Filmpodium Programmheft / November/Dezember 2021 // Program issue November/December 2021

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16. November – 31. Dezember 2021

WERNER HERZOG CORINNES BLIND DATES


Filmstill: Babylon (1980)

META HIPHOP NOVEMBER 2021

Geschenke fürs ganze Jahr –. ein Abonnement oder ein Plakat!. Erhältlich an der Kinokasse .


01 Editorial

Goodbye & Welcome Das Filmpodium bewegt. Es ist unser liebstes Programmkino, weil es uns ­Wenigbekanntes oder gar Unbekanntes näherbringt und damit unseren Horizont erweitert, weil es zurückblickt und das Filmschaffen würdigt, und trotzdem am Puls der Zeit ist. Nun steht eine markante Veränderung an. Die langjährige Leiterin des Filmpodiums, Corinne Siegrist-Oboussier, wird das Haus Ende November 2021 verlassen und in Pension gehen. Sie hat das Filmpodium 16 Jahre geleitet und es kontinuierlich weiterentwickelt, stets und mit Erfolg darauf bedacht, die hohe Qualität und die Relevanz des Programms beizubehalten. Dies in ­einem sich rasch wandelnden Umfeld, das die Kinos in noch nie dagewesener Weise herausfordert, ja in ihrer Existenz bedroht. Die Gesellschaft und damit die Konsumgewohnheiten der Zuschauenden haben sich verändert, die Zahl der Kinobesuchenden geht seit Jahren zurück. Die Corona-­Pandemie hat diese Entwicklung zusätzlich beschleunigt. Corinne Siegrist-Oboussier hat es mit einer gesunden Portion Beharrlichkeit gemeinsam mit ihrem Team geschafft, das Stammpublikum in diesen schwierigen Zeiten noch stärker an das Haus zu binden und gleichzeitig ein jüngeres Publikum an­zusprechen. Für ihr langjähriges prägendes Engagement für das Filmpodium und die Zürcher Kulturlandschaft möchten wir Corinne Siegrist-Oboussier herzlich danken. Wir verneigen uns vor ihrer Leistung, wünschen ihr alles Gute und freuen uns auf ein Wiedersehen im schönsten Kino der Stadt Zürich. Merci beaucoup, Corinne! Auf den 1. Dezember 2021 übernimmt Nicole Reinhard die Leitung des Filmpodiums. Wir begrüssen sie herzlich und freuen uns auf die Zusammenarbeit mit ihr. Nicole Reinhard hat an der Universität Zürich Filmwissenschaften studiert und verfügt über fundierte und vielfältige Erfahrungen in den Bereichen Film/Filmfestivals, Vermittlung und Öffentlichkeitsarbeit. Sie war für VIPER, das Internationale Festival für Film, Video und neue Medien, für das Frauenkino Xenia sowie bei den Internationalen Kurzfilmtagen Winterthur tätig. 2005 wurde ihr die Leitung des Stadtkinos Basel übertragen. Daneben war sie ab 2009 für die Kinemathek Le Bon Film verantwortlich und seit 2011 ist sie Kodirektorin des Bildrausch-Filmfests Basel, das sie, wie auch die Kinemathek, mitgegründet hat. Wir sind überzeugt, dass wir mit Nicole Reinhard die ideale Person für die Leitung des Filmpodiums gewinnen konnten, und freuen uns auf ihre Ideen und ihre Schaffenskraft. Herzlich willkommen! Philipp Kuhn, Stv. Direktor / Leiter Stab Kultur Stadt Zürich Titelbild: Fitzcarraldo von Werner Herzog


02 INHALT

Werner Herzog

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Corinnes Blind Dates

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Werner Herzog (*1942) zählt zu den bedeutendsten und meistdiskutierten Exponenten des deutschen Kinos. In über 70 Spielfilmen, Dokumentarfilmen und Fernsehproduktionen hat er mit Vorliebe Grenzbereiche des Daseins und der Natur ausgelotet; seine Helden sind Abenteurer, Sonderlinge, Querschläger, Vampire und Verbrecher. Wahn und Wirklichkeit verschwimmen in seinem Werk ebenso wie die Grenzen zwischen den Genres. Zusammen mit dem Seminar für Filmwissenschaft der Universität Zürich und dem Verein Cinépassion hat das Filmpodium eine Retrospektive zusammengestellt, die die enorme Bandbreite von Herzogs Schaffen zeigt. Als Premieren zu sehen sind u. a. Family Romance LLC und Nomad: In the Footsteps of Bruce Chatwin.

«Was, Sie haben Sciuscià nie gesehen? Sissi auch nicht?!» Nein, habe ich nicht, ebenso wenig Jaws, The Bridge on the River Kwai, The Silence of the Lambs und Billy Elliot. Die Liste der Filme, die ich nie sehen konnte oder bei der Premiere verpasst habe, ist endlos. Dazu kommen die Filme, die ich damals bewusst ausgelassen hatte, die sich im Nachhinein aber als wegweisend herausstellten. Jetzt, nach gut 35 Jahren beruflicher Auseinandersetzung mit Kino und Film und kurz vor meiner Pensionierung, kann ich das nicht nur gestehen, sondern auch – gemeinsam mit Ihnen – endlich ein paar dieser Lücken schliessen. Ich zeige also keine Lieblingsfilme, aber doch eine Wunschliste, verbunden mit einem gewissen Wagnis. (cs)

Bild: Nomad: In the Footsteps of Bruce Chatwin

Bild: Fräulein Huser


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The Story of Film: Episoden 9 +10

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In den Episoden 9–10 seiner Serie erkundet Mark Cousins das Kino der 70er-Jahre. In den USA bringen vor allem Satire und ein neuer Umgang mit und Zugang zu den etablierten Genres neuen Wind in die Filmkunst, und das Weltkino erkundet radikale Formen und wird politisch aktiv. Zu sehen sind Rainer Werner ­Fassbinders Angst essen Seele auf, Alejandro Jodorowskys The Holy Mountain, Kazuo Haras Dokumentarfilm Vorwärts, Armee Gottes!, Dennis Hoppers The Last Movie und Nicolas Roegs und Donald Cammells Performance – der Film, den man laut Cousins unbedingt gesehen haben muss. Bild: Angst essen Seele auf

Filmpodium für Kinder: Ailos Reise

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In den Wäldern Lapplands begleiten wir das Rentier Ailo während seiner ersten Lebensjahre. Ein Dokumentarfilm mit vielen eindrücklichen Aufnahmen und Tierbegegnungen. Bild: Ailos Reise

Einzelvorstellungen Zur Rietberg-Ausstellung: 38 Die Legende der Prinzessin Kaguya & Gate of Hell Silvesterfilm: 39 Strange Days Sélection Lumière: 40 Divorzio all’italiana



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Werner Herzog Mehr als ein halbes Jahrhundert umspannt Werner Herzogs bisherige Karriere. Die Suche nach Extremen und das Ausloten des (filmisch) Möglichen bestimmen sein Werk. Dabei sind die Filme und ihre Rezep­ tion untrennbar mit dem Mythos um seine Person verbunden. 1942: Bombenangriff auf München. Wie durch ein Wunder bleibt der zwei Wochen alte Werner Herzog unverletzt, obwohl Trümmer und Scherben in seine Wiege fallen. Flucht der Familie ins abgeschiedene Bergdorf Sachrang. Erst mit elf Jahren sieht Herzog seinen ersten Film. Doch der ist eine Enttäuschung: Mit Schnee bestens vertraut, entlarvt Herzog die ungeschickten Inuit in diesem Lehrfilm über die Arktis als Schauspieler. Die Faszination fürs Kino ist aber geweckt. Wenn Werner Herzog erzählt, ist häufig unklar, an welchen Stellen er übertreibt. Gleichzeitig passen die Anekdoten zu gut, um nicht in Verbindung mit seinem Werk gelesen zu werden: Klaus Kinski etwa drohte er mit dem Tod, und einmal, als ihn lediglich eine «insignificant bullet» getroffen hatte, filmte er einfach weiter. Solche Vorfälle bestätigen sein Selbstverständnis als Filmemacher: «I am a soldier, not an artist.» Er sagt auch, er arbeite wie ein Chemiker, der ein unbekanntes Metall grosser Hitze und Druck aussetze. Auf seiner Suche nach verborgenen Wahrheiten sind bei Herzog die Produktionsgeschichte und das fertige Resultat oftmals eng verschmolzen, wohl nirgends so stark wie bei Fitzcarraldo (1982). Der Film ist ebenso liebevoller Blick auf den Opernbewunderer Fitzcarraldo, dessen historisches ­Vorbild im 19. Jahrhundert als wahnwitziges Projekt einen zerlegten Flussdampfer über einen Berg transportieren liess, wie Dokument von Herzogs unglaublichem Willen, tatsächlich ein Schiff von Indios über den Berg ziehen zu lassen. Die verschiedenen Ebenen erschliessen sich einem erst, wenn man das Making-of Burden of Dreams (1982) von Les Blank gesehen hat. Herzog gleicht oftmals seinen Protagonisten. So spiegelt und erweitert sich etwa der Grössenwahnsinn der Titelfigur von Aguirre, der Zorn Gottes (1972) auf beeindruckende Weise in Mein liebster Feind (1999), wobei Herzog auch mit dem eigenen Image spielt. Hier zeigt sich die (Selbst-)Ironie, die unterschwellig im ganzen Werk präsent ist und die ihm viele nicht zutrauen. Was wiederum an Herzogs Behauptung liegen könnte, dass er Ironie nicht erkenne. Grössenwahn: Aguirre, der Zorn Gottes Höhenwahn: Burden of Dreams Fieberwahn: Rescue Dawn


06 Macht der Natur, Wahn des Menschen Eines der dominantesten Themen im Werk des bayrischen Filmemachers ist die Konfrontation des Menschen mit der Natur. Dieses Verhältnis ist bei ­Herzog selbst von grossem Respekt geprägt und in seinen Dokumentarfilmen oft von einer wissenschaftlichen Neugier begleitet. Er verweigert sich einer einfachen Exotisierung der Natur (oder gar einer Erotisierung, wie sie Kinski in Fitzcarraldo wünschte). Vielmehr sieht Herzog die Natur als eine Gewalt. In der Auseinandersetzung oder im Kampf mit ihr offenbaren sich bislang verborgene Aspekte des Menschen. Diese können kulturgeschichtliche Züge annehmen, so etwa im 3-D-Dokumentarfilm Die Höhle der vergessenen Träume (2010), der mit spektakulären Bildern tief in die Menschheitsgeschichte abtaucht, oder in seinem Frühwerk Fata Morgana von 1971: Während Leni ­Riefenstahl zeitgleich mit ihren ästhetisierten Nuba-Bildern die fragwürdige Vorstellung von Afrika als einem wilden Kontinent bedient, schafft es Herzog, unseren westlichen Blick zu reflektieren und naiven Idealismus zu vermeiden. Ohne falsche Überhöhung begegnet Herzog auch seinen männlichen Protagonisten. Oft von grosser Sympathie für sie geprägt, legt der Regisseur aber auch die mitunter verstörenden Seiten der Charaktere offen. Wiederholt stellen die Hauptfiguren gesellschaftliche Normen in Frage, ganz direkt etwa in den Filmen mit Bruno S. Für diesen Strassenmusikanten schrieb Herzog das Aussenseiterporträt Stroszek (1977) und bediente sich dazu bei der Biografie des Darstellers. Seine Hauptfiguren wandeln stets auf der Grenze zwischen Wahn und Rebellion. Hollywoodstars wie Nicolas Cage und Michael ­Shannon, die typische Herzog-Protagonisten verkörpern, erinnern mit ihren Wutausbrüchen oder der gepressten Stimme an Kinski und Bruno S. Auch Herzogs Dokumentarfilme geraten oft zu Charakterstudien. Er beleuchtet die (mitunter fanatische) Leidenschaft der Hauptfiguren und lässt das Publikum durch die Vermittlung ekstatischer Momente daran teilhaben. Meist ist Herzog als Erzähler oder Filmemacher präsent, wodurch sich die Frage aufdrängt, inwiefern diese Porträts auch eine Selbsterkundung sind: Die grosse Ekstase des Bildschnitzers Steiner (1974) erzählt mit unverhohlener Faszination vom Skispringen und damit von der Sportart, die Herzog als Jugendlicher meistern wollte. The White Diamond (2004) handelt vom Traum, ein Luftschiff zu fliegen. Immer häufiger rücken aber in den späteren Werken die Dreharbeiten und damit Herzogs Arbeitsethik ins Zentrum. Wenn er gefährliche Flugaufnahmen selbst macht oder an einer Stelle den Dreh aus Risiko­bedenken abbricht, bestätigt er seinen Vorsatz «do the doable» und scheint das Bild des kompromisslosen Filmemachers aus Fitzcarraldo berichtigen zu wollen. Am Ende von Grizzly Man (2005) gibt Herzog zu, dass der Film auch von ihm selbst handelt. Die Aufnahmen des Tierfilmers Timothy Treadwell schlugen ihn derart in ihren Bann, dass er aus dem Found Footage ein Porträt des Forschers sowie eine eigene Tierdokumentation machen musste.


07 Wahrheitsfindung statt Tatsachentreue Seine aktive Präsenz im Film ist bei Herzog Konzept. Er verachtet das Direct Cinema und den Ansatz des unsichtbaren Autors oder der «fly on the wall». Er verweist auf ein Zitat des Schriftstellers André Gide: «Ich ändere Tatsachen so weit, dass sie mehr der Wahrheit als der Realität ähneln.» Herzog geht es darum, durch das Eingreifen in die Realität eine tiefere Wahrheit hervorzubringen und der Illusion des unbeteiligten Beobachters weder selbst zu erliegen noch diese dem Zuschauer zu suggerieren. Eindrücklich spürbar wird dieser Ansatz in Interviews: Für Into the Abyss (2011) durfte der Filmemacher die Insassen im Todestrakt jeweils nur eine Stunde treffen. Zu Beginn des Gesprächs mit Michael Perry, der acht Tage später hingerichtet werden sollte, stellt Herzog klar, dass Perrys schwere Kindheit ihn nicht von Schuld freispreche. Und weiter: «It doesn’t necessarily mean that I have to like you.» Für einige Sekunden bleibt die Kamera auf dem Gesicht des sprachlosen Insassen. Zu diesem Zeitpunkt hätte das Gespräch vorbei sein können. Was dann aber entsteht, ist eine Begegnung, die nicht einfach Kategorien wie Täter und Opfer zementiert, sondern deren Grenzen aufweicht. So gelingt es Herzog, seine Ablehnung der Todesstrafe deutlich zu machen und darüber hinaus ein feinfühliges Porträt der US-amerikanischen Südstaaten zu zeichnen. Der Filmkritiker Roger Ebert schrieb über Into the Abyss: «Herzog scheint immer zu wissen, wohin er schauen muss.» Und findet so Wahrheiten, die anderen verborgen bleiben. Marius Kuhn

Marius Kuhn ist wissenschaftlicher Assistent am Seminar für Filmwissenschaft der Universi­ tät Zürich und arbeitet daneben als freischaffender Filmhistoriker und Publizist.


> Fata Morgana.

> Die grosse Ekstase des Bildschnitzers Steiner.

> Ballade vom kleinen Soldaten.

> Lebenszeichen.

> La Soufrière.

> Auch Zwerge haben klein angefangen.


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Werner Herzog

LEBENSZEICHEN BRD 1968 1942 soll sich der Fallschirmjäger Stroszek auf der Insel Kos nach einem Lazarett-Aufenthalt er­ holen. Umgeben ist er von seiner griechischen Frau Nora und zwei Kameraden, dem forschen Meinhard und dem vergeistigten Becker. Die Ein­ öde der Insel und die Eintönigkeit der Existenz machen den Soldaten zu schaffen, bis Stroszek nach einem verstörenden Erlebnis durchdreht und droht, sich mit dem örtlichen Munitionsdepot in die Luft zu sprengen. Frei nach einer Novelle von Achim von Arnim inszeniert Herzog in seinem Spielfilmdebüt erstmals eine traumatische Kon­ frontation von Mensch und Landschaft, mit dem Schweizer Schauspieler Peter Brogle in der Hauptrolle. «Von allen Filmen Herzogs ist dies der zei­ chenhafteste, konstruierteste. Obgleich Land­ schaft, Natur also, Ausgangs- und Springpunkt des Filmes ist, macht der Film sie nicht direkt (wie später etwa in Fata Morgana) erfahrbar, sondern mittelbar (...). Kaum etwas in diesem Film ist al­ lein, was es ist, sondern repräsentiert, ‹bedeutet› zugleich. Dennoch ist die Geschichte Stroszeks keine Parabel. (...) ‹Die Bilder haben keine Tiefe. Deshalb ist das Allerfalscheste von allem, meinen Filmen Parabelcharakter zuzuschreiben, weil sie ganz ‚wörtlich‘, das heisst bildlich, gemeint sind.› (Herzog)» (Kraft Wetzel, in: Werner Herzog, Han­ ser 1979) 87 Min / sw / DCP / D/e // REGIE Werner Herzog // DREHBUCH Werner Herzog, nach der Novelle «Der tolle Invalide auf dem Fort Ratonneau» von Achim von Arnim // KAMERA Thomas Mauch // MUSIK Stavros Xarhakos // SCHNITT Beate MainkaJellinghaus // MIT Peter Brogle (Stroszek), Wolfgang Reich­ mann (Meinhard), Athina Zacharopoulou (Nora), Wolfgang von Ungern-Sternberg (Becker), Wolfgang Stumpf (Haupt­ mann), Henry van Lyck (Leutnant), Julio Pinheiro (Zigeuner).

