Filmpodium Programmheft November/Dezember 2023 // Filmpodium programme booklet

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16. November – 31. Dezember 2023

SIGHT & SOUND’S GREATEST FILMS: DIE FILMPODIUM-EDITION ELAINE MAY: SERIOUSLY FUNNY


Filmpodium-Highlights November/Dezember LANDKARTEN FÜR WANDERER DER KUNST – WAS IST «KLASSISCHE FILMTHEORIE»?    S. 34

Öffentliche Vorlesungsreihe des Seminars für Filmwissenschaft / Universität Zürich mit Daniel Wiegand, Jan Sahli, Linda Waack und Volker Pantenburg DO, 16., 23. & 30. NOV. | 16.15 UHR & DO, 7. DEZ. | 16.15 UHR

ONCE UPON A TIME IN THE WEST (SERGIO LEONE, ITALIEN/ USA 1968)   S. 09 Die Filmpodium-Edition der «Sight & Sound»-Liste: Eine Einordnung SA, 18. NOV | 20.15 UHR

THE HEARTBREAK KID (ELAINE MAY, USA 1972)   S. 23 Einführung von Hannes Brühwiler, ca. 15 Min. DI, 21. NOV. | 18.15 UHR

ÜBERTRAGUNG #4: CHUNG KUO – CINA (MICHELANGELO ANTONIONI, ITALIEN 1972)   S. 33 Einführung und Gespräch mit Tom Holert MO, 27. NOV. | 18.00 UHR

FILMPODIUM PREMIERE: BIS ANS ENDE DER NACHT (CHRISTOPH HOCHHÄUSLER, DEUTSCHLAND 2023)   S. 36 In Anwesenheit des Regisseurs DI, 28. NOV. | 18.00 UHR

SÉLECTION LUMIÈRE: THE MATCH FACTORY GIRL (AKI KAURISMÄKI, FINNLAND 1990)    S. 38 Ausgewählt vom Förderverein Lumière, Einführung von Martin Girod DO, 30. NOV. | 20.45 UHR

DIE BÖSE SAAT   S. 29

Podiumsdiskussion mit Johannes Binotto und Christine Lötscher FR, 1. DEZ. | 19.45 UHR

ICH SEH ICH SEH (VERONIKA FRANZ & SEVERIN FIALA, ÖSTERREICH 2014)   S. 30 In Anwesenheit des Regie-Duos SA. 2. DEZ. | 18.30 UHR

KUNSTPREIS DER STADT ZÜRICH AN CYRIL SCHÄUBLIN In Anwesenheit des Regisseurs DO, 7. DEZ. | 18.00 UHR

RE:VISION: MODERN TIMES (CHARLES CHAPLIN, USA 1936)   S. 17

Vortragsreihe von und mit Thomas Binotto in Kooperation mit der Volkshochschule Zürich MI, 13. DEZ. | 18.30 UHR

LES OUBLIÉS DE LA BELLE ÉTOILE (CLÉMENCE DAVIGO, FRANKREICH 2023)   S. 32 In Anwesenheit der Regisseurin DO, 14. DEZ. | 18.15 UHR


01 Editorial

Im Bann der Liste Was sind deine Lieblingsfilme? Mit dieser Frage sehen wir uns immer wieder konfrontiert, nicht nur im beruflichen Kontext, sondern oft auch im Kreis der Familie oder spätnachts in einer Bar. Ganz offiziell stellt diese Frage alle zehn Jahre die Filmzeitschrift «Sight & Sound», und die dabei gewählten 250 besten Filme aller Zeiten gelten als eine Art semioffizieller Kanon der Filmgeschichte. Die letztjährige Umfrage war ein Ereignis, das weit über den Film hinaus besprochen worden ist. Kontroverse Diskussionen folgten. Ist Jeanne Dielman als neue Nummer 1 nur dem Zeitgeist geschuldet? Oder ganz grundsätzlich: Verfestigt eine solche Liste nicht nur das Bestehende und repro­ duziert einmal mehr das, was sowieso schon bekannt ist? Die grosse Aufmerksamkeit war nicht nur der neuen Nummer 1 geschul­ det, sondern sie entspricht auch einem Wunsch nach Einordnung und Kontex­ tualisierung. Denn die schiere Masse an verfügbaren Filmen stellt eine Heraus­ forderung dar. Allzu oft konzentriert man sich auf das, was bekannt ist – was sich auch in ästhetischer Sicht niederschlägt. Insofern ist die «Sight & Sound»Liste eine willkommene Gelegenheit, sich mit der Frage zu beschäftigen, was genau das Medium Film auszeichnet. Die Ergebnisse von «Sight & Sound» dürfen nicht als endgültig be­ trachtet werden. Wie die Filmwissenschaftlerin Elena Gorfinkel in ihrem Anti-Listen-Manifest schrieb: «Eine Liste schreibt keine neue Filmgeschichte.» Sie kann jedoch eine Grundlage bieten, aufgrund derer man sich austauschen und streiten darf. Das ist eine der zentralen Aufgaben des Filmpodiums, und die rege Beteiligung an unserer Umfrage zeugt von der Lust unseres Publikums, dieses Angebot anzunehmen. Die Filme der amerikanischen Autorin, Regisseurin, Schauspielerin und Ikone des feministischen Kinos Elaine May tauchen für gewöhnlich auf k ­ einen Listen auf. Über Jahre wurde ihr Werk ignoriert, dabei kann sie als eine der ganz wenigen Frauen auf eine Karriere innerhalb des Studiosystems zurück­ blicken. Mit der ihr gewidmeten Werkschau geht das Filmpodium seinem zweiten zentralen Auftrag nach: neue Schneisen quer durch die Filmgeschichte zu schlagen. Paradoxerweise mag uns auch hier eine Liste helfen: Jede Film­ liste verhilft nicht nur den genannten Titeln zu Aufmerksamkeit, sondern wirft auch ein Schlaglicht auf das, was fehlt. Als Reaktion auf die Omnipräsenz unterschiedlichster Listen, wie sie uns tagtäglich im Internet und bei der Arbeit begegnen, könnte man allerdings auch zu ganz anderen Schlussfolgerungen kommen. Um noch einmal Elena Gorfinkel zu zitieren: «Burn the list to free your ass.» Hannes Brühwiler Titelbild: In the Mood for Love von Wong ­Kar-wai


02 INHALT

Sight & Sound's Greatest Films: 4 Die Filmpodium-Edition

Elaine May: Seriously Funny

Unser Publikum hat gewählt! Die 100 besten Filme aller Zeiten, die die bri­ tische Filmzeitschrift «Sight & Sound» Ende 2022 präsentierte, haben wir als Basis genommen und unsere Zuschauer:innen gebeten, aus dieser Liste ihre Lieblingsfilme auszuwählen. Nun liegt das Ergebnis vor. Auf dem ersten Platz: mit je 86 Stimmen Die sieben Samurai von Akira ­Kurosawa und Once Upon a Time in the West von Sergio Leone. Chantal Akermans Jeanne Dielman hat es im Film­podium nur auf Platz 49 ­geschafft. Wir zeigen die Nummer 1 der «Sight & Sound»Liste natürlich trotzdem. Ein idealer Ausgangspunkt, um über den Film­ kanon, Jurys, Vibes und L ­ istomonia nachzudenken.

Elaine May schrieb und inszenierte einige der schönsten wie abgrün­ ­ digsten amerikanischen Komödien der 1970er- und 80er-Jahre. Ihre vier eigenen Filme drehte sie zwischen 1971 und 1987, als Autorin war sie an zahlreichen weiteren Drehbüchern beteiligt. Im Zentrum ihrer Arbeit ­stehen Regelverstösse, die Demontage von Rollenklischees – und Männer, die meinen, etwas Besseres verdient zu haben. Wir feiern dieses ausser­ ordentliche Werk und zeigen ihre vier eigenen Filme sowie eine Auswahl ­ihrer Drehbucharbeiten. Wir freuen uns, dass wir ihre wichtigsten Werke auf seltenen 35-mm-Kopien präsen­ tieren können.

Bild: Jeanne Dielman, 23, quai du ­Commerce, 1080 Bruxelles

Bild: The Birdcage

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Das böse Kind

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Böse Kinder sorgen für eine ganz be­ sondere Art des Grauens im Horror­ film: Was tun, wenn das grösste Glücksversprechen, der vermeintliche Inbegriff von Unschuld zur Bedro­ hung wird? Das Museum Strauhof stellt das Enfant terrible ins Zentrum seiner Ausstellung und lädt mit dem Filmpodium zur Begegnung mit der Saat des Bösen. Bild: Lord of the Flies

Filmpodium Premiere: Bis ans Ende der Nacht

Filmpodium für Kinder: Arthur Weihnachtsmann

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Um einen Lieferfehler zu beheben und Weihnachten zu retten, begibt sich Arthur, der schusselige jüngste Sohn des Weihnachtsmannes, auf einen wag­halsigen Schlittentrip. Ein tempo­ reicher und höchst vergnüglicher Spass für die ganze Familie! Bild: Arthur Weihnachtsmann

Einzelvorstellungen 36

Robert ist verdeckter Ermittler. Über die fingierte Beziehung mit Transfrau Leni soll er das Vertrauen eines Drogen­ händlers gewinnen. Doch auch wahre Liebe ist im Spiel in diesem echten Täuschungsmanöver von Film. Kluges Genrekino, anlässlich der Schweizer Kinopremiere von Regisseur Christoph Hochhäusler persönlich vorgestellt.

Film und Diskussion 32 zur Missbrauchsstudie in der ­katholischen ­Kirche: Les Oubliés de la Belle Étoile Farocki-Forum: Übertragung #4 33 Chung Kuo – Cina Filmpodium Classics: 37 Profundo carmesí – Director's Cut Sélection Lumière: 38 The Match Factory Girl Re:Vision: 17 Modern Times


→ Die sieben Samurai.

→ Once Upon a Time in the West.

© Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion GmbH © belongs to RDB Entertainments

→ Jeanne Dielman, 23, quai du ­Commerce, 1080 Bruxelles.


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Sight & Sound’s Greatest Films: Die Filmpodium-Edition Im Dezember 2022 erschien zum achten Mal die mit Spannung erwartete «Sight & Sound»-Liste mit den besten Filmen aller Zeiten. Von Platz 36 direkt auf Platz 1 katapultiert: Jeanne Dielman, 23, quai du Commerce, 1080 Bruxelles (1975) von Chantal Akerman. Die Reaktion auf dieses Ergebnis liess nicht lange auf sich warten, es wurde über Monate ­kontrovers diskutiert. Was aber bedeutet die Wahl dieses Filmes? Wir haben die Journalistin Hannah Pilarczyk eingeladen, darüber nach­ zudenken. 1. Auf den ersten Blick haben Jeanne Dielman, 23, quai du Commerce, 1080 Bruxelles und klobige Turnschuhe, sogenannte Ugly Sneakers, nichts gemein­ sam. Auf den zweiten auch nicht. Aber vielleicht auf den dritten oder den vierten – in jedem Fall dann, wenn der Blick durch die Gegend streift und nicht nur eine einzelne Sache, sondern auch ihr Umfeld registriert. Dann f­ allen einem neben Ugly Sneakers vielleicht noch die weiten Jeans und rasierten Schläfen auf, wie sie gerade von vielen Jüngeren getragen werden, und dass die Träger:innen einen Hang zur Social-Media-App TikTok und zur Netflix­ serie Sex Education haben. Gemeinsam fügen sich diese Beobachtungen zu ­etwas, das weniger als eine Ära ist, aber mehr als eine Mode – sie ergeben eine ästhetische Konstellation oder wie es seit einiger Zeit im englischsprachigen Raum genannt wird: einen Vibe. 2. Vibe meint wörtlich Stimmung oder Atmosphäre, aber auch Schwingung: etwas, das Menschen, Räume und Dinge durchdringt und sie sanft in Bewegung ­versetzt. Die Verwendung des Begriffs in dieser Lesart geht auf den US-ameri­ kanischen Trendanalysten Sean Monahan zurück, der ihn Anfang 2022 in ­seinem Newsletter 8Ball verwendete und im Anschluss vom einflussreichen Stadtmagazin «New York Magazine» aufgegriffen und popularisiert wurde. Monahan prognostizierte, dass mit Ende der Pandemie ein «vibe shift» bevor­ stehen werde, ein Wandel in den bisherigen Einstellungen zu Mode, Medien, Popmusik und sogar Politik. Rockmusik werde einen Aufschwung erleben und die App Discord die Diskussionsplattform der Stunde sein; Marken wie Diesel würden wieder gefragt sein, während die Skepsis gegenüber traditio­ nellen politischen Prozessen weiter steigen werde.


06 Als Trendanalyst verdient Monahan sein Geld damit, griffige Schlagworte zu entwickeln und Markennahmen mit ihnen in Verbindung zu bringen. Trotz­ dem spricht vieles für seinen Vibe-Ansatz. In Zeiten absoluter Quantifizier­ barkeit, in der Vorlieben weltweit durch Klicks, Verkaufszahlen und digitale Interaktionen messbar zu sein scheinen, täuscht die Verfügbarkeit von Zahlen nämlich darüber hinweg, wie viel diese wirklich aussagen, wenn sie isoliert betrachtet werden. Die Klickzahlen von Bad Bunny, dem meistgespielten Künstler auf Spotify 2022, sagen eben noch nichts darüber aus, warum sich 2022 anders anfühlt als 2017, als Ed Sheeran am beliebtesten war. 3. Und nun kommt endlich Jeanne Dielman, 23, quai du Commerce, 1080 Bruxelles ins Spiel – beziehungsweise die Umfrage des britischen Filmmagazins «Sight & Sound», in der der Film vergangenes Jahr zum besten aller Zeiten gewählt worden ist. Als der Poll am 1. Dezember 2022, wie gewohnt im Zehn-JahresRhythmus, veröffentlicht wurde, stiess er auf heftige Reaktionen. Dass mit Chantal Akerman nicht nur zum ersten Mal in der 70-jährigen Geschichte eine Frau die Umfrage anführte, sondern dies auch noch mit einem dreistün­ digen feministischen Anti-Epos tat, begeisterte einige und erzürnte andere. 50 Jahre lang hatte Orson Welles’ Citizen Kane in der Umfrage vorn gelegen, erst 2012 war er von Alfred Hitchcocks Vertigo abgelöst worden. Als j­ emand, der an der aktuellen Umfrage teilnehmen durfte, kann ich sagen, dass bereits bei der Abstimmung spürbar war, dass 2022 nochmals andere Ergebnisse bringen würde. Nicht, weil die verfügbaren Zahlen Derartiges nahegelegt hätten (in den globalen Kinocharts der vergangenen zehn Jahre ist mit ­Wonder Woman von Patty Jenkins unter hundert Filmen ein einziger ver­ treten, bei dem eine Frau allein Regie geführt hat), sondern weil es andere, «weiche» Indikatoren dafür gab, dass die Einstellungen in Bezug auf die ­besten Filme aller Zeiten im Wandel begriffen waren – eben dass sich der Vibe änderte. Die Diskussionen 2012 um den Wettbewerb von Cannes, in den keine einzige Regisseurin eingeladen war, gehörten dazu, der Durch­ bruch von #MeToo 2017, die Auszeichnung von Parasite als bester Film des Jahres 2020 bei den Oscars als erst zweiter nicht englischsprachiger Film, die Goldene Palme 2021 für Julia Ducournau als erste Frau, die den Preis nicht teilen muss. Zusammen wirken die Entwicklungen auf die Abstimmungsergebnisse des «Sight & Sound»-Polls ein. Sie stehen für ein gewachsenes Bewusstsein dafür, wie sehr die Filme von Frauen, aber auch von Filmschaffenden aus nicht westlichen Kulturräumen marginalisiert worden sind. Die Zahl der Filme aus Afrika etwa stieg im Vergleich von 2012 zu 2022 von eins auf ­sieben. Wie bei der Oscar-Academy, die die Zahl ihrer Stimmberechtigten


07 vervielfacht hat, macht sich auch beim «Sight & Sound»-Poll bemerkbar, dass seine Basis verdoppelt und diversifiziert wurde. Die 2022er-Liste belegt zudem die wachsende Überzeugung, dass man Filmgeschichte auch von ihren Rändern her denken kann, von Werken, die nicht so sehr für die Perfektion einer gegebenen Formensprache stehen, son­ dern für deren Öffnung, Ergänzung, womöglich sogar Sprengung. 4. Ästhetische Präferenzen, das macht der Begriff des Vibe deutlich, kommuni­ zieren mit Entwicklungen in anderen Bereichen und ändern sich dadurch. Einem Vibe nachzuspüren, heisst daher auch, Dynamiken zu erfassen. Dann versteht man, warum Ugly Sneakers nur dem Namen nach noch «ugly» sind, ansonsten aber sehr beliebt. Und warum Jeanne Dielman, 23, quai du Commerce, 1080 Bruxelles auf Platz 1 der besten Filme aller Zeiten geklettert ist – weil es auch ein Film aus unserer Zeit für unsere Zeit ist. Hannah Pilarczyk Hannah Pilarczyk arbeitet als Filmkritikerin beim «Spiegel». Ihr Lieblingsfilm, der in keiner Bestenliste auftaucht, ist Man’s Favorite Sport?.

