Filmpodium Programmheft 16. November – 31. Dezember 2017

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16. November – 31. Dezember 2017

Robert Mitchum Gus Van Sant


01 Editorial

Wie smart kuratieren wir?

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ER

201 7

Filmstill: Indivisibili

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7 201 O N ALIA T I EMA N I C

«Eine atemberaubende Liebesgeschichte, die in ihren schönsten Momenten pure Poesie ist.» EMPIRE JOSH O’CONNOR ALEC SECAREANU WITH GEMMA JONES AND IAN HART

Walter Pfeiffer chasing Beauty EIN FILM VON IWAN SCHUMACHER

GOD’S OWN COUNTRY

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«Pfeiffer ist als Künstler relevant geblieben, weil er die Jugend versteht und sich immer wieder neu zu erfinden weiss.»

FRANCIS LEE

FRAME gocfilm

BEIDE FILME AB MITTE NOVEMBER IM KINO *goc_WPF_InsD_127x98_fp.indd 1

Kuratieren ist das Zauberwort der Stunde: Im unüberblickbaren Meer von Möglichkeiten des Kulturkonsums halten KuratorInnen dem Publikum ausgewählte Strohhalme hin, an denen es sich orientieren und festhalten kann: Sagt Instanz X, dass das Werk Y etwas taugt, opfere ich dafür meine knappe Zeit und Aufmerksamkeit. Freilich sollte ich wissen, nach welchen Kriterien Instanz X urteilt und ob ich diese teile. Im Internet läuft Kuratierung kundenspezifisch und algorithmisch ab. Plattformen wie Google, Amazon, Netflix und iTunes sammeln seit Jahren Kundendaten; sie wissen, was wir konsumieren, und geben aufgrund statistischer Korrelationen Empfehlungen ab: Wer wie Sie Werk Y genossen hat, dem gefiel auch Werk Z. Raffiniertere Angebote wie Spotifys «Discover Weekly» ergänzen statistische Korrelationen mit Vorschlägen menschlicher Fachleute bzw. Influencers. Diese Vermählung von datenbasierter, algorithmisch bestimmter Auswahl und menschlichen Ratschlägen pries neulich in einem ZHdK-Kolloquium der Soziologe Frédéric Martel als «smart curation». Das Filmpodiumteam kuratiert ein Programm für ein cinephiles Publikum. Die Datenbasis ist allerdings schmal. Unser Kino verzeichnet jährlich rund 33 000 Besuche, davon rund 25 Prozent mit Generalabo und gut 20 Prozent mit Halbtaxabo; der Rest sind sporadische Einzeleintritte. Unser Publikum besteht aus rund 11 000 Individuen. Die wenigen persönlichen Daten, die wir von unseren AbonnentInnen erhalten, werten wir aus Datenschutzgründen nicht aus, obwohl sie gewisse Aufschlüsse über die Vorlieben unserer treuesten Gäste geben könnten. Und von den GelegenheitsbesucherInnen haben wir ohnehin keine Daten. Es bleiben also nur die blossen Eintrittszahlen sowie Augenscheinschätzungen, wie gross der Anteil an Stammgästen, die einen bestimmten Film gesehen haben, in etwa sein könnte. «Smart» kuratieren wir also nicht. Wir versuchen den 1986 vom Stimmvolk erteilten Auftrag einer kulturellen Ergänzung zum regulären Kinoangebot zu erfüllen, indem wir sehenswerte Werke der Filmgeschichte zeigen und neues Filmschaffen präsentieren, das keine kommerzielle Kinoauswertung bekommt. Wir wollen den Geschmack unserer Stammgäste treffen und sie gleichwohl auch immer mal wieder überraschen. Big Data haben wir nicht. Wenn Sie finden, dass wir vielleicht nicht «smarter», aber klüger kuratieren und andere Bedürfnisse abdecken sollten, sagen Sie uns bitte Bescheid, via E-Mail, Twitter, Facebook, Blog oder Postkarte. Oder mündlich im Kino. Corinne Siegrist-Oboussier & Michel Bodmer Titelbild: Robert Mitchum parodiert seine Rolle in The Night of the Hunter

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03 INHALT

Robert Mitchum zum 100. Geburtstag

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Gus Van Sant: Poet der Intimität 18

Das erste Jahrhundert des Films: 1997

Heuer wäre er 100 Jahre alt geworden: Robert Mitchum, für die einen eine desinteressierte Schlafmütze, für die andern der Inbegriff von «cool». Dieser Anti-Star spielte vorzugsweise Figuren, die eine schwierige, wenn nicht gar verbrecherische Vergangenheit mit sich schleppen. Von frühen Western über beklemmende Films noirs und nüchterne Kriegsfilme bis hin zu historischen Epen und mitunter sogar Komödien reicht das Repertoire von Mitchums rund 130 Filmen. Das Filmpodium zeigt neben Klassikern wie River of No Return, Night of the Hunter und El Dorado auch ­einige Entdeckungen. Dazu gehören die schrullige Krimi-Persiflage His Kind of Woman mit Jane Russell und das Australien-Epos The Sundowners ebenso wie die Schwarzbrenner-Ballade Thunder Road.

Gegen Ende der 80er-Jahre war er dank Filmen wie Mala Noche und Drugstore Cowboy für viele der Inbegriff des Independentfilmers; 1991 etablierte er Keanu Reeves und River Phoenix in My Own Private Idaho als Ikonen einer neuen «lost generation». Gus Van Sant hat aber im Laufe der Jahrzehnte noch ganz andere Register gezogen: Neben dem Filmemachen auch als Fotograf und Maler tätig, liess der amerikanische Cineast in Werke wie Gerry und Elephant Elemente moderner Kunst einfliessen und schuf daneben zugängliche Erfolgsfilme wie To Die For und die ­Oscar-Preisträger Good Will Hunting und Milk. Erstmals zu sehen sind Van Sants Kurzfilme sowie Promised Land (2012) und The Sea of Trees (2014), die hier nicht ins Kino kamen.

Tarantinos Jackie Brown und Ang Lees The Ice Storm lassen die 70erJahre aufleben. Hanekes Funny Games vergällt den Spass an fiktionaler Gewalt, während Takeshi Kitano dieser in Hana-Bi ihren gebührenden Platz einräumt. Nuri Bilge Ceylans Kasaba schildert subtil das Leben in der türkischen Provinz und in Peter Cattaneos The Full Monty sind die Helden lieber hüllen- als arbeitslos.

Bild: The Sundowners

Bild: Elephant

Bild: Jackie Brown

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Filmpodium für Kinder: Mitten in der Winternacht

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Der sprechende Elch Mr. Moose landet in Max’ Scheune und der Weihnachtsmann im Irrenhaus. Ist Weihnachten noch zu retten? Eine fröhliche Adaption des Kinderbuchs «Es ist ein Elch entsprungen». Bild: Mitten in der Winternacht

Reedition: Babette’s Feast

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Gabriel Axels Adaption von Karen Blixens Erzählung wurde zum oscargekrönten Welterfolg.

Einzelvorstellungen Matinee: Cesare Ferronato / Hannes Schüpbach IOIC-Soiree: Pudowkin-Trilogie Buchvernissage: Maciste alpino Sélection Lumière: Elisa, vida mía