AUCH ZWERGE HABEN KLEIN ANGEFANGEN BRD 1970

strebt nach visionärer Grenzüberschreitung. Zahlreiche Motive aus Herzogs späterem Werk klingen an: die Gesellschaft, gesehen aus der Perspektive von Randexistenzen; Visionen vom Zusammenbruch der bürgerlichen Werte; Wahn und Besessenheit als wirklichkeitsgestaltende Kräfte.» (filmdienst.de) 96 Min / sw / DCP / D/e // DREHBUCH UND REGIE Werner ­Herzog // KAMERA Thomas Mauch // MUSIK Florian Fricke // SCHNITT Beate Mainka-Jellinghaus // MIT Helmut Döring (Hombre), Paul Glauer (Erzieher), Gisela Hertwig (Pobrecita), Hertel Minkner (Chicklets), Gertrud Piccini (Piccini), Marianne Saar (Theresa), Brigitte Saar (Cochina).

FATA MORGANA BRD 1971 «Fata Morgana könnte man als Dokumentarfilm über die Sahara bezeichnen: Alle Sequenzen wur­ den dort gedreht – sei es in der Wüste selbst oder in den Städten und Oasen. Aber der begleitende Kommentar (mehrheitlich eine indische Erzäh­ lung über die Erschaffung der Welt aus dem 18. Jahrhundert) macht uns klar, dass dies Herzogs Version der Genesis – und auch der Apokalypse – ist, eine abstrakte Parabel über das Leben des Menschen auf der Erde. Das hätte grauenhaft sein können, ist es aber nicht, vor allem, weil dieser abstrakt klingende Film sehr konkret ist: die Re­ alität jener Sanddünen, die mit Flugzeugwracks übersät sind, jene weiten Räume mit nichts, so weit das Auge reicht, nichts ausser dem Abfall dessen, was wir Zivilisation nennen, jene Hitze­ schleier, aus denen mysteriöse Objekte (die sich schliesslich als Land-Rover entpuppen) langsam auftauchen wie eine frühe Lebensform aus dem Urschleim. Jemand hat einmal geschrieben, dass es nicht verwunderlich sei, dass die drei grossen mono­ theistischen Religionen alle aus der Wüste ka­ men, und etwas von diesem Geheimnis des Un­ verborgenen und Unbenennbaren hat Herzog in Fata Morgana so erfolgreich heraufbeschworen.» (Richard Roud, Sight & Sound, Sommer 1971) 77 Min / Farbe / DCP / D/e // DREHBUCH UND REGIE Werner Herzog // KAMERA Jörg Schmidt-Reitwein // SCHNITT Beate

«Die kleinwüchsigen Insassen eines Erziehungs­ heims nutzen die Abwesenheit des Direktors zum Ausbruch aus der gewohnten Ordnung. Ihre Re­ volte endet im Chaos. Wie in Lebenszeichen schil­ dert Herzog auch in seinem zweiten Spielfilm ei­ nen radikalen Ausbruchsversuch aus der Welt der Hierarchien und Konventionen, dem der Rückfall in zwanghafte Wiederholung folgt. Mit irritieren­ den, oft surrealistischen Bildfolgen sprengt der Film herkömmliche Erzähldramaturgien und

Mainka-Jellinghaus // MIT Lotte Eisner (Erzählerin).

AGUIRRE, DER ZORN GOTTES BRD 1972 Eine Expedition spanischer Conquistadores ist in den peruanischen Anden des 16. Jahrhunderts auf der Suche nach El Dorado, dem sagenhaften


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Werner Herzog Goldland der Inkas. Der machtbesessene Aguirre reisst das Kommando über einen Voraustrupp an sich, der auf Flössen den Amazonas hinabfahren und die Gegend erkunden soll. Dezimiert durch die Giftpfeile der Indianer, Krankheit, Hunger und Meuterei, reibt sich die Gruppe allmählich auf. «In visionären Bildern zeigt Herzog, wie Hyb­ ris in Tod und Wahnsinn endet. Er hat diesen Film unter unglaublichem Einsatz inszeniert, man sieht es ihm nicht mehr an. Weder Landschaften noch Abenteuer der Dreharbeiten wurden ausge­ schlachtet; selbst der Kampf mit Kinski ist nur in­ direkt zu spüren. So konzentriert hat Kinski wohl noch nie gespielt: still, gefährlich, unberechen­ bar, mit müden, flatternden Augen, besessen, nicht hysterisch wie sonst. Hinreissend schöne Einstellungen gleiten vorbei, haken sich fest beim Zuschauer.» (H. G. Pflaum, Süddeutsche Zeitung, 18.1.1970) 93 Min / Farbe / DCP / D+Quechua+Sp/e // REGIE Werner ­Herzog // DREHBUCH Werner Herzog, nach einer Vorlage von Gaspar de Carvajal // KAMERA Thomas Mauch // MUSIK ­Popol Vuh // SCHNITT Beate Mainka-Jellinghaus // MIT Klaus Kinski (Don Lope de Aguirre), Helena Rojo (Doña Inés de Atienza), Nicolas Del Negro (Gaspar de Carvajal), Ruy Guerra (Don Pedro de Ursúa), Peter Berling (Don Fernando de Guzmán), Cecilia Rivera (Flores, Aguirres Tochter).

verhält wie Lyrik zum Nachrichtenblock.» (Harry Tomicek, Österreichisches Filmmuseum, 2/1988) 45 Min / Farbe / DCP / D/e // DREHBUCH UND REGIE Werner Herzog // KAMERA Jörg Schmidt-Reitwein // SCHNITT Beate Mainka-Jellinghaus // MIT Walter Steiner, Werner Herzog.

LA SOUFRIÈRE – WARTEN AUF EINE UNAUSWEICHLICHE KATASTROPHE BRD 1977 «Für seine Art von Kino würde er bis zur Hölle ­hinabsteigen, hat Herzog in einem Interview im Störtebeker-Ton bekannt – eine Wendung jener Art, auf die sich Journalisten wie Barrakudas stürzen, um aus Aufgeschnapptem sogenannte Bilder nach dem Leben zu formen. In La Soufrière erkühnt sich Herzog, gleichsam vibrierend vor der Herausforderung, die er mit dem Gegenstand mitdokumentiert, von den gespenstisch leeren Gassen der evakuierten Stadt Bas-Terre hinauf auf den Vulkan, der jeden Augenblick unter ihm zu explodieren droht. Aber die erwartete Eruption findet nicht statt und der Regisseur findet sich dü­ piert wie eine scheiternde Figur aus einem seiner Filme.» (Harry Tomicek, Österreichisches Film­ museum, 2/1988) 30 Min / Farbe / DCP / D/e // DREHBUCH UND REGIE Werner

DIE GROSSE EKSTASE DES BILDSCHNITZERS STEINER

Herzog // KAMERA Ed Lachman, Jörg Schmidt-Reitwein // SCHNITT Beate Mainka-Jellinghaus // MIT Werner Herzog.

BRD 1974 «Gestreckt in die Stromlinie wie eine Gottesan­ beterin, den Mund zum lautlos hymnischen Schrei aufgerissen, schwebt Walter Steiner in zwanzig­ facher Verlangsamung durch einen Traum, der beide Pole in sich vereint – den des Zaubers, den der Panik. Absolute Entrücktheit aus dem Schwe­ resog und die Angst vor dem Zerschellen im An­ gesicht der stummen, lauernden Menge, die sich Schanzenrekorde einverleiben will oder stür­ zende Springer, zu wirbelnden Kugeln aus Glied­ massen und stäubendem Schnee verformt. In sei­ nem stilisierten Porträt des weltbesten Skifliegers macht der ehemalige Skispringer Werner Herzog aus dem unauffälligen Schweizer Sportler und Bildschnitzer einen Titan, der von der Erde abhe­ bend über seine eigenen Grenzen oder den Rand des Unmöglichen hinausfliegt: Dädalus Steiner. (...) Das Cinéma vérité in den Orkus hinabtreten, dorthin, wo sein Platz sei, umschrieb Herzog ein lang gehegtes Gelüst. Seine Filme hingegen ent­ stünden immer aus starker Faszination. Letztere ist evident in diesem mit sehr eigenen Farben ge­ malten Dokument, das sich zu Sportberichten

STROSZEK BRD 1977 «Der in Berlin lebende Strassensänger Bruno S. dient dem Film von Herzog als Symbolfigur für eine der Gesellschaft anzulastende geschundene Aussenseiterrolle, der eine inhumane Umwelt menschenwürdige Existenz und Integration ver­ weigert. Auch der Versuch, gemeinsam mit sei­ nem Nachbarn und seiner Freundin in Amerika Anschluss und Glück zu finden, endet als Fiasko. Die Wunschträume der Reisenden erweisen sich als illusionär, und sie erfahren neue Zwänge und Abhängigkeiten. Der moralischen Thematik sei­ ner früheren Filme folgend, erweist Werner Her­ zog auch hier seine grosse künstlerische Inspira­ tion und Gestaltungskraft.» (filmdienst.de) 115 Min / Farbe / DCP / D+E+Türk/e // DREHBUCH UND REGIE Werner Herzog // KAMERA Thomas Mauch // MUSIK Chet Atkins, Sonny Terry // SCHNITT Beate Mainka-Jelling­ haus // MIT Bruno S. (Bruno Stroszek), Eva Mattes (Eva), ­Clemens Scheitz (Scheitz), Wilhelm von Homburg (Zuhälter),


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Werner Herzog Burkhard Driest (Zuhälter), Clayton Szalpinski (Mechaniker),

95 Min / Farbe / Digital HD / E // REGIE UND KAMERA

Ely Rodriguez (indianischer Helfer des Mechanikers), Alfred

Les Blank // DREHBUCH Michael Goodwin, Les Blank //

Edel (Gefängnisdirektor), Scott McKain (Scott).

SCHNITT Maureen Gosling // MIT Werner Herzog, Klaus ­Kinski, Claudia Cardinale, Jason Robards, Mick Jagger.

NOSFERATU – PHANTOM DER NACHT BRD/Frankreich 1978 «57 Jahre (nach Friedrich Wilhelm Murnaus ­Original; Anm. d. Red.) geht ein neuer Nosferatu um, noch mächtiger, todbringender als der von Murnau, nicht einmal mehr durch ein Liebesopfer aufzuhalten. (…) Werner Herzog hat diesen neuen Nosferatu erfunden, ein Regisseur, der sich, mehr als alle anderen neuen deutschen Filmemacher, als Erbe der grossen Tradition der zwanziger Jahre ver­ steht, des ‹legitimen deutschen Kinos›, das erst mit seiner Generation würdige Nachfolger fand. Nosferatu – Phantom der Nacht (Murnaus Film nannte sich im Untertitel Eine Symphonie des Grauens) ist der Versuch, eine Verbindung herzu­ stellen zwischen den verschollenen, ausgewan­ derten, vertriebenen Vätern und den geschichts­ losen, ihrer Traditionen beraubten Enkeln.» (Hans-Christoph Blumenberg, Die Zeit, 12.1.1979) 103 Min / Farbe / DCP / D/e // REGIE Werner Herzog // DREHBUCH Werner Herzog, nach Motiven des Films von Friedrich Wilhelm Murnau und dem Roman von Bram Stoker // KAMERA Jörg Schmidt-Reitwein // MUSIK Popol Vuh, Florian Fricke // SCHNITT Beate Mainka-Jellinghaus // MIT Klaus Kinski (Graf Dracula), Isabelle Adjani (Lucy Harker), Bruno Ganz (Jonathan Harker), Jacques Dufilho (Kapitän), Roland

FITZCARRALDO BRD 1982 Der irische Abenteurer Fitzgerald, «Fitzcarraldo» genannt, will ein Opernhaus direkt im Urwald er­ richten und dieses mit Enrico Caruso eröffnen. Um zu Geld zu kommen, will er in einem unzu­ gänglichen, bisher unberührten Gebiet Millionen von Kautschukbäumen ausbeuten. Mit einem al­ ten Dampfschiff und dessen Crew bricht er zu ei­ ner Reise ins Ungewisse auf. Sein kühner Plan, den er seiner Mannschaft verheimlicht: Um das Zielgebiet zu erreichen, will er das Schiff mit Indi­ anern per Muskelkraft und riesige Seilwinden über einen Berg schleppen lassen. «Der Held, gespielt von Klaus Kinski, versucht, im Kautschukhandel reich zu werden, um im Dschungel ein Opernhaus zu bauen und Caruso als Sänger zu engagieren. Er soll offenbar als lie­ benswerter Verlierer erscheinen, aber es ist schwer zu sagen, was Kinskis Fitzcarraldo ist, denn er ist nicht wie irgendjemand sonst auf der Welt – ausser vielleicht wenn Bette Davis Rutger Hauer spielte. Als Molly, die Puffmutter, wirkt Claudia Cardinale voller reifer Lebendigkeit in diesem asexuellen Film.» (Pauline Kael, 5001 Nights at the Movies, Henry Holt 1991)

Topor (Renfield), Walter Ladengast (Dr. Van Helsing). 157 Min / Farbe / DCP / D+E+Sp+Quechua+I/e // DREHBUCH UND REGIE Werner Herzog // KAMERA Thomas Mauch,

BURDEN OF DREAMS

­Rainer Klausmann // MUSIK Popol Vuh, Richard Strauss, div.

USA 1982

Opernarien // SCHNITT Beate Mainka-Jellinghaus // MIT Klaus Kinski (Brian Sweeney Fitzgerald «Fitzcarraldo»),

«Les Blanks Dokumentarfilm über die Entste­ hung von Werner Herzogs Fitzcarraldo ist für sich genommen kein grosses Werk, aber er hat eine ungewöhnliche Wirkung: Er lässt Fitzcarraldo in der Erinnerung zerbröseln – er verschmilzt mit ihm. Blank beweist in seinen Aufnahmen der peruanischen Indianer mehr Feingefühl als ­ Herzog, und Blanks Aufnahmen von Herzog ­ selbst, der stehend in die Kamera spricht (wenn auch mit abgewandtem Blick), sind stärker als al­ les in Fitzcarraldo. Bei diesen Monologen wirkt Herzog in seiner Distanzierung von seinen eige­ nen Methoden als Filmemacher geradezu einge­ bildet; er spricht von den gewaltigen physischen Herausforderungen, die er sich stellt, als wären sie ihm auferlegt worden – als laste ein Fluch auf ihm. Er macht die Produktion eines Films zu einer mystischen Tortur.» (Pauline Kael, 5001 Nights at the Movies, Henry Holt 1991)

Claudia Cardinale (Molly), José Lewgoy (Don Aquilino), Miguel Ángel Fuentes (Cholo), Paul Hittscher (Kapitän ­«Orinoco Paul»), Grande Othelo (Bahnhofsvorsteher), Peter Berling (Opernhausdirektor), Ruy Polanah (Gummibaron).

WO DIE GRÜNEN AMEISEN TRÄUMEN BRD/Australien 1984 «In der australischen Wüste sucht eine Minengesellschaft nach Uran. Die Ureinwohner setzen sich gegen die Zerstörung ihrer Kultur und ihrer heiligen Orte zur Wehr; die Auseinandersetzung gipfelt in einem grotesken Gerichtsverfahren, in dem sich beide Parteien in völliger Fremdheit ge­ genüberstehen. Werner Herzog argumentiert in seiner zivilisationskritischen Parabel mehr als in seinen früheren Filmen mit Worten. Dennoch kein


> Mein liebster Feind.

> Nosferatu –Phantom der Nacht.

> Little Dieter Needs to Fly.

> Wo die grünen Ameisen träumen.

> Stroszek.


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Werner Herzog ökologischer Thesenfilm, sondern eine in faszi­ nierenden Bildern, kontemplativem Rhythmus und nahezu heiterem Tonfall dargebotene Studie über das weltweite Vergehen von Hören und Se­ hen, das Verschwinden der Träume und die Ver­ härtung westlicher Denk- und Bewusstseinsfor­ men.» (filmdienst.de) 105 Min / Farbe / DCP / E/d // REGIE Werner Herzog // DREHBUCH Werner Herzog, Bob Ellis // KAMERA Jörg SchmidtReitwein // MUSIK Wandjuk Marika // SCHNITT Beate Mainka-Jellinghaus // MIT Bruce Spence (Lance Hackett), Wandjuk Marika (Miliritbi), Roy Marika (Dayipu), Ray Barrett (Cole), Norman Kaye (Baldwin Ferguson), Ralph Cotterill (Fletcher), Nick Lathouris (Arnold), Basil Clarke (Judge Blackburn), Ray Marshall (Rechtsanwalt General Coulthard).