DIE FILMPODIUM-BESTENLISTE Im August 2023 haben wir unser Publikum ­ gebeten, aus den 100 besten Filmen der «Sight & Sound»-Liste ihre Favoriten zu w ­ ählen. 254 Zuschauer:innen haben ab­gestimmt, und wir ­zeigen die 20 meistge­nannten Titel. Jeanne Dielman, 23, quai du Commerce, 1080 Bruxelles hat es zwar nicht in die Top 20 geschafft, wir wollen ihn unseren Zuschauer:innen aber auf ­keinen Fall ­vorenthalten. And the winner is … 1. Die Sieben Samurai (20) 1. Once Upon a Time in the West (100) 3. Citizen Kane (3) 4. Modern Times (82) 5. Vertigo (2) 5. M – Eine Stadt sucht einen Mörder (37) 5. The Third Man (65) 8. Otto e mezzo (33) 8. Some Like It Hot (38) 10. Taxi Driver (29) 11. 2001: A Space Odyssey (6)

12. Ladri di biciclette (41) 12. Céline et Julie vont en bateau (80) 14. Die kleinen Margeriten (28) 15. Casablanca (63) 16. The Piano (51) 17. Rashomon (42) 18. Psycho (32) 18. Rear Window (40) 20. In the Mood for Love (5) Extra: Jeanne Dielman, 23, quai du Commerce, 1080 Bruxelles (1)

Die Nummer in den Klammern bezieht sich auf die Sight & Sound-Platzierung.


→ Citizen Kane.

→ The Third Man.

→ Modern Times.

→ M – Eine Stadt sucht einen Mörder.

© Horst von Harbou – Deutsche Kinemathek

→ Vertigo.


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Sight & Sound

DIE SIEBEN SAMURAI (Shichinin no samurai) Japan 1954

Sieben stellungslose Samurai verdingen sich als Schutztruppe eines Bauerndorfes, das alljährlich von einer Räuberbande heimgesucht wird. Zunächst aus Langeweile und Ruhmsucht, später aus aufrichtiger Solidarität mit den Bauern stellen die Krieger ihre Fähigkeiten in den Dienst der Unterdrückten und opfern sich für eine ihnen fremde Sache. Kurosawas Film «gehört zu jenen epochalen Werken des Kinos, die ganze Generationen von Filmschaffenden geprägt haben und das Publikum auch nach fünfzig Jahren noch zu begeistern vermögen. (...) Kurosawa hat ein Epos gedreht, in dem ein paar Davide sich gegen eine vermeintliche Übermacht zur Wehr setzen, mit Cleverness und List. Er hat Szenen mit mehreren Kameras gleichzeitig gefilmt und damit über die Montage die Dramatik erhöhen können. Das war damals ein genialer Einfall, heute ist es gang und gäbe. Über 30’000 Mitwirkende arbeiteten auf dem Set, mehr als ein Jahr lang wurde gedreht. Es gäbe eine Reihe von Superlativen, die im Zusammenhang mit diesem Film genannt werden könnten, aber letztlich sind sie nebensächlich, denn eines ist klar: Hinter allem stand einer der grössten Meister der Filmkunst.» (Walter Ruggle, www.trigon-film.ch) 207 Min / sw / 35 mm / Jap/d/f // REGIE Akira ­Kurosawa // DREHBUCH Akira Kurosawa, Shinobu Hashimoto, Hideo Oguni // KAMERA Asakazu Nakai // MUSIK Fumio Hayasaka // SCHNITT Akira Kurosawa // MIT Takashi Shimura (Kambei Shimada), Toshiro Mifune (Kikuchiyo), Yoshio Inaba (Gorobei), Seiji Miyaguchi (Kyuzo), Minoru Chiaki (Heihachi).

ONCE UPON A TIME IN THE WEST (C‘era una volta il West) Italien/USA 1968

«Ein namenloser Mundharmonikaspieler greift in die Auseinandersetzung zwischen dem skrupellosen Chef einer Eisenbahngesellschaft und einer irischen Einwandererfamilie ein und rächt sich für den lange zurückliegenden Mord an seinem Bruder. Sergio Leones barocke Pferdeoper ist Résumé, Höhepunkt und Apotheose des Italo­ ­ westerns, wobei klassische Genrevorbilder einer eigenwilligen Neuinterpretation unterzogen werden. Der Stil des Films ‹vermittelt befreiende Arroganz und wehmütige Erinnerung zugleich› (G. Seesslen), huldigt den Mythen der amerikanischen Geschichte und treibt sie zur pessimistischen, oft zynischen Auflösung. In Dramaturgie,

Montage, Ausstattung und musikalischer Untermalung ein Musterbeispiel perfekter Kinounterhaltung auf hohem gestalterischen Niveau.» ­(Lexikon des int. Films) 165 Min / Farbe / 35 mm / E/d/f // REGIE Sergio Leone // DREHBUCH Sergio Leone, Sergio Donati, Mickey Knox, nach der Story von Dario Argento, Bernardo Bertolucci, Sergio ­Leone // KAMERA Tonino Delli Colli // MUSIK Ennio Morricone // SCHNITT Nino Baragli // MIT Claudia Cardinale (Jill ­McBain), Henry Fonda (Frank), Charles Bronson (Harmonica), Jason Robards (Cheyenne), Gabriele Ferzetti (Morton).

 SA, 18. NOV. | 20.15 UHR

Die Filmpodium-Edition der «Sight & Sound»-Liste: Eine Einordnung

CITIZEN KANE USA 1941

Der Reporter Thompson muss herausfinden, was hinter dem rätselhaften Wort «Rosebud» steckt. Es handelt sich dabei um das letzte Wort, das der Zeitungstycoon Charles Kane kurz vor seinem Tod über seine Lippen brachte. Thompsons Recherchen ergeben ein komplexes Persönlichkeitsbild. Mit 24 Jahren war Orson Welles durch seine Hörspiel- und Theaterarbeiten bereits berühmt. Citizen Kane, seinen Debütfilm als Autor, Regisseur und Hauptdarsteller, konnte er frei gestalten. Wegen des massiven Widerstands der HearstPresse und gezielt beeinflusster Studiochefs konnte der Film jedoch nur unter grossen Schwierigkeiten lanciert werden und spielte zunächst nicht einmal seine Kosten ein. Heute gilt er als einer der grössten jugendlichen Geniestreiche ­ der Filmgeschichte und hat von 1962 bis 2002 als bester Film überhaupt die «Sight & Sound»-Liste angeführt. 2012 wurde er von Vertigo auf den zweiten Platz verwiesen. 119 Min / sw / 35 mm / E/d // REGIE Orson Welles // DREHBUCH O ­ rson Welles, Herman J. Mankiewicz // KAMERA Gregg ­Toland // MUSIK Bernard Herrmann // SCHNITT Robert Wise // MIT Orson Welles (Charles Foster Kane), Joseph Cotten ­(Jed Leland), Everett Sloane (Bernstein), Dorothy Comingore ­(Susan Alexander), Ray Collins («Big Jim» Gettys). Kopie aus der Sammlung des Österreichischen Filmmuseums

MODERN TIMES USA 1936

Vergeblich versucht der Tramp, die unzähligen Schrauben anzuziehen, die auf dem Fliessband im schnellen Tempo an ihm vorbeiziehen. Wiederholt fällt er aus dem Takt und bringt damit die


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Sight & Sound scheinbar perfekt funktionierende Maschinerie zum Erliegen. In der nächsten Episode dient er als Testperson: Ein neues Gerät soll die Mittagspause einsparen und schaufelt dafür in hoher K ­ adenz heisse Suppe und Mais in den Mund des wehrlosen Arbeiters. Der Mensch verkommt in diesem Film zum hilflosen Rädchen in einem übermächtigen Getriebe. Bei seinem letzten Auftritt als Tramp kämpft Charles Chaplin mit dem für seine Figur typischen Slapstick gegen die Tücken der modernen Zeit. Fünf Jahre Planung und Drehzeit steckte er in seine kritische Satire über die Industrialisierung und schuf gleichzeitig den (beinahe) stillen ­Abschied einer der populärsten Figuren der Filmgeschichte. 87 Min / sw / DCP / Stummfilm m. Musik, eng. Zw‘titel // DREHBUCH, REGIE, SCHNITT Charles Chaplin // ­KAMERA ­Roland ­Totheroh, Ira H. Morgan // MUSIK Charles Chaplin // MIT Charles Chaplin (Fabrikarbeiter), Paulette Goddard (Strassenmädchen), Henry Bergman (Café­besitzer), Allan Garcia (Fabrikbesitzer), Chester Conklin (­ Mechaniker).

VERTIGO

M – EINE STADT SUCHT EINEN MÖRDER Deutschland 1931

Ein Kindermörder beunruhigt die Bevölkerung, narrt die Polizei und versetzt auch die Unterwelt in Aufregung – denn die ständigen Razzien und Kontrollen halten die Kriminellen von ihrer Arbeit ab. «M beruht zum Teil auf einer damals gerade aktuellen Serie von Massen- und Kindermorden, benutzt das grausame Thema jedoch weniger zur Spannungsmache als zu einer bitter ironischen Darstellung sozialer Verhältnisse. (...) Die effiziente Organisation der Unterwelt sowie ihr Erfolg bei der Aufspürung des Mörders verdeutlichen die Inkompetenz der Polizei. Der grimmige Humor dieser Kontraste macht M zu einem überraschenderweise oft komischen Film. (...) Den Ton setzte Lang bei seinem ersten Versuch in diesem ­Medium mit grösserer Virtuosität ein als die meis­ ten nach ihm: Musik und Stimmen bilden einen Teil der suggestiven Kraft des Films.» (Buchers Enzyklopädie des Films) 110 Min / sw / 35 mm / D // REGIE Fritz Lang // DREHBUCH

USA 1958

Thea von Harbou, Fritz Lang // KAMERA Fritz Arno Wagner //

Der Polizeibeamte Scottie leidet unter Höhenangst und muss den Dienst quittieren. Er wird von einem früheren Freund engagiert, um dessen suizidgefährdete Frau Madeleine zu beschatten. Scottie verliebt sich in die geheimnisvolle blonde Schönheit. Als sie aber in einem Glockenturm nach oben flüchtet, muss er – von seiner Höhenangst wie gelähmt – zusehen, wie sie sich zu Tode stürzt. Er verfällt in tiefe Melancholie. Da begegnet ihm eines Tages auf der Strasse eine Frau, die Madeleine gleicht. «Vertigo ist unendlich oft imitiert, bearbeitet und zitiert worden. Technische Tricks – der Zoom bei gleichzeitig sich entfernender Kamera, der Stewarts Schwindelanfall vermittelt – gingen ins allgemeine Repertoire ein. Alles in allem ist ­Vertigo ein grandioser, verstörender, eisig-­ romantischer Film mit stahlgrauen TechnicolorBildern, sinnträchtigen Momenten, surrealistischen Gross­aufnahmen und einer drängenden, eindringlichen Musik von Bernard Herrmann.» (Kim Newman, in: 1001 Filme, Ed. Olms 2012)

Gustaf Gründgens (Schränker), Inge Landgut (Elsie), Ellen

129 Min / Farbe / DCP / E/d // REGIE Alfred Hitchcock // DREHBUCH Alec Coppel, Samuel A. Taylor, nach dem Roman «D‘entre les morts» von Pierre Boileau, Thomas Narcejac // KAMERA Robert Burks // MUSIK Bernard Herrmann // SCHNITT George Tomasini // MIT James Stewart (John «Scottie» Ferguson), Kim Novak (Madeleine Elster/Judy Barton), Barbara Bel Geddes (Midge Wood), Tom Helmore (Gavin Elster), Henry Jones (Untersuchungsrichter).

SCHNITT Paul Falkenberg // MIT Peter Lorre (Hans Beckert), Widmann (Frau Beckmann), Paul Kemp ­ (Taschendieb), ­Friedrich Gnass (Einbrecher).

THE THIRD MAN GB 1949

Nach dem Zweiten Weltkrieg reist der amerikanische Autor Holly Martins ins zerbombte, besetzte Wien, um seinen alten Freund Harry Lime zu besuchen – und kommt gerade rechtzeitig zu dessen Begräbnis. Holly zweifelt am vermeintlichen Unfalltod seines Freundes und beginnt mit eigenen Nachforschungen, Harrys Geliebte Anna hilft ihm dabei. «Man kann nicht über The Third Man sprechen, ohne den unglaublichen Beitrag des Kameramannes Robert Krasker zu würdigen. (...) Durch die expressionistische, verkantete Bildgestaltung lässt er das aussergewöhnliche Gefühl einer Welt entstehen, die auseinandergerissen wurde (...). Das Zither-Thema wurde weltberühmt (...), es ist wie eine eigene Figur und spiegelt den Wahnsinn und die Verzweiflung dieser zerrissenen Welt wider (...). Hat der Film meine Karriere beeinflusst? Als ich ihn sah, war ich bereit zu verstehen, was man mit der Kamera machen kann. Die Themen des Films gaben mir ein gutes Gefühl im Umgang (…) mit dem Charme des Bösen.» (Martin Scorsese, The Independent, 23.6.2015)


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Sight & Sound 105 Min / sw / 35 mm / E/d/f // REGIE Carol Reed // DREHBUCH Graham Greene, nach dem Roman von Graham Greene // KAMERA Robert Krasker // MUSIK Anton Karas // SCHNITT Oswald Hafenrichter // MIT Joseph Cotten (Holly Martins), Alida Valli (Anna Schmidt), Orson Welles (Harry Lime), Trevor Howard (Maj. Calloway), Ernst Deutsch (Baron Kurtz).

OTTO E MEZZO

Italien/Frankreich 1963 Regisseur Guido Anselmi steckt sowohl privat als auch künstlerisch in einer Krise. Genervt von Produzent, Ehefrau und Geliebter, sucht er verzweifelt nach Inspiration für seinen neuen Film. Als er seine Kindheit, sein Verhältnis zum weiblichen Geschlecht und zur Kunst und die Missstände in der Filmbranche reflektiert, kommen seine Ängste und verdrängten Komplexe ans Licht. «Fellinis Meisterwerk, die Erfüllung des alten Dichtertraums, das visionäre innere Auge mit dem registrierenden sinnlichen Auge zu versöhnen. Ein Film über die Genesis eines Films und die Geburt eines Werks: Protokoll einer Krise, Bedrückung, Befreiung. Schwerelos und magisch wechseln die Ebenen von Realität und Imagination, ­fluten Gegenwart und Vergangenheit ineinander, Albtraum, Erinnerung und erotische Fantasie. Die Odyssee des Protagonisten (Guido-MarcelloFederico) zu sich selbst ist zugleich der Versuch der Hervorbringung seines Films – beides wird zur Selbstdarstellung Fellinis und zum Autoporträt des labyrinthischen Zustandekommens von Otto e mezzo. Generationen von Filmemachern haben am Gebirge dieses Films kopiert und geplündert, ohne auch nur entfernt seine ­ ­‹coincidentia oppositorum› von Lebensangst und humorvoller Zärtlichkeit zu erreichen.» (Harry Tomicek, Österreichisches Filmmuseum) 138 Min / sw / DCP / I/d // REGIE Federico Fellini // DREHBUCH Federico Fellini, Ennio Flaiano, Tullio Pinelli, Brunello Rondi, nach einer Idee von Federico Fellini, Ennio Flaiano // KAMERA Gianni di Venanzo // MUSIK Nino Rota // SCHNITT Leo Catozzo // MIT Marcello Mastroianni (Guido Anselmi), Claudia Cardinale (Claudia), Anouk Aimée (Luisa, Guidos Frau), Sandra Milo (Carla), Barbara Steele (Gloria Morin).