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Robert Mitchum zum 100. Geburtstag In diesem Jahr wäre Robert Mitchum (1917–1997) 100 Jahre alt geworden; seine Hollywoodkarriere umspannt deren 54. Unsere Hommage an den Anti-Star konzentriert sich auf 16 sehr unterschiedliche Rollen aus seinen fruchtbarsten drei Dekaden, in denen er unter anderem mit Regiegrössen wie Raoul Walsh, Otto Preminger, John Huston und Howard Hawks zusammenarbeitete. Robert Mitchum war sein eigener schlimmster Feind. Selbstbeweihräucherung war ihm zuwider; viel lieber machte er sich und seine Kunst noch mehr herunter, als es andere taten. Er nannte sich «die grösste Hure von Hollywood» und behauptete, er würde auf dem Set bloss einstempeln und später wieder ausstempeln. Er habe nur zwei Schauspielstile drauf: mit Pferd und ohne Pferd, und in 40 seiner gut 130 Filme habe er den gleichen Regenmantel getragen. Er war berüchtigt dafür, dass er in Drehbüchern bei manchen ­Szenen am Rand «NAR» notierte – «no acting required». So trug er selbst viel bei zu seinem lausigen Ruf eines Saufbolds und Kiffkopfs (was er war), Tunichtguts und Schwerenöters (häufig ebenfalls) und desinteressierten Penners (viel weniger, als man meinte). Dass er Starruhm und Schauspielerei nicht überschätzte, lag an seiner harten Kindheit und Jugend, aufgrund derer er das Filmgeschäft nicht ganz so ernst nehmen konnte wie anderes im Leben. Von seinem drahtigen, streitlustigen Vater mit irischen, schottischen und indianischen Wurzeln, der 1919 bei einem Unfall starb, und seinem Grossvater mütterlicherseits, der ein Trumm von Norweger namens Gunderson gewesen war, erbte er ein aufbrausendes Temperament und eine stramme Physis. Früh haute er von zu Hause ab, durchstreifte den Osten und Süden der USA auf Güterzügen und schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch, wobei er auch mit dem Gesetz in Konflikt kam. Als er in den 30er-Jahren Kalifornien erreichte, versuchte er sich unter anderem als Amateurboxer (was ihm eine gebrochene Nase eintrug) und machte bei einer Laientheatertruppe erste Schauspielerfahrungen. Um seine Frau Dorothy, die er 1940 heiratete, und seinen ersten Sohn James durchzubringen, malochte Mitchum in Fabriken.

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Opfer in Pursued (1947) Täter in Cape Fear (1962)


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07 Ikone der Coolness Den Einstieg ins Filmgeschäft verschaffte ihm 1942 ein Agent, den er beim Theater kennengelernt hatte. Bald wirkte Mitchum in sieben Western mit William Boyd als Hopalong Cassidy mit – die erste Rolle bekam er als Ersatzmann für einen tödlich verunglückten Nebendarsteller, dessen Blut offenbar noch im Cowboyhut klebte, den der Neuling aufsetzen musste. Sein eigenwilliges Gesicht mit der gebrochenen Nase und dem schläfrigen und zugleich sinnlichen Blick, gepaart mit seinem wuchtigen Körper, führte dazu, dass Mitchum kaum als klassischer «leading man» oder strahlender Held besetzt wurde. Anders als Zeitgenossen wie Gary Cooper oder Cary Grant spielte er fast immer zwiespältige Figuren, Antihelden und attraktive Schurken. In seiner Kritik zu Out of the Past (1947), der eben in unserer Jacques-TourneurRetrospektive zu sehen war, schrieb Roger Ebert 2004, dass Mitchum «mit seinem müden Blick und seiner lakonischen Stimme, seiner schieren Präsenz eines gewalttätigen Mannes, der sich in Gleichgültigkeit hüllt, ein archetypischer Noir-Darsteller war». Tatsächlich sind Mitchums Figuren trotz seiner potenziellen Macho-Aura oft eher passiv, sogenannte «patsies», die (auch) von Femmes fatales manipuliert werden und mit mehr oder weniger offenen Augen ins Verderben laufen. Nicht von ungefähr betitelte Lee Server seine Mitchum-Biografie mit dem Satz «Baby, I don’t care», mit dem der Held in Out of the Past signalisiert, dass ihm ebenso klar wie egal ist, wie ihm mitgespielt wird. Bei Vorbildern wie William Boyd und Spencer Tracy (neben dem er 1944 in Mervyn LeRoys Fliegerdrama Thirty Seconds Over Tokyo aufgetreten war) hatte Mitchum zudem gelernt, dass die Kamera die leiseste mimische Regung erkennt, und seinerseits einen mediengerechten minimalistischen Schauspielstil entwickelt. Die Verbindung dieser Elemente erzeugte jenes Image von Coolness, das Mitchum zeitlebens anhaftete. Allerdings war er offenbar auch privat ausserstande, Emotionen – vor allem positive – zu zeigen. Was zuerst kam, die coole Pose oder die Unfähigkeit zur Gefühlsäusserung, ist wohl eine Huhn-oder-Ei-Frage. Engagement und Vielseitigkeit Freilich ist der oft gehörte Vorwurf, Mitchum sei durch viele Rollen «geschlafwandelt», nicht ganz von der Hand zu weisen; manche Filme waren zweit­ klassig und interessierten ihn nicht. Fand er aber an einer Figur, einem Projekt und/oder einem Regisseur Gefallen, gab er alles. Bei John Hustons Kriegsabenteuer Heaven Knows, Mr. Allison (1957) etwa musste er auf den Ellbogen durchs Gras robben. Nach dem dritten oder vierten Take richtete er sich auf, blutüberströmt: Er war durch Nesseln gekrochen. Als Huston ihn fragte, wieso er das getan habe, erwiderte Mitchum nur: «Weil du das verlangt hast.» In den 50er-Jahren gründete er die Produktionsgesellschaft DRM (seinen Initialen setzte er diejenige seiner duldsamen Frau Dorothy voran) und

stellte ein paar Lieblingsprojekte auf die Beine. Bei Thunder Road (1958) zeichnete Mitchum, der gerne sang, dichtete und komponierte, für das Titellied (auch wenn dies dann leider ein anderer sang) und die Story-Idee, spielte die Hauptrolle und besetzte seinen Sohn James als kleinen Bruder des Protagonisten. Diese Ballade vom autoritätsfeindlichen Schnapstransporteur, der sich mit dem organisierten Verbrechen anlegt, während er Gesetzeshüter auszutricksen versucht, war ganz nach Mitchums Einzelgängergusto. Eine weitere DRM-Produktion, The Wonderful Country (1960), erzählt ebenfalls von einem Mann zwischen zwei Fronten und nimmt in mancher Hinsicht den Spaghetti-Western vorweg. Wie Roger Ebert 1975 schrieb: «Bei einer guten Darbietung von Mitchum ist uns nie bewusst, dass er eine Rolle spielt. Und nur, wenn wir die Abstände zwischen seinen Figuren messen, begreifen wir, was er macht.» Vergleicht man etwa seine Noir-Helden und den melancholischen Leutnant in Story of G. I. Joe (1945) mit dem tatkräftigen, romantisch aber herausgeforderten Soldaten Allison, dem arroganten Patriarchen in Home from the Hill (1960), dem wahlmexikanischen Revolverhelden in The Wonderful Country und dem australischen Schaftreiber in The Sundowners (1960), ist die Bandbreite beeindruckend, nicht zuletzt wegen der diversen Akzente, die Mitchum sich scheinbar mühelos aneignete. Am frappantesten jedoch wird der Kon­ trast, betrachtet man zum einen seine Schurkenrollen als teuflischer Prediger in The Night of the Hunter (1955) oder als Vergewaltiger und Mörder Max Cady in Cape Fear (1962), wo er seinen massigen Leib als obszöne Waffe in Szene setzt, und zum andern, wie Mitchum als irischer Dorflehrer in Ryan’s Daughter (1970) mit ebendiesem Körper nicht zurechtkommt und vor dem Verlangen seiner jungen Frau zurückschreckt, während der müde Protagonist von The Friends of Eddie Coyle (1973) etwa halb so gross und ein Viertel so stark wirkt wie sein Darsteller. Wie der Regisseur Edward Dmytryk einmal sagte, stecken die echten Filmstars in ihre Darbietung immer ein persönliches, sogar autobiografisches Element; Robert Mitchum konnte dabei aus einem sehr vielfältigen Fundus ­eigener Erfahrungen schöpfen und verlieh unterschiedlichsten Figuren mit ­minimalen Mitteln jene Authentizität, die sie auch nach Jahren noch überzeugend und faszinierend machen. Michel Bodmer


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Robert Mitchum

STORY OF G. I. JOE USA 1945

> Story of G. I. Joe.