BALLADE VOM KLEINEN SOLDATEN

Herzog in der Sahara für Fata Morgana gefilmt hatte. Kein Wunder also, dass er sich anstelle des (ironischen) Schöpfungsmythos, den er für den früheren Film verwendet hatte, eine ‹Erzählung› ausdachte, um die apokalyptischen Aspekte von Saddam Husseins Feuersbrunst hervorzuheben. Das Ergebnis in 13 ‹Kapiteln› ist eine Beschwö­ rung der Hölle auf Erden. Riesige Flammensäu­ len und schwarzer Rauch verwandeln die Wüste in eine surreale, expressionistische Alptraum­ welt; Kuwaitis schauen schockiert und traurig in die Kamera, aber nicht vorwurfsvoll; Feuerwehr­ leute scheinen bizarre, urzeitliche Rituale zu praktizieren, wenn sie schweigend ihrer offenbar erfolglosen Arbeit nachgehen. Herzogs eigene leise, ehrfürchtige Stimme intoniert die poetische Erzählung, während Wagner, Mahler, Verdi und Pärt für eine epische, elegische musikalische Un­ termalung sorgen.» (Geoff Andrew, Time Out Film Guide)

BRD 1984 BALLADE VOM KLEINEN SOLDATEN Das indigene Volk der Miskito, das von Nicaraguas Somoza-Regime verfolgt wurde, schloss sich der Sandinisten-Revolution an in der Hoffnung auf Freiheit und kulturelle Selbstständigkeit. Doch als die Sandinisten an die Macht kamen, wurden die Miskito brutal aus ihrem Stammesgebiet ver­ trieben und in die Neuzeit geschleppt. Enttäuscht zogen die Miskito erneut in den Kampf gegen das Regime, unterstützt von Somoza-Leuten und der CIA. Dabei rekrutierten sie Kindersoldaten. «Der grösste Teil des Films besteht aus Inter­ views in Flüchtlingslagern mit den Miskito, die mit einem schrecklichen, gelassenen Stoizismus aus erster Hand von Folter und Mord erzählen. Herzog, ein politischer Skeptiker, dessen anfäng­ liche Sympathien wohl der Revolution galten, nimmt all dies mit unsentimentaler Trauer auf. ‹Ich kann nicht glauben›, sagt er an einer Stelle, ‹dass die Sandinisten dies beabsichtigt haben.› Ballade vom kleinen Soldaten ist kein aufrühreri­ scher Film. Er ist sowohl ein Klagelied über den idiotischen Zustand der Welt als auch ein Lobge­ sang auf den menschlichen Geist.» (Vincent Canby, New York Times, 3.4.1985)

LEKTIONEN IN FINSTERNIS Frankreich/GB/Deutschland 1992 «Nach dem Ersten Golfkrieg reisten Herzog und Kameramann und Koproduzent Paul Berriff nach Kuwait. Was sie im Sand vorfanden, war neben Knochen, Kratern, rostendem Militärschrott und zerschmetterten Gebäudehüllen ein flammendes Inferno. Die düstere Landschaft, die sich ihnen bot, war noch dramatischer als die Trümmer, die

45 Min / Farbe / DCP / D+Sp+E/e // DREHBUCH UND REGIE Werner Herzog, Denis Reichle // KAMERA Michael Edols, Jorge Vignati // SCHNITT Maximiliane Mainka // MIT Werner Herzog, Denis Reichle.

LEKTIONEN IN FINSTERNIS 54 Min / Farbe / DCP / D+E+Arab/e // DREHBUCH UND REGIE Werner Herzog // KAMERA Paul Berriff, Rainer Klausmann // SCHNITT Rainer Standke // MIT Werner Herzog (Erzähler).

LITTLE DIETER NEEDS TO FLY Deutschland/GB/Frankreich 1997 Als Kind im Schwarzwald war Dieter Dengler fas­ ziniert von den US-Kampfflugzeugen, die sein Dorf zerstörten, und wollte nur noch eines: flie­ gen. Als 18-Jähriger zog er in die USA und bewarb sich bei der Navy, um seinen Traum wahrzuma­ chen. Beim ersten Einsatz über Laos abgeschos­ sen, geriet Dengler in Gefangenschaft und über­ lebte höchst knapp. «Herzog lässt Dieter seine eigene Geschichte erzählen und (...) versetzt ihn dabei an Schau­ plätze: in sein amerikanisches Zuhause, in sein Heimatdorf Wildberg und dann in denselben lao­ tischen Dschungel, in dem er abgeschossen wurde. Hier werden bestimmte Erinnerungen wieder lebendig: Er wird von Dorfbewohnern in Handschellen abgeführt, muss durch den Wald marschieren und demonstriert, wie er nachts an einen Pfahl gefesselt wurde. (...) Herzog als Fil­ memacher versteht sich nicht als Aufzeichnungs­ gerät, sondern als Mitarbeiter. Er sieht nicht ein­ fach zu, sondern arrangiert und justiert und ergänzt subtil, sodass der Film den Stoff von


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Werner Herzog Denglers Abenteuer zu etwas Neuem formt. (...) Es erfordert Kunst, die Erfahrung eines andern in die unsrige zu verwandeln.» (Roger Ebert, rogerebert.com, 2.10.1998) 80 Min / Farbe / DCP / E+D/e // DREHBUCH UND REGIE ­Werner Herzog // KAMERA Peter Zeitlinger // SCHNITT Joe Bini, Glen Scantlebury, Rainer Standke // MIT Dieter Dengler, Werner Herzog (Erzähler), Eugene Deatrick.

MEIN LIEBSTER FEIND Deutschland/GB/USA 1999 «Herzog geniesst das Schwelgen in Geschichten über den grotesken und einmaligen Menschen Kinski. Schliesslich erzählen all diese Geschich­ ten auch etwas über ihn, Herzog, selbst: Auch dieser, das soll der Film durchaus implizieren, balancierte stets, auf seine Weise, zwischen Ge­ nie und Wahnsinn und ist insofern der exaltierten Kultfigur Kinski mindestens ebenbürtig. (...) Die meisten deutschen Autorenfilmer beschäftigten seinerzeit ihre persönlichen Stars – Wenders ‹seinen› Rüdiger Vogler, Fassbinder ‹seinen› Kurt Raab und ‹seine› Hanna Schygulla –, doch kaum ein Duo verfügte über ein solches Charisma wie Herzog/Kinski. Zur Entstehungszeit der Filme wurden haarsträubende Geschichten von den Dreharbeiten kolportiert, die alle auf eine unend­ liche Hybris ihrer beiden Protagonisten schlies­ sen liessen. (...) Sich und das Abenteuer Kinski jetzt in Erinne­ rung zu rufen, scheute Herzog keine Mühen. Er zeigt nicht nur bisher unveröffentlichte Out­ takes von lautstarken Auseinandersetzungen des Teams, Herzog eingeschlossen, mit dem jähzor­ nigen, allürenhaften Kinski, sondern er reiste auch zu den einstigen Drehorten in Südamerika und begab sich regelrecht auf Spurensuche. (...) Angesichts der (1999) aktuellen Erzeugnisse des nach wie vor gänzlich subventionierten deut­ schen Kinos wird des Autorenfilms der 70erJahre wieder mit Wehmut gedacht, als einer Epo­ che, in der Charakterköpfe verquere Projekte zustande brachten und sich jeglicher Stromlinie, jeglicher Anbiederung ans Genre- und Main­ stream-Kino verweigerten – und dafür auch noch Geld von diversen Gremien erhielten.» (Oliver Ra­ hayel, filmdienst.de) 95 Min / Farbe + sw / DCP / D+E+Sp/f // DREHBUCH UND ­REGIE Werner Herzog // KAMERA Peter Zeitlinger // MUSIK Popol Vuh // SCHNITT Joe Bini // MIT Werner Herzog, ­Claudia Cardinale, Eva Mattes, Beat Presser, Guillermo Ríos, Andrés Vicente, Justo González, Benino Moreno Placido.

THE WHITE DIAMOND Deutschland/Japan/GB 2004 «The White Diamond» ist der Spitzname eines winzigen Luftschiffs, mit dem der britische Konstrukteur Graham Dorrington die Baumkronen tropischer Regenwälder erforschen will. Herzog begleitet das waghalsige Unterfangen und fängt dabei grossartige Bilder von unberührter Natur und Grenzbereichen menschlicher Erfahrung ein. «Herzog hat sich darauf spezialisiert, Beses­ sene und Exzentriker zu finden, die sich selbst zum Äussersten treiben (...). Schauen Sie sich nun an, was beim ersten Testflug passiert. Herzog hat einen Streit mit Dorrington. Der Wissenschaftler will alleine flie­ gen. Herzog nennt es ‹dumm›, dass der erste Flug ohne Kamera an Bord stattfinden könnte. (Es könnte ja auch der einzige Flug sein.) Herzog hat zwei Kameraleute mitgebracht, besteht aber darauf, dass er die Kamera beim Jungfernflug selbst mitnehmen muss. ‹Ich kann keinen Kame­ ramann bitten, in ein Luftschiff zu steigen, bevor ich es nicht selbst getestet habe›, sagt er. Wäh­ rend Herzog sich in der Gondel anschnallt, den­ ken wir darüber nach, dass Dorrington, hätte er dieselben Massstäbe, auf denen Herzog besteht, ihm nicht erlauben würde, in das Luftschiff zu steigen, bevor er es nicht selbst getestet hat. Es ist höchst herzogisch, dass dieses Paradox ganz augenfällig dasteht.» (Roger Ebert, rogerebert. com, 1.9.2005) 88 Min / Farbe + sw / DCP / E+D // REGIE Werner Herzog // DREHBUCH Werner Herzog, Rudolph Herzog, Annette Scheurich, nach einer Idee von Rainer Bergomaz, Marion Pöllmann // KAMERA Henning Brümmer, Klaus Scheurich // MUSIK Ernst Reijseger, Eric Spitzer // SCHNITT Joe Bini // MIT Werner Herzog (Erzähler), Graham Dorrington, Marc ­Anthony Yhap, Anthony Melville, Michael Wilk, Jan-Peter Meewes.

GRIZZLY MAN USA 2005 «Porträt und Psychogramm des Tierfreundes und ‹Bärenverstehers› Timothy Treadwell, der 13 Sommer unbewaffnet unter Grizzlys in der Wild­ nis von Alaska lebte, bis er und seine Freundin 2003 Opfer einer Bärenattacke wurden. Sein Ver­ mächtnis sind über 100 Stunden Videomaterial und die Tonaufzeichnung des überraschenden Angriffs. Werner Herzog verbindet Bilder dieses ‹Found Footage› mit eigenen Aufnahmen der Ori­ ginalschauplätze sowie mit Interviews von Be­ kannten und Freunden des naiv-selbstgefälligen


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Werner Herzog Naturfreundes. Obwohl alle Aufnahmen authen­ tisch sind, erweckt sein Film zunächst den Ein­ druck einer ‹Fake›-Dokumentation, zumal sich das Thema vielen Arbeiten Herzogs annähert: Auch hier steht ein extremer Mensch mit extre­ men Ansichten im Mittelpunkt, der nur seinen ei­ genen Idealen verpflichtet zu sein glaubt. Trotz seiner Faszination für Treadwell wahrt Herzog stets dokumentarische Distanz.» (filmdienst.de) 103 Min / Farbe / Digital HD / E // DREHBUCH UND REGIE Werner Herzog // KAMERA Peter Zeitlinger, Timothy Tread­ well // MUSIK Richard Thomson // SCHNITT Joe Bini // MIT Werner Herzog (Erzähler), Timothy Treadwell, Larry Van Daele, Amie Huguenard, Val Dexter, Carol Dexter.

RESCUE DAWN USA 2006 Der Deutsche Dieter Dengler wandert in die USA aus, um Flieger zu werden. Bei einem Navy-Ein­ satz über Laos wird er 1966 abgeschossen und gerät in Gefangenschaft. Spielfilm-Version des Stoffs von Little Dieter Needs to Fly, mit Christian Bale. «In Little Dieter Needs to Fly wird Denglers Story überhöht durch ständige Reflexionen, Allu­ sionen und Mystizismen. Bei aller Drastik und Dramatik der berichteten Ereignisse hat der Film die Qualität eines Traums. Realität, Illusion und Transzendierung der oft in hektischem Ton von Dengler selbst erzählten Geschichte greifen nahtlos ineinander. Rescue Dawn ist demgegen­ über mehr eine Hommage auf die Tugenden klas­ sischer Hollywoodfilme. Er hat einen Helden, ein abenteuerliches Sujet und die technische und darstellerische Perfektion, die dazu gehören, um ein breites Publikum zu interessieren und mitzu­ reissen. Nie zuvor ist Herzog dem amerikani­ schen Kino so nahegekommen wie mit diesem Film. Aber dennoch lässt sich keinen Augenblick verkennen, dass es ein Werner-Herzog-Film ist. Er verzichtet nicht bloss auf Special Effects und Studioaufnahmen, sondern er setzt seine Crew derselben Unbill aus, mit der auch Dieter Dengler fertigwerden musste.» (Franz Everschor, film­ dienst.de) 126 Min / Farbe / Digital HD / E/d // DREHBUCH UND REGIE Werner Herzog // KAMERA Peter Zeitlinger // MUSIK Klaus Badelt // SCHNITT Joe Bini // MIT Christian Bale (Dieter Dengler), Steve Zahn (Duane), Jeremy Davies (Gene), Zach Grenier (Gruppenführer), Marshall Bell (Admiral Berrington).

MY SON, MY SON, WHAT HAVE YE DONE USA/Deutschland 2009 «Ein junger Mann soll in einem Vorort von San Diego seine Mutter ermordet haben. Zwei Polizis­ ten sollen ihn, der angeblich Geiseln genommen hat, zur Aufgabe bewegen. Die geistige Verfas­ sung des mutmasslichen Täters scheint fragwür­ dig: Hat ihn seine Theaterrolle als Orest auf den Spuren des antiken Mythos zum Muttermord ge­ trieben? Werner Herzog durchsetzt den Thriller mit sardonisch-absurden und philosophisch-sur­ realen Spitzen und löst die Handlung mittels Rückblenden in eine bezugsreiche Bricolage auf. Das kongenial besetzte Filmexperiment verbin­ det reizvoll den amerikanischen (Alb-)Traum mit Versatzstücken antiker Mythen. (...) My Son, My Son ... wurde von David Lynchs Produktionsfirma realisiert; der Film kombiniert tatsächlich, lose zwar, Lynchs kalifornisch-surreale Albträume mit Herzogs Sinn für exzentrischen Humor und dem Gespür für das, was Herzog selbst einmal als ‹ekstatische Wahrheit› bezeichnete.» (Ulrich Kriest, filmdienst.de) 91 Min / Farbe / Digital HD / E/d // REGIE Werner Herzog // DREHBUCH Werner Herzog, Herbert Golder // KAMERA ­Peter Zeitlinger // MUSIK Ernst Reijseger // SCHNITT Joe Bini, Omar Daher // MIT Michael Shannon (Brad Macallum), Willem Dafoe (Detective Hank Havenhurst), Chloë Sevigny (Ingrid Gudmundson), Michael Peña (Detective Vargas), Brad Dourif (Onkel Ted), Udo Kier (Lee Meyers), Loretta Devine (Miss Roberts), Grace Zabriskie (Mrs. Macallum), Irma P. Hall (Mrs. Roberts).

DIE HÖHLE DER VERGESSENEN TRÄUME (3D) Frankreich/Kanada/Deutschland/USA/GB 2010 Eine der vielen niemals zu beantwortenden Fra­ gen zur Kunst ist die Frage nach ihren Ursprün­ gen. Während Musik, Tanz und Theater kaum Spuren hinterlassen haben, haben Fels- und Höh­ lenmalereien die Jahrtausende überdauert. Die Entdeckung altsteinzeitlicher Höhlenbilder in der Chauvet-Höhle im französischen Ardèche-Tal Ende des 19. Jahrhunderts veränderte die Vor­ stellungen über die Anfänge der Kunst von Grund auf. Werner Herzog, der mit einer nur vierköpfigen Crew und unter strengsten Auflagen im für die Öf­ fentlichkeit nicht zugänglichen Höhlensystem fil­ men konnte, schien es, als wäre hier «die Seele des modernen Menschen erwacht» – «im Fins­ tern, denn die Künstler des Paläolithikums haben


> My Son, My Son, What Have Ye Done.

> Into the Abyss.

> Grizzly Man.

> Family Romance LLC.

> Die Höhle der vergessenen Träume.


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Werner Herzog nur dort gemalt, wo kein Tageslicht mehr hin­ reichte. (…) Was den Film anders macht (als andere 3-D-Kultur- und -Geografie-Dokumenta­ tionen; Anm. Red.), ist die für Herzog charakteris­ tische ethno-esoterische Hintergrundstrahlung – und dieser zerrende Drang nach Erkenntnis, nach einer Wahrheit, die sich nicht aus der Addition von ‹Dokumenten› ergibt. (…) Das Herzstück des Films ist eine lange Sequenz, die nichts als Tier­ bilder zeigt, dazu ein hypnotischer Chorgesang: die Sakralisierung des Kulturfilms? Tatsächlich ist, wenn man sich so in die Linienführung unse­ rer Altvorderen versenkt, diese Vorstellung die verführerischste: dass sie gemalt haben könnten nicht um irgendeines rituellen Zweckes willen, sondern – weil sie malen wollten.» (Sabine Horst, epd Film, 1.11.2011) 90 Min / Farbe / Digital HD - 3D / D // DREHBUCH UND REGIE Werner Herzog // KAMERA Peter Zeitlinger // MUSIK Ernst Reijseger // SCHNITT Joe Bini, Maja Hawke // MIT Werner Herzog (Sprecher), Jean Clottes, Julien Monney, Jean-Michel Geneste, Michel Philippe, Gilles Tosello, Carole Fritz.

