Filmpodium Programmheft 3. Okt. – 15. Nov. 2016 // Filmpodium programme issue Oct - Nov 2016

Page 1

3. Oktober–15. November 2016

Das südkoreanische Filmwunder Jiří Menzel revisited


AB 20. OKTOBER IM KINO

MANI HAGHIGHI, IRAN

Ein erquicklich verrücktes Spiel um Sein und Schein

NEUE FILMPERLEN UND RESTAURIERTE KLASSIKER

www.trigon-film.org


01 Editorial

Ein launischer Sommer So heisst nicht nur eines der drei Meisterwerke von Jiří Menzel, die wir in diesem Programm zeigen; so könnten auch die vergangenen Monate überschrieben werden. Nach einem verregneten Einstieg hat sich schliesslich die Sonne durchgesetzt und uns Badi-Wetter beschert. Wer ein Kino betreibt, empfindet in der Regel konträr zur Volksseele der Zürcherinnen und Zürcher, die sich neun Monate im Jahr danach sehnen, möglichst viele Kleider abzuwerfen, um an der Sonne zu essen, zu trinken oder zu braten und sich wie in Italien zu fühlen. Für das Kino ist dieser Outdoor-Wahn an den längsten Tagen des Jahres fatal, denn in den dunklen Lichtspielsaal begeben sich Menschen vornehmlich dann, wenn es draussen düster oder klamm ist. Und tatsächlich sind die KinoBesucherzahlen des diesjährigen Sommers nicht berauschend; sie unterbieten gar noch jene des letzten Sommers, der ja für seine vielen Sonnenstunden in die Annalen einging. Liegt es am Programm? Beim Filmpodium verzeichnete 2015 die Retrospektive zu Hayao Miyazaki einen Überraschungserfolg, der die eher mässigen Zahlen der Reihe zu Joan Crawford und Bette Davis wettmachte. Heuer vermochten nur wenige Werkpaare der Reihe Remakes genügend zu interessieren, um das Publikum gleich zweimal ins Kino zu locken – wobei es durchaus einzelne Angefressene gab, die sich etwa Die sieben Samurai und anschliessend The Magnificent Seven als Double Feature anschauten und sich mit Zwischenverpflegung für diesen 335-minütigen Marathon wappneten. Nur wenigen war leider auch das Nachkriegskino der jungen BRD eine Entdeckung wert – was schade ist, da es in unserer Auswahl wie auch in der noch abenteuerlicheren Retrospektive des Filmfestivals von Locarno zahlreiche ­cineastische Schätze zu heben gegeben hätte. Was die Remakes angeht, so versuchen wir es nach dem möglichen Overkill des Sommerprogramms nun mit homöopathischer Dosierung: Neben Premieren, Reeditionen, Jahrhundertfilmen und den Wunschfilmen der Mitglieder unseres Fördervereins Lumière ergänzen fortan auch RemakePaare oder -Sequenzen unsere Hauptreihen, als faszinierende Produkte des Spannungsfelds zwischen Kommerz, Einflussangst und Kreativität. Schauen Sie rein, es lohnt sich. Michel Bodmer

Titelbild: Im Sang-soos Remake von The Housemaid (2010)


02 INHALT

Das südkoreanische Filmwunder

04

Ungewohnte Sichtweisen, schwarzer Humor, unerwartete Kombinationen von Genre- und Autorenkino, gefilmt auf technisch höchstem Niveau, das kennzeichnet das südkoreanische Film­ schaffen der letzten Jahre. Unser langjähriger Filmdozent Fred van der Kooij hat sich einen Überblick verschafft und präsentiert seine persönliche Auswahl von Schauer- und Rachegeschichten (Oldboy, Lady Vengeance, Sorum), intimen Familienporträts (Barbie), Auseinandersetzungen mit der politischen Lage (The Attorney, Joint Security Area JSA) und poetischen Reflexionen über das Kino (Night and Fog in Zona). Bild: Lady Vengeance

Jiří Menzel revisited

16

Zu den grossen tschechischen Cineasten, die in unserer Filmreihe «Kino ČSSR» Ende 2014 zu kurz kamen, zählt Jiří Menzel. Der Musiker Robert Kolinsky hat mit seinem Regiedebüt To Make a Comedy Is No Fun – Jiří Menzel ein schönes Porträt des Schauspielers und Filmemachers geschaffen, das wir mit Reeditionen von drei Menzel-Komödien ergänzen: Sein Oscar-gekrönter Erstling Scharf beobachtete Züge, seine melancholische Komödie Ein launischer Sommer und sein zwanzig Jahre lang verbotenes Meisterwerk der Menschlichkeit, Lerchen am Faden, erstrahlen in neuem Glanz. Jiří Menzel und Robert Kolinsky beehren unser Kino mit einem Besuch. Bild: Ein launischer Sommer


03

Das erste Jahrhundert des Films: 1986

22

Der pechschwarze Vorstadtthriller Blue Velvet verstört und die surreale Unterweltsfabel Mauvais sang verblüfft. Allegorischen «body horror» bietet The Fly, und Briefe eines Toten führt die Folgen des Atomkriegs vor Augen. (Relativen) Trost spenden Der Bienenzüchter, Schatten im Paradies und A Room with a View.

34

Klein, aber kühn, winzig, aber weise – das ist Kiriku. Ein zauberhafter Animationsfilm, inspiriert von einem westafrikanischen Märchen. Eine Freude für alle unter einem Meter zwanzig, und natürlich auch für die darüber. Bild: Kiriku und die Zauberin

Einzelvorstellungen

Bild: Blue Velvet

Remakes

Filmpodium für Kinder: Kiriku und die Zauberin

28

Die Originale zum Jahrhundertfilm The Fly und dem koreanischen Drama The Housemaid sind ihrerseits sehenswert. Der raffinierte HongkongThriller Infernal Affairs wird in Martin Scorseses Remake The Departed zur starbestückten Reflexion über Schuld.

IOIC-Soiree: 32 The Musketeers of Pig Alley und ­Regeneration Filmbuff-Quiz 2016 33 Sélection Lumière: 36 Nostalgia de la luz



05 Das südkoreanische Filmwunder

Unterlaufene Erwartungen Das zeitgenössische Kino Südkoreas war in den letzten Jahren im Filmpodium schon mehrmals zu Gast. Dennoch gibt es in diesem höchst lebendigen Filmschaffen auch für uns immer noch Neues zu entdecken. Umso besser, dass sich ein Kenner wie Fred van der Kooij an diesem Thema festgebissen hat. Dank des Internets hat er sich mit dem südko­reanischen Kino der letzten knapp zwanzig Jahre vertraut gemacht und eine exquisite Filmauswahl für uns vom Web auf die Leinwand geholt. Einer der erfreulichsten Aspekte, den das Internet für mich bereithält, ist das Surfen auf jenen Seiten, von denen regelmässig die neusten Filme herunter­ geladen werden können. Dies erlaubt mir einen grossen Überblick über den internationalen Film und hält so manche Überraschung bereit. So füllten sich etwa meine Harddisks zunächst unbemerkt mit Filmen aus Südkorea. Bald aber wurde mir klar, dass dieses Land in wenigen Jahren zu der wohl innovativsten Kinonation der Welt geworden ist. Sogar im Mainstream-Kino, sonst für künstlerische Waghalsigkeiten nicht gerade bekannt, entstehen dort immer wieder Filme, die durch Originalität bestechen. Und während in anderen Ländern das anspruchsvolle Kino zunehmend als Mauerblümchen dahin­ vegetiert, ist die Palette in dieser ostasiatischen Nation ausgesprochen breit. Gewiss dominieren auch hier die formalistischen Gebetsmühlen des GenreKinos. Dennoch überzeugen mehr als nur eine Handvoll Publikumsfilme aus Seoul durch ungewohnte Sichtweisen. Sogar an den anderswo in Stein gemeisselten Konventionen des angeblich so filmischen Erzählens wird auch in dieser Sparte immer wieder gerüttelt, und es tauchen darüber hinaus, etwa im Konflikt mit Nordkorea, sogar politisch völlig unerwartete Positionen auf, die die auch in unseren Medien übliche Verhetzung von Nordkorea überraschend unterwandern. Andere Blickwinkel und schwarzer Humor Wenn ich versuche, das südkoreanische Kino zu charakterisieren, kommen mir dabei zwei immer wieder ins Auge springende Qualitäten in den Sinn. Da ist zunächst die Wahl eines oft höchst ungewöhnlichen Blickwinkels, von dem aus das (durchaus auch mal alltägliche) Geschehen beobachtet wird. Ein >

Oh Dae-su in Oldboy zeigt allen, wo der Hammer hängt. < Traum und Trug in Barbie

<

Verschränkung eines Einzelschicksals mit Koreas Geschichte: Peppermint Candy


06 ­ erartiges Vorgehen unterspült die Erwartungen des Zuschauers. Und das d kann mitunter geradezu verschlagene Formen annehmen. So etwa in Aju ­teukbyeolhan sonnim (2006) von Lee Yoon-ki, einem Film, der im Westen unter dem Titel Ad-Lib Night lief. Darin überreden zwei wildfremde Männer eine junge Frau zur Mitfahrt aufs Land mit derart hanebüchenen Argumenten, dass jedem im Saal klar wird, dass die Herren ganz anderes im Sinne haben. Doch erstaunt müssen wir feststellen, dass es genau die kuriosen Rituale eines Familiendramas sind, die sich darauf vor unseren Augen abzuspielen beginnen, und dass der Film dabei immer mehr an Glaubwürdigkeit, ja gar an emotionaler Tiefe gewinnt. Ein Schritt weiter und wir stecken mitten in einer von den koreanischen Filmemachern besonders geliebten Haltung, jener des schwarzen Humors. Eine dafür geeichte Sensibilität braucht bekanntlich zwei Elemente: Fettnäpfchen zum ordentlichen Hineintreten und eine ausreichende Lockerung des guten Geschmacks. In einem Land, in dem einerseits ein vor wenigen Jahrzehnten tobender Bürgerkrieg mit über zwei Millionen Toten lange erfolgreich verdrängt wurde, andererseits faschistische Machthaber, die nie zur Rechenschaft gezogen wurden, sich lange Zeit die Klinke des Präsidentenpalastes in die Hand gaben, sind allein schon die Fettnäpfchen zur Grösse von öffentlichen Badeanstalten angewachsen. Nun gibt es seit wenigen Jahren in Südkorea, nach dem Vorbild Südafrikas, wo nach dem Zusammenbruch des Apartheid-Regimes bekanntlich eine Wahrheitskommission die Verbrechen jener Zeit in öffentlichen Veranstaltungen aufzuarbeiten versuchte, ähnliche Zusammenkünfte, wo Kriegsverbrechen und schwere Menschenrechtsverletzungen der jüngeren Vergangenheit aufgearbeitet werden. Immer wieder ist es in Folge davon zur Freilegung von Massengräbern gekommen. A Good Lawyer’s Wife (Baramnan Gajok; Im Sang-soo, 2003) beginnt mit einer solch schrecklichen Entdeckung. Aber dieser Film ist als erotische Komödie angelegt, wo nach den Regeln des Genres derartige politische Hämmer nie und niemals geschwungen werden dürfen. Und tatsächlich: Kaum sind die Leichen freigelegt und der erste Augenzeuge vor Schmerz zusammengebrochen, rollt der Protagonist des Films bereits mit einem offensichtlich angetrunkenen Polizisten im Grab zwischen den Schädeln herum, als befänden wir uns in irgendeinem derben Schwank. Und hätte der Regisseur nicht in Filmen wie Der letzte Knall des Präsidenten (Geuddae geusaramdeul; 2005) und The Housemaid (Hanyo; 2010) höchst kritisch zu den Zuständen in seinem Land Stellung genommen, müsste man sich ernsthaft fragen, ob die Szene im Massengrab nicht einer glatten Verhöhnung gleichkommt. Aber jener pechschwarze Humor, den die Koreaner lieben (darin sind sie den Holländern übrigens ziemlich ähnlich), ist nun einmal ohne Anstandsverletzung nicht zu haben. Und so sitzt man immer wieder im Kino dieses einen so freundlich anlächelnden Volkes und denkt: Wie bitte? Das kann doch gar nicht sein, was ich da gerade sehe!