Story of G. I. Joe erzählt vom Italienfeldzug der Amerikaner im Zweiten Weltkrieg und «beruht auf den Frontdepeschen des Kriegskorrespondenten Ernie Pyle. Dies ist kein Film über Patriotismus oder Heldentum. In nahezu dokumentarischem Stil gedreht, mit einer vorsätzlich skizzenhaften Charakterisierung der einzelnen Soldaten (auch wenn Mitchum einen starken Eindruck hinterlässt), präsentiert er eindeutig ein Bild von Krieg aus der Warte des Infanteristen, eine sinnlose Szenerie aus Dreck, Durcheinander und Erschöpfung, an deren Ende vermutlich ein Holzkreuz wartet. Der Geniestreich besteht darin, Pyle persönlich (wunderbar gespielt von Burgess Meredith) als allgegenwärtige Augen und Ohren des Films einzusetzen, wie er sich bemüht, das Rätsel des gewöhnlichen Soldaten auszuloten (...) und die richtigen Worte zu finden, um es den Leuten daheim zu erklären. Seine schlichten Depeschen schrammen bisweilen knapp an Sentimentalität vorbei, aber Wellmans Bilder vermitteln hervorragend Pyles Mitgefühl mit dem G. I., ‹der so elend lebt, so elend stirbt›.» (Tom Milne, Time Out Film Guide) 108 Min / sw / Digital HD / E/d // REGIE William A. Wellman // DREHBUCH Leopold Atlas, Guy Endore, Philip Stevenson, nach den Büchern von Ernie Pyle (ungenannt) // KAMERA Russell Metty // MUSIK Louis Applebaum, Ann Ronell // SCHNITT Albrecht Joseph // MIT Burgess Meredith (Ernie Pyle), Robert Mitchum (Lieutenant Walker), Freddie Steele (Sergeant Warnicki), Wally Cassell (Private Dondaro), Jimmy Lloyd (Private Spencer), John R. Reilly (Private Murphy), ­William  «Bill» Murphy (Private Mew).

> His Kind of Woman.

PURSUED USA 1947 Ein Noir-Western um Schuld und Sühne und eine geheimnisvolle Vergangenheit: Jeb Rand, als Kind von der Witwe Callum aufgenommen, vermag sich nicht an seine Herkunft zu erinnern, wird aber von Alpträumen geplagt. Er wächst als Stiefbruder von Adam Callum und dessen hübscher Schwester Thorley auf, für die er nicht nur brüderliche Gefühle hegt. Jeb ahnt nicht, dass Mrs. Callums Schwager Grant geschworen hat, die ganze Familie Rand auszulöschen, und auch Adam gegen ihn aufwiegelt. Als Jeb nach seinem Einsatz im Spanisch-Amerikanischen Krieg heimkehrt und Thorley heiraten will, sieht er sich von vielen Seiten verfolgt. «Walshs vielleicht bester Film überhaupt, ein Western, der nicht nur mit den formalen Regeln der Gattung sehr frei verfährt, sondern der – Jahre

> River of No Return.

vor seinen berühmten Kollegen – die äusseren Elemente des Genres benutzt, um ein Seelendrama von geradezu antiken Ausmassen zu erzählen. (...) Pursued strahlt eine so starke und ursprüngliche Kraft aus, dass er in seiner Unmittelbarkeit und in seiner Dramatik sogar die Western von Howard Hawks in den Schatten stellt. Die Organisation von Plot, Darstellung, Fotografie und Musik zu einem fugenlosen ‹Gesamtkunstwerk› markiert einen Höhepunkt in der Filmproduktion der 40er-Jahre und wurde auch danach selten wieder erreicht.» (Franz Everschor, filmdienst, 5/1997) 101 Min / sw / 35 mm / E/d // REGIE Raoul Walsh // DREHBUCH Niven Busch // KAMERA James Wong Howe // MUSIK Max Steiner // SCHNITT Christian Nyby // MIT Robert Mitchum (Jeb Rand), Teresa Wright (Thorley Callum), Judith Anderson (Medora Callum), Dean Jagger (Grant Callum), Alan Hale (Jake Dingle), Harry Carey Jr. (Lehrling McComber), John Rodney (Adam Callum), Ernest Severn (Jeb als Elfjähriger), Charles Bates (Adam als Elfjähriger), Peggy Miller (Thorley als Zehnjährige).

HIS KIND OF WOMAN USA 1952 «Eine höchst kuriose Produktion von Howard Hughes’ RKO, die mit einer recht klassischen Film-noir-Handlung beginnt — der Spieler Milner wird unter Gewaltandrohung gezwungen, einem Gangster zu helfen, aus dem Exil in die USA zurückzukehren —, aber ab etwa der Mitte in eine surreale Parodie kippt. Mitchum hat gesagt, dass viel davon im Laufe der Dreharbeiten erfunden wurde, und Szenen wie jene, in der er Dollarscheine bügelt, und seine vielen leicht anzüglichen Wortwechsel mit Jane Russell als Lenore haben etwas Spontanes an sich. Das Lustigste ist aber Vincent Price als irrer und eingebildeter Schauspieler, der selbst in grösster Gefahr mit Shakespeare-Zitaten um sich wirft. Das Ergebnis, so etwas wie ein spannender, sadistischer Thriller mit Einsprengseln von Monty Python, hält nur knapp zusammen, aber es ist glänzend gespielt und inszeniert und ein unvergessliches Vergnügen.» (Geoff Andrew, Time Out Film Guide) 120 Min / sw / 16 mm / E + Sp/e // REGIE John Farrow, Richard Fleischer (ungenannt) // DREHBUCH Frank Fenton, Jack Leonard sowie Earl Felton, Richard Fleischer, Howard ­ Hughes, Gerald Drayson Adams (alle ungenannt) // KAMERA Harry J. Wild // MUSIK Leigh Harline // SCHNITT Frederic Knudtson, Eda Warren // MIT Robert Mitchum (Dan Milner), Jane Russell (Lenore Brent), Vincent Price (Mark Cardigan), Tim Holt (Bill Lusk), Charles McGraw (Thompson/Erzähler), Marjorie Reynolds (Helen Cardigan), Raymond Burr (Nick Ferraro), Leslie Banning (Jennie Stone), Jim Backus (Myron Winton), Philip Van Zandt (José Morro).


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Robert Mitchum

RIVER OF NO RETURN USA 1954 Farmer Matt Calder und sein Sohn Mark helfen einem jungen Paar, das in ihrer Nähe mit einem Floss am Flussufer strandet. Als Indianer angreifen, sucht der Fremde mit Calders Pferd und Gewehr das Weite. Matt und Mark müssen mit der zurückgelassenen Barsängerin Kay auf dem Floss den gefährlichen Strom hinab fliehen. «Erzählt wird also vom Inferno einer äusseren Konfrontation, das sich nach und nach zum Abenteuer einer inneren Annäherung weitet. Calder und die Sängerin streiten sich unentwegt, finden aber in Momenten der Gefahr auch fürsorgliche Gesten füreinander. Je grösser die Gefahr draussen, desto enger die Bindung zwischen den Flüchtenden auf dem Floss. (...) Ein ‹unschuldiger, fast kindlicher Film› wurde River of No Return einmal genannt. Das hat auf der einen Seite mit dem kumpelhaften Umgang der Darsteller miteinander zu tun, von Robert Mitchum und Marilyn Monroe, die sich offensichtlich mochten. (...) Andererseits kommt es von dem sichtbaren Vergnügen aller Beteiligten, dieses Rührstück mit Musik mit bunten Tönen und dicken Strichen auszumalen.» (Norbert Grob, in: Otto Preminger, Jovis 1999) 91 Min / Farbe / Digital HD / E/d // REGIE Otto Preminger, Jean Negulesco (ungenannt) // DREHBUCH Frank Fenton, nach einer Erzählung von Louis Lantz // KAMERA Joseph LaShelle // MUSIK Cyril J. Mockridge // SCHNITT Louis R. Loeffler // MIT Robert Mitchum (Matt Calder), Marilyn Monroe (Kay Weston), Rory Calhoun (Harry Weston), Tommy Rettig (Mark Calder), Murvyn Vye (Dave Colby), Douglas Spencer (Sam Benson), Ed Hinton (Spieler), Don Beddoe (Ben), Jack Mather (Croupier), Claire Andre (Kutscherin), Edmund Cobb (Barbier).