INTO THE ABYSS USA/GB/Deutschland 2011 Zwei junge Männer, Michael Perry und Jason Bur­ kett, werden wegen dreifachen Mordes verurteilt. Perry soll hingerichtet werden, Burkett kriegt we­ gen der Bemühungen seines ebenfalls kriminel­ len Vaters nur lebenslänglich. «Herzog ist gegen die Todesstrafe, die als ein­ zige Staaten der Ersten Welt nur noch USA und Japan verhängen. Aber der Film ist keine Pole­ mik. Herzog wurde neugierig auf den Fall, reiste mit einem kleinen Team nach Huntsville und Con­ roe, Texas, wo die Morde stattfanden, und sprach mit den Mördern, ihren Angehörigen und denen der Opfer. Es gelingen ihm Interviews von verblüf­ fender Ehrlichkeit und Wirkung. (...) Die Men­ schen in diesem Film berufen sich ausnahmslos auf Gott als eine Kraft in ihrem Leben. Die Mörder, ihre Angehörigen, die Angehörigen ihrer Opfer, die Polizei, alle. Gott hat einen Plan. Es ist alles Gottes Wille. Gott wird verzeihen. Ihr Leben liegt in seiner Hand. Sie müssen den Willen des Herrn akzeptieren. Verurteilt oder leidtragend, schuldig oder todunglücklich, sie alle finden offenbar Trost in Gottes Plan. Was Herzog von ihrem Glauben hält, sagt er nicht. (...) In einigen seiner Filme teilt er freimütig seine Philosophie und Erkenntnisse mit. In diesem Film schaut er einfach hin. Er scheint immer zu wissen, wohin er schauen muss.» (Roger Ebert, rogerebert.com, 9.11.2011) 107 Min / Farbe / DCP / E // DREHBUCH UND REGIE Werner Herzog // KAMERA Peter Zeitlinger // MUSIK Mark De Gli

­Antoni // SCHNITT Joe Bini // MIT Werner Herzog (Erzähler), Michael Perry, Damon Hall, Lisa Stolter-Balloun, Charles Richardson, Jason Burkett, Richard Lopez, Delbert Burkett, Melyssa Thompson-Burkett.

FAMILY ROMANCE LLC USA 2019 In Japan gibt es seit 1990 Firmen, bei denen man fiktive Familienmitglieder mieten kann für gesell­ schaftliche oder familiäre Anlässe. In Family Romance LLC spürt Herzog mit der Handkamera den Grenzbereichen zwischen fingierten und echten Beziehungen und Emotionen nach, die sich durch diese Dienstleistung ergeben. «Es konzentriert sich alles sehr schnell auf die Frage: Was geschieht denn eigentlich, wenn in diesem Reigen der falschen Gefühle auf einmal echte Zuneigung entsteht? Das ist Hauptdarstel­ ler Ishii nach eigener Aussage in seiner Funktion als Darsteller seiner Illusionsfirma tatsächlich schon passiert. Doch Herzog macht diese Frage zum Kern seiner fiktiven Geschichte, in der die Hauptfigur den Auftrag bekommt, für die 12-jäh­ rige Mahiro den Vater zu spielen, den sie nie ken­ nen gelernt hat. (…) Ist nicht Ishiis Beruf sehr eng verwandt dem des Filmemachers, der ebenfalls Emotionen hervorruft, die er realiter nicht einlö­ sen kann? (…) Auch so kann ein Film über das Fil­ memachen aussehen, der ganz nebenbei auch die aktuell erreichte Künstlichkeit aller menschli­ cher Lebensäusserungen vom robotergesteuer­ ten Hotel bis zur Doppel- und Dreifachexistenz in den Netzwerken des Digitalen aufnimmt und zeigt, dass es am Ende doch immer nur um die Authentizität der Gefühle geht.» (Josef Schnelle, filmdienst.de) 89 Min / Farbe / DCP / Jap/e // DREHBUCH, REGIE, KAMERA Werner Herzog // MUSIK Ernst Reijseger // SCHNITT Sean Scannell // MIT Ishii Yuichi (Ishii Yuichi), Mahiro Tanimoto (Mahiro), Miki Fujimaki (Mahiros Mutter), Takashi Nakatani (Brautvater/Lotteriebeamter), Kumi Manda (Brautmutter), Yuka Watanabe (Braut).

NOMAD: IN THE FOOTSTEPS OF BRUCE CHATWIN GB 2019 Der britische Autor Bruce Chatwin (1940–1989) spürte zeitlebens den Geheimnissen der mensch­ lichen Urgeschichte sowie den nomadischen Tra­ ditionen nach, die unsere Spezies in wenigen Jahrhunderten der Sesshaftigkeit abgelegt hat. 1983, bei der Arbeit an seinem Buch «Songlines», begegnete Chatwin in Australien Werner Herzog, der im Outback Wo die grünen Ameisen träumen


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Werner Herzog drehte, und die beiden ruhelosen und unstillbar neugierigen Kulturschaffenden freundeten sich an. 30 Jahre nach Chatwins Tod geht Herzog auf Spurensuche und fördert überraschende Fakten und bewegende Bilder zutage. «Obwohl der Film vordergründig eine Hom­ mage an einen verstorbenen Freund ist, vermit­ telt er uns fast beiläufig eine bessere Vorstellung davon, wie jemand wie Herzog tickt und was ihn zu den Anstrengungen treibt, die er im Laufe ­seiner Karriere immer wieder auf sich genom­ men hat. Selbst wenn er eines Tages ein unver­ hohlenes filmisches Selbstporträt seines Lebens und seiner Arbeit machen sollte, ist es schwer vorstellbar, dass es so eindringlich und auf­ schlussreich sein könnte wie dieser Film. (…) Er

bietet ­alles, was man von einem Herzog-Film er­ wartet – einen weiten Horizont, Ehrgeiz, Augen­ blicke aussergewöhnlicher visueller Schönheit (schade, dass nur wenige diesen Film auf der grossen Leinwand sehen können, wo er hinge­ hört), bissigen Humor und genügend interes­ sante philosophische Aspekte, um eine Reihe von Gesprächen nach der Vorführung anzuregen und zu fördern.» (Peter Sobczynski, rogerebert.com, 25.8.2020) 85 Min / Farbe / DCP / E+D+Aborigine-Sprache/e // DREHBUCH UND REGIE Werner Herzog // KAMERA Louis Caulfield, Mike Paterson // MUSIK Ernst Reijseger // SCHNITT Marco Capalbo // MIT Werner Herzog, Bruce Chatwin, Karin Eberhard, Nicho­ las Shakespeare, Elizabeth Chatwin, Petronella Vaarzon-Morel.

CINÉPASSION-WEEKEND

18.–21. NOVEMBER

Cinépassion, ein Zusammenschluss von PsychoanalytikerInnen und an Psychoanalyse inte­ ressierten Personen, beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Medium Film aus der Sicht der freudianischen Psychoanalyse. Neben dem regulären Programm 2021/2022, das im ­Arthouse Movie stattfindet, widmet Cinépassion vom 18.–21. November Werner Herzog im Rahmen unserer Retrospektive ein ganzes Wochenende. Neun Filme werden mit Kommen­ taren und Referaten ergänzt und anschliessend diskutiert. Die Vorführungen sind öffentlich. Das genaue Programm und Informationen zu den Referen­ tinnen und Referenten sehen Sie auf der Website cinepassion.ch.

WERNER HERZOG VOR DER KAMERA

DI, 14. DEZEMBER | 18.15 UHR

Die Retrospektive Werner Herzog wurde in Zusammenarbeit mit dem Seminar für Filmwissenschaft der Universität Zürich konzipiert, wo sich gegenwärtig ein Vertiefungsseminar für Ba­ chelorstudierende mit dem Filmemacher auseinandersetzt. Am Dienstag, dem 14. Dezember um 18.15 Uhr werden Teil­ nehmerInnen des Seminars unter der Leitung von Marius Kuhn sich im Filmpodium mit dem Thema «Werner Herzog vor der Kamera» befassen. Herzog ist nicht nur häufig in seinen eige­ nen Dokumentarfilmen zu sehen; immer wieder ist er auch als © Robin Holland

Schauspieler in Produktionen anderer Filmschaffender aufge­

treten, von deutschen Kurzfilmen bis zu Hollywood-Produktionen, und hat sich dabei zum Kult-Star entwickelt. Clips aus den betreffenden Filmen und Serien werden vorgeführt und kommentiert (ca. 90 Minuten).


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Corinnes Blind Dates Nach fast sechzehneinhalb Jahren verlasse ich Ende November alters­ halber das Filmpodium. In dieser langen Zeit haben Sie mir und mei­ nem Team, insbesondere Andreas Furler (bis 2013) und Michel Bodmer (2014 bis heute), Ihr Vertrauen geschenkt und unser Programmangebot neugierig angenommen. Heute bitte ich Sie erneut darum. Es ist aller­ dings mit einem Risiko verbunden: Ich kenne die Filme, die ich ausge­ wählt habe, nämlich nicht. «Zeigst du deine Lieblingsfilme?», wurde ich oft gefragt, wenn die Rede auf mein letztes Filmprogramm kam. Nein – das wäre ein zu schwieriges und verzichtreiches Unterfangen gewesen! Wie könnte ich all den Filmen gerecht werden, die ich nur schon in meiner Zeit beim Filmpodium entdecken konnte und die mich begeistert haben? Wie einen Fellini gegen einen Altman, einen Varda gegen einen Kurosawa abwägen? Bei vielen Filmen bleibt zudem nicht nur der Film selbst in bester Erinnerung, sondern das damalige Kinoerlebnis und sein Platz in der eigenen Biografie. Also habe ich mich entschieden, ein letztes Mal das Privileg meiner Arbeitsstelle zu geniessen: in die Filmgeschichte ­einzutauchen und Filme an die Oberfläche zu holen bzw. auf die Leinwand zu bringen, und zwar solche, die ich schon immer sehen wollte, aber nie gesehen habe. Auch wenn ich mich seit über 35 Jahren beruflich mit Film auseinandersetze, auch wenn ich mit den Festivals problemlos auf 200 bis 250 Kinobesuche pro Jahr komme (Bildschirm-Visionierungen natürlich nicht eingerechnet), so bleiben unweigerlich unzählige Lücken. Natürlich sind viele Filme dabei, die ich bewusst weggelassen habe, als sie ins Kino kamen, und auch jetzt gar nicht sehen möchte. Noch viel grösser ist die Zahl derer, von deren Existenz ich gar nichts weiss. Viele Filme aber habe ich aus den verschiedensten Gründen verpasst (auch während meiner Zeit im Filmpodium, leider!) oder konnte sie nicht sehen, weil sie in keinem Kinoprogramm und in keiner Festival-Retro aufgetaucht sind. Diese Lücken möchte ich nun, quasi auf der Zielgeraden, ansatzweise und öffentlich schliessen. Keine Lieblingsfilme also, aber doch eine Wunschliste. Wie findet man heraus, was man nicht kennt? Klar, bei etlichen Titeln, die immer wieder auftauchen, waren mir die Lücken bewusst: Die ganze Sissi-Trilogie, auch Godzilla und Sciuscià habe ich nie gesehen, Pulp Fiction erst diesen Frühsommer im Rahmen der Vorbereitung der «Neo Noir»-Reihe. Doch wie herausfinden, was man nicht kennt, was aber sozusagen zum «Weltkulturerbe» des Kinos zählt? Zum Glück gehören Über-



21 blicksreihen zur Filmgeschichte zum Kerngeschäft des Filmpodiums. Aus immer wieder anderen Perspektiven haben meine Vorgänger, KollegInnen und ich die Filmgeschichte präsentiert, sodass das Filmpodium über etliche Listen von «unumgänglichen» Filmen verfügt. Diese Listen – um jene mit Oscar-Nominationen, mit Palmen, Löwen, Pardi und anderer Flora und Fauna dekorierten Filmen und um die «Filmliste» des Seminars für Filmwissenschaft der hiesigen Uni ergänzt – bin ich durchgegangen und habe mir die Titel notiert, die mir bekannt vorkamen und so als Lücke bewusst wurden. Blindflug? Nicht ganz! Sie alle haben sicher schon die Erfahrung gemacht, dass sich bei einem Film, der Sie bei seiner Premiere beeindruckt, berührt oder sogar überwältigt hatte, beim zweiten Ansehen Jahre später das damalige Glücksgefühl einfach nicht mehr einstellen wollte. Es wich einer leisen oder heftigen Enttäuschung. Oder einfach der Erkenntnis, dass der Film früher wohl einen Nerv getroffen haben musste, jetzt aber bestenfalls als Dokument des damaligen Zeitgeistes funk­­t­ionierte, sonst aber arg Staub angesetzt hatte. Selbstverständlich konnte ich nicht ausschliessen, solche «Nieten» unter den 115 Titeln zu haben, auf die ich meine lange Longlist reduziert hatte. Um solche Enttäuschungen zu vermeiden, habe ich darum meine Shortlist zehn ehemaligen und aktuellen Arbeitskolleginnen und -partnern, Festivalgängerinnen und Filmredaktoren aus meinem direkten Umfeld geschickt: Sie sollten aus diesen Filmen, sofern sie sie selbst gesehen hatten und sie ihnen noch präsent waren, diejenigen angeben, die sie gerne wiedersehen würden oder auf die sie zumindest neugierig waren. Mit diesen Referenzen ausgestattet, habe ich schliesslich rund 25 Titel ausgewählt und abgeklärt, um daraus ein möglichst facettenreiches Programm von 16 Filmen zusammenzustellen, die ich mit Ihnen entdecken möchte. Da nicht alle schon einmal im Filmpodium gezeigt wurden (etwa The Ox-Bow Incident, Muerte de un ciclista und Un carnet de bal), dürfte auch für die eingefleischtesten Stammgäste noch Neues dabei sein. Ich freue mich darauf! Corinne Siegrist-Oboussier

Für ihr Feedback zur Longlist danke ich herzlich Michel Bodmer, Benedikt Eppenberger, ­Martin Girod, Tanja Hanhart, Marius Kuhn, Primo Mazzoni, Bernadette Meier, Annelies Ruoss, Michael Sennhauser und Hansmartin Siegrist. Film-noir-Hommage: Miller’s Crossing Über-Thriller: The Silence of the Lambs Engagierter Trümmerfilm: Die Mörder sind unter uns


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Corinnes Bild Dates

EROTIKON Schweden 1920 Der alternde Professor Leo Charpentier hat eine jüngere Frau, Irene, deren lebhafte Sexualität bei ihm nicht mehr auf ihre Rechnung kommt. So ­tändelt Irene denn gleich mit zwei Verehrern auf einmal: Leos Freund Preben Wells, ein Bildhauer, schmachtet nach Irene, und Baron Felix, ein aris­ tokratischer Playboy, entführt sie in die Lüfte. Leo, der sich etwas gar sehr für seine halbwüch­ sige Nichte Marte interessiert, merkt erst allmäh­ lich, dass Irene ihm untreu sein könnte. Doch manchmal trügt der Schein. Oft mit Lubitschs subtilen Liebeskomödien verglichen, besticht Stillers Erotikon vor allem als leicht frivole Absage an die Institution der Ehe. Wenn Irene ihre amourösen Irrungen und Wirrun­ gen hinter sich hat, kehrt sie nicht einfach zu Leo zurück; vielmehr folgt die Geschichte dem Prinzip der Wahlverwandtschaften. (mb) 90 Min / tinted + toned / 35 mm / stumm, schwed. + d Zw’titel // REGIE Mauritz Stiller // DREHBUCH Mauritz Stiller, Arthur Nordén, nach einem Bühnenstück von Ferenc Herczeg // KAMERA Henrik Jaenzon // MIT Anders de Wahl (Prof. Leo Char­ pentier), Tora Teje (Irene, seine Frau), Karin Molander (Mar­ the, seine Nichte), Lars Hanson (Preben Wells, Bildhauer), Elin Lagergren (Irenes Mutter), Vilhelm Bryde (Baron Felix). MI, 17. NOVEMBER | 18.00 UHR LIVE-BEGLEITUNG: RICHARD OCTAVIANO KOGIMA (PIANO)

UN CARNET DE BAL Frankreich 1937 «Eine wohlhabende, von Nostalgie erfüllte Witwe macht sich auf die Suche nach dem, was hätte sein können. Sie will die Männer aufspüren, die auf der Tanzkarte ihres ersten Balls vor zwanzig Jahren aufgelistet sind, und stösst dabei auf ei­ nige der berühmtesten französischen Schauspie­ ler jener Zeit: Harry Baur, der Mönch geworden ist; Raimu, ein Bürgermeister eines Städtchens, Louis Jouvet, ein Ganove; Pierre Blanchar, ein zwielichtiger Arzt; Fernandel, ein Friseur; PierreRichard-Willm, ein Bergführer. (...) Wer den Film in seiner Jugend gesehen hat, spricht heute noch von seiner grössten Szene – der Enthüllung der Diskrepanz zwischen dem, was die Witwe als ih­ ren ersten grossen Ball in Erinnerung hat, und dem armseligen kleinen Provinztanzfest, das es eigentlich war. Und man scheint Un carnet de bal eine ähnliche Nostalgie entgegenzubringen – da­ bei wirkt der Film trotz all seiner Stars und Aus­ zeichnungen auch ein bisschen schäbig. (...) Doch

er duftet durchwegs nach den 30er-Jahren und er kann als Lehrbuch französischer Schauspiel­ kunst dienen.» (Pauline Kael, 5001 Nights at the Movies, Henry Holt 1991) 120 Min / sw / DCP / F // REGIE Julien Duvivier // DREHBUCH Julien Duvivier, Henri Jeanson, Jean Sarment, Bernard Zim­ mer, nach einer Geschichte von Julien Duvivier, Leslie BushFekete // KAMERA Michel Kelber, Philippe Agostini, Pierre Levent // MUSIK Maurice Jaubert // SCHNITT André Versein // MIT Marie Bell (Christine Sugère alias Christine de Guérande), Fernandel (Fabien Coutissol), Harry Baur (Alain Regnault), Pierre Blanchar (Thierry Raynal), Louis Jouvet (Pierre­Verdier, genannt Jo), Raimu (Bürgermeister François Patusset), Françoise Rosay (Madame Audié), Pierre RichardWillm (Bergführer Eric Irvin), Pierre Alcover (Teddy Mélanco).

