALNIK
LA SAINTE FAMILLE
Pierre Koralnik, Frankreich/Schweiz 1972, Digital HD, F/d, 90 ' Einführung von Christian Rutishauser, Professor für Judaistik und Theologie, 10'
20:45 INSELFILME
GIRL IN BLACK
Michael Cacoyannis, Griechenland 1956, DCP, Gr/e, 100 '
Mo 26
18:30 INSELFILME
SACRO E PROFANO – VITTORIO DE SETAS KURZFILME
Kurzfilme siehe S. 14
20:45 WES ANDERSON
THE DARJEELING LIMITED
Wes Anderson, USA 2007, 35 mm, E/d/f, 104
Di 27
18:30 FAROCKI-FORUM: ÜBERTRAGUNG #7 CITIZEN LAMBERT: JOAN OF ARCHITECTURE
Teri Wehn Damisch, Frankreich/Kanada 2007, Digital SD, E+F/e, 52 Einführung und anschl. Filmgespräch mit Christa Blümlinger, Moderation: Volker Pantenburg, ca. 30'
20:45 INSELFILME
LAMPEDUSA IM WINTER Jakob Brossmann, Österreich/Italien/Schweiz 2015, DCP, OV/d, 93
Vincente Minnelli, USA 1958, Digital HD, E/d*, 137 '
UMOREGI
WALD PHANTASIE MASCHINE KINO
WENN DER KATER KOMMT
AZ PRIJDE KOCOUR
Mo 2.6. 18:00 Di 24.6. 20:45
ČSSR 1963, Farbe, DCP, Tsch/d, 108
REGIE Vojtech Jasný DREHBUCH Jirí Brdecka, Vojtech Jasný KAMERA Jaroslav Kucera MUSIK Svatopluk Havelka SCHNITT J. Chaloupek MIT Jan Werich, Vlastimil Brodský, Jirí Sovák, Emilia Vasáryová, Karel Effa.
«Die Ankunft eines wandernden Zauberkünstlers stellt das Leben in einer böhmischen Kleinstadt auf den Kopf. Er wird begleitet von der schönen Artistin Diana und einem Kater mit Sonnenbrille und einer besonderen Gabe: Nimmt man dem Tier die Brille ab, so verfärben sich alle, die es ansieht, je nach ihrer wahren Natur – die Verliebten werden rot, die Lügner violett und die Treulosen gelb. Aus Angst davor, dass sie deswegen ihre Positionen verlieren könnten, beschliesst eine Gruppe einflussreicher Stadtbewohner, den Kater zu stehlen Die zeitlose satirische Fabel besticht durch farbenfrohe Spezialeffekte und gewann 1963 in Cannes den Prix spécial du Jury.» (Tschechisches Zentrum München, Apr 2025)
Das Märchenhafte verbirgt geschickt die Kritik an der Realität, das Phantastische camoufliert die bitterböse Schilderung von Machtstrukturen, und die Farben entlarven eine Gesellschaft des Schwarzweissdenkens. (mg)
LIEBESERKLÄRUNG
AN DIE PHANTASIEMASCHINE
Mo 2.6. 18:00
Vortrag von Martin Girod, 45'
Anschliessend WENN DER KATER KOMMT Wie vielfältig sind die Möglichkeiten, aus Bildern und Tönen einen Spielfilm zu gestalten! Und wieso wird dieser potenzielle gestalterische Reichtum so selten ausgeschöpft? In seinem Einführungsvortrag zur Reihe spricht Martin Girod über filmische Gestaltungsformen, gängige wie unkonventionelle, und will Lust darauf machen, Ungewohntes zu entdecken – nicht nur in diesem Programm.
TERRA EM TRANSE
Fr 20.6. 18:30 Sa 5.7. 15:00
Brasilien 1967, sw, 35 mm, Port/d/f, 106 ' REGIE und DREHBUCH Glauber Rocha KAMERA
« Terra em transe zeigt Politik als Delirium, mit den Mitteln einer Ästhetik, die dokumentarische, surrealistische, opernhafte, poetische und mythologische Elemente kombiniert. Paulo, ein dichtender Intellektueller, schwankt zwischen den politischen Extremen und damit zwischen zwei unterschiedlichen Anwärtern auf das höchste Staatsamt. Zuerst verschreibt er sich dem rechtskonservativen Diaz. Dann schlägt er sich auf die Seite eines populistischen Reformers. Doch seine wahre Liebe gilt einer Kommunistin.» (Peter B. Schumann, Forum des Jungen Films Berlin, Feb 2022)
«Der Militärputsch 1964 in Brasilien versetzte sämtlichen sozialen und kulturellen Bewegungen des Landes einen harten Schlag. (…) Einer der Filme, die am stärksten die damalige Orientierungslosigkeit und abgrundtiefe Verzweiflung vieler Linker widerspiegeln, ist Glauber Rochas Terra em transe aus dem Jahre 1967. Angesiedelt ist das bild- und wortgewaltige Drama in einem fiktiven lateinamerikanischen Staat namens El Dorado – eine bitter ironische Anspielung auf jenen mythischen Ort, der zu Zeiten der Eroberung Lateinamerikas die Gier und Sehnsucht der Konquistadoren entfachte.» (Bettina Bremme, Lateinamerika-Nachrichten, Feb 2005)
Rocha nutzt die Tendenz der Politiker zur Selbstinszenierung und den Hang eines Poeten zur Verklärung, um das Politspektakel fast opernhaft zu überhöhen. Was demonstratives Lehrstück sein könnte, wird so zum mitreissenden Filmspektakel. (mg) FATHER
Mi 18.6. 18:00 So 22.6. 20:45 Fr 27.6. 15:00
Ungarn 1966, sw, DCP, Ung/e, 88
REGIE und DREHBUCH István Szabó KAMERA Sándor
Sára MUSIK János Gonda SCHNITT János Rósza MIT
Miklós Gábor, Klári Tolnay, András Bálint, Dani Erdélyi, Kati Sólyom, Zsuzsa Rathonyi, Ilona Petenyi, Rita Békés, Teréz Nagy, Anna Nagy, Judit Zsolnai, Ila Lóth.
«Takó (András Bálint) hat seinen Vater, einen Arzt, bei Kriegsende verloren und wächst als Halbwaise auf. Das Fehlen des Vaters kompensiert er, indem er ihn für sich und seine Umgebung zum makellosen Helden stilisiert: der berühmte Arzt, der heldenhafte Partisan, der strahlende Kämpfer. Erst als Student und durch die Freundschaft zu einer jüdischen Kommilitonin gelingt es ihm, sich dem tatsächlichen Leben seines Vaters zu nähern und die Wahrheit zu akzeptieren.» (Milena Gregor, Arsenal, Feb 2018)
Der titelgebende Vater der Hauptfigur existiert in Szabós zweitem Spielfilm fast nur in der jeweils alters- und zeitbedingten Vorstellungswelt des Sohnes. So entsteht indirekt das Bild der wechselhaften Geschichte Ungarns im 20. Jahrhundert, und die autobiografischen Elemente verbinden sich zum Bild einer Generation. (mg)
ISTVÁN SZABÓ ZU GAST
Mi 18.6. 18:00
Gespräch in Deutsch, 50' Im Anschluss an FATHER István Szabó ist der international bekannteste ungarische Regisseur seiner Generation, nicht zuletzt dank dem Oscar, den er 1982 für Mephisto erhielt. Seine frühen – mehrfach in Locarno ausgezeichneten – Spielfilme brachen aus den konventionellen Erzählstrukturen aus und waren wesentliche Beiträge zu einer Modernisierung der Filmsprache. Im Gespräch mit Szabó wird es um die inhaltliche wie formale Aufbruchstimmung im Kino der 1960er- und 1970er-Jahre gehen. Und darum, was davon nachgewirkt hat.
Dib Lutfi MUSIK Sérgio Ricardo SCHNITT Eduardo Escorel MIT Jardel Filho, Paulo Autran, José Lewgoy, Glauce Rocha, Paulo Gracindo, Hugo Carvana, Danuza Leão, Jofre Soares.
DODESKADEN
Mo 9.6. 14:30 Do 3.7. 20:45 Japan 1971, Farbe, DCP, Jap/d, 140
REGIE Akira Kurosawa DREHBUCH Akira Kurosawa, Hideo Oguni, Shinobu Hashimoto, nach Erzählungen von Shugoro Yamamoto KAMERA Yasumichi Fukuzawa, Takao Saito MUSIK Toru Takemitsu SCHNITT Reiko Kaneko, Akira Kurosawa MIT Yoshitaka Zushi, Junzaburo Ban, Kiyoko Tange, Shinusuke Miname, Hisashi Igawa.
«Eine bunt zusammengewürfelte Gruppe von Bewohnern eines Slums am Rande Tokios kämpft um das Überleben im Alltag, darunter auch Rokku-chan, ein geistig zurückgebliebener Junge, der in der Illusion lebt, Strassenbahnführer zu sein. Jeden Morgen fährt er seine nicht existente, dafür aber innig geliebte Bahn (…) mit weithin hörbarem ‹Dodeskadendodeskadendodeskaden›-Geratter durch die Müllberge.» (japankino.de)
Zwei Jahrzehnte nach seinem das Erzählkino infrage stellenden Rashomon (1950) komponierte Kurosawa seinen formal radikalsten Film aus unterschiedlichsten Schicksalen «gewöhnlicher» Menschen. Eine kleine leitmotivische Rahmenhandlung sagt dem Publikum durch pantomimische Elemente von Anfang an unmissverständlich: Mobilisiert eure Vorstellungskraft! (mg)
INTERVIEW
Sa 7.6. 20:45 Sa 14.6. 18:15 Indien 1971, sw, DCP, Beng/e, 101 ' REGIE Mrinal Sen DREHBUCH Ashis Barman KAMERA K. K. Mahajan MUSIK Vijay Raghav Rao SCHNITT Gangadhar Naskar MIT Ranjit Mallick, Karuna Banerjee, Shekhar Chatterjee, Bulbul Mukherjee, Mamata Shankar.
«Was braucht es für einen guten ersten Eindruck? Geputzte Schuhe, gekämmte Haare, rasiertes Gesicht – nur der Anzug fehlt dem 23-jährigen Ranjit für sein Vorstellungsgespräch bei einer indisch-britischen Firma. Sein Anzug ist in der Reinigung, und ausgerechnet an diesem Tag streiken alle Reinigungen der Stadt. Die Suche nach einem Anzug führt in die Strassen Kalkuttas. Mrinal Sens politische Komödie verbindet dokumentarisch anmutende Beobachtungen und Wochenschauaufnahmen mit Slapstick und experimentellen Montagetechniken. Eine rasante und radikale Kritik an Indiens Colonial Hangover.» (International Film Festival Innsbruck 2024)
Mrinal Sen, neben seinem bengalischen Landsmann Satyajit Ray oft zu Unrecht übersehen, erzählt eine minimale Story, die er durch Verfremdungseffekte noch zusätzlich relativiert. Aus einem kleinen Anlass entwickelt er ein eindrückliches Kaleidoskop von lebendigen Grossstadtszenen mit dokumentarischen Qualitäten. (mg)
LE FANTÔME DE LA LIBERTÉ
Mi 4.6. 21:00 Do 19.6. 15:00
Frankreich 1974, Farbe, DCP, F/d*, 104
REGIE Luis Buñuel
DREHBUCH Luis Buñuel, JeanClaude Carrière KAMERA Edmond Richard SCHNITT
Hélène Plemiannikov MIT Bernard Verley, Jean-Claude Brialy, Monica Vitti, Milena Vukotic, Michael Lonsdale, François Maistre, Jean Rochefort, Julien Bertheau, Michel Piccoli, Adriana Asti.