SOME LIKE IT HOT USA 1959

Billy Wilders jazziger Travestie-Ulk mit Marilyn Monroe, Tony Curtis und Jack Lemmon gilt vielen als beste Filmkomödie überhaupt.Die arbeits­ losen Musiker Joe und Jerry werden als Mord­ zeugen von Gangstern verfolgt und müssen untertauchen. Als Frauen verkleidet schmuggeln sie

sich in eine Damenkapelle, deren Ukulelespielerin Sugar sie zu amourösen Verrenkungen und Ränken sondergleichen inspiriert. «Einer von Wilders berühmtesten und wohl am meisten bewunderten Filmen. (...) Trotz der scheinbar hektischen Spontaneität ist Some Like It Hot sein am brillantesten konstruierter Film. (...) Sicher seine bemerkenswerteste Leistung stellt dar, dass es ihm gelingt, die Travestie als zentrale Idee durchzuhalten und da weiterzu­ entwickeln, wo sie in anderen Händen nur schal und geschmacklos geworden wäre.» (Neil Sinyard/ Adrian Turner: Billy Wilders Filme, Volker Spiess 1980) 120 Min / sw / 35mm / E/d/f // REGIE Billy Wilder // DREHBUCH Billy Wilder, I. A. L. Diamond, nach einer Geschichte von Robert Thoeren, Michael Logan // KAMERA Charles Lang Jr. // MUSIK Adolph Deutsch // SCHNITT Arthur P. Schmidt // MIT Marilyn Monroe (Sugar Kane Kowalczyk), Tony Curtis (Joe/Josephine), Jack Lemmon (Jerry/Daphne), George Raft (Gamaschen-Colombo), Pat O'Brien (Det. Mulligan), Joe E. Brown (Osgood E. Fielding III), Joan Shawlee (Sweet Sue), ­Nehemiah Persoff (Little Bonaparte), Billy Gray (Sig Poliakoff), George E. Stone (Toothpick-Charlie), Beverly Wills (Dolores), Edward G. Robinson Jr. (Johnny Paradise).

TAXI DRIVER USA 1976

«Ein schlafloser, einzelgängerischer VietnamVeteran übernimmt in New York Nachtschichten als Taxifahrer und ist ebenso fasziniert wie ab­ gestossen von der Verruchtheit der nächtlichen Grossstadt. Nachdem sein Werben um eine kühle blonde Wahlkampfhelferin am Klassen­ unterschied gescheitert ist, steigert er sich in den Wahn, etwas gegen den allgegenwärtigen Schmutz unternehmen zu müssen. Er rüstet sich für einen blutigen Kreuzzug. Scorseses endgültiger Durchbruch zur Autorschaft und ein Schlüsselfilm des Neuen Hollywood, der das heruntergekommene New York der siebziger Jahre und die amerikanische Befindlichkeit nach Vietnam in Bilder und Töne von hypnotischer, zeitloser Intensität fasste. In Michael Chapmans Zeitlupenaufnahmen zu Bernard Herrmanns unterkühltem Jazzscore erscheinen die dampfenden U-Bahn-Schächte, die regennassen Strassen und das pulsierende Treiben um den Times Square traumhaft entrückt; in De Niros Spiel findet sich noch jene magische Mischung von Bubenhaftigkeit und Melancholie, die später zunehmender Härte weichen wird. Alles unterstreicht die Isolation und die verschobene Wahrnehmung dieses Antihelden.» (Andreas Furler, Filmpodium, Mai/Juni 2009)


→ Otto e mezzo.

→ Some Like It Hot.

→ Céline et Julie vont en bateau.

→ 2001: A Space Odyssey.

→ Taxi Driver.

© 1959 Metro-Goldwyn-Mayer Studios Inc. All Rights Reserved

→ Ladri di biciclette.


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Sight & Sound 113 Min / Farbe / DCP / E/d // REGIE Martin Scorsese // DREHBUCH Paul Schrader // KAMERA Michael Chapman // MUSIK Bernard Herrmann // SCHNITT Tom Rolf, Melvin ­Shapiro, Marcia Lucas // MIT Robert De Niro (Travis Bickle), Cybill Shepherd (Betsy), Jodie Foster (Iris Steensma), Peter Boyle (Wizard), Harvey Keitel («Sport» Matthew), Albert Brooks (Tom), Leonard Harris (Charles Palantine).

2001: A SPACE ODYSSEY GB/USA 1968

«Ein geheimnisvoller schwarzer Monolith, der offenbar von Ausserirdischen stammt, beeinflusst in grauer Vorzeit die Entstehung von Intel­ ligenz und den ‹Aufbruch der Menschheit›. Jahrtausende später wird der gleiche Monolith von Wissenschaftlern auf dem Mond entdeckt. Er lockt ein Forschungsraumschiff in Richtung Jupiter. Die Mission endet nach der Machtergreifung des Bordcomputers mit einer Katastrophe; der einzig überlebende Astronaut begegnet nach einem Vorstoss in neue Dimensionen der ausserirdischen Macht und erfährt eine kosmische Wiedergeburt. Kubricks fantastisches Kinoabenteuer vereint technische Utopie und kulturphilosophische Spekulation zu einer Weltraumoper von über­ ­ wä­ltigendem Ausmass. Der kühne gedankliche Entwurf des Films – eine Entwicklungsgeschichte der Menschheit voller Skepsis und bitterer Ironie – wurde 1968 mit nicht minder kühnen optischen Effekten und einer revolutionären Tricktechnik realisiert, die das Genre des Science-FictionFilms in den folgenden Jahren entscheidend prägten.» (Lexikon des int. Films) 149 Min / Farbe / DCP / E/d // REGIE Stanley Kubrick // DREHBUCH Stanley Kubrick, Arthur C. Clarke, nach einer Erzählung von Arthur C. Clarke // KAMERA Geoffrey Unsworth, John Alcott // MUSIK Aram Khatschaturian, György Ligeti, Richard Strauss, Johann Strauss // SCHNITT Ray Lovejoy // MIT Keir Dullea (David Bowman), Gary Lockwood (Frank Poole), William Sylvester (Dr. Heywood Floyd), Leonard ­ Rossiter (Smyslov), Douglas Rain (Stimme HAL 9000).

CÉLINE ET JULIE VONT EN BATEAU Frankreich 1974

«Dieser Film gilt als einer der Leitfilme der 70erJahre. Zwei junge Frauen sehnen sich nach einem Ereignis, das ihr eintöniges Dasein verändert. Céline: eine Art weisses Kaninchen, eine magische Gestalt, eigentlich eine Taschenspielerin, eine Fantastin, die ihre Einsamkeit durch träumerische Extravaganzen erträglich zu machen weiss. Julie arbeitet in der Stadtbibliothek, liebt Bücher und ist ständig hin- und hergerissen

zwischen den Fiktionen ihrer Lektüre und den Prophezeiungen der astrologischen Werke, die ihre Wohnung füllen. Als die beiden sich kennenlernen, löst dies einen Wirbel aus, in dem Reales und Fiktives durcheinandergeraten. (…) Wie oft bei Rivette, wimmelt der Film von versteckten ­Zitaten und Insiderscherzen, darunter am auf­ fälligsten einige Hinweise auf «Alice in Wonderland». Ein verwirrendes Märchenpuzzle, in dem sich die reizvoll eingefangene Pariser Stadt­ landschaft mit der Theatralik spätbürgerlicher Gefühlskultur zu einem Traumspiel von naiver Heiterkeit und verspielter Poesie verbindet.» ­(Viennale, 2002) 193 Min / Farbe / DCP / F/e // REGIE Jacques Rivette // DREHBUCH Juliet Berto, Dominique Labourier, Bulle Ogier, MarieFrance Pisier, Jacques Rivette, Eduardo de Gregorio, frei nach dem Roman «The Other House» von Henry James // KAMERA Jacques Renard // MUSIK Jean-Marie Sénia // SCHNITT ­Nicole Lubtchansky // MIT Juliet Berto (Céline), Dominique Labourier (Julie), Bulle Ogier (Camille), Marie-France Pisier (Sophie), Barbet Schroeder (Olivier), Nathalie Asnar (Madlyn), Marie-Thérèse Saussure (Poupie).

LADRI DI BICICLETTE Italien 1948

Rom, unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg: Der arbeitslose Antonio Ricci findet endlich einen Job als Plakatkleber. Kaum hat er die ersten ­Plakate geklebt, wird das für den Broterwerb unerlässliche Fahrrad gestohlen. Verzweifelt zieht Ricci gemeinsam mit seinem Sohn Bruno durch Rom, um sein Fahrrad zu finden. «De Sica schuf nicht nur einen Klassiker des Neorealismus, sondern einen der schönsten Spielfilme der Welt, bewundert gleichermassen von Orson Welles und Akira Kurosawa, Satyajit Ray und Yilmaz Güney. De Sica filmt seine Fahrraddiebe mit Laien auf den Strassen Roms und ­fokussiert die alltägliche Wirklichkeit in einer so einfachen wie exemplarischen Geschichte. Einem Arbeitslosen wird jenes Fahrrad gestohlen, das die Bedingung für seinen neuen Job ist. Der banale Fall wird zur Existenzbedrohung, die Suche nach dem Fahrrad zur tragisch-modernen Odyssee durch eine Welt ohne Mitleid.» (Harry Tomicek, Österreichisches Filmmuseum, 2/2015) 92 Min / sw / 35 mm / I/d/f // REGIE Vittorio De Sica // DREHBUCH Cesare Zavattini, Oreste Biancoli, Suso Cecchi D‘Amico, nach dem Roman von Luigi Bartolini // KAMERA Carlo ­Montuori // MUSIK Alessandro Cicognini // SCHNITT Eraldo Da Roma // MIT Lamberto Maggiorani (Antonio Ricci), Enzo Staiola (Bruno, sein Sohn), Lianella Carell (Maria Ricci, die Mutter), Gino Saltamerenda (Baiocco).


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Sight & Sound

DIE KLEINEN MARGERITEN (Sedmikrásky) ČSSR 1966

Die beiden Mädchen Marie I und Marie II sitzen gelangweilt in einem Schwimmbad. Wenn sie ihre Arme und Beine bewegen, quietscht es, wenn sie ihre Gedanken entfesseln, erschüttern sie die Werte der Gesellschaft. Sie sind sich einig, dass die Welt verdorben ist, also beschliessen sie, ab jetzt eben auch verdorben zu sein. Sie ersinnen zahlreiche Tricks, um die Gesellschaft hinters Licht zu führen. «Die Tschechoslowakei war in den 1960erJahren die dynamischste Filmkultur Osteuropas. (...) Die innovativste Regisseurin jener Zeit war Věra Chytilová. (...) In Die kleinen Margeriten erzählte sie die Geschichte der Randale der beiden Mädchen als experimentelle Montage mit Ver­ zerrungen und Überlagerungen. Die Behörden hassten den Film, und Chytilová wurde nach der sowjetischen Reinvasion 1968 mit einem sechsjährigen Arbeitsverbot belegt. Auch Jean-Luc ­Godard hasste Die kleinen Margeriten, nannte ihn cartoonhaft und unpolitisch und verstand nicht, wie die Filmemacher des Ostblocks den sozialistischen Realismus zu unterwandern versuchten. Godards eigener wachsender Marxismus mag Chytilová zu ungläubigem Gelächter gereizt ­haben, denn sie nahm sich anstatt irgendeiner politischen Theorie den Surrealismus von Dalí und Buñuel zum Vorbild.» (Mark Cousins: The Story of Film, Pavilion 2020) 76 Min / Farbe / DCP / Tsch/d // REGIE Věra Chytilová // DREHBUCH Věra Chytilová, Pavel Juráček, Ester Krumbachová // KAMERA Jaroslav Kučera // MUSIK Jiří Šlitr, Jiří Šust // SCHNITT Miroslav Hájek // MIT Jitka Cerhová (Marie I), Ivana Karbanová (Marie II), Julius Albert (), Jan Klusák (), Marie Česková (), Jiřina Mysková (), Marcela Březinová ().

CASABLANCA USA 1942

Während des Zweiten Weltkrieges betreibt der ­zynische Amerikaner Rick Blaine eine Bar in Casa­ blanca. Eines Tages tauchen der vor den Nazis ­geflohene Widerstandskämpfer Victor Laszlo und seine Frau Ilsa auf. Verfolgt von Nazi-Major Strasser, hoffen sie, dass Rick ihnen zur Flucht in die USA verhelfen kann. Rick, der früher eine Affäre mit Ilsa hatte, steht vor der Entscheidung, den beiden zu helfen oder seine grosse Liebe zurückzugewinnen. «Casablanca, atmosphärisch ungemein dicht inszeniert und von Arthur Edeson mit weichen Lichteffekten fotografiert, ist voll von roman-

tischem Pathos. (…) Wenn Bogart nachts in seiner Kneipe melancholischen Erinnerungen an die gemeinsame Zeit mit Ilsa in Paris nachhängt, (…) wenn die ungeheuer intensive Spannung in einer Geste der Solidarität und Freundschaft ausläuft (‹Louis, I think this is the beginning of a beautiful friendship›), dann unterwirft sich der Zuschauer lustvoll einem Wechselbad extremer Emotionen, die von Curtiz in einer delikaten Balance zwischen abgründigem Zynismus, pathetischem Trotz und süchtiger Sentimentalität gehalten werden.» (Hans C. Blumenberg) 102 Min / sw / DCP / E/d // REGIE Michael Curtiz // DREHBUCH Howard Koch, Julius J. Epstein, Philip G. Epstein, nach einem Theaterstück von Murray Burnett, Joan Alison // KAMERA Arthur Edeson // MUSIK Max Steiner // SCHNITT Owen Marks // MIT Humphrey Bogart (Richard «Rick» Blaine), Ingrid Bergman (Ilsa Lund), Paul Henreid (Victor Laszlo), Claude Rains (Captain Louis Renault), Conrad Veidt (Major Strasser), Sydney Greenstreet (Signor Ferrari).

THE PIANO

Australien/Neuseeland/Frankreich 1993 Mitte des 19. Jahrhunderts: Für eine arrangierte Ehe reist Ada mit ihrer Tochter nach Neuseeland und muss am Strand ihr geliebtes Klavier zurücklassen. Dessen neuer Besitzer lässt Ada für ­Klavierstunden zu sich kommen und unterbreitet ihr ein Angebot, wie sie sich ihr Instrument Taste für Taste zurückerobern kann. «Nie zuvor habe ich einen Film gesehen, der so einzigartig und eindringlich ist wie The Piano (...). Es ist einer dieser seltenen Filme, in denen es nicht nur um eine Geschichte oder einige Figuren geht, sondern um ein ganzes Universum von Gefühlen – darum, wie Menschen voneinander abgeschottet sein können, einsam und verängstigt, darum, wie Hilfe aus unerwarteten Richtungen kommen kann, und darum, dass man nie etwas erfährt, wenn man nicht fragt.» (Roger Ebert, ­rogerebert.com, 19.11.1993) 120 Min / Farbe / 35 mm / E/d/f // DREHBUCH UND REGIE Jane Campion // KAMERA Stuart Dryburgh // MUSIK Michael Nyman // SCHNITT Veronika Jenet // MIT Holly Hunter (Ada McGrath), Anna Paquin (Flora McGrath), Harvey Keitel (George Baines), Sam Neill (Alisdair Stewart), Kerry Walker (Tante Morag).