FRÄULEIN HUSER Schweiz 1940 Irene Hauser, Tochter eines kleinbürgerlichen Paars, arbeitet in Zürich als Schneiderin in einem Modehaus. Als sie auf dem Heimweg von einem Auto angefahren wird, flieht sie vor der Neugier der Menge, indem sie den Fahrer bittet, sie weg­ zubringen. So lernt sie Peter Frank kennen, und die beiden verlieben sich. Als Irene aber erfährt, dass Peter verheiratet ist, stürzt sie in ein Di­ lemma. Produzent Lazar Wechsler hoffte mit der Ver­ filmung des populären, inhaltlich umstrittenen Romans «Im Namen der Liebe ...» von Rösy von Känel das weibliche Publikum von HollywoodMelodramen abzuholen. Die Drehbuchautoren Ri­ chard Schweizer und Kurt Guggenheim glätteten aber die tragischen Spitzen der Vorlage zu einer versöhnlichen Geschichte, die sowohl konserva­ tive als auch liberale Geister ärgerte. Flankiert werden die Kinoneulinge Trudi Stössel und Alfred Lohner, die das ehebrecherische Liebespaar ver­ körpern, von einem routinierten Ensemble, dar­ unter Emil Hegetschweiler, Ellen Widmann und Elsie Attenhofer. (mb) Der Film war für seine Zeit thematisch unge­ wöhnlich, weil er eine sympathische junge berufs­ tätige Frau zeigt, die eine Beziehung mit einem verheirateten Mann hat, ohne diese Hauptfigur moralisch zu verurteilen. Er wurde zum legen­ dären Flop, weil er zu einem Zeitpunkt ins Kino kam, als aufgrund der politischen Zeitumstände kaum mehr Interesse für ein so «gewagtes» priva­ tes Thema bestand. Besonders beachtlich ist, dass Steckel das Schweizer-Film-übliche kabarettis­ tisch-chargierende Spiel zu vermeiden wusste. «Macht weniger!», soll er seinen DarstellerInnen immer wieder gesagt haben. (Martin Girod)


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Corinnes Bild Dates 104 Min / sw / 35 mm / Dial/f // REGIE Leonard Steckel // DREHBUCH Richard Schweizer, Horst Budjuhn, Kurt Guggen­ heim, nach einem Roman von Rösy von Känel // KAMERA Gérard Perrin, Emil Berna // MUSIK Paul Burkhard // SCHNITT Käthe Mey // MIT Trudi Stössel (Irene Hauser), Emil Hegetschweiler (Vater Hauser), Ellen Widmann (Mutter Hauser), Alfred Lohner (Peter Frank), Margarethe Schell-von Noé (seine Frau), Jakob Sulzer (Möller), Elsie Attenhofer (Colette), Alfred Rasser (Kramer, Erfinder), Johannes Steiner (Bächtold, Klavierlehrer), Marie-Eve Kreis (Frau Marion).

THE OX-BOW INCIDENT USA 1943 Als 1884 in Nevada Viehdiebe ihr Unwesen treiben und in einer Ortschaft gemeldet wird, dass ein be­ nachbarter Farmer ermordet und sein Vieh ge­ raubt worden sei, mobilisiert sich in Abwesenheit des Sheriffs eine Bürgerwehr und jagt die mut­ masslichen Täter. Die Cowboys Carter und Croft versuchen umsonst zu verhindern, dass Lynch­ justiz verübt wird. Wellmans Parabel über das faschistische Po­ tenzial im amerikanischen Volk wurde von Twen­ tieth Century Fox als finanzielles Wagnis angese­ hen und deshalb ganz im Studio gedreht, was die Klaustrophobie der Geschichte allerdings noch verstärkt. «The Ox-Bow Incident ist neun Jahre vor Fred Zinnemanns High Noon (USA 1952) nicht nur die Antithese zum Western John Fords oder Howard Hawks’. Er ist die Antithese zum Western der Zeit überhaupt – ein früher Film noir im Gewand eines anderen Genres, ein Wolf im Schafspelz. (...) Nä­ her an Hustons The Maltese Falcon (USA 1941) oder Heislers The Glass Key (USA 1942), wurde The Ox-Bow Incident in seiner finsteren Konsequenz aber selbst von den Klassikern des Film noir nicht immer erreicht. Ein grossartiger, ein einzigartiger Film!» (Matthias Merkelbach, der-film-noir.de)

heren Kameraden trifft, der den Mord an über 100 Zivilisten veranlasst hatte, brechen alte Wun­ den auf und Mertens entschliesst sich, den Kriegsverbrecher umzubringen. «Die deutsche Schuld ist das grosse Thema des Films. Wolfgang Staudte hatte ihn noch in den letzten Kriegswochen entworfen. Jetzt, im Nach­ krieg, wurde er zu einem Zeitbild. Die Anklage, die er gegen einen deutschen Offizier führt, der im okkupierten Polen Geiseln erschiessen liess, fand in der politischen Aktualität ihre historische Di­ mension: Der Tag, an dem Die Mörder sind unter uns uraufgeführt wurde, war der Tag vor der Voll­ streckung des Nürnberger Urteils. (…) Mehr als das äussere Bild der Nachkriegszeit reflektiert der Film eine innere Verfassung. (…) Staudtes Bildsprache schafft den ästhetischen Aufbruch: expressive Schatten, düstere, drohende Ruinen. Es sind die Erscheinungen der Wirklichkeit, die zu Seelenlandschaften werden.» (Wolfgang Gersch, Geschichte des deutschen Films, 2004). «Staudte (…) fühlte, dass er das Starke, Tiefe, Ungeheure, das er in seinen Mördern aussagen wollte, nicht in den konventionellen, glatten For­ men des deutschen Films der faschistischen Epo­ che aussagen konnte. Es ist kein Zufall, dass er bei der Suche nach den geeigneten Formen auf expressionistische Formen zurückgriff, dass die gestürzte und gekippte Perspektive, die eigenwil­ lige Kameraeinstellung und (...) Lichtführung (…) direkt bei der expressionistischen, künstlerisch hoch entwickelten deutschen Stummfilmschule anknüpften, denn die akademische Glätte der vo­ rangegangenen Filmperiode entsprach nicht dem aufwühlenden Appell, der von seinem Film aus­ ging.» (Kurt Maetzig, Neue Filmwelt, 5/1950) 85 Min / sw / DCP / D // DREHBUCH UND REGIE Wolfgang Staudte // KAMERA Friedl Behn-Grund, Eugen Klagemann // MUSIK Ernst Roters // SCHNITT Hans Heinrich // MIT Hilde­ gard Knef (Susanne Wallner), Ernst Wilhelm Borchert (Dr. Mertens), Arno Paulsen (Ferdinand Brückner), Erna Sellmer

75 Min / sw / DCP / E // REGIE William A. Wellman // DREH-

(Frau Brückner), Robert Forsch (Mondschein), Ernst Stahl-

BUCH Lamar Trotti, nach dem Roman von Walter Van Tilburg

Nachbaur (Arzt), Wolfgang Dohnberg (Fritz Knochenhauer),

Clark // KAMERA Arthur Miller // MUSIK Cyril J. Mockridge

Albert Johannes (Bartolomäus Timm).

// SCHNITT Allen McNeil // MIT Henry Fonda (Gil Carter), Dana Andrews (Donald Martin), Mary Beth Hughes (Rose Ma­ pen), Anthony Quinn (Juan Martínez), William Eythe (Gerald

SCIUSCIÀ

Tetley), Henry Morgan (Art Croft), Jane Darwell (Ma Grier).

Italien 1946

DIE MÖRDER SIND UNTER UNS Deutschland 1946 In den Trümmern Berlins begegnen sich der ehe­ malige Unterarzt Hans Mertens und die KZ-Über­ lebende Susanne Wallner. Beide versuchen, die Schrecken des Krieges zu verarbeiten, und kom­ men sich dabei näher. Als er zufällig auf einen frü­

Zwei Schuhputzerjungen versuchen sich mit klei­ nen Gaunereien und Geschäften auf dem Schwarz­ markt über Wasser zu halten und ihre Träume zu verwirklichen. Als einer von der Polizei zum Verrat am andern gezwungen wird, kommt es zu einer Tragödie. «Sciuscià ist gezeichnet von De Sicas Empathie für die Unterdrückten und von seiner aufrichtigen Emotionalität. Was den Film innovativ macht, ist


> Muerte de un ciclista.

> The Lavender Hill Mob.

> Jaws.

> The Bridge on the River Kwai.


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Corinnes Bild Dates die Authentizität der Atmosphäre und der Erzähl­ perspektive. Die Arbeitsweise von De Sica und ­Zavattini beruhte auf der Recherche der Figuren und ihrer Lebensumstände; so fügten sie doku­ mentarische Elemente in fiktive Situationen, die reich an ethischen und poetischen Bedeutungen sind. Die authentischen Milieuschilderungen – die Strassen Roms, der Schwarzmarkt, das Gefäng­ nis – bilden einen aussagekräftigen Rahmen für die Botschaft des Films, dass Träume mit gewis­ sen gesellschaftlichen Bedingungen unvereinbar sind.» (Mira Liehm: Passion and Defiance – Film in Italy from 1942 to the Present, University of Ca­ lifornia Press, 1984) 95 Min / sw / 35 mm / I/e // REGIE Vittorio De Sica // DREHBUCH Sergio Amidei, Adolfo Franci, Cesare Zavattini, Cesare Giulio Viola // KAMERA Anchise Brizzi // MUSIK Alessandro Cicognini // SCHNITT Niccolò Lazzari // MIT Franco Interlen­ ghi (Pasquale Maggi), Rinaldo Smordoni (Giuseppe Filip­ pucci), Aniello Mele (Raffaele), Bruno Ortensi (Arcangeli), Emilio

Cigoli

(Staffera),

Pacifico

Astrologo

(Vittorio).

In Zusammenarbeit mit

FRÜHLING IN EINER KLEINEN STADT (Xido chen zhi chun) China 1948 «Eines der schönsten Melodramen des Kinos, letzter Langfilm eines Meisters aus Shanghai: Fei Mu, den es längst in toto wieder zu entdecken gälte. Kammerspiel für fünf Personen, entstan­ den im kurzen Freiraum zwischen Weltkrieg und kommunistischer Machtübernahme: Ein Doktor besucht seinen Freund, einen kranken Aristokra­ ten, der mit seiner entfremdeten, aber pflicht­ ergebenen Frau ein unglückliches Leben zwi­ schen Ruinen führt. Der Arzt erkennt in ihr seine Jugendliebe wieder. Fei Mu schildert das Wieder­ entflammen der Leidenschaft und den folgenden Widerstreit der Loyalitäten mit höchster Konzen­ tration, entwirft Charaktere und Mise en Scène mit unerreichter Ausgewogenheit und Deli­ katesse. Das neue Regime unterdrückt Feis Zeit­ bild prompt als bourgeois und dekadent, erst in den 80er-Jahren wurde es als überragendes Meisterwerk des Mandarin-Kinos wiederent­ deckt.» (Christoph Huber, Österreichisches Film­ museum, 9/2004) 85 Min / sw / 35 mm / Mandarin/d // REGIE Fei Mu // DREHBUCH Li Tian Ji // KAMERA Li Sheng // MUSIK Yi Jun // SCHNITT Xu Ming, Wei Shun Bao // MIT Wei Wei (Zhou Yu Wen), Shi Yu (Dai Li Yan), Li Wei (Zhang Zhi Chen), Zhang Hong Mei (Dai Xiu), Cui Zhao Ming (Lao Wang).

THE LAVENDER HILL MOB GB 1951 «Alec Guinness spielt den durch und durch ehr­ lich scheinenden Bankangestellten namens Hol­ land, der seit zwanzig Jahren mit unbeirrbarer Treue den Goldbarrentransport von der Schmel­ zerei zur Bank of England besorgt und seit zwan­ zig Jahren davon träumt, einmal ein reicher Mann zu werden, bis ihn die Bekanntschaft mit einem Souvenir-Fabrikanten auf den entscheidenden Gedanken bringt, der aus dem scheuen, absolut vertrauenswürdigen Mr. Holland den grössten Dieb der Geschichte macht.» (Neue Zürcher Nachrichten, 4.6.1952) «Ein köstliches Beispiel englischen Humors, reich durchsetzt mit funkelnden Einfällen, tro­ cken und schlagkräftig die Ironie einsetzend und bei aller Freude an ulkigen und grotesken Situati­ onen niemals aus dem Takt wohltuenden Mass­ haltens herausfallend. Ein Vergnügen für Hirn und Herz vom ersten bis zum letzten Bild! Ein Le­ ckerbissen für den Freund des Bildwitzes; eine Prachtsrolle für Alec Guinness’ Meisterschaft in geistreicher Komik.» (hr, BV, 27.3.1953) 85 Min / sw / DCP / E/f // REGIE Charles Crichton // DREHBUCH T. E. B. Clarke // KAMERA Douglas Slocombe // MUSIK Georges Auric // SCHNITT Seth Holt // MIT Alec Guinness (Henry Holland), Stanley Holloway (Alfred Pendlebury), Sid James (Lackery Wood), Alfie Bass (Shorty), Marjorie Fielding (Mrs. Chalk), John Gregson (Farrow), Audrey ­Hepburn (Chiquita), Edie Martin (Miss Evesham), Jacques Brunius (Beamter), Arthur Hambling (Wallis), Gibb McLaugh­ lin (Godwin), Sydney Tafler (Clayton).

MUERTE DE UN CICLISTA Spanien 1955 «Juan und María José, ein ehemaliges Liebes­ paar aus der Oberschicht, haben eine Affäre. Auf der Rückfahrt nach Madrid fährt María José einen Radfahrer um und besteht – trotz Juans Beteue­ rung, der Mann sei noch am Leben – darauf, wei­ terzufahren, ohne Hilfe zu holen, um einen gesell­ schaftlichen Skandal zu vermeiden. Diese Entscheidung wirkt sich für die beiden unter­ schiedlich aus: Während María José um jeden Preis den sozialen Status ihrer Ehe erhalten will, weckt der Tod des Radfahrers Juans soziales und politisches Gewissen. Muerte de un ciclista, 1955 in Cannes mit dem FIPRESCI-Kritikerpreis ausgezeichnet, war die zweite Regiearbeit von Juan Antonio Bardem und behandelt ein für die damalige Zeit gefährliches Thema: eine ethische Entscheidung. Bardem war der Meinung, dass das spanische Kino nicht sei­


> Geschichte der Nacht.

> Kleine Vera.

> Das Grab der Leuchtkäfer.