«In locker verbundenen Episoden richtet Luis Buñuel seinen sarkastischen Witz einmal mehr gegen die bürgerliche Welt. ‹Vivan las cadenas! Es leben die Ketten! Nieder mit der Freiheit!› Der trotzige Ruf spanischer Guerrilleros vor einem Hinrichtungskommando Napoleons ist das hintergründig-ironische Motto für ein fantasievolles Puzzle. Nach dem Prinzip des ‹mundus perversus›, der verkehrten und auf den Kopf gestellten Welt, parodiert er die zwanghaften gesellschaftlichen Abläufe erschreckend und komisch zugleich. So trifft man sich etwa zum gemeinsamen Scheissen und zieht sich zum Essen verschämt in einen kleinen Raum zurück. Oder ein Mann steckt in einem Pariser Park einem Mädchen vermeintlich obszöne Fotos zu; als die entrüsteten Eltern sie später betrachten, entpuppen sie sich als Postkarten berühmter Sehenswürdigkeiten.» (Xenix, Mrz 2006)
Buñuel erzählt nicht eine Geschichte, sondern gleich mehrere, die äusserlich in der Art einer Stafette verbunden sind, sich aber zum – durch surreale Einfälle akzentuierten – Porträt der bourgeoisen Gesellschaft und ihrer beschränkten Freiheit verbinden. (mg)
BASAR DER WUNDER TENDA DOS MILAGRES
Mo 30.6. 20:45 Fr 4.7. 15:00 Brasilien 1977, Farbe, DCP, Port/e, 135 REGIE Nelson Pereira dos Santos DREHBUCH Nelson Pereira dos Santos, Jorge Amado, nach dem gleichnamigen Roman von Jorge Amado KAMERA Hélio Silva MUSIK Gilberto Gil, Jards Macalé SCHNITT Raimundo Higino, Severino Dadá MIT Juarez Paraíso, Hugo Carvana, Sônia Dias, Anecy Rocha, Wilson Jorge Mello, Geraldo Freire, Laurence R. Wilson, Severino Dadá, Jards Macalé, Nildo Parente, Jofre Soares.
«Ein amerikanischer Nobelpreisträger fährt nach Bahia, in die Stadt, in der einer der grössten Soziologen der Welt, Pedro Archanjo, gelebt hat, und löst mit seinen Fragen nach dem dort fast Vergessenen hektische Aktivitäten aus: Aus dem einstigen Rebellen wird ein Nationalheld und Werbemagnet. (…) Eine Fundgrube an Themen, wendet er sich in vielerlei Motiven vor allem gegen den Kolonialismus und wirbt für kulturelle Eigenständigkeit.» (Filmdienst)
Reale Geschichte wird anhand einer (fiktiven) Figur aufgerollt. Deren ebenso engagiertes wie sinnenfrohes Leben ist brillant aufgefächert in unterschiedlichsten medialen Brechungen – vom Bühnendrama bis zum Werbefilm. So wird das Anekdotische in eine Distanz gerückt, die das Allgemeine sichtbar macht. (mg)
WEST INDIES OU LES NÈGRES MARRONS DE LA LIBERTÉ
Di 17.6. 20:45 Di 1.7. 18:15 Frankreich/Algerien/Mauretanien 1979, Farbe, DCP, F/d, 115 REGIE und DREHBUCH Med Hondo AUTOR Daniel Boukman KAMERA François Catonné MUSIK Georges Rabol, Franck Valmont SCHNITT Youcef Tobni MIT Robert Liensol, Roland Bertin, Hélène Vincent, Philippe Clévenot, Toto Bissainthe..
«In einer verlassenen Fabrik wurde ein Bühnenbild in Form einer Attrappe eines Sklavenschiffs aufgestellt, auf deren Oberdeck ‹Liberté, Égalité, Fraternité› prangt. Dieses symbolische Schiff dient als komplexe Mehrzweckbühne, auf der wichtige historische Ereignisse im Zusammenhang mit dem französischen Kolonialismus in der Karibik dargestellt werden, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf den Verbindungen zwischen den Westindischen Inseln und Frankreich liegt. Das Schiff selbst ist ein Mikrokosmos des Kolonialismus und veranschaulicht dessen Hierarchien, Ungleichheiten und inneren Aufruhr. Von Regierungssitzungen bis zu Strassenprotesten, von Sklavenhandel bis zur Arbeitsmigration werden zahlreiche Themen durch dramatische Formen, die von der Revue und Brecht inspiriert sind, zum Leben erweckt und durch Tanz und Musik ergänzt.» (Haus der Kulturen der Welt, Nov 2024) Eine politische Parabel in Musicalform über ein lange verdrängtes Kapitel der Weltgeschichte: den Dreieckshandel mit versklavter menschlicher Arbeitskraft. Indem Med Hondo die Träger sich entsprechender gesellschaftlicher Funktionen in den unterschiedlichen historischen Perioden jeweils vom gleichen Darsteller oder von der gleichen Darstellerin spielen lässt, macht er die Kontinuität der Strukturen erkennbar (mg)
WEST INDIES OU LES NÈGRES MARRONS DE LA LIBERTÉ
LE FANTÔME DE LA LIBERTÉ
Fr 6.6. 18:00 Sa 28.6. 18:00
Frankreich 1980, Farbe, 35 mm, F/e*, 125 ' REGIE Alain Resnais DREHBUCH Jean Gruault, inspiriert durch die Arbeiten von Prof. Henri Laborit KAMERA Sacha Vierny MUSIK Arié Dzierlatka SCHNITT Albert Jurgenson MIT Gérard Depardieu, Nicole Garcia, Roger Pierre, Marie Dubois, Nelly Borgeaud, Pierre Arditi, Gérard Darrieu, Philippe Laudenbach, Prof. Henri Laborit, Alexandre Rignault, Jean Dasté.
«Einer der beliebtesten Filme von Resnais, was angesichts der beeindruckenden Flüssig- und Leichtigkeit, mit der er seine hoch komplizierte Handlungskonstruktion ganz einfach wirken lässt, auch gar nicht verblüfft. Die Lebenswege dreier Menschen (mit Filmstar-Spiegelbildern: Gabin, Marais, Darrieux), die aus verschiedenen sozialen Hintergründen in die eben entstandene, genau porträtierte YuppieSchicht gelangen, kreuzen sich mit den Thesen des Verhaltensforschers Henri Laborit (…). Den Herzschlag setzt anfangs die rasante Montage der jeweiligen Entwicklungsgeschichten, eine unglaubliche Abfolge zufälliger wie ‹bedeutender› Momente – und abschliessend bleibt alles bestechend offen.» (Christoph Huber, Österreichisches Filmmuseum, Okt 2008)
Resnais verbindet drei fiktive Lebensläufe mit einem dokumentarischen Erzählstrang und fügt als fünfte Ebene alte Filmszenen ein mit den Leinwandidolen der Hauptfiguren. Daraus entsteht ein reizvolles, sich unaufdringlich ergänzendes Puzzle, in dem das Publikum selbst die verbindende Logik finden darf. (mg)
MY TWENTIETH CENTURY AZ ÉN XX. SZÁZADOM
Mi 11.6. 18:00 So 22.6. 15:00 Mo 30.6. 18:30
Ungarn/BRD/Kuba 1988, sw, DCP, Ung/e, 100 REGIE und DREHBUCH Ildikó Enyedi KAMERA Tibor Máthé MUSIK László Vidovszky SCHNITT Mária Rigó MIT Dorota Segda, Oleg Jankovski, Paulus Manker, Péter Andorai, Gábor Máté, Gyula Kéry.
«1879. Während in New Jersey Thomas Alva Edison Menlo Park im Licht der neuen Glühbirnen erstrahlen lässt, beginnt in Budapest, im tristen, fernen Europa, für die Zwillinge Dora und Lili eine licht- und freudlose Kindheit. Auf wundersame Weise voneinander getrennt, gehen sie bald unterschiedliche Wege: Dora reüssiert als Hochstaplerin, Lili schliesst sich einer Anarchistengruppe an. In der Silvesternacht 1899 kreuzen sich ihre Lebensläufe, ohne sich zu berühren, im Orientexpress. Was sie verbinden wird, ist Z, ein weitgereister Gentleman, der nicht ahnt, dass er mit zwei Frauen eine Liaison hat statt mit einer ...» (Berlinale Classics, 2018)
Zwei gegensätzliche Schwestern und Edisons Erfindung des elektrischen Lichts werden für Enyedi zu drei «roten Fäden» durch das Jahrhundert. Souverän jongliert sie dabei mit Fiktion und Dokumentarischem, mit Zeit- und Realitätsebenen. (mg)
ILDIKÓ ENYEDI ZU GAST
Mi 11.6. 18:00
Gespräch in Englisch, 50'
Im Anschluss an MY TWENTIETH CENTURY
Trotz der Caméra d’Or in Cannes 1989 für ihren Spielfilmerstling My Twentieth Century wurde
Ildikó Enyedi hierzulande erst durch Body and Soul (2017) einem etwas breiteren Publikum bekannt. Martin Girod wird sich mit ihr über ihre ungewöhnliche Karriere ausserhalb der ausgetretenen Pfade unterhalten und über die Faszination, die von ihren eigenwilligen und zutiefst poetischen Filmen ausgeht.
PEPPERMINT CANDY BAKHA SATANG
Fr 20.6. 20:45 Fr 27.6. 18:00
Do 3.7. 15:00
Südkorea/Japan 1999, Farbe, DCP, Kor/e, 130 ' REGIE und DREHBUCH Lee Chang-dong KAMERA Kim Hyung-ku MUSIK Lee Jae-jin SCHNITT Kim Hyun MIT Sol Kyung-gu, Moon So-ri, Kim Yeo-jin, Suh Jung.