07 Grosse Titel – kaum bekannte Namen Wer grosse Filmnationen in ihrer Blütezeit Revue passieren lässt, stösst zwangsläufig auf grosse Namen. Da steht Eisenstein für die Wucht des frühen sowjetischen Kinos, Godard für das Fest der Nouvelle Vague und Antonioni für die Geometrisierung der Italianità. Nicht so in Südkorea. Auch wenn dessen Filmschaffen seit den neunziger Jahren auffallend reich geworden ist, bleibt es bis heute ohne wirklich herausragende Regisseure. Darin ähnelt es dem französischen Kino der zwanziger Jahre, das ebenfalls voller Meisterwerke steckt, aber mit Ausnahme von Abel Gance, dessen Œuvre jedoch voller Abstürze ist, ohne geniale Lichtgestalten blieb. Natürlich gibt es auch in Südkorea Namen, die bekannter sind als andere. Lee Chang-dong und Park Chan-wook sind international anerkannt, aber wer die erstaunliche Qualität dieser Kinolandschaft benennen will, wird viele einzelne Filme anführen und kaum den Namen eines Regisseurs. Nehmen wir ein Beispiel wie Kim Ki-duk, dem das Filmfestival von Venedig sogar mal einen Goldenen Löwen zugesprochen hat. Ich halte seine Filme, ehrlich gesagt, für grauenhaft und gebe Ihnen hiermit schriftlich, dass ich mir keinen weiteren mehr anschauen werde – mit Ausnahme allerdings von Bin-jip (internationaler Titel: 3-Iron; 2004), der alles vereint, was das südkoreanische Kino gross macht: eine bis zum Schwebezustand gelockerte Narration und einen Grundeinfall, der derart originell ist, dass er bei den hiesigen Filmkommissionen einen schweren Stand gehabt hätte. Wie dünn mitunter das Eis ist, auf dem das koreanische Kinowunder seine Pirouetten dreht, zeigt das Beispiel von Jung Sung-il, dessen Film Cafe noir (Kape neuwareu; 2009) einen der Höhepunkte unserer Retrospektive bildet. Auf der quasi offiziellen Bestenliste des koreanischen Films (www.­ koreafilm.org/feature/100_2014.asp) erscheint er nicht. Und auch der internationale Erfolg hielt sich sehr im Rahmen, sodass der Regisseur nach diesem erstaunlichen Erstlingswerk wieder zu seinem angestammten Beruf als Filmkritiker zurückkehren musste. Aber ich möchte den Teufel nicht voreilig an die Wand malen. Lasst uns darum das südkoreanische Filmwunder, dieses wie aus dem Nichts aufgestiegene filmische Atlantis, feiern, solange es noch existiert. Fred van der Kooij


> Joint Security Area JSA.

> The Power of Kangwon Province.

> Oldboy.

> Sorum.

> A Hard Day.

> The Housemaid.


09

Das südkoreanische Filmwunder.

THE POWER OF KANGWON PROVINCE (Kangwondoui him) Südkorea 1998

«In einem Film, der in zwei Hälften geteilt ist, erzählt Hong Sang-soo vom Ende einer Affäre: Die Studentin Ji-sook reist ab aus Kangwon, sie hat ihre Beziehung mit ihrem verheirateten Liebhaber Sang-kwon, ihrem Professor, beendet. Beide jedoch kommen über die Trennung so ohne Weiteres nicht hinweg. Sie tröstet sich mit einem Polizisten, er mit einer Prostituierten, nur ist Trost das ganz falsche Wort. Die zweite Hälfte des Films setzt die erste in ein anderes Licht, weniger im Grossen und Ganzen als in vielen Details. Man muss eigentlich auf jede Kleinigkeit achten, weil den Personen und Worten beim ersten Auftreten nicht anzumerken ist, wie wichtig oder unwichtig sie für den Film gewesen sein werden.» (Ekkehart Knörer, cargo-film.de, Nov. 2012)

­ eben und damit gleichzeitig die letzten zwanzig L Jahre der Geschichte Südkoreas rückwärts erzählt. Studentenaufstände, Militärregierung, Finanzkrise – einschneidende Ereignisse für die Republik, die auch Einfluss auf Yong-hos Leben haben. «Eine spannende Zeitreise zurück: Sieben Mal im Verlauf von zwanzig Jahren stossen wir auf das Leben der Hauptfigur. Dieser Film, in dem die Rückblende nie in die Gegenwart zurückkehrt, sondern Schritt um Schritt immer tiefer in die Geschichte eindringt, verbindet die persönliche Biografie mit einem historischen Blick auf die soziale und politische Entwicklung Koreas. (...) Die metaphorische Struktur ist komplex, doch der Film keineswegs schwierig zu verstehen. Der Schriftsteller und Drehbuchautor Lee Chang-dong beweist in seiner zweiten Regiearbeit echtes erzählerisches und visuelles Talent.» (Hubert Niogret, Positif) 130 Min / Farbe / Digital HD / Kor/e // DREHBUCH UND REGIE

108 Min / Farbe / Digital HD / Kor/e // DREHBUCH UND REGIE

Lee Chang-dong // KAMERA Kim Hyung-ku // MUSIK Lee

Hong Sang-soo // KAMERA Kim Young-chul // SCHNITT Ham

Jae-jin // SCHNITT Kim Hyun // MIT Sol Kyung-gu (Yong-ho),

Sung-won // MIT Baek Jong-hak (Sang-kwon), Oh Yun-hong

Moon So-ri (Sun-im), Kim Yeo-jin (Hong-ja), Suh Jung.

(Ji-sook), Chun Jae-hyun (Jae-wan), Im Sun-young (Mi-sun), Park Hyun-young (Eunk-young).

JOINT SECURITY AREA JSA PEPPERMINT CANDY

(Gongdong gyeongbi guyeok JSA) Südkorea 2000

Bei einem Klassentreffen im Jahr 1999 wirft sich Yong-ho vor einen Zug. In der Folge werden sein

«Die ‹Brücke ohne Wiederkehr› am Panmunjeom, der entmilitarisierten Zone zwischen Nord- und Südkorea, an der über eine Million Soldaten in Waffen sich gegenüberstehen, ist Ausgangspunkt

(Bakha satang) Südkorea/Japan 1999

DAS SÜDKOREANISCHE FILMWUNDER PRÄSENTIERT VON FRED VAN DER KOOIJ

VORLESUNGSREIHE AB MI, 12. OKT. | 18.30 UHR

Als eine der innovativsten Filmnationen lobt Fred van der Kooij die Republik Korea. Mainstream- und Autorenfilme begeistern ein riesiges einheimisches Publikum; an internationalen Festivals finden sie nicht nur Beachtung, sondern holen regelmässig wichtige Preise ab, und Hollywood lädt südkoreanische Regisseure ein, in den USA zu arbeiten. Dieses blühende Kino stellt Fred van der Kooij in seiner fünfteiligen Vorlesungsreihe näher vor. Auf die 90-minütige Vorlesung folgt jeweils nach einer Verpflegungspause eine Filmvorführung. Tickets für Film und Vorlesung sind separat erhältlich. Zusätzlich führt Fred van der Kooij am 14. November um 19.00 Uhr in den Film Cafe noir ein. Bemerkung: Von Barbie konnte keine Kinokopie beschafft werden. Er läuft darum nur einmal ab DVD im Anschluss an die Vorlesung.


10

Das südkoreanische Filmwunder. der Ermittlungen der Schweizkoreanerin Sophie E.   Jean, die der internationalen Schutztruppe NNSC angehört. Der Süden sieht eine versuchte Entführung, der Norden einen terroristischen Anschlag und einzig die beiden überlebenden Soldaten können Licht in das Dunkel dieser tödlichen Nacht bringen. (...) Grosses Entertainment mit Hirn, nichts für Freunde abgedrehter asiatischer Kinoästhetik, aber von beeindruckender Intelligenz, Wärme und Kraft.» (Anatol Weber, Schnitt-Online) Joint Security Area war seinerzeit der erfolgreichste koreanische Film aller Zeiten. 110 Min / Farbe / Digital HD / Kor/d // REGIE Park Chan-wook // DREHBUCH Park Chan-wook, Kim Hyun-suk, Jeong Seong-san, Lee Hyun-suk, nach dem Roman «DMZ» von Park Sang-yeon // KAMERA Kim Seong-bok // MUSIK Jo Yeongwook // SCHNITT Kim Sang-boem // MIT Lee Young-ae (Sophie E. Jean, Schweizer Offizierin), Lee Byung-hun (Lee Soohyuk, südkoreanischer Sergeant), Song Kang-ho (Oh Kyung-pil, nordkoreanischer Sergeant), Kim Tae-woo (Nam Sun-sik, südkoreanischer Soldat), Shin Ha-kyun (Jung Woojin, nordkoreanischer Soldat), Christoph Hofrichter (General Botta), Herbert Ulrich (Capt. Persson).

SORUM Südkorea 2001 «Der Taxifahrer Yong-hyun zieht in eine neue Wohnung ein. Nach und nach entdeckt er seine Nachbarn und erfährt, was in diesem Haus vor sich geht und ging. In seiner Wohnung ist der Schriftsteller Kwang-tae bei einem Brand ums Leben gekommen. Gegenüber wohnt Sun-young, eine junge Frau, die ihr Kind verloren hat und von ihrem Mann geschlagen wird. Ferner wohnen im Haus eine Klavierlehrerin, deren Freund beim Brand umkam, ein mittelmässiger Schriftsteller, der Kwang-taes unvollendetes Buch fertig schrei­ ben möchte, und der Besitzer eines Coiffeursalons, ein Zeuge all dieser Ereignisse.» (Filmpodium Zürich, 2002) «Eleganter Korea-Grusel (...), raffinierter und rätselhafter, als die Kurzsynopsis vermuten lässt. Der Autor-Regisseur Yoon versteht es, die Schrauben im richtigen Moment anzuziehen. Eindrücklich fotografiert, eine packende Folterkammer von einem Film.» (Tom Charity, Time Out Film Guide) 2001 von Koreas Filmkritikern zum besten Film des Jahres gewählt. 109 Min / Farbe / Digital HD / Kor/e // DREHBUCH UND REGIE Yoon Jong-chan // KAMERA Hwang Seo-sik // MUSIK Yoon Mi-hwa, Park Jeong-ho // SCHNITT Kyung Min-ho // MIT Kim Myung-min (Yong-hyun), Jang Jin-young (Sun-young), Gi Jubong (Lee, Schriftsteller), Jo An (Eun-soo).

OASIS

(Oasiseu) Südkorea 2002 Die Liebesgeschichte zweier Aussenseiter: Hong Jong-du hat wegen Fahrerflucht gesessen und wird aus der Haft entlassen. Da er, etwas zurückgeblieben, ständig aneckt, helfen ihm seine Verwandten nur widerwillig. Beim Besuch der Familie seines Unfallopfers entdeckt er dessen spastische Tochter Gong-ju, die hilflos und abgeschoben in ­einer kleinen Wohnung lebt. Zwischen den beiden entsteht eine Beziehung. Gemeinsam unternehmen sie Reisen in eine Fantasiewelt, die den dokumentarisch gehaltenen Stil unvermittelt ins Poetische wechseln und Träume wahr werden lassen. «Ein Erfolg in Südkorea und Gewinner des ­Regiepreises in Venedig 2002, ein sozialer Kommentar – und eine unangenehme, gar verstörende, aber irgendwie charmante Liebesgeschichte zweier Anti-Helden. (…) Die Beziehung dieser ­beiden marginalisierten Figuren hinterfragt, was Begehren ausmacht. Die Kamera verstärkt das klaustrophobische Gefühl vom Leben in einer übervölkerten Stadt, vom Anderssein in einer Welt, die Gleichartigkeit unterstützt. Und die ­Metapher der Oase wird nicht als heiterer Rückzugsort eingesetzt, sondern als abnorme und deplatzierte Erscheinung.» (Eve Gabereau, Time Out Film Guide) 132 Min / Farbe / Digital HD / Kor/e // DREHBUCH UND REGIE Lee Chang-dong // KAMERA Choi Yeong-taek // MUSIK Lee Jae-jin // SCHNITT Kim Hyun // MIT Sol Kyung-gu (Hong Jongdu), Moon So-ri (Han Gong-ju), Ahn Nae-sang (Hong Jong-il), Ryoo Seung-wan (Hong Jong-sae), Chu Kwi-jung (Jong-saes Frau), Kim Jin-gu (Frau Hong), Son Byung-ho (Han Sangshik), Yun Ga-hyun (Sang-shiks Frau), Park Myeong-shin (Nachbarin), Park Kyung-geun (Mann der Nachbarin).

OLDBOY

(Oldeuboi) Südkorea 2003 Der betrunkene Geschäftsmann Oh Dae-su wird von einem Unbekannten entführt, 15 Jahre gefangen gehalten und ohne Begründung und Vorwarnung wieder freigelassen. Rat- und ahnungslos beginnt er eine Beziehung mit einer Angestellten einer Sushi-Bar. Telefonisch bekommt er von seinem Peiniger das Angebot, dass dieser sich selbst umbringe, falls Oh Dae-su rausfinde, warum er entführt worden sei. Andernfalls komme die Frau dran. Ein gnadenloser, durchgeknallt-schwarzhumoriger und blutrünstiger Rachefeldzug beginnt. (pm) Der Hauptdarsteller «Choi Min-sik bewegt sich in der gleichen Liga wie Pacino oder De Niro.