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Corinnes Bild Dates ner Zeit entsprach – er bezeichnete es als ‹poli­ tisch unwirksam, gesellschaftlich unecht, intel­ lektuell verarmt, ästhetisch leer und industriell verkümmert› –, und verwendet hier die visuellen Codes des Hollywood-Melodramas und des italie­ nischen Neorealismus, um die Zensur zu umge­ hen und das schlechte Gewissen der Bürger und die Kluft zwischen Arm und Reich im zeitgenössi­ schen Spanien darzustellen.» (Rebecca Naugh­ ten, 14.11.2014, eyeforfilm.co.uk) Die franquistische Zensur gab den Film ab 16 Jahren frei, während die katholische Kirche ihn als «in höchstem Masse gefährdend» qualifi­ zierte.

das Individuum selbst richtet. (…) Während sich in Leans späteren Filmen eine gewisse Erhabenheit findet, die den Verlust menschlicher Details wett­ macht, achtet er in The Bridge on the River Kwai noch auf die persönliche Note, etwa in Oberst Ni­ cholsons selbstgefälligen Untersuchungen der fertiggestellten Brücke; beinahe schon KingLear-ähnlich mutet Nicholsons letzter Anflug von gesundem Menschenverstand an: ‹What have I done!›» (Roger Ebert, Chicago Sun-Times, 18.4.1999) 161 Min / Farbe / DCP / E/d // REGIE David Lean // DREHBUCH Carl Foreman, Michael Wilson, nach dem Roman von Pierre Boulle // KAMERA Jack Hildyard // MUSIK Malcolm Arnold //

88 Min / sw / DCP / Sp/f // REGIE Juan Antonio Bardem //

SCHNITT Peter Taylor // MIT Alec Guinness (Colonel Nichol­

DREHBUCH Juan Antonio Bardem, Luis Fernando // KAMERA

son), William Holden (Commander Shears), Jack Hawkins

Alfredo Fraile // MUSIK Isidro B. Maiztegui // SCHNITT Mar­

(Major Warden), Sessue Hayakawa (Colonel Saito), James

garita Ochoa // MIT Lucia Bosè (María José de Castro), Al­

­Donald (Major Clipton), Geoffrey Horne (Lieutenant Joyce),

berto Closas (Juan Fernandez Soler), Otello Toso ( Miguel

André Morell (Colonel Green), Peter Williams (Captain

Castro), Bruna Corra (Matilde Luque), Carlos Casaravilla

­Reeves), John Boxer (Major Hughes), Percy Herbert (Grogan),

(Rafael «Rafa» Sandoval), Manuel Alexandre (2. Radfahrer),

Harold Goodwin (Baker), Ann Sears (Krankenschwester).

Fernando Sancho (Verkehrspolizist), Matilde Muñoz Sam­ pedro (Nachbarin des toten Radfahrers), Rufino Inglés (Nico).

THE BRIDGE ON THE RIVER KWAI GB 1957 Mitten im Zweiten Weltkrieg im Dschungel von Burma: Der britische Oberst Nicholson gerät mit seiner Einheit in japanische Kriegsgefangen­ schaft und setzt fortan seinen ganzen Ehrgeiz in den Bau einer Eisenbahnbrücke, von der nur der Feind strategisch profitiert. Zur gleichen Zeit will eine Gruppe Amerikaner unter der Führung des aus dem Gefangenenlager geflohenen Major Shears diese Brücke in die Luft jagen. «David Leans erstes internationales Epos, ein Dschungeldrama voll irregeleiteter Disziplin, ver­ fehlter Loyalität, politischer Paradoxie. (…) Sou­ verän bewältigt Lean die für ihn damals neuen Di­ mensionen: Mitten in der Wildnis des Urwalds suggeriert er klaustrophobische Enge, kluge Montagen zwischen zwei aufeinander zustreben­ den Handlungssträngen schaffen Suspense, und die letzten zehn Minuten des Films sind ohnehin ein Lehrbeispiel für die Manipulation der ZeitWahrnehmung durch Ton und Schnitt. Der forma­ len Virtuosität entspricht die thematische Ambi­ valenz: Wird britisches Offiziersethos hier gefeiert oder verdammt? Konsequenterweise lautet das letzte Wort des Films denn auch ‹Madness›.» (Hans Langsteiner, Österreichisches Filmmu­ seum, 2/2009) «Die meisten Kriegsfilme sind entweder für oder gegen den Krieg. The Bridge on the River Kwai ist einer der wenigen, der seine Aufmerksamkeit nicht auf das Richtige oder Falsche, sondern auf

JAWS USA 1975 Ein riesiger Weisser Hai verbreitet Angst und Schrecken an einem amerikanischen Bade­ strand. Drei Männer fahren mit einem Fischkutter hinaus, um den Kampf mit dem Tier aufzuneh­ men. «Indem er den Weissen Hai nicht ins Bild setzte, verwendete Spielberg eine Strategie, die Alfred Hitchcock im Laufe seiner Karriere immer wieder eingesetzt hatte: ‹Eine Bombe liegt unter dem Tisch, und sie explodiert: Das nennt man Überraschung›, sagte Hitchcock. ‹Die Bombe liegt unter dem Tisch, aber sie explodiert nicht: Das nennt man Suspense.› Während des Gross­ teils des Films lässt Spielberg den Hai unter dem Tisch, und viele seiner Manifestationen im späte­ ren Teil des Films erfolgen indirekt: Wir sehen den Hai nicht, nur die Folgen seines Tuns. Das Er­ gebnis ist einer der wirkungsvollsten Thriller al­ ler Zeiten.» (Roger Ebert, rogerebert.com, 20.8.2000) 124 Min / Farbe / DCP / E/d // REGIE Steven Spielberg // DREHBUCH Peter Benchley, Howard Sackler (ungenannt), nach dem Roman von Peter Benchley // KAMERA Bill Butler // MUSIK John Williams // SCHNITT Verna Fields // MIT Roy Scheider (Polizeichef Martin Brody), Robert Shaw (Captain Quint), Richard Dreyfuss (Matt Hooper), Murray Hamilton (Bürgermeister Larry Vaughan), Lorraine Gary (Ellen Brody), Carl Gottlieb (Meadows), Jeffrey C. Kramer (Hendricks), ­Susan Backlinie (Chrissie), Jonathan Filley (Cassidy).


> Sciuscià.

> The Ox-Bow Incident.

> Frühling in einer kleinen Stadt.

> Un carnet de bal.


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Corinnes Bild Dates

GESCHICHTE DER NACHT Schweiz/BRD 1979 Europäische Städte in der Nacht. Die unkommen­ tierten Bilder nächtlich verödeter Strassen und Plätze, finsterer Fassaden und unheimlicher Kreuzungen ergeben zusammen mit der Nacht­ musik aus Geräuschen, Stimmen und Tönen ei­ nen meditativen, radikal gegen alle Fernsehge­ wohnheiten gerichteten Film. «Die nächtlichen Spaziergänge des Mr. Leo­ pold Bloom in James Joyces Roman ‹Ulysses› inspirierten Klopfenstein zu einem seinerzeit ­ ­einzigartigen film- und kameratechnischen Expe­ riment. 150 Nächte lang fing er mit hochempfind­ lichem Schwarzweiss-Filmmaterial und mit Mini­ atur-Tonbandgerät die Atmosphäre von mehr als einem Dutzend europäischer Städte in den Stunden nach Mitternacht ein. In der Bild- und Tonmontage verdichten sich Aufnahmen aus der Schweiz, der Türkei, aus Polen, Tschechien, Rumänien, Italien, Frankreich, Spanien, England, Irland und Deutschland zur Physiognomie einer europäischen Metropole mit einer weiten geogra­ fischen Ausdehnung. Entfernteste Schauplätze und Originaltöne amalgamieren zu einem einzi­ gen fiktiven optischen und akustischen NachtRaum.» (swissfilms.ch) «Eine seltsame und bemerkenswerte Kombi­ nation aus Traum, Dokumentation und ScienceFiction.» (Chris Auty, zit. klopfenstein.net) 63 Min / sw / DCP / ohne Dialoge // DREHBUCH, REGIE, ­KAMERA Clemens Klopfenstein // SCHNITT Hugo Sigrist, Clemens Klopfenstein.

 am Donnerstag, 25. November, 18.00 Uhr in Anwesenheit des Regisseurs

DAS GRAB DER LEUCHTKÄFER (Hotaru no haka) Japan 1988 «In den letzten Kriegstagen des Zweiten Welt­ kriegs kommt die Mutter des 14-jährigen Seita und seiner vierjährigen Schwester Setsuko bei ei­ nem Bombenangriff ums Leben. (...) Der Lebens­ wille von Seita aber reisst nicht ab. Unerschütter­ lich versucht er, seiner kleinen Schwester nicht nur das Überleben, sondern auch Momente des Glücks zu ermöglichen – obgleich er selbst nie­ manden hat, mit dem er seine Angst und Ver­ zweiflung teilen kann. Aber Setsuko leidet an Un­ terernährung und wird bald ernsthaft krank.» (kinofilmwelt.de) «Es ist beklemmend, wie entschieden sich Isao Takahata hier weigert, die Augen vor den Schrecken des Krieges zu verschliessen. (...) Das

ist mitunter kaum zu ertragen, etwa wenn sich bereits die Maden an den bandagierten Leichnam der verbrannten Mutter machen. Der Regisseur erweitert nicht nur kühn die Zuständigkeiten des Animations-, sondern auch des Kinderfilms. (...) Takahata übersetzt Trauer und Verlust in ein Kör­ perspiel, das man bis dahin nicht von animierten Figuren kannte. (...) Trost finden die Kinder im An­ blick der Glühwürmchen (die nach dem Abbren­ nen liebevoll begraben werden) und dem Inhalt einer Dose von Fruchtbonbons (deren Hersteller nach dem Erfolg des Films Setsukos Antlitz dar­ auf prägen liess). Ihre Geschichte wird vom Tod her erzählt: ‹Am 21. September 1945 bin ich ge­ storben›, verkündet die Erzählstimme Seitas zu Beginn, der fortan als Geist die Orte wieder be­ sucht, an denen sich ihre Geschichte zutrug. Das ist eine Zumutung, mit der man im Verlauf des Films seinen Frieden machen kann. Takahatas Kino lässt Mehrdeutigkeit und bestürzende Här­ ten zu. Eigentlich sind sie sogar dessen Kern.» (Gerhard Midding, epd Film, 8.4.2018) 88 Min / Farbe / 35 mm / Jap/d / ab 12 // REGIE Isao Takahata // DREHBUCH Isao Takahata, nach der Kurzgeschichte von Akiyuki Nosaka // KAMERA Fumi Yamamoto // MUSIK Michio Mamiya // SCHNITT Takeshi Seyama // MIT Tatsumi Tsutomu (Seita), Shirashi Ayano (Setsuko), Shinohara Yoshiko (die Mut­ ter), Yamaguchi Akemi (die Tante).

KLEINE VERA (Malenkaja Vera) UdSSR 1989 «Vera wird in einer typischen sowjetischen Indus­ triestadt erwachsen. Ihr Lebensweg scheint vor­ bestimmt: Ausbildung, Arbeit, Plattenbauwoh­ nung, Familie. Die 17-Jährige rebelliert dagegen mit Netzstrümpfen, engem Minirock, chaotischer Frisur und schnippischem Benehmen. Sie treibt sich lieber mit einem blond gelockten Studenten herum. Als dieser mit zur Familie zieht, eskaliert die Situation.» (Programmheft Arsenal, Berlin) «Die Botschaft des Films ist auf subtile Art be­ wegend. Die umschriebene Traurigkeit eines Le­ bens in einer öden Industriestadt; die Unfähigkeit der Generationen, einander zu verstehen. (…) Die grösste Offenbarung des Films ist die eindringli­ che Darstellung von Natalja Negoda als Vera.» (Suzi Feay, Time Out Film Guide) 131 Min / Farbe / 35 mm / Russ/d/f // REGIE Wassilij Pitschul // DREHBUCH Maria Chmelik // KAMERA Jefim Resnikow // MUSIK Wladimir Matezki // SCHNITT Jelena Zabolozkaja // MIT Natalja Negoda (Vera), Andrej Sokolow (Sergej), Juri Nasarow (Kolja, Veras Vater), Ljudmila Saizewa (Veras Mut­ ter), Alexander Alexejew-Negreba (Viktor, Veras Bruder),

­Andrej Fomin (Andrej), Alexander Mironow (Tolik), Alexander Lenkow (Michail Petrowitsch).


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Corinnes Bild Dates

MILLER’S CROSSING

THE SILENCE OF THE LAMBS

USA 1990

USA 1991

Tom, persönlicher Berater des irischen Gangster­ bosses Leo und zugleich ein notorisch verschul­ deter Spieler, lässt sich durch das Washington der Prohibitionszeit treiben, das von Mafiosi und machtbesessenen Halbkriminellen regiert wird. Als Tom eine Affäre mit Leos Geliebter Verna be­ ginnt und sich Leos Erzfeind Caspar andient, ge­ rät die Unterwelt aus den Fugen. In unterkühlten Bildern werden Ewigkeits­ werte (Vertrauen, Ehre) und Obsessionen (Gewalt, Geld) des Gangsterfilms thematisiert. «Dabei strebt Miller’s Crossing eine Präzision in der Ver­ bindung von Form und Inhalt an, die im heutigen Kino nur zu selten geworden ist; die strikte Til­ gung jeder Handschrift, aller Zeichen von Auto­ renschaft, die von der Erzählung ablenken könn­ ten, macht den Film umso eindeutiger zum Produkt eines (doppelköpfigen) ‹auteur›.» (Tim Pulleine, Sight & Sound, Winter 1990/91) «Die Coen-Brüder haben für die Rollen ein Ty­ penarsenal zusammengestellt, das die Rohheit, Machtgier und das gegenseitige Misstrauen mit überrumpelnder Präsenz plausibel macht. Vom irischen Dickschädel über den gefallenen Engel, Frettchen und Wölfe und Maulhelden blickt man in einen düsteren Moloch menschlicher Selbst­ zerstörung.» (Wolfram Knorr, Die Weltwoche, 14.2.1991)

«Eine junge FBI-Anwärterin soll bei der Verfol­ gung eines mehrfachen Frauenmörders die Intui­ tion eines gefährlichen Soziopathen nutzen, der einst ein brillanter Psychiater war, aber selbst zum kannibalistischen Serienmörder wurde. Ihr Ringen mit dem genialen Monster endet, nach­ dem ihr Kindheitstrauma erneut hervorgebro­ chen und der Frauenmörder zur Strecke gebracht worden ist, in einer Patt-Situation. Vermutlich der einflussreichste Thriller der 1990er-Jahre, nicht nur des endlos kopierten Se­ rialkiller-Motivs, sondern auch seiner eisigen ­Atmosphäre wegen, welche weit beklemmender wirkt als die fast ganz aufs Finale beschränkten blutigen Effekte. Entscheidend für diese Atmo­s­ phäre sind die extreme Gefühlskälte Anthony Hopkins’ als Bösewicht Hannibal Lecter, die ­extreme Beherrschtheit Jodie Fosters als quasi­ jungfräulicher Detektivin Clarice und das da­raus resultierende untergründige Ringen um de­ ren seelische Unversehrtheit. Nachdem sich die Schurken im Thriller der achtziger Jahre unter dem Einfluss des ‹Brutalofilms› vor allem durch physische und psychische Exzessivität ausge­ zeichnet hatten, kehrte die Figur Hannibal Lec­ ters mit der vollkommenen Ungerührtheit eine ganz andere Facette des Bösen hervor.» (Andreas Furler, Filmpodium, Nov./Dez. 2011)

115 Min / Farbe / 35 mm / E/d/f // REGIE Joel Coen, Ethan

118 Min / Farbe / 35 mm / E/d/f // REGIE Jonathan Demme //

Coen (ungenannt) // DREHBUCH Joel & Ethan Coen, nach den

DREHBUCH Ted Tally, nach dem Roman von Thomas Harris //

Romanen «Red Harvest» und «The Glass Key» von Dashiell

KAMERA Tak Fujimoto // MUSIK Howard Shore // SCHNITT

Hammett (ungenannt) // KAMERA Barry Sonnenfeld //

Craig McKay // MIT Jodie Foster (Clarice Starling), Anthony

­MUSIK Carter Burwell // SCHNITT Michael R. Miller // MIT

Hopkins (Dr. Hannibal Lecter), Scott Glenn (Jack Crawford),

Gabriel Byrne (Tom Reagan), John Turturro (Bernie Bern­

Ted Levine (Jame Gumb), Anthony Heald (Dr. Frederick Chil­

baum), Albert Finney (Liam «Leo» O’Bannion), Marcia Gay

ton), Brooke Smith (Catherine Martin), Diane Baker (Senator

Harden (Verna Bernbaum), Jon Polito (Giovanni «Johnny

Ruth Martin), Kasi Lemmons (Ardelia Mapp), Roger Corman

­Caspar» Gasparo), J. E. Freeman (Eddie Dane), Steve Buscemi

(FBI-Direktor Hayden Burke), Paul Lazar (Pilcher), George A.

(Mink), Sam Raimi (kichernder Schütze), Frances McDor­

Romero (FBI-Agent in Memphis, ungenannt).

mand (Sekretärin des Bürgermeisters, ungenannt).

THE NÜSCHELER STREET MOB

ABSCHIEDSVORSTELLUNG MI, 24. NOV. | 18.00 UHR

Mit der Vorführung von Charles Crichtons Komödie The Lavender Hill Mob (GB 1951) ver­ abschiedet sich Corinne Siegrist-Oboussier nach 16 Jahren vom Filmpodium der Stadt ­Zürich. Im Anschluss an die Vorstellung sind Gäste und Publikum zu einem kleinen Apéro im Kinofoyer eingeladen. Eintritt frei; Platzzahl beschränkt. Bitte holen Sie Ihr Ticket frühzeitig an der Kinokasse. Keine Reservationen; kein Online-Ticketbezug.