«Ein Mann taucht 1999 vollkommen verzweifelt bei einem Treffen ehemaliger Klassenkameraden auf und klettert mit selbstmörderischen Absichten auf eine Eisenbahnbrücke. Der Film (…) entwirft das Bild eines Lebens voller falscher Entscheidungen. Deren Auslöser führt der Film schliesslich zurück auf eine schuldhafte Verstrickung des Protagonisten in die blutige Niederschlagung studentischer Proteste in den 1980er-Jahren beim sogenannten Gwangju-Aufstand.» (filmdienst.de)
Hätte Lee Chang-dong seine Geschichte chronologisch erzählt, wäre wohl der Eindruck entstanden, dass es so kommen musste, wie es kam. Indem er rückwärts erzählt, jeweils in grösseren Zeitsprüngen zurückspringt, stellt er uns vielmehr die Frage: Wieso ist es zu diesem bösen Ende gekommen, wo liegen die Wurzeln? (mg)
VERBORGENE WALD
«Machi und ihre beiden Freundinnen wohnen in einer kleinen japanischen Stadt in den Bergen. Die freie Zeit während der Sommerferien verbringen die drei damit, sich gegenseitig selbst erfundene Geschichten zu erzählen. Parallel dazu verläuft das Leben derjenigen, die ihre Jugend schon längst hinter sich gelassen haben, in den geregelten Bahnen des Alltags. Die scheinbar nicht miteinander zu vereinenden Welten der Kinder und der Erwachsenen überschneiden sich aber immer öfter. Als es eines Tages heftig zu stürmen beginnt, entdecken die Stadtbewohner unter dem Feld, auf dem die Erwachsenen oft Kricket spielen, die Überreste eines fossilen Waldes. Hier, in dieser versteinerten Landschaft, berühren sich die beiden Welten der älteren und der jüngeren Generation.» (outnow.ch, Okt 2006)
Gleich zu Beginn sagen drei junge Frauen: «Wir erfinden jetzt eine Geschichte», doch die Erfindungen der Erzählerinnen passen nicht ganz zusammen. So müssen wir uns die Anschlüsse schon selbst vorstellen und zu erkennen suchen, was da real und was phantastisch ist. Die oft unnaturalistischen Bilder, Farben und Geräusche ziehen uns in den Bann dieses zugleich rätselhaften und im Kern doch klar verständlichen Films. (mg)
Oguri, Tsukasa Sasaki KAMERA Norio Teranuma MUSIK Arvo Pärt SCHNITT Nobuo Ogawa MIT Karen, Hiromitsu Tosaka, Tadanobu Asano, Akira Sakata, Taka Okubo, Sumiko Sakamoto, Yuko Tanaka, Mitsuru Hirata, Ittoku Kishibe.
UMOREGI – DER VERBORGENE WALD
NICK CAVE
Poet of Loss and Ruination
Reduziert und ungeschminkt will Nick Cave in Zürich Mitte Juni in drei Konzerten die Essenz seiner Songs zum Vorschein bringen. Dabei ist Reduktion nicht unbedingt das Schlüsselwort, das einem im Zusammenhang mit Nick Cave als Erstes einfällt. Pathos, Punk und Poesie schon eher. Und dennoch, wenn Nick Cave gemeinsam mit Warren Ellis Filmmusik schreibt, dann zeichnen genau diese Zurückhaltung und ein grosses Vertrauen in das filmische Werk seine Arbeit aus. Für diejenigen, die kein Konzertticket ergattert haben, bringen wir im Filmpodium die vielen künstlerischen Facetten dieses Ausnahmekünstlers zum Klingen: Mit der Vorpremiere von Mutiny in Heaven über Caves erste Band The Birthday Party lassen wir es so richtig krachen, blicken mit der restaurierten Fassung von 20 000 Days on Earth auf seine Philosophie und Karriere und präsentieren mit fünf ausgesuchten filmischen Werken die vielleicht weniger bekannte Seit von Cave als herausragendem Filmmusik-Komponisten und Drehbuchautor. Wie seine Musik bewegen sich auch die Filme, für die er schreibt, am Abgrund. Oft sind es existenzielle Western unter weiten Himmeln. «You’ve gotta just keep on pushing / And push the sky away!»
Der erste Eindruck, es mit einem distinguierten Gentleman zu tun zu haben, verliert sich auf den zweiten Blick. Die schwarzen Haare sind etwas länger, als es die Konvention vorsieht, am weissen Hemd steht ein Knopf mehr offen, als nötig wäre, und an jedem Finger einer Hand schwere goldene Ringe zu tragen, ist für einen gesetzten Herrn auch eher ungewöhnlich. Es fällt allerdings ohnehin schwer, sich Nick Cave als gesetzten Herrn vorzustellen, daran ändert auch nichts, dass er in zwei Jahren siebzig wird. Früher, als junger Bursche, hatte Cave es auch nicht mit dunklen Anzügen und weissen Hemden, da warf er sich noch in Jeans und T-Shirt von der Bühne ins Zuschauergetümmel beziehungsweise riss das Publikum ihn auch des Öfteren kurzerhand von derselben herunter. Als wäre es ein Mob aus Mänaden, die sich auf Orpheus stürzen, ihn zu zerfleischen. Es kann einem dann mitunter ziemlich bange werden um den langen dünnen Kerl, der sich da am Mikrofon festklammert und kreischend und brüllend verausgabt. Einerseits. Andererseits ist es auch Respekt gebietend, mit welcher Bedingungslosigkeit er das tut; und nicht nur er, auch seine Mitmusikanten lassen sich nicht lumpen. Diejenigen, die nicht das Glück
hatten, seinerzeit mit dabei zu sein, wenn der Veranstaltungsort explodierte, können nun anhand von Originalaufnahmen im Dokumentarfilm Mutiny in Heaven (Ian White, 2023) die von Überlebenskampf und Drogenexzess geprägten Lehr- und Wanderjahre von The Birthday Party bestaunen, jener legendären Postpunk-Band, mit der Nick Cave berühmt wurde. Als sie 1984 in einem Leerlauf aus Erwartungsdruck und Erschöpfungszwang schliesslich einging, wurden Nick Cave & the Bad Seeds geboren, zu denen unter anderen (bis 2003) Blixa Bargeld von den Einstürzenden Neubauten zählt sowie (seit 1994 bis heute) Warren Ellis. Ellis und Cave fordern einander auf intuitive Weise heraus, sie bringen im je anderen neue Saiten zum Klingen; besonders fruchtbar wird dieses artistische Einverständnis auf dem Feld der Filmmusik, zu dem die beiden mittlerweile zahlreiche beeindruckende Kompositionen beigetragen haben.
Zügelloses Multitalent
Nick Cave ist ein Universalkünstler aus Australien, er ist nicht nur ein Singer-Songwriter, der sich zu den traurigsten Liedern der Welt am Klavier begleitet; er schreibt auch Gedichte, Romane, Drehbücher, tritt in Filmen auf und, ja, töpfert. Geboren wurde er am 22. September 1957 in Warracknabeal, Victoria,
positionen herrschen. Für seine Songs wie für seine Scores gilt der Wahrheitsanspruch, demzufolge: Drama und Tragödie statt Komödie und Romantik. Sein filmisches Werk setzt in den späten 1980er-Jahren mit John Hillcoats dystopischem Debütfilm Ghosts … of the Civil Dead (1988) ein, zu dem Cave nicht nur als Drehbuchautor und Komponist kreativ beisteuert, sondern in dem er auch die Rolle eines derangierten Gefängnisinsassen übernimmt. Zur nächsten Zusammenarbeit der beiden Landsleute kommt es erst wieder Mitte der 2000er-Jahre, als Hillcoat Caves erstes Solo-Drehbuch verfilmt: The Proposition (2005) sorgt für Furore, weil er nichts beschönigend beziehungsweise schonungslos brutal von der Kolonisierung Australiens und von den harschen Verhältnissen im Outback erzählt. Zugleich markiert diese beständig zwischen Grausamkeit und Zärtlichkeit flirrende Geschichte eines Brudermordes den Beginn des filmmusikalischen Duos Nick Cave und Warren Ellis. Die spezifischen Merkmale ihrer Scores werden hier erstmals ausgeprägt. Die Musik dient nicht als Zuschauer-Emotionen steuernde Begleitung, die hintergründig und heimtückisch ihr manipulatives Werk verrichtet. Stattdessen setzt die Musik Zäsuren; zwischen den Sequenzen, narrativen Einheiten, erklingt Ellis‘ Violine und entwirft tief melancholische Melodien, als würde sie Kapitelüberschriften setzen. Täuschend beiläufig bauen Synthesizer DroneWände auf, um sich, als auf der Handlungsebene die Eskalation unaufhaltsam näher rückt, mit plötzlich einsetzenden E-GitarrenRiffs und Schlagzeug-Krawall in eine Kakofonie zu stürzen, die den beteiligten Bad Seeds alle Ehre macht.
und ist mit drei Geschwistern als Sohn einer Bibliothekarin und eines Englischlehrers in geordneten Verhältnissen aufgewachsen. Als er dreizehn ist, wird er auf ein Internat in Melbourne geschickt, im Anschluss an die Schule beginnt er ein Kunststudium, das er bald hinschmeisst, um sich der Musik zu widmen. Die New-Wave-Band Boys Next Door entsteht, Caves Leben wird (noch) wilder und gefährlicher, die Drogen machen sich breit. 1980 übersiedelt die Band als The Birthday Party nach London, später macht sie Berlin unsicher, wo zu jener Zeit tatsächlich noch der Bär tobt. Die Drogen machen sich breiter, vielen bekommt das nicht gut, Cave kratzt zum Glück die Kurve. Immer mehr entwickelt er sich zu einer ikonischen Figur beziehungsweise entwickelt Cave seine Bühnenpersona zu einer Ikone. Ersichtlich wird das in 20 000 Days on Earth (Iain Forsyth, Jane Pollard, 2014), einem ebenso abwechslungs- wie aufschlussreichen und mit viel Humor und Finesse dargebotenen künstlerischen Manifest. Darin lädt uns ein Mann namens Nick Cave ein, mit ihm seinen zwanzigtausendsten Tag auf Erden zu verbringen; er nimmt uns sogar mit zu seinem Psychiater. Als dort die Rede auf den Tod des Vaters 1978 bei einem Autounfall kommt, bricht die Szene ab. An anderer Stelle aber schreibt Cave über das einschneidende Ereignis: «The loss of my father created in my life a vacuum, a space in which my words began to float and collect and find their purpose.»
In seinen Texten beschäftigt sich Cave, anglikanisch erzogen und als Kind Mitglied des Kirchenchors, mit Gott und dem Teufel, mit Gut und Böse, Licht und Finsternis, mit Schmerz, Gewalt und Tod; die manichäisch klaren Verhältnisse, die das alltägliche Leben so sehr vermissen lässt, prägen das Cave’sche Song-Universum – singend, musizierend, schreibend arbeitet er sich ab an den grossen Fragen: an der nach dem Sinn des Ganzen und an der nach der eigenen Bedeutung darin. Insofern Cave eine altmodische Auffassung vom Künstlertum vertritt, ist er auch kein Showman, für den das Entertainment und damit letztlich die Ablenkung an erster Stelle steht. Vielmehr sieht er sich als Vermittler von Erkenntnissen aus seinem Nachdenken über die Welt.