THE NIGHT OF THE HUNTER USA 1955 Ein Psychopath, der als Prediger durch die Lande zieht, hat es auf das geraubte Geld eines hingerichteten Banditen abgesehen und macht sich an dessen verzweifelte Witwe heran. Doch nur ihre Kinder kennen das Versteck des Geldes und der Prediger verfolgt sie quer durch die USA. «Trotz seiner seltsam humoristischen Untertöne ist dies einer der beängstigendsten Filme überhaupt (und wirklich beängstigende Filme werden zu einer Form von Klassiker). Robert Mitchum ist der mörderische, sexbesessene, Hymnen singende Seelenretter mit hypnotischen Kräften, und seine verängstigte neue Frau, die einen Sohn und ein Töchterchen aus erster Ehe hat, wird seine glühende Jüngerin. Er ist so etwas wie

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Robert Mitchum

ein umgekehrter Rattenfänger von Hameln: Erwachsene vertrauen ihm, Kinder wollen ihm entkommen. Die Flucht der beiden Kleinen vor dem Wahnsinnigen ist eine geheimnisvolle, traumartige Episode — eine bewusst ‹künstlerische› Spannungsfantasie, die durchbrochen wird von der Erscheinung einer guten Fee. Die Adaption von Davis Grubbs Roman war James Agees letzte Arbeit fürs Kino, und diese schattenhafte Gruselfabel war der erste und einzige Film, den Charles Laughton je inszenierte.» (Pauline Kael, 5001 Nights at the Movies, Marion Boyars 1993) 92 Min / sw / Digital HD / E/d // REGIE Charles Laughton // DREHBUCH James Agee, Charles Laughton, nach dem ­Roman von Davis Grubb // KAMERA Stanley Cortez // MUSIK Walter Schumann // SCHNITT Robert Golden // MIT Robert Mitchum (Harry Powell), Shelley Winters (Willa Harper), Billy Chapin (John Harper), Sally Jane Bruce (Pearl Harper), ­Lillian Gish (Rachel Cooper), Evelyn Varden (Icey Spoon), ­Peter Graves (Ben Harper), James Gleason (Birdie Steptoe).

HEAVEN KNOWS, MR. ALLISON USA 1957 «Zum einen ist das John Hustons typisch ironischer Beitrag zu Hollywoods langjähriger Zensur-triezenden Faszination für Nonnen. Zum andern eine schrullige, bessere Überarbeitung seines eigenen Films African Queen. Deborah Kerr, zehn Jahre nach Black Narcissus wieder im Habit, ist auf einer von Japanern besetzten Pazifikinsel gestrandet, zusammen mit einem ­ Marineinfanterie-Korporal, gespielt von Robert Mitchum, dessen wunderbar verhaltene Verkörperung von schmelzendem Machismo all das ist, was Bogarts ehrbar Oscar-anstrebender Jähzorn nicht war.» (Paul Taylor, Time Out Film Guide) «Es gibt wesentliche Unterschiede zwischen den beiden Filmen. Erstens ist Allison keine leicht manipulierbare Figur am Rande der Gesellschaft wie Charlie Allnut. Er ist ein Marineinfanterist, der diese Truppe als seine Heimat und seine Religion definiert. Seine Überzeugung ist derjenigen von Schwester Angela ebenbürtig. (...) Zudem lernt sie, sich zunehmend auf ihn zu verlassen, was Nahrung, Schutz und moralische Stärke angeht. (...) Der Marineinfanterist muss nicht nur gegen die Japaner kämpfen, sondern auch gegen seine eigene Frustration über die Religion. Die katholische Kirche enthält ihm die Frau vor, in die er sich verliebt hat, aber er stirbt nicht bei einem Wutanfall. Er sammelt seine moralische Stärke, und nachdem er einmal betrunken protestiert hat, kommt er mit seinem Begehren ins Reine.» (Stuart Kaminsky: John Huston – Maker of Magic, Houghton Mifflin 1978)

108 Min / Farbe / DCP / E + Jap/f // REGIE John Huston // DREHBUCH John Lee Mahin, nach einem Roman von Charles Shaw // KAMERA Oswald Morris // MUSIK Georges Auric // SCHNITT Russell Lloyd // MIT Robert Mitchum (Korporal Allison), Deborah Kerr (Schwester Angela), Fusamoto Takasimi (japanischer Soldat), Noboru Yoshida (japanischer Soldat).

THUNDER ROAD USA 1958 «Robert Mitchum soll das Komponieren von Liedern und Gedichten der Schauspielerei vorgezogen haben. Diese atmosphärische RockabillyBallade bringt alle drei seiner Künste zusammen. Die Welt der Schwarzbrenner passt zu Mitchums Ironie eines fatalistischen Penners, und die Schnapstransporte durchs Hinterland von Tennessee sind der Angelpunkt seiner starrköpfigen Unabhängigkeit. Ein Junge, der die Fahrkünste des Helden nachahmt, kommt um, und vom Trauergottesdienst führt eine Überblendung zu den Alten der Gemeinschaft, versammelt in einem Schuppen (...), um ‹dringende Geschäfte› zu besprechen — wie jedes Gewerbe ist auch die Schwarzbrennerei einer Übernahme ausgesetzt, und Mitchum als Lucas Doolin findet sich bald in der Klemme zwischen einem brutalen Gangster, der seine Konkurrenten gerne von der Strasse schiessen lässt, und dem Agenten der Bundesbehörden, der ihn um Hilfe bittet. (...) Mitchums Stimme gibt hier den Ton an, vom lebenserfahrenen Naturalismus im Umgang mit seinem Sohn James (der hier seinen jüngeren Bruder spielt) bis zum verhaltenen Biss seines Humors.» (Fer­ nando F. Croce, cinepassion.org) «Wow. Mitchum ist ein Gott in diesem Film. Er ist einfach so verdammt cool. Er geht durch die Welt wie eine Gottheit vor diesen Hinterwäldlern, die ihn anbeten. Wieso? Nun, er hat eben tatsächlich einmal ihr kleines verschnarchtes Kaff verlassen, und jetzt ist er wieder da. Wie Mitchum mit dem Bösewicht umspringt, ist der Inbegriff dessen, was coole Antihelden ausmacht. Und obendrein diese Titelmelodie. Cool, cool, cool.» (Harry Knowles, aintitcool.com, 9.8.1997)

HOME FROM THE HILL USA 1960 Wade Hunnicutt ist als wohlhabender Grossgrundbesitzer und Jäger ebenso geachtet wie als Schürzenjäger verhasst. Seine Frau Hannah wahrt den Schein der Ehe nur, um den gemeinsamen Spross Theron nach ihren Vorstellungen aufzuziehen. Als aber das 17-jährige Muttersöhnchen zum Gespött wird, beschliesst Wade, Theron zum Mann zu machen. Rafe Copley, Wades vorehelicher Sohn, der von der Familie ausgeschlossen ist, sich aber als echter Kerl bewährt, soll als Vorbild dienen. Doch als der neu ermannte Theron die hübsche Libby heiraten will, holen ihn die Sünden des Vaters ein. «Vincente Minnellis Melodrama Home from the Hill ist einer seiner besten Filme und eine von Hollywoods stärksten Familiengeschichten. Sie spielt in Texas und dreht sich um einen Lokalfürsten, den Robert Mitchum mit rauer Arroganz verkörpert. Der Grande hat zwei Söhne – der eine ehelich, verweichlicht und verwöhnt; der andere unehelich, selbständig und tüchtig. Es ist eine markige Geschichte ums Jagen und Kämpfen, eine romantische Geschichte um gescheiterte Liebe und zum Scheitern verdammte Liebe, eine Fabel um intime Genüsse und Übergriffe, um offene Geheimnisse und Selbstfindung. Es ist auch eine Geschichte über öffentliche Institutionen, Gesetze und Normen, die sich ins Gewirk des Familienlebens einschleichen. Die Rhetorik des Films mag lakonisch und rustikal anmuten, aber die Wut und der Edelmut darin wirken so, als wären sie aus Shakespeare destilliert.» (Richard Brody, The New Yorker, 19.1.17) 150 Min / Farbe / 35 mm / E/d/f // REGIE Vincente Minnelli // DREHBUCH Harriet Frank, Irving Ravetch, nach dem Roman von William Humphrey // KAMERA Milton Krasner // MUSIK Bronislau Kaper // SCHNITT Harold F. Kress // MIT Robert Mitchum (Captain Wade Hunnicutt), Eleanor Parker (Hannah Hunnicutt), George Peppard (Rafe Copley), George Hamilton (Theron Hunnicutt), Luana Patten (Libby Halstead), Everett Sloane (Albert Halstead), Anne Seymour (Sarah Halstead), Constance Ford (Opal Bixby), Ken Renard (Chauncey), Ray Teal (Dr. Reuben Carson), Hilda Haynes (Melba), Guinn «Big

92 Min / sw / Digital HD / E // REGIE Arthur Ripley // DREH-

Boy» Williams (Hugh Macauley).