11

Das südkoreanische Filmwunder. Er beherrscht die ganze Skala von rasender Wut bis zu elender Erniedrigung. (...) Dieser Film geht an die Nieren, er zeigt die gequälte Kreatur und enthält unterschwellig sogar Anspielungen auf die koreanische Politik mit ihren schweren Lasten der Vergangenheit. Eine beachtliche Leistung und ein wohlverdienter Jury-Preis in Cannes 2004.» (Trevor Johnston, Time Out Film Guide) 120 Min / Farbe / DCP / Kor/d // REGIE Park Chan-wook // DREHBUCH Park Chan-wook, Im Joon-hyeong, Hwang ­Jo-yoon, nach dem Manga «Old Boy» von Nobuaki Minegishi, Garon Tsuchiya // KAMERA Chung Chung-hoon // MUSIK Jo Yeong-wook // SCHNITT Kim Sang-beom // MIT Choi Min-sik (Oh Dae-su), Yu Ji-tae (Lee Woon-jin), Kang Hye-jeong (Mi-do), Ji Dae-han (No Joo-hwan), Oh Dal-su (Park Ceol-woong), Kim Byeong-ok (Mr. Han), Lee Seung-shin (Yoo Hyung-ja), Yoon Jin-seo (Lee Soo-ah).

BIN-JIP (3-IRON) Südkorea/Japan 2004

gangen hat. Der wahre Täter, der Lehrer Baek, hat mehrere Kinder auf dem Gewissen. Zusammen mit ihrer Tochter macht sich Geum-ja auf, an ihm Rache zu nehmen. Doch als sie seiner habhaft wird, bringt sie es weder über sich, Baek zu töten, noch ihn gehen zu lassen. Sie führt die Eltern der von ihm ermordeten Kindern zusammen und lässt das Kollektiv entscheiden. (pm) «Es ist eine Errungenschaft der Zivilisation, Rachedenken zu überwinden; aber das bedeutet nicht, dass es verschwindet. Rachefantasien sind das Andere der Zivilisation, darauf besteht Park und spielt in seiner Trilogie deren Motivationsund Variationsbreite durch. Lady Vengeance ist, wie seine beiden Vorgänger [Sympathy for Mr. Vengeance und Oldboy], eine moralische Fabel. Voller Zärtlichkeit für die Hauptfigur, voller Sinn für filmische Poesie und Schönheit ist dem Regisseur ein Meisterwerk gelungen.» (Rüdiger Suchsland, film-dienst, 2007) 115 Min / Farbe / Digital HD / Kor/d // REGIE Park Chan-wook // DREHBUCH Park Chan-wook, Jeong Seo-kyeong // KA-

«Tae-suk bricht in Häuser ein, deren Eigentümer verreist sind. Er will nichts stehlen, er will sich nur ein paar Tage sorgsam um den fremden Ort kümmern und dort wohnen. In einer luxuriösen Villa trifft er das unglücklich verheiratete Model Sun-hwa. Eine aussergewöhnliche Liebe beginnt. Gemeinsam ziehen sie von einer leer stehenden Wohnung zur nächsten, bis die Polizei ihrem ­anarchischen Treiben ein vorläufiges Ende bereitet.» (filmspiegel.de) «Der Regisseur findet hypnotische Bilder, die mit einem Minimum an Worten auskommen: Die beiden Hauptfiguren wechseln kein einziges Wort; sie schweben gleichsam durch den Film.» (Boris Treyer, bazkulturmagazin, 2005) 2004 gewann Kim Ki-duk gleich an zwei A-Festivals den Preis als bester Regisseur: den Silbernen Bären in Berlin für Samaria und den Goldenen Löwen in Venedig für Bin-jip. 90 Min / Farbe / 35 mm / Kor/d/f // DREHBUCH, REGIE UND SCHNITT Kim Ki-duk // KAMERA Jang Seong-back // MUSIK Slvian // MIT Jae Hee [= Lee Hyun-kyoon] (Tae-suk), Lee Seung-yeon (Sun-hwa), Kwon Hyuk-ho (Min-gyu, ihr Ehemann), Choi Jeong-ho (Gefängniswärter), Lee Ju-seok (Sohn des alten Mannes), Lee Mi-suk (Schwiegertochter des alten Mannes), Moon Sung-hyuk (Sung-hyuk), Park Jee-ah (Jee-ah).

LADY VENGEANCE

(Chinjeolhan geumjassi) Südkorea 2005 Geum-ja wird nach 13 Jahren Haft aus dem Gefängnis entlassen. Sie wurde erpresst, einen Mord an einem Kind zu gestehen, den sie nicht be-

MERA Chung Chung-hoon // MUSIK Jo Yeong-wook, Choi Seung-hyun // SCHNITT Kim Jae-beom, Kim Sang-beom // MIT Lee Young-ae (Lee Geum-ja), Choi Min-sik (Herr Baek), Kwon Yea-young (Jenny), Kim Shi-hoo (Geun-shik), Oh Dal-su (Herr Chang), Lee Seung-shin (Park Yi-jeong), Go Soo-hee (Ma-nyeo, «die Hexe»), Kim Byeong-ok (der Priester), Ra Miran (Oh Su-hee), Seo Young-ju (Kim Yang-hee).

CAFE NOIR

(Kape neuwareu) Südkorea 2009 «Seit der Nouvelle Vague überrascht es in Frankreich niemanden, wenn ein Kritiker einen Film dreht, aber in anderen Ländern ist dies nach wie vor ungewöhnlich. Jung Sung-il, einem der wichtigsten Filmkritiker Koreas, gelingt das Debüt mit einem unglaublich stimmigen tragisch-romantischen Stream-of-Consciousness-Film. Er dauert über drei Stunden und versteckt die Bewunderung für seine Vorbilder nicht. Im Gegenteil, gerade aus dieser Bewunderung zieht er seine kreative Kraft. Die Geschichte – ein Musiklehrer wird am Weihnachtsabend von seiner Geliebten hängengelassen – stammt aus Dostojewskis ‹Weisse Nächte› und Goethes ‹Die Leiden des jungen Werthers›. Die Handlung wurde in das heutige Seoul verlegt. Und wer dort einen Film dreht, kommt nicht um Politik, Polizei und Demonstrationen herum: Das träumerische Cafe noir steht da, mitten in der realen Welt. Mit seinen Hommagen an Hong Sang-soo, Bong Joon-ho, Park Chanwook und Kim Ki-duk ist er auch ein Kompendium des koreanischen Films der letzten zehn Jahre.» (Int. Film Festival Rotterdam, 2010)


> Night and Fog in Zona.

> Cafe Noir.

> Oasis.

> The Attorney.


13

Das südkoreanische Filmwunder. 197 Min / Farbe + sw / Digital HD / Kor/e // DREHBUCH UND R ­ EGIE Jung Sung-il // KAMERA Kim Jun-young // MUSIK Lee Ji-yeon // SCHNITT Mun In-dae // MIT Shin Ha-kyun (Young-soo), Moon Jung-hee (Mi-yun), Lee Sung-min (Mi-yuns Ehemann), Kim ­Hye-na (jüngere Mi-yun), Jung Yu-mi (Sun-hwa), Jung In-sun (Schwangere), Yozoh (Eunha).

THE HOUSEMAID (Hanyo) Südkorea 2010

«Schon Kim Ki-youngs 1960 gedrehtes gleichnamiges Original kreist um das Schicksal eines Dienstmädchens, das den Hausherrn in jeder Hinsicht zu bedienen hat. In Im Sang-soos Film wird eine protzig eingerichtete Villa zur neuen Arbeitsstelle der Heldin, Eun-yi. Unter den Argusaugen einer älteren Haushälterin verrichtet sie ihren Dienst: Putzen, Kochen, das Hüten der Tochter. Gebannt verfolgt man, wie sich das Verhältnis von Herr und Dienerin langsam verschiebt. Das Bild einer Klasse entsteht, die ihr Personal wie ihren Besitz behandelt. Man muss an Claude Chabrols Film La cérémonie denken, in dem Sandrine Bonnaire eine Haushälterin spielt, die zur Gegenwehr ansetzt. Exzessiv wird die Rache auch in den beiden südkoreanischen Filmen betrieben. Im Original von 1960 muss die Herrin des Hauses plötzlich allein im Bett schlafen, weil es Eun-yi nach dem Gatten gelüstet. Bei Im Sang-soo wird die Villa zum Schauplatz weiblicher Grabenkämpfe. Der Exzess erschöpft sich allerdings nicht in blosser Perfidie, vielmehr dient er den Filmemachern als Vergrösserungsglas für eine Gesellschaftsschicht, deren oberstes Gebot die Besitzstandswahrung ist. Die auf Hochglanz getrimmte Optik verleiht Im Sang-soos Remake einen hyperrealistischen Touch, der das Groteske des Stoffes deutlich hervortreten lässt. Da kann noch so erlesener Rotwein getrunken werden, es handelt sich nicht um eine gelebte, sondern um eine im globalen Supermarkt der hübschen Herrschaftszeichen eingekaufte Kultur.» (Anke Leweke, taz.de, 21.4.2011) Kim Ki-youngs Original, den koreanischen Filmklassiker schlechthin, zeigen wir ebenfalls (s. S. 29). 106 Min / Farbe / Digital HD / Kor/d // REGIE Im Sang-soo // DREHBUCH Im Sang-soo, nach dem Film von Kim Ki-young // KAMERA Lee Hyung-deok // MUSIK Kim Hong-jip // SCHNITT Lee Eun Soo // MIT Jeon Do-yeon (Eun-yi), Lee Jung-jae (Hoon), Seo Woo (Hae-ra), Youn Yuh-jung (Byeong-sik), Ahn Seo-hyun (Nami), Park Ji-young (Mi-hee).

BARBIE

(Ba-bi) Südkorea 2011 Die kleine Soon-young kümmert sich um ihre jüngere Schwester Soon-ja und ihren geistig behinderten Vater. Ihr geldgieriger Onkel Mang-taek plant, Soon-young an einen reichen Amerikaner zu verkaufen, der mit seiner Tochter Barbie nach Korea gekommen ist. Doch sie hat kein Interesse, ihre Familie zu verlassen. Ganz anders ihre kränkliche Schwester, die alles tun würde, um in eine Glamourwelt zu kommen. Der Amerikaner wiederum scheint eigene Gründe für die Adoption zu haben. «Lee Sang-woo bringt uns weg von Seouls Dschungel der Warenhäuser zu einer weit weniger entwickelten Kleinstadt am Meer. Mittels der jungen Figuren untersucht er die falschen Träume, die von aggressiven kommerziellen Interessengruppen geschürt werden. Und deren Leere entlarvt er schon bald durch das destruktive Konsumgebaren des als unsympathisch und egoistisch gezeichneten Ausländers. Es sind vor allem die Darsteller, die das Gelingen des Films ausmachen. Kim Sae-ron kann mit ihren erst zwölf Jahren nach A Brand New Life, The Man From Nowhere und ihrer Doppelrolle in Neighbors eine weitere Glanzleistung verbuchen. (...) Ihre leibliche Schwester Kim Ah-ron beweist, dass Sae-ron nicht das einzige Talent der Familie ist.» (Pierce Conran, screenanarchy.com, 26.10.2012) 98 Min / Farbe / Digital SD / Kor/e // DREHBUCH, REGIE UND SCHNITT Lee Sang-woo // KAMERA Kim Min-su // MUSIK Kang Min-kuk // MIT Lee Chun-hee (Mang-taek), Kim Saeron (Soon-young), Kim Ah-ron (Soon-ja), Earl Jackson (Steve), Cat Tebow (Barbie).

THE ATTORNEY (Byeonhoin) Südkorea 2013

«Der Film beginnt als herzerwärmendes, nettes Drama und endet in rechtschaffenem Zorn. Nicht gerade gute Voraussetzungen für einen kommerziellen Film. Nichtsdestotrotz war The Attorney in Südkorea ein gewaltiger Boxoffice-Erfolg. In den frühen 1980er Jahren, unter der Militärregierung, beginnt Song Woo-seok, nicht sonderlich an Politik interessiert, seine Karriere als ­Jurist. Weil er keinen Abschluss hat, wird er von den Kollegen ausgelacht. Aber seine Idee, Kunden in Steuerangelegenheiten zu beraten, macht ihn bald zu einem der erfolgreichsten Anwälte


14 VALERIA BRUNI TEDESCHI

MICAELA RAMAZZOTTI EIN FILM VON

PAOLO VIRZÌ

(«IL CAPITALE UMANO»)

AB 6. OKTOBER IM KINO *pazza_gioia_InsD_127x98_fp.indd 1

L IFU T U B EA H D N E A RMUSC G N A JA STR F JIM E TH MS O FIL OKT OBE

R 20 16

25.08.16 14:27


Das südkoreanische Filmwunder. ­ usans. Als der Sohn eines Familienfreundes als B angeblicher Kommunist verhaftet und brutal verprügelt wird, entscheidet er sich aus Loyalität, ihn zu vertreten. Damit gerät seine bequeme Routine durcheinander. (...) [Die Geschichte basiert auf Tatsachen aus dem früheren Leben von] Roh Moo-hyun, einem Menschenrechtsanwalt, der 2002 zum Präsidenten gewählt wurde. Ähnlich wie 2008 in den USA wurde seine Wahl von der jüngeren, progressiven Bevölkerung euphorisch begrüsst. Aber noch mehr als bei Obama waren Rohs fünf Jahre im Amt von grossen Enttäuschungen geprägt. Nur ein Jahr nach dem Ende seiner Präsidalzeit beging Roh Selbstmord. (...) Der Film bietet keine dramatischen Wendungen. Aber es ist stets ein gelungenes Drama, wenn man Figuren bei ihrer Entwicklung zusehen kann – was dank gutem Storytelling und her­ vorragenden Schauspielern sehr schön gelingt. (...) Man muss weder Koreaner noch mit den Hintergründen vertraut sein, um von der Ge­ schichte reingezogen zu werden.» (Darcy Paquet, ­koreanfilm.org)

Actionfilme üblichen Gewaltdarstellungen, die einem beinahe den Magen umdrehen. Vielmehr ist es die nervenaufreibende Situation, in der sich unser Protagonist befindet, gespickt mit aufregendem schwarzen Humor, Sozialsatire und einem Touch Surrealismus, die das Publikum fast von den Sitzen reisst – ein gekonnt gemachtes Genrevehikel.» (Maggie Lee, Variety, 14.5.2014)

127 Min / Farbe / DCP / Kor/e // REGIE Yang Woo-seok //

«Nachdem der südkoreanische Filmkritiker Jung Sung-il Wang Bings monumentalen, neunstündigen Dokumentarfilm Tie Xi Qu: West of the Tracks gesehen hatte, wollte er einen Film über ihn machen. Einige Jahre später lud Wang den Kritiker ein, zu ihm nach China in die Provinz Yunnan zu kommen, wo er den ganzen Winter lang an zwei Dokumentarfilmen arbeitete: dem Sequel zu Three Sisters (2012) und ’Til Madness Do Us Part (2013), einem Film über eine psychiatrische Klinik. In Night and Fog in Zona spricht Jung mit Wang über seine Gedanken zum Kino, wobei das Konzept von Zeit im Zentrum steht. Für beide ist Tarkowskij ein Held. Jung spiegelt mit seinem Stil denjenigen Wangs nicht nur in der Länge (sein Ciné-Essay dauert fast vier Stunden), sondern auch mit seiner Vorliebe für lange, beobachtende Einstellungen, dem Weglassen eines Off-Kommentars, abstrakten Landschaften und minimalistischer Musik. Eine der schönsten Einstellungen zeigt einen schlafenden Wang in Zeitlupe: Zeit, fast ganz erstarrt.» (Int. Film Festival Rotterdam, 2016)

DREHBUCH Yang Woo-seok, Yoon Hyeon-ho // KAMERA Lee Tae-yoon // MUSIK Jo Yeong-wook // SCHNITT Kim Jaebeom, Kim Sang-beom // MIT Song Kang-ho (Song Wooseok), Kim Young-ae (Choi Soon-ae), Oh Dal-su (Park Dongho), Kwak Do-won (Cha Dong-young), Yim Si-wan (Park Jin-woo), Lee Sung-min (Lee Yoon-taek).

A HARD DAY

(Kkeutkkaji Ganda) Südkorea 2014 Auch ein schwarzer Tag kann noch schwärzer werden. Auf dem Weg zur Beerdigung seiner Mutter überfährt der Kriminalbeamte Ko Gun-soo versehentlich einen Fussgänger. In der Folge versucht er die Leiche des Unfallopfers loszuwerden und rechtzeitig zur Abdankung zu erscheinen. Gleichzeitig deckt eine interne Untersuchungskommission die grassierende Korruption in seiner Abteilung auf und ist ihm auf den Fersen. Zusätzlich kompliziert wird es, als sich herausstellt, dass der Tote ein gesuchter Kleinkrimineller mit wichtigen Verbindungen ist. Je mehr Ko versucht, seine Spuren zu verwischen, desto tiefer schaufelt er sein eigenes Grab. (pm) «Ein südkoreanischer Polizei-Thriller von Autor-Regisseur Kim Seong-hoon, straff und ausgeklügelt erzählt, sicher, kontrolliert und technisch nahezu makellos realisiert. Trotz einiger brutaler Kampfszenen und rasanten Verfolgungsjagden suhlt sich der Film nicht in den für koreanische

111 Min / Farbe / DCP / Kor/e // DREHBUCH UND REGIE Kim Seong-hoon // KAMERA Kim Tae-seong // MUSIK Mok Young-jin // SCHNITT Kim Chang-ju // MIT Lee Sun-kyun (Kriminalbeamter Ko Gun-soo), Cho Jin-woong (Leutnant Park Chang-min), Shin Jung-geun (Polizeichef), Jung Mansik (Kriminalbeamter Choi Sang-ho), Shin Dong-mi (Gun-sus Schwester), Kim Dong-young (Kriminalbeamter Do Heechul), Joo Seok-tae (Kriminalbeamter Nam), Heo Jung-eun (Mina), Park Bo-gum (Wachtmeister Lee Jin-ho).

NIGHT AND FOG IN ZONA (Cheondangui bamgwa angae) Südkorea 2015

235 Min / Farbe / DCP / Kor/Chin/e // DREHBUCH UND REGIE Jung Sung-il // KAMERA Yang Geun-young, Lee Jin-geun // MUSIK Lee Ji-yeon // SCHNITT Jung Sung-il, Park Young-un.

15


16


17 Jiří Menzel revisited

Vom Ernst der Leichtigkeit 2014 zeigte das Filmpodium im Rahmen der Reihe «Kino ČSSR» Perlen auf dem Meeresgrund, eine Kompilation von Kurzfilmen nach Geschichten von Bohumil Hrabal, inszeniert von Jan Němec, Evald Schorm, Jiří Menzel und anderen. Menzels Spielfilme standen aber nicht auf dem Programm. Nun sind drei seiner Meisterwerke in restaurierter Form wiederzusehen, ergänzt mit Robert Kolinskys Porträt des Regisseurs. «Das Benehmen dieses Sommers scheint mir gar unglückselig …» Der letzte Satz aus Jiří Menzels Ein launischer Sommer ist in der Tschechoslowakei zum Bonmot geworden. Dass sich das Leben meistens nicht so verhält, wie man es sich vorgestellt hat, geht den Figuren des Films spät auf. Der mittlerweile 78-jährige tschechische Regisseur hat dies offenbar bereits früh in seinem Leben erkannt, und er strahlt diese Einsicht mit grosszügiger Bescheidenheit aus. Wenn er etwa in To Make a Comedy Is No Fun, dem Porträt von Robert ­Kolinsky, erzählt, wie ihn Alfred Hitchcock empfing, nachdem Scharf beobachtete Züge 1966 einen Oscar für den besten nicht-englischsprachigen Film erhalten hatte. Während sich Hitchcock über Menzels Werk anerkennend und ausführlich äusserte, konnte der Tscheche nichts Vergleichbares erwidern; er hatte bis dahin bloss einen einzigen Film des Master of Suspense gesehen. Menzel mag den Erfolg seines ersten Langspielfilms als Zufallstreffer bezeichnen, doch der Film, der ein schweres Thema aufgreift, verbindet gekonnt Humor und Ironie mit fantasievoller Sinnlichkeit und zeigt liebevoll die Banalitäten des Lebens. Dahinter aber blitzt immer wieder der bittere Ernst auf. Scharf beobachtete Züge ist das Ergebnis der «Vermählung» zweier verwandter Geister: Menzel hat sich dafür mit der Galionsfigur der tschechischen Gegenwartsliteratur, Bohumil Hrabal zusammengetan. Der lakonische Witz und die Ironie des volksnah schreibenden Hrabal, sein «spontaner Surrealismus», vereinen sich mit Menzels Gespür für Bilder, die zwischen dokumentarischer Unmittelbarkeit und beiläufiger Magie oszillieren. Obwohl Menzel bereits vor seinem ersten grossen Erfolg Hrabals Texte in mehreren Kurzfilmen adaptiert hatte, wurde er ihm mit dem nächsten Projekt untreu: Vladislav Vančura lieferte Menzel eine interessante Vorlage für Ein launischer Sommer. Vančuras eigenartig barock anmutende Dialoge besitzen einen eigenen Charme. Menzel gelingt es, diesem Manierismus bezau >

Endzeit einer Idylle: Ein launischer Sommer

<

Signale der Liebe in Scharf beobachtete Züge


18 bernde Bilder zur Seite zu stellen. Er selbst schlüpft denn auch in die Rolle des Zauberkünstlers Arnoštek, der zusammen mit seiner verführerischen Assistentin Anna in einem lauschigen Badeort das beschauliche Leben von drei Freunden durcheinanderbringt. Der Regisseur-Zauberer zeichnet ein atmosphärisch dichtes Sittenbild einer untergehenden Gesellschaft. Vančura nahm damit die Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs vorweg, Menzel Jahrzehnte später das Ende von Dubčeks «Sozialismus mit menschlichem Antlitz».

ČSSR statt Hollywood Dass es in der kommunistischen Tschechoslowakei vor 1968 möglich war, solche herausragenden und kritischen Filme zu machen, lag in erster Linie an der Lockerung der politischen Zustände Mitte der sechziger Jahre. Dazu beigetragen hat sicher auch die Prager Filmschule FAMU, an der nicht nur erfahrene Mentoren lehrten, sondern auch die Zusammenarbeit zwischen den Schülern einen hohen Stellenwert genoss. Man lernte miteinander und von­ einander. In dieser Aufbruchsstimmung wagte sich Menzel an Hrabals Kurzgeschichtensammlung «Verkaufe Haus, in dem ich nicht mehr wohnen will», aus der er Motive zu seinem 1968 fertiggestellten Lerchen am Faden zusammenstellte. Der episodisch gestrickte Film erzählt überraschend leicht und humorvoll von der dunkelsten Zeit des kommunistischen Terrors. Die zu Zwangsarbeit verurteilten Intellektuellen, Kapitalisten und Konterrevolutionäre werden als liebenswerte Figuren gezeigt. Das Verbrechen der weiblichen Gefangenen scheint einzig ihre Schönheit und ihre Verführungskraft zu sein. Lerchen am Faden wurde zu spät fertiggestellt, denn die russischen Panzer hatten bereits der vorsichtigen Öffnung ein jähes Ende bereitet. Der Film wurde verboten und erst 1990 nach der Wende uraufgeführt. Warum emi­ grierte Menzel damals nicht wie Miloš Forman nach Hollywood? Dieser komplexen Frage geht Robert Kolinskys Dokumentarfilm nach: To Make a Comedy Is No Fun erzählt ein Stück Filmgeschichte. Dass er Menzels Werk nicht nur durch die Augen vieler Weggefährten und Mitarbeitenden sowie RegieKollegen zeigt, sondern gleichzeitig zu ihm eine grosse Nähe aufbaut, gehört zum Reiz dieses liebevollen Porträts. Die zweite grosse Frage des Films dreht sich, wie der Titel schon sagt, um die Kunst der Komödie. István Szabó gibt neidlos zu, Menzels Filme seien zwar ernst wie seine, aber dank des tschechischen Humors von einer bewundernswerten Leichtigkeit. Wie Menzel als Arnoštek konzentriert übers gespannte Seil balanciert, so scheint er in seinen Filmen auch immer das perfekte Gleichgewicht zwischen Poesie, Ironie und Menschlichkeit zu finden. Humor ist eben eine ernste Sache. Tereza Fischer Tereza Fischer ist Filmwissenschaftlerin und -kritikerin und leitet seit 2014 die Zeitschrift Filmbulletin.


19

Jiří Menzel revisited.

SCHARF BEOBACHTETE ZÜGE (Ostře sledované vlaky) ČSSR 1966

«Die nationalsozialistische Besatzungsmacht durchkreuzt den idyllisch abgelegenen Bahnhof in Form ‹scharf beobachteter Züge›, die Munition transportieren. Umgeben von einem taubenlie­ benden Bahnhofsvorsteher, einem erotomanen Signalgeber und einem müssiggängerischen Wächter versucht der neue Bahnlehrling Miloš verzweifelt, seine Jungfräulichkeit zu verlieren. Erst die Widerstandskämpferin Viktoria Freie macht Miloš zum Mann. Miloš´ mit allgegenwär­ tiger Sinnlichkeit und offener Lüsternheit ge­ spickte ‹éducation sentimentale› explodiert dabei regelrecht in einem Akt heldenhafter Kriegs­ sabotage. Knapp 30-jährig erhält Jiří Menzel für sein De­ büt 1967 den Oscar. ‹Newsweek› verneigt sich vor Menzels ‹Geschmack, Fantasie, Einfachheit und Zartheit›, die ‹die meisten amerikanischen Regis­ seure zutiefst beschämen sollten›, während der bundesdeutsche Filmdienst 1968 entsetzt ist ob des ‹derben, mit schwüler Erotik vollgestopften Volksschwanks›. Evald Schorm und Věra Chyti­ lová, Protagonisten der tschechischen Neuen Welle, hatten die Verfilmung der Novelle von Bo­ humil Hrabal abgelehnt, in Menzel fand Hrabal dann einen Seelenverwandten: einen kongenia­ len Mitstreiter um Humanität und systemkriti­ sche individuelle Freiheit.» (Irene Rudolf, Pro­ grammheft Zeughauskino Berlin, Februar/März 2013)

93 Min / sw / DCP / OV/d/f // REGIE Jiří Menzel // DREHBUCH Jiří Menzel, Bohumil Hrabal, nach der Erzählung von Bohumil Hrabal // KAMERA Jaromír Šofr // MUSIK Jiří Šust // SCHNITT Jiřina Lukešová // MIT Václav Neckář (Miloš Hrma), Josef Somr (Hubička), Jitka Bendová (Máša), Vladimír Valenta (Bahnhofsvorsteher), Libuše Havelková (Frau des Bahnhofs­ vorstehers), Vlastimil Brodský (Rat Zedniček), Jitka Zeleno­ horská (Zdenička, die Telefonistin), Nad’a Urbánková (Vikto­ ria Freie), Jiří Menzel (Psychiater), Kveta Fialová (Gräfin), Alois Vachek (Diener), Ferdinand Krůta (Onkel).