Filmmusikalische Kollaborationen Eine Entsprechung findet diese Haltung auch in Caves filmmusikalischen Kollaborationen bevorzugt für Genres, in denen existenzielle Konflikte gestaltet sind und / oder klare Op-
Mitunter gesellt sich – wie in Wind River (Taylor Sheridan, 2017) – Caves Stimme zu den Bildern, fügt – hier dem eisigen Wind, der durchs winterliche Reservat pfeift – ein Raunen hinzu zwischen Trost und Drohung und verrückt das Geschehen ins Metaphorisch-Transzendente. Dann wieder sind es –wie im gesellschaftskritisch zu lesenden Neo-Western Hell or High Water (David Mackenzie, 2016) – die dem eigenen Score beigesellten Exempel der US-amerikanischen Singer-Songwriter/Country-Tradition, die dieser in wirtschaftlicher Krise angesiedelten Geschichte ihre historische Dimension geben. Während es in The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Ford (Andrew Dominik, 2007) eine von Cave gespielte Celesta ist, deren ätherische, an Glockenspiel erinnernde Töne aus einer Fussnote der Geschichte eine lyrische Elegie von überzeitlicher Bedeutung werden lassen. Übrigens hat Cave gegen Ende des Films einen kleinen Auftritt und singt in einer Bar den 1882 von Billy Gashade geschriebenen Song «The Ballad of Jesse James». Vergleichsweise sinfonisch fällt aus, was Warren Ellis «featuring Nick Cave» zum so minimalistischen wie spektakulären Dokumentarfilm La panthère des neiges (Marie Amiguet, Vincent Munier, 2021) einfällt. Es kommt hier zu einer glückreichen Koinzidenz von filmischer und musikalischer Botschaft: Der Respekt vor der Schöpfung artikuliert sich in Bildern und Tönen gleichermassen; Schönheit, Pathos und Schrecken fallen in eins. Als wäre dieser Film einer jener Songs, die, so Cave, während ihrer Entstehung wie wilde Tiere seien, an denen auch er sich nur festklammern könne, «holding on for dear life». Und dann der erhabene Moment des Gelingens.
Alexandra Seitz ist freie Autorin und Filmkritikerin. Sie lebt und arbeitet in Berlin und Wien.
Essay von Alexandra Seitz
THE PROPOSITION
Fr 6.6. 20:45 Fr 4.7. 18:30
Australien/GB 2005, Farbe, Digital HD, E/d*, 104
REGIE John Hillcoat DREHBUCH Nick Cave KAMERA
Benoît Delhomme MUSIK Nick Cave, Warren Ellis
SCHNITT Jon Gregory MIT Guy Pearce, Ray Winstone, Emily Watson, Danny Huston, David Wenham, Richard Wilson, John Hurt, Tom E. Lewis, Leah Purcell.
«Nach einer heftigen Schiesserei werden die Outlaws Charlie Burns und sein Bruder Mike vom britischen Captain Stanley im australischen Outback gefangen genommen. Stanleys eigentliches Ziel aber ist ihr sadistischer älterer Bruder Arthur, der für den brutalen Mord an einer örtlichen Familie gesucht wird. Stanley schliesst mit Charlie einen Deal ab: Entweder er findet und tötet den skrupellosen Arthur oder sein kleiner Bruder muss für die Verbrechen der Burns-Bande hängen. (…) The Proposition ist voller beeindruckender Landschaften und hässlicher Wahrheiten über Australien. Caves Drehbuch präsentiert ein überzeugendes Dilemma für unseren Antihelden und ein nuanciertes Bild von Charakteren, die nicht in die Schubladen ‹gut› oder ‹böse› passen. Damit gelingt es dem Film, die Realitäten des Lebens während der Kolonialherrschaft in den 1880er-Jahren vielschichtig darzustellen.» (Adam Fleet, The Guardian, Dez 2021)
«‹Der Stoff erinnerte mich an eine ausgedehnte Mordballade oder etwas in der Art›, sagt der international gefeierte australische Rockmusiker Nick Cave über sein Drehbuch für den kompromisslosen australischen Western The Proposition . ‹Ich würde sagen, ich bin das Drehbuch musikalisch angegangen. Auch die Landschaft inspirierte mich glücklicherweise zu den gleichen Dingen, über die ich auch sonst schreibe. Genau das ist es, was der Film letztendlich ist: Traurigkeit, unterbrochen von extremer Gewalt. Ich schätze, das ist mein Stil, oder nicht?›» (Ian Johnston, louderthanwar.com, Jan 2011)
THE ASSASSINATION OF JESSE JAMES BY THE COWARD ROBERT FORD
Fr 13.6. 20:45 Sa 5.7. 20:45
USA 2007, Farbe, DCP, E/d*, 160 '
REGIE und DREHBUCH Andrew Dominik KAMERA
Roger Deakins MUSIK Nick Cave, Warren Ellis SCHNITT
Dylan Tichenor, Curtiss Clayton MIT Brad Pitt, Casey Affleck, Sam Shepard, Jeremy Renner, Sam Rockwell, Paul Schneider, Mary-Louise Parker, Zooey Deschanel, Garret Dillahunt, Kailin See, Ted Levine, James Carville, Alison Elliott, Michael Parks , Tom Aldredge, Pat Healy, Michael Copeman, Nick Cave.
«Missouri, USA, im Jahr 1881: Als sich der junge Bob Ford der Bande von Jesse James anschliesst, ist der gefürchtete Bank- und Postkutschenräuber bereits ein Volksheld –eine lebende Legende. Auch der sympathische, aber unreif wirkende Bob hat seit seiner Kindheit jeden Zeitungsartikel und Groschenroman über den Gesetzlosen verschlungen. Der Mann hinter dem Mythos ist indes ein von Selbstzweifeln geplagter, manisch-depressiver Gewalttäter, den seine Freunde mehr fürchten als seine Feinde. Bobs Verehrung tut dies aber vorerst keinen Abbruch. Sein späterer Entschluss, Jesse James zu töten, entspringt denn auch keinem Gerechtigkeitsgefühl, sondern der Einsicht, sein Idol nicht erreichen zu können.» (Philipp Bühler, kinofenster.de, Okt 2007)
«Da der Film über weite Strecken ohne Dialoge auskommt und sich sowohl auf die Landschaften als auch auf die Figuren konzentriert, gibt es einen grossen Spielraum für die von Cave und Ellis geschaffenen Musikstücke, den Takt der Erzählung anzugeben. ‹Rather Lovely Thing› (später variiert als ‹Another Rather Lovely Thing›) gibt mit seinem melodramatischen Dröhnen, dem melancholischen Klavier und der folkigen Geige die Grundstimmung des Films vor. Und ‹Song for Jesse› ist das Stück, das im Film am häufigsten vorkommt: Seine unheimlichen Glocken und Tasten sind nachdenklich, bedrohlich, schön und gespenstisch zugleich.» (Joshua Klein, pitchfork.com, Feb 2008)
20 000 DAYS ON EARTH
Fr 30.5. 20:45 Di 10.6. 20:45
Do 12.6. 15:00 Mi 18.6. 21:00 Di 24.6. 18:30
GB 2014, Farbe, DCP, E/d, 95 ' REGIE Iain Forsyth, Jane Pollard DREHBUCH Iain Forsyth, Jane Pollard, Nick Cave KAMERA Erik Wilson MUSIK Nick Cave, Warren Ellis SCHNITT Jonathan Amos MIT Nick Cave, Kylie Minogue, Ray Winstone, Blixa Bargeld, Warren Ellis, Arthur Cave.
« Der 20 000. Tag im Leben von Nick Cave, vom ersten Weckerklingeln am Morgen bis zum Strandspaziergang nach dem abendlichen Auftritt, wird zu einem poetisch dichten Porträt rastloser Kreativität. Das Londoner Künstlerduo Jane Pollard und Iain Forsyth kombiniert in seinem sorgfältig durchkomponierten Kinodebüt Realität und Fiktion, Privates und Öffentliches. Und den beiden gelingt es in ihrer Tour de Force, in diesem einen fiktiven Tag das ganze Leben des Kultmusikers zu erzählen. Inszenierte Szenen wie ein Gespräch über Caves Kindheit mit dem renommierten Psychoanalytiker und Autor Darian Leader (‹Why
Do Women Write More Letters Than They Post?›) oder mit den Archivaren, die sich Fotos aus Caves wilden Jahren mit seinen Bands erklären lassen, wechseln sich ab mit Auftritten in Proberäumen und Aufnahmestudios. Auch Musikerkollegen wie Blixa Bargeld oder Kylie Minogue erinnern sich gemeinsam mit Cave an ihre Zusammenarbeit zurück. Die Erzählerstimme, unverkennbar von Cave geschrieben und gesprochen, erklärt seine Weltsicht, sein Leben und vor allem seine Philosophie des Songwriting. (…) Ein Film, der sich mit Identität und Erinnerung beschäftigt und mit der Frage auseinandersetzt, was eigentlich einen Menschen ausmacht; ein Loblied auf die transformative Macht der Kreativität.» (Xenix Filmdistribution)
«Das Genre des Musik-Dokumentarfilms ist oft geschändet worden. Doch 20 000 Days on Earth über einen erfundenen Tag im Leben von Nick Cave ist anders. Es könnte passieren, dass man dem Sänger verfällt.» (Jens-Christian Rabe, SZ, 20.10.2014)
HELL OR HIGH WATER
Mo 9.6. 20:45 Sa 28.6. 15:00
USA 2016, Farbe, DCP, E/d, 102 REGIE David Mackenzie DREHBUCH Taylor Sheridan KAMERA Giles Nuttgens MUSIK Nick Cave, Warren Ellis SCHNITT Jake Roberts MIT Jeff Bridges, Chris Pine, Ben Foster, Gil Birmingham.
« Hell or High Water ist ein aufregend guter Film – ein knallhartes Drama über Verbrechen, Angst und brüderliche Liebe, das in einem sonnenverbrannten, trügerisch verschlafenen West-Texas spielt, das wohl so exotisch wirkt, weil es so authentisch ist. Es beginnt, wie so viele Unterweltgeschichten, mit einem Banküberfall: In einer MidlandsFiliale in einem kleinen Kaff fuchteln zwei Typen mit Skimasken mit ihren Pistolen herum und greifen sich das Bargeld hinter den Schalterfenstern. (...) Doch Hell or High Water ist anders: Toby und Tanner sind Brüder, und nach ihrer Ansicht haben sie einen verdammt guten Grund für das, was sie tun. Sie sind zweitklassige Banditen, aber auch gut
gezeichnete menschliche Charaktere, und jede Wendung ihres Streifzugs jenseits des Gesetzes ist in der realen Welt verwurzelt.» (Owen Gleiberman, Variety, Mai 2016)
«In den Stücken ‹Texas Midlands› und ‹Robbery›, die die Banküberfälle untermalen, erweitern Cave und Ellis ihren Kernsound um eine gewisse Dringlichkeit und mehr als nur einen Hauch der Gefahr. (…) Die Momente grosser Kakofonie und Dissonanzen fangen den atemlosen Rausch des Abenteuers ein, aber auch das Bewusstsein für die Konsequenzen, die das Handeln der Protagonisten haben könnte.» (Jonathan Broxton, moviemusicuk.us, Sep 2016)
THE PROPOSITION
THE ASSASSINATION OF JESSE JAMES BY THE COWARD ROBERT FORD
WIND RIVER
Sa 21.6. 20:45 So 29.6. 20:45
USA/GB/Kanada 2017, Farbe, DCP, E/d, 107 REGIE und DREHBUCH Taylor Sheridan KAMERA
Ben Richardson MUSIK Nick Cave, Warren Ellis SCHNITT Gary Roach MIT Jeremy Renner, Elizabeth Olsen, Gil Birmingham, Kelsey Asbille, Teo Briones, Tantoo Cardinal, Matthew Del Negro, Hugh Dillon, Julia Jones, James Jordan, Eric Lange, Martin Sensmeier, Jon Bernthal, Graham Greene, Ian Bohen. «In einer nächtlichen Schneelandschaft läuft eine junge Frau um ihr Leben. Ein paar Tage später wird Wildhüter Cory Lambert (Jeremy Renner) die Leiche finden – eine vergewaltigte 18-Jährige, gestorben in einem Reservat in der Ödnis von Wyoming. Schnell gilt ihr Tod als Mordfall, weshalb ausser der ReservatsPolizei auch das FBI eingeschaltet wird. Doch weil Agentin Jane Banner (Elizabeth Olsen) weder mit der Witterung noch mit den Regeln des Reservats vertraut ist, bittet sie Lambert um Hilfe. Er ist der einzige Weisse, der auf dem Gebiet der Ureinwohner jagen darf, war mit einer Frau des Stammes verheiratet und leidet unter dem Tod seiner Tochter, die mit dem Opfer befreundet war. Bald kommt das Duo der dunklen Wahrheit auf die Spur.» (Patrick Heidmann, Südkurier, Feb 2018)
«Die Themen Mord und düstere amerikanische Landschaften in Wind River sind perfekt für Cave und Ellis geeignet. (…) Obwohl es sich grösstenteils um Instrumentalmusik handelt, ist sie durch ihre Virtuosität und den herzzerreissenden Einsatz der Melodien eines der schönsten und ergreifendsten Werke, die die beiden produziert haben. Während es von Streichern und Klavier erzeugte Passagen gibt, in denen man in sich gehen und nachdenken kann, entsteht das eigentliche Bild erst, wenn das unharmonische Pochen eines Synthesizers einsetzt. (…) Die Stimmen sind weit entfernt und choral (...), wenn Cave das Mikrofon in die Hand nimmt, benutzt er es für einen leise gesprochenen Halbflüsterton, der wie die Natur selbst erklingt, die von dem berichtet, was sie gesehen hat.» (Simon Tucker, louderthanwar.com, Okt 2017)
LA PANTHÈRE DES NEIGES
So 8.6. 18:30 Mo 23.6. 20:45 Frankreich 2021, Farbe, DCP, F/d, 92 ' REGIE, DREHBUCH und SCHNITT Marie Amiguet, Vincent Munier MUSIK Nick Cave, Warren Ellis MIT Vincent Munier, Sylvain Tesson.
«Im Herzen des tibetischen Hochlands nimmt der Fotograf Vincent Munier den Schriftsteller Sylvain Tesson mit auf seine Suche nach dem seltenen Schneeleoparden. Er weiht ihn in die subtile Kunst des Abwartens im toten Winkel ein, lehrt ihn das Aufspüren der Tiere und die Fähigkeit der geduldigen Beobachtung. Auf ihrer Reise durch die tibetischen Gipfel, die von vielen weiteren fast unsichtbaren Präsenzen bewohnt werden, kommen die beiden Männer ins Gespräch über unseren Platz unter den Lebewesen und feiern zugleich die Schönheit dieser Welt.» (Festival de Cannes, 2021)
«Der Film beeindruckte Ellis so sehr, dass er ‹zu allem bereit war›, um die Originalmusik zu komponieren, und Cave fragte, ob er für einen Tag vorbeikommen könne – ‹er sah den Film und blieb vier Tage›. Das Ergebnis ist eine elegante, vielschichtige und berührende Zusammenarbeit: ein Werk, das sowohl Raum als auch Nuancen zulässt, um etwas fast Philosophisches und Spirituelles zu schaffen, das ebenso auf der Suche nach Intuitionen ist wie der Dokumentarfilm selbst. Eine eindringliche Atmosphäre liegt über jedem Stück, die etwas Alchemistisches hervorbringt, das vielleicht nur die Welt der Natur selbst eingeben kann. Wobei Ellis und Cave eindeutig auch Spannungen erforschen: die Konflikte zwischen der menschlichen und der natürlichen Welt sowie zwischen dem Beobachter und den Beobachteten.» (Siobhán Kane, The Irish Times, Dez 2017)
VORPREMIERE
Neues Kino im Filmpodium
MUTINY
IN HEAVEN –NICK CAVE ′ S EARLY YEARS
Do 5.6. 20:45
Australien 2023, Farbe, DCP, E/d, 98 REGIE und DREHBUCH Ian White KAMERA Craig Johnston MUSIK J.P. Shilo SCHNITT Aaron J. March MIT Nick Cave, Mick Harvey, Phil Calvert, Rowland S. Howard, Tracy Pew.
«Fans der legendären Postpunk-Band The Birthday Party werden Ian Whites Film geniessen und sich an den ausschweifenden, knallharten Auftritten der Band und ihrem drogenirrigen Weg zur Grösse erfreuen. Doch auch die Uneingeweihten werden wahrscheinlich ihren Spass an diesem Dokumentarfilm haben, der die Band und ihre Mitglieder mit allen Wassern gewaschen darstellt: Nick Cave, Mick Harvey, Rowland S. Howard, Phill Calvert und Tracy Pew. Diese im Abseits stehenden Künstler spielten nach ihren eigenen Regeln, spuckten Anstand und Korrektheit ins Gesicht und hatten in einem Dunst aus verdorbener Freude trotz aller Widrigkeiten Erfolg. ‹Wir haben nichts getan, um beliebt zu sein›, hören wir Harvey kurz nach Beginn der zweiten Stunde des Films sagen. Und das stimmt, keine Frage.» (Luke Buckmaster, The Guardian, Okt 2023)
« Mutiny in Heaven erzählt die Geschichte der Band in ihren eigenen Worten und bringt sie zum ersten Mal auf die Leinwand. Dies ist eine mitreissende Geschichte von Aufstieg und Zerfall, die sich mit Themen wie künstlerischer Muse, Kreativität, Sucht, Ruhm, mit zwischenmenschlichen Konflikten und der einzigartigen Beziehung zwischen visionärer Kreativität und Selbstzerstörung befasst –alles untermauert durch den schwarzen, trockenen Humor der einzelnen Bandmitglieder. Mit exklusiven, unglaublich offenen Interviews, einer Fülle seltener und bisher unbekannter Archivaufnahmen, unveröffentlichter Titel, Studioaufnahmen, Animationen und mit multimedialen Inhalten ist der Film genauso visuell reichhaltig wie erzählerisch fesselnd.» (Byron Bay Int. Filmfestival, Okt 2024)
Regulärer Kinostart ab 19. Juni im Kino Riffraff
PIERRE KORALNIK
Zwischen Kunst und Pop
Die Filme von Pierre Koralnik sind nur schwer auf einen Nenner zu bringen. Mit grosser Freude wechseln sie zwischen verschiedenen Genres, changieren mühelos zwischen Fernseh- und Kinoarbeiten und sind in unterschiedlichsten Ländern angesiedelt. Und immer wieder vor der Kamera: Künstler:innen wie Anna Karina und Serge Gainsbourg, Françoise Hardy und Udo Jürgens, James Baldwin und Louise Nevelson, denen Pierre Koralnik in Form von Spiel- oder Dokumentarfilmen filmische Denkmäler setzt. Mit einer eklektischen Auswahl von neun Filmen ehrt das Filmpodium Zürich den visionären Schweizer Regisseur, dessen Karriere Spuren in der audiovisuellen Geschichte der Schweiz hinterlassen hat.
Reportagen über Künstler:innenporträts und Dramen bis hin zu Spielfilmen reicht. Diese aussergewöhnlich reichhaltige Karriere innerhalb des TSR setzte sich bis in die 2000erJahre fort.
Kunst im Fokus
Mit dem Diplom der französischen Filmhochschule Institut des Hautes Études Cinématographiques Paris in der Tasche trat Pierre Koralnik 1961 als Regisseur und Produzent in die Reihen des damals jungen Westschweizer Fernsehens ein. Zu dieser Zeit standen formale Aspekte des Bildes im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit des Fernsehens, und die Regisseure genossen eine grosse künstlerische Freiheit. Dieser günstige Nährboden beflügelte die Kreativität und Originalität von Pierre Koralnik, der in der Folge ein vielfältiges und bemerkenswertes Werk schuf, das von
Schriftsteller James Baldwin, der auf dessen Aufenthalt in Leukerbad zurückblickt, Francis Bacon, peintre anglais (1964), den Koralnik ganz spontan drehte, als er eigentlich für eine Reportage über wirtschaftliche Probleme nach London geschickt wurde, sowie ein späteres Porträt der amerikanischen Bildhauerin Louise Nevelson (1980), in dem sie über ihre bewegte Karriere Auskunft gibt. Neben diesen Künstler:innenporträts beauftragte das Westschweizer Fernsehen Pierre Koralnik mit mehreren grösseren Projekten, wobei er auch hier stets verschiedene Themenbereiche und Formate erforschte. Bis 1965 war er an der Produktion des politischen Magazins Le Point beteiligt, einer Sendung, die das internationale Geschehen dem Schweizer Publikum näherbrachte. Ausserdem drehte er zahlreiche Reportagen, insbesondere für die prominenten Sendungen Continents sans visa und Temps présent, in denen er sich mit Themen wie dem Nationalsozialismus ( Les dossiers de la honte , 1964) oder der Einwanderung ( Les Russes à New York , 1981) auseinandersetzte. Jahre später widmete er sich nochmals vertieft dieser Problematik mit Das letzte Versteck (2002), einem von der Schweiz und Deutschland koproduzierten Spielfilm über das Schicksal zweier jüdischer Schwestern, die vor der Deportation durch die Nazis fliehen. Als Vorlage für diesen Film diente Koralnik der autobiografische Roman «Die Reise» von Ida Fink.
Zwischen Pop und Chanson Neben der Schweiz stellte Frankreich den zweiten wichtigen Arbeitsschwerpunkt dar. Dort setzte er sich intensiv mit Musik auseinander: Neben Varietésendungen wie Ni figue ni raisin (1964) drehte er eine Reihe von Musikspielfilmen, die bis heute wahrscheinlich zu seinen bekanntesten Werken gehören. Diese Filme, Höhepunkte in seinem Werdegang, zeichnen sich durch Kühnheit und Erfindungsreichtum aus: Auf innovative Weise verbinden sie Film und Musik und fangen zugleich den Geist der damaligen Zeit mit bemerkenswerter Originalität ein. Herausragendes Beispiel dafür ist Anna aus dem Jahr 1967, in dem sich ein junger Mann in das Bild einer Frau verliebt und sich danach auf die Suche nach ihr macht. Getragen von der legendären französischen Schauspielerin Anna Karina und den unvergesslichen Stimmen von Serge Gainsbourg und Marianne Faithfull, markierte Anna einen Wendepunkt in Koralniks Karriere. Nicht minder wichtig ist die mitreissende Produktion Françoise et Udo (1968) mit Françoise Hardy und Udo Jürgens in den Hauptrollen, eine von Chansons durchsetzte Liebesgeschichte, welche die mit Anna begonnene farbenfrohe Inszenierung der Verbindung von Musik und Film fortsetzte.
Weitere Spielfilme vervollständigen das heterogene Werk des Künstlers Pierre Koralnik: Literaturverfilmungen wie Le Rapt (1984) nach dem berühmten Roman von C. F. Ramuz, der in einer typisch schweizerischen Landschaft im Wallis gedreht wurde, oder Quartier nègre nach Georges Simenon, der vollständig in Kuba spielt. Koralnik schuf auch historische Fresken wie Die Königin von Saba (1974) und Salomé (1969) sowie nicht weniger ergreifende Sozialdramen wie La Sainte Famille (1973), ein erschütternder Film über religiösen Fanatismus anhand der Geschichte eines jungen Mädchens, das von einer fundamentalistischen christlichen Sekte verfolgt wird.
Mo 19.5. 18:00 So 1.6. 18:00
Mo 19.5. 18:00
In Anwesenheit von Pierre Koralnik
Die drei Kurzfilme porträtieren bedeutende Künstlerpersönlichkeiten und gewähren einzigartige Einblicke in ihr Leben und Werk. In Louise Nevelson, My Life as a Collage blickt die amerikanische Bildhauerin Louise Nevelson auf ihre Kämpfe um die Anerkennung ihres revolutionären Werks zurück, das sich aus gewöhnlichen, rohen, verlorenen, weggeworfenen und in New Yorker Abfalleimern wiedergefundenen Materialen zusammensetzt. Un étranger dans le village widmet sich James Baldwin und seiner Erfahrung als afroamerikanischer Schriftsteller in einem abgelegenen Walliser Dorf. 1962 lud Pierre Koralnik Baldwin ein, die Begegnung nachzuspielen, die er elf Jahre zuvor in Leuk gehabt hatte, wo er der einzige Schwarze in einem ansonsten weissen Dorf war. In Francis Bacon, peintre anglais begegnen wir dem berühmten britischen Maler Francis Bacon. In einem schonungslosen Geständnis spricht Bacon offen über sein Leben, das von Alkohol und persönlichen Dämonen geprägt war. Es handelt sich wohl um das einzige Dokument, in dem Bacon sich so vollständig und ungeschönt zeigt. (nv) In Kooperation mit OMANUT Forum für jüdische Kunst und Kultur
JAMES BALDWIN, UN ÉTRANGER DANS LE VILLAGE
Schweiz 1962, sw, Digital HD, E/d*, 30 REGIE Pierre Koralnik, nach «Notes of a Native Son» von James Baldwin KAMERA Roger Bimpage MUSIK Henri Chaix SCHNITT Jean-Louis Roy UNTERTITEL Aargauer Kunsthaus.
LOUISE NEVELSON, MY LIFE AS A COLLAGE
Schweiz 1980, sw, Digital HD, E/f, 60 ' REGIE Pierre Koralnik KAMERA Pavel Korinek SCHNITT François Charpier MIT Louise Nevelson, Edward Albee.
Die zahlreichen Porträts, die Koralnik Künstler:innen und Persönlichkeiten widmete, darunter Denis de Rougemont, Rolf und Fredy Knie und Françoise Hardy, gehören zu den Glanzstücken seines Werks. Dieser diversen Künstler:innen gewidmete Strang seines Schaffens, den er parallel zu seinen anderen filmischen Arbeiten bis in die 1990er-Jahre fortsetzte, entfaltet sich mit grosser kreativer Freiheit und originellen Ansätzen, die es ihm ermöglichten, die Essenz der unterschiedlichen Künstler:innen einzufangen. In der Retrospektive zeigen wir Un étranger dans le village (1961), seinen gefeierten Dokumentarfilm über den grossen amerikanischen
Diese Retrospektive knüpft an das seit 2023 von der Cinémathèque suisse, dem Geneva International Film Festival (GIFF), der RTS und dem INA unternommene Projekt zur Erhaltung und Präsentation des Œuvres Koralniks an und würdigt die Vielfalt und den Reichtum einer Karriere, die die audiovisuelle Landschaft der Schweiz um schillernde Akzente bereichert hat.
Maral Mohsenin ist Director of Collection and Knowledge Sharing am Eye Filmmuseum in Amsterdam.
Essay von Maral Mohsenin
FRANCIS BACON, PEINTRE ANGLAIS
Schweiz 1962, sw, Digital HD, F, 26 REGIE Pierre Koralnik KAMERA Rudolph Menthonnex SCHNITT Eliane Heimo.
ANNA
Sa 17.5. 18:30 Mi 28.5. 20:45 Frankreich 1967, Farbe, DCP, F/e, 90 ' REGIE Pierre Koralnik DREHBUCH Pierre Koralnik, JeanLoup Dabadie KAMERA Willy Kurant SCHNITT Françoise Collin MIT Anna Karina, Jean-Claude Brialy, Marianne Faithfull, Serge Gainsbourg, Barbara Sommers, Isabelle Felder, Henri Virlojeux, Hubert Deschamps.
Sa 17.5. 18:30
«Der erste Farbfilm, der für das französische Fern sehen produziert wurde, ist vielleicht gleich auch der beste. Oder zumindest der farbigste. Denn Pierre Koralniks Anna ist in erster Linie ein Spektakel der bunt leuchtenden Oberflächen, ein Fest der modischen und auch musikalischen Extravaganz der 60er-Jahre. Für Letzteres ist Serge Gainsbourg zuständig, der die Musik und Songtexte komponiert hat und ausserdem auch als Schauspieler auftaucht. Er spielt den besten Freund der Hauptfigur, eines jungen Mannes (Jean-Claude Brialy), der sich in das Bild einer Frau verliebt – obwohl von ihr lediglich Augen und Mund zu erkennen sind. Die Suche nach diesem Fetischobjekt wird zu einer popkulturellen Odyssee durch Paris. Dabei verrät schon der Titel, wer sich tatsächlich hinter dem Plakatbild verbirgt: Anna ist nicht zuletzt eine spielerische, enthusiastische Verbeugung vor der ikonischen Nouvelle-Vague-Legende Anna Karina. Regisseur Pierre Koralnik, der bei der Gestaltung des Films alle Freiheiten hatte, erinnert sich an die Dreharbeiten: ‹Es war einzigartig, die Musik übernahm die Funktion eines Drehbuchs, das Ganze war sehr wild, in den Kompositionen steckte Gainsbourgs ganzer Modernismus, und seine Texte waren grossartig.›» (Xenix, Jun 2018)
FRANÇOISE ET UDO
So 18.5. 18:45 Do 29.5. 15:00
Frankreich 1968, Farbe, DCP, D+F, 67
REGIE Pierre Koralnik KAMERA Denys Clerval SCHNITT Lucienne Barthelemy MIT Françoise Hardy, Udo Jürgens, Georges Brassens, Paco Rabanne, Annabel Buffet, Bernard Buffet, Jean-Luc Godard, Jean-Pierre Léaud.
Achtung: Ohne Untertitel!
(Die in Französisch gesprochenen Passagen sind mit Grundkenntnissen gut verständlich.)
«In einem Zug lernt ein österreichischer Sänger (Udo Jürgens) eine französische Lehrerin (Françoise Hardy) kennen, die Deutsch spricht. Es kommt zu einer Romanze, und gemeinsam brechen sie auf eine Reise auf, die sie nach Paris, Saint-Cast-le-Guildo und Klagenfurt führt. (…) Françoise et Udo bietet auch die Gelegenheit, eine Reihe von berühmten Persönlichkeiten auftreten zu lassen: Georges
Brassens, Paco Rabanne, Eugène Ionesco, Annabel und Bernard Buffet sowie Jean-Luc Godard. Nebenbei singen die beiden Auszüge aus ihren jeweiligen Repertoires. Das Geschehen des Films – das unerwartete Zusammentreffen der beiden grossen Stars der damaligen Zeit in einem Zug und die Szenen in einem Hotelbett – schockierte die Verantwortlichen des französischen Senders ORTF so sehr, dass sie beschlossen, den Film gleich wieder aus dem Programm zu nehmen.» (Base de données de films français, BDFF)
LA SAINTE FAMILLE
So 25.5. 18:15 Do 5.6. 15:00
Frankreich/Schweiz 1972, Farbe, Digital HD, F/d, 90 '
REGIE Pierre Koralnik
DREHBUCH Pierre Koralnik, Ingrid Thulin KAMERA Sacha Vierny MUSIK Éric Demarsan SCHNITT François Ceppi MIT Ingrid Thulin, Michel Bouquet, Stéphane Fléchet, Gudrun Tempel.
So 25.5. 18:15
Einführung von Christian Rutishauser, Professor für Juda istik und Theologie, 10'
« La Sainte Famille basiert auf einer wahren Begebenheit, die sich in Ringwil im Zürcher Oberland zugetragen hat. Ein Prediger (Michel Bouquet) und seine Assistentin (Ingrid Thulin) kommen in ein Dorf und leihen sich von den Einwohner:innen grosse Geldsummen. Um die Spuren zu verwischen, gelingt es ihnen, die Dorfbewohner:innen davon zu überzeugen, dass ein junges Mädchen im Dorf vom Teufel besessen ist und dass es in einem makabren Ritual exorziert werden muss. Die Bewohner:innen werden sie zu Tode prügeln. Die Schauspieler:innen verkörperten ihre Rollen so überzeugend, dass La Sainte Famille heftige Reaktionen hervorrief, die sogar dazu führten, dass die Vorführung verboten wurde.» (Unifrance)
LE RAPT
Mi 4.6. 18:00 Mi 11.6. 15:00
Schweiz/Frankreich 1983, Farbe, Digital HD, F/d*, 100 '
REGIE Pierre Koralnik DREHBUCH Jacques Probst, Pierre Koralnik, nach dem Roman «La Séparation des races» von Charles Ferdinand Ramuz KAMERA Pavel Korinek MUSIK Serge Franklin, Gianfranco Plenizio
SCHNITT Didier Périat MIT Pierre Clémenti, Daniela Silverio, Heinz Bennent, Elisabeth Kaza, Teco Celio, René Peier, Naara Salomon, Marcel Robert, JeanPierre Malo, Gérald Bartiaz.
«Mit der Entführung einer jungen Frau (Daniela Silverio) und den hilflosen Versuchen, sie an sich zu binden, rüttelt ein junger Bauer (Pierre Clémenti) aus dem Wallis an den archaischen Strukturen der Dorfgemeinschaft. ‹Die zweite Adaptation dieses Romans macht begreiflich, wie wenig Koralnik vorschwebt, in einem Film kurzerhand eine abschliessende Fassung eines literarischen Textes zu geben. Vielmehr legt er das Augenmerk auf die Spannung, die aus dem Gegensatz des Dörflichen, das mit ethnografischer Konkretheit ins Bild gefasst ist, und dem Archetypischen entsteht, das in den Figuren, in ihren Haltungen aufscheint. Es werden, und das gerade ist der Erfolg der assoziativen Schnittweise, die Urängste, die Ursehnsüchte eingefangen, und deren Universalität soll so profiliert werden›.»
(Martin Schlappner, Filmpodium, Jan 1998)
QUARTIER NÈGRE
Mi 21.5. 15:00 Di 10.6. 18:30
Schweiz/Frankreich/Kuba 1989, Farbe, Digital HD, F/d*, 97
REGIE Pierre Koralnik DREHBUCH Pierre Bourgeade, Pierre Koralnik, nach dem gleichnamigen Roman von Georges Simenon KAMERA Pavel Korinek MUSIK Louis Crelier SCHNITT Eliane Guignet MIT Tom Novembre, Fabienne Babe, Jean-Paul Roussillon, Jacques Denis, Jérôme Anger, Ibis Hernandez, Capucine, Daniel Fillion.
«1937 ergattert der junge französische Ingenieur Jo Dupuche (Tom Novembre) einen Job in Ecuador, in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Bei einem Zwischenstopp auf einer Karibikinsel stellt er fest, dass die Mine, in der er eingestellt worden ist, bankrottgegangen ist und er selbst nun mittellos zurückbleibt. Mit seiner Frau (Fabienne Babe) in den Tropen gestrandet, muss er sich der Situation stellen. Während seine Frau dank einiger weisser Siedler:innen Arbeit findet, wird Jo in einem Ghetto untergebracht, wo er eine Liebesbeziehung mit einer jungen Prostituierten beginnt. Dieser Fernsehfilm, der Ende der 1980er-Jahre in Kuba auf 35-mmFilm gedreht wurde und alle mit dem Land verbundenen Einschränkungen aufweist, zeichnet ein kompromissloses Bild des Kolonialismus in direkter Anlehnung an Georges Simenons gleichnamigen Roman, der dem Film als Vorlage diente.» (Cinémathèque suisse, Nov 2024)
Mi 4.6. 18:00
Diskussion in Deutsch, ca. 45' Im Anschluss an LE RAPT
Pierre Koralnik hat sich in seiner Karriere immer wieder mit Literaturverfilmungen beschäftigt, wie etwa Le Rapt (1984), einer Adaption des Romans «La séparation des races» von Charles Ferdinand Ramuz. Ausgehend von diesem Werk sprechen Pierre Koralnik und der Schriftsteller Peter Stamm über die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Film und Literatur und über die Herausforderungen, eine der jeweiligen literarischen Vorlage gerechte Bildsprache zu finden.
DAS LETZTE VERSTECK
Fr 23.5. 15:00 Di 3.6. 18:15
Deutschland/Schweiz 2002, Farbe, Digital SD, D, 90 REGIE Pierre Koralnik DREHBUCH Christoph Busch KAMERA Grzegorz Kędzierski MUSIK Serge Franklin SCHNITT Anja Dihrberg MIT Joachim Bissmeier, Johanna Wokalek, Agnieszka Piwowarska, Agata Buzek, Anna Graczyk, Cosma Shiva Hagen, Axel Neumann, Marie-Luise Schramm, Katja Studt, Paulina Holtz. «Polen, im Herbst 1942. Um den Deutschen zu entkommen, schickt ein jüdischer Arzt (Joachim Bissmeier) seine beiden Töchter als Zwangsarbeiterinnen nach Deutschland – in die ‹Höhle des Löwen›. Katarzyna (Johanna Wokalek) und Elzbieta (Agnieszka Piwowarska) nennen sie sich zu Anfang, aber immer wieder müssen sie neue Identitäten annehmen, um ihre jüdische Herkunft zu
verbergen. Die Flucht führt über das Arbeitslager einer Maschinenfabrik im Ruhrgebiet zu Weinbauern am Rhein und endet nach weiteren Stationen auf einem Rheindampfer kurz vor der Schweizer Grenze.» (cineimage.ch)
«Als literarische Vorlage für Pierre Koralniks Spielfilm Das letzte Versteck dient der Roman ‹Die Reise› der Schriftstellerin Ida Fink. Den Spielfilm leiten einige dokumentarische Aufnahmen der in Tel Aviv lebenden Autorin ein. ‹Das, was ich erzähle, ist ganz, ganz wahr. Natürlich handelt es sich um eine persönliche Wahrheit, die nur einem selbst gehört›, berichtet Fink über ihre literarisch verarbeitete Geschichte. Dieser für einen Spielfilm eher ungewöhnliche Einstieg stellt eine Würdigung der Autorin dar und weist zugleich auf die historische Authentizität der Charaktere in Das letzte Versteck hin.» (Francesco Laratta, Cinema-Jahrbuch, 2004)
Thomas Frischhut MUSIK Serge Franklin SCHNITT Klaus Flemming. «Von Zürich über Lausanne nach Paris bietet Pierre Koralnik, cinéaste et visionnaire eine Reise durch die Karriere dieses französisch-schweizerischen Regisseurs, der sich seit seinen Anfängen beim Schweizer Fernsehen durch innovative Werke ausgezeichnet hat. An der Seite von Koralnik selbst tauchen wir in diesem Dokumentarfilm in das umfassende Werk des Regisseurs ein, der die Möglichkeiten eines damals in voller Aufregung befindlichen Mediums erforscht hat. Der Zwischenstopp in der Stadt der Lichter, wo sich ein ganzer Teil von Koralniks Karriere an der Seite von Persönlichkeiten wie Serge Gainsbourg entwickelte, ist auch eine Gelegenheit, in die Archive des Institut national de l’audiovisuel (INA) einzutauchen, ein Kontext, der uns an den ehrgeizigen und innovativen Charakter des Filmemachers erinnert.» (Cinémathèque suisse, Nov 2024)
In Anwesenheit
von Pierre Koralnik
In Anwesenheit von Pierre Koralnik und Produzent Yves Kugelmann
QUARTIER NÈGRE
PREMIERE
Neues Kino – exklusiv im Filmpodium
Sechs Monate trumpsche Verwerfungen: Man kann sich kaum einen besseren Moment vorstellen, um über die Erwartungen und Zuschreibungen nachzudenken, die das höchste politische Amt in Amerika mit sich bringt. Alexander Horwath folgt in seinem Dokumentarfilm den Spuren Henry Fondas, der mit Young Mr. Lincoln , nicht nur den uramerikanischen Präsidenten spielte, sondern im Laufe seiner Karriere immer mehr präsidiale Tugenden zu verkörpern schien. Der Weg des Films führt quer durch die USA und die Karriere dieses Ausnahmschauspielers. Begleitend zur Premiere von Henry Fonda for President zeigen wir mit The Lady Eve (1941) sowie Fail Safe (1964) zwei Filme, die Fondas facettenreiches Schauspiel eindrücklich vor Augen führen.
HENRY FONDA FOR PRESIDENT
Fr 23.5. 18:30 So 8.6. 14:30
Österreich/Deutschland 2024, Farbe + sw, DCP, D+E/d, 184 REGIE und DREHBUCH Alexander Horwath KAMERA und SCHNITT Michael Palm.
Fr 23.5. 18:30
Anschliessend: Q&A mit Alexander Horwath und Regina Schlagnitweit (künstlerische Mitarbeit, Recherche)
«Im Jahr 1980 kreuzen sich in einem Pariser Kino zwei Biografien: die des jungen Kinogängers Alexander Horwath und jene Henry Fondas. Dass Fondas populäre Zuschreibungen als ‹typical American› und schauspielerisches ‹Gewissen der USA› zu kurz greifen, erkennt Horwath früh. So sind es vielmehr die Maulwurfsgänge in Fondas Biografie und seine über die Figuren hinausweisenden Rollenausgestaltungen und Haltungen, die ihn interessieren. In seinem mit Michael Palm aufregend montierten Essay folgt er ihnen durch die Filmgeschichte hinein in eine imaginäre Republik aus Orten, Zeiten, Figuren: ‹The United States of Fonda›. Fonda wird zum Scharnier zwischen altem und neuem Amerika,
THE LADY EVE
Sa 24.5. 18:30 So 1.6. 20:45
USA 1941, sw, 35 mm, E/d, 94 REGIE und DREHBUCH Preston Sturges, nach einer Story von Monckton Hoffe KAMERA Victor
MUSIK Sigmund Krumgold
MIT
Demarest, Eric Blore, Melville Cooper, Janet Beecher, Robert Greig, Martha O‘Driscoll, Luis Alberni.
«Auf einem Luxusliner wird Charles Pike (Henry Fonda), ein naiv-tollpatschiger Wissenschaftler und Sohn eines millionenschweren Brauereibesitzers, in doppelter Hinsicht zum Opfer einer gewieften Betrügerin. Jean Harrington (Barbara Stanwyck) bezirzt Pike bis an den Rand der Besinnungslosigkeit – um ihn dann bei einer Pokerpartie gemeinsam mit ‹Colonel› Harrington (Charles Coburn), ihrem Vater, nach Strich und Faden auszunehmen. Aber noch bevor dieser Plan in die Tat umgesetzt wird, werden die Karten neu gemischt: Jean erleidet einen ‹Betriebsunfall›, sie verliebt sich in den schmachtenden Pike und ist nun nicht mehr bereit, ihr Spiel zu Ende zu spielen.» (Viennale, Okt 2008)
«Ein frivoles Meisterwerk. Ähnlich wie Bringing Up Baby ist The Lady Eve eine Mischung von visuellem und verbalem Slapstick, von Durchtriebenheit und Derbheit. Barbara Stanwyck streckt dauernd ihre sensationellen Beine aus, und Henry Fonda stolpert unablässig darüber. Sie ist eine Kartenzinkerin und er ist ein Millionär in Wissenschaftlermontur, der mehr von Schlangen versteht als von Frauen. Weder Stanwyck noch Fonda waren je lustiger.» (Pauline Kael, 5001 Nights at the Movies)
FAIL SAFE
zum nachdenklichen Antlitz eines behaupteten Übergangs von Faustrecht zu Zivilisation.» (Berlinale, Feb 2024)
«Das Kino als Reenactment, in dem Fiktion und Realität verbunden werden, die Vergangenheit befragt wird, um die Gegenwart zu verstehen. Diesen Ansatz setzt der Film meisterhaft um, insbesondere weil die Nachstellung hier nicht fiktional ist, sondern durch Archivaufnahmen oder dokumentarische Form gefasst wird. Dabei zeigt sich: Das Kino ist –in sämtlichen Formen – mehr als eine Annäherung an das Reale, es zeigt immer mehr, als da ist, lässt das Unmögliche erahnen. Ein triumphales Werk.» (Benedikt Guntentaler, Artechock, Feb 2024)
Mo 19.5. 20:45 So 15.6. 15:00 USA 1964, sw, DCP, E/d*, 111 ' REGIE Sidney Lumet DREHBUCH Walter Bernstein, Peter George (ungenannt), nach dem gleichnamigen Roman von Eugene Burdick, Harvey Wheeler KAMERA Gerald Hirschfeld MUSIK Jack Fitzstephens SCHNITT Ralph Rosenblum MIT Henry Fonda, Walter Matthau, Larry Hagman, Dan O‘Herlihy, Frank Overton, William Hansen, Russell Hardie, Edward Binns, Fritz Weaver, Russel Collins, Sorrell Booke, Nancy Berg. «Das todernste, aber nicht weniger packende Gegenstück zu Dr. Strangelove , Kubricks rabenschwarzer Satire auf die Gefahr des versehentlichen atomaren Holocaust im Kalten Krieg: Eine amerikanische Bomberstaffel erhält durch einen Fehlalarm den Befehl, Atombomben über Moskau abzuwerfen; sämtliche Versuche, das Himmelfahrtskommando rechtzeitig zu stoppen, versagen. Minutiös beschreibt der Film die Verkettung von Misstrauen und Täuschungen, Sicherheitsdenken und allzu später Kooperation zwischen den amerikanischen und den sowjetischen Militärs sowie den politischen Spitzen: Für jede denkbare Massnahme hat der Gegner im Voraus schon so wirksame Vorkehrungen getroffen, dass sich alle Bemühungen aufheben. Nach einer betont nüchternen Exposition entwickelt Lumet diese Eigendynamik der Abwehrmaschinerie so konsequent, dass der Film auf dem Höhepunkt erzählerisch und visuell surreale Züge annimmt. Ein kleines Meisterwerk des Huis clos und ein grandioses Zeitdokument.» (Andreas Furler, Filmpodium, Jan 2009) «‹Hier spricht der Präsident der Vereinigten Staaten.› Ein Satz, dem vor allem dann tiefere Bedeutung zukommt, wenn er aus dem Mund von Henry Fonda kommt – einem Vorbild an weltmännischer Hollywood-Integrität, wenn es so etwas je gegeben hat. In Sidney Lumets Fail Safe hält Fonda ‹Ich bin der Präsident› mit der Autorität eines Mannes fest, dessen Gesicht bereits im Selbstverständnis unseres Landes verewigt ist. Wenn man sich Lumets Film ansieht, wünscht man sich jedoch schnell, diesen Satz unter besseren Umständen zu hören.» (Austin Collins, Vanity Fair, Mai 2020)