31 The Story of Film: An Odyssey

Episoden 9+10 (1967–1979) Der nordirische Dokumentarfilmer und Autor Mark Cousins beschäftigt sich seit dreissig Jahren mit den unterschiedlichsten Aspekten des Kinos. In The Story of Film: An Odyssey (2011) erzählt er in 17 einstün­ digen Episoden die Filmgeschichte nach, den Kern bilden dabei ­kommentierte Filmausschnitte und Interviews mit verschiedenen Film­ grössen und Schauspielern. Mit seinen präzisen Beobachtungen und umfangreichen Analysen schafft es Cousins, unseren Blick auf die 125-jährige Filmgeschichte zu schärfen. In den ersten drei Episoden machte er sich auf zu den diversen Geburtsorten des Films und brachte uns zum Staunen darüber, wie rasch und vielfältig sich die neue Kunstform entwickelte. In den Episoden 4–8 schilderte er, wie sich Filmgenres herausbildeten und sich danach die sogenannten Neuen Wellen weltweit ausbreiteten und «Papas Kino» aufmischten. Nun geht die Entdeckungsreise weiter. Zu jeder (unabhängig funktionierenden) Episode zeigen wir jeweils eine Auswahl der vorgestellten Filme. In diesem Programm folgen nun die Episoden 9 und 10 über das Kino der 70er-Jahre. In den USA bringen vor allem ­Satire und ein neuer Um- und Zugang zu den etablierten Genres neuen Wind in die Filmkunst, und das Weltkino wird politisch aktiv.

THE STORY OF FILM: AN ODYSSEY. EPISODE 9 – AMERICAN CINEMA OF THE 70s

THE STORY OF FILM: AN ODYSSEY. EPISODE 10 – MOVIES TO CHANGE THE WORLD

GB 2011

GB 2011

1967–1979: In dieser Episode untersucht Mark Cousins das New American Cinema der 1970erJahre. Der Aufbruch der 60er beginnt Blüten zu tragen, es entstehen satirische Filme, Protest­ filme aus den Gegenkulturen und Filme, die die Genres des alten Hollywood übernehmen und weiterentwickeln. Paul Schrader spricht über sein existentialistisches Drehbuch zu Taxi Driver und Charles Burnett über die Geburt des Black American Cinema.

1969–1979: In dieser Episode widmet sich Mark Cousins dem wilden Kino eines Werner Herzog und eines Nicolas Roeg. Filmemacher in Deutsch­ land, Iran, England , Afrika, Asien und Italien stel­ len grosse Fragen über sich selbst, über Identität, Sexualität und ihre Herkunftsländer.

Je 60 Min / Farbe + sw / Digital HD / E/d // DREHBUCH, ­REGIE, KAMERA Mark Cousins // SCHNITT Timo Langer. Die Episoden 9 und 10 von The Story of Film werden sowohl einzeln als auch im Doppelpack gezeigt (siehe Programm­ übersicht oder www.filmpodium.ch)


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The Story of Film

PERFORMANCE GB 1970 Chas, ein Kleingangster im Londoner East End, tötet bei einer Aktion ein Bandenmitglied und muss untertauchen. Er versteckt sich im Haus von Turner, einem ehemaligen Rockstar, der dort mit zwei Frauen in einer Ménage-à-trois lebt . «Indem er in deren Welt des Drogenkonsums und der Pro­ miskuität hineingezogen wird, sieht sich der Gangster mit seinen eigenen sexuellen Ambiva­ lenzen konfrontiert. Der Rockstar wiederum ent­ deckt in [Chas’] Gewaltbereitschaft etwas Wildes, das er selbst verloren hat. Mittels Spiegeln, Perü­ cken, Make-up und räumlichen Zweideutigkeiten stellen Roeg und Cammell die Verschmelzung dieser beiden Identitäten dar, so wie die Schau­ spielerin und die Krankenschwester in Bergmans Persona miteinander verschmelzen. Performance beschäftigt sich jedoch noch mehr als der schwe­ dische Film mit der Frage, was es heisst, ein Künstler zu sein. Der Gangster bezeichnet sich selbst als solcher. Szenen aus seinem früheren Leben wurden teilweise mit verzerrenden 12-mmFischaugenobjektiven gedreht. Nach einem Pis­ tolenschuss scheint die Kamera wie eine Kugel durch einen Schädel zu gleiten, in einen Kopf ­hinein, durch ein Bild des argentinischen Fabulie­

rers Jorge Luis Borges hindurch und noch tiefer. Auch der Film selbst tut dies, er beginnt in der protzigen Welt der Londoner Gangster und dringt dann in das Unterbewusstsein seiner Figuren vor, den Ort, wo sich die Gewissheit über ­Sexualitäten und Identitäten auflöst.» (Mark Cousins: The Story of Film, Pavilion 2020) 105 Min / Farbe / 35 mm / E // REGIE Nicolas Roeg, Donald Cammell // DREHBUCH Donald Cammell // KAMERA Nicolas Roeg // MUSIK Jack Nitzsche // SCHNITT Anthony Gibbs, Brian Smedley-Aston // MIT James Fox (Chas), Mick Jagger (Turner), Anita Pallenberg (Pherber), Michèle Breton (Lucy), Ann Sidney (Dana), John Bindon (Moody), Stanley Meadows (Rosebloom), Allan Cuthbertson (Anwalt).


The Story of Film

THE LAST MOVIE USA 1971 «In der Wildnis der Anden wird ein HollywoodWestern gedreht. Die peruanischen Eingeborenen schauen staunend zu, ohne zu begreifen, dass die wüsten Schiessereien nur gestellt sind. Nachdem die Produktion wieder abgezogen ist, spielen die Indios selbst ‹Filmproduktion›; sie prügeln sich dabei allerdings ganz real. Ein Stuntman, der bei ihnen geblieben ist, wird angeschossen, als er ein­ zugreifen versucht. Ein wild verschachtelter und mit einer Vielzahl experimenteller Einfälle durch­ setzter Film über den Mythos Film; zugleich eine wütende Abrechnung mit dem Hollywood-Sys­ tem.» (Patrick Holzapfel, filmdienst.de, Dez. 2018) Der Film «hatte eine brillante Prämisse: Nach den Dreharbeiten eines Western in Peru bleibt ein Stuntman vor Ort (...). Die lokale Bevölkerung ­wiederum behandelt die Überbleibsel der Dreh­ arbeiten, als wäre ein Gott auf Besuch gewesen. Sie fertigen aus Bambus ikonische Modelle der Ausrüstung an und ahmen die inszenierten Ge­ waltszenen nach. Wären da nicht die Titel am An­ fang des Films, man könnte meinen, er sei von Jean-Luc Godard inszeniert worden. Hopper frag­ mentiert seine Geschichte, er beginnt am Ende, baut Szenen in Szenen hinein und wendet sogar

die Godard’sche Methode an, den Zwischentitel ‹Scenes missing› einzufügen. Die Kritiker nann­ ten das Ergebnis ‹abscheulich›, ‹ein Fiasko›, ‹eine Katastrophe›, ‹erbärmlich› und ‹eine Peinlich­ keit›. Es ging ihnen zu weit. Sie mussten den Film in ihrem Kopf neu arrangieren, nachdem sie ihn gesehen hatten. Hopper hatte es vermasselt. Ein Journalist behauptete, dass er – Hopper – darauf­ hin jede Nacht geweint habe.» (Mark Cousins: The Story of Film, Pavilion 2020) Als Film-im-Film-Regisseur gibt’s Samuel Fuller in Aktion zu erleben. 108 Min / Farbe / DCP / E/d // REGIE Dennis Hopper // DREHBUCH Dennis Hopper, Stewart Stern // KAMERA László ­Kovács // MUSIK Severn Darden, Chabuca Granda, Kris ­Kristofferson, John Buck Wilkin // SCHNITT David Berlatsky, Antranig Mahakian, Dennis Hopper // MIT Dennis Hopper (Kansas), Stella Garcia (Maria), Julie Adams (Mrs. Anderson), Tomás Milián (Priester), Don Gordon (Neville Robey), Roy Engel (Mr. Harry Anderson), Donna Baccala (Tochter der ­ ­Andersons), Daniel Ades (Thomas Mercado), Samuel Fuller (Hollywood-Regisseur), Sylvia Miles (Script), Dean Stockwell (Billy the Kid), Rod Cameron (Pat Garrett), Michelle Phillips (Hauptdarstellerin), Severn Darden (Bürgermeister), Kris Kristofferson (singender Cowboy), Toni Basil (Rose), Peter Fonda (junger Sheriff), Russ Tamblyn (Bandenmitglied von Billy).

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The Story of Film

ANGST ESSEN SEELE AUF BRD 1974 «An Einsamkeit und gesellschaftlicher Isolierung entzündet sich die Beziehung zwischen einer Witwe und einem 20 Jahre jüngeren marokkani­ schen Gastarbeiter. Ihre wahre Belastungsprobe aber erlebt die Verbindung erst, als sie in Form ei­ ner bürgerlichen Ehe institutionalisiert werden soll.» (Lexikon des int. Films) «Fazit der anrührenden Lovestory (…): ‹Glück ist nicht immer lustig.› Für Hauptdarstellerin Bri­ gitte Mira, die dafür den Bundesfilmpreis bekam, ist die Geschichte ‹zum Teil auch mein eigenes Problem; mein Mann ist 16 Jahre jünger und auch Ausländer›.» (Der Spiegel, 24.7.1977) Fassbinder «reiste in die Schweiz, wo Sirk da­ mals im Ruhestand lebte, und drehte dessen glänzendes, impotentes Melodram All that Heaven Allows als Angst essen Seele auf neu. Jane Wyman litt unter der Selbstgefälligkeit und Intoleranz ih­ rer Freunde und Familie, als sie in All that Heaven Allows eine Affäre mit ihrem Gärtner Rock Hudson begann. In der Neuverfilmung ist Wymans Figur nun eine alternde Putzfrau, die sich in einen ma­ rokkanischen Einwanderer verliebt. Im ersten Film ist ein Fernseher der einzige Begleiter, den Wymans missbilligende Freunde akzeptieren; in Fassbinders Version wird dieser als Ausdruck rassistischer Wut in Stücke geschlagen. Es war der dreizehnte Kinofilm, den er innerhalb von

fünf Jahren drehte – einige nach amerikanischen ­Vorbildern, andere unter dem Einfluss von ­Godard, radikalem Theater und deutscher Literatur. Fass­ binders Pessimismus und seine marxistischen politischen Überzeugungen führten ihn wie Vis­ conti dazu, geschlossene Welten darzustellen, aus denen die Menschen nicht entkommen kön­ nen. Gefangen im Kapitalismus und gefangen in der Begierde zerstören sie sich selbst.» (Mark Cousins: The Story of Film, Pavilion 2020) 93 Min / Farbe / DCP / D // DREHBUCH UND REGIE Rainer Werner Fassbinder // KAMERA Jürgen Jürges // SCHNITT Thea Eymèsz // MIT Brigitte Mira (Emmi), El Hedi Ben Salem (Ali), Irm Hermann (Krista), Barbara Valentin (Barbara, Wir­ tin), Rainer Werner Fassbinder (Eugen, Kristas Mann), Karl Scheydt (Albert Kurowski), Elma Karlowa (Frau Kargus), Anita Bucher (Frau Ellis), Gusti Kreissl (Paula), Walter Sedlmayr (Angermayer, Krämer), Doris Mattes (Frau Angermayer), ­Peter Gauhe (Bruno Kurowski).


The Story of Film

THE HOLY MOUNTAIN (La montaña sagrada) Mexiko/USA 1975 Ein Dieb wird betrunken gemacht, damit ein Ab­ guss seines Körpers hergestellt werden kann. Daraus werden lebensgrosse Figuren des ge­ kreuzigten Jesus gefertigt. Wieder bei Sinnen, wird der Dieb wütend und zerstört die Figuren. Daraufhin klettert er auf einen geheimnisvollen Turm, wo er einen Alchemisten trifft. Dieser macht ihn mit seinen zukünftigen sieben Gefähr­ ten, auch sie Diebe, bekannt. Gemeinsam sollen sie nach dem heiligen Berg suchen, wo die neun Weisen, die Hüter des Geheimnisses der Unsterb­ lichkeit, thronen. «Dieser von John Lennon und Yoko Ono mit­ finanzierte Film ist eine aufrührerische, surrea­ listische, frevelhafte Satire, die 1973 in Cannes für Empörung sorgte. The Holy Mountain ist durch­ drungen von Tarot-Bildern, alchemistischem Mystizismus und gegenkulturellem Irrwitz – ein Film wie ein Wachtraum!» (Mubi.com) «Jodorowsky studierte Pantomime in Paris. Er glaubte an den Zen-Buddhismus – die Idee, dass die Menschen sich selbst entthronen sollten – und er studierte Carl Jung. (…) Hier also steigt in ge­ wisser Weise ein Mann in das Labyrinth seines eigenen Bewusstseins, wo er seltsame Bilder ­ und Archetypen entdeckt, die er mit allen mensch­ lichen Wesen teilt. Indische Musik erklingt.

­ odorowskys Figur ist ein Alchemist. Er fragt den J Dieb, ob er Gold will. Natürlich will er. Aber die Art und Weise der Herstellung ist aussergewöhnlich. Der Dieb muss defäkieren und dem Alchemisten seinen eigenen Schweiss geben. Das spirituelle Erwachen des Diebes beginnt. Schliesslich werden seine eigenen Exkremente zu Gold. Jodorowsky hatte durchaus Sinn für ­Humor. Aber seine Reise zum heiligen Berg der Selbstentdeckung und des Selbstverlusts hat ge­ rade erst begonnen. Primärfarben, ovale Formen, ein Pelikan, Nacktheit – ein sehr 70er-Jahremässiges Produktionsdesign. Die Selbstfindungsreise des Diebes spiegelt die des Kinos der 70er-Jahre selbst wider. Die po­ litischen, innovativen Filmemacher hatten das Kino nackt ausgezogen, es mit Symbolik über das Selbstsein aufgeladen, es bekämpft und zu Gold gemacht.» (Mark Cousins, The Story of Film: An Odyssey, Episode 9) 114 Min / Farbe / DCP / E+Sp/d // DREHBUCH UND REGIE ­Alejandro Jodorowsky // KAMERA Rafael Corkidi // MUSIK Don Cherry, Ronald Fangipane, Alejandro Jodorowsky // SCHNITT Alejandro Jodorowsky, Federico Landeros // MIT Alejandro Jodorowsky (der Alchemist), Horácio Salinas (der Dieb), Zamira Saunders (beschriftete Frau), Juan Ferrara (Fon, Planet Venus), Adriana Page (Isla, Planet Mars), Bert Kleiner (Klen, Planet Jupiter), Valerie Jodorowsky (Sel, ­Planet Saturn), Nicky Nichols (Berg, Planet Uranus), Richard Rutowski (Axon, Planet Neptun), Luis Loveli (Lut, Planet Pluto), Ana De Sade (Prostituierte).

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The Story of Film

VORWÄRTS, ARMEE GOTTES! (Yuki yukite, shingun) Japan 1987 «Wir schreiben das Jahr 1982. Kenzo Okuzaki, 62 Jahre alt, Überlebender des Krieges in Neu­ guinea, verkauft in der Stadt Kobe zusammen mit seiner Frau Batterien. Er ist der Mann, der für seine gefallenen Kriegskameraden voller Zorn den Tenno mit Schleuderkugeln angeriffen hat. Er betrachtet sich selbst als einziger aus der ‹Armee Gottes der Gleichen›. Für ihn bedeutet die nur in seiner Vorstellung existierende Armee, dass al­ lein das Gesetz des Gottes gilt, gegen alle Gesetze und Ordnungsregeln der Gesellschaft. Dies treibt ihn zur Rebellion.» (Katalog Int. Forum der Berli­ nale, 1987) «In diesem Film folgt Regisseur Hara dem Ve­ teranen des Zweiten Weltkriegs Kenzo Okuzaki bei seiner Suche nach dem Verbleib seiner Kame­ raden in Neuguinea. (...) Er spürte ehemalige Mi­ litärkommandeure auf, trank mit ihnen Tee und befragte sie hartnäckig zu den Ereignissen in Neuguinea. Als sie nicht weiterkommen, engagie­ ren er und Regisseur Hara einen Schauspieler und eine Schauspielerin, die vorgeben, Verwandte der vermissten Soldaten zu sein, in der Hoffnung, dass ihre moralische Autorität dazu beiträgt, den

pensionierten Kommandeuren Antworten zu ent­ locken. Die daraus resultierenden Szenen gehö­ ren zu den moralisch fragwürdigsten, die je ge­ filmt wurden. Denn wir, das Publikum, die Schauspieler, die die Geschwister spielen, und Okuzaki selbst wissen, dass diese alten Männer belogen und mit Schuldgefühlen konfrontiert werden, damit die Wahrheit aus ihnen herauszu­ bekommen ist. Doch Hara und Okuaki gehen noch weiter. Schliesslich greift der Veteran einen der alten Kommandeure an, der auf schmerzhafte Weise enthüllt, dass die vermissten Soldaten in Neuguinea tatsächlich gegessen wurden. Hara ist ein grossartiger Filmemacher, aber ein Hinweis auf die Quelle der Entschlossenheit des Films, die Wahrheit aus zurückhaltenden Menschen her­ auszupressen, kommt im Abspann: Er wurde von Shohei Imamura ‹geplant›.» (Mark Cousins: The Story of Film, Pavilion 2020) 122 Min / Farbe / 16 mm / Jap/d // DREHBUCH, KAMERA, ­REGIE Kazuo Hara // SCHNITT Jun Nabeshima.