EIN LAUNISCHER SOMMER (Rozmarne léto) ČSSR 1968

«Menzels zweiter Film beruht auf dem gleichnamigen Roman von Vladislav Vančura, dem ande­ ren Meisterwerk komischer tschechischer Lite­ ratur neben ‹Der brave Soldat Schwejk›. Manche der subtileren sozialen und philosophischen Bezüge im Dialog mögen uns entgehen, aber das ist kaum von Belang. Drei Freunde mittleren Alters – ein Priester, ein Offizier a. D. und der Besitzer der Badeanstalt – geniessen das Ende der Saison in einem provinziellen Badeort und plaudern dabei zwanglos über ihre Lieblingsthemen (Philosophie, Strategie und Sinnesfreuden). Plötzlich kommt, wie ein Besuch von einem andern Planeten, ein Wohnwagen an mit einem traurigen, klapperdürren Artisten, der sich auf dem Dorfplatz einrichtet. Seine schäbige kleine Seiltanz- und Zauber-Show wird plötzlich von Magie erleuchtet, als seine Frau auftritt, eine grazile Vision der

ZU GAST IM FILMPODIUM: ROBERT KOLINSKY UND JIŘÍ MENZEL

FR 7. OKTOBER

Robert Kolinsky, Pianist und Intendant der Martinů Festtage in Basel, hat mit To Make a Comedy Is No Fun, einem Porträt von Jiří Menzel, seinen Einstand als Cineast vorge­ legt. Am 7. Oktober um 18.15 Uhr stellt er seinen Dokumentarfilm persönlich vor, in Anwesenheit von Jiří Menzel. Dieser prä­ sentiert danach um 20.45 Uhr seinen eige­ nen Erstling, die Oscar-gekrönte Komödie Scharf beobachtete Züge. > Jiří Menzel.


> To Make a Comedy Is No Fun – Jiří Menzel.

> Lerchen am Faden.


21

Jiří Menzel revisited. Schönheit mit honigfarbenem Haar, einer schwarzen Maske und einem gelben Kleid. Von diesem Augenblick an, in dem etwas Verlorenes und Vergessenes aufblitzt, werden die drei von einer Art Herbstwahnsinn ergriffen, bis der Wohnwagen weiterzieht und sie wieder grübelnd zurücklässt, dieweil in ihrem letzten Altweibersommer voller Romantik die Sonne untergeht. Wie Menzel diesen Schauplatz und diese Stimmung heraufbeschwört, sanfte Sommertage, denen der Winter droht, das Bedauern verlorener Jugend und verpasster Chancen, die Hoffnung auf das Kommende, ist schlicht perfekt.» (Tom Milne, Time Out Film Guide)

94 Min / Farbe / DCP / OV/d/f // REGIE Jiří Menzel // DREH-

74 Min / Farbe / DCP / OV/d/f // REGIE Jiří Menzel // DREH-

Schweiz 2016

BUCH Bohumil Hrabal, Jiří Menzel, nach einer Geschichte von Bohumil Hrabal // KAMERA Jaromír Šofr // MUSIK Jiří Šust // SCHNITT Jiřina Lukešová // MIT Václav Neckář (Pa­ vel), Jitka Zelenohorská (Jitka), Vlastimil Brodský (Philo­ soph), Rudolf Hrušínsky (Gruppenleiter), Vladimír Ptáček (Milchmann), Nad’a Urbánková (Lenka), Leoš Suchařípa (ExStaatsanwalt), Ferdinand Krůta (Kudla, Erzähler), František Řehak (Drobeček), Jaroslav Satoranský (Aufseher), Jiřina Štěpničková (Pavels Mutter).

TO MAKE A COMEDY IS NO FUN – JIŘÍ MENZEL

BUCH Václav Nyvlt, Jiří Menzel, nach einer Erzählung von Vla­ dislav Vančura // KAMERA Jaromír Šofr // MUSIK Jiří Šust // SCHNITT Jiřina Lukešová // MIT Rudolf Hrušínský (Důra), Vlastimil Brodský (Major), Míla Myslíková (Frau Důra), František Řehák (Abbé), Jana Drchalová (Anna), Jiří Menzel (Arnoštek).

LERCHEN AM FADEN (Skřivánci na niti) ČSSR 1969

«Mitte der fünfziger Jahre. Der Schrottplatz eines Hüttenkombinats bei Kladno dient als Umerziehungslager für ‹bourgeoise Elemente› und Feinde des Systems. Die einstigen Werte – vom Christus am Kreuz bis zur Schreibmaschine – werden zu Maschinen für den sozialistischen Aufbau umgeschmolzen. Einem jungen Koch und einer schönen Strafarbeiterin wird unerwartet die Heirat erlaubt, doch nach einer kritischen Äusserung muss er ins Gefängnis. Ein zwischen poetischer Gestaltung, überzeugender humaner Parteinahme und folkloristischen Momenten angelegtes filmisches Meisterwerk, das mit subtil-subversivem Humor die Fassaden von Politik und Ideologie durchlöchert. Virtuos verbinden sich bissige politische Kommentare mit warmherziger Sympathie für die Menschen.» (film-dienst) «Närrische Bürokraten und hohlköpfige Parteibonzen werden fast schon zärtlich gehänselt, als wären sie traurige Clowns in schlecht sitzenden Anzügen. Menzel, Humanist und nicht Politiker, ist voller Frohsinn und Mitleid. Er zeigt für die Unterdrücker ebenso viel Verständnis wie für die von ihnen Unterdrückten.» (Rita Kempley, Washington Post, 19.4.1991) 1968–69 während des Prager Frühlings gedreht, wurde der Film kurz darauf verboten und erlebte seine internationale Premiere erst 1990 an der Berlinale, wo er mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet wurde.

Jiří Menzels Passion war stets das Theater; dass er beim Film Karriere machte, kam eher zufällig. Trotzdem hat der Tscheche heute einen Oscar und einen Goldenen Bären in der Tasche und zählt Miloš Forman, Ken Loach, Emir Kusturica und Julia Jentsch zu seinen Bewunderern und Freunden; István Szabó bezeichnet sich sogar als den grössten Menzel-Fan überhaupt. To Make a Comedy Is No Fun erzählt erstmals die Geschichte dieses aussergewöhnlichen Filmemachers, Theaterregisseurs und Zeitgenossen des 20. und 21. Jahrhunderts. Es war ein Film «über einen Grossen des Weltkinos, der für einen der unvergesslichsten Momente an diesen Solothurner Filmtagen sorgte. Es geht um To Make a Comedy Is No Fun – Jiří Menzel . Der Titel des Dokumentarfilms über den 1938 geborenen tschechischen Regisseur, der zu den herausragendsten Figuren der tschechischen Nouvelle Vague gehörte, lässt den umwerfenden Witz Menzels erahnen, der 1968 für seine Komödie Scharf beobachtete Züge den Oscar für den besten nicht-englischsprachigen Film erhalten hatte. Der Dokumentarfilm des 1970 in Solothurn geborenen Robert Kolinsky, der als Pianist in Basel seit vielen Jahren ein Musikfestival leitet, führt mit grösster Sorgfalt und Liebe durch Menzels unglaubliches Universum.» (Geri Krebs, NZZ, 26.1.2016) 80 Min / Farbe + sw / DCP / OV/d/f // REGIE Robert Kolinsky // KAMERA Elia Lyssy, Jana Marsik, Ines Thomsen, Stefan Dux // MUSIK Aleš Brezina, Jiří Sust // SCHNITT Andrea ­Pugner, Rebecca Trösch // MIT Jiří Menzel, Ken Loach, ­István Szabó, Miloš Forman, Emir Kusturica, Věra Chytilová


22 Das erste Jahrhundert des Films

1986 Vor 30 Jahren sang Isabella Rossellini «Blue Velvet» und Denis Lavant tanzte zu David Bowies «Modern Love». Im Diskurs der Postmoderne stellten die Regisseure ihre intertextuellen und -medialen Referenzen offen aus, die Form schien über den Inhalt zu triumphieren. Leos Carax, als radikalster Vertreter des «Cinéma du look», lieferte mit Mauvais sang einen visuell exzessiven Neo-Film-noir, der die Dekonstruktion des Genres durch Jean-Luc Godard revidierte. David Lynchs Kleinstadt-Alptraum Blue Velvet verstört(e) das Publikum mit seinem Amalgam aus popkulturellen Zitaten und menschlichen Abgründen. Gemeinsam mit David Cronenbergs Remake The Fly wurde der Film aufgrund seiner expliziten Darstellung von Gewalt und Perversion heftig diskutiert, nicht zuletzt, da beide Filme darauf verzichten, ihre Gewaltdarstellung moralisch zu kontextualisieren, sondern sie in ihrer verstörenden Wirkung als weiteres Formelement belassen. In Schatten im Paradies spielt Aki Kaurismäki auf seine eigene, unverwechselbare Art mit den Genreformen und präsentiert seinen reduzierten Stil, bei dem keine Einstellung zu viel scheint, erstmals auf dem internationalen Parkett. Eine unverkennbare Handschrift, diesmal aus Griechenland, zeigt sich ebenfalls in den sorgfältig komponierten Einstellungen von Theo Angelopoulos’ Der Bienenzüchter. In seiner asketischen Erscheinung wirkt Briefe eines Toten wie eine ästhetische Opposition. Mit seinen strengen, monochromatischen Bildern zeichnet Konstantin Lopuschanski den damals nahen Alptraum eines möglichen Atomkrieges und erinnert dabei an die Filme Andrej Tarkowskijs, bei dessen Stalker er mitgearbeitet hatte. Vordergründig aus der Zeit zu fallen scheint James Ivorys A Room with a View, der mit seiner genauen Charakterstudie jedoch über die porträtierte englische Gesellschaft um 1900 hinausweist und der Schauspielerin Helena Bonham Carter zum Durchbruch verhalf. Marius Kuhn Das erste Jahrhundert des Films In der Dauerreihe «Das erste Jahrhundert des Films» zeigen wir im Lauf von zehn Jahren rund 500 ­wegweisende Werke der Filmgeschichte. Die Auswahl jedes Programmblocks ist gruppiert nach Jahrgängen, woraus sich schliesslich 100 Momentaufnahmen des Weltkinos von 1900 bis 1999 ergeben. ­Referenzzahl ist jeweils der aktuelle Jahrgang, d. h. im Jahr 2016 sind Filme von 1916, 1926, 1936 usw. zu sehen. Weitere wichtige Filme von 1986 37°2 le matin Jean-Jacques Beineix, F A Better Tomorrow (Ying hung boon sik) John Woo, Hongkong Aliens James Cameron, USA Caravaggio Derek Jarman, GB Der Name der Rose Jean-Jacques Annaud, I/F/BRD Der schwarze Tanner Xavier Koller, Schweiz Down by Law Jim Jarmusch, USA/BRD

Hannah and Her Sisters Woody Allen, USA Henry: Portrait of a Serial Killer John McNaughton, USA Hombre mirando al sudeste Eliseo Subiela, Argentinien Il camorrista Giuseppe Tornatore, I Mala Noche Gus van Sant, USA Offret Andrej Tarkowskij, F/Schweden Platoon Oliver Stone, USA Rosa Luxemburg Margarethe von Trotta, BRD The Mission Roland Joffé, GB/F


Das erste Jahrhundert des Films: 1986.

BLUE VELVET USA 1986 Begleitet von Bobby Vintons titelgebender Sechziger-Jahre-Schnulze senkt sich zu Beginn die Kamera vom strahlend blauen Himmel und zeigt in Zeitlupe eine Kleinstadtidylle aus roten Rosen vor einem weissen Gartenzaun, winkenden Feuerwehrmännern und fröhlichen Schulkindern. Kurz darauf wird die ironische Überspitzung gebrochen, wenn die Kamera durch das Gras eines gepflegten Vorstadtgartens kriecht und krabbelndes Ungeziefer die Leinwand füllt. Die hier angedeuteten Abgründe hinter der scheinbar heilen Fassade der Kleinstadt Lumberton breiten sich zu einem Strudel der Perversionen aus, als der junge Student Jeffrey Beaumont auf einer Wiese ein abgeschnittenes Ohr findet und dem Fall auf eigene Faust nachgeht. «Im Märchen siegt immer das Gute, und es ist nicht ohne Aufatmen, dass wir zum Schluss die Rosen (…) und den weissen Zaun wiedererkennen. Mit den gleichen Augen wie am Anfang werden wir sie aber nie wieder wahrnehmen können, dafür hat David Lynch gesorgt.» (Stephen Locke, epd Film, 2/87) «‹I don’t know if you’re a detective or a pervert›, stellt Sandy (…) fest. Jeffrey, der schweigsame Junge, den sie meint, antwortet mit einem

vieldeutigen Lächeln: ‹That’s for me to know and for you to find out.› An diesem Punkt ist man als Zuschauer schon viel zu verstrickt in David Lynchs meisterhaftes Netz aus Voyeurismus und Gewalt, als dass man sich noch losreissen könnte, als dass man dem jungen Jeffrey nicht folgen würde (…). Man wurde schon zu tief hineingezogen von der geheimnisvollen Musik der Unter­töne, die Angelo Badalamenti ausbreitet, und von der eigenwilligen Farb- und Lichtdramaturgie eines jungen Meisterregisseurs. Man kann nichts anderes mehr tun, als zusehen – und sich nun selbst fragen, ob man wohl ein Detektiv ist oder ein Perverser. Jeder grosse Topos des vielinterpretierten Fantasten David Lynch ist in diesem Werk vorgezeichnet und jedes verdient immer wieder meine Bewunderung.» (Daniel Bickermann, Schnitt Online) Reedition mit neuer digitaler Kopie 120 Min / Farbe / DCP / E/d* // DREHBUCH UND REGIE David Lynch // KAMERA Frederick Elmes // MUSIK Angelo Badalamenti // SCHNITT Duwayne Dunham // MIT Kyle MacLachlan (Jeffrey Beaumont), Isabella Rossellini (Dorothy Vallens), Laura Dern (Sandy Williams), Dennis Hopper (Frank Booth), Dean Stockwell (Ben), Hope Lange (Mrs. Williams), George Dickerson (Det. Williams), Priscilla Pointer (Mrs. Beaumont), Frances Bay (Tante Barbara), Jack Harvey (Mr. Beaumont), Ken Stovitz (Mike), Brad Dourif (Raymond).

23


24

Das erste Jahrhundert des Films: 1986.

DER BIENENZÜCHTER

SCHATTEN IM PARADIES

Ein Imker verlässt nach der Hochzeit seiner jüngeren Tochter Frau, Sohn und Haus, packt seine Bienenstöcke auf einen Lastwagen und fährt dem Frühling, der Sonne und den Blumen entgegen. Unterwegs wird eine junge Frau ein Stück weit seine Begleiterin. Seine Fahrt wird zu einer Reise in die Vergangenheit und zur Suche nach Freiheit und Frieden. «Ganz linear – was man sich von seinen früheren Filmen ja gar nicht gewohnt ist – folgt Theo Angelopoulos der Reise seines Imkers. Die Zeiten der verschachtelten Montagen sind vorbei und mit ihnen auch die Zeiten der epischen Geschichtsverarbeitung. Auch Angelopoulos hat sich nun ganz klar dem individuellen Schicksal zugewandt; im Augenblick scheint ihn das kollektive nicht mehr zu interessieren (…). Geblieben ist, trotz inhaltlichem Wechsel, die unverkennbare Handschrift, der eigenständige Angelopoulos-Stil.» (Walter Ruggle, Filmbulletin 4/87)

Im ersten Teil seiner Proletariat-Trilogie, der ihm zum internationalen Durchbruch verhalf, erzählt Aki Kaurismäki im regnerisch-tristen Helsinki von der Liebe zwischen einem Müllfahrer und einer Supermarktkassiererin. «Schatten im Paradies ist (…) die ungewöhnlichste Liebeskomödie, die man sich vorstellen kann. Der Film führt das Genre ad absurdum, wobei das nicht geplant wirkt, sondern sich zwingend aus Kaurismäkis Erzählstil ergibt: Die Bilder erinnern an Werke von Edward Hopper, dem Maler der Einsamkeit. Die Figuren agieren mit versteinerten Gesichtern und sind so wortkarg, dass man ihre Gefühle nur erahnen kann. Statt der Menschen sprechen Jazz und Blues, wobei die Stimmungslagen von Songs und Handlung ­einander oft diametral entgegenstehen. Das Resultat ist diese einzigartige Form von Komik, für die wir in unserer Sprache nur das jämmerliche Wort ‹trocken› zur Verfügung haben.» (Denise Bucher, züritipp, 1.10.2015)

(O melissokomos) Griechenland/Frankreich/Italien 1986

(Varjoja paratiisissa) Finnland 1986

122 Min / Farbe / DCP / Gr/d // REGIE Theodoros Angelopoulos // DREHBUCH Theodoros Angelopoulos, Tonino Guerra,

76 Min / Farbe / DCP / Finn/d/f // DREHBUCH UND REGIE

Dimitris Nollas // KAMERA Giorgos Arvanitis // MUSIK Eleni

Aki Kaurismäki // KAMERA Timo Salminen // MUSIK Hari

Karaindrou // SCHNITT Takis Yannopoulos // MIT Marcello

Marstio, Zouko Lumme // SCHNITT Raija Talvio // MIT Matti

Mastroianni (Spiros), Nadia Mourouzi (Mädchen), Serge Reg-

Pellonpää (Nikander), Kati Outinen (Ilona), Sakari Kuosma-

giani (kranker Freund), Jenny Roussea (Spiros’ Frau), Dinos

nen (Melartin), Esko Nikkari (Nikanders Kollege), Kylli Kön-

Iliopoulos (Spiros’ Freund).

gäs (Ilonas Freundin).


Das erste Jahrhundert des Films: 1986.

A ROOM WITH A VIEW GB 1986 1907: Die junge Engländerin Lucy Honeychurch reist unter der Obhut ihrer strengen Cousine Charlotte nach Florenz. Dort begegnet Lucy dem exzentrischen, aber anziehenden George, der sie bei einem gemeinsamen Ausflug unvermittelt küsst. Zurück in England verdrängt sie ihre Gefühle und geht eine Verlobung mit dem blasierten Cecil Vyse ein. Doch wenig später zieht George mit seinem Vater in das gleiche Dorf wie Lucy. Von subtiler Ironie durchsetzt und von einer Riege herausragender Schauspieler getragen, zeichnet der Film ein differenziertes Gesellschaftsbild. A Room with a View bildete den ersten Höhepunkt der Troika zwischen dem Regisseur James Ivory, dem Produzenten Ismael Merchant und der Drehbuchautorin Ruth Prawer Jhabvala. Rückblickend erweist er sich als Beginn eines Trends zu Literaturverfilmungen, die sich mit dem einengenden Korsett der englischen Gesellschaft am Anfang des 20. Jahrhunderts beschäftigten. «Der Film ist eigentlich unmöglich und doch ein Hochgenuss. (…) Sämtliche Italienklischees bebildert der Film in herrlichen Farbstimmungen, aber man lässt es sich gefallen, weil es Sinn macht, weil sanft ein Bürgertum auf die Schippe

genommen wird, das diesen Schmelz und Schmus kultivierte. (…) Und trotz aller nostalgischen Verkleidungen ist auch die Inszenierung des Films sehr modern, weil sie ein aufgeklärtes, amüsantes Sittengemälde vorführt und ein hohes Mass an Durchsichtigkeit besitzt. Ivorys A Room with a View ist ein Augenschmaus und manchmal auch eine Kostümfilmschnulze, aber eben auch eine sehr präzise Komödie. Die Ambivalenz macht den Film spannend.» (Siegfried Schober, Die Zeit, 12.12.1986) «Der Film geniesst seine eigene Narration so sehr, dass ich den Prozess des Erzählens selbst genoss. Es scheint, die Geschichte des Films schreite aus demselben Grund so bedächtig voran, wie man versucht, ein Eis möglichst langsam zu essen: weil es so gut ist.» (Roger Ebert, Chicago Sun-Times, 4.4.1986) 117 Min / Farbe / 35 mm / E/d/f // REGIE James Ivory // DREHBUCH Ruth Prawer Jhabvala, nach dem Roman von E. M. Forster // KAMERA Tony Pierce-Roberts // MUSIK Richard Robbins, Giacomo Puccini // SCHNITT Humphrey Dixon // MIT Helena Bonham Carter (Lucy Honeychurch), Maggie Smith (Charlotte Bartlett), Denholm Elliott (Mr. Emerson), Julian Sands (George Emerson), Daniel Day-Lewis (Cecil Vyse), Judi Dench (Eleanor Lavish), Rupert Graves (Freddy Honeychurch), Rosemary Leach (Mrs. Honeychurch), Simon Callow (Reverend Mr. Beebe), Patrick Godfrey (Reverend Mr. Eager), Fabia Drake (Catharine Alan).

25


26

Das erste Jahrhundert des Films: 1986.

MAUVAIS SANG Frankreich/Schweiz 1986 «Ein junger Mann tut sich nach der Ermordung seines Vaters mit zwei Ganoven zusammen, um ein Virus zu entwenden, das eine Krankheit erregt, die bei Sex ohne Liebe übertragen wird. Die Geschichte des Coups, der ein neues Leben verheisst, ist mit seiner Beziehung zu zwei Frauen verbunden.» (Lexikon des int. Films) Die Hauptfigur Alex gerät «zwischen die Fronten – der Liebe, der Generationen, der Geschichten. Die Väter können nichts mehr bewegen, die Kinder haben noch keine eigene Sprache gefunden. Die Revision von Jean-Luc Godards Dekon­ struktion des US-amerikanischen Film noir, so knallig bunt und kunstvoll selbstreflexiv wie dessen Made in U.S.A (1966), ist Leos Carax’ Anerkennung und Aufarbeitung der filmischen Vorbilder – und ein Akt der Befreiung.» (Jürgen Felix, Reclam Filmklassiker, Bd. 4) Für den mehrmals als Jean-Luc Godards rechtmässiger Erbe betitelten Carax sind es die Bilder, die ihn antreiben. Die Figuren wirken oftmals nebensächlich, während die spektakulären Aufnahmen im Vordergrund stehen. «Man mag sich irritiert fühlen von der mitunter etwas gewollt lakonischen Poesie dieses Films, seinen prägnanten Pausen und prätentiösen Posen und doch verführt werden vom Kaleidoskop der Kine-

matografie, das Carax offenbart: Schwarzstellen, die Szenen trennen; extreme Nahaufnahmen von hypnotischer Intensität, ungewohnte Kameraperspektiven; eine plötzliche Stille, wo Worte keine Bedeutung mehr haben.» (Helmut W. Banz, Programmheft Xenix, Juni/Juli 2013) 116 Min / Farbe / 35 mm / F/d // DREHBUCH UND REGIE Leos Carax // KAMERA Jean-Yves Escoffier // MUSIK Benjamin Britten, David Bowie // SCHNITT Nelly Quettier // MIT Denis Lavant (Alex), Juliette Binoche (Anna), Michel Piccoli (Marc), Julie Delpy (Lise), Hans Meyer (Hans), Serge Reggiani (Charlie), Carroll Brooks (die Amerikanerin), Hugo Pratt (Boris), Mireille Perrier (die junge Mutter), Jérôme Zucca (Thomas), Charles Schmitt (der Kommissar).


Das erste Jahrhundert des Films: 1986.

BRIEFE EINES TOTEN

THE FLY

(Pisma mjortwogo tscheloweka) UdSSR 1986

USA/GB/Kanada 1986

Nach einem atomaren Krieg sind die Menschen einer Stadt gezwungen, in Bunkern zu leben. Nach und nach werden die Schutzräume geschlossen und die gesunden Insassen zu einer Sammelstelle gebracht, die für die kommenden 50 Jahre versiegelt werden soll. «Briefe eines Toten ist erzählerisch wie technisch ein bedrückendes Dokument der Angst vor dem Holocaust. Aber – und da zeigt sich die Handschrift Strugazkis – eben nicht ausschliesslich. (…) Der Film spart sich jedes Pathos. Seine Bilder sind grösstenteils in Sepia getönt und vermitteln ein monotones Bild der Verwüstung. (…) Die Mise en Scène erinnert mehr als einmal an die Bilderschrift Tarkowskijs, der ebenfalls in Bildern grösster Zerstörung – man erinnere sich an die Zone in Stalker – grösste Harmonie im Stande war entstehen zu lassen. Konstantin Lopuschanski stellt sich in genau diese visuelle Tradition: Briefe eines Toten ist gleichermassen ein Film des Untergangs wie auch der konstruktiven Energie, die aus diesem Untergang zu erwachsen scheint. Fast möchte man von ‹sowjetischer Metaphysik› sprechen, die einem da aus den Bildern ent­ gegenströmt, wenn nicht – wie ebenfalls bei ­Tarkowskij – die Erzählung selbst immer wieder einen Kontrapunkt zum Gezeigten bilden würde.» (Stefan Höltgen, f-lm.de, 5.8.2003)

In David Cronenbergs Remake von The Fly (s. S. 28) vermischen sich Mensch und Fliege auf der genetischen Ebene, sodass der Forscher Seth Brundle nach und nach zu einem Mischwesen mutiert. Seine Metamorphose führt über Euphorie und ­Hyperaktivität bis zu Manie und Zerfall. «Dies ist ein Film über Fusion. Diejenige von Mensch und Insekt, natürlich, aber auch die emotionale und körperliche Verschmelzung von Mann und Frau – so befreiend und schmerzlich diese sein kann. Die verspielte und schräge Chemie zwischen Jeff Goldblum und Geena Davis in der ersten Hälfte des Films sorgt dafür, dass dieses gruselige Horrorstück einem das Herz zerreisst und nicht nur den Magen umdreht.» (Tom Charity, Time Out Film Guide) «Das Horror-Genre schützt mich: Wäre ich zu einem grossen Studio gegangen mit dem Vorschlag, ‹Ich will eine Geschichte über zwei Menschen machen, die sich kennenlernen und verlieben, und dann wird einer von ihnen schwer krank und geht langsam und grässlich zugrunde und muss von seiner Geliebten umgebracht werden›, hätten die gesagt, ich sei verrückt. Aber so hat niemand diesen Aspekt von The Fly in Frage gestellt.» (David Cronenberg im Gespräch mit Michel Bodmer, 20.11.1986 – siehe FilmpodiumBlog)

88 Min / Farbe / 35 mm / Russ/d/f // REGIE Konstantin Lopu-

95 Min / Farbe / 35 mm / E/d/f // REGIE David Cronenberg //

schanski // DREHBUCH Konstantin Lopuschanski, Wjatsche-

DREHBUCH David Cronenberg, Charles Edward Pogue, nach

slaw Rybakow, Boris Strugazki // KAMERA Nikolai Pokopzew

der Kurzgeschichte von George Langelaan // KAMERA Mark

// MUSIK Alexander Schurbin // SCHNITT T. Pulinoi // MIT

Irwin // MUSIK Howard Shore // SCHNITT Ronald Sanders //

­Rolan Bykow (Dr. Larsen), Jossif Ryklin (Hümmel sen.), Viktor

MIT Jeff Goldblum (Seth Brundle), Geena Davis (Veronica

Michailow (Hümmel jr.), Alexander Sabinin (Herr Tescher),

Quaife), John Getz (Stathis Borans), Joy Boushel (Tawny),

Swetlana Smirnowa (Teresa), Wazlaw Dworshezki (Pater),

Leslie Carlson (Dr. Brent Cheevers), George Chuvalo (Marky),

Nora Grjakalowa (Frau Tescher), Vera Majorawa (Anna Lar-

Carol Lazare (Krankenschwester), David Cronenberg (Gynä-

sen), Wadim Lobanow (Arzt).

kologe).

27


28 Remake

The Fly Im Sommerprogramm war eine ganze Reihe von Filmen zu sehen, die auf anderen Filmen beruhen und zu diesen in einer interessanten ­Beziehung stehen. Fortan werden wir neben den Hauptreihen immer wieder auch Paare oder ganze Sequenzen von Originalen und ge­ lungenen Remakes zeigen, auch weil diese einen wichtigen Aspekt der Entwicklung der Filmgeschichte darstellen.

THE FLY / USA 1958 94 Min / Farbe / Digital HD / E/d // REGIE Kurt Neumann // DREHBUCH James Clavell, nach der Kurzgeschichte von George Langelaan // KAMERA Karl Struss // MUSIK Paul Sawtell // SCHNITT Merrill G. White // MIT David Hedison (Andre Delambre), Patricia Owens (Helene Delambre), Vincent Price (François Delambre), Herbert Marshall (Inspektor Charas), Kathleen Freeman (Emma, das Hausmädchen), Betty Lou Gerson (Schwester Andersone), Charles Herbert (Philippe Delambre).

Ein Wissenschaftler, der an der drahtlosen Übertragung von Materie arbeitet, wird bei einem Experiment Opfer eines Zufalls: Eine Fliege gerät ins Getriebe und der Forscher tauscht mit dem Insekt den Kopf und eine Extremität. Bald wird er von seltsamen Trieben beherrscht und bangt um seine Menschlichkeit. «Einer der tadellosen SF-Horrorfilme.» (Jeff Rovin: A Pictorial History of Science Fiction Films, 1975) «Was die Horrorqualitäten betrifft, so gibt es zwei Momente in diesem Film, die einem auch ausserhalb des Kindesalters kalte Schauer über den Rücken jagen, weil sie eben absolute Urängste des Menschen bedienen und die Mechanismen des filmischen Grauens in Perfektion ausspielen. (...) Sicherlich ein Klassiker, der seinen Hauch von Trash wie ein edles Kleid trägt.» (Silvan Prefetzky, www.filmzentrale.de) Das gleichnamige Remake von David Cronenberg (1986) läuft in der Reihe «Das erste Jahrhundert des Films» (s. S. 27).


29 Remake

The Housemaid 1960 schuf der eigenwillige Filmemacher Kim Ki-young mit Hanyo (The Housemaid) eine beklemmende Fabel über den Zusammenbruch der starren, hierarchischen Gesellschaftsstruktur Südkoreas. 50 Jahre später legte sein Landsmann Im Sang-soo ein Remake vor.

THE HOUSEMAID (Hanyo) / Südkorea 1960 111 Min / sw / Digital HD / Kor/e // DREHBUCH UND REGIE Kim Ki-young // KAMERA Kim Deok-jin // MUSIK Han Sang-gi // SCHNITT Oh Young-Keun // MIT Kim Jin Kyu (Kim Dong-sik), Ju Jeung-nyeo (Frau Kim), Lee Eun-shim (Myung-sook), Eom Aeng-ran (Cho Kyung-hee), Ko Seon-ae (Kwak Seon-young), Ahn Sung-kee (Kim Chang-soon), Lee Yoo-ri (Kim Ae-soon).

«Die Geschichte eines Hausmädchens, das angeheuert wird, um im Haushalt der Kims mitzuhelfen, da die Ehefrau und Mutter erkrankt ist, weil sie sich bei der Heimarbeit als Schneiderin übernommen hat. Das zweistöckige Haus in westlichem Stil, das die Kims und ihre zwei Kinder unlängst erworben haben, ist schlicht zu gross, als dass Frau Kim mit dem Unterhalt klarkäme. Doch nachdem sich das namenlose Hausmädchen von Herrn Kim hat verführen lassen, stürzt es die ganze Familie in einen bösen Alptraum. Die Struktur von Hanyo verwischt die Grenzen zwischen Realität und Fiktion und erzeugt ein halluzinatorisches Erlebnis. Viel von der Musik gehört zur Handlung, die Schauspieler agieren subtil, und der Rache-Plot, den die wütende Hausangestellte ausheckt, da sie blutige Vergeltung für den Verlust ihres Kindes sucht, ist nicht völlig unglaubwürdig, trotz seiner Ursprünge im Melodrama. Die konstante Bewegung der Kamera, wunderbare Nahaufnahmen, ein akribischer Einsatz von Schatten und der gelegentliche Einsatz einer mitunter kakophonisch-modernistischen Filmmusik verdienen den Vergleich mit den grossen deutschen Kammerspielfilmen der zwanziger und frühen dreissiger Jahre.» (Kyung Hyun Kim, www.criterion.com, 17.12.2013) Das gleichnamige Remake von Im Sang-soo (2010) ist in der Reihe «Das südkoreanische Filmwunder» zu sehen (s. S. 13).


30 Remake

Infernal Affairs / The Departed Intrigen und Identitätskrisen verstricken sich in ungeahntem Masse in Infernal Affairs (Mou gaan dou), einem raffinierten Hongkong-Thriller von Andrew Lau Wai-Keung und Alan Mak Siu Fai. Knapp vier Jahre ­später legte Martin Scorsese sein starkes Remake The Departed vor, in dem Leonardo DiCaprio, Matt Damon und Jack Nicholson brillieren. «Infernal Affairs handelt von einem Cop, der eigentlich ein Gangster ist, und einem Gangster, der eigentlich ein Cop ist. Frühe Szenen zeigen, wie sie in ihren extremen Undercover-Einsatz entsandt werden: Ein junger Gangster wird vom Boss auf die Polizeischule geschickt, und ein junger Polizeischulabgänger wird aus der Truppe entfernt, um als Verbrecher getarnt zu arbeiten. In beiden Fällen sollen sie jahrelang im Einsatz bleiben und ihren Job so gut wie möglich machen, damit sie in der Organisation aufsteigen und zu unschätzbaren Maulwürfen werden. (Rund zehn Jahre später) werden sie von ihren ursprünglichen Auftraggebern aktiviert, und beide Seiten erkennen, dass sie einen Verräter in ihrer Mitte haben. (Jeder der beiden Männer) wird beauftragt, den Maulwurf aufzuspüren – also sich selbst zu finden. (...) Dieser clevere und komplexe Plot ist jedoch nicht der Grund, weshalb man den Film sehen sollte. Was ihn auszeichnet, ist der innere Aufruhr, der davon herrührt, dass man eine Lüge lebt. Wenn seit zehn Jahren jeder, den du kennst, und alles, was du tust, zeigt, dass du ein bestimmter Typ Mensch bist, und du weisst, dass du ein anderer bist, wie kannst du damit leben?» (Roger Ebert, Chicago Sun-Times, 23.12.2004)

INFERNAL AFFAIRS (Mou gaan dou) / Hongkong 2002 101 Min / Farbe / Digital HD / Kanton/d // REGIE Andrew Lau Wai-Keung, Alan Mak Siu Fai // DREHBUCH Alan Mak Siu Fai, ­Felix Chong // KAMERA Yiu-Fai Lai, Andrew Lau Wai-Keung // MUSIK Chan Kwong Wing // SCHNITT Curran Pang Ching-Hei, Danny Pang // MIT Andy Lau (Kommissar Lau Kin Ming), Tony Leung Chiu Wai (Chen Wing Yan), Anthony Wong Chau-Sang (Polizei­ präsident Wong Chi Shing), Eric Tsang (Hon Sam), Kelly Chen (Dr. Lee Sum Yee), Sammi Cheng (Mary), Chapman To (Tsui ­Wai-keung). Courtesy of Media Asia International Distribution


31

THE DEPARTED / USA 2006 151 Min / Farbe / 35 mm / E/d/f // REGIE Martin Scorsese // DREHBUCH William Monahan, Alan Mak Siu Fai, Felix Chong // ­KAMERA Michael Ballhaus // MUSIK Howard Shore // SCHNITT Thelma Schoonmaker // MIT Leonardo DiCaprio (Officer William M. «Billy» Costigan Jr.), Matt Damon (Det. Sergeant Colin Sullivan), Jack Nicholson (Francis «Frank» Costello), Mark Wahlberg (Det. Sergeant Dignam), Martin Sheen (Det. Captain Oliver Queenan), Alec Baldwin (Det. Captain George Ellerby), Ray Winstone (Mr. French), Vera Farmiga (Dr. Madolyn Madden), Anthony Anderson (Officer Brown), Kevin Corrigan (Cousin Sean).

Martin Scorseses starbestücktes Remake The Departed verlegt die Handlung von Hongkong nach Boston. «Die Story beruht auf Infernal Affairs (...), aber das betrifft nur die Oberfläche, den Plot und ein paar philosophische Quasi-Tiefsinnigkeiten. Was dies zu einem Scorsese-Film macht und nicht bloss zu einem Abklatsch, ist, wie der Regisseur Schauspieler, Schauplätze und Energie einsetzt, sowie das darunterliegende Thema (...), das so viele seiner Werke prägt: Schuld. Man darf wohl annehmen, dass Angehörige der Bostoner Arbeiterschicht namens Costigan, Sullivan, Costello, Dignam und Queenan als irisch-amerikanische Katholiken aufgewachsen sind, und selbst wenn sie sich ausserhalb der Gesetze der Kirche bewegt haben, haben sie sich nicht ihres Schuldbewusstseins zu entledigen vermocht. (...) Man bedenke nun, welche Schuldgefühle jemand entwickelt, der a) Verbrechen begeht und b) jene Leute betrügt, die sich auf ihn verlassen. (...) Ich glaube, Scorsese hat in diesem Hongkong-Film sofort erkannt, dass die Geschichte, auf einer unterschwelligen Ebene, zwei Aspekte seiner Kunst und seiner Psyche gleichermassen in den Brennpunkt rückt. Wir wissen, dass auch er von Gangstern fasziniert war. Indem er so viele Filme über sie gemacht hat, über das, was er beim Heranwachsen in Little Italy gesehen und erfahren hat, und dank seiner Erkenntnisse über ihr Wesen, ist auch er in gewisser Weise ein Informant geworden.» (Roger Ebert, rogerebert.com. 5.7.2007)


32 IOIC-SOIREE

DO, 27. OKT. | 20.45 UHR

DIE UNTERWELT IM STUMMFILM Die Grossstadt, die Gangster und die Unter-

Vertont werden die Filme von Schnellertol-

welt stehen im Zentrum der aktuellen

lermeier, einem aufstrebenden Trio aus Lu-

Saison­des Instituts für Incohärente Cine-

zern und Zürich, dessen Musik wenig bis gar

matographie IOIC mit seinen ausserge-

keine Kompromisse kennt. Mit nur schein-

wöhnlichen Live-Vertonungen. Die Anony-

bar unbändiger Wucht sind sie mühelos in

mität der modernen Grossstadt bot beste

der Lage, allfällige Genregrenzen zwischen

Voraussetzungen für das Treiben verbre-

freier Improvisation, Jazz und Rock zu spren-

cherischer Banden.

gen und im nächsten Moment unmittelbar feinere, verspieltere, ja geradezu liebliche

Einen ersten Meilenstein in der Geschichte des Gangsterfilms setzt der Pionier D. W. Griffith mit The Musketeers of Pig Alley. Als erster Film nimmt er die Verbrecherbanden der Grossstädte ins Visier und etabliert auch gleich mehrere Grundelemente des Genres. Raoul Walshs Debütfilm Regeneration ist der erste abendfüllende Gangsterfilm überhaupt. Der Einfluss seines Mentors D. W. Griffith ist nicht zu übersehen. Anstoss erregte allerdings die überraschend sym­ pathische Charakterisierung des Bandenchefs. Mit dem Werdegang des Helden, der von der falschen auf die richtige Seite wechselt und sich somit «regeneriert», erzählt der Film eine romantische und authentische Geschichte von Gewalt und Erlösung.

> Regeneration.

Töne anzustimmen. Live-Vertonung: SCHNELLERTOLLERMEIER Manuel Troller (E-Gitarre) Andi Schnellmann (E-Bass) David Meier (Schlagzeug) http://schnellertollermeier.ch/ Weitere Informationen zum IOIC: http://ioic.ch

THE MUSKETEERS OF PIG ALLEY / USA 1915 17 Min / sw / DCP / Stummfilm, engl. Zw.titel // REGIE David Wark Griffith // DREHBUCH David Wark Griffith, Joseph Graybill // KAMERA G. W. Bitzer // MIT Lillian Gish (die junge Frau), Walter Miller (der Musiker), Elmer Booth (Snapper Kid), Alfred Paget (Snappers Rivale), Harry Carey (Snappers rechte Hand), Clara T. Bracey (die Mutter), Dorothy Gish.

REGENERATION / USA 1915 73 Min / tinted / DCP / Stummfilm, engl. Zw’titel // REGIE ­Raoul Walsh // DREHBUCH Raoul Walsh, Carl Harbaugh // KAMERA George Benoît // MIT Rockcliffe Fellowes (Owen Conway), Anna Q. Nilsson (Marie Deering), Carl Harbaugh (Ames), William A. Sheer (Skinny), Maggie Weston (Maggie).


33 ZÜRCHER FILMBUFF-QUIZ 2016

FR, 28. OKT. | 20.30 UHR

> Starter for 10.

Ende Oktober lädt das Filmpodium wieder Kinokenner und Filmfreundinnen ein, mental die Klingen zu kreuzen und abseits des Internets mit echtem Filmwissen zu brillieren. Für die Profis im Publikum gibt es Handicaps, damit engagierte Amateure gleiche Chancen haben, die attraktiven Preise zu gewinnen. Wie bei den TV-Vorbildern muss man beim Filmbuff-Quiz aber nicht selber mitspielen, um Spass zu haben. Man kann auch nur seine Lieblingskandidatinnen anfeuern – oder einfach die eingespielten Clips geniessen und Höhepunkte (und Peinlichkeiten) der Filmgeschichte Revue passieren lassen. Aufgrund der grossen Nachfrage empfehlen wir allen, die einen Sitzplatz auf Nummer sicher wollen, den Vorverkauf oder die frühzeitige Reservation.

Corinne Siegrist-Oboussier & Michel Bodmer

im Kino r e b o t k O . Ab 27


34 Filmpodium für Kinder

Kiriku und die Zauberin Noch im Mutterleib spricht der kleine Kiriku und bringt sich kurz darauf selbst zur Welt. Auch sonst erschreckt den schlauen Kleinen fast nichts. Ein westafrikanisch inspiriertes Animationsfilm-Märchen mit der Musik von Youssou N’Dour. «Kaum geboren, kann Kiriku (nicht nur sprechen, sondern auch) unheimlich schnell rennen. In seiner afrikanischen Heimat ist die Welt jedoch aus den Fugen. Furcht und Schrecken regieren das Dorf. Die meisten Männer, so erzählt man sich, hat die böse Zauberin Karaba aufgefressen. (…) Kiriku möchte das Dorf von Karabas Bann befreien und herausfinden, warum sie so böse ist. Einzig sein Grossvater – auf der anderen Seite des verbotenen Berges – weiss um das Geheimnis. So traut sich Kiriku auf den gefahrvollen Weg und befreit nach fantastischen Abenteuern das Dorf von seinem Fluch.» (filmernst.de)

KIRIKU UND DIE ZAUBERIN (Kirikou et la sorcière) Frankreich/Belgien/Luxemburg 1998 74 Min / Farbe / 35 mm / D / 6J // DREHBUCH UND REGIE Michel Ocelot // MUSIK Youssou N’Dour // SCHNITT Dominique ­Lefèvre // MIT DEN DEUTSCHEN STIMMEN VON Gabriel Wanka (Kiriku), Claudia Urbschat-Mingues (Karaba), Mo Asumang (Mutter), Harald Leipnitz (Grossvater), Philipp Brammer (Kiriku als Mann).


35

A Film by Dominique Margot

AB 29. SEPTEMBER *LLMM_WildPlants_InsD_127x98_fp.indd 1

22. September – 2. Oktober 2016 #ZFF2016

AB 27. OKTOBER 30.08.16 11:32


36 SÉLECTION LUMIÈRE

NOSTALGIA DE LA LUZ

In Nostalgia de la luz geht der Chilene Patri-

Und schliesslich macht Guzmán eine Ent-

cio Guzmán von einem zweifachen Blick in

deckung, die seinen Film gewissermassen

die Vergangenheit aus: Astronomen in der

innerlich stützt: Das Kalzium, das in den

Atacama-Wüste blicken in den Himmel und

Knochen steckt, ist dasselbe, das man in

erkunden den Ursprung des Universums;

Sternen findet. Ob das Stanley Kubrick ge-

draussen im Sand um die Observatorien su-

ahnt hat, als er in 2001: A Space Odyssey ei-

chen Frauen nach sterblichen Überresten

nen Knochen in die Luft werfen und sich in

ihrer Liebsten, die Opfer der Militärdiktatur

ein Raumschiff verwandeln liess?» (Pascal

geworden sind.

Blum, züritipp, 16.3.2011) «Mit bemerkenswerter Sensibilität und

«Auf bestechende Art verbindet (Guzmán)

in Bildern von ausserordentlicher Schön-

in seinem philosophischen Dokumentar-

heit verdichtet Guzmán die scheinbar dis-

film Erde und Himmel, Politik und Metaphy-

paraten Motive zu einem dokumentari-

sik und legt so dialektisch die Geheim­

schen Essay über den Gedanken, dass eine

geschichte Chiles frei. Die Ausgrabung der

Zukunft ohne ein Bewusstsein für die Ver-

verdrängten Vergangenheit fördert persön-

gangenheit nicht möglich ist.» (Kai Mihm,

liche und universelle Schicksale zutage,

epd Film, 1.1.2011)

wirft grosse Fragen über winzige Partikel auf und hat gleichsam einen kosmischen Überbau. (Dieser Thesenfilm) überwältigt

★ am Do, 10. Nov, 18:15 Uhr:

uns mit seiner Neugier und Leidenschaft.

Einführung von Martin Walder

NOSTALGIA DE LA LUZ / Chile/Spanien/Frankreich/Deutschland/USA 2010 90 Min / Farbe / 35 mm / Sp/d/f // DREHBUCH UND REGIE Patricio Guzmán, // KAMERA Katell Djian // ­MUSIK Miguel Miranda, José Miguel Tobar // SCHNITT Patricio Guzmán, Emmanuelle Joly // MIT Gaspar Galaz, Lautaro Núñez, Luís Henríquez, Miguel Lawner, Victor González, Vicky Saavedra, Violeta Berrios, George Preston.


37 IMPRESSUM

DAS FILMPODIUM IST EIN ANGEBOT DES PRÄSIDIALDEPARTEMENTS

in Zusammenarbeit mit der Cinémathèque suisse, Lausanne/Zürich LEITUNG Corinne Siegrist-Oboussier (cs), STV. LEITUNG Michel Bodmer (mb) WISSENSCHAFTLICHE MITARBEIT Tanja Hanhart (th), Marius Kuhn (mk), Primo Mazzoni (pm), Laura Walde // PRAKTIKUM Valentina Romero // SEKRETARIAT Claudia Brändle BÜRO Postfach, 8022 Zürich, Telefon 044 412 31 28, Fax 044 212 13 77 WWW.FILMPODIUM.CH // E-MAIL info@filmpodium.ch // KINO Nüschelerstr. 11, 8001 Zürich, Tel. 044 211 66 66 UNSER DANK FÜR DAS ZUSTANDEKOMMEN DIESES PROGRAMMS GILT: 3L Film GmbH, Dortmund; Alamode Film, München; Capelight Pictures, Ahrensfelde; Filmcoopi, Zürich; Films Distribution, Paris; Finecut, Seoul; Frenetic Films, Zürich; Goldcrest Films International, London; Lobster Film, Paris; Media Asia International Distribution, Hong Kong; Mirovision, Seoul; M-Line Distribution, Seoul; Daniel Otto, Berlin; Park Circus, Glasgow; Rapid Eye Movies, Köln; Showbox, Seoul; Toro Entertainment GmbH, Köln; trigon-film, Ennetbaden; Warner Bros. (Transatlantic) Inc., Zürich DATABASE PUBLISHING BitBee Solutions GmbH, Zürich // KONZEPTIONELLE BERATUNG Esther Schmid, Zürich GESTALTUNG TBS & Partner, Zürich // KORREKTORAT N. Haueter, D. Kohn // DRUCK Ropress, Zürich // AUFLAGE 7000 ABONNEMENTE Filmpodium-Generalabonnement : CHF 400.– (freier Eintritt zu allen Vorstellungen; inkl. Abo Programmheft) // Filmpodium-Halbtaxabonnement: CHF 80.– / U25: CHF 40.– (halber Eintrittspreis bei allen Vorstellungen; inkl. Abo Programmheft) // Abonnement Programmheft: CHF 20.– // Anmeldung an der Kinokasse, über www.filmpodium.ch oder Tel. 044 412 31 28

VORSCHAU 3rd Arab Film Festival Zurich

Jean Gabin

Die Medien berichten fast täglich von den

Seit dem frühen Tonfilm hat Jean Gabin

katastrophalen Zuständen in Syrien, Libyen

(1904–1976) während fünf Jahrzehnten das

und anderen Staaten. Die arabische Welt ist

französische Kino geprägt; Marcel Carné,

und bleibt jedoch weitaus vielfältiger als

Julien Duvivier und Jean Renoir zählten zu

ihre Wahrnehmung im Westen, und selbst in

seinen Lieblingsregisseuren. Mit sparsams-

Syrien werden heute noch Filme gedreht,

ter Mimik und Gestik verkörperte er Prole-

die nicht nur vom Krieg handeln. Das 3

rd

ten, Aussenseiter und Deserteure ebenso

Arab Film Festival Zurich zeigt Dramen und

wie abgebrühte Anwälte und Gangster. Wir

Komödien, führt zurück in die Kolonialzeit

zeigen ausgewählte Filme aus seiner Lauf-

und die damaligen Ablösungsprozesse,

bahn, von Wiederentdeckungen wie G. W.

schildert die Folgen des arabischen Früh­

Pabsts Du haut en bas (1933) über die frühen

lings für Mächtige und Machtlose, erkundet

Klassiker La grande illusion und Quai des bru-

den Status der Frau in der arabischen Welt

mes bis hin zu Filmen, bei denen er sich ge-

vor und nach den Umwälzungen und findet

gen Ende seiner Karriere neben aufstreben-

Unentwegte, die weiterhin für Freiheit und

den Stars seinen Platz beim jungen Publikum

Selbstbestimmung kämpfen.

sicherte.


SASHA LANE

SHIA LABEOUF

RILEY KEOUGH

A FILM WRITTEN AND DIRECTED BY ANDREA ARNOLD

OCTOBER 13


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.