Milner
SCHNITT Stuart Gilmore
Barbara Stanwyck, Henry Fonda, Charles Coburn, Eugene Pallette, William
SE LECTION LUMIE RE
Der Wunschfilm unseres
THE 39 STEPS
Fr 30.5. 18:30 Sa 28.6. 20:45
Do 3.7. 18:30
GB 1935, sw, DCP, E/d*, 86
«Der junge Kanadier Richard Hannay flieht von London nach Schottland, um dort die Spur von Agenten wiederzufinden, die in seiner Wohnung eine Frau erdolcht haben. Von der Polizei als Mörder gesucht, von den Agenten verfolgt, stolpert er von einer dramatischen Situation in die nächste – von Hitchcock in pointierten Dialogen und in einem leichten Ton erzählt. In atemberaubendem Tempo folgt eine Idee auf die andere und treibt die Handlung voran. Logik und Verlauf der Geschichte sind der Spannung untergeordnet orientieren sich nicht zwingend an der Wahrscheinlichkeit der Handlung. Die drohende Kriegsgefahr der dreissiger Jahre führte zu einer bespiellosen Konjunktur von Spionage- und Agentenfilmen in England. Hitchcock unterscheidet sich von anderen zeitgenössischen Regisseuren des Genres, indem er sich auf ironische Weise der Stereotype des Genres bedient und Elemente des Lustspiels und des Liebesfilms beimischt.» (Kino Cameo, Aug 2016)
«Kino unter Volldampf, Filme voll in Fahrt. Nie, heisst es unisono in der Filmgeschichte, war Hitchcock so gut drauf wie Ende der Dreissiger, im Endspurt seiner britischen Phase. (...) Keine Zeit der verblüffenden Meisterwerke, aber eine Art von Kino, das unglaubliche Souveränität zeigt und eine Lust am Spiel mit Formen und Geschichten – besonders schön ist das entwickelt in The 39 Steps .» (Fritz Göttler, Filmpodium, Jul/Aug 1999)
FAROCKI-FORUM: ÜBERTRAGUNG #7
Teri Wehn Damisch: Transatlantische Passagen
Seit den 1970er-Jahren hat die frankoamerikanische Regisseurin und Produzentin Teri Wehn Damisch (*1936) an der Schnittstelle zwischen TV, Kino und bildender Kunst ein umfassendes audiovisuelles Werk geschaffen. Für Fernsehsender wie ORTF und später Antenne 2 entwickelte sie, oft auf Tuchfühlung mit wegweisenden Ausstellungen im damals neuen Centre Pompidou, Kultur- und Kunstmagazine; als Regisseurin drehte sie ab den 1980er-Jahren einfallsreiche Porträts von Denkern wie Umberto Eco, Künstlern wie Robert Morris, Fotografinnen wie Gisèle Freund oder Filmemachern wie Michael Snow. In Citizen Lambert widmet sich Wehn Damisch der aussergewöhnlichen kanadischen Architektin und Philanthropin Phyllis Lambert. Ein neues Heft des Harun-FarockiInstituts zeichnet Wehn Damischs «Transatlantische Passagen zwischen den Künsten» nach.
CITIZEN LAMBERT: JOAN OF ARCHITECTURE
Di 27.5. 18:30
Frankreich/Kanada 2007, Farbe, Digital SD, E+F/e, 52
REGIE Teri Wehn Damisch DREHBUCH Kathleen Fee, Teri Wehn Damisch KAMERA Nathalie MoliavkoVisotsky MUSIK Robert Marcel Lepage SCHNITT Myriam Poirier.
Phyllis Lambert, im Januar 98 Jahre alt geworden, gehört zu den wenigen Architektinnen von Weltruhm. 2014 wurde ihr bei der Architekturbiennale in Venedig der «Golden Lion for Lifetime Achievement» verliehen. 60 Jahre zuvor sorgte die damals 27-Jährige dafür, dass Mies van der Rohe und Philip Johnson die Planung und der Bau des wegweisenden Seagram Building in New York übertragen wurden. In ihrer Heimatstadt Montréal gründete sie 1979 das Canadian Center for Architecture (CCA). Teri Wehn Damischs Dokumentarfilm begann als intimes Porträt, bevor sich die Regisseurin entschied, in spielerischer Weise Strukturelemente von Orson Welles’ Citizen Kane aufzugreifen, um der Vielseitigkeit und der Energie der Porträtierten gerecht zu werden.
EINFÜHRUNG UND GESPRÄCH
Di 27.5. 18:30
Filmgespräch mit Christa Blümlinger Moderation: Volker Pantenburg, ca. 30' Der Film wird von der renommierten Filmwissenschaftlerin Christa Blümlinger (Université Paris 8) eingeführt. Danach findet ein Gespräch mit ihr moderiert von Volker Pantenburg, Leiter des Seminars für Filmwissenschaft der Universität Zürich, statt.
Mit dem Farocki-Forum hat das Seminar für Filmwissenschaft der Universität Zürich einen Forschungsschwerpunkt zum Dokumentarfilmer und Künstler Harun Farocki (1944 – 2014) geschaffen. Ausgehend von Farockis Denken geht es um Perspektiven, die er eröffnet hat: auf Bildkritik, Arbeitskonzepte und vieles mehr. Das Farocki-Forum lädt einmal pro Semester zu einer Veranstaltung ins Filmpodium.
REGIE Alfred Hitchcock DREHBUCH Charles Bennett, Alma Reville, Ian Hay, nach dem gleichnamigen Roman von John Buchan KAMERA Bernard Knowles MUSIK
Louis Levy, Hubert Bath, Jack Beaver SCHNITT Derek N. Twist MIT Robert Donat, Madeleine Carroll, Lucie Mannheim, Godfrey Tearle.
KURZFILMPREMIERE
Fussball Dokfilm-Projekt zur UEFA-Frauen EM
Und Anpfiff! Die UEFA Women’s EURO 2025 findet ab dem 5. Juli mit mehreren Spielen auch in Zürich statt. Nach dem Motto «Fussball braucht Zürcherinnen» rückt HER GAME Fussball spielende Frauen und Mädchen in der Region Zürich ins Rampenlicht. Das Ziel: den Frauenfussball zu fördern. Auch die Filmkids sind mit von der Partie und haben zum Aufwärmen einen Film von Mädchen über Fussball spielende Mädchen realisiert. Die Premiere findet im Filmpodium statt. In Anwesenheit von Cast und Crew samt Fankurve!
FAMILIENFILM
Vergnügen für Gross und Klein
DER FANTASTISCHE MR. FOX
Sa 24.5. 15:00 Sa 14.6. 15:00
Wes Anderson, USA/GB 2009, Farbe, Digital HD, D (Synchronfassung), 87 8 (10)
Im Anschluss an die beiden Vorstellungen bietet das Filmpodium einen Workshop für Kinder an.
Weitere Infos siehe Seite 11.
KICK IT GIRLS
Mi 28.5. 18:30
Kollektiv Filmkids,
Anschliessend: Q & A mit Cast und Crew. Dauer ca. 60'
In diesem Filmprojekt stehen fussballbegeisterte Mädchen vor und hinter der Kamera. Als Filmteam und Protagonistinnen begeben sie sich auf eine persönliche Entdeckungsreise: Sie treffen andere Fussballspieler:innen, hören ihre Geschichten, erfahren von Träumen und diskutieren Wunschvorstellungen für den Frauenfussball. Doch ihr Blick geht auch über den Sportplatz hinaus und bezieht potentielle Zuschauer:innen mit ein. Der Film gibt jungen Fussballerinnen eine Stimme und beweist: Fussball ist für sie weit mehr als ein Sport –er ist Leidenschaft, gewährt Selbstbestimmung und Zusammenhalt.
UND AUSSERDEM
KARAOKE IN DER FILMPODIUM-LOUNGE
Sa 28.6. 21:00 Eintritt frei
Vom dunklen Kinosaal direkt in die funkelnde Welt des Karaoke? Gemeinsam mit Freund:innen Lieblingssongs zum Besten geben? Am 28. Juni, eine Woche bevor der Vorhang für die Sommerpause fällt, wird es noch einmal richtig laut: Das Filmpodium schmeisst die Karaokeanlage an und lädt ein, bis tief in die Nacht zu singen und zu tanzen. Ob legendäre Filmsongs oder kultige 80er-Hits: Unsere Playlist hat für jeden Musikgeschmack etwas auf Lager. Für Verpflegung sorgt unsere Bar Clemens – im Foyer und auf der lauschigen Terrasse.
WIR FREUEN UNS AUF IHREN BESUCH IM
Schweiz 2025, Farbe, DCP, 15
REGIE: Alisa Demchenko, Livia Füchsel, Kim Häberling, Anaé Kalt, Paula Schihin, Ievdokiia Voichenko
DAS KINO DER 1990ER
KOZABURO YOSHIMURA
SARAH MALDOROR
Afinal Filmes, Rio de Janeiro; Ascot Elite Entertainment Group, Zürich; Iva Babaja, Zagreb; Michael Cacoyannis Foundation, Athen; Ciné-Archives, Paris; Cineteca di Bologna; Feelgood Entertainment S.A., Piräus; Filmarchiv Austria, Wien; Filmcoopi, Zürich; Filmoption International, Westmount; Finecut, Seoul; The Greek Film Archive Foundation, Athen; Hellen Film & Audiovisual Center, Kallithea; National Film Institute of Hungary, Budapest; INA - Institut national de l’audiovisuel, Bry-sur-Marne; JMAG:productions; Zürich; Karagiannis-Karatzopoulos S.A., Athen; Kinemathek Le Bon Film, Basel; Kroatisches Filmarchiv, Zagreb; Les Amis de la Cinémathèque suisse, Lausanne; MK2, Paris; National Film Archive of India, Pune; Park Circus, Glasgow; Régina Film, Paris; RTS, Genf; Shellac Films, Marseille; Sixpackfilm, Wien; Studiocanal, Berlin; Tamasa Distribution, Paris; Taskovski Films, London; Titanus, Rom; La Traverse, Montreuil; trigon-film, Ennetbaden; Universal Pictures International, Zürich; Video Data Bank, Chicago; Viggo Srl, Roma; Voltage Pictures, Los Angeles; Wild Bunch, Paris; Xenix Filmdistribution, Zürich.