RASHOMON Japan 1950

«Rashomon leitet die Reihe der Meisterwerke ein, die Akira Kurosawa auch im Ausland bekannt machten. Der Film zeigt vier Versionen derselben


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Sight & Sound Geschichte: eines Überfalls, den ein Räuber auf einen reisenden Samurai und dessen Frau verübt hat. Die Versionen, von verschiedenen Zeugen vorgetragen, widersprechen einander; die Wahrheit kommt nicht an den Tag, aber die gute Tat eines Holzfällers, der sich eines ausgesetzten Kindes annimmt, gibt am Ende eine Antwort, die die Frage nach der Wahrheit hinfällig werden lässt.» (Ulrich Gregor/Enno Patalas: Geschichte des Films) «Rashomon handelt nicht davon, eine Chronologie dessen zu bestimmen, was im Wald geschehen ist. Es geht nicht um Schuld oder Unschuld. Stattdessen konzentriert er sich auf etwas viel Tiefgründigeres und Nachdenklicheres: die Un­ fähigkeit eines jeden Menschen, die Wahrheit zu kennen, egal wie klar er zu sehen meint. Die Perspektive verfälscht die Realität und macht die absolute Wahrheit unkenntlich. (…) Aber die Unwissenheit bleibt eine Quelle der Faszination, keine der Frustration, und hierin liegt Kurosawas grösster Erfolg.» (James Berardinelli, Reel Views, 1998) 88 Min / sw / 35 mm / Jap/d/f // REGIE Akira Kurosawa // DREHBUCH Akira Kurosawa, Shinobu Hashimoto, nach den Erzählungen «Rashomon» und «Yabu no naka» von Ryunosuke Akutagawa // KAMERA Kazuo Miyagawa // MUSIK Fumio ­Hayasaka // SCHNITT Akira Kurosawa // MIT Toshiro Mifune (Tajomaru, Bandit), Machiko Kyo (Masago, Frau), Masayuki Mori (Takehiro, Samurai), Takashi Shimura (Holzfäller), ­Minoru Chiaki (Mönch), Daisuke Kato (Polizist).

PSYCHO

REAR WINDOW USA 1954

Fotoreporter Jeffrey ist durch einen Beinbruch zu Hause an den Rollstuhl gefesselt und beobachtet gelangweilt die Nachbarn in den gegenüber­ liegenden Wohnungen. Aufgrund seiner Beobachtungen verdächtigt er einen von ihnen, seine Frau ermordet zu haben. Zunächst steckt er mit seiner Mordtheorie nur seine Verlobte Lisa an, seinen Freund Detektive Doyle kann er nicht davon überzeugen – als Lisa jedoch Indizien findet, die den Verdacht bestätigen, entdeckt der Mörder, dass er beobachtet wird. «Hitch am Olymp. Avantgarde als Entertainment. Ein Film über nichts anderes als das Sehen. 112 Minuten lang Bilder über einen Mann, der schaut. Er schaut durchs Fenster hinaus, in den Hof, hinein in andere Fenster, die Rahmen für ­verschiedene Leben sind. Die Fenster gleichen Leinwänden, in denen er verschiedene Filme sieht: Lustspiele, Dramen, Melodramen. Um besser und mehr sehen zu können, bewaffnet er sein Auge mit Fernglas und Teleobjektiv. Er wechselt die Bildgrössen, er fügt Bilder von hier und Bilder von dort zur Montage. Er wird immer besessener, wählt, gestaltet. Er ist zum Filmemacher geworden. Rear Window ist ein Film (…) über den Blick, über das Bild, über die Einbildungskraft, das Sich-Bilder-Machen, das Filmsehen, das Filmmachen, über das Wünschen, über den Film und über das Kino von Sir Alfred Hitchcock.» (Harry Tomicek, Österreich. Filmmuseum Wien, 3/2014)

USA 1960

112 Min / Farbe / 35 mm / E/d/f // REGIE Alfred Hitchcock //

Eine junge Angestellte hat 40’000 Dollar veruntreut und wird auf der Flucht in einem kleinen ­Motel brutal erstochen. Nachforschungen führen auf die Spur des schizophrenen jungen Motel­ besitzers. Ein Meilenstein, der dem Kino der Angst mit einer dramaturgisch hintersinnigen und ästhetisch unerhört einfallsreichen Inszenierung eines freudianisch inspirierten Groschenromans eine neue Dimension erschloss. Hitchcock im ­Gespräch mit François Truffaut: «Worauf es mir ankam, war, durch eine Anordnung von Filmstücken, Fotografie, Ton, lauter technischen Sachen, das Publikum zum Schreien zu bringen.»

Cornell Woolrich // KAMERA Robert Burks // MUSIK Franz

109 Min / sw / DCP / E/d // REGIE Alfred Hitchcock // DREHBUCH Joseph Stefano, nach dem Roman von Robert Bloch // KAMERA John L. Russell // MUSIK Bernard Herrmann // SCHNITT George Tomasini // MIT Anthony Perkins (Norman Bates), Janet Leigh (Marion Crane), Vera Miles (Lila Crane), John Gavin (Sam Loomis), Martin Balsam (Milton Arbogast), John McIntire (Sheriff Al Chambers).

DREHBUCH John Michael Hayes, nach der Erzählung von Waxman // SCHNITT George Tomasini // MIT James Stewart (L. B. «Jeff» Jefferies), Grace Kelly (Lisa Fremont), Wendell Corey (Det. Thomas J. Doyle), Thelma Ritter (Stella), Raymond Burr (Lars Thorwald).

IN THE MOOD FOR LOVE Hongkong/Frankreich 2000

Hongkong, Anfang der 60er-Jahre: Journalist Chow bezieht mit seiner Ehefrau eine neue Wohnung in einem Haus der Shanghai-Community. Er trifft auf Li-zhen, eine wunderschöne, elegante junge Frau, die ebenfalls mit ihrem Mann gerade erst eingezogen ist. Während ihre Ehepartner fast nie zu Hause sind, begegnen Chow und Su sich von nun an fast täglich, und allmählich entstehen aus den zufälligen Begegnungen Zuneigung und tiefe Verbundenheit. Als sie schliesslich herausfinden, dass ihre Ehepartner eine Affäre miteinander ­haben, entwickeln auch sie Gefühle füreinander.


→ Rashomon.

→ Psycho.

→ Rear Window.

→ Casablanca.

→ The Piano.


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Sight & Sound Wong Kar-wais In the Mood for Love ist ein formvollendeter Film über Sehnsucht, Einsamkeit und Vergänglichkeit, der 2000 in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet wurde. 98 Min / Farbe / 35 mm / Kant/d/f // DREHBUCH UND REGIE Wong Kar-wai // KAMERA Christopher Doyle, Pin Bing Lee // MUSIK Michael Galasso, Shigero U ­ mebayashi, Nat King Cole // SCHNITT William Chang // MIT Maggie Cheung (Su ­Li-zhen), Tony Leung (Chow Mo-Wan), R ­ ebecca Pan (Mrs. Suen), Lai Chen (Mr. Ho), Ping-Lam Siu (Ah Ping).

JEANNE DIELMAN, 23 QUAI DU ­COMMERCE,1080 BRUXELLES Belgien 1975

«Dies ist der unheimlich beunruhigende und fesselnde, über dreistündige Bericht über das ­ scheinbar banale Leben einer alleinerziehenden Mutter in langen Echtzeit-Einstellungen, die nach und nach ein schreckliches Geheimnis offenbaren. Mit einer wilden, kalten, anhaltenden Intensität spricht der Film zeitgenössische Themen

und Fragen an: Hausarbeit als Arbeit, Sexarbeit als Arbeit, die Last der Mutterschaft und der Pflege, das Theater der bürgerlichen Ansehnlichkeit, die schreckliche Einsamkeit des häuslichen Lebens und die Marginalisierung von Frauen. (…) Seit der letzten [Sight & Sound-] Umfrage im Jahr 2012 hat sich in der kulturellen Diskussion viel getan. Ein stets gleichbleibender Satz von Ansichten wurde aufgerüttelt, und die Grösse einer modernen Meisterin wurde anerkannt. Aber nicht nur das. Akermans Genie und ihre kompromisslose Vision, zusammen mit ihrem Mitgefühl und ihrer menschlichen Sympathie, drängen bereits seit geraumer Zeit auf die Debatte, und Jeanne Dielman hat sich von einem beunruhigenden Gerücht oder einem Kultfilm zu einem voll­ ­ wertigen Klassiker entwickelt.» (Peter Bradshaw, The ­Guardian) 202 Min / Farbe / DCP / F/d // DREHBUCH UND REGIE­ Chantal ­Akerman // KAMERA Babette Mangolte // SCHNITT Patricia Canino // MIT Delphine Seyrig (die Mutter), Jan ­Decorte ­(Sylvain, ihr Sohn), Henri Storck (1. Kunde), Jacques Doniol-Valcroze (2. Kunde), Yves Bical (3. Kunde).

RE:VISION MODERN TIMES

MI, 13. DEZ. | 18.30 UHR

Genau hinschauen, erneut hinschauen, anders hinschauen eröffnet manchmal u ­ nerwartete ­Perspektiven. In Kooperation mit der Volkshochschule und dem P ­ ublizisten Thomas Binotto lädt das Filmpodium bereits zur dritten Staffel der Vorlesungsserie «Re:vision». Charlie Chaplins Status als Klassiker des Films ist unbestritten. Als Regisseur wird er dennoch ­notorisch unterschätzt. Einen Regie-Oscar hat er nie erhalten. Und selbst sein unvergängliches Meisterwerk Modern Times wird von «Sight and Sound» unter den «Greatest Films of all Time» erst jenseits der 70 gelistet. Wie schön, hat das Filmpodium-Publikum, das richtiggestellt und ihn auf Platz 4 gehievt. Thomas Binotto schaut deshalb beim Klassiker von 1936 besonders genau auf die Bilder. In seiner Re:vision will er wissen, was Chaplin als Bildgestalter ausmacht. Welche Bildausschnitte wählt er? Wie arrangiert er seine Einstellungen? Wo setzt er seine Schnitte? Bei der Volkshochschule (vhszh.ch) konnte der dreiteilige Kurs als Ganzes gebucht werden; beim Filmpodium sind Eintritte zu einzelnen Vorlesungen und/oder Filmvorführungen möglich. Nächstes Datum: 7. Februar. Online sind Tickets zu Film und Vorlesung separat erhältlich, vergünstigte Kombitickets gibt es nur an der Kinokasse. Eine Kooperation von Filmpodium und Volkshochschule Zürich.


→ Elaine May.


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Elaine May: Seriously Funny Elaine May ist eine der einzigen Filmemacherinnen, die auf eine Karriere im Hollywood der 1970er bis 90er zurückblicken kann. Als Regisseurin und Drehbuchautorin von Komödien, die sich durch eine grosse Lust an Regelverstössen und der Demontage von Rollenklischees auszeichnen, kommt ihr innerhalb des amerikanischen Films eine herausragende Stellung zu. Das Filmpodium feiert dieses ausserordentliche Werk und zeigt ihre vier selten zu sehenden Filme sowie eine Auswahl ihrer Drehbucharbeiten.

Das häufigste Gefühl, das die Karriere von Elaine May als Regisseurin in Holly­ wood auslöst – eine Karriere, die bloss vier Filme und eine nicht eindeutig be­ kannte Zahl an Drehbüchern umfasst –, ist die Unschlüssigkeit, ob man jetzt lachen, weinen, sich ärgern oder aber alles gleichzeitig sollte. Es beginnt mit der Tatsache, dass sie seit Ida Lupino die erste Frau war, die in Hollywood ­einen Film drehen durfte. Das war 1971, und der Film hiess A New Leaf. May, die eigentlich gar keine Regieambitionen verspürte, hatte das Drehbuch in Anlehnung an eine Kurzgeschichte verfasst und wollte es an Paramount verkaufen. Da handelte ihr Agent einen Deal aus: Er selber würde produzie­ ren, während sie für ein Gehalt, das einem Viertel des Verkaufspreises ent­ sprach, zusätzlich noch Regie führen würde. Walter Matthau als männlicher Hauptdarsteller war gesetzt, und wenn ihr die Wahl des Studios für die weib­ liche Hauptrolle nicht passen würde, könne sie diese (ohne Honorar­anpassung) auch noch gleich übernehmen. Als das Studio den fertigen Film dann ver­ marktete, konnte es sich für diesen progressiven, ja feministischen Akt auch noch auf die Schulter klopfen. Zuvor wurde es May, deren dreistündige Ver­ sion vom Studio um die Hälfte und zwei Mordszenen gekürzt wurde, vor Ge­ richt nicht gestattet, ihren Namen vom Film zu entfernen. Ein Richter hatte sich die Version des Studios angeschaut und sich prächtig amüsiert. Er gratu­ lierte May zur grossartigen Arbeit und wies ihre Klage ab. Lachen, weinen oder ärgern? Bezüglich der Qualität der überlebenden Fassung von A New Leaf hatte der Richter natürlich recht: A New Leaf ist eine tiefschwarze ro­ mantische Komödie voller unerwarteter Zärtlichkeit, mit einem Happy End, das darin besteht, dass jemand nicht kaltblütig ermordet wird. Mit Sicherheit Mays «nettester» Film, vermag die Tatsache, dass ihre bevorzugte Version verschollen ist, in diesem Fall die Trauer – wenn auch nicht den Ärger – etwas in Grenzen zu halten.


20 Gute Freunde 1932 als Tochter jüdischer Eltern in Philadelphia geboren, tourte May als Kind mit einer jiddischen Theatergruppe durch das Land, brach mit 14 die Highschool ab, heiratete mit 16, bekam mit 17 eine Tochter, liess sich mit 18 wieder scheiden und gab die Tochter in die Obhut der Mutter, studierte dann Schauspiel und trat der legendären Improvisationsgruppe The Compass ­Players in Chicago bei, wo sie auf Mike Nichols traf. Allem Anschein nach Seelenverwandte, feierten die beiden als Comedy-Duo Nichols and May mit ihren immer wieder neu improvisierten Sketches grosse Erfolge am Broad­ way. Nach vier Jahren wurde das Elaine zu langweilig, und das Duo löste sich wieder auf. In Nichols’ zweitem Film The Graduate hat May einen CameoAuftritt, viel später würde sie auch Drehbücher für ihren ehemaligen Bühnen­ partner verfassen. Vorerst schrieb sie aber jenes zu Such Good Friends von Otto Preminger, in dem ihre Markenzeichen – beissender, aber nie böswilliger Humor, beiläufig geäusserte Oneliner, welche die Figuren perfekt charakteri­ sieren, sowie subtil und präzis gezeichnete Figurenverhältnisse – alle bereits vorhanden sind. Dass ihre Drehbucharbeiten schon da nur unter Pseudonym liefen, begründete sie, durchaus schlüssig, mit der fehlenden Kontrolle über das fertige Werk. Ausnahmen machte sie einzig für Heaven Can Wait von Warren Beatty sowie für The Birdcage und Primary Colors von Nichols. «Bei ihm konnte ich fast sicher sein, dass er es nicht vermasseln würde.» May sei das Gegenteil von allen anderen in Hollywood: «Sie kämpft dafür, ihren Namen möglichst aus den Filmen herauszuhalten – und sie will nicht auf die Partys eingeladen werden», so Charles Grodin, der Hauptdarsteller ihres zweiten Filmes. Verachtenswertes Handeln Wenn bei einer Filmografie von bloss vier Filmen natürlich jeder auf eine Weise einzigartig ist (und bei niemandem ist das wahrer als bei Elaine May), sticht The Heartbreak Kid doch besonders heraus: Er basiert nicht auf einem eigenen Drehbuch, die Dreharbeiten verliefen weitgehend unproblematisch, und am Ende war er sogar bei Kritik und Publikum erfolgreich. Letzteres ist insofern erstaunlich, als es sich beim Protagonisten Lenny Cantrow, einem frisch verheirateten Sportartikelverkäufer, der sich in seinen Flitterwochen in eine andere Frau verliebt, um eine der unsympathischsten Hauptfiguren handelt, die einem je im Kino begegnet sind – was im von Antihelden durch­ zogenen New Hollywood nicht gerade wenig bedeutet. Mays grösstes Kunst­ stück ist es dann auch, nicht nur Lenny, sondern sämtlichen Figuren auch in Momenten der grössten Schwäche eine vielleicht nicht warme, aber doch menschliche Sympathie entgegenzubringen. Gekonnt spielt May mit jüdischen und protestantischen Stereotypen, positioniert sich zurückhaltend, aber doch bestimmt gegenüber den verachtenswerten Handlungen der männlichen


21 Figuren – und schafft es während all dem, grossartig zu unterhalten und kon­ struktiv zu irritieren. Männer am Rande des Nervenzusammenbruchs Elaine Mays Genie dafür, mit sparsam erscheinenden Mitteln komplizierte zwischenmenschliche Verhältnisse akribisch herauszuarbeiten, diesen dabei aber immer die letzten Geheimnisse zu lassen, ist nirgends schöner ersichtlich als in ihrem wahrscheinlich besten Film, Mikey and Nicky. Tonal um einiges ernsthafter, blitzt in jeder Interaktion zwischen den beiden Männerfiguren – gespielt von Peter Falk und John Cassavetes – jene menschliche Authentizität durch, die in ­vergleichbaren Filmen oft völlig fehlt. Was hier zwischen den beiden Schauspielern und ihren Körpern passiert, die sich in einer rastlosen paranoiden Nacht zwischen Freundschaft und Verrat scheinbar endlos um­ kreisen, ist das Ergebnis der durchaus manischen Arbeitsweise Mays, die das produzierende Studio einmal mehr an den Rand der Verzweiflung brachte. May liess ihre Schauspieler improvisieren, setzte auf spontane Interaktionen und liess dafür die Kameras oft stundenlang laufen, nachdem die Schauspieler das Set bereits verlassen hatten, da diese ja zurückkommen könnten. Exzen­ trisch? Durchaus. Hätte ein männlicher Regisseur deswegen zehn Jahre keinen Film mehr d ­ rehen können? Das Ende von Mays Regiekarriere ist Stoff von Legenden. «Wenn alle Leute, die Ishtar verachten, diesen gesehen hätten», sagte May einmal, «dann wäre ich jetzt reich.» Es ist wohl kaum nötig zu erwähnen, dass der Film, der kein Meisterwerk ist, seinen unterirdischen Ruf nicht verdient hat – im Gegen­ teil. Mays legendäre Eskapaden auf dem Set – etwa in Bezug auf das Casting eines Kamels oder auf ihr Mikromanaging der Form der Sanddünen im Hinter­ grund – wären bei männlichen Kontrollfreaks wie Kubrick oder von Stroh­ heim längst Teil eines Genienarrativs. Bei der zweiten Frau aber, die in Holly­ wood je einen Film drehen durfte, bestätigten sie alle Vorurteile. Am bemerkenswertesten ist vielleicht, dass der Film selbst, auf der Handlungswie der Metaebene, mit seinen entgegen ihrem Typ gecasteten Stars Warren Beatty und Dustin Hoffman als talentlose Sänger sowie mit seiner scharf-­ ironischen Kritik am amerikanischen Imperialismus dieses Scheitern bereits subversiv vorweggenommen hat. «Sie ist ein solches Comedy-Genie, dass man nie wirklich weiss, wann sie nur scherzt», schrieb die Autorin Ally Acker einmal über Elaine May. Vielleicht weiss das nicht einmal Elaine May selbst. Im Zweifel sollte man also wahrscheinlich einfach lachen. Dominic Schmid Dominic Schmid hat Filmwissenschaften und Japanologie in Zürich und Berlin studiert und arbeitet als freier Filmkritiker, Videothekar und Moderator zwischen Biel und Zürich.


→ A New Leaf.

→ Mikey and Nicky. © Monkey Punch All Rights Reserved. © TMS All Rights Reserved. © 1987 Columbia Pictures Industries, Reserved BasedInc. on All theRights original comic books by Monkey Punch.

→ Ishtar.


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Elaine May

A NEW LEAF USA 1971

Henry Graham hat sein gesamtes Erbe verbraten und benötigt nun dringend Geld. Sein Plan: die reiche Witwe und überaus schusselige Botanikerin Henrietta (gespielt von Elaine May) zu heiraten und sie dann zu ermorden. Doch das Vorhaben ­erweist sich als schwieriger als gedacht. Elaine Mays Debüt als Regisseurin ist ein «vernichtendes feministisches Psychodrama, das im Gewand einer freundlichen schwarzen Komödie daherkommt» (J. Hoberman). Die Regisseurin musste von Beginn an mit zahlreichen Problemen kämpfen: einem widerspenstigen Star, sexistischen Vorurteilen und einem schwierigen Studio­ management. (hb) «Obwohl Elaine May während der Dreharbeiten zu A New Leaf wiederholt mit Paramount aneinandergeriet, ist der Film einfach grossartig. In einer seiner besten darstellerischen Leistungen spielt Walter Matthau einen bankrotten Snob, der eine tollpatschige Erbin und Botanikprofessorin heiraten will, die von May mit hinterhältigem Charme gespielt wird. Paramount hat ihr den Film weggenommen und ihn abgeschwächt (in ihrer Version tötet die Matthau-Figur mehrere ­ Menschen), aber seine Genialität ist geblieben.» (Manohla Dargis, The New York Times, 2.5.2018) 102 Min / Farbe / 35 mm / E // DREHBUCH UND REGIE Elaine May // KAMERA Gayne Rescher // SCHNITT Don Guidice, Fredric Steinkamp, Edward Beyer // MIT Walter Matthau (Henry Graham), Elaine May (Henrietta Lowell), Jack Weston (Andy McPherson), George Rose (Harold), James Coco (Onkel Harry), Doris Roberts (Mrs. Traggert).

THE HEARTBREAK KID USA 1972

Im Gegensatz zu A New Leaf verlief Elaine Mays zweiter Spielfilm, die Auftragsproduktion The Heartbreak Kid, unkompliziert. Der jüdische Sportartikelhändler Lenny Cantrow heiratet Lila Kolodny (gespielt von Elaine Mays Tochter Jeannie Berlin), und voller Vorfreude brechen sie in die Flitterwochen auf. Doch kaum am Strand angekommen, lässt er sie links liegen und flirtet mit ­einer anderen Frau. The Heartbreak Kid ist wahrscheinlich der unbekannteste Film von May, der durchaus als überlegene Antwort auf The Graduate, den Film ihres früheren Broadway-Partners Mike Nichols, gelesen werden kann. Was als K ­ omödie beginnt, entwickelt sich unter der Regie von May in eine präzise Analyse der Charakterzüge ihrer Protagonist:innen. Durchzogen wird dieser Schatz der 1970er-Jahre von diversen Interpreta-

tionen des Carpenters-Songs «Close to You», und mit jedem Mal wird die Botschaft des Songs bit­ terer. Wir zeigen eine überaus selten aufgeführte 35-mm-Archivkopie. (hb) 95 Min / Farbe / 35 mm / E // REGIE Elaine May // DREHBUCH Neil Simon, Jay Friedman // KAMERA Owen Roizman // MUSIK Garry Sherman // SCHNITT John Carter // MIT Charles Grodin (Lenny Cantrow), Cybill Shepherd (Kelly Corcoran), Jeannie Berlin (Lila Kolodny), Audra Lindley (Mrs. Corcoran), Eddie Albert (Mr. Corcoran). This film print is from the collections of the BFI National Archive.

 DI, 21. NOV. | 18.15 UHR ­

Einführung: Hannes Brühwiler

MIKEY AND NICKY USA 1976

Mit Mikey and Nicky drehte Elaine May einen merklich düstereren Film. Der von John Cassavetes ­gespielte Nicky ist ein Gangster, der Geld von seinem Boss gestohlen hat und nun seinen ­ ­Jugendfreund Mikey (Peter Falk) um Hilfe bittet. Gemeinsam suchen sie einen Ausweg, doch ­ ­Nickys erratisches Verhalten verschlimmert die Situation zunehmend. «Mays zentrales Thema ist die Unterwürfigkeit von Frauen und die Dummheit der Männer. Was Mikey and Nicky einzigartig unter den Buddy-Movies macht, ist, dass hier die ­Männerfreundschaft durch die Augen ihrer Opfer gezeigt wird.» (J. Hoberman, The New York Times, 2.7.2019) Das Studio wusste nicht, was es mit ­diesem Meisterwerk anfangen sollte, und warnte das Publikum vorsorglich vor den beiden Prota­ gonisten: «Don’t expect to like them.» (hb) «Mikey und Nicky ist nicht nur ein toller Film, sondern auch ein mindestens ebenso passender Schlusspunkt fürs New Hollywood wie weisse Haie, Sternenkriege und Himmelstore. Weil er sich nicht nur wie ein Schlusspunkt, sondern zugleich wie eine Abrechnung anfühlt. Weil er ausgerechnet jenem Kino den Schleier wegreisst, das sich gern unverschleiert geriert.» (Till Kadritzke, critic.de) 106 Min / Farbe / DCP / E // DREHBUCH UND REGIE Elaine May // KAMERA Bernie Abramson, Lucien Ballard, Victor J. Kemper // MUSIK John Strauss // SCHNITT John Carter, Sheldon Kahn // MIT John Cassavetes (Nicky), Peter Falk ­(Mikey), Ned Beatty (Kinney), Carol Grace (Nellie), William ­Hickey (Sid Fine), Sanford Meisner (Dave Resnick), Joyce Van Patten (Jan).


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Elaine May

ISHTAR USA 1987

Elaine Mays vierte und bisher letzte Regiearbeit Ishtar wird immer noch als ausgesprochener Kassenflop rezipiert, wobei ganz übersehen wird, dass es einer der verrücktesten Hollywoodfilme der 1980er-Jahre ist. Die beiden gänzlich untalentierten Musiker Chuck Clarke und Lyle Rogers – gespielt von Dustin Hoffman und Warren Beatty – singen sich durch die Welt und landen schliesslich in Nordafrika, wo sie Bekanntschaft mit der CIA und den Dummheiten der amerikanischen Aussenpolitik machen. Im Rückblick stellte Elaine May fest: «If all of the people who hate Ishtar had seen it, I would be a rich woman.» (hb) «Mit Chuck Clarke und Lyle Rogers nimmt Elaine May einmal mehr ihr Lieblingsziel aufs Korn: den amerikanischen Mann, der denkt, er hätte es besser verdient. Dass es ihnen an Talent mangelt, ist den Sängern selbst klar; sie wären gern wie Simon & Garfunkel, bringen aber als Clarke & Rogers sogar Senioren zum Buhen. Mit einem Engagement in Marokko soll endlich Erfolg einkehren, aber bei der Durchreise durchs fiktive Ishtar geraten sie in eitler Verblendung ins ­Gehege von Revolutionären, Potentaten und des CIA. Als Kassenflop zur Legende geworden, als Parodie amerikanischer Aussenpolitik absolut zeitlos.» (Barbara Schweizerhof, Viennale, 2022)

Nach mehreren Anläufen gelang es Preminger, Elaine May als Autorin zu gewinnen. Wie üblich wollte May nur in eigenen Projekten im Abspann genannt werden. Als Pseudonym wählte sie ­Esther Dale, den Namen einer Nebendarstellerin, die immer Hausfrauen und Dienstmädchen spielte. (hb) 101 Min / Farbe / DCP / E // REGIE Otto Preminger // DREHBUCH Esther Dale, nach dem Roman von Lois Gould // ­KAMERA Gayne Rescher // MUSIK Thomas Z. Shepard // SCHNITT Moe Howard // MIT Dyan Cannon (Julie Messinger), James Coco (Dr. Timmy Spector), Jennifer O‘Neill (Miranda Graham), Ken Howard (Cal Whiting), Nina Foch (Mrs. Wallman), Laurence Luckinbill (Richard Messinger).

HEAVEN CAN WAIT

(Der Himmel soll warten) USA 1978

Warren Beattys Neuverfilmung des Buches «Here Comes Mr. Jordan» von Harry Segall (und quasi Remake von Ernst Lubitschs Klassiker Heaven Can Wait) ist einer von mehreren Filmen, für die Beatty Elaine May bat, das Drehbuch zu schreiben. Im Zentrum des Films steht der populäre Footballspieler Joe Pendleton, der kurz vor ­seinem Karriereende hofft, die Superbowl-Saison als Stammspieler abzuschliessen. Doch dann stirbt er plötzlich bei einem Unfall. Vor dem ­Himmelstor angekommen, wird festgestellt, dass 107 Min / Farbe / 35 mm / E/d/f // DREHBUCH UND REGIE Joe 50 Jahre zu früh gestorben ist. Er soll also Elaine May // KAMERA Vittorio Storaro // MUSIK Dave Grusin wieder auf die Erde geschickt werden, doch leider // SCHNITT Richard P. Cirincione, William Reynolds, Stephen wurde sein Körper bereits eingeäschert. Als ErA. Rotter // MIT Warren Beatty (Lyle Rogers), Dustin Hoffman satz bietet man ihm dem Körper eines anderen (Chuck Clarke), Isabelle Adjani (Shirra Assel), Charles Grodin Mannes an. (hb) (Jim Harrison), Jack Weston (Marty Freed), Tess Harper «Heaven Can Wait lässt das Publikum Liebe, (Willa), Aharon Ipalé (Emir Yousef). Tod und Schicksal auf eine Weise betrachten, wie es nur wenige Liebesfilme geschafft haben. Der SUCH GOOD FRIENDS Film hat eine charmante Qualität, die zu etwas viel USA 1971 Bewegenderem wird, wenn die Komödienszenen am Ende des Films in etwas übergehen, das uns Julie Messinger ist mit dem erfolgreichen Art-­ tief in unseren Herzen erreicht. Grosse Filme Director Richard verheiratet. Als dieser im Zuge sind oft schwer zu intellektualisieren, und unsere einer banalen Routineoperation in ein Koma fällt, Versuche, dies zu tun, können schnell scheitern. erfährt Julie, dass ihr angeblich so treuer Mann Es ist, als würde man beschreiben, wie sich der zahlreiche Affären hatte. Fassungslos versucht erste Kuss angefühlt hat.» (Garret Mathany, New sie das zu verarbeiten. Otto Premingers schwar- Beverly Cinema) zer und überaus wilder Such Good Friends ist ­zugleich Abrechnung mit den 1970er-Jahren und 101 Min / Farbe / DCP / E/d // REGIE Warren Beatty, Buck ein überraschend berührender Film über die Henry // DREHBUCH Elaine May, Warren Beatty, Harry Segall ­Einsamkeit. «Von Premingers letzten Filmen ist // KAMERA William A. Fraker // MUSIK Dave Grusin // Such Good Friends der beste, und es ist dieses SCHNITT Robert C. Jones, Don Zimmerman // MIT Warren Werk, das ihn die komplexeste Balance zwischen Beatty (Joe Pendleton), Julie Christie (Betty Logan), James seinem fundamentalen Humanismus und dem Mason (Mr. Jordan), Charles Grodin (Tony Abbott), Jack Warden Pessimismus finden lässt, der seine Reaktion auf die (Max Corkle). 1970er-Jahre zu sein scheint.» (Chris Fujiwara, The Life and Work of Otto Preminger)


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Elaine May

REDS

USA 1981 «USA, 1914. Der Journalist John Reed engagiert sich für mehr soziale Gerechtigkeit. Als Augenzeuge der Oktoberrevolution kämpft er in seiner Heimat dafür weiter und gründet die Kommunis­ tische Partei. Schon bald muss er allerdings ernüchtert den Niedergang seiner Ideale erleben. Die Lebensgeschichte des amerikanischen Revolutionärs und Journalisten wurde zu Beattys persönlichem Triumph: zwölf Nominierungen, drei Oscars für dieses Epos, für ihn selbst den Oscar für die Beste Regie.» (Viennale) «Reds wurde im Jahr 1981 veröffentlicht und ist zweifelsfrei einer der besten Filme seiner Zeit. Das Erstaunlichste an dem Film ist vermutlich die Tatsache, dass Beatty ihn überhaupt drehen konnte: Denn Reds stellt die Russische Revolution im selben heroischen Licht dar, wie ein Hollywoodfilm den Independence Day oder die Landung der US-Armee in der Normandie darstellen würde. (…) Und obwohl Reds in der ersten Phase der ­Reagan-Ära, als der Kalte Krieg noch schwelte, in die Kinos kam, war er sowohl bei Kritiker:innen als auch beim Publikum ein Erfolg. Erstaun­ licherweise gefiel der Film sogar Ronald Reagan selbst – allerdings hätte sich der Präsident ein Happy End gewünscht.» (Jim Poe, JacobinMagazin, 2022) 195 Min / Farbe / DCP / E/d // REGIE Warren Beatty // DREHBUCH Warren Beatty, Trevor Griffiths, Elaine May // KAMERA Vittorio Storaro // MUSIK Stephen Sondheim // SCHNITT Dede Allen, Craig McKay // MIT Warren Beatty (John Reed), Diane Keaton (Louise Bryant), Edward Herrmann (Max Eastman), Jerzy ­Kosinski (Grigory Zinovjev), Jack Nicholson (Eugene O‘Neill), Paul Sorvino (Louis Fraina), Maureen Stapleton (Emma ­Goldman), Nicolas Coster (Paul Trullinger), M. Emmet Walsh (Speaker, Liberal Club), Ian Wolfe (Mr. Partlow), Bessie Love (Mrs. Partlow).

TOOTSIE USA 1982

Michael Dorsey ist ein erfolgloser Schauspieler, dem sein Ehrgeiz und sein Perfektionismus ­immer wieder im Weg stehen. Als er von einem Casting-Aufruf für die weibliche Hauptrolle einer Soap hört, entschliesst er sich kurzerhand als ­Dorothy Michaels vorzusprechen. Prompt erhält er die Hauptrolle – und niemand merkt, dass er eigentlich ein Mann ist. «Da es zu dieser Zeit nur wenige Komödien dieser Art gab, wirkt Tootsie immer noch wie die Wiederbelebung einer verlorenen Kunstform, die die Handlung mit hervorragendem Timing

verwirrt und entwirrt. Der Film ist ein faszinierend spezifisches Barometer der frühen 1980erJahre, das zum Nachdenken anregt, wenn es um die Geschlechterrollen und die falschen Annahmen geht, die ein Mann wie Michael machen kann, wenn er vorgibt, eine Frau zu sein.» (Scott Tobias, The Guardian, 17.12.2022) 116 Min / Farbe / DCP / E/d // REGIE Sydney Pollack // ­DREHBUCH Larry Gelbart, Murray Schisgal, Elaine May // KAMERA Owen Roizman // MUSIK Dave Grusin // SCHNITT Fredric Steinkamp, William Steinkamp // MIT Dustin Hoffman (Michael Dorsey/Dorothy), Jessica Lange (Julie), Teri Garr (Sandy), Sydney Pollack (George Fields), Dabney Coleman (Ron), Estelle Getty (Frau in mittleren Jahren), Charles ­Durning (Les), Bill Murray (Jeff), Geena Davis (April).

THE BIRDCAGE USA 1996

«Einfache Ideen erweisen sich mitunter als Goldgruben: Jean Poirets Boulevard-Komödie um einen homosexuellen Vater, dessen Sohn die ­ Tochter eines konservativen Patriarchen heiraten will und daher alles anstellt, um bürgerliches ­Familienglück vorzutäuschen, wurde bereits 1978 erfolgreich verfilmt. Eine Musical-Version er­ober­ ­te den Broadway, und dies nun ist das ameri­ kanische Remake des französischen Films, ins­ zeniert von Mike Nichols, der zugleich einer der bedeutendsten Broadway-Regisseure ist. Tatsächlich ist Nichols das seltene Beispiel einer dem Vorbild überlegenen Neuverfilmung gelungen, ohne den Bezug zur Bühne aus den Augen zu verlieren.» (Daniel Kothenschulte, filmdienst.de) Diese Verfilmung der französischen KultFarce La Cage aux Folles aus dem Jahr 1996 ist genauso skandalös wie der französisch-italienische Film von 1978 und das ursprüngliche Bühnenstück von 1973 – dieses Mal jedoch mit einem ­jüdischen Einschlag. Robin Williams und Nathan Lane in den Hauptrollen spielen ein extra­vagantes Paar aus South Beach, dessen heterosexueller Sohn seine Verlobte und ihre ultrakonservativen Eltern zum Abendessen mitbringt. Williams und Lane verwandeln sich für diesen Anlass in ein glückliches heterosexuelles Paar, wobei sich Lane als Frau verkleidet und und sich selbst als Nichtjude ausgibt. Chaos und Heiterkeit sind vorprogrammiert. Zu der hervorragenden Besetzung gehören auch Gene Hackman, Dianne Wiest und Hank Azaria. (Film Society at Lincoln Center) 118 Min / Farbe / DCP / E/d // REGIE Mike Nichols // DREHBUCH Elaine May, nach einem Theaterstück von Jean Poiret, und dem Film La Cage aux Folles von Eduardo Molinaro // KAMERA Emmanuel Lubezki // MUSIK Jonathan Tunick, Steven Goldstein // SCHNITT Arthur Schmidt // MIT Gene Hackman


→ Tootsie.

→ Reds.

→ Primary Colors.

→ Such Good Friends.

→ The Heartbreak Kid.


Elaine May (Senator Kevin Keeley), Robin Williams (Armand Goldman),

143 Min / Farbe / 35 mm / E/d/f // REGIE Mike Nichols //

Nathan Lane (Albert Goldman), Dianne Wiest (Louise Keeley),

DREHBUCH Elaine May, nach dem anonym erschienenen

Dan Futterman (Val Goldman), Calista Flockhart (Barbara

­Roman von Joe Klein // KAMERA Michael Ballhaus // MUSIK

Keeley), Hank Azaria (Agador), Christine Baranski (Katherine

Ry Cooder // SCHNITT Arthur Schmidt // MIT John Travolta

Archer), Tom McGowan (Harry Radman), Grant Heslov (Foto-

(Gouverneur Jack Stanton), Emma Thompson (Susan Stan­

graf).

ton), Billy Bob Thornton (Richard Jemmons), Kathy Bates ­(Libby Holden), Adrian Lester (Henry Burton), Maura Tierney

PRIMARY COLORS USA 1998

(Daisy Green), Larry Hagman (Gouverneur Fred Picker), Diane Ladd (Mamma Stanton), Paul Guilfoyle (Howard Ferguson).

Orlando, ma biographie politique (2023)

Im Vorwahlkampf um die US-Präsidentschaft erobert der Kandidat Jack Stanton mit seiner leutseligen Art und einer hochmotivierten PR-Mannschaft die Herzen der Wähler. Der Erfolg der Kampagne wird jedoch infrage gestellt durch ­Stantons notorische Schürzenjägerei, die immer fragwürdigere Kaschierungskniffe erfordert. Mike Nichols’ Verfilmung des anonym erschienenen Schlüsselromans über Bill und Hillary Clinton besticht allein schon durch die kongeniale Besetzung des Heldenpaars mit John Travolta als charismatischem Schlitzohr und Emma Thompson als gewitztem Energiebündel. Schillernd auch die pointierten Dialoge (Drehbuch: Elaine May), der kenntnisreiche Blick hinter die Wahlkampfkulissen und die ambivalente Zeichnung des Helden. (Andreas Furler, Filmpodium Aug/Sep 2012)

NOVEMBER 2023 XENIA RETROSPEKTIVE – KINO MACHEN, FEMINISTISCH.

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→ Ich seh Ich seh.

→ ¿Quién puede matar a un niño?.

→ The Bad Seed.

© 1956 WBEI

→ The Exorcist.


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Das böse Kind Unheimliche Kindergeschichten sind Thema der Ausstellung «Enfants Terribles» im Museum Strauhof. Am kompromisslosesten wird das unheimliche Kind aber im Film inszeniert: Der Horrorfilm lotet die ­Zerstörungskraft aus, die dem Kind als Inkarnation des grössten Glücksversprechens innewohnt. Filmpodium und Strauhof laden am ersten Dezember-Wochenende gemeinsam dazu ein, verstörende, dämonische oder radikal böse Kinder des Horrorgenres kennenzu­ lernen. Mit einer Podiumsdiskussion und einem Regiegespräch nähern wir uns dem Schrecken an. Unser Filmprogramm setzt Mitte der 1950er-Jahre ein, einer Zeit, in der sich auf die Zukunft gerichtete Hoffnungen und Ängste im Kind als Kippfigur ver­ dichten. Man verspricht sich von der Nachkriegsordnung Fortschritt, fürch­ tet aber gleichzeitig den Untergang der eigenen Errungenschaften und Werte. Ikonisch für das Kind, das nur lieb und harmlos aussieht, ist der Klassiker The Bad Seed (1956) von Mervyn LeRoy. Aber auch in Lord of the Flies (1963) und ¿Quién puede matar a un niño? (1973) sind die Kinder alles andere als unschuldig. An die Tradition der Teufelskinder aus der Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts knüpft William Friedkins Schocker The Exorcist (1973) an. Das österreichische Regie-Duo Severin Fiala und Veronika Franz präsentiert schliesslich seinen Film Ich seh Ich seh (2014) und erläutert in einem Ge­ spräch, wie böse Kinder inszeniert werden können.

DIE BÖSE SAAT CHRISTINE LÖTSCHER UND JOHANNES BINOTTO IM GESPRÄCH

FR, 1. DEZ. | 19.45 UHR

Böse Kinder sorgen seit The Bad Seed (1965) für eine ganz besondere Art des Grauens im Horrorfilm. Welche kulturellen Konflikte und Ängste werden anhand der kleinen Monster verhandelt? Und was macht ihre Inszenierung so unheimlich und verstörend? Anhand von Filmausschnitten schlagen Christine Lötscher (Co-Kuratorin der Ausstellung) und Johannes Binotto (Filmwissenschaftler) im Gespräch den ­Bogen von The Bad Seed über The Exorcist (1973) und The Omen (1976) bis in die von bösen Kindern geradezu besessene Gegenwart.


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Das böse Kind

THE EXORCIST USA 1973

Die zwölfjährige Regan beginnt sich seltsam zu benehmen: Sie reagiert hyperaktiv, flucht und wird aggressiv, als Ärzte sie untersuchen. Nachts wird das Mädchen in seinem Bett von unsichtbaren Kräften geschüttelt. Da die Mediziner ratlos sind, wendet sich Regans verzweifelte Mutter an einen Priester. Dieser stellt fest, dass das Mädchen von einer dämonischen Macht besessen ist. Nun will er einen Exorzisten beiziehen, der Regan den Teufel austreibt. «Als The Exorcist 1973 in die Kinos kam, ging gerade ein Krieg zu Ende: Vietnam. 1973, das war auch der Anfang vom Ende von Nixons Präsidentschaft durch den Watergate-Skandal. Die USA ­befanden sich im Chaos. (…) Der Film wurde zur Kinosensation. Was heute Gefahr läuft, wie ein eher konventioneller Horrorfilm zu wirken, war dannzumal ein Ereignis (…). Er wurde (…) für zehn Oscars nominiert (er gewann zwei: für den besten Ton und für das beste Drehbuch), obwohl reihenweise Zuschauer vor Ekel und Empörung die Säle verliessen. Viele Zuschauer gingen nicht bei den Horrorszenen – wenn der Teufel mit tiefer Stimme aus Regan herausgrunzt oder sich ihr Kopf um die eigene Achse dreht –, sondern wegen der strapaziösen medizinischen Untersuchungen, denen das Mädchen unterzogen wird (…). Diese Szenen gehörten zu den verstörendsten und ‹anstössigsten› des Films.» (René Wildangel, ­ filmzentrale.com) 122 Min / Farbe / DCP / E/d // REGIE William Friedkin // DREHBUCH William Peter Blatty, nach seinem Roman // ­KAMERA Owen Roizman // MUSIK Jack Nitzsche, Mike Oldfield, Anton Webern u. a. // SCHNITT Norman Gay, Evan Lottman // MIT Linda Blair (Regan MacNeil), Ellen Burstyn (Chris MacNeil), Max von Sydow (Pater Lancaster Merrin), Lee J. Cobb (Lt. William Kinderman), Kitty Winn (Sharon Spencer), Jack MacGowran (Burke Dennings), Jason Miller (Pater Damian Karras), William O‘Malley (Pater Dyer), Barton Heyman (Dr. Klein), Peter Masterson (Dr. Barringer), Rudolf Schündler (Karl, der Hausdiener).

ICH SEH ICH SEH Österreich 2014

In einem idyllisch abgelegenen Haus erkunden die neugierigen Zwillinge Lukas und Elias aufgeregt ihre Umgebung und sind voller Vorfreude auf die Rückkehr ihrer Mutter aus dem Krankenhaus. Doch als «Mama» schliesslich zurückkehrt, bemerken die beiden schnell, dass alles, was sie ­zuvor für selbstverständlich angesehen haben, plötzlich infrage gestellt wird. Die strenge Frau,

die vor ihnen steht, gleicht kaum noch ihrer Mutter. Hat da gar eine Fremde die Kontrolle ­ übernommen? Es entfaltet sich ein existenzieller Kampf um Identität und Urvertrauen. «Ich seh Ich seh ist (…) kein Film für schwache Nerven, noch weniger für schwache Mägen. Wer aber die nötige Konstitution mitbringt, die Liebe zu philosophisch grundierten surrealen Vexierspielen und neoromantischen Identitätsdekonstruktionen, der kann hier einen der elegantesten und (…) besten europäischen Horrorfilme der letzten Jahre bewundern.» (Rüdiger Suchsland, artechock.de) 99 Min / Farbe / DCP / D // DREHBUCH UND REGIE Veronika Franz, Severin Fiala // KAMERA Martin Gschlacht // MUSIK Olga Neuwirth // SCHNITT Michael Palm // MIT Susanne Wuest (Mutter), Elias Schwarz (Elias), Lukas Schwarz (Lukas).

 SA, 2. DEZ. | 18.30 UHR

Q&A mit Veronika Franz und Severin Fiala

¿QUIÉN PUEDE MATAR A UN NIÑO? (Ein Kind zu töten ...) Spanien 1976

«Mittelmeerurlaub: Ein englischsprachiges Ehepaar kommt auf eine kleine Insel, die nur von Kindern bevölkert scheint. Bald müssen die Touristen zu ihrem Schrecken erkennen, dass ein unerklärlicher Wahn die Kleinen befallen hat: Sie töten jeden Erwachsenen, der ihnen in die Hände fällt. Das Sujet des tödlichen Kindes ist ein Leitmotiv des Horrorgenres, das manchmal mit Finesse und Eleganz in Märchenmotiven verarbeitet wird; oder aber, wie hier, mit einer verstörenden Direktheit, die vor allem in den 1970er-Jahren möglich war, während der Hochblüte des politisch unkorrekten Genrekinos: wenn es zur Überlebensfrage wird, das Unverzeihliche zu tun – ein Kind, womöglich gar das eigene, zu töten. Eine mit unbarmherzigem Suspense-Gespür vollzogene ­ Fusion von Lord of the Flies und Night of the Living Dead inklusive didaktischem Dokumentargrauen in der Eröffnungsmontage – zur Einstimmung aufs provokant Unerhörte.» (Christoph Huber, ­Österreichisches Filmmuseum) 112 Min / Farbe / DCP / Sp/d // DREHBUCH UND ­REGIE ­Narciso Ibáñez Serrador, nach dem Roman von Juan José Plans // KAMERA José Luis Alcaine // MUSIK Waldo de los Ríos // SCHNITT Antonio Ramírez de Loaysa, Juan Serra // MIT Lewis Flander (Tom), Prunella Ransome (Evelyn), Antonio Iranzo (Vater), Marisa Porcel (­Touristin), Luis Ciges (Boots­­vermieter), Miguel Narros (Kapitän der Küstenwache).


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Das böse Kind

THE BAD SEED

LORD OF THE FLIES

Rhoda ist genau das Kind, das sich viele Erwachsene wünschen. Sie benimmt sich vorbildlich, ist unglaublich höflich und achtet darauf, ihre Kleider nicht zu verschmutzen. Ihr äusseres Erscheinungsbild entspricht ebenfalls dem Klischee des idealen amerikanischen Mädchens aus den 1950er-Jahren: blondes Haar, verspielte Zöpfe und ein elegantes weisses Spitzenkleid. Dennoch hegt ihre Mutter gewisse Sorgen, die sie nicht genau benennen kann. Als sich dann beim Schulausflug ein tragischer Vorfall ereignet, hegt die Mutter sofort einen schrecklichen Verdacht. «Am Ende bleibt nur zu sagen, dass es sich bei The Bad Seed um einen echten Horrorklassiker handelt (…). Der Film weiss auch heute noch zu beeindrucken und ist – bei aller Subtilität in der Darstellung – schockierender als viele spätere Werke. Einen wichtigen Teil daran trägt natürlich auch die grossartige Musik von Alex North, der hier als Grundlage seines Scores ein französisches Kinderlied benutzt und wahrscheinlich die Arbeit von Elmer Bernstein im – ebenfalls grossartigen – Filmklassiker To Kill a Mockingbird (1962) beeinflusst hat.» (evil-ed.de, 26.6.2018)

Mit Crowdfunding, Laiendarstellern und einer Art Reality-TV-Ansatz verfilmte Peter Brook 1963 auf einer Insel bei Puerto Rico William Goldings darwinistische Allegorie über den schnellen Zerfall der Zivilisation anhand einer Gruppe von schiffbrüchigen britischen Jugendlichen. Bei Brook setzen die Jungs die brutalen Hierarchien, die ­ihnen an der öffentlichen Schule eingebläut wurden, in brachiale Unterdrückung um. «Das Buch ist eine schöne Fabel – so schön, dass es als Kunststück eines packenden poetischen Stils abgetan werden kann. Im Film kann niemand die Blicke und Gesten inszenatorischen Tricks zuschreiben. Die gewalttätigen Gebärden, die gierigen Blicke und die Gesichter der Erfahrung sind alle echt.» (Peter Brook: The Shifting Point, 1987)

USA 1955

129 Min / Farbe / DCP / E/d // REGIE Mervyn LeRoy // DREHBUCH John Lee Mahin, nach einem Bühnenstück von Maxwell Anderson und einem Roman von William March // KAMERA Harold Rosson // MUSIK Alex North // SCHNITT Warren Low // MIT Nancy Kelly (Christine), Patty McCormack (Rhoda), Henry Jones (LeRoy), Eileen Heckart (Mrs. Daigle).

GB 1963

90 Min / sw / 35 mm / E/d/f // REGIE Peter Brook // DREHBUCH Peter Brook, nach dem Roman von William Golding // KAMERA Tom Hollyman // MUSIK Raymond Leppard // SCHNITT Peter Brook, Gerald Feil, Jean-Claude Lubtchansky // MIT James Aubrey (Ralph), Tom Chapin (Jack), Hugh Edwards (Piggy), Roger Elwin (Roger), Tom Gaman (Simon).


32 Film und Diskussion zur Missbrauchsstudie in der katholischen Kirche

Les Oubliés de la Belle Étoile Die im September von der Universität Zürich präsentierte Pilotstudie kam einem Erdbeben gleich: Sie machte zum ersten Mal die Dimensionen des sexuellen Missbrauchs innerhalb der katholischen Kirche sichtbar. Lange verschloss sich die Kirche der Beschäftigung mit Übergriffen in ihrem Umfeld. Doch spätestens seit den 2002 publi­zierten Enthüllungen des «Boston Globe» über sexuellen Missbrauch in der Diözese Boston bildeten sich Risse in der Mauer des Schweigens. Die Universität Zürich macht die Studie zum Thema einer Ringvorlesung und bringt die Diskussion ins Filmpodium. In der interdisziplinären Ringvorlesung des Historischen Seminars der Univer­ sität Zürich wird eine erste Zwischenbilanz gezogen. Auch dem Medium Film kam im Prozess der Sichtbarmachung der Erfahrungen von Betroffenen und der Darstellung von Machtstrukturen eine wichtige Rolle zu. Filme wie ­Spotlight (2015) oder Grâce à Dieu (2018) haben Angst, Scham, Wut und Trauer auf die grosse Leinwand gebracht. «Etwas oberhalb von Albertville im Département Savoie befindet sich die vom Abt Garin mit eiserner Faust geleitete ‹Erziehungsanstalt› La Belle Étoile. In den 1960er- und 70er-Jahren wuchsen Dédé, Michel und Daniel an diesem Ort auf, an dem sie geschlagen, gedemütigt und gebrochen worden sind. Fast 60 Jahre später sind diese drei Männer nur einige von vielen, die die ­unauslöschlichen Narben dieses Orts des Terrors in sich tragen. Mithilfe der Regisseurin Clémence Davigo kommen sie endlich wieder zusammen, um ihr Schweigen in der idyllischen Umgebung der Savoyer Berge zu brechen. In einem Haus mit Blick auf den fernen Gipfel, auf dem sich das Belle Étoile befindet, ­beginnen die letzten Überlebenden über ihre Tortur zu sprechen. Gemeinsam versuchen sie, Worte zu finden, um die Gewalt zu beschreiben, die sie erlitten haben, und suchen nach Anerkennung bei den willentlich tauben religiösen ­Autoritäten.» (Aurélien Marsais, Visions du Réel 2023) LES OUBLIÉS DE LA BELLE ÉTOILE / Frank­reich 2023 106 Min / Farbe / DCP / F/e // REGIE Clémence Davigo //

© Alter Ego Production

­KAMERA François Chambe // MUSIK Benjamin Glibert // SCHNITT Lou Vercelletto.

 Donnerstag, 14. Dezember, 18.15 Uhr: Filmvorführung, anschl. Q&A mit der Regisseurin


33 FAROCKI-FORUM: ÜBERTRAGUNG #4

MO, 27. NOV. | 18.00 UHR

1972 – ANTONIONI IN CHINA Das neue Buch des Berliner Kunsthistori-

Nach dem kommerziellen Misserfolg Zab-

kers und Kulturwissenschaftlers Tom Holert

riskie Point (1970) und einigen gescheiterten

trägt den Titel «ca. 1972. Gewalt – Umwelt –

Projekten nahm Michelangelo Antonioni

Identität – Methode». Der Text/Bild-Essay

1972 einen Auftrag des italienischen Fern-

zeichnet die vielfältigen und widersprüch-

sehens an, das fernöstliche «Reich der

lichen Aufschübe, Aufbrüche und Aus-

Mitte» (so die Übersetzung des Titels) zu

schweifungen der räumlich-zeitlichen Kon-

bereisen und filmisch zu dokumentieren.

stellation «ca. 1972» nach.

Da sich das Land nach der von Mao 1966 ­angeordneten Kulturrevolution gegenüber

Als Leitfaden dient die Frage nach den

dem Westen abgeschottet hatte und es nur

(Un-)Möglichkeiten radikalen Wissens und

wenige Bilder aus der Volksrepublik gab,

Handelns. Zu den Stationen des multidirek-

nutzte Antonioni die Gelegenheit, zu seinen

tionalen Parcours gehören Gefängniszellen

dokumentarischen

in Mosambik, die indigene «Tent Embassy» in

kehren. Aus über 40 Stunden Filmmaterial

Canberra, eine Ausstellung schwarzer Künst­

kondensierte der Regisseur einen mehr­

lerinnen in Brooklyn, ein Ausbildungscamp

teiligen TV-Film sowie eine eigenständige

des Vietkong oder die erste Umweltkonfe-

Kinofassung. Der von den chinesischen

renz der Vereinten Nationen in Stockholm.

­Offiziellen harsch kritisierte Reisebericht

Auch die globalen Effekte der maoistischen

blieb eine Ausnahmeerscheinung in der

Kulturrevolution waren «ca. 1972» noch sehr

­Filmografie Antonionis, der mit Professione:

spürbar. In diesem ideologischen Kontext

Reporter zur Fiktion zurückkehrte.

Anfängen

zurückzu­

reiste Michelangelo Antonioni nach China. Sein Film bietet Gelegenheit, die damals

Volker Pantenburg

wir­ kenden politisch-ästhetischen Flieh-

Leiter Seminar für Filmwissenschaft

kräfte nach 50 Jahren einer Relektüre zu unterziehen.

Einführung in den Film und Gespräch: Tom Holert CHUNG KUO – CINA / Italien 1972 128 Min / Farbe / 35 mm / D // REGIE Michelangelo Antonioni // DREHBUCH Michelangelo Antonioni, Andrea Barbato // ­KAMERA Luciano Tovoli // MUSIK Luciano Berio // SCHNITT Franco ­Arcalli // MIT Michelangelo Antonioni.


34 Vorlesungsreihe

Landkarten für Wanderer der Kunst: Was ist «klassische Filmtheorie»? Die Vorlesungsreihe «Positionen der klassischen Filmtheorie» am Seminar für Filmwissenschaft (Universität Zürich) findet in diesem Jahr als öffentliche Veranstaltung im Filmpodium statt. Daniel Wiegand, ­Professor am Seminar, und Gäste behandeln von Ende September bis Mitte Dezember jeweils am Donnerstagnachmittag Filmtheorien von den Anfängen bis in die 1960er-Jahre. VORLESUNGEN: Edgar Morin: «Der Mensch und das Kino» DO, 16. NOV. | 16.15 UHR (90 Min.), gefolgt von Orphée Vorlesung von Prof. Dr. Daniel Wiegand Filmische Avantgarden zwischen Theorie und Praxis DO, 23. NOV. | 16.15 UHR (90 Min.), gefolgt von einem Kurzfilmprogramm Vorlesung von Dr. Jan Sahli Siegfried Kracauer: Die Errettung der physischen Wirklichkeit DO, 30. NOV. | 16.15 UHR (90 Min.), gefolgt von Mädchen in Uniform Vorlesung von Dr. Linda Waack André Bazin: «Was ist Kino?» DO, 7. DEZ. | 16.15 UHR (45 Min.), im Vorfeld um 14 Uhr: Umberto D. Vorlesung von Prof. Dr. Volker Pantenburg Eintritt frei

ORPHÉE

Frankreich 1950 Orphée, ein gefeierter Dichter, ist mit Eurydice verheiratet. Er macht die Bekanntschaft einer geheimnisvollen Prinzessin, die für den Tod eines Rivalen verantwortlich zu sein scheint. Als sie ­erfährt, dass Eurydice schwanger ist, lässt sie sie aus Eifersucht töten. Orphée folgt Eurydice in die Unterwelt, um sie zurückzuholen. Jean Cocteau lässt die griechische Sage im zeitgenössischen Frankreich spielen und schuf in Orphée ein kunstvoll verschachteltes Labyrinth aus poetischen Zeichen und mythologischen Anspielungen. Kein Wunder, ziert ein Still des Films die deutsche Erstausgabe von Edgar Morins «Der Mensch und das Kino». Morin konstatiert hier eine grundsätzliche Nähe des Kinos zum Traum, zum Magischen und zum Imaginären: Es sei geradezu die «Auferstehung der archaischen Weltschau». 112 Min / sw / 35 mm / F/d // DREHBUCH UND REGIE Jean Cocteau // KAMERA Nicolas Hayer // MUSIK Georges Auric

Eine Kooperation mit dem Seminar für Filmwissenschaft der Universität Zürich

// SCHNITT Jacqueline Sadoul // MIT Jean Marais (Orphée), Marie Déa (Eurydice), Maria Casarès (Prinzessin), François Périer (Heurtebise), Juliette Gréco (Aglaonice).


Vorlesungsreihe: Landkarten für Wanderer der Kunst

MÄDCHEN IN UNIFORM

KURZFILMPROGRAMM: ­AVANTGARDISTISCHE ­FILMEXPERIMENTE

Deutschland 1931

Nach dem Tod ihrer Mutter kommt die Schülerin Manuela von Meinhardis in ein preussisch geführtes Internat, wo sie unter dem Druck der strengen Erziehung leidet. Sie verliebt sich in die junge Lehrerin Fräulein von Bernburg und ­bekennt sich offen zu ihren Gefühlen. Mädchen in Uniform gilt aufgrund der Thematik, der ausschliesslich weiblichen Besetzung und der Zusammenarbeit von zwei Frauen in den ­Bereichen Drehbuch und Regie als Klassiker des queer-feministischen Kinos. 1931 stand insbesondere der Wettstreit zweier Erziehungsstile – eines autoritären und eines demokratischen – im Fokus der Wahrnehmung. Für Siegfried Kracauer und dessen Überlegungen zu Filmgeschichte und -theorie war er daher vor allem unter ideologischen Gesichtspunkten interessant. 88 Min / sw / 35 mm / D // REGIE Leontine Sagan, Carl Froelich

Das Filmprogramm vermittelt Einblicke in die Bewegungen des Absoluten Films, des Cinéma pur und zeigt Filmwerke im Kontext der Ideen des Bauhaus und des Konstruktivismus. Alle Filme zeichnen sich dadurch aus, dass sie die Möglichkeiten und Grenzen des Mediums Film ausloten und damit neue Herausforderungen an die Wahrnehmung des Publikums stellen. Sie sind geprägt von der Lust an Innovation und experimentieren mit starken intermedialen Bezügen zu anderen Kunstformen wie bildende Kunst, Fotografie oder Musik. Charakteristisch ist, dass viele der Filmschaffenden ihre künstlerische Praxis auch mit Manifesten und Aufsätzen begleiten. Sie untermauern ihre neuen Konzeptionen des Films als Kunstform und prägen damit auch die Theorie­ bildung zu den jeweiligen Filmbewegungen.

// DREHBUCH Christa Winsloe, F. D. Andam, nach dem Theater-

LICHTSPIEL OPUS I (DEUTSCHLAND 1921)

stück «Ritter Nérestan» von Christa Winsloe // KAMERA R ­ eimar

10 Min / Farbe / DCP / Stummfilm mit Musik // REGIE Walter

Kuntze, Franz Weihmayr // ­MUSIK Hansom Milde-Meissner //

Ruttmann.

MIT Herta Thiele (Manuela von Meinhardis), Dorothea Wieck (Fräulein von Bernburg), Emilia Unda (Fräulein von Nordeck zur Nidden, die Oberin).

UMBERTO D. Italien 1952

Vittorio De Sicas Film über einen einsamen Pensionär, dem ausser seinem Hund fast keine Bindung ans Leben bleibt, gehört seit Langem zu den Klassikern des italienischen Neorealismus. Die Geschichte um Altersarmut und soziale Härte zeichnet sich durch einen besonderen Umgang mit Dramaturgie und erzählter Zeit aus. Dauer und Alltagsnähe treten an die Stelle von Ereignisfolgen und Spannung. «So verwandelt das Kino das Leben am Ende in sich selbst», schreibt André Bazin begeistert in einer Filmkritik zu Umberto D. Für ihn handelte es sich schlicht «um einen der revolutionärsten und mutigsten Filme nicht nur des italienischen Kinos, sondern der ganzen europäischen Produktion der letzten zwei Jahre, um ein makelloses Meisterwerk».

SYMPHONIE DIAGONALE (DEUTSCHLAND 1921) 7 Min / sw / 16 mm / Stummfilm // REGIE Viking Eggeling, Erna Niemeyer // KAMERA Svend Noldan.

RHYTHMUS 21 (DEUTSCHLAND 1921) 4 Min / sw / 16 mm / Stummfilm // REGIE Hans Richter // ­KAMERA Svend Noldan.

KOMPOSITION IN BLAU (DEUTSCHLAND 1935) 4 Min / Farbe / 16 mm / Stummfilm mit Musik // REGIE Oskar Fischinger.

CINQ MINUTES DE CINÉMA PUR (FRANKREICH 1926) 5 Min / sw / 16 mm / Stummfilm // REGIE Henri Chomette.

EIN LICHTSPIEL SCHWARZ-WEISS-GRAU (DEUTSCHLAND 1930) 6 Min / sw / 35 mm / Stummfilm // REGIE László Moholy-Nagy.