BUCH James Atlee Phillips, Walter Wise, nach einer Idee von Robert Mitchum // KAMERA David Ettenson, Alan Stensvold // MUSIK Jack Marshall // SCHNITT Harry Marker // MIT Robert

THE WONDERFUL COUNTRY

Mitchum (Lucas Doolin), Gene Barry (Troy Barrett), Jacques

USA 1960

Aubuchon (Carl Kogan), Keely Smith (Francie Wymore), Trevor Bardette (Vernon Doolin), Sandra Knight (Roxanna Ledbetter), James Mitchum (Robin Doolin).

Martin Brady hat als Jugendlicher den Mörder seines Vaters erschossen und ist nach Mexiko geflohen. Dort ist er heimisch geworden und dient nun den rebellischen Brüdern Marcos und Cipriano Castro als Pistolero. Die Castros schicken


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Robert Mitchum

> Heaven Knows, Mr. Allison..

> The Wonderful Country.

> Thunder Road.

Brady über den Rio Grande, um einen Waffentransport zu sichern. Ein Unfall zwingt Brady, länger in Texas zu bleiben, und dort verliebt er sich in Ellen, die frustrierte Frau des Offiziers Colton. Bald ist er beidseits der Grenze ein ebenso gesuchter wie gejagter Mann. «Dieser Film, rammelvoll mit Figuren, Nebenhandlungen, Themen und Symbolen, dreht sich um Mitchum als ‹gringo pistolero›, der südlich der Grenze tätig ist. Als er den Fluss überquert (ein Bild, das sich wiederholt), um Waffen zu schmuggeln, muss er schmerzlich wiederentdecken, welche Freuden und Bürden Heimat und Zugehörigkeit bedeuten. Ein deutscher Einwanderer, eine unglückliche Soldatenfrau und ein Trupp schwarzer Kavalleristen spiegeln verschiedene Aspekte seiner Situation. Filmisch und musikalisch ist das durchwegs ein Genuss. (...) Nach einem Roman des Künstlers Tom Lea, der einen Kurzauftritt als Barbier hat.» (Bob Baker, Time Out Film Guide) «Ich habe mit dem Film eine Absage an den Nationalismus beabsichtigt; ich weiss nicht, ob mir das gelungen ist. Auf jeden Fall haben wir auf beiden Seiten Schwierigkeiten bekommen. Im Film spielt der Clan eines gewissen Castro eine Rolle; in den USA hat man uns fidelistische Propaganda vorgeworfen, in Kuba anti-fidelistische.» (Robert Parrish im Interview mit Cahiers du Cinéma, zitiert in: Joe Hembus, Das Western-Lexikon, Heyne 1976) 98 Min / Farbe / Digital HD / E/d // REGIE Robert Parrish // DREHBUCH Robert Ardrey, Walter Bernstein, nach dem ­Roman von Tom Lea // KAMERA Floyd Crosby, Alex Phillips // MUSIK Alex North // SCHNITT Michael Luciano // MIT Robert Mitchum (Martin Brady), Julie London (Helen Colton), Gary Merrill (Major Stark Colton), Albert Dekker (Texas Ranger Capt. Rucker), Jack Oakie (Travis Hyte), Charles McGraw (Dr. Herbert J. Stovall), Leroy «Satchel» Paige (Sgt. Tobe Sutton), Pedro Armendáriz (Cipriano Castro), Mike Kellin (Pancho Gil), Víctor Manuel Mendoza (General Marcos Castro).

THE SUNDOWNERS GB/USA/Australien 1960 «Dieser grosse Film eines grossen Regisseurs (Fred Zinnemann) wurde bei seinem Erscheinen vernachlässigt – vielleicht, weil Warner Bros. nicht glaubte, dass die Leute einen Film, der in Australien spielt, sehen wollten –, und er hat nie den Ruf erlangt, der ihm zusteht. Es ist ein breiter, episodischer Film, mit einer starken emotionalen Textur – ein Epos über die Weite und Leere des Landes, über Robert Mitchum als Mann, der nie am selben Ort bleiben will, und Deborah Kerr als Ehefrau, die immer mit ihm weitergeht und dabei einen Sohn aufzieht, der nie ein sesshaftes Dasein gekannt hat. Es gibt darin wunderbare Se> Home from the Hill.

quenzen: Eine handelt von einem Rennpferd, das wie der Wunschtraum von einem Pferd wirkt; eine weitere schildert einen Schafschurwettkampf, bei dem Mitchum gegen einen zauberischen alten Wicht antreten muss. Und obschon die Geschichte sich nur langsam aufbaut, (...) wirken die Figuren heissblütiger und exzentrischer als in den meisten anderen Zinnemann-Filmen. Deborah Kerr mutet hier überhaupt nicht aristokratisch oder manieriert an; dies dürfte ihre reichhaltigste schauspielerische Leistung sein. Peter Ustinov und Glynis Johns verkörpern ein zweites Liebespaar, das als Kontrast dient.» (Pauline Kael, 5001 Nights at the Movies, Marion Boyars 1993) 133 Min / Farbe / 35 mm / E // REGIE Fred Zinnemann // DREHBUCH Isobel Lennart, nach einem Roman von Jon Cleary // KAMERA Jack Hildyard // MUSIK Dimitri Tiomkin // SCHNITT Jack Harris // MIT Deborah Kerr (Ida Carmody), Robert Mitchum (Paddy Carmody), Peter Ustinov (Rupert Venneker), Glynis Johns (Mrs. Firth), Dina Merrill (Jean Halstead), Chips Rafferty (Quinlan), Michael Anderson Jr. (Sean Carmody), Lola Brooks (Liz Brown), Wylie Watson (Herb Johnson), John Meillon (Bluey Brown).

CAPE FEAR USA 1962 «Ein unverbesserlicher Verbrecher übt Rache an der Familie eines Anwalts, der ihn ins Gefängnis gebracht hat. Dieser äusserst fiese Thriller – ursprünglich von den britischen Zensoren stark geschnitten – kann mit besten Referenzen auftrumpfen: John D. MacDonalds Roman ‹The Executioners› als Vorlage, Mitchum als sadistischer Bösewicht (eine halbnackte Variation seiner Rolle in Night of the Hunter), Peck als Inbegriff bedrohter Rechtschaffenheit, schäbige Schauplätze in den Sümpfen der Südstaaten und eine brüllende Musik von Bernard Herrmann. Regisseur Thompson mag nicht Könner genug sein, um dem Film den letzten Schliff von Klasse zu verleihen (manche Schockeffekte wirken konstruiert), aber die Unerbittlichkeit der Story und Mitchums fühlbar verkommene Präsenz sorgen für die bibbernde Aufmerksamkeit des Publikums.» (David Thompson, Time Out Film Guide) «Lassen Sie die Kinder zu Hause. Wenn Sie sich grauen wollen, ist das Ihre Sache. Aber setzen Sie die Kleinen nicht der Tortur aus, diesen Film zu sehen. (...) Hier gibt es keine unnötige Bewegung, keine Albernheiten. Ein Gefühl von Bedrohung durchzieht den Film wie eine hinterhältige elektrische Ladung. Und Mitchum spielt den Schurken mit der frechsten, bösesten Arroganz und der unerbittlichsten Ausstrahlung von Sadismus, die er je zustande gebracht hat.» (Bosley Crowther, The New York Times, 19.4.1962)


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Robert Mitchum 106 Min / sw / Digital HD / E/d // REGIE J. Lee Thompson // DREHBUCH James R. Webb, nach dem Roman «The Executioners» von John D. MacDonald // KAMERA George Tomasini // MUSIK Bernard Herrmann // SCHNITT Sam Leavitt // MIT Robert Mitchum (Max Cady), Gregory Peck (Sam Bowden), Polly Bergen (Peggy Bowden), Lori Martin (Nancy Bowden), Martin Balsam (Polizeichef Mark Dutton), Telly Savalas (Privatdetektiv Charles Sievers), Barrie Chase (Diane Taylor).

EL DORADO USA 1966

> El Dorado.

> Ryan’s Daughter.

«Hawks’ leichthändig inszenierter Western versammelt einen Revolverhelden, einen versoffenen Sheriff, einen hoffnungsvollen Jungspund und zwei toughe Frauen und steckt sie in ein Gefängnis, wo sie gegen einen Rinderbaron und dessen gedungene Mörder um ihr Leben kämpfen. Klingt vertraut? In mancher Hinsicht erinnert die Handlung an den Vorläufer Rio Bravo, und manche von dessen Themen tauchen auch hier auf: die Bedeutung von Gruppensolidarität, Selbstachtung, Professionalität und der Akzeptanz anderer Menschen Fehler. Der Tonfall ändert sich hier aber, wegen der Betonung der körperlichen Gebrechlichkeit seiner beiden Helden: Nicht nur ist Mitchum als J.  P. ­Harrah ein Säufer; Wayne als Cole Thornton leidet schwer am Alter und an einer Schussverletzung. Der Film scheint träge und gemächlich auf die finale Schiesserei hinzutreiben, aber eigentlich ist das eine Elegie über verlorene Jugend, die von Freundschaft gelindert wird, und er verschiebt sich von satten Weiden in eine staubige Stadt, vom Licht ins Dunkel. Dies ist nur insofern ein Alterswerk, als es von den Problemen handelt, die sich bei der Annäherung ans Tal des Todes stellen. Mit anderen Worten: Es ist ein witziges, aufregendes und zutiefst bewegendes Meisterwerk.» (Geoff Andrew, Time Out Film Guide)

schreiben und sie im Irland zur Zeit der Rebellion von 1916 ansiedeln. In einem Küstendorf heiratet Rosy Ryan den älteren, verwitweten Schullehrer Shaughnessy (Mitchum), weil er Sinn für Musik und Poesie hat. Doch die Ehe entpuppt sich als leidenschaftslos. Im kriegsversehrten britischen Offizier Doryan findet Rosy einen Geliebten, aber damit stellt sie sich gegen die Kirche, ihren Vater und den irischen Nationalismus ihrer Mitbürger. «Ryan’s Daughter ist für mich der schönste Film von David Lean. (...) Liebe und Leidenschaft, Ehe und Sexualität schliessen sich unter dem ­Gesetz des Vaters aus, gehen zumindest ein problematisches, meist defizitäres Verhältnis ein. Robert Mitchum in seiner Rolle als Ehemann: Ein amerikanischer Star, wie er noch nie zu sehen war – als hilflos verklemmter, ungewollt grober Liebhaber. Fast ein Sakrileg. (...) Nicht nur mit Major Doryan, auch mit der Passivität Robert Mitchums als Charles Shaughnessy findet eine Entwicklung der männlichen Helden in Leans Epen eine Art Höhepunkt. Ryan’s Daughter gibt einer fast unverhohlenen Sehnsucht nach einem anti-epischen Helden nach, der dennoch mit den Mitteln des Epos – und nicht, als eine Form der Kritik, mit den modernistischen Mitteln der Nouvelle Vague – präsentiert wird. Darauf beansprucht der Film ein Recht: grossartigen Aufwand für die Repräsentation ‹schwacher›, masochistischer Helden: das kann man fast schon emanzipatorisch nennen.» (Annette Brauerhof, in: FilmKonzepte 10, David Lean, edition text+kritik, 2008) 206 Min / Farbe / DCP / E/f // REGIE David Lean // DREHBUCH Robert Bolt // KAMERA Freddie Young // MUSIK Maurice Jarre // SCHNITT Norman Savage // MIT Robert Mitchum (Charles Shaughnessy), Sarah Miles (Rosy Ryan), Trevor Howard (Pater Collins), Christopher Jones (Randolph Doryan), John Mills (Michael), Leo McKern (Thomas Ryan), Barry Foster (Tim O’Leary), Arthur O’Sullivan (Mr. McCardle), Marie Kean (Mrs. McCardle), Evin Crowley (Maureen), Douglas Sheldon (der

127 Min / Farbe / Digital HD / E/d // REGIE Howard Hawks //

Fahrer), Niall Toibin (O’Keefe).

DREHBUCH Leigh Brackett, nach einem Roman von Harry Brown // KAMERA Harold Rosson // MUSIK Nelson Riddle // SCHNITT John Woodcock // MIT John Wayne (Cole Thornton),

THE FRIENDS OF EDDIE COYLE

Robert Mitchum (Sheriff J. P. Harrah), James Caan (Alan

USA 1973

Bourdillon «Mississippi» Traherne), Arthur Hunnicutt (Bull), Charlene Holt (Maudie), Michele Carey (Joey MacDonald), R.  G. Armstrong (Kevin MacDonald), Edward Asner (Bart Jason), Paul Fix (Doc Miller), Christopher George (Nelse McLeod), Johnny Crawford (Luke MacDonald), Robert Donner (Milt).

RYAN’S DAUGHTER GB 1970 Eigentlich sollte David Lean «Madame Bovary» verfilmen, aber stattdessen liess er Robert Bolt eine neue, wesensverwandte Dreiecksgeschichte > The Friends of Eddie Coyle.

Eddie Coyle, ein alternder zweitrangiger Gangster in Boston, kennt den Kodex, wonach kein Ganove den andern verpfeifen soll. Aber nun droht ihm eine erneute Haftstrafe, und als Familien­ vater kann Eddie das nicht durchstehen. Also versucht er mit dem Polizisten Foley einen Kuhhandel einzugehen. «Das ist kein superspannender Gangsterfilm, es gibt wenig offensichtlich Aufregendes darin, und Gewalt ist auch kaum ein Thema. Er zeigt uns einen Mann, erweckt unser Mitgefühl für ihn und sieht dann beinahe traurig zu, wie seine Zeit ab-


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Robert Mitchum läuft. (Der Film) funktioniert so gut, weil Eddie von Robert Mitchum gespielt wird, und Mitchum war vielleicht noch nie besser. Er war immer schon einer unserer besten Filmschauspieler: sarkastisch, männlich, geistesgegenwärtig, aber einer, der sich nur langsam offenbart. (...) Wenn man ihm eine richtige Figur gibt und genügend Platz, um sie zu entwickeln, macht er wunderbare Dinge. Eddie Coyle ist für ihn geschaffen: ein müder Mann mittleren Alters, aber zäh und stolz; ein Mann, der im Leben schon zu viel gelitten hat, als dass er vor Schmerzen keinen Respekt hätte; ein Mann, der Risiken eingeht, um sein eigenes Territorium zu schützen.» (Roger Ebert, Chicago Sun-Times, 27.6.1973) 102 Min / Farbe / DCP / E // REGIE Peter Yates // DREHBUCH Paul Monash, nach einem Roman von George V. Higgins // KAMERA Victor J. Kemper // MUSIK Dave Grusin // SCHNITT Pat Jaffe // MIT Robert Mitchum (Eddie «Fingers» Coyle), ­Peter Boyle (Dillon), Richard Jordan (Dave Foley), Steven ­Keats (Jackie Brown), Alex Rocco (Jimmy Scalise), Joe Santos (Artie Van), Mitchell Ryan (Waters), Peter MacLean (Mr. Partridge).

> The Yakuza.

THE YAKUZA USA 1974 Ex-Privatdetektiv Harry Kilmer soll einem Freund helfen, dessen Tochter von der Yakuza, der japanischen Mafia, entführt worden ist. Kilmer wendet sich an Ken Tanaka, einen ehemaligen Yakuza, der ihm aus Kriegszeiten etwas schuldig ist. Das ungleiche und feindselige Paar taucht in Japans Unterwelt ein, und schon bald türmen sich die Leichen. «Drehbuchautor Paul Schraders Hommage an den japanischen Gangsterfilm, bei der die übliche Handlung erweitert wurde, um Platz zu machen für Mitchum samt amerikanischer Unterstützung, der hier die Leinwand mit Ken Takakura, dem Top-Star solcher Filme, und ein paar reizvollen japanischen Schauplätzen teilt. Hinter einem wortlastigen Skript, den obligaten Wendungen und Doppelspielen und der sexuellen Enthaltsamkeit der beiden Protagonisten schält sich die vertraute und immer expliziter nostalgische Verherrlichung der ritterlichen Männerbeziehungen zahlloser amerikanischer Western heraus. (...) Der Film entwickelt allmählich einen eigenen Zauber. Takakuras prägnante, sprungfederhafte Darbietung ergänzt Mitchums schläfrige Masse aufs Schönste, und trotz einiger Schwächen beim Aufbau ist die stilisierte Gewalt spannend choreografiert. Den finalen Showdown sollte man sich nicht entgehen lassen.» (Chris Petit, Time Out Film Guide)

> Farewell My Lovely.

112 Min / Farbe / 35 mm / E + Jap/d // REGIE Sydney Pollack // DREHBUCH Paul Schrader, Robert Towne, nach einer Idee von Leonard Schrader // KAMERA Okazaki Kozo // MUSIK Dave Grusin, Kozo Okazaki // SCHNITT Don Guidice, Thomas Stanford // MIT Robert Mitchum (Harry Kilmer), Ken Takakura (Ken Tanaka), Brian Keith (George Tanner), Herbert Edelman (Oliver Wheat), Richard Jordan (Dusty), Keiko Kishi (Eiko Tanaka), Eiji Okada (Toshiro Tono).

FAREWELL MY LOVELY USA 1975 Los Angeles, 1941. Der hünenhafte Gangster Moose Malloy kommt nach sieben Jahren aus dem Knast und heuert Philip Marlowe an, um seine einstige Geliebte Velma aufzuspüren. Marlowe muss feststellen, dass mächtige Kreise ihn daran hindern wollen, seinen Auftrag auszuführen. Und die Polizei fragt sich, wieso der Detektiv bei so vielen Leichen anzutreffen ist. «Die Stärken des Films liegen bei Raymond Chandler und dem hohen Niveau der meisten Darsteller. Die Texte des Autors, hartgesotten, witzig und überladen, kommen voll zur Geltung. (...) Robert Mitchum muss man in einer Rolle immer erst kennenlernen. Hier trägt er am Anfang zu dick auf: zu theatralisch, das Auge zu schwermütig, die Zigarette zu lasch im Mundwinkel. Aber bald lebt er sich in seine Figur ein, das Schauspielerische fällt weg und er bewegt sich durch den Film mit Kraft, Humor und unerwarteter Bescheidenheit. Man denkt unweigerlich an Bogart: Er ist nicht Bogart, aber er ist sehr gut.» (Richard Eder, The New York Times, 14.8.1975) «Der atmosphärischste Detektiv-Film der letz­ ten Jahre. (...) Ein Grund dafür ist, dass Regisseur Dick Richards den Stoff und die Figur ganz und gar ernst nimmt. (...) Er geht nicht auf Nummer ­sicher. Und Robert Mitchum auch nicht, in seiner massgeblichen schauspielerischen Darbietung. (...) Er ist dazu geboren, den müden, zynischen, hartnäckig romantischen Marlowe zu spielen.» (Roger Ebert, Chicago Sun-Times, 1.1.1975) In frühen Nebenrollen sind Charlotte Rampling, Harry Dean Stanton und Sylvester Stallone mit von der Partie. 97 Min / Farbe / 35 mm / E/d/f // REGIE Dick Richards // DREHBUCH David Zelag Goodman, nach dem Roman von Raymond Chandler // KAMERA John A. Alonzo // MUSIK ­David Shire // SCHNITT Walter Thompson, Joel Cox // MIT ­Robert Mitchum (Philip Marlowe), Charlotte Rampling (Helen Grayle), John Ireland (Lt. Nulty), Sylvia Miles (Jessie Florian), Anthony Zerbe (Laird Burnette), Jack O’Halloran (Moose ­Malloy), Harry Dean Stanton (Billy Rolfe), Jim Thompson (Richter Grayle), Sylvester Stallone (Jonnie), John O’Leary (Lindsay Marriott), Kate Murtagh (Frances Amthor).


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Gus Van Sant: Poet der Intimität Der Amerikaner Gus Van Sant erzählt in stimmungsstarken Filmen von jugendlichen Aussenseitern und ihrem Lebensgefühl. Unsere Retrospektive verfolgt seinen Weg vom Indie-Kino der achtziger Jahre über Meilensteine wie My Own Private Idaho und Mainstreamerfolge wie Good Will Hunting bis zur Rückkehr zu eigensinnigen kleinen Autorenfilmen. Als rare Leckerbissen sind zudem zwei Programme mit Van Sants Kurzfilmen zu sehen. Die grossen amerikanischen Regisseure leben in der Regel in der Filmmetropole Los Angeles oder in New York, der Hochburg des Independent-Kinos. Gus Van Sant hingegen, 1952 in Kentucky geboren, lebt und arbeitet vorzugsweise in Portland, Oregon, einer grösseren Provinzstadt 800 Kilometer nördlich von San Francisco und 200 Kilometer südlich von Seattle. Hier verbrachte er schon einen Teil seiner Highschool-Zeit, hierhin kehrte er nach dem Kunstund Filmstudium in Rhode Island wieder zurück, um seine ersten abend­ füllenden Spielfilme Mala Noche (1985) und Drugstore Cowboy (1989) zu drehen; drei Autostunden weiter östlich filmte er 1991 die grandiosen Landschaften von My Own Private Idaho, in Portland schliesslich wieder Elephant (2002), Last Days (2004), Paranoid Park (2006) und Restless (2011). Doch Van Sant ist in seiner Heimatstadt nicht einfach hängen geblieben. Sein buchstäblich exzentrischer Lebensmittelpunkt ist die bewusste Wahl ­eines Eigensinnigen, der gleichermassen Distanz hält zum geschäftstüchtigen Hollywood wie zum New Yorker Szenechic, weil er sich von niemandem ­vereinnahmen lassen will, sondern immer für Experimente bereit bleibt. Zu dieser Neugierde auf Neues gehört auch, dass er seine offen gelebte Homo­ sexualität nicht zum Lebensthema gemacht, sondern sich nur im Frühwerk, im späteren Meisterstück Milk (2008) und jüngst in der TV-Miniserie When We Rise (2017) damit auseinandergesetzt hat. Im restlichen Werk hingegen ist die sexuelle Orientierung höchstens ein marginales Thema. Eine Konstante in Van Sants Schaffen sind hingegen jugendliche Figuren auf der Suche nach sich selbst: verloren anmutende Rebellen, Verwaiste und Verstossene, Junkies und Stricher oder ganz gewöhnliche HighschoolKids, Skater, Slacker, Jungmusiker, bisweilen auch Junggenies, doch alle mehr oder weniger halt- und orientierungslos. Van Sant filmt sie auf Augenhöhe, urteilt und moralisiert nicht über ihren Lebenswandel, sondern fühlt sich ein

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Reiz des Exotischen: Mala Noche < Rausch der Drogen: Drugstore Cowboy Risiken der Politik: Milk


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21 in ihre Befindlichkeit. Behutsam verfolgt er ihren Weg und findet in der Aussenwelt die adäquaten Bilder für die Innenwelten: die endlos leeren ­ ­Landstrassen unter dem gewaltigen Himmel von Idaho, die Baustellen und schrottverstellten Vorgärten Süd-Bostons, die langen Impressionen seiner Heimatstadt, vorzugsweise im Herbst, mit denen er den Titelvorspann seiner Filme gern beginnt. Unübersehbar ist der Szenarist und Regisseur Van Sant auch Maler, unüberhörbar zudem Musikliebhaber (und aktiver Musiker). In seinem Herzen aber ist er vor allem ein jugendlicher Melancholiker geblieben, deshalb ist er seinen Figuren so nah. Zwischen Autoren- und Mainstreamfilm Die Laufbahn Van Sants mäandriert zwischen Autoren- und Mainstreamkino. Die ersten drei Langspielfilme, Mala Noche, Drugstore Cowboy und My Own Private Idaho waren Marksteine des jungen «Indie-Kinos» abseits von Hollywood, das ab den mittleren Achtzigern eine neue Blüte erlebte. ­Parallel zu Van Sant debütierten in jenen Jahren Regisseure wie Jim Jarmusch, Spike Lee, Steven Soderbergh oder John Sayles, und das mit aufblühende Sundance Festival (das schon seit 1978 existiert, aber erst seit 1991 so heisst) verschaffte ihnen die ideale Plattform. Die formale Entwicklung in den ersten drei Filmen Van Sants ist beeindruckend: Kapriziert sich Mala Noche noch auf sprunghafte Vignetten aus dem Liebesleben eines schwulen Schnapsladenverkäufers, mit dem die Kamera bei natürlichem Licht durchs nächtliche Portland wankt, so ist die ­Junkie-Ballade Drugstore Cowboy schon eine – noch etwas flapsige – Übung in «straight storytelling». My Own Private Idaho schliesslich, das erste Meisterwerk, zieht alle Register, erzählt frei assoziativ und doch unmittelbar ­einleuchtend. Mit dem Einbezug von Shakespeare-Motiven schafft es zudem einen Raum der kulturellen Anspielungen und Brechungen, die den Film so spielerisch wie vieldeutig schillern lassen. Hatte Van Sant bei Drugstore Cowboy und My Own Private Idaho schon mit den Jungstars Matt Dillon, River Phoenix und Keanu Reeves gearbeitet, so war er nach dem Preissegen für den Idaho-Film reif für seinen ersten Topstar, Nicole Kidman, und für die schwarze Komödie To Die For (1995), mit der er sich dem Mainstream annäherte. Vollends im Mainstream kam Van Sant schliesslich mit Good Will Hunting (1997) an, der berührenden Ballade vom störrischen Working-Class-Mathe-Genie. Der Film wurde neunfach oscarnominiert und spielte allein an den Kinokassen 140 Millionen Dollar ein. Nach einem derartigen Coup stehen einem Regisseur in Hollywood sämtliche Türen offen. Doch was tat Van Sant? Er nutzte den Moment nur, um endlich die Realisierung einer fixen Idee durchzustieren, die er schon länger hegte: ein bildgetreues Remake von Hitchcocks Psycho, Einstellung für Einstellung. Für

Fans wie für Kritiker war das ein Sakrileg und damit ein programmierter Flop, nach dem sich Van Sant nur noch mit Finding Forrester (2000), einer hübschen, aber etwas belanglosen Variation auf Good Will Hunting, aus seiner ersten Hollywood-Affäre ziehen konnte. Mit Elephant begann nun die Reihe seiner mehrheitlich starfreien Filme mit kleinem Budget und grosser Freiheit (Gerry, Last Days, Paranoid Park, Restless). Lieber drei statt dreissig Millionen Budget und entsprechend weniger Druck, das Geld wieder einzuspielen – so lautete Van Sants erklärte Devise in jener Phase. Sie erlaubte es ihm, so abschreckende Themen wie das Massaker an der Columbine High School anzugehen und die Einsamkeit, die Isoliertheit oder die Selbstentfremdung seiner jungen Antihelden in experimentelleren Formen zu erkunden. Innehalten und schauen Van Sant erzählt selten linear und schon gar nie in gleichmässigem Fluss. Weil er vollständig eintauchen will in das Innenleben seiner Figuren, nimmt er sich vielmehr ungeniert die Zeit, die es braucht, um Intimes auszuloten, so etwa die ebenso langen wie heftigen Konfrontationen zwischen Will Hunting und seinem Therapeuten, bei denen die beiden abwechselnd die Façon verlieren. Oder aber die beschwörenden Fahrten, mit denen die Kamera den Teenagern in Elephant durch das Schulhaus folgt, in dem das Massaker stattfinden wird. Auch in einem konventionelleren Film wie dem unterschätzten Promised Land verharrt die Kamera immer wieder auf dem Gesicht des Hauptdarstellers Matt Damon – und registriert dabei all die Nuancen, mit denen dieser die schrittweise Desillusionierung seiner Figur zu erkennen gibt. Auf derlei intime Szenen lässt Van Sant schliesslich gern Bilder des Himmels oder der Landschaft folgen, welche die Stimmung wie ein Echo aufgreifen und ins Äussere vergrössern. Das Risiko dieses kontemplativen Stils besteht in einer gewissen Trägheit, sofern die Helden keinen starken Antrieb haben oder ihre Motivation letztlich rätselhaft bleibt. Manche Filme Van Sants entwickeln sich deshalb nur langsam, und Werke wie Elephant, Gerry oder Last Days haben die Kritik in leidenschaftliche Befürworter und Gegner gespalten. Ein paar sichere Werte und Geheimtipps gefällig? Selbstredend My Own Private Idaho, Good Will Hunting und Milk, doch wieso auch nicht Paranoid Park, Restless oder Promised Land? Van Sant ist immer für Überraschungen gut. Andreas Furler Andreas Furler, Filmjournalist und bis 2013 Koleiter des Filmpodiums, ist Gründer des ­ ebportals cinefile, das 2018 online geht. W Für die gute Zusammenarbeit bei der Retrospektive Gus Van Sant danken wir der Cinémathèque suisse und dem Musée de l‘Elysée, Lausanne, und den Cinémas du Grütli, Genf.


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Gus Van Sant 101 Min / Farbe / 35 mm / E/d/f // REGIE Gus Van Sant //

MALA NOCHE

> Good Will Hunting..

> Finding Forrester.

> Last Days.

DREHBUCH Gus Van Sant, Daniel Yost, William S. Burroughs,

USA 1986

basierend auf dem Roman von James Fogle // KAMERA

Als der 18-jährige Mexikaner Johnny in einem heruntergekommenen Viertel von Portland Walts Geschäft betritt, ist dieser sofort von dem illegalen Einwanderer angezogen. Und so ist Walt auch gleich bereit, Johnny über die Runden zu helfen. Mala Noche ist das Debüt von Gus Van Sant, und bereits hier legt er Wert «auf ausgefeilte, in der Wirkung unkonventionell individuelle Bild­ gestaltung: Bilder und Lichtsetzung, Kamera und Schnitt sind voller Reminiszenzen an die 50er-Jahre, ihren Geschmack und ihr rebellisches Lebensgefühl.­(…) Dies ist aber auch eine Momentaufnahme­(…) der grassierenden Orientierungslosigkeit der ‹Generation X›, (…) ein Dokument eines Zeitgeists, in dem Gefühle von Desorientierung und Fragmentierung dominieren.» (Rüdiger Suchsland, artechock.de) «Die Schauspieler wurden nicht bezahlt, das Budget war klein, doch die Originalität in Mala ­Noche war und bleibt unbezahlbar. (...) Poetisch, düster und impressionistisch, ist dieser Schwarzweissfilm wegen der verkommenen Welt zu ­geniessen, die er zeigt, und wegen der Art, wie er seine Story präsentiert.» (Desson Howe, Washington Post, 15.6.1990)

Mary Bauer, Curtiss Clayton // MIT Matt Dillon (Bob), Kelly

78 Min / Farbe + sw / 35 mm / E+Sp/f // REGIE UND SCHNITT Gus Van Sant // DREHBUCH Gus Van Sant, nach einer Story von Walt Curtis // KAMERA John J. Campbell // MUSIK Creighton Lindsay // MIT Tim Streeter (Walt), Doug Cooeyate (Johnny), Ray Monge (Roberto Pepper), Nyla McCarthy (Betty), Sam Downey (Hotelangestellter), Robert Lee Pitchlynn (­ Betrunkener), Eric Pedersen (Polizist).

­Robert D. Yeoman // MUSIK Elliot Goldenthal // SCHNITT Lynch (Dianne), James Le Gros (Rick), Heather Graham ­(Nadine), Max Perlich (David), James Remar (Gentry), John Kelly (Polizist), Eric Hull (Apotheker).

MY OWN PRIVATE IDAHO USA 1991 Mike ist auf der Suche nach seiner Mutter, Scott auf der Flucht vor seinem Vater. Beide schlagen sich als Stricher durchs Leben. Obwohl so verschieden, sind die beiden jungen Männer in inniger Freundschaft verbunden. Diese zerbricht allerdings, als sich Scott von Mike lossagt, um sein bürgerliches Erbe anzutreten. Ein melancholischer und kompromissloser Film über Einsamkeit und Ausbeutung, «vor allem aber ist der Film auf eine subversive Art ein Roadmovie, das man schon fast als romantische Tragödie bezeichnen könnte – wären da nur nicht die allzu verlorenen Figuren. Der Film selbst ist erfrischend: geschrieben, inszeniert und gespielt mit ausserordentlicher Einfühlungskraft und komödiantischer Energie. (...) Die beiden jungen Darsteller sind so überraschend wie passend: ­River Phoenix und Keanu Reeves spielen ihre Rollen mit viel Feingefühl – es sind Rollen von einer Intensität, wie sie junge Schauspieler nur selten angeboten bekommen.» (Vincent Canby, The New York Times, 27.9.1991) 103 Min / Farbe / 35 mm / E/d/f // REGIE Gus Van Sant // DREHBUCH Gus Van Sant, frei nach «Henry IV» von William Shakespeare // KAMERA Eric Alan Edwards, John J. Camp-

DRUGSTORE COWBOY USA 1989

bell // MUSIK Bill Stafford // SCHNITT Curtiss Clayton // MIT River Phoenix (Mike Waters), Keanu Reeves (Scott Favor), James Russo (Richard Waters), William Richert (Bob Pigeon), