Filmpodium Programmheft Oktober – November 2018

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8. Oktober –14. November 2018

Blacklist Reloaded Das Fiktionale im Dokumentarfilm


Zürcher Filmbuff-Quiz 2018. Freitag, 2. November, 20.00 Uhr.

EIN FEST FÜRS KINO. EIN FEST FÜR ALLE.

KINO CORSO | ARENA CINEMAS SIHLCITY ARTHOUSE LE PARIS /PICCADILLY | FILMPODIUM | RIFFRAFF Main Partner

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01 Editorial

Schwarze Zahlen, schwarze Listen Wir haben es zwar schon in einem Newsletter von den Dächern gepfiffen, aber gute Nachrichten darf man auch mehr als einmal vermelden. Immer wieder war in den letzten Wochen in den Medien von der Krise des Kinos die Rede – in der Schweiz betrug der Publikumseinbruch im ersten Halbjahr 2018 gegenüber der Vorjahresperiode 18 Prozent, und Ende Juni hatte der endlose Sommer erst begonnen. Umso mehr freut uns, dass das Filmpodium mit seinem vor allem auf die Filmgeschichte ausgerichteten Programm auch in dieser schwierigen Zeit sein Publikum findet. Die Eintrittszahlen pro Vorstel­lung der Jahre 2016 und 2017 konnten im ersten Halbjahr 2018 gehalten werden – trotz Fussball-WM und strahlenden Badewetters. Auf besonderes Publikumsinteresse stiessen dabei das Stummfilmfestival und die Reihen zu Jeanne Moreau und Claudia Cardinale. Im Sommerprogramm setzte sich der Trend mit Maggie Smith und Ingmar Bergman fort. Auch einzelne Beiträge der Locarno-Retrospektive zu Leo McCarey fanden grossen Zuspruch. Wir möchten unseren Stammgästen ebenso wie denjenigen, die unser Kino erst vor Kurzem entdeckt haben, ganz herzlich für ihre Treue und ihr anhaltendes Interesse an unserem Programm danken. Die kommenden Wochen bieten sehr unterschiedliche Filmfarben. Es gibt ein Wiedersehen mit weiteren Werken der tschechischen Meisterregisseure Miloš Forman und Jiří Menzel. So vergnüglich die Filme sind, so traurig sind die biografischen Begleitumstände: Forman ist am 13. April 2018 gestorben, und der 80-jährige Menzel ist seit Monaten ans Bett gefesselt, sodass ein Besuch in Zürich undenkbar ist. Fred van der Kooij beschäftigt sich in seiner Vorlesungsreihe mit dem Einfluss der Fiktion auf das dokumentarische Filmschaffen – ein Thema, das auch einen Bezug zur umfangreichsten Reihe in diesem Programm hat. Diese ist der «Hollywood Blacklist» gewidmet: Auf der schwarzen Liste landeten Filmschaffende, deren Engagement für traditionell linke politische Anliegen sie in den Augen der rechtskonservativen US-Regierung der Nachkriegsjahre zu Staatsfeinden machte. Die betreffenden Filme setzen sich zumeist in ungewöhnlich nüchterner und kritischer Weise mit der amerikanischen Wirklichkeit auseinander und manche vermengen fiktionale und dokumentarische Elemente. Da viele dieser Werke keine normale Kinoauswertung durchliefen und auch nie im Ausland gespielt wurden, können wir die meisten Beiträge dieser Reihe nur im Original zeigen. Gerade diese Filme zu entdecken lohnt sich aber – heute erst recht. Michel Bodmer Titelbild: Peggy Cummins und John Dall in Gun Crazy von Joseph H. Lewis


02 INHALT

Blacklist Reloaded

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In der Nachkriegszeit wurden in den USA Filmschaffende offiziell verfolgt oder mit Berufsverbot belegt, die sich mehr oder minder ausdrücklich für «linke» Anliegen wie die Emanzi­ pation von Frauen und ethnischen Minderheiten oder soziale Gerechtigkeit einsetzten. Das Filmpodium zeigt Filme der le­ gendären «Hollywood Ten», die sich weigerten, vor dem House Un-American Activities Committee andere Filmschaffende zu denunzieren, Werke anderer Cineasten, die in der McCarthy-Ära auf der «Blacklist» landeten, sowie jüngere Filme, die sich mit diesem Trauma der US-Filmwelt befassen, etwa The Front oder Trumbo. Viele dieser Filme sind selten gesehene Raritäten, die belegen, wie viel Talent durch die damalige politische Ächtung zerstört oder vergrault wurde. Bild: The Breaking Point

Das Fiktionale im Dokumentarfilm

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Spätestens seit Robert Flahertys Nanook of the North (1922) ist das Dilemma bekannt: Inszenierung, das Nachstellen eines Ereignisses im Dokumentarfilm, die Vermischung von «fiction» mit «non-fiction» – darf das überhaupt sein? Fred van der Kooij untersucht in seiner diesjährigen Vorlesungsreihe die Strategien und Gestaltungsformen des Inszenierens in einem Genre, von dem man gemeinhin annimmt, es bilde ausschliesslich vorgefundene Realität ab. Sein Augenmerk gilt unter anderem dem Schaffen von Joris Ivens, Peter Greenaway, José Luis Guerín, Viktor Kossakowski und Michelangelo Frammartino. Und darüber hinaus geht er den Gründen und Folgen der verschiedenen Verfahren nach. Bild: En construcción


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Forman & Menzel

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Filmpodium für Kinder: Mein Nachbar Totoro

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Jiří Menzel (*1938) und Miloš Forman (1932–2018) gehören zu den bekanntesten tschechischen Regisseuren ihrer Generation. Wir präsentieren eine Auswahl ihrer zeitlosen zartbitteren Komödien in neu restaurierten Kopien, u. a. Die Liebe einer Blondine von Forman und Kurzgeschnitten von Menzel.

Der wohl beliebteste und bekannteste Animationsfilm von Hayao Miyazaki feiert sein 30-jähriges Jubiläum. Die Geschichte zweier Mädchen und deren Begegnung mit den fantastischen Wesen des Waldes ist nach wie vor ein wunderbares Kinoerlebnis, das sich allen Einordnungen entzieht.

Bild: Der Feuerwehrball

Bild: Mein Nachbar Totoro

Das erste Jahrhundert des Films: 1988

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Einzelvorstellungen Filmbuff-Quiz

In Hotel Terminus und The Thin Blue Line untersuchen Marcel Ophüls und Errol Morris Verbrechen und Strafe. Terence Davies besingt in Distant Voices, Still Lives seine Kindheit, und Pedro Almodóvar perfektioniert in Mujeres al borde de un ataque de nervios seinen Stil. Katsuhiro Otomos Akira katapultiert uns in die Zukunft.

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IOIC-Soiree: 34 Krieg und Frieden im Stummfilm Zur Stadthaus-Ausstellung «Schatten der Reformation»: Ursula

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70 Jahre Cinémathèque suisse: Cinema Futures

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05

Blacklist Reloaded Die rechtskonservative US-Regierung will kritische Stimmen unter­ drücken und macht Jagd auf Linke, die sie zu einem grossen Teil in der Unterhaltungsindustrie wittert. Hollywood setzt suspekte Individuen auf eine schwarze Liste, was faktisch einem Berufsverbot gleichkommt. So geschehen in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Reihe «Blacklist Reloaded», ko-kuratiert von Hannes Brühwiler und in Zusammenarbeit mit dem Berliner Kino Arsenal entstanden, ist den damals Geächteten und ihrem Filmschaffen gewidmet und zeigt, welche Ideen und Themen damals für «unamerikanisch» erklärt wurden. Von jedem amerikanischen Künstler und Intellektuellen erwartete man in den 1930er-Jahren eine Antwort auf eine Frage: Wie denken Sie über den Kommunismus? Die kommunistische Partei genoss damals in den USA erheblichen Zuspruch und viele Kunstschaffende sympathisierten mit ihrem Programm. Ein Jahrzehnt später hatte sich eine Antwort auf die Gretchenfrage de facto erübrigt und Sympathien für sozialistische Ideen wurden sofort als unamerikanisch gebrandmarkt; der Kalte Krieg hatte begonnen. Reaktionäre Kräfte, die sich seit Längerem an der vermeintlichen Dekadenz und linken Tendenzen in Hollywood störten, nutzten die Gelegenheit, die Filmindustrie als von Kommunisten unterwandert darzustellen. Im Oktober 1947 begannen die berüchtigten Anhörungen des House Un-American Activities Committee (HUAC) in Washington. Insgesamt elf «unfriendly witnesses» mussten aussagen: Alvah Bessie, Herbert J. Biberman, Lester Cole, Edward Dmytryk, Ring Lardner, Jr., John Howard Lawson, Albert Maltz, Samuel Ornitz, Adrian Scott, Dalton Trumbo und Bertolt Brecht. Mit Ausnahme von Brecht, der als ausländischer Angeklagter nicht die gleichen Rechte genoss wie seine zehn amerikanischen Kollegen, weigerten sie sich, die alles entscheidende Frage «Are you or have you ever been a member of the Communist Party?» zu beantworten. Kurz darauf wurden die sogenannten Hollywood Ten zu Gefängnisstrafen verurteilt; Brecht seinerseits kehrte kurz nach seiner Anhörung zurück nach Europa. Die Studios beugten sich dem Druck der Kommunistenjäger: Die Blacklist war geboren. Es blieb nicht bei diesen zehn Opfern. In einem gesellschaftlichen Klima, das durch einen geradezu paranoiden Antikommunismus vergiftet wurde, eskalierte 1951 die Situation. Während sich die Studios in der falschen Hoffnung wiegten,

< >

Bad News für Linke in Hollywood: John Garfield in Force of Evil Die Demo bewahrte die «Hollywood Ten» nicht vor dem Knast, wie Red Hollywood belegt.


06 durch die Verurteilung der Hollywood Ten Frieden erkauft zu haben, plante das HUAC weitere Anhörungen. Doch nicht nur das. Konservative Publika­ tionen begannen ihrerseits, in einschlägigen Traktaten mit so klingenden ­Namen wie Counterattack und Red Channels Namen vermeintlicher Verdächtiger zu veröffentlichen. Eine Nennung führte fast immer zu Berufsverbot, Widerspruch zu erheben war zwecklos. Hunderte Filmschaffende verloren im Zuge dieser Hexenjagd ihre Lebensgrundlage und konnten zum Teil bis weit in die 1960er-Jahre keine Arbeit mehr in der Unterhaltungsindustrie finden. Nur wer sich dem öffentlichen und zutiefst erniedrigenden Ritual des «naming names», also des Denunzierens anderer Personen als Kommunisten, unterzog, konnte sich in den Augen der Ankläger rehabilitieren. Linke Vision der USA Die Reihe «Blacklist Reloaded» ist den von der Schwarzen Liste betroffenen Filmschaffenden gewidmet und zeigt eine Auswahl ihrer Werke. Die Filme, darunter zahlreiche Raritäten, kreisen alle um linke Kernanliegen: Faschismus und Rassismus (The Man I Married, 1940), die Ausbeutung der Arbeiter (Give Us This Day, 1949; Salt of the Earth, 1954), die Rolle der Frau in der Geschäftswelt (Tender Comrade, 1943; I Can Get It for You Wholesale, 1951), kapitalistische Gier (Force of Evil, 1948; Ruthless, 1948), die Not des kleinen Mannes (From This Day Forward, 1946; The Breaking Point, 1950) und die Macht der Masse (M, 1951; The Sound of Fury, 1951). In ihrer Summe ergibt sich eine linke Vision der USA, selten utopisch, aber immer niederschmetternd analytisch. Ein Kino des «hellsichtigen Pessimismus» (Noël Burch), das heute erschreckenderweise nichts von seiner Dringlichkeit eingebüsst hat. Die meisten Filme der Reihe sind in den Jahren vor der Blacklist entstanden. Sie zeigen, welche Freiräume sich die Filmemacher in den eng gesteckten Grenzen Hollywoods erarbeiten konnten, welche Widersprüche sich dabei ergaben und welche Kompromisse eingegangen werden mussten. Deutlich wird aber auch, dass die Blacklist − entgegen langjähriger Meinung − durchaus einen beachtlichen kreativen Aderlass verursachte. Billy Wilders bösartigem Kommentar, dass von den zehn «unfreundlichen Zeugen» nur zwei Talent hätten, während die restlichen acht einfach nur unfreundlich seien, soll mit dieser Retrospektive entschieden widersprochen werden. Das Erbe der Blacklist Ein zweiter Teil der Reihe widmet sich Filmen, die nach dem Ende der Blacklist entstanden sind. Dalton Trumbos Regiedebüt Johnny Got His Gun aus dem Jahr 1971, ein wütender Antikriegsfilm, in dem sich die beiden Weltkriege und der Vietnamkrieg im verstümmelten Torso eines Soldaten spiegeln, und Martin Ritts The Front (1976) über einen Restaurantkassierer, der als


07 Strohmann für einen auf der Blacklist aufgeführten Autor auftritt, sind Verarbeitungen von Erfahrungen ehemaliger Opfer. In Red Hollywood (1996/2013) sind nicht nur viele Ausschnitte aus einschlägigen Filmen zu sehen, sondern es kommen auch einige der betroffenen Filmschaffenden zu Wort; Thom Andersen und Noël Burch haben mit ihrem Dokumentarfilm massgeblich dazu beigetragen, dass die Kommunisten in Hollywood nicht mehr nur als edle Märtyrer betrachtet, sondern dass d ­ eren Werke (mit all ihren Widersprüchen) auch gebührend gewürdigt und analysiert werden. Die meisten Filmschaffenden, die vor dem HUAC erscheinen mussten, denunzierten keine befreundeten Kollegen und riskierten damit ein Berufsverbot. Einer der wenigen «freundlichen Zeugen» war der rebellische Hollywoodstar Sterling Hayden. Nach dem Zweiten Weltkrieg war er kurzzeitig Mitglied der kommunistischen Partei gewesen. Als er ins Fadenkreuz der Kommunistenjäger geriet, entschied er sich auszusagen – eine Tat, die er sein Leben lang zutiefst bereute. Der deutsche Filmkritiker und Regisseur WolfEckart Bühler nähert sich im Dokumentarfilm Leuchtturm des Chaos (1983) und ein Jahr später im experimentellen Spielfilm Der Havarist (1984) Sterling Haydens Rolle als FBI-Denunziant an. Einer der von Hayden genannten Künstler war Abraham Polonsky, Regisseur des Meisterwerks Force of Evil (1948). Ob er Hayden verziehen habe, wurde er in einem Interview gefragt. Seine Antwort: Ja. Denn: «Hayden hat mehr getan, als bloss zu bereuen. Vielmehr hat er die radikalste Konsequenz gezogen, die überhaupt möglich ist. Er hat sich geändert.» Hannes Brühwiler Hannes Brühwiler ist Filmkurator und Gründer des American-Independent-Festivals ­«Un­known Pleasures» in Berlin. Seit 2009 ist er Mitglied der Redaktion von «Revolver, ­Zeitschrift für Film».

VERY DANGEROUS CITIZENS

REFERAT VON HANNES BRÜHWILER DI, 30. OKT. | 20.00 UHR

Die Geschichte der Blacklist lässt sich als Stadtgeschichte Los Angeles’, Wirtschafts­ geschichte der Film­industrie und linke Vision der USA erzählen. Sie steht aber auch für ein 20. Jahrhundert, das durch Exil­erfahrungen von Künstlerinnen und Künstlern mass­ geblich geprägt wurde. Ausgehend davon soll es um die Frage gehen: Was hat die betroffenen Filmschaffenden in den Augen ihrer Ankläger so gefährlich gemacht: ihre Biografie oder doch auch ihr Werk?


> The Man I Married.

> Tender Comrade.

> I Can Get It for You Wholesale .


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Blacklist Reloaded

THE MAN I MARRIED

TENDER COMRADE

USA 1940

USA 1943

Die Kunstkritikerin Carol Hoffman besucht 1938 zusammen mit ihrem deutsch-amerikanischen Ehemann Eric und ihrem Sohn Deutschland. Seit ihrem letzten Besuch haben die Nationalsozialisten die Macht übernommen. Während sie über die Machthaber schockiert ist, verwandelt sich ihr Mann (auch wegen einer Affäre mit seiner deutschen Jugendliebe) in einen glühenden Bewunderer Hitlers. Hollywood scheute lange vor deutlicher Kritik an NS-Deutschland zurück. Irving Pichel kannte diese Zurückhaltung nicht. Sein Meisterstück The Man I Married ist einer der frühesten Filme, die eindringlichen Bildern vor der Gefahr der Nationalsozialisten warnten: Deutschland ist hier ein Polizeistaat, in dem Dissidenten in Konzentrationslager verbannt werden und Kritik lebensgefährlich ist.

Als die Amerikaner in den Zweiten Weltkrieg ziehen, übernehmen die Frauen die Arbeit in der Fabrik. Um Geld zu sparen, ziehen Jo, deren Mann Chris eingerückt ist, und drei sehr unterschiedliche Kolleginnen Doris (Kim Hunter), Barbara und Helen zusammen und heuern die aus Deutschland geflohene Manya (Mady Christians) als Haushälterin an. Dieser tragikomische, hochpatriotische Kassenschlager wurde Drehbuchautor Dalton Trumbo und Regisseur Edward Dmytryk zum Verhängnis. Die Frauen-WG im Film wird «wie eine Demokratie betrieben» und alles «gerecht geteilt». Das fassten die Mitglieder des HUAC als kommunistische Propaganda auf. (mb)

77 Min / sw / 35 mm / E+D // REGIE Irving Pichel // DREHBUCH

(Jo Jones), Robert Ryan (Chris Jones), Ruth Hussey (Barbara

Oliver H. P. Garrett, nach der Geschichte von Oscar Shisgall //

Thomas), Patricia Collinge (Helen Stacey), Mady Christians

KAMERA J. Peverell Marley // MUSIK David Buttolph (unge-

(Manya Lodge), Kim Hunter (Doris).

102 Min / sw / 16 mm / E // REGIE Edward Dmytryk // DREHBUCH Dalton Trumbo // KAMERA Russell Metty // MUSIK Leigh Harline // SCHNITT Roland Gross // MIT Ginger Rogers

nannt) // SCHNITT Robert L. Simpson // MIT Joan Bennett (Carol Hoffman), Francis Lederer (Eric Hoffman), Lloyd Nolan (Kenneth Delane), Anna Sten (Frieda Heinkel), Otto Kruger (Heinrich Hoffman), Maria Ouspenskaya (Frau Gerhardt).

NATIVE LAND USA 1942 Dieses einzigartige Beispiel für unabhängiges politisches Filmschaffen kombiniert fiktionale und dokumentarische Elemente, um das Repressionssystem vorzuführen, mit dem in den USA gegen die Gewerkschaftsbewegung vorgegangen wurde. «Unsere letzte Produktion, Native Land, war zugleich die längste und aufwendigste. Sie führte, indem sie nachgestellte Spielszenen und dokumentarische Episoden zu einer neuen Einheit verband, eine neuartige Form des ‹Feature Film› ein. Funktion dieser Technik war, miteinander scheinbar unverbundene Ereignisse und Motive in ihren tatsächlichen gemeinsamen Kontext zu stellen und so ihre geheimen Ursachen und Widersprüche aufzudecken.» (Leo T. Hurwitz). Ko-Drehbuchautor von Hurwitz und Paul Strand war Ben Maddow, den Erzähltext sprach Paul Robeson.

FROM THIS DAY FORWARD USA 1946 John Berry konnte sechs Filme in Hollywood drehen, bevor die Blacklist das Ende seiner amerikanischen Karriere bedeutete. In seinem zweiten Film, From This Day Forward, blickt er auf Momente im Leben des Ehepaars Bill und Susan Cummings: das erste Kennenlernen, die Heirat, der Zweite Weltkrieg und Bills Rückkehr ins Zivilleben. Der rote Faden ist dabei Bills konstante Arbeitslosigkeit und seine tiefe Scham darüber. In diesem aussergewöhnlichen Porträt einer Arbeiterfamilie, das weitgehend auf melodramatische Effekte verzichtet, fanden sich 1946 noch Spuren von Optimismus. Nur einige Jahre später war nicht nur in den Filmen von Berry von dieser Hoffnung nichts mehr übrig. 1951 floh Berry, als FBI-Agenten versuchten, ihm die HUAC-Vorladung zu übergeben, durch ein Fenster aus seiner Wohnung und zog nach Europa. Seine Wahl fiel auf Paris: «Ich wollte kein Englisch mehr sprechen.» 95 Min / sw / 35 mm / E // REGIE John Berry // DREHBUCH Hugo Butler, Garson Kanin, Edith Sommer, Charles Schnee,

80 Min / sw / 35 mm / E // REGIE Leo T. Hurwitz, Paul Strand

Clifford Odets (ungenannt), nach dem Roman «All Brides Are

// DREHBUCH Leo T. Hurwitz, Paul Strand, Ben Maddow //

Beautiful» von Thomas Bell // KAMERA George Barnes //

KAMERA Paul Strand // MUSIK Marc Blitzstein // SCHNITT

­MUSIK Leigh Harline // SCHNITT Frank Doyle // MIT Joan

Lionel Berman, Leo T. Hurwitz, Bob Stebbins // MIT Paul

­Fontaine (Susan), Mark Stevens (Bill Cummings), Rosemary

­Robeson (Erzähler), Fred Johnson (Fred Hill), Mary George

DeCamp (Martha Beesley), Harry Morgan (Hank Beesley),

(Hills Frau), John Rennick (Hills Sohn).

Wally Brown (Jake Beesley), Arline Judge (Margie Beesley).


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Blacklist Reloaded Diana Lynn (Martha Burnside/Mallory Flagg), Lucille Bremer

FORCE OF EVIL USA 1948 Im Kino-Kosmos der Schwarzen Liste ist Force of Evil ein Fixstern, an dem sich andere Produktionen orientierten. Abraham Polonskys Regiedebüt ist eine der wütendsten Verurteilungen kapitalistischer Gier, die das US-Kino hervorgebracht hat. Doch Polonsky geht noch weiter: Kapitalismus wird mit Kriminalität gleichgesetzt und die beiden als sich gegenseitig bedingende Kräfte dargestellt. Der ehrgeizige Anwalt Joe Morse (John Garfield) arbeitet an der Wall Street für einen Gangster, der das illegale Glücksspiel in der Stadt unter seine Kontrolle bringen möchte. Während Joe aufsteigt, wird die Existenz seines auch im Wettgeschäft tätigen Bruders immer prekärer. Seinen zweiten Film, Tell Them Willie Boy Is Here, konnte Polonsky erst 21 Jahre später inszenieren. 78 Min / sw / Digital HD / E // REGIE Abraham Polonsky // DREHBUCH Abraham Polonsky, Ira Wolfert, nach dem Roman «Tucker’s People» von Ira Wolfert // KAMERA George Barnes // MUSIK David Raksin // SCHNITT Walter Thompson, Arthur Seid // MIT John Garfield (Joe Morse), Thomas Gomez (Leo Morse), Marie Windsor (Edna Tucker), Beatrice Pearson ­(Doris Lowry), Howland Chamberlain (Freddie Bauer), Roy Roberts (Ben Tucker), Paul McVey (Hobe Wheelock).

RUTHLESS USA 1948 Edgar G. Ulmer war einer der Starregisseure der Poverty Row Studios. Mit knappen Mitteln drehte er dort Meisterwerke des B-Movie. Die unabhängige Produktion Ruthless ist ein besonderer Höhepunkt seiner Karriere. Vom Waisenkind zum Wall-Street-Magnaten folgen wir dem Aufstieg des skrupellosen Horace Vendig. Dieser gibt sich zwar als Philanthrop, sein Reichtum entwickelt sich jedoch zur krankhaften Obsession. Mit Alvah Bessie und Gordon Kahn schrieben zwei der zentralen kommunistischen Aktivisten Hollywoods am Drehbuch mit und lieferten ihre Vision des amerikanischen Traums. Oder in den Worten Ulmers: «Eine vernichtende Anklage ­gegen hundertprozentigen Amerikanismus.» Die unausweichliche Selbstzerstörung des Prota­ gonisten und die virtuose Rückblenden-Insze­ nierung machen Ruthless zum Citizen Kane des B-Movie.

(Christa Mansfield), Sydney Greenstreet (Buck Mansfield), Martha Vickers (Susan Dunne), Dennis Hoey (Mr. Burnside).

GIVE US THIS DAY GB 1949 Bevor Edward Dmytryk als einer der «Hollywood Ten» seine Gefängnisstrafe antreten musste (und bevor er dann doch einige Kollegen denunzierte), drehte er nach einem Drehbuch von Ben Barzman mit Sam Wanamaker in England den ungemein bewegenden Film Give Us This Day. Er handelt von einer Gruppe Maurer, die sich und ihre Familien während der Weltwirtschaftskrise nur mit Mühe über Wasser halten können. Für Peter Bondanella ist es «eine der ersten Hollywood-Darstellungen von Italoamerikanern, die dabei auch den Einfluss des italienischen Films – namentlich des Neorealismus – reflektiert». 1950 begeisterte der Film die Kritiker in Venedig, in den USA jedoch verhinderte die erzkonservative American Legion weitestgehend die Aufführung des Films. Give Us This Day ist ein zentrales Werk des Kinos der Blacklist-Zeit und eine der Entdeckungen dieser Filmreihe. 120 Min / sw / 35 mm / E // REGIE Edward Dmytryk // DREHBUCH Ben Barzman, John Penn, nach dem Roman «Christ in Concrete» von Pietro di Donato // KAMERA C. M. Pennington-Richards // MUSIK Benjamin Frankel // SCHNITT John D. Guthridge // MIT Sam Wanamaker (Geremio), Lea Padovani (Annunziata), Kathleen Ryan (Kathleen), Charles Goldner (Luigi), Bill Sylvester (Giovanni), George Pastell (= Nino ­Pastellides) («Lucy»).

GUN CRAZY USA 1950 Ein junger Waffennarr verliebt sich auf einem Rummelplatz in eine Frau, die noch «gun crazier» ist als er selbst. Das Paar beginnt eine kriminelle Karriere, die in ein Leben auf der Flucht führt. Ein billiger und brillanter Film noir, der gleichzeitig auf die Rebellenfilme der 50er-Jahre und auf Bonnie and Clyde vorausweist. Blacklist-Opfer Dalton Trumbo schrieb ungenannt am Drehbuch mit. Beim Kinostart ein Flop, wurde Gun Crazy in den 60er-Jahren zum Kultfilm erhoben. (mb) 87 Min / sw / DCP / E // REGIE Joseph H. Lewis // DREHBUCH MacKinlay Kantor, Millard Kaufman, nach der Geschichte in

104 Min / sw / 16 mm / E // REGIE Edgar G. Ulmer // DREH-

der «Saturday Evening Post» von MacKinlay Kantor // KA-

BUCH Alvah Bessie, Gordon Kahn, S. K. Lauren, nach dem

MERA Russell Harlan // MUSIK Victor Young // SCHNITT

­Roman von Dayton Stoddart // KAMERA Bert Glennon // MU-

Harry Gerstad // MIT Peggy Cummins (Annie Laurie Starr),

SIK Werner Janssen // SCHNITT Francis D. Lyon // MIT

John Dall (Bart Tare), Berry Kroeger (Packett), Morris

Zachary Scott (Horace Vendig), Louis Hayward (Vic Lambdin),

­Carnovsky (Richter Willoughby), Anabel Shaw (Ruby Tare).


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Blacklist Reloaded

THE BREAKING POINT

I CAN GET IT FOR YOU WHOLESALE

USA 1950

USA 1951

1944 adaptierte Howard Hawks Ernest Hemingways Roman «To Have and Have Not» mit Humphrey Bogart und Lauren Bacall als düster funkelnden Film noir. Sechs Jahre später wurde der Roman unter der Regie von Michael Curtiz erneut verfilmt. Unterschiedlicher könnten die beiden Versionen kaum sein. Die Geschichte des Kapitäns Henry Morgan, der sich aus finanzieller Not immer mehr in kriminelle Machenschaften ziehen lässt und einen Kompromiss nach dem anderen eingeht, bis von seiner Würde nur noch wenig übrig ist, wird hier als geradezu epische Tragödie eines Arbeiters erzählt. Die atmosphärisch dichte Inszenierung, eine werkgetreue Romanadaption und das Schauspielerensemble um John Garfield machen The Breaking Point zum vielleicht schönsten Film im Werk von Curtiz.

Susan Hayward drehte mit Smash-Up: The Story of a Woman (1947) und I Can Get It for You Wholesale zwei wichtige Werke, die die stereotypischen Rollenbilder von Frauen im Kino hinterfragten. Letzterer Film, inszeniert von Michael Gordon, ist in der New Yorker Modeindustrie angesiedelt. Harriet Boyd wird ihrer Rolle als Model überdrüssig und arbeitet sich zur gefeierten Designerin hoch – sehr zur Irritation ihrer männlichen Kollegen. Der Film pulsiert vor Leben: Die wunderschönen Strassenaufnahmen New Yorks, das rasante Drehbuch von Abraham Polonsky (aufgrund der Romanadaption von Vera Caspary) und mittendrin Susan Hayward, schön, charmant und knallhart.

97 Min / sw / Digital HD / E // REGIE Michael Curtiz // DREH-

nannt), nach dem Roman von Jerome Weidman // KAMERA

BUCH Ranald MacDougall, nach dem Roman «To Have and

91 Min / sw / 35 mm / E // REGIE Michael Gordon // DREHBUCH Abraham Polonsky, Vera Caspary, Oscar Saul (ungeMilton R. Krasner // MUSIK Sol Kaplan // SCHNITT Robert L.

Have Not» von Ernest Hemingway // KAMERA Ted McCord //

Simpson // MIT Susan Hayward (Harriet Boyd), Dan Dailey

MUSIK Ray Heindorf // SCHNITT Alan Crosland jr. // MIT John

(Teddy Sherman), George Sanders (J. F. Noble), Sam Jaffe

Garfield (Harry Morgan), Patricia Neal (Leona Charles),

(Sam Cooper), Randy Stuart (Marge Boyd), Marvin Kaplan

­Phyllis Thaxter (Lucy Morgan), Juano Hernandez (Wesley

­(Arnold Fisher), Harry von Zell (Savage).

Park), Wallace Ford (Duncan), Edmon Ryan (Rogers).

THE SOUND OF FURY USA 1950 Ein arbeitsloser kalifornischer Familienvater, der widerstrebend zum Handlanger eines Raubmörders geworden ist, legt aus Gewissensnot ein Geständnis ab. Ein Journalist schlachtet den Fall im Lokalblatt so spekulativ aus, dass der aufgeputschte Mob zur Lynchjustiz schreitet. «Ein buchstäblich makelloses Meisterwerk, das Klassenhass und die Entgleisungen der amerikanischen Presse mit rarer Hellsichtigkeit und Zorn darstellt. Zugleich subtil und schonungslos ist The Sound of Fury wahrscheinlich der beste Film noir, den niemand kennt: Die amerikanische Karriere von Cyril «Cy» Endfield endete wegen der Blacklist nämlich just mit der Lancierung des Films.» (Jonathan Rosenbaum) 91 Min / sw / 35 mm / E // REGIE Cyril Endfield // DREHBUCH Jo Pagano, nach seinem Roman «The Condemned» // KAMERA Guy Roe // MUSIK Hugo Friedhofer // SCHNITT George Amy // MIT Frank Lovejoy (Howard Taylor), Kathleen Ryan (Judy Tyler), Richard Carlson (Gil Stanton), Lloyd Bridges (Jerry Slocum), Katherine Locke (Hazel).

M USA 1951 Im Remake von Fritz Langs M (1931) weicht das Berlin der nervösen Zwischenkriegsjahre dem Los Angeles des Kalten Krieges. Auf den ersten Blick hält sich Joseph Losey dabei überraschend eng an die Handlung der Vorlage: Ein Kindermörder terrorisiert die Stadt und die Polizei wie auch die Unterwelt versuchen ihn zu fassen. Der Mörder wird hier jedoch viel deutlicher als ein Individuum, das Teil einer Gesellschaft ist, dargestellt. Überhaupt ist es ein Film, der den Kontakt zur Aussenwelt geradezu sucht. Während Lang sein Original als aufwendige Studioproduktion inszenierte, streift Losey mit der Kamera durch das Los Angeles der 50er-Jahre: In diesen Strassen, Gassen und Parkhäusern entsteht eine Ahnung davon, wie ein amerikanischer Neorealismus aussehen könnte. 88 Min / sw / 35 mm / E // REGIE Joseph Losey // DREHBUCH Norman Reilly Raine, Leo Katcher, Waldo Salt, nach dem Originaldrehbuch von Fritz Lang, Thea von Harbou // KAMERA Ernest Laszlo // MUSIK Michel Michelet // SCHNITT Edward Mann // MIT David Wayne (Martin W. Harrow), Howard Da Silva (Inspektor Carney), Martin Gabel (Charlie Marshall),

35mm restored print courtesy of the UCLA Film & Television Ar-

­Luther Adler (Dan Langley), Steve Brodie (Polizeileutnant

chive. Restoration funding provided by the Film Noir Foundation.

­Becker), Raymond Burr (Pottsy), Glenn Anders (Riggert).


© Deutsches Filminstitut, Frankfurt / KINEOS Sammlung

> From This Day Forward.

> Ruthless.

> M.

> Give Us This Day.

> The Sound of Fury.


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Blacklist Reloaded Jules Brenner // MUSIK Jerry Fielding // SCHNITT William P.

SALT OF THE EARTH

Dornisch // MIT Timothy Bottoms (Joe Bonham), Kathy Fields

USA 1954

(Kareen), Marsha Hunt (Joes Mutter), Jason Robards (Joes

Angeführt von einer Gruppe von Filmemachern, die auf der Blacklist standen (Herbert J. Biberman, Paul Jarrico und Michael Wilson), und unterstützt von vielen Laiendarstellern, wurde 1953 in New Mexico Salt of the Earth gedreht. Der Film handelt von einem Bergbauarbeiterstreik, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf die Frauen der Streikenden gelegt wird. Bei dieser Fokussierung auf Gewerkschaften und den Kampf der Frauen für ihre Rechte war es nur eine Frage der Zeit, bis sich eine konservative Gegnerschaft gegen Salt of the Earth formierte. Doch allen Widerständen – lokalen Schlägerbanden, Hetzkampagnen in der Presse, FBI-Spitzeln und schliesslich der Deportation der mexikanischen Hauptdarstellerin – zum Trotz konnte dieser aussergewöhnliche Film fertiggestellt werden. Ein Schlüsselwerk des unabhängigen amerikanischen Filmschaffens, das lange nur in Off-Kinos gezeigt werden konnte.

kenschwester), Sandy Brown Wyeth (Lucky), Donald Barry

94 Min / sw / Digital HD / E+Sp // REGIE Herbert J. Biberman // DREHBUCH Michael Wilson, Herbert J. Biberman // KAMERA Stanley Meredith (ungenannt), Leonard Stark (ungenannt) // MUSIK Sol Kaplan // SCHNITT Ed Spiegel (ungenannt), Joan Laird (ungenannt) // MIT Rosaura Revueltas (Esperanza Quintero), Will Geer (Sheriff), David Wolfe (Barton), Melvin Williams (Hartwell), David Sarvis (Alexander), Juan Chacón (Ramon Quintero), Henrietta Williams (Teresa Vidal).

Vater), Donald Sutherland («Christus»), Diane Varsi (Kran(Jody Simmons), Peter Brocco (alter Prälat), Kendell Clarke (Spitalverwalter), Eric Christmas (Korporal Timlon), Eduard Franz (Oberst/General Tillery).

THE FRONT USA 1976 Auf dem Höhepunkt der antikommunistischen ­Hexenjagd erhält der Drehbuchautor Alfred Miller 1953 Berufsverbot. Damit er weiter arbeiten kann, bittet er seinen Freund, den Restaurant-Kassierer Howard Prince, als Strohmann für seine Dreh­ bücher aufzutreten und diese zu verkaufen. Die Fernsehsender reissen sich fortan um Princes Geschichten und er wird zum gefeierten Autor. Im Kern trägt der Film autobiografische Züge: Neben Regisseur Martin Ritt waren auch Drehbuchautor Walter Bernstein und Schauspieler Zero Mostel Opfer der Blacklist. Erst als Woody Allen für die Hauptrolle zusagte, konnte der Film finanziert werden. «Ritt und Bernstein zeigen uns, wie einfach und normal es für Menschen ist, moralische Gleichgültigkeit und Eigennutz über Wahrheit und Selbstaufopferung zu stellen.» (Jon Matsumoto, Los Angeles Times, 2.10.1992) 95 Min / Farbe + sw / DCP / E // REGIE Martin Ritt // DREH-

JOHNNY GOT HIS GUN

BUCH Walter Bernstein // KAMERA Michael Chapman //

USA 1971

­MUSIK Dave Grusin // SCHNITT Sidney Levin // MIT Woody

Dalton Trumbo zählte seinen Roman «Johnny Got His Gun» und später dessen Verfilmung zu seinem Hauptwerk. Die Geschichte handelt vom Bauernjungen Joe, der sich freiwillig für den Kriegsdienst im Ersten Weltkrieg meldet. Er wird schwer verwundet, verliert Arme und Beine und kann weder sehen, hören noch sprechen. Bei vollem Bewusstsein, jedoch unfähig, sich verständlich zu machen, liegt er abgeschottet im Krankenhaus und führt innere Dialoge. Trumbo schrieb den Roman 1938 aufgrund von Tatsachen, als Plädoyer gegen den Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg, da die Sowjets noch mit Deutschland verbandelt waren. 1941, nach dem deutschen Einmarsch in der Sowjetunion, liess Trumbo den Roman nicht mehr auflegen, weil er nun für den Krieg gegen Hitler war. 1971 schliesslich verfilmte Trumbo seinen Roman als Protest gegen den Vietnamkrieg.

Bernardi (Phil Sussman), Michael Murphy (Alfred Miller),

111 Min / Farbe + sw / 35 mm / E/f // REGIE Dalton Trumbo // DREHBUCH Dalton Trumbo, nach seinem Roman // KAMERA

­Allen (Howard Prince), Zero Mostel (Hecky Brown), Herschel ­Andrea Marcovicci (Florence Barrett), Remak Ramsay (Francis X. Hennessey), Marvin Lichterman (Myer Prince).

LEUCHTTURM DES CHAOS (Pharos of Chaos) BRD 1983

Sterling Hayden: Hollywoodstar, Seefahrer, Kriegs­ held, FBI-Denunziant. Beeindruckt von diesem Leben, macht der deutsche Filmkritiker und ­Regisseur Wolf-Eckart Bühler sich auf die Suche nach Hayden, um mit ihm über eine Verfilmung seiner Autobiografie «Wanderer» zu sprechen. Nach mehreren Fehlschlägen findet er ihn schliesslich auf einer Barkasse bei Besançon. Das unmittelbare Ergebnis dieser Zusammenkunft, Leuchtturm des Chaos, ist jedoch nicht die Verfilmung des Buches, sondern ein furioser Dokumentarfilm über und mit Sterling Hayden. Sieben Tage verbringt das Filmteam mit Hayden, und


> The Front.

> Johnny Got His Gun.

> Salt of the Earth.

> Der Havarist.

> Leuchtturm des Chaos.


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Blacklist Reloaded dieser spricht offenherzig über seine Liebe zum Meer, seine Hollywoodkarriere, seine Alkoholsucht und seine feige Rolle in der McCarthy-Zeit. 119 Min / Farbe / DCP / E // REGIE Wolf-Eckart Bühler, ­Manfred Blank // DREHBUCH Hella Kothman // KAMERA Bernd Fiedler // SCHNITT Manfred Blank // MIT Sterling ­Hayden (er selbst).

DER HAVARIST

verfolgen sie ihr Ziel, die Opfer zu rehabilitieren und deren Filme neu einzuschätzen. «Die Opfer der Schwarzen Liste Hollywoods sind als Märtyrer anerkannt. Aber ihre Arbeit in Hollywood wird noch immer weithin verunglimpft oder ignoriert. Red Hollywood nimmt sich dieser Arbeiten an, um zu demonstrieren, wie die Kommunisten in Hollywood es manchmal schafften, ihre Überzeugungen in den Filmen auszudrücken, die sie schrieben und inszenierten.» (Thom Andersen, Noël Burch, viennale.at)

BRD 1984 118 Min / Farbe + sw / DCP / E // REGIE Thom Andersen, Noël

Ein Jahr nach Leuchtturm des Chaos dreht WolfEckart Bühler mit Der Havarist seine Version von Haydens Autobiografie «Wanderer». Drei Schauspieler – Burkhard Driest, Hannes Wader, Rüdiger Vogler – interpretieren Momente aus Haydens Leben, wobei seine Aussage vor dem Komitee für unamerikanische Umtriebe das finstere Zentrum dieses aussergewöhnlichen Films darstellt. «Die selbstkritische Autobiografie des Seefahrers, Partisanenkämpfers, Hollywoodstars, Kommunisten und FBI-Kollaborateurs Sterling Hayden als Literaturverfilmung, Tiefenanalyse, politisches Lehrstück, Exkurs in den Film noir, im Geiste von Straub & Huillet, von Brecht, Peter Weiss und Kellers ‹Der grüne Heinrich›. Ein geradezu symphonisch gefügtes Werk, die Titelrolle auf drei Schauspieler aufgespalten, die Musik von Konstantin Wecker komponiert, das heftige Klavierstück zu Beginn eine Deklination des wilden Ritts, der die Zuschauer erwartet. Ein politischer Film – heute sogar mehr denn je. Anpassung und Selbstverrat sind überall.» (Alf Mayer, Programmheft Münchner Filmmuseum, Nov. 2015) 95 Min / Farbe / DCP / D // REGIE Wolf-Eckart Bühler // DREHBUCH Wolf-Eckart Bühler, nach dem Buch «Wanderer» von Sterling Hayden // KAMERA Peter Gauhe // MUSIK Konstantin Wecker // SCHNITT Gisela Castronari // MIT Burkhard

Burch // DREHBUCH Thom Andersen, Noël Burch, Billy Woodberry // KAMERA Christophe Bazille, Thor Moser // SCHNITT Peter Bo Rappund // MIT Paul Jarrico, Eric Johnston, Ring Lardner Jr., John Howard Lawson, Alfred Lewis Levitt, Abraham Polonsky, Ayn Rand.

TRUMBO USA 2015 Als Dalton Trumbo 1947 vor dem Komitee für unamerikanische Umtriebe aussagen musste, war er einer der bestbezahlten Drehbuchautoren Holly­ woods. Doch trotz Gefängnisstrafe und Berufsverbot gab er seine Arbeit nicht auf. Im Gegenteil: Er bot seine Drehbücher anderen Autoren an und erschuf diverse Pseudonyme, unter denen er weiter publizierte. Von diesem turbulenten Leben erzählt Trumbo, ein historisches Biopic und verschmitzter Schelmenroman zugleich. «Trumbo entzieht sich jeder Vereinnahmung, er passt nicht in den heroischen Fundus, aus dem sich die US-Folklore gemeinhin speist. Zwar werden ihm keine nennenswerten Zweifel und Makel zugeschrieben, aber Bryan Cranston verleiht ihm das untilgbare Flair des Anderen. (…) Kaum vorstellbar, dass so einer je dazu gehörte in Hollywood.» (Gerhard Midding, epd Film, 25.2.2016)

Driest (Sterling Hayden), Hannes Wader (Sterling Hayden), Rüdiger Vogler (Sterling Hayden), Sterling Hayden (er selbst),

124 Min / Farbe + sw / Digital HD / E/d // REGIE Jay Roach //

Hans-Michael Rehberg (Psychiater).

DREHBUCH John McNamara, nach dem Buch von Bruce Cook // KAMERA Jim Denault // MUSIK Theodore Shapiro //

RED HOLLYWOOD USA 1996/2014 Diese Dokumentation ist das Ergebnis einer jahrelangen Forschungsarbeit und ein frischer Blick auf die Geschichte Hollywoods. Anhand von wichtigen Schlüsselwörtern (Mythos, Hass, Krieg, Klasse, Gewalt, Geschlechter, Tod), Interviews mit einigen Blacklist-Opfern und Filmausschnitten gehen Andersen und Burch ausführlich auf die Leistungen (und die damit einhergehenden Zwänge und Widersprüche) der Hollywood-Kommunistinnen und -Kommunisten ein. Konsequent

SCHNITT Alan Baumgarten // MIT Bryan Cranston (Dalton Trumbo), Michael Stuhlbarg (Edward G. Robinson), Louis C. K. (Arlen Hird), John Getz (Sam Wood), Diane Lane (Cleo Trumbo), Helen Mirren (Hedda Hopper), Alan Tudyk (Ian McLellan Hunter), John Goodman (Frank King), Elle Fanning (Niki Trumbo).

Die Texte stammen von Ko-Kurator Hannes Brühwiler, sofern nicht anders vermerkt. Fett ausgezeichnete Namen in den Kurztexten bezeichnen Blacklist-Opfer.



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Das Fiktionale im Dokumentarfilm In der englischsprachigen Welt gibt es für den Dokumentarfilm ein ­Synonym, das jedes Ersonnene von vorne herein ausschliesst: NonFiction Film. Mutwillig Fiktionales in diesem Genre wäre demnach per definitionem eine Regelverletzung. In seiner diesjährigen Vorlesungs­reihe geht unser Filmdozent Fred van der Kooij verschiedenen Formen dieses «Einrichtens der Wirklichkeit» nach und fragt nach den komplexen künstlerischen, aber auch ethischen Implikationen und Konsequenzen. Nach dem Filmwissenschaftler Bill Nichols geht der Spielfilm erzählerisch vor, der Dokumentarfilm dagegen argumentativ. Nur wäre dann das seit einigen Jahren so beliebte Genre des Dokudramas ein filmisches Oxymoron. Es sei denn … Während des Burenkriegs (1899–1902) tauchten erstmals fiktionale Nachrichten im Kino auf, als nämlich ein Kameramann, statt den weiten Weg nach Südafrika auf sich zu nehmen, ein Scharmützel im Garten hinter seinem Haus inszenierte. Das machte Schule. Obwohl London nur einen Steinwurf entfernt ist, produzierte Georges Méliès zwei Jahre später die Krönung des englischen Königs Edward VII in seinem Pariser Studio und nannte das Ganze korrekterweise «un double». Das Simulieren wurde immer perfekter, sodass die nachgestellten Bürgerkriegsszenen in D. W. Griffiths The Birth of a Nation (1915) echter aussehen als die authentischen Fotos von Matthew Brady, auf denen sie basieren. Während das Inszenieren zum Werkzeug des Fiktionalen gehört, kann kein waschechter Dokumentarist seinen Forschungsgegenstand wirklich kontrollieren. So bleibt ihm oder ihr nur die Aufgabe, jene quasi unsichtbare «Fliege an der Wand» zu spielen, als die sich die Pioniere des Cinéma vérité empfanden. Wochenlang soll Frederick Wiseman mit einer Kamera ohne Film in einer psychiatrischen Klinik «gedreht» haben, bis keiner ihn mehr beachtete. Und just das war der Moment, in dem er erstmals eine Filmrolle einlegte – jetzt konnte sein erstaunlicher Titicut Follies (1967) entstehen. In einer Grauzone operiert Peter Greenaways Rembrandt’s J’Accuse (2008). Dort dichtet er seine Bildbetrachtung der «Nachtwache» des grossen Malers im Handumdrehen zu einem Krimi um, dessen hemmungslose Speku-

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Poetisches Porträt des russischen Dorflebens: Belovy von Viktor Kossakowski Milieustudie über das Stadtviertel El Raval: En construcción von José Luis Guerín


18 lationen er selber am meisten zu glauben scheint. Ich aber meine, erst wenn man erkennt, dass das alles nur heisse Luft ist, wird die an sich höchst erfinderische «Beweisführung» richtig zu einem Vergnügen. Denn ästhetisch gesehen ist die Wildheit einer Behauptung nicht selten das Salz in der Suppe. Es gibt sogar ein bemerkenswertes Genre im Dokumentarfilm, das das Lügen zur Ehrensache erklärt hat: das Mockumentary. Dessen wohl brillanteste Gestalt findet sich in Opération Lune (William Karel, 2002), wo «nachgewiesen» wird, dass die US-amerikanische Mondladung eine einzige grandiose Verschaukelung war, die in Wirklichkeit von Stanley Kubrick in einem Film­ atelier inszeniert worden war. Kontamination mit Fiktion Aber hin und wieder gelingt es Filmemachern, die Wahrheit ernsthaft herbeizulügen, indem sie ihre Dokumentarfilme mit Fiktion kontaminieren. Etwa Errol Morris’ The Thin Blue Line (1988), wo mit allen stilistischen Tricks des Fiktionalen am Ende ein realer Mordfall gelöst werden kann. Es kann während der Spieldauer eines Dokumentarfilms auch zu radikalen Haltungsänderungen kommen, und zwar immer dann, wenn die Wirklichkeit sich einfach nicht länger zurückhalten kann und den Machern in die Parade fährt, oder wenn der Autor plötzlich seine eigene Geschichte nicht mehr glaubt. So unlängst erst geschehen mit Andrej Nekrassow, einem gestandenen Dokumentaristen, der sich bis jetzt im Westen einen Namen gemacht hat als Ritter von der traurigen Gestalt im Kampf gegen russische Windmühlen. Während der Dreharbeiten an seinem letzten Film, The Magnitsky Act – Behind the Scenes (2016), bekam er plötzlich Zweifel am Wahrheitsgehalt seiner aktuellen Sensationsstory sowie an der Zuverlässigkeit seines Hauptinformanten. Und da es ihm nicht gelang, seine Zweifel zu zerstreuen, sprang er kurzerhand über den Schatten seiner eigenen politischen Überzeugungen und fing selbstständig zu recherchieren an. Mit der Folge, dass das Resultat umgehend im Giftschrank der kalten Krieger verschwand. Keine der mitproduzierenden Fernsehanstalten hat es bis jetzt gewagt, den Film auszustrahlen. Aber lassen wir vorerst das Kino im Dorf. Denn nach wie vor pflegt der wirklich lupenreine Dokumentarfilmer die Tugend der engagierten Zurückhaltung, während ein Spielfilmregisseur dauernd eingreift und deshalb gar keine Tugend braucht. Und dennoch, es ist schon etwas dran an jenem Bonmot, das einmal ein Kenner der Materie prägte: «Der Dokumentarfilm ist halt eine Fiktion wie keine andere.» Fred van der Kooij Eine längere Version dieses Textes finden Sie unter www.filmpodium.ch Hinweis: Der Film The Thin Blue Line von Errol Morris läuft aktuell in der Reihe «Das erste ­Jahrhundert des Films: 1988»; siehe S. 32.


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Das Fiktionale im Dokumentarfilm

DAS FIKTIONALE IM DOKUMENTARFILM

VORLESUNGSREIHE AB MI, 10. OKT. | 18.30 UHR

Methoden, die eigentlich zum Spielfilm gehören, werden spätestens seit Errol Morris und Michael Moore in vielen neuen Dokumentarfilmen angewandt. Doch die Tradition, die Wirklichkeit etwas «einzurichten», ist sehr viel älter; ebenso die Frage, wieweit sich dies mit dem Ethos des faktischen Berichtens verträgt. Fred van der Kooij beschäftigt sich seit Jahren immer wieder mit diesen Fragen und geht in seiner Vorlesungsreihe anhand ausgewählter Filme und zahlreicher zusätzlicher Filmausschnitte (etwa aus dem im Einleitungstext zitierten The Magnitsky Act – Behind the Scenes von Andrej Nekrassow) den Gründen und Auswirkungen dieser Verfahren nach. Auf die 90-minütige Vorlesung folgt jeweils nach einer Verpflegungspause eine Filmvorführung. Tickets für Film und Vorlesung sind separat erhältlich.

UNE HISTOIRE DE VENT

BELOVY

Frankreich 1988

Russland 1993

«In diesem seinem letzten Film (realisiert gemeinsam mit seiner Frau Marceline Loridan; Red.) spielt der im Juni 1989 verstorbene Regisseur Joris Ivens selbst die Hauptrolle. Kühn und leicht, ohne etwas beweisen zu müssen, (er-)findet er Bilder, kommt Menschen und Landschaften, Bewegung und Ruhe nahe, zeigt eigentlich Unsichtbares: den Wind, Atem der Erde – Metapher für die Vergeblichkeit des Versuches, das Leben in Systeme und rigide Begriffe fassen, der Leidenschaft absprechen zu wollen.» (Int. Lexikon des Films) «Mit grösster Selbstverständlichkeit durchquert der Film die Räume von Imagination und Wirklichkeit, von Inszenierung und Dokument, von Traum, Legende und leibhaftiger Begegnung. Seit Jahrzehnten schon ist Ivens als Dokumentarist – mit Ausflügen ins Poetische und ‹Formalistische› – eine Legende der Filmgeschichte. Nun zeigt er, dass die Kraft des Kinos die Poesie ist.» (Rainer Gansera, epd Film, Juli 1989)

«Anna Feodorovna Belova lebt in einem kleinen Dorf an der Quelle der Newa. Sie ist zweifache Witwe und lebt jetzt mit ihrem Bruder Mikhail zusammen. Anna macht den Haushalt, während Mikhail trinkt und über das Leben philosophiert. Gelegentlich werden sie von ihren beiden anderen Brüdern Wassili und Sergej besucht, und die Geschwister trinken viel Tee, nehmen ein russisches Dampfbad und streiten sich – Debatten, die von ­Minute zu Minute lauter werden, besonders wenn Alkohol ins Spiel kommt. Dieses Porträt des russischen Dorflebens war der internationale Durchbruch für Viktor Kossakowski (…). Es gibt wenig Luxus im Leben der Belovs, aber es gibt etwas Glück, in gewissem Sinne. Sie haben Kühe, ein Hund läuft herum, und die Kartoffeln müssen ausgegraben werden. Was kann schiefgehen?» (Int. Documentary Film Festival Amsterdam, 2012) 58 Min / sw / Digital SD / Russ/e // DREHBUCH, REGIE UND SCHNITT Viktor Kossakowski // KAMERA Viktor Kossakowski, Leonid Konovalov.

79 Min / Farbe / 35 mm / F/d // DREHBUCH UND REGIE Joris Ivens, Marceline Loridan // KAMERA Thierry Arbogast, Jacques Loiseleux // MUSIK Michel Portal // SCHNITT Geneviève

EN CONSTRUCCIÓN

Louveau // MIT Joris Ivens (der alte Filmemacher), Liu Guilian

Spanien 2001

(die Hexe), Zhuang Liu (die Mondfee), Han Henxiang (der Affe).

«Spaniens eigensinniger Meister José Luis Guerín und seine Studierenden der Universität Pompeu Fabra richteten die Kamera auf Abbruchund Neubauarbeiten in El Xino, einem Arbeiterviertel von Barcelona, und drehten in zwei Jahren


> Le quattro volte.

> Rembrandt’s J’Accuse.

> Une histoire de vent.


Das Fiktionale im Dokumentarfilm 110 Stunden Material. Während des Baus dieses neuen Gebäudes folgen wir mehreren Figuren, von den drogenabhängigen Liebespaaren, die so lange wie möglich einen Raum besetzen, bis zu den neuen Yuppies, die von Immobilienmaklern herumgeführt werden. Es entsteht eine Parallele zwischen den Veränderungen einer Stadtlandschaft und der menschlichen Landschaft. Guerín: ‹Bei En construcción habe ich mich gefragt, was gibt mir eine Gruppe von Studenten, was eine Gruppe von professionellen Technikern mir nicht geben kann? Einerseits gaben sie mir ihre Begeisterung. Mit Technikern ist es, als würden sie von Film zu Film gehen, es wird mehr zur Routine, wie bei der eigentlichen Arbeit. Auf der anderen Seite – und dies ist das Wichtigste – ist das Einzigartige an diesem Film, dass sie mir Zeit geben konnten. Es wäre unmöglich, Profi-Techniker für zwei Jahre und mehr zu beschäftigen. Das kostet eine Menge Geld. Es war also ein Film, der nur möglich war, weil sie mir Zeit schenkten.›» (Int. Film Festival Rotterdam, 2010) 125 Min / Farbe / Digital SD / Sp/e // DREHBUCH UND REGIE José Luis Guerín // KAMERA Alex Gaultier // SCHNITT Núria Esquerra, Mercedes Álvarez.

REMBRANDT’S J’ACCUSE Niederlande/Finnland/Deutschland 2008 «Der Film ist ein Nachtrag zu Nightwatching (2007), Peter Greenaways Spielfilm über Rem­ brandts Gemälde ‹Die Nachtwache›. Beide sind Teile eines grösseren Projekts, das er für die Feier zum 400. Geburtstag von Rembrandt in den Niederlanden realisiert hat. Dazu gehörten auch eine Oper und eine ‹Repräsentation› des Gemäldes. Greenaway war auch der Autor eines schönen Museumskatalogs. Das Projekt ‹Nightwatching› wiederum war das erste in einer ambitionierten Serie mit dem Titel ‹Nine Classical Paintings Revisited›. (…) Rembrandt’s J’Accuse fungiert als kunsthis­ torische Untersuchung des Gemäldes, in das Greenaway eindringlich hineinbehauptet: ‹Rem­ brandt hat eine minutiöse Anklage in Farbe gemalt.› Ein Verbrechen wurde begangen, behauptet der Filmemacher, und ‹es ist zwingend notwendig, dass wir den Fall wiederaufnehmen›. (…) Das Gemälde soll die Bürgerwehr auf dem Weg zum Schutz von Amsterdam zeigen. Aber wo andere Macht und Ehre sehen, sieht Greenaway eine mörderische Verschwörung und andere Verleumdungen. (…) Er baut seinen Fall auf mehr als 30 selbst entdeckten Rätseln auf. Während er sich durch diese Rätsel bewegt und zwischen dem Gemälde und

Szenen aus Rembrandts Leben hin- und herschaltet, richtet Greenaway sein Auge – und unseres – auf scheinbar jeden Zentimeter der Leinwand.» (Manohla Dargis, NY Times, 20.10.2009) 100 Min / Farbe / Digital HD / E // DREHBUCH UND REGIE ­Peter Greenaway // KAMERA Reinier van Brummelen // MUSIK Marco Robino, Giovanni Sollima // SCHNITT Elmer Leupen // MIT Peter Greenaway (er selbst/Ankläger), Martin Freeman (Rembrandt), Eva Birthistle (Saskia), Jodhi May (Geertje), Emily Holmes (Hendrickje), Jonathan Holmes (Ferdinand Bol), Michael Teigen (Carel Fabritius), Natalie Press (Marieke).

LE QUATTRO VOLTE Italien/Deutschland/Schweiz 2010 Ein Dorf in Kalabrien, ein alter Ziegenhirt kümmert sich um seine Herde. Eines nachts stirbt er, am nächsten Morgen wird ein Zicklein geboren. Später verirrt es sich im Wald und sucht Schutz unter einer hohen Tanne. Diese wird im nächsten Frühling gefällt und dient als Festbaum bei Dorffeierlichkeiten. Danach wird der Stamm an Köhler verkauft. Sie zersägen und verarbeiten ihn zu Kohle. «Perfektes Kino kann so einfach sein. Es braucht keine Spezialeffekte, keine Dialoge, nicht einmal eine Handlung. Nur einen Regisseur, der einen Ausschnitt der Welt so geduldig wie sensibel beobachtet. (…) Den Titel entlehnt er der SeelenwanderungsLehre des Pythagoras, wonach jeder Mensch eine mineralische, pflanzliche, tierische und humane Natur in sich trägt. Man muss diese Naturmystik nicht mitmachen, um den Film zu geniessen. In vier Episoden aus ruhigen Einstellungen, die keine Sekunde langweilig werden, zeigt er das Dorfleben.» (Oliver Heilwagen, kunstundfilm.de, 27.6.2011) «Alles bedeutet alles und wiegt zugleich nahezu nichts. Alles ist zugleich heiter und traurig und gross und klein. Und nach einer knappen halben Stunde (…) gibt es eine lange Einstellung, so aberwitzig und alltäglich, so was hat das gute alte Kino noch nie gesehen.» (Jan Schulz-Ojala, Tagesspiegel, 29.6.2011) 88 Min / Farbe / 35 mm / ohne Dialoge / ab 10 // DREHBUCH UND REGIE Michelangelo Frammartino // KAMERA Andrea Locatelli // MUSIK Paolo Benvenuti // SCHNITT Benni Atria, Maurizio Grillo.

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Miloš Forman & Jiří Menzel Einige der schönsten Filme zweier Exponenten der tschechoslowa­ kischen Neuen Welle sind restauriert worden und erlauben ein WiederSehen unter optimalen Bedingungen: Miloš Formans Frühwerke, ­darunter Die Liebe einer Blondine, stehen für den Aufbruch des Prager Frühlings; von Jiří Menzel sind drei seiner Komödien aus der Zeit der «Normalisierung» zu sehen. In den 60er-Jahren begann sich die Neue Welle der tschechoslowakischen Filmschaffenden, die von der Prager Filmschule FAMU ausging, mit unterschiedlichen Mitteln gegen das sozialistische System aufzulehnen. Miloš ­Forman (1932–2018) und Jiří Menzel (*1938) schufen einige der prägenden Filme jener Bewegung, die mit der Niederschlagung des Prager Frühlings ein jähes Ende fand. Der eine geht ... Forman begann 1964 mit dokumentarischen Werken wie Wenn’s keine Musikanten gäbe und Wettbewerb, die bereits kleine, fiktional anmutende Geschichten enthalten und auf seine Spielfilme vorausweisen. Noch im selben Jahr schuf er mit Der schwarze Peter eine enorm einflussreiche Loser-Komödie, die das Lebensgefühl seiner Generation auf den Punkt brachte. Kurz darauf doppelte er nach mit Die Liebe einer Blondine (1965), in dem er die individuellen Sehnsüchte junger Frauen mit der realitätsfremden Welt der Bürokratie konfrontierte. Noch explizitere Systemkritik übten Forman und seine Koautoren Ivan Passer und Jaroslav Papoušek 1967 in Der Feuerwehrball, einer Satire über die Ineffizienz und Korruption des Systems im Gewand einer harmlosen Posse über die Feier einer Provinzfeuerwehr. Nach dem Einmarsch der Sowjets wurde dieser international erfolgreiche Film von den neuen Machthabern verboten. Daraufhin emigrierte Forman in die USA, wo er eine neue Karriere begann, die ihm mehrere Oscars und internationale Kassenschlager bescheren sollte. Bei allem Sinn für süffige, hollywoodtaugliche Unterhaltung – seinen Scharfblick für gesellschaftliche Missstände bewies der Einwanderer auch in One Flew Over the Cuckoo’s Nest (1975), Hair (1979), Ragtime (1981) und The People vs. Larry Flynt (1996).

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>

Gesellschaftskritische Satire: Der Feuerwehrball von Miloš Forman > Melancholische Komö­die: Das einsame Haus am Waldesrand von Jiří Menzel Huldigung an die Pioniere der Stummfilmzeit: Die wunderbaren Männer mit der Kurbel von und mit Jiří Menzel


24 ... der andere bleibt Menzel hingegen, der Anfang 1968 für seinen Erstling Scharf beobachtete Züge in Hollywood einen Oscar abgeholt hatte, kehrte zurück in die ČSSR, wo er auch nach der sowjetischen Invasion blieb – angeblich aus Faulheit, aber auch weil er seine Landsleute nicht im Stich lassen wollte. Während der bedrückenden Zeit der «Normalisierung» versuchte er weiter seine leisen ­Satiren zu drehen. Der einmal mehr nach einer Vorlage des Schriftstellers ­Bohumil Hrabal geschaffene Film Lerchen am Faden, in dem einige vom System bestrafte Intellektuelle sich auf einem Schrottplatz verbrüdern, brachte Menzel 1969 jedoch ein nie explizit formuliertes, aber faktisches Berufsverbot ein; erst 1990 wurde der Film aufgeführt und gewann in Berlin prompt den Goldenen Bären. Also wandte sich Menzel in den folgenden Jahren seiner ersten Liebe, dem Theater, zu und inszenierte auch an ausländischen Bühnen. Ab Mitte der 70er-Jahre durfte er in der Heimat wieder Filme drehen und arbeitete dabei wiederholt mit dem Schauspieler und Autor Zdeněk Sverák zusammen. Ihre Geschichten waren apolitisch und konzentrierten sich in mehrheitlich komödiantischer Form auf private Konflikte. Menzels Markenzeichen blieb jene grosse Menschlichkeit, die selbst Vertreter des unterdrückerischen Systems nie dämonisierte, sondern in ihnen ewig menschliche Schwächen ausmachte. Statt sich in spezifischer, kurzlebiger Zeitkritik zu erschöpfen, strahlen seine Komödien neben bodenständigem Witz auch eine unvergängliche Poesie aus, die ihnen einen wahren Klassikerstatus verleiht.

Michel Bodmer

SONDERVORSTELLUNGEN Die wunderbaren Männer mit der Kurbel von Jiří ­Menzel wird auch im Rahmen der «Sélection Lumière» gezeigt, am 18. Oktober um 18.15 Uhr mit einer Einführung von Martin Girod. Der Kabarettist Emil Steinberger ist ein grosser Fan von Jiří Menzel und hat sich immer gefreut, wenn er in seinem Luzerner Kino einen Menzel-Film zeigen konnte. Auch wenn sie nie zusammengearbeitet haben, kennt und schätzt Menzel wiederum Emil Steinberger sehr. Emil Steinberger wird am 3. November um 18.15 Uhr Kurzgeschnitten präsentieren.


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Miloš Forman & Jiří Menzel

WENN’S KEINE MUSIKANTEN GÄBE (Kdyby ty muziky nebyly)

& WETTBEWERB (Konkurs)

«Es gibt keine direkte Botschaft, bloss einen unwiderstehlich trockenen und witzigen Blick auf die kleinen Tücken des Lebens, voller Zuneigung für jede einzelne Figur.» (Tom Milne, Time Out Film Guide)

ČSSR 1964 86 Min / sw / DCP / Tsch/d // REGIE Miloš Forman // DREH-

Ein Zwillingsfilm aus Miloš Formans dokumentarischen Anfängen: «Der erste Teil, Wenn’s keine Musikanten gäbe, springt zwischen Proben und Aufführung zweier rivalisierender Blaskapellen und der konkurrierenden Attraktion eines Querfeldein-Motorradrennens hin und her. Im zweiten Teil, Wettbewerb, probt eine Schar von Sängerinnen eine Einlage für eine Show. Obwohl ursprünglich als zwei eigenständige Beiträge gemacht, bilden diese zwei Teile ein einleuchtendes Ganzes, weil sie stilistisch und thematisch so ähnlich sind. Die Herangehensweise ist bei beiden dokumentarisch, mit behutsam eingeschobenen fiktionalen Elementen (...). Extrem selbstbewusst für ein Frühwerk, zeigt sich hier bereits die gleiche Mischung von Scharfsinn und Zärtlichkeit, die man in allen frühen FormanFilmen findet.» (Bob Baker, Time Out Film Guide) 1. Teil: 33 Min, 2. Teil: 47 Min / sw / DCP / Tsch/d/f // REGIE Miloš Forman // DREHBUCH Miloš Forman, Ivan Passer // KAMERA Miroslav Ondříček // MUSIK Jiří Šlitr // SCHNITT Miroslav Hájek // 1. TEIL MIT Jan Vostrčil (Blaskapellmeister), František Zeman (Blaskapellmeister der Feuerwehr), Vladimír Pucholt (Vláda), Václav Blumentál (Vašek) // 2. TEIL MIT Jiří Suchý (Veranstalter), Jiří Šlitr (Veranstalter), Markéta Krotká (Fusspflegerin), Ladislav Jakim (Freund der Fusspflegerin), Věra Křesadlová (Rocksängerin).

DER SCHWARZE PETER (Černý Petr) ČSSR 1964 Peter ist ein Pechvogel: Ob der Lehrling in einem kleinen Laden verdächtige Kunden überwachen soll oder sich schüchtern der angehimmelten Pavla nähern will – irgendwie verpatzt er immer alles. Zu Hause erhält er zudem ständig Belehrungen von seinem unaufhörlich schwafelnden Vater. Der schwarze Peter gewann in Locarno den Hauptpreis und zählt zu den Filmen, die die Neue Welle des tschechoslowakischen Kinos ins Rollen brachten. «Das Motto des Films könnte lauten: Auf jede durchsoffene Nacht folgt ein verkaterter Morgen. Ganz grossartig ist denn auch die Szene, in der es bierselig darum geht, ‹Ahoi!› zu sagen, was irgendwann eine völlig absurde Dynamik und Energie bekommt – hier geht es um nichts mehr, das aber mit einer Inbrunst, die Berge versetzen könnte.» (Rui Hortênsio da Silva e Costa, Österreichisches Filmmuseum, 3/2014)

BUCH Miloš Forman, Jaroslav Papoušek // KAMERA Jan Němeček // MUSIK Jiří Šlitr // SCHNITT Miroslav Hájek // MIT Ladislav Jakim (Petr Vanek), Pavla Martínková (Pavla), Jan Vostrčil (Petrs Vater), Pavel Sedláček (Láda), Vladimír Pucholt (Čenda), Božena Matušková (Petrs Mutter).

DIE LIEBE EINER BLONDINE (Lásky jedné plavovlásky) ČSSR 1965 Eine hübsche blonde Fabrikarbeiterin verbringt die Nacht mit einem Pianisten. Als sie ihm – schwer verliebt – nach Prag nachreist und unangemeldet bei seinen Eltern auftaucht, sind alle entsetzt. Er sieht sich in der Falle, sie fühlt sich verraten und die Eltern bekommen beide Seiten nacheinander mit – sodass am Ende niemand mehr weiss, was er denken soll. «Dieser Film ist ein kleines Glanzstück. Die Geschichte ist wegen ihrer Einfachheit schon fast klassisch (…). Viel von Formans Humor entwickelt sich aus der Tatsache, dass die Figuren wie scheue Nachttiere in die Welt starren, immerzu bereit, sich zu verteidigen, wobei sie ständig den Boden unter den Füssen verlieren, weil sie feststellen, dass Menschen nie das sind, was sie auf den ersten Blick zu sein scheinen. Forman setzt grösstenteils Laiendarsteller ein, lässt sie improvisieren, verfeinert dann, formt und vervollkommnet alles und erreicht so etwas unbeschreiblich Exaktes, Berührendes und Lustiges.» (Tom Milne, Time Out Film Guide) 85 Min / sw / DCP / Tsch/d // REGIE Miloš Forman // DREHBUCH Miloš Forman, Jaroslav Papoušek, Ivan Passer, Václav Sasek // KAMERA Miroslav Ondříček // MUSIK Evžen Illín // SCHNITT Miroslav Hájek // MIT Jana Brejchová (Andula), Vladimír Pucholt (Milda Vašata), Vladimír Menšík (Vacovský), Ivan Kheil (Maňas), Jiří Hrubý (Burda), Josef Šebánek (Mildas Vater), Milada Ježková (Mildas Mutter), Josef Kolb (Pokorný).

DER FEUERWEHRBALL (Hoří, má panenko) ČSSR/Italien 1967 Unvorhergesehene Ereignisse stören den Ablauf des Feuerwehrballs: Eine Miss-Wahl endet im Fiasko, die Tombola-Preise verschwinden, die Ehrung des Jubilars fällt einem Brand zum Opfer, zu dem die Feuerwehr wegen des Festes zu spät kommt – die Veranstaltung endet im Chaos.


> Kurzgeschnitten.

> Der schwarze Peter.

> Wettbewerb.

> Das einsame Haus am Waldesrand.


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Miloš Forman & Jiří Menzel «Miloš Forman beobachtet die sogenannten kleinen Leute (...). Entstanden ist dabei eine grosse ‹comédie humaine›. Neorealismus trifft hier auf einen warmherzigen Humor. Den tschechischen Zensoren war der erfolgreiche Film verdächtig, 1969 wurde er verboten.» (arte.tv) International aber trat die Gesellschaftsgroteske einen Siegeszug an und wurde zu Formans Sprungbrett nach Hollywood. «Ist dieser Film veraltet? Als Unterhaltung bestimmt nicht; Forman forciert seine politische Haltung nicht, er lässt sie sich aus dem menschlichen Drama entfalten. Dieser Film ist einfach richtig lustig und als Parabel zeitlos.» (Roger Ebert, Chicago Sun-Times, 4.8.2002) 71 Min / Farbe / DCP / Tsch/d // REGIE Miloš Forman // DREHBUCH Miloš Forman, Jaroslav Papoušek, Ivan Passer // KAMERA Miroslav Ondříček // MUSIK Karel Mareš // SCHNITT Miroslav Hájek // MIT Jan Vostrčil (Komitee-Vorsitzender), Josef Kolb (Josef), František Svět (alter Mann), Milada Ježková (Josefs Frau), Jan Stöckl (Ehrenhauptmann), Stanislav Holubec (Karel), Josef Kutálek (Ludva).

DIE WUNDERBAREN MÄNNER MIT DER KURBEL (Báječní muži s klikou) ČSSR 1979 Ein Filmvorführer tingelt Anfang des 20. Jahrhunderts durch böhmische Dörfer und träumt davon, in Prag ein Kino zu eröffnen. Er verbündet sich mit einem jungen Kameramann (Jiří Menzel selbst), der seinerseits einen Traum hat: Er sehnt sich nach lebensnahen Filmen, die sich mit der Wirklichkeit der Menschen befassen. Menzels Die wunderbaren Männer mit der Kurbel gehört zu den schönsten Huldigungen an die Pioniere der Stummfilmzeit. «Der Film ist eine scharfsinnige Chronologie des Scheiterns. (…) Menzel erzählt dies in teils heiter, teils wehmütig stimmenden Episoden, in denen er virtuos verschiedene filmische Ebenen ineinanderfliessen lässt: Die illusionäre Verzückung angesichts zappelnder Schwarzweissbilder der ersten Stunde trifft auf die schöne Scheinwelt eines standesbewussten Grossbürgertums.» (dhm.de)

DAS EINSAME HAUS AM WALDESRAND

90 Min / Farbe / DCP / Tsch/d/f // REGIE Jiří Menzel // DREH-

(Na samotě u lesa) ČSSR 1976

MUSIK Jiří Šust // SCHNITT Jiří Brožek // MIT Rudolf

Eine Familie aus der Grossstadt entdeckt während eines Ausflugs ein altes Bauernhaus. Sie verbringt dort fortan die Ferien und würde das Haus am liebsten kaufen. Der Besitzer, ein alter Bauer, scheint einverstanden zu sein, nur möchte er den Zeitpunkt selbst bestimmen. «Nach fünf Jahren in politischer Ungnade war Jiří Menzel immer noch vorsichtig und vermied in Das einsame Haus am Waldesrand geschickt jegliche gefährlichen Engagements oder Interpretationsmöglichkeiten. Es ist eine federleichte Komödie über die Schwierigkeiten, als Stadtfamilie auf dem Land leben zu wollen (…). Die ausgezeichnete Kameraführung wirft einen schimmernden, sommerlichen Dunst über die feine Mischung aus Zärtlichkeit und Humor, mit der Menzel typischerweise menschliche Schwächen beobachtet – damit wird der Film zu einer magischen Beschwörung einer verlorenen, einfacheren und entspannteren Welt.» (Tom Milne, Time Out Film Guide)

BUCH Oldřich Vlček, Jiří Menzel // KAMERA Jaromír Šofr // ­Hrušínský (Vilém Pasparte), Jiří Menzel (Jakub Kolenatý), Blažena Holišová (Evženie), Vlasta Fabianová (Emilie), ­Vladimír Menšík (Šlapeta), Hana Burešová (Aloisie).

KURZGESCHNITTEN (Postřižiny) ČSSR 1981 Brauereibesitzer Francin lebt in einer glücklichen Ehe mit der allzu schönen Maryška. Sein Leben wird durch den unerwarteten Besuch seines exzentrischen Bruders Pepin gehörig auf den Kopf gestellt. Maryška findet in Pepin eine verwandte Seele und gerät in den Modernisierungssog der 1920er-Jahre, dem sie beherzt nachgibt. Ihr neuer Haarschnitt wird zum Zankapfel der Weltanschauungen zwischen Tradition und Moderne. Kurzgeschnitten wurde in der Tschechoslowakei zu einem Publikumserfolg. «Maryška wird von Magda Vášáryová gespielt – eine hinreissende Darbietung, die dem etwas derben Treiben einen willkommenen Hauch von Maupassant verleiht.» (Tom Milne, Time Out Film Guide)

95 Min / Farbe / DCP / Tsch/d/f // REGIE Jiří Menzel // DREHBUCH Zdeněk Svěrák, Ladislav Smoljak, Jiří Menzel // KA-

93 Min / Farbe / DCP / Tsch/d/f // REGIE Jiří Menzel // DREH-

MERA Jaromír Šofr // MUSIK Jiří Šust, Ladislav Šmoljak //

BUCH Bohumil Hrabal, Jiří Menzel, nach der Erzählung von

SCHNITT Jiřina Lukešová // MIT Josef Kemr (Deda Komárek),

Bohumil Hrabal // KAMERA Jaromír Šofr // MUSIK Jiří Šust

Zdeněk Svěrák (Oldřich Lavička), Daniela Kolářová (Věrá,

// SCHNITT Jiří Brožek // MIT Jiří Schmitzer (Francin), Magda

Oldřichs Frau), Ladislav Smoljak (Radim Zvon), Nada Urbán-

Vášáryová (Maryška), Jaromír Hanzlík (Pepin), Rudolf

ková (Marta, Zvons Frau), Marie Hradílková (Zuzana).

Hrušínský (Dr. Gruntorád), Oldřich Vlach (Růžička).


28

Miloš Forman & Jiří Menzel

TO MAKE A COMEDY IS NO FUN – JIŘÍ MENZEL Schweiz 2016 Jiří Menzels Passion war stets das Theater; dass er beim Film Karriere machte, kam eher zufällig. Trotzdem hat der Tscheche heute einen Oscar und einen Goldenen Bären in der Tasche und zählt Miloš Forman, Ken Loach, Emir Kusturica und ­Julia Jentsch zu seinen Bewunderern und Freunden; István Szabó bezeichnet sich sogar als den grössten Menzel-Fan überhaupt. To Make a ­Comedy Is No Fun erzählt erstmals die Geschichte dieses aussergewöhnlichen Filme­ ­ machers, ­ Theaterregisseurs und Zeitgenossen des 20. und 21. Jahrhunderts. Es war ein Film «über einen Grossen des Weltkinos, der für einen der unvergesslichsten Momente an diesen Solothurner Filmtagen sorgte.

Es geht um To Make a Comedy Is No Fun. Der Titel des Dokumentarfilms über den 1938 geborenen tschechischen Regisseur, der zu den herausragendsten Figuren der tschechischen Nouvelle Vague gehörte, lässt den umwerfenden Witz ­Menzels erahnen, der 1968 für seine Komödie Scharf beobachtete Züge den Oscar für den besten nicht-englischsprachigen Film erhalten hatte. Der Dokumentarfilm des 1970 in Solothurn geborenen Robert Kolinsky, der als Pianist in Basel seit vielen Jahren ein Musikfestival leitet, führt mit grösster Sorgfalt und Liebe durch Menzels unglaubliches Universum.» (Geri Krebs, NZZ, 26.1.2016) 80 Min / Farbe + sw / DCP / OV/d/f // DREHBUCH UND REGIE ­Robert Kolinsky // KAMERA Elia Lyssy, Jana Marsik, Ines Thomsen, Stefan Dux // MUSIK Aleš Brezina, Jiří Sust // SCHNITT ­Andrea ­Pugner, Rebecca Trösch // MIT Jiří Menzel, Ken Loach, István Szabó, Miloš Forman, Emir Kusturica, Věra Chytilová.

ZÜRCHER FILMBUFF-QUIZ 2018

FR, 2. NOV. | 20.00 UHR

> Ralph Fiennes in Quiz Show.

Anfang November lädt das Filmpodium wieder Kinokenner und Filmfreundinnen ein, mental die Klingen zu kreuzen und abseits des Internets mit echtem Filmwissen zu brillieren. Für die Profis im Publikum gibt es Handicaps, damit engagierte Amateure gleiche Chancen haben, die attraktiven Preise zu gewinnen. Wie bei den TV-Vorbildern muss man beim Filmbuff-Quiz aber nicht selber mitspielen, um Spass zu haben. Man kann auch nur seine Lieblingskandidatinnen anfeuern – oder einfach die eingespielten Clips geniessen und ­Höhepunkte (und Peinlichkeiten) der Filmgeschichte Revue passieren lassen. Aufgrund der grossen Nachfrage empfehlen wir allen, die einen Sitzplatz auf Nummer ­sicher wollen, den Vorverkauf oder die frühzeitige Reservation.

Corinne Siegrist-Oboussier & Michel Bodmer


29 Das erste Jahrhundert des Films

1988 Das Filmjahr 1988 wird durch zwei Werke geprägt, die entscheidend zum Boom des dokumentarischen Kinos beigetragen haben: Im monumentalen Hôtel Terminus: The Life and Times of Klaus Barbie zeichnet Marcel Ophüls nicht nur das Lebens eines NS-Kriegsverbrechers nach, sondern fragt nach den Bedingungen, unter denen eine solche Figur mächtig und nach dem Krieg als Agent für den US-Geheimdienst und die Diktatur Boliviens tätig werden konnte. Seine filmische Abrechnung hat bis heute nichts von ihrer Kraft und Relevanz verloren. Zwiespältige Menschen hat auch Errol Morris immer wieder porträtiert. In The Thin Blue Line vermischt er virtuos Interviewmaterial mit inszenierten Sequenzen. Es gelingt ihm, die Hintergründe eines Justizskandals blosszulegen und die Unschuld eines vermeintlichen Mörders zu beweisen; der Fall wird erneut aufgerollt und der zu Tode Verurteilte freigesprochen. Damit stellt Morris eindrücklich die Wirkungsmacht eines Films unter Beweis. Weniger an der dokumentarischen Richtigkeit, sondern am Prozess des Erinnerns interessiert ist der britische Ausnahmeregisseur Terence Davies, der im poetischen Distant Voices, Still Lives Bilder seiner eigenen Kindheit im ­Liverpool der 40er- und 50er-Jahre heraufbeschwört. Schrill und schräg ist dagegen die umwerfende Kultkomödie Mujeres al borde de un ataque de nervios, mit der Pedro Almodóvar sein Image als Frauenregisseur begründet und seinen internationalen Durchbruch schafft. Ebenfalls bahnbrechend ist schliesslich Akira, das apokalyptische Anime-Meisterwerk von Katsuhiro Otomo, das eine Geschichte über Autorität und jugendliches Aufbegehren erzählt und uns mit rasantem Tempo und überwältigenden Bildern ins Jahr 2019 katapultiert. Tanja Hanhart Das erste Jahrhundert des Films In der Dauerreihe «Das erste Jahrhundert des Films» zeigen wir im Lauf von zehn Jahren rund 500 ­wegweisende Werke der Filmgeschichte. Die Auswahl jedes Programmblocks ist gruppiert nach Jahrgängen, woraus sich schliesslich 100 Momentaufnahmen des Weltkinos von 1900 bis 1999 ergeben. ­Referenzzahl ist jeweils der aktuelle Jahrgang, d. h. im Jahr 2018 sind Filme von 1918, 1928, 1938 usw. zu sehen. Weitere wichtige Filme von 1988 A Fish Called Wanda Charles Crichton, GB/USA Ariel Aki Kaurismäki, Finnland Dangerous Liaisons Stephen Frears, GB/USA Das rote Kornfeld (Hong gao liang) Zhang Yimou, China Die Hard John McTiernan, USA Die letzten Glühwürmchen (Hotaru no haka) Isao Takahata, J Drowning by Numbers Peter Greenaway, GB Ein kurzer Film über das Töten (Krótki film o zabijaniu) Krzysztof Kieślowski, Polen Kleine Vera (Malenkaja Wera) Wassili Pitschul, UdSSR Landschaft im Nebel (Topio stin omichli) Theo Angelopoulos, Griechenland

Le grand bleu Luc Besson, F Mein Nachbar Totoro (Tonari no Totoro) Hayao Miyazaki, J (läuft im Kinderprogramm, siehe S. 33) Nuovo Cinema Paradiso Giuseppe Tornatore, I Rain Man Barry Levinson, USA Sur Fernando E. Solanas, Argentinien Time of the Gypsies (Dom za vešanje) Emir Kusturica, Jugoslawien Une affaire de femmes Claude Chabrol, F Who Framed Roger Rabbit Robert Zemeckis, USA


30

Das erste Jahrhundert des Films: 1988

DISTANT VOICES, STILL LIVES GB 1988 Eine Liverpooler Arbeiterfamilie verliert den Vater; die Familienmitglieder erinnern sich an die Zeit mit ihm. Zehn Jahre später haben sie selbst Nachwuchs und müssen sich mit den Problemen des Alltags beschäftigen, doch eine Gewohnheit ist ihnen geblieben: das Singen. Distant Voices, Still Lives ist der erste lange Spielfilm von Terence Davies. 2011 wurde er in einer Umfrage von Time Out zum drittbesten britischen Film aller Zeiten gewählt. «Superlative sind Mangelware, wenn man die emotionale Kraft von Davies’ fragmentarischer Chronik des Lebens einer Arbeiterfamilie im ­Liverpool der 1940- und 50er-Jahre beschreiben möchte. Ausgehend von seiner eigenen Kindheit lässt er seinen Film um den Tod eines brutalen Patriarchen und um die darauffolgende Heirat von dessen Tochter kreisen und teilt den Film damit in zwei Episoden (die er mit einem Jahr Abstand drehte). Distant Voices besteht aus einer Reihe schmerzhafter Erinnerungen an Kindheitsängste und Kriegsleiden, die in den Hochzeitstag hinein- und wieder hinausfliessen; Still Lives zeigt das Leben einer glücklicheren Witwe, ihrer beiden Töchter, ihres Sohnes und ihrer Freunde, die sich in Pubs treffen und singen und die beginnen, an ihren eigenen Ehen zu leiden. Pete Postlethwaite spielt den gewalttätigen, kaputten und

wortkargen Vater. (...) Es ist ein herzzerreissendes Werk. Die Besetzung ist phänomenal; Lieder fliessen wie Blut durch den Film; und Davies ist unerschütterlich auf der Suche nach Wahrheit und voller Liebe und Verständnis für seine Figuren. Ein Meisterwerk.» (Dave Calhoun, timeout.com) 85 Min / Farbe / 35 mm / E/d/f // DREHBUCH UND REGIE ­Terence Davies // KAMERA William Diver, Patrick Duval // MUSIK Volkslieder, Schlager der 1940- und 50er-Jahre // SCHNITT William Diver // MIT Freda Dowie (Mutter), Pete Postlethwaite (Vater), Angela Walsh (Eileen), Dean Williams (Tony), Lorraine Ashbourne (Maisie), Sally Davies (Eileen als Kind), Nathan Walsh (Tony als Kind), Susan Flanagan (Maisie als Kind), Michael Starke (Dave), Vincent Maguire (George), Antonia Mallen (Rose), Debi Jones (Micky).

Im Kalenderjahr 2018 führen Mitarbeitende, Studierende und Gäste des Seminars für Filmwissenschaft der Universität Zürich einzelne Filme der Reihe «Das erste Jahrhundert des Films» ein. Neben dem filmhistorischen Kontext werden in den Einführungen formale und thematische Aspekte der Jahrhundertfilme genauer betrachtet.


31

Das erste Jahrhundert des Films: 1988

MUJERES AL BORDE DE UN ATAQUE DE NERVIOS Spanien 1988

AKIRA Japan 1988

Pepa ist Schauspielerin und arbeitet als Synchronsprecherin. Ihr langjähriger Liebhaber Iván, auch er Synchronsprecher, beendet ihre Beziehung mit einer lapidaren Nachricht auf dem Anrufbeantworter. Pepa erleidet einen Nervenzusammenbruch, doch in ihrer Wohnung findet sie keine Ruhe: Ihre Freundin ist auf der Flucht vor der Polizei, Iváns irre Ex-Frau fuchtelt mit einer Pistole herum, das Schlafzimmer brennt und der erfrischende Gazpacho ist mit Schlaftabletten versetzt. «Wie kein anderer Regisseur weiss Almodóvar die Frauen zu inszenieren und ins Zentrum seiner Filme zu stellen. Und was für Frauen! Sie sind hysterisch, sexy, egozentrisch, laut und chaotisch. Doch zu alldem sind sie auch handelnde Figuren. Sie (...) nehmen ihr Leben in die Hand und verändern ihre Situation – oft auf nicht sehr konventionelle Art und Weise. (...) Der grösste Teil des Films spielt in Pepas kitschig eingerichteter Wohnung. Diese wirkt ein bisschen wie eine Theaterkulisse oder wie einem Hollywoodfilm aus den fünfziger Jahren entsprungen, jenem Kino, das ­Almodóvar verehrt. Doch das kulissenhaft wirkende und perfekt ausgeleuchtete Dekor und die dramatische Musik mischt Almodóvar mit knalligen Farben, trashigen Figuren, Slapstickeinlagen und grossartigen Dialogen. Gerade diese Kombination macht Mujeres al borde de un ataque de nervios zu einem ebenso lustvollen wie lustigen Kino­ erlebnis.» (Silvia Süess, WOZ, 19.2.2015)

1988 zerstörte eine gigantische Explosion Tokio, 2019 erschüttern Gewalt und Chaos das wieder aufgebaute Neo-Tokio: In den Strassen gibt es Proteste und Tumulte, Motorradgangs bekriegen sich bis aufs Blut. Die beiden Jugendlichen K ­ aneda und Tetsuo gehören einer dieser Gangs an. Auf ­einer Fahrt durch die Nacht kollidiert Tetsuo mit einem seltsam greisenhaften Jungen und entwickelt daraufhin übernatürliche Fähigkeiten. «Katsuhiro Otomo verbindet die apokalyptische Szenerie genial mit der Wut unzufriedener Teenager. (...) Am stärksten kommt in Akira die Angst der Gesellschaft vor ihrer Jugend zum Ausdruck – sie ist wild, unkontrollierbar, chaotisch. Tetsuo ist der ultimative entnervte Jugendliche, der genug Macht hat, seinen Weg mit Leichen zu pflastern. Und sowohl Regierung als auch Armee haben mit gutem Grund eine schreckliche Angst vor dem in der Kindheit stecken gebliebenen Akira. Hier wütet die Jugend in einer Orgie der Zerstörung, und sicher spielen Erinnerungen an die Atombomben des Zweiten Weltkriegs und kollektive Vernichtungsängste eine grosse Rolle.» (Adisakdi Tantimedh, in: 1001 Filme, Ed. Olms, 2012) «Akira war mehr als nur ein grossartiger Film – er war ein Phänomen. (...) Angeführt von Akira, zeigten Animes, was Animation sein konnte: brutal, aggressiv, radikal stilisiert, nachdenklich – und vor allem erwachsen.» (Phil Hoad, The Guardian, 10.7.2013)

88 Min / Farbe / 35 mm / Sp/d/f // DREHBUCH UND REGIE

124 Min / Farbe / Digital HD / Jap/d // REGIE Katsuhiro Otomo

­Pedro Almodóvar // KAMERA José Luis Alcaine // MUSIK Bernardo Bonezzi // SCHNITT José Salcedo // MIT Carmen Maura (Pepa), Antonio Banderas (Carlos), Julieta Serrano (Lucía), María Barranco (Candela), Rossy de Palma (Marisa)

// DREHBUCH Katsuhiro Otomo, Izo Hashimoto, nach dem Manga von Katsuhiro Otomo // KAMERA Katsuji Misawa // ­MUSIK Shoji Yamashiro // SCHNITT Takeshi Seyama // MIT DEN STIMMEN VON Nozomu Sasaki (Tetsuo), Mitsuo Iwata (Kaneda), Taro Ishida (Oberst Shikishima), Mizuho Suzuki

✷ am Montag, 22. Oktober, 18.15 Uhr: Einführung von Julia Schmidt (Studierende am Semi­ nar für Filmwissenschaft, Universität Zürich)

(Doktor Onishi), Mami Koyama (Kei), Masaaki Okura (Yamagata), Tessho Genda (Ryu), Hiroshi Otake (Nezu).


32

Das erste Jahrhundert des Films: 1988

THE THIN BLUE LINE USA 1988 1976 wird in Texas bei einer Fahrzeugkontrolle ein Polizist erschossen. Die Polizei präsentiert daraufhin zwei Verdächtige: den minderjährigen ­David Ray Harris sowie den 28-jährigen Randall Dale Adams. «Errol Morris versucht in seinem originellen und herrlich bizarren Stück des investigativen Filmjournalismus mit Erfolg, die Fakten im Falle Randall Adams richtigzustellen (...). Gleichzeitig ist dieser Dokumentarfilm eine philosophische Abhandlung über Erkenntnisfragen, welche mithilfe hochstilisierter dramatischer Rekonstruktionen des Verbrechens eine Vielzahl von Sichtweisen des Tatverlaufs zeigt. Und schliesslich handelt es sich um eine von dunklem Humor getränkte, albtraumhafte Studie über Selbsttäuschung und Irreführung. Die Zeugen und Gesetzesvertreter, die Morris interviewt, sind offensichtlich zwielichtig, obsessiv und unzuverlässig. Tatsächlich ist der Film – makellos strukturiert, wunderschön aufgenommen und von Philip Glass feinfühlig vertont – ein bissiger und ausgelassener Essay über die kauzige Seite Amerikas.» (Geoff Andrew, timeout.com) Morris betont, dass es im Dokumentarfilm «letztlich darum gehe, die Leute Vertrauen zu einem fassen zu lassen und zum Reden über sich selbst zu bringen. Diese Fähigkeit, gepaart mit Intuition und investigativem Spürsinn, hat dazu geführt, dass ein zu Unrecht des Mords Angeklagter auf Grund der filmischen Beweisführung freigesprochen werden musste.» (Christoph Egger, NZZ, 8.6.2001) The Thin Blue Line wurde ins National Film ­Registry der US-amerikanischen Library of Congress aufgenommen und belegt auf der «Greatest Documentaries of All Time»-Liste von «Sight & Sound» den 5. Platz. 100 Min / Farbe / Digital HD / E // DREHBUCH UND REGIE ­Errol Morris // KAMERA Stefan Czapsky, Robert Chappell // MUSIK Philip Glass // SCHNITT Paul Barnes.

✷ am Montag, 15. Oktober, 18.15 Uhr: Einführung von Prof. Dr. Margrit Tröhler (Semi­nar für Filmwissenschaft, Universität Zürich)

HÔTEL TERMINUS: THE LIFE AND TIMES OF KLAUS BARBIE BRD/Frankreich/USA 1988 Jahrelang verzögerte sich der Prozess gegen Klaus Barbie; es war unklar, ob der Gestapo-Chef von Lyon überhaupt verurteilt werden würde. Möglicherweise waren seine Untaten nach vierzig Jahren verjährt – so lautete jedenfalls das Argument seines Verteidigers. In dieser Situation machte sich Marcel Ophüls, einer der bedeutendsten Chronisten und Auf­klärer der Gegenwart, auf die Reise. Was erst als Artikelserie geplant war, wurde zu 120 Stunden Interview­ material, die Ophüls zu einem gut vierstündigen Film montierte. Hôtel Terminus wurde mit dem Friedensfilmpreis und einem Oscar ausgezeichnet. «Mit keinem anderen Film hat die Figur des brillanten Interviewers und Rechercheurs Ophüls so deutlich Gestalt angenommen und ist zur Ikone des dokumentarischen Kinos geworden wie mit diesem (lange vor Michael Moore und Nick Broomfield). Der Ruhm des Oscars für den Film ist ein Grund; ein anderer die Struktur und Form des Werks selbst: Die spannungsreiche Rekonstruktion der Vita von Klaus Barbie, dem ‹Henker von Lyon›, reflektiert virtuos ihren Entstehungsprozess und ist erzählt wie ein Polizeiprotokoll (mit Ophüls als unerbittlichem Detektiv). Auf der Anklagebank: nicht nur einer der letzten deutschen Nazis und Kriegsverbrecher, dem noch der Prozess gemacht werden konnte (und der schliesslich in der Haft gestorben ist), sondern ein ganzes politisches System, das Biografien wie jene Barbies in der kalten Nachkriegszeit möglich gemacht hat. Eine atemberaubende Jagd nach der historischen Wahrheit im Geflecht unzähliger konkurrierender Erzählungen; ein filmischer Prozess der zunehmenden Präzisierung, der die Möglichkeiten des Mediums, zwischen Wahrheit und Täuschung zu unterscheiden, bis ans Äusserste treibt.» (Constantin Wulff, Österreichisches Filmmuseum, 5/2010) 267 Min / Farbe + sw / 35 mm / OV/d/f // DREHBUCH UND REGIE Marcel Ophüls // KAMERA Michael Davis, Pierre Boffety, Reuben Aaronson // SCHNITT Albert Jurgenson, Anne Weil.


33 Filmpodium für Kinder

Mein Nachbar Totoro

Der wunderbare Kinderfilmklassiker feiert heuer sein 30-jähriges ­Jubiläum. Mit ihm entführt uns Hayao Miyazaki in seine verrückt-­ verwunschenen, liebevoll von Hand gezeichneten Bildwelten.

MEIN NACHBAR TOTORO (Tonari no Totoro) / Japan 1988 86 Min / Farbe / Digital HD / D / ab 6 // DREHBUCH UND REGIE Hayao Miyazaki // KAMERA Hisao Shirai // MUSIK Joe Hisaishi // SCHNITT Takeshi Seyama // MIT DEN DEUTSCHEN STIMMEN VON Maresa Sedlmair (Satsuki, genannt Saki), Paulina Rümmelein (Mei), Gerhard Jilka (Totoro), Philipp Brammer (Tatsuo Kusakabe, der Vater), Christine Stichler (Yasuko Kusakabe, die Mutter), Moritz Günther (Kanta Ogaki, ein Dorfjunge), Monika John (Kantas Grossmutter).

In den späten fünfziger Jahren ziehen die Schwestern Satsuki und Mei mit ihrem Vater in ein altes Landhaus, um in der Nähe ihrer Mutter zu sein, die sich im Krankenhaus von einer schweren Krankheit erholt. Bald schon begegnen die Mädchen einem riesigen Waldwesen – der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. KINDERFILM-WORKSHOP Im Anschluss an die beiden Vorstellungen von Mein Nachbar Totoro bietet die Filmwissenschaftlerin Julia Breddermann (www.fifoco.ch) einen Film-Workshop an. Die Kinder erleben eine Entdeckungsreise durch die Welt der Filmsprache und werden an einzelne Szenen und Themen des Films herangeführt. Dauer des Workshops: ca. 45 Min. Der Workshop wird gratis angeboten. Keine Voranmeldung nötig.


34 IOIC-SOIREE

KRIEG UND FRIEDEN IM STUMMFILM

EINZELVORSTELLUNG DO, 18. OKT. | 20.45 UHR

Das IOIC – Institute of Incoherent Cinema-

Wie die Animation in den Film kam

tography – macht mit neuartigen Live-Ver-

Die drei Pioniere des frühen Animationsfilms, der Engländer

tonungen die frühe Stummfilmkunst nicht

US-Amerikaner Winsor McCay, haben auf unterschiedliche

zuletzt auch einem jüngeren Publikum zugänglich. In der Saison 2018/19 ist das IOIC

Walter R. Booth, der Spanier Segundo de Chomón und der Weise Live-Action-Szenen um animierte Filmsequenzen erweitert. Die Techniken reichen dabei von sich bewegenden Bühnenbildern über in die Haupthandlung per Doppel­­ -

wiederum im Filmpodium zu Gast, diesmal

belichtung oder Rückprojektion eingebaute Zweithandlun-

mit einer Reihe zu Krieg und Frieden.

gen bis hin zur Stop-Motion-Animation. Letztere Technik hat Segundo de Chomón, der zu Unrecht weitaus weniger ­bekannte Gegenstreiter von Georges Méliès, zur Perfektion

Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges fällt zusammen mit der Zeit, in der die neue

gebracht. In einer Zeit, da Aussenaufnahmen die Ausnahme darstellten, kommt der Animation in Kriegsfilmen eine gewichtige Rolle zu.

Kunst des Films volljährig wird und sich zunehmend ernsteren Themen hinwendet,

Live-Vertonung: FELL

nicht zuletzt, um als erwachsene Kunst-

Vertont werden diese kleinen Stummfilmperlen vom Duo

form wahrgenommen zu werden. Es verwundert also nicht, dass der Krieg einen breiten Niederschlag im Filmschaffen fin-

FELL. Der Holländer toktek ist ein Virtuose in der Kunst des Sampling. Aus musikalischen Objets trouvés zaubert er Sounds, die er mittels Controller bedient, um sein Publikum in ein elektronisches Wunderland zu entführen. Der Schweizer Schlagzeuger Simon Berz wiederum hat neue Wege ge-

det. Jenseits von kriegsverherrlichenden

funden, mit seinem Drumset zu kommunizieren. Anhand von

Propagandafilmen und naiv-pazifistischen

selbst gebauten analogen elektronischen Geräten schafft er

Hoffnungsvisionen gibt es eine Vielzahl

es, dass sein Schlagzeug Feedback erzeugt und sich mit ihm austauscht.

Filme, die sich auf künstlerische Weise mit

FELL: toktek (Elektronik, E- Bass) & Simon Berz

der Thematik von Krieg und Frieden aus-­

­(Schlagzeug, Elektronik)

einandersetzen. (IOIC)

www.fellband.org

THE AIRSHIP DESTROYER / GB 1909 7 Min / sw / 35 mm / Stummfilm, ohne Zw’titel // REGIE ­Walter R. Booth.

THE SINKING OF THE LUSITANIA / USA 1918 12 Min / sw / Digital HD / Stummfilm, e Zw’titel // DREHBUCH UND REGIE Winsor McCay.

THE PET / USA 1921 12 Min / sw / Digital HD / Stummfilm, e Zw’titel / DREHBUCH UND REGIE Winsor McCay.

LA GUERRA ED IL SOGNO DI MOMI / I 1917 42 Min / tinted + toned / 35 mm / Stummfilm, i Zw’titel // ­REGIE Segundo de Chomón, Giovanni Pastrone // DREHBUCH Giovanni Pastrone // KAMERA Segundo de Chomón // MIT Stellina Toschi (Momi), Alberto Nepoti (Momis Vater, Offizier der italienischen Armee), Valentina Frascaroli ­ ­(Momis Mutter), Enrico Gemelli (Momis Grossvater), Luigi Petrungaro (Berto), Gina Marangoni (Bertos Mutter).

> La guerra ed il sogno di Momi.


35 ZUR STADTHAUS-AUSSTELLUNG «SCHATTEN DER REFORMATION»

URSULA Noch bis zum 2. März 2019 ist im Stadthaus

In Koproduktion mit der DDR entstanden,

die Ausstellung «Schatten der Reforma-

sollte Ursula eine Sternstunde des Schwei-

tion» zu sehen, die den Epochenwandel, der

zer Fernsehens werden. Gross angekündigt

vor 500 Jahren eingeläutet wurde, kritisch

und prominent platziert, wurde der Film am

hinterfragt. Das Filmpodium zeigt aus die-

Reformationssonntag 1978 ausgestrahlt –

sem Anlass die Gottfried-Keller-Verfil-

und schockierte das Schweizer Publikum

mung Ursula, die 1978 für einen handfesten

zutiefst: Der Film war für viele schwer ver-

Skandal sorgte.

ständlich, zeichnete Zwingli als kontroverse Figur und zeigte vor allem zu viel nackte Haut. Der Film löste damit eine nie da gewesene Flut von Zuschauerbriefen aus: «Zwingli hätte sich im Grabe umgedreht.» Ursula wurde zum Skandal, und das Schweizer Fernsehen sah sich mit einer Strafanzeige wegen «unzüchtiger Veröffentlichungen» konfrontiert. In der DDR hatte der Film sogar personelle Konsequenzen: Mehrere am ­Projekt Beteiligte verloren ihren Posten, der

URSULA / Schweiz/DDR 1978

Regisseur Egon Günther verliess die DDR.

111 Min / Farbe / Digital HD / D+Dial // REGIE Egon Günther

Ursula landete im Giftschrank und wurde –

// DREHBUCH Helga Schütz, nach der Novelle von Gottfried Keller // KAMERA Peter Brand // MUSIK Karl-Ernst Sasse //

wie in der Schweiz – erst 1990 wieder ausge-

SCHNITT Rita Hiller // MIT Suzanne Stoll (Ursula Schnurren-

strahlt.

berger), Jörg Reichlin (Hansli Gyr), Matthias Habich (Zwingli), Jutta Hoffmann (Schnurrenbergerin), Wolf Kaiser (Enoch Schnurrenberger), Klaus Piontek (Schneck von Agasul), ­Jürgen Hentsch (Soldat).

✶ am Sonntag, 4. November, 12.00 Uhr: Begrüssung: Peter Niederhäuser, Historiker und Kurator Einführung: Franziska Widmer, Kulturpädagogin Peter Niederhäuser und Franziska Widmer stehen nach dem

In den Reformationswirren verlieben sich Ursula und der Bauernsohn und Söldner Hansli ineinander. Ursula hat sich den Täufern, dem «linken» Flügel der Reformation, angeschlossen. Diese fordern unter anderem Glaubensfreiheit sowie die Trennung von Kirche und Staat und lehnen das Sakrament der Ehe ab. Hansli hingegen begeistert sich für die Lehren Huldrych Zwinglis. Erst auf dem Schlachtfeld von Kappel finden die beiden ihr gemeinsames Glück.

Film für Fragen zur Verfügung. (Dienstag, 13. November, 20.45 Uhr: Vorstellung ohne ­Einführung) Ausstellung im Stadthaus bis 2. März 2019, weitere Informationen unter: stadt-zuerich.ch/ausstellung


36 70 JAHRE CINÉMATHÈQUE SUISSE

EINZELVORSTELLUNG DO, 1. NOV. | 18.00 UHR

Von 1981 an war das Archiv eine Stiftung und im Lausanner Casino Montbenon zu Hause. Die Bestände, die inzwischen neben vielen «Helvetica» auch Tausende von ausgedienten Verleihkopien internationaler Kinofilme samt Plakaten und Fotos umfassten, nahmen einen Umfang an, der ab 1992 in einem neuen Archivierungszentrum in Penthaz aufgefangen werden musste. 1996 löste Hervé Dumont Freddy Buache als Direktor CINEMA FUTURES / Österreich/Indien/ Norwegen/USA 2016

ab; 2009 rückte Frédéric Maire nach. 2011 genehmigte der Bundesrat die Einrichtung

126 Min / Farbe + sw / DCP / D+E/d // REGIE, DREHBUCH,

digitaler Archivierungstechnologie im er-

MUSIK, SCHNITT Michael Palm // KAMERA Jörg Burger //

weiterten Zentrum Penthaz, das 2019 in Be-

MIT Martin Scorsese, Christopher Nolan, Apichatpong Weerasethakul, Tacita Dean, David Bordwell, Paolo Cherchi Usai, George R. Willeman, Nicole Brenez.

trieb genommen werden soll. Der doppelte, teils widersprüchliche Zweck von Filmarchiven – Konservierung

Die Cinémathèque suisse, deren Deutsch-

und Vermittlung des Filmerbes – ist ein

schweizer Partnerkino das Filmpodium ist,

Kernthema des Essayfilms Cinema Futures

steht heute in Bezug auf den Umfang ihrer

(2016) von Michael Palm. Die Digitalisierung

Sammlung an sechster Stelle unter den be-

als Chance (unbeschränkte Möglichkeiten

deutendsten Filmarchiven der Welt, was

zur Restaurierung und Verbreitung histori-

sich bei der Gründung des Vereins 1948

scher Filme; beliebige Manipulierbarkeit

wohl niemand hätte träumen lassen. Da-

von Bild und Ton für heutige Filmschaf-

mals wurde das fünf Jahre zuvor geschaf-

fende), aber auch als Fluch (Verfälschung

fene «Schweizerische Filmarchiv» wegen

des klassischen Kinoerlebnisses, ungelöste

der Streichung der Subventionen durch die

Archivierungsprobleme) wird in Cinema

Stadt Basel in die Cinémathèque suisse

­Futures umfassend vor Augen geführt und

umgewandelt, worauf auch die Archivbe-

diskutiert, u. a. von Cineasten wie Martin

stände nach Lausanne wanderten. Die Ins-

Scorsese und Christopher Nolan.

titution war quantitativ noch überschaubar: Ihr zweiter, langjähriger Direktor Freddy Buache brachte 1952 die ganze Cinéma-

Frédéric Maire gibt im Anschluss an die Vorführung von

thèque in einer Zweizimmerwohnung un-

­Cinema Futures darüber Auskunft, wie die Cinémathèque

ter. Ab 1963 unterstützte der Bund das bis-

Gesprächspartnerin ist Sarah Elena Schwerzmann, die als

her ehrenamtlich betriebene Archiv und drei Jahre später begann die Cinémathèque, Filme auch vorzuführen.

­suisse heute mit diesen Herausforderungen umgeht. Seine Print- und Videojournalistin international tätig ist und sich seit zwanzig Jahren mit dem digitalen Wandel in der Kreativwirtschaft beschäftigt. Das Gespräch findet in deutscher und französischer Sprache statt.


37 IMPRESSUM

DAS FILMPODIUM IST EIN ANGEBOT DES PRÄSIDIALDEPARTEMENTS

in Zusammenarbeit mit der Cinémathèque suisse, Lausanne/Zürich LEITUNG Corinne Siegrist-Oboussier (cs), STV. LEITUNG Michel Bodmer (mb) WISSENSCHAFTLICHE MITARBEIT Tanja Hanhart (th), Marius Kuhn (mk), Primo Mazzoni (pm), Laura Walde PRAKTIKUM Andri Erdin // SEKRETARIAT Claudia Brändle BÜRO Postfach, 8022 Zürich, Telefon 044 412 31 28, Fax 044 412 31 25 WWW.FILMPODIUM.CH // E-MAIL info@filmpodium.ch // KINO Nüschelerstr. 11, 8001 Zürich, Tel. 044 211 66 66 UNSER DANK FÜR DAS ZUSTANDEKOMMEN DIESES PROGRAMMS GILT: Ascot Elite Entertainment Group, Zürich; Jane Balfour Services, London; British Film Institute, London; Deutsches Filminstitut – DIF, Wiesbaden; Filmcoopi, Zürich; Filmmuseum München; Frenetic Films, Zürich; Imagina Sales, Madrid; Kew Media Group, London; Kinemathek Le Bon Film, Basel; Kodansha, Tokio; Library of Congress, Culpeper; Light Cone, Paris; Lobster Films, Paris; LUX, London; Metropolis Archiv, Hamburg; Museo Nazionale del Cinema, Turin; Park Circus, Glasgow; SRF Schweizer Radio und Fernsehen, Zürich; Tamasa Distribution, Paris; TF1 International, Boulogne; Telepool, Zürich; trigon-film, Ennetbaden; Twentieth Century Fox Film Corp., Los Angeles; UCLA Film & Television Archive, Santa Clarita; Warner Bros. Entertainment Switzerland GmbH, Zürich. DATABASE PUBLISHING BitBee Solutions GmbH, Zürich // KONZEPTIONELLE BERATUNG Esther Schmid, Zürich GESTALTUNG TBS, Zürich // KORREKTORAT Nina Haueter, Daliah Kohn // DRUCK Ropress, Zürich // AUFLAGE 6000 ABONNEMENTE Filmpodium-Generalabonnement : CHF 400.– (freier Eintritt zu allen Vorstellungen; inkl. Abo Programmheft) // Filmpodium-Halbtaxabonnement: CHF 80.– / U25: CHF 40.– (halber Eintrittspreis bei allen Vorstellungen; inkl. Abo Programmheft) // Abonnement Programmheft: CHF 20.– // Anmeldung an der Kinokasse, über www.filmpodium.ch oder Tel. 044 412 31 28

VORSCHAU 4th Arab Film Festival Zurich

René Clair zum 120. Geburtstag

Zum vierten Mal widmet sich das Arab Film

René Clair (1898–1981) gab seinen Einstand

Festival Zurich dem zeitgenössischen Film-

beim Film gleich mit dessen völliger Auflö-

schaffen im arabischen Raum. In vielen

sung: Das dadaistische Kleinod Entr’acte

Ländern, in denen der Arabische Frühling

(1924) foutierte sich um sämtliche Spielre-

gescheitert ist, herrscht nicht nur Ernüch-

geln der siebten Kunst. In der Folge erwies

terung, sondern man setzt sich differenziert

sich Clair als begnadeter Schöpfer stummer

mit den neuen Realitäten auseinander. Kri-

traum- oder märchenhafter Fabeln wie Le

tik an den Zuständen wird zwar oft metapho-

voyage imaginaire und Sous les toits de Paris,

risch oder durch zeitliche Entrückung ver-

die meist die (schöpferische) Freiheit feiern.

fremdet, aber sie findet statt. Viele neue

Auch Tonfilme wie Quatorze juillet, Le silence

Stimmen, vor allem auch weibliche, ver-

est d’or oder Les belles de nuit, selbst jene,

schaffen sich Gehör, darunter Yasmine

die er in Hollywood drehte (I Married a Witch,

Chouikh (Algerien), Sofia Djama und Nada

It Happened Tomorrow u. a.), lassen sein

Mezni Hafaiedh (Tunesien), Kamla Abu-Zekr

Flair für rein filmisches Erzählen spüren. In

(Ägypten), Widad Shafakoj (Jordanien) und

Sachen Leichtigkeit und Witz kann sich nur

Eliane Raheb (Libanon).

Lubitsch mit ihm messen.


BIRDS OF PASSAGE CRIST IN A GA LLE GO & C I R O GUERRA, CO LO MBIA

PÁJAROS DE VERANO AB 25. OK TOB E R I M K I NO


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