IMPRESSIONEN VOM ALTEN MARSEILLER HAFEN (DEUTSCHLAND/FRANKREICH 1929) 6 Min / Impressionen vom alten Marseiller Hafen. 9 Min / sw / 16 mm / Stummfilm // REGIE László Moholy-Nagy.

89 Min / sw / DCP / I/e // REGIE Vittorio De Sica // DREHBUCH

GROSSSTADT ZIGEUNER (DEUTSCHLAND 1932)

Cesare Zavattini, Vittorio De Sica // KAMERA G. R. Aldo //

12 Min / sw / 16 mm / Stummfilm // REGIE László Moholy-Nagy.

­MUSIK Alessandro Cicognini // SCHNITT Eraldo Da Roma // MIT Carlo Battisti (Umberto Domenico Ferrari), Maria Pia ­Casilio (Maria), Lina Gennari (Antonia).

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36 Filmpodium Premiere

Bis ans Ende der Nacht «Robert trägt Lederjacke und die Haare etwas länger. Ein Cop, wie er nicht im Buche steht – zumindest nicht im deutschen Kinodrehbuch. Als verdeckter ­Ermittler soll er über die fingierte Beziehung mit Leni (die im Gegenzug auf Bewährung aus der Haft entlassen wird) das Vertrauen eines Kriminellen ­ ­gewinnen. Die Kontaktaufnahme gelingt beim Tanzkurs: Robert und Leni – er schwul, sie trans; ein grosses Paar – haben Victor an der Angel. Oder doch er sie? Und sind bei der angeblich nur vorgetäuschten Liebe am Ende nicht sehr viel mehr Gefühle im Spiel? Wir wären nicht in einem Film von Christoph Hochhäusler, gäbe es einfache Antworten oder gar schlichte Wahrheiten. Der gewiefte Plot ist pures Oszillieren; so entsteht ein ebenso geistreiches wie berüh­ rendes Vexierbild des Emo-Intellekts. Der Film ist ein (nicht ganz drogenfreier) Trip entlang der für den Regisseur zum Markenzeichen gewordenen Möbius­ schleife aus Genre- und Autorenkino. Hinzu kommen einer der schönsten ­Nostalgie-Soundtracks des Jahres, eine abgerockt-romantische Atmosphäre mit Fassbinder-Charme und schliesslich ein Ensemble, das den Täuschungsmanö­ vern des Marionettenspielers Hochhäusler Leben einhaucht, Todessehnsucht inklusive.» (Berlinale) «Nicht zu wissen, woran man ist – das ist die Grundstimmung des Film noir und seiner zwielichtigen Helden und Heldinnen. Der Regisseur Christoph Hochhäusler holt dieses Genre der Nachtschwärmer, verlorenen Existenzen und urbanen Irrlichter ins deutsche Kino. Alle Figuren seines Films Bis ans Ende der Nacht sind Schattenexistenzen. Sie leben im Schatten ihrer Vergangenheit, im Schatten von Abhängigkeiten und selbst am helllichten Tag im Schatten ­ihrer Seelen.» (Katja Nicodemus, Die Zeit, 22.6.2023)

BIS ANS ENDE DER NACHT / Deutschland 2023 123 Min / Farbe / DCP / D // REGIE Christoph Hochhäusler // DREHBUCH Florian Plumeyer // KAMERA Reinhold Vorschneider // SCHNITT Stefan Stabenow // MIT ­Timocin Ziegler (Robert Demant), Thea Ehre (Leni Malinowski), Ioana Iacob (Nicole Gilly), Rosa Enskat (Monika Sterz), Aenne Schwarz (Nadia Saric), Gottfried Breitfuss (Pawel Kaiser), S ­ ahin Eryilmaz (Armin Strauss), Ronald Kukulies (­ Thomas Benck).

 Dienstag, 28. November, 18.00 Uhr: Q&A mit Christoph Hochhäusler

Für die Unterstützung danken wir:


37 Filmpodium Classics

Profundo carmesí – Director’s Cut Mexiko, 1949. Coral Fabre, eine üppige junge Krankenschwester, die ihre beiden Kinder allein grosszieht, ist eine grosse Bewunderin des französischen Schauspielers Charles Boyer. Eines Tages verliert sie ihre Arbeit im Spital, weil sie die Patienten schikaniert hat. Von Einsamkeit überwältigt, antwortet sie auf die Kontaktannonce von Nicolás Estrella, der ihrem Idol verblüffend ähnlich sieht. Als Coral Nico zum ersten Mal begegnet, fühlt sie sich sofort zu ihm hingezogen und ist wild entschlossen, ihn zu lieben. Nico kann diese Begeisterung nicht erwidern, landet aber dennoch in Corals Bett. Schon am nächsten Tag zieht Coral unangekündigt bei ihm ein. Als die junge Frau ent­ deckt, dass Nico seine Frau umgebracht hat, gibt sie ihm zu verstehen, dass sie für immer aneinander gebunden sind. «Die Zusammenarbeit zwischen Arturo Ripstein und Paz Alicia Garcia­ diego erreicht in diesem Remake von Leonard Kastles fiebrigem Kultfilm The Honeymoon Killers von 1969 ihren dunklen Höhepunkt. Profundo Carmesí zeigt uns eine zerrüttete Welt, die mit abgenutzten Filmmagazinen und ­tränengetränkten Kissen übersät ist. Ein komisches kriminelles Paar, das sich durch verzweifelte Einsamkeit und eine seltsame Art von unverschämtem Glück in die Arme läuft, begeht einen theatralischen Amoklauf, der Ehe, Männlichkeit und Familienwerte brutal und systematisch dekonstruiert. Das schmutzige Liebesabenteuer Profundo Carmesí ist ein faszinierendes AntiEpos, das irgendwo zwischen schwarzer Komödie und rauer Gewalt hin- und hergerissen ist.» (Harvard Film Archive) Wir zeigen den neu restaurierten Director’s Cut, der diesen Herbst am Filmfestival von Venedig uraufgeführt wurde.

PROFUNDO CARMESÍ – DIRECTOR̒ S CUT / Mexiko/Frankreich/Spanien 1996 136 Min / Farbe / DCP / Sp/e // REGIE Arturo Ripstein // DREHBUCH Paz Alicia Garciadiego, // KAMERA Guillermo Granillo // MUSIK David Mansfield // SCHNITT Rafael Castanedo // MIT Daniel Giménez Cacho (Nicolas Estrella), Regina Orozco (Coral Fabre), Marisa Paredes (Irene Gallardo), Veronica Merchant (Rebeca Sampedro), Julieta Egurrola (Juanita Norton), Rosa Furman (Mrs. Silverman), Patricia Reyes Spindola (die Witwe Ruelas).


38 SÉLECTION LUMIÈRE

THE MATCH FACTORY GIRL

DO 30. NOV. | 20.45 UHR / SO 10. DEZ. | 15.00 UHR / SA 23. DEZ. | 21.00 UHR

Der dritte Teil von Aki Kaurismäkis sozial-

len: Ein typischer Film aus Aki Kaurismäkis

kritischer proletarischer Trilogie erzählt

Arbeiter-Trilogie, die seinen besonderen

von einer Streichholzfabrikarbeiterin auf

Ruf begründete.» (Berlinale Forum)

der Suche nach dem Glück. Eine tiefgrün-

Der finnische Autorenfilmer ist bekannt

dige Charakterstudie, die Themen wie Ge-

dafür, in seinen Filmen komplexe Kom-

rechtigkeit, Mitgefühl und Ethik verhandelt.

mentare zur finnischen Gesellschaft zu schaffen und die vielschichtigen Aspekte

«Iris arbeitet in einer Streichholzfabrik. Sie

der Globalisierung einzufangen. Doch seine

ist jung, nicht schön, ein Mädchen auf der

herausragende Fähigkeit besteht darin,

Suche nach dem Glück. Zu Hause kocht sie

Geschichten auf eine einzigartig bildliche

für ihre Eltern, zu denen es keine Bezie-

Weise zu erzählen und tief in die Seelen

hung gibt. Sämtliche menschliche Re-

­seiner Figuren einzudringen. Ein Parade-

gungen scheinen in Sprachlosigkeit und

beispiel dafür ist The Match Factory Girl.

­eisiger Kälte erstarrt. Als Iris sich in einen Mann verliebt und auch dieser sie lediglich zum eigenen Vergnügen ausnutzt, holt sie

 Donnerstag, 30. November, 20.45 Uhr:

zum Befreiungsschlag aus, dem nicht nur

Einführung: Martin Girod

die Eltern und der Liebhaber zum Opfer fal-

THE MATCH FACTORY GIRL (Tulitikkutehtaan tyttö) / Finnland 1990 69 Min / Farbe / DCP / Finn/d // REGIE Aki Kaurismäki // DREHBUCH Aki Kaurismäki // KAMERA Timo Salminen // MUSIK ­Originalmusik aus finnischen Schlagern // SCHNITT Aki Kaurismäki // MIT Kati Outinen (Iris), Elina Salo (Mutter), Vesa V ­ ierikko (Mann), Esko Nikkari (Stiefvater), Silu Seppälä (Bruder), Reijo Taipale (Sänger).


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Geschenke fürs ganze Jahr –. ein Abonnement oder ein Plakat!. Erhältlich an der Kinokasse .

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40 Filmpodium für Kinder

Arthur Weihnachtsmann Um Weihnachten für die kleine Gwen zu retten, begibt sich Arthur, der schusselige Sohn des Weihnachtsmannes, auf eine geheime Mission. Ein unsentimentales, originelles und äusserst unterhaltsames Weihnachtsabenteuer für Gross und Klein! Panne am Nordpol! Die kleine Gwen hat als einziges Kind kein Geschenk erhal­ ten. Arthur, der jüngste Sohn des Weihnachtsmannes, setzt alles daran, rechtzei­ tig für die Bescherung zu sorgen. Gemeinsam mit seinem kauzigen Opa und der Elfe Bryony bricht er in einem fliegenden Schlitten auf. Die Reise gestaltet sich jedoch schwierig, da Arthur unter Höhen- und Flugangst leidet und nicht genau weiss, wohin er überhaupt fliegen soll.«Arthur Weihnachtsmann ist ein Familien­ film im allerbesten Sinn: Die Kleinsten amüsieren sich über die in bester Slap­ stickmanier abgelieferten Kapriolen von Elfen und Tollpatsch Arthur. Den Mit­ telgrossen wird genügend Action geboten, damit keine Langeweile aufkommt. Und die Erwachsenen dürften der süffisanten Kapitalismuskritik, dem Wider­ streit von perfektem Management und romantischer Verklärtheit, mit feinem Lächeln folgen.» (Alexander Josefowicz, Hamburger Abendblatt, 22.12.2014)

ARTHUR WEIHNACHTSMANN (Arthur Christmas) / USA/GB 2011 97 Min / Farbe / 35 mm / D // REGIE Sarah Smith, Barry Cook // DREHBUCH Peter Baynham, Sarah Smith, // KAMERA // M ­ USIK Harry Gregson-Williams // SCHNITT John Carnochan, James Cooper // MIT Sebastian Schulz (Arthur), Jaron Löwenberg (Steve Claus), Hans-Jürgen Dittberner (Opa Weihnachtsmann), Roland Hemmo (Weihnachtsmann), Joseline Gassen (Frau Weihnachtsmann), Cathlen Gawlich (Bryony), Eberhard Prüter (Ernie ­Clicker), Cornelia Reinhardt (Kommandantin da Silva), Victoria Sturm (Nordpol-Computer), Rainer Fritzsche (Peter).

Zutritt ab 6, empfohlen ab 8 Jahren (Begleitung durch Erwachsene generell empfohlen). Kinderfilm-Workshop Im Anschluss an die beiden Vorstellungen vom 25. November und 16. Dezember bietet das Filmpodium einen Film-Workshop für Kinder unter der Leitung der Filmwissenschaftlerin Julia Breddermann an (ca. 30 Min., gratis, keine Voranmeldung nötig). Die Kinder erleben eine Entdeckungsreise durch die Welt der Filmsprache und werden an einzelne Szenen und Themen des Films herangeführt.


41 IMPRESSUM

DAS FILMPODIUM IST EIN ANGEBOT DES PRÄSIDIALDEPARTEMENTS

in Zusammenarbeit mit der Cinémathèque suisse, Lausanne/Zürich LEITUNG Nicole Reinhard (nr), STV. LEITUNG Hannes Brühwiler (hb) WISSENSCHAFTLICHE MITARBEIT Lorenzo Berardelli (lb), Tanja Hanhart (th) SEKRETARIAT Claudia Brändle BÜRO Postfach, 8022 Zürich, Telefon 044 412 31 28, Fax 044 412 31 25 WWW.FILMPODIUM.CH // E-MAIL info@filmpodium.ch // KINO Nüschelerstr. 11, 8001 Zürich, Tel. 044 415 33 66 UNSER DANK FÜR DAS ZUSTANDEKOMMEN DIESES PROGRAMMS GILT: Andanafilms, Lussas; Artédis, Paris; Bristol-Myers Squibb Company, USA; British Film Institute, London; DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum, Wiesbaden; Stiftung ­Deutsche Kinemathek, Berlin; EGEDA, Madrid; Filmcoopi, Zürich; Kinemathek Le Bon Film, Basel; Les Films du Losange, ­Paris; Arsenal – Institut für Film und Videokunst, Berlin; Hollywood Classics, London; Intramovies, Rom; Jumer Productions, New York; Light Cone, Paris; The Match Factory, Köln; Newen Connect, Paris; Park Circus, Glasgow; Praesens-Film, Zürich; Studiocanal, Berlin; trigon-film, Ennetbaden; Unzero Films, Paris. DATABASE PUBLISHING BitBee Solutions GmbH, Zürich // KONZEPTIONELLE BERATUNG Esther Schmid, Zürich GESTALTUNG TBS, Zürich // KORREKTORAT Nina Haueter, Daniel Däuber // DRUCK Ropress, Zürich // AUFLAGE 4500 ABONNEMENTE & VERGÜNSTIGUNGEN Filmpodium-Generalabonnement : CHF 400.– (freier Eintritt zu allen Vorstellungen; inkl. Abo Programmheft) // Filmpodium-Halbtaxabonnement: CHF 80.– / U25: CHF 40.– (halber Eintrittspreis bei allen Vorstellungen; inkl. Abo Programmheft) // Jahrhundert-Abo: CHF 50.– (für alle in Ausbildung; freier Eintritt zu den Filmen der Reihe «Das erste Jahrhundert des Films») // Programm-Pass: CHF 60.– (freier Eintritt zu allen Vorstellungen einer Programmperiode) // Abonnement Programmheft: CHF 20.– // Anmeldung an der Kinokasse, über www.filmpodium.ch oder Tel. 044 412 31 28

VORSCHAU JANUAR/FEBRUAR STUMMFILMFESTIVAL 2024 2024 feiert das Stummfilmfestival im

Wie gewohnt erwartet sie ein Kaleidoskop

­Filmpodium einen runden Geburtstag: Es

aus herausragenden Restaurierungen des

findet bereits zum 20. Mal statt. Das stolze

vergangenen Jahres: Filme von Abel Gance,

Jubiläum wollen wir in etwas neuer Forma-

Ernst Lubitsch und Josef von Sternberg

tion und mit Akzenten begehen. Wir freuen

werden zu den besonderen Höhepunkten

uns sehr die Ausgabe 2024 gemeinsam mit

gehören. Ein besonderer Schwerpunkt wid-

dem IOIC (Institut of Incoherent Cinema­

men wir schliesslich den Nasty Women vor

tography), mit dem wir in der Vergangen­heit

und hinter der Kamera und wir rücken die

schon oft kooperiert haben, zu bestreiten.

unberechenbarsten, trotzigsten, rebellisch­

Das Pilotfestival soll der Auftakt zu einer

sten, eigensinnigsten und witzigsten Frauen

dauernden Zusammenarbeit sein.

der Stummfilmzeit ins Scheinwerferlicht.


A B 16 . 11 . I M K I N O

ABOUT DRY GRASSES N U R I B I LG E C E Y L A N • T Ü R KE I A B 7. 12 . I M K I N O

L I L A AV I L É S | M E XI KO

A B 11 . 1 . I M K I N O

ANNA HINTS • ESTLAND


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