37 Filmpodium für Kinder

Ailos Reise

Während zweier Jahre begleitete ein Filmteam mit viel Ausdauer eine Herde Rentiere in Lappland. Spektakuläre Bilder, in eine berührende Geschichte gepackt. Zwar ist Ailos Reise ein Dokumentarfilm. Aber er wird erzählt wie eine Geschichte mit einer Hauptfigur, dem Rentier Ailo. Wir begleiten es von seiner Geburt an und erleben, wie es in seiner Herde aufwächst. Auf der Wanderung durch die arktische Wildnis nahe dem Polarkreis kommen die Rentiere mit vielen anderen Tierarten in Kontakt, darunter Eichhörnchen, Elche, Adler und Wölfe – und Ailo muss lernen, dass er sich vor manchen besser in Acht nimmt. Auf die Rentiere warten viele Abenteuer und sie müssen auch lebensgefährliche Situationen durchstehen.

AILOS REISE (Aïlo: une odyssée en Laponie) / Frankreich/Finnland 2018 86 Min / Farbe / DCP / D / ab 6 // REGIE Guillaume Maidatchevsky // DREHBUCH Guillaume Maidatchevsky, Morgan Navarro // KAMERA Daniel Meyer // MUSIK Julien Jaouen // SCHNITT Laurence Buchmann // MIT Anke Engelke (Erzählerin). Altersfreigabe: Zutritt ab 6 Jahren, empfohlen ab 8 (Begleitung durch Erwachsene generell empfohlen). Kinderfilm-Workshop Im Anschluss an die beiden Vorstellungen vom 4. und 11. Dezember bietet die Filmwissenschaftlerin Julia Breddermann einen Film-Workshop an (ca. 30 Min., gratis, keine Voranmeldung nötig). Die Kinder erleben eine Entdeckungsreise durch die Welt der Filmsprache und werden an einzelne Szenen und Themen des Films herangeführt.


38 ZUR RIETBERG-AUSSTELLUNG

FR, 3. DEZ. | 18.00 & 21.00 UHR

DIE LEGENDE DER PRINZESSIN KAGUYA & GATE OF HELL Noch bis zum 5. Dezember widmet das

Nobuko ­Miyamoto (Ouna, Frau des Bambussammlers), Takeo

­Museum Rietberg unter dem Titel «Liebe,

Chii (Okina, Bambussammler), Kengo Kora (­Sutemaru), Isao

Kriege, Festlichkeiten» der narrativen

Hashizume (Prinz Kuramochi), Takaya K ­ ­amikawa (Prinz ­Ishitsukuri), Atsuko Takahata (Lady Sagami).

Kunst Japans eine Ausstellung. Sie versammelt ausgewählte Beispiele dieser Ausdrucksformen in der Kunst, auf Alltags-

GATE OF HELL (Jigoku-mon) Japan 1953

gegenständen und in der Literatur vom 13. bis ins 20 Jahrhundert. Mit diesem ­Double-Feature wird diese Schau ins Kino erweitert. DIE LEGENDE DER PRINZESSIN KAGUYA (Kaguya-hime no monogatari ) Japan 2013

«Diese exquisit stilisierte Tragödie der Leidenschaft, be­ rühmt für ihren Umgang mit Farbe, erzählt eine subtile Ge­ schichte (die an die Legende von der Schändung der Lucretia erinnert) über die Begierde eines Kriegers nach einer verhei­ rateten Adeligen und deren Mittel, ihn zu besiegen. Es ist, als hätte der Regisseur Teinosuke Kinugasa jene Kritiker gele­ sen, die jeden japanischen Film mit einem japanischen Holz­ schnitt vergleichen, und beschlossen, ihnen mehr Bildeffekte zu geben, als sie verkraften können – elegant choreografierte Kämpfe, das Fliessen und die Textur von Gewändern und überall Anmut von Bewegung und Komposition. Schauplatz «In Anlehnung an das (in Japan) bekannte Volksmärchen ‹Die Geschichte vom Bambussammler› (das von manchen als eines der ersten Science-Fiction-Werke der Weltlite­ ratur angesehen wird) wird die Geschichte eines magischen Kindes erzählt, das eines Tages von einem Bauern in einem leuchtenden Bambusspross gefunden wird und zu einer selbstständig denkenden Prinzessin heranwächst, die wie eine Art Frühfeministin wirkt. An einer selbstreflexiven Stelle im Film wird der Prinzessin (…) eine kostbare illustrierte Schriftrolle gezeigt, die eine epische Geschichte in einem langen, fortlaufenden Streifen darstellt, und es ist nicht schwer zu erkennen, dass hier eine Parallele zum episodischen, aber fliessenden Aufbau des Films beabsichtigt ist.» (Leslie Felperin, The Hollywood Re­ porter, 25.5.2014) 137 Min / Farbe / DCP / Jap/d // REGIE Isao Takahata // DREH-

ist das Kyoto des 12. Jahrhunderts, wo die abstrakten Muster der Innenräume und die Architektur darauf hindeuten, dass das moderne Dekor noch einen langen Weg vor sich hat, um mit dem mittelalterlichen Japan gleichzuziehen.» (Pauline Kael, 5001 Nights at the Movies, Henry Holt 1991) Die Geschichte beginnt mitten in der Heiji-Rebellion. Statt mit aufwändig inszenierten Schlachten eröffnet Kinugasa sein Gate of Hell mit einem «Zitat» aus einer Querrolle, wie Beispiele davon in der Rietberg-Ausstellung zu sehen sind. 89 Min / Farbe / DCP / Jap/e // REGIE Teinosuke Kinugasa // DREHBUCH Teinosuke Kinugasa, Masaichi Nagata // ­KAMERA Kohei Sugiyama // MUSIK Akutagawa Yasushi // SCHNITT Shigeo Nishida // MIT Kazuo Hasegawa (Morito Endo), Machiko Kyo (Lady Kesa), Isao Yamagata (Wataru Watanabe), Yatoro Kurokawa (Shigemori), Kotaro Bando ­ ­(Rokuroh), Jun Tazaki (Kogenta).

BUCH Isao Takahata, Riko Sakaguchi // KAMERA Keisuke ­Nakamura // MUSIK Joe Hisaishi // SCHNITT Toshihiko ­Kojima

 beide Filme mit Einführung von

// MIT DEN STIMMEN VON Aki Asakura (Prinzessin Kaguya),

Mariann Lewinsky-Sträuli


39 SILVESTERFILM

FR, 31. DEZ. | 20.45 UHR

STRANGE DAYS Los Angeles, 24 Stunden vor der Wende ins

Mördern, die sie in das Chaos einer ekstati­

neue Jahrtausend: Das ist der Schauplatz

schen Millenniumsfeier führt. (…) Feiernde,

von Kathryn Bigelows ebenso beklemmen-

Weltuntergangsbeschwörer, Mörder und

dem wie beängstigend aktuellem Science-

ihre Verfolger begegnen sich in einem

Fiction-Film Strange Days (1995), in dem

Rausch der Töne, Lichter und Farben. Ein vi­

der heruntergekommene Ex-Polizist Lenny

suelles Feuerwerk und eines der ausserge­

erlebnishungrigen Video-Süchtigen dunkle

wöhnlichsten Film-Silvester der letzten

Fantasien verdealt.

Jahrzehnte.» (femundo.de, 27.12.2017)

«Die Clips halten fest, was eine Person wäh­

der virtuellen Realität nicht bloss zum An­

rend der Aufzeichnung hört, sieht und fühlt.

lass technischer Spielereien nimmt oder als

Das Replay speist Wahrnehmungen und

blossen Auslöser gewalttätiger Actionsze­

Emotionen direkt ins Gehirn ein, die Konsu­

nen benutzt, sondern der mit seiner Hilfe die

menten erleben eine täuschend echte vir­

fortschreitende Tendenz visueller Medien

tuelle Realität. (…) Eines Tages wird Lenny

zu aggressiver Stimulierung und Sensatio­

von der Prostituierten Iris ein Clip zuge­

nalisierung menschlicher Fantasien und

spielt. Es zeigt zwei weisse, rassistische

Gefühle formuliert.» (Franz Everschor,

­Polizisten, die den farbigen Rapper Jeriko

film-dienst, 26/1997)

«Es ist der erste Film, der das Phänomen

während ­ einer Polizeiaktion hinrichten. ­Wenige Tage später wird auch Iris umge­ bracht (…). Lenny und seine Freundin Mace begeben sich auf die gefährliche Suche nach den STRANGE DAYS / USA 1995 145 Min / Farbe / 35 mm / E/d/f // REGIE Kathryn Bigelow // DREHBUCH James Cameron, Jay Cocks // KAMERA Matthew F. Leonetti // MUSIK Graeme Revell // SCHNITT Howard E. Smith // MIT Ralph Fiennes (Lenny Nero), Angela Bassett (Lornette «Mace» Mason), Juliette Lewis (Faith Justin), Tom Sizemore (Max Peltier), Michael Wincott (Philo Gant), Vincent D’Onofrio (Burton Steckler), Glenn Plummer (Jeriko One).


40 SÉLECTION LUMIÈRE

DO, 9. DEZ. | 18.00 UHR / FR, 17. DEZ. | 20.45 UHR

DIVORZIO ALL’ITALIANA

SO, 26. DEZ. | 15.00 UHR

Der unglücklich verheiratete Baron Fefè

gleichzeitig auch die Rolle, die Mastroianni

begehrt seine jugendliche Cousine Angela.

den Durchbruch gebracht hatte: Die Pro­

Weil eine Scheidung unmöglich ist, ver-

vinzspiesser von Agramonte sehen sich

sucht Fefè seine Gattin Rosalia zum Ehe-

nämlich im überfüllten Kino mit grossen

bruch anzustiften, damit er sie mit Fug und

Augen den urbanen Skandalfilm La dolce

Recht umbringen kann. Pietro Germis Sa-

vita an, in dem Mastroianni als Marcello

tire über konservativen Katholizismus und

­Rubini hinter Anita Ekberg herhechelt, wäh­

die Dekadenz des Adels mit einem öligen

rend Mastroianni als Fefè durch die Gassen

Marcello Mastroianni gewinnt im MeToo-

ihres Städtchens rennt, um seiner offenbar

Zeitalter eine zusätzliche Note.

durchgebrannten Rosalia den Garaus zu machen.

Pietro Germi, eigentlich Spezialist für

«Germis Sinn für Ironie ist treffsicher.

ernste neorealistische Dramen und sozial­

Seine mörderische Komödie handelt letzt­

kritische Krimis, hat sich 1961 mit Divorzio

lich von der Sehnsucht nach Freiheit und

all’italiana einen Jux erlaubt, wenn auch

Liebe – einer Sehnsucht, die der gefangene

­einen rabenschwarzen. Er rechnet mit der

Fefè sich selbst zugesteht, aber fataler-

rückständigen italienischen Gesetzgebung

und komischerweise bei Rosalia ebenso

ab, die die Scheidung verbietet, und zieht

wie bei Angela missachtet.

auch die selbstgefällige und dekadente Aristokratie durch den Kakao. Als Fefè lässt

Ein perfekter Film.» (Stuart Klawans, criterion.com, 25.4.2005)

er Marcello Mastroianni – damals auf dem Zenit seines Ruhms – nicht nur den Prota­

 am Donnerstag, 9. Dezember, 18.00 Uhr:

gonisten karikieren, sondern parodiert

Einführung von Martin Girod

DIVORZIO ALL’ITALIANA / Italien 1961 105 Min / sw / Digital HD / I/d // REGIE Pie­ tro Germi // DREHBUCH Ennio De Concini, Pietro Germi, Alfredo Giannetti // KAMERA Leonida Barboni, Carlo Di Palma // MUSIK Carlo Rustichelli // SCHNITT Roberto Cin­ quini // MIT Marcello Mastroianni (Baron Ferdinando «Fefè» Cefalù), Daniela Rocca (Rosalia Cefalù, seine Gattin), Stefania Sandrelli (Angela, seine Cousine), Leo­ poldo Trieste (Carmelo Patanè), Odoardo Spadaro (Don Gaetano Cefalù), Margherita Girelli (Sisina), Angela Cardile (Agnese), Lando Buzzanca (Rosario Mulè), Pietro Tordi (Anwalt De Marzi), Ugo Torrente (Don Calogero).


41 IMPRESSUM

DAS FILMPODIUM IST EIN ANGEBOT DES PRÄSIDIALDEPARTEMENTS

in Zusammenarbeit mit der Cinémathèque suisse, Lausanne/Zürich LEITUNG Corinne Siegrist-Oboussier (cs), STV. LEITUNG Michel Bodmer (mb) WISSENSCHAFTLICHE MITARBEIT Tanja Hanhart (th), Primo Mazzoni (pm), Flurina Gutmann SEKRETARIAT Claudia Brändle BÜRO Postfach, 8022 Zürich, Telefon 044 412 31 28, Fax 044 412 31 25 WWW.FILMPODIUM.CH // E-MAIL info@filmpodium.ch // KINO Nüschelerstr. 11, 8001 Zürich, Tel. 044 415 33 66 UNSER DANK FÜR DAS ZUSTANDEKOMMEN DIESES PROGRAMMS GILT: Arsenal Distribution, Berlin; Ascot Elite Entertain­ ment Group, Zürich; AV Visionen, Berlin; Bildstörung, Köln; Carlotta Films, Paris; Cineteca nazionale, Rom; Cristaldifilm, Rom; Stiftung Deutsche Kinemathek, Berlin; Rainer Werner Fassbinder Foundation, Berlin; Film Constellation, London; Films sans frontières, Paris; Frenetic Films, Zürich; Gaumont, Neuilly sur Seine; Gaumont Pathé Archives, Saint-Ouen ; Kinemathek Le Bon Film, Basel; Clemens Klopfenstein, Bevagna; Les Blank Films, El Cerrito; Lionsgate, Santa Monica; Orium, Luxemburg; Park Circus, Glasgow; Praesens Film, Zürich; Rapid Eye Movies, Köln; Shisso Production, New York; Sideways Film, London; Studio­ canal, Berlin; Svenska Filminstitutet, Stockholm; Tamasa Distribution, Paris; Werner Herzog Film, Wien; Kino Xenix, Zürich. DATABASE PUBLISHING BitBee Solutions GmbH, Zürich // KONZEPTIONELLE BERATUNG Esther Schmid, Zürich GESTALTUNG TBS, Zürich // KORREKTORAT Nina Haueter, Daniel Däuber // DRUCK Ropress, Zürich // AUFLAGE 5000 ABONNEMENTE & VERGÜNSTIGUNGEN Filmpodium-Generalabonnement: CHF 400.– (freier Eintritt zu allen Vorstellungen; inkl. Abo Programmheft) // Filmpodium-Halbtaxabonnement: CHF 80.– (halber Eintrittspreis bei allen Vorstellungen; inkl. Abo Programmheft) // alle unter 25 Jahre & Kulturlegi: CHF 9.– // Programm-Pass: CHF 60.– (freier Eintritt zu allen Vorstellungen einer Programmperiode) // Abonnement Programmheft: CHF 20.– // Anmeldung an der Kinokasse, über www.filmpodium.ch oder Tel. 044 412 31 28

VORSCHAU Stummfilmfestival 2022

Paul Schrader

Das Stummfilmfestival 2022 präsentiert

Der amerikanische Cineast Paul Schrader

Musketier-Action mit Douglas Fairbanks,

wurde am 17. Zurich Film Festival mit dem

einen Jugendkrimi mit Mary Pickford, einen

Lifetime Achievement Award ausgezeichnet

surrealistischen Spuk von René Clair, ein

und erzählte im Filmpodium von seiner

sowjetisches Gefängnisdrama, ein selbstre­

streng calvinistischen Familie, seinem

flexives Kabinettstück von Buster Keaton,

­Ausbruch in die Sex-Drugs-&-Rock’n’Roll-­

eine nautische Romanze mit Greta Garbo,

Unterwelt und seiner wechselhaften Karri­

gruselige Parabeln mit Conrad Veidt, einen

ere im Independentkino. Nun zeigen wir

Serienmörderkrimi von Alfred Hitchcock,

eine Retrospektive von Filmen, zu denen

einen Historienschinken von Ernst Lubitsch

Schrader das Drehbuch geschrieben hat

und viele andere Entdeckungen sowie ein

(Taxi Driver, Raging Bull), und solchen, die er

spezielles Slapstick-Programm für Fami-

auch inszeniert hat – von Blue Collar über

lien. Fast alle Vorführungen werden mit

American Gigolo und Mishima bis zu Light

Live-Musik begleitet.

Sleeper, Auto Focus und First Reformed.


PILI FILMS ET GOÏ-GOÏ PRODUCTIONS PRÉSENTENT

MAHAMAT-SALEH HAROUN, TSCHAD

AB ER ZEMB 9. DE NO IM KI

«Haroun konzentriert sich ganz auf die Stärke und Widerstandsfähigkeit von Frauen in einer patriarchalischen Gesellschaft.» ROGEREBERT.COM

Fürs Home Cinema empfehlen wir filmingo.ch oder unseren DVD-Shop auf trigon-film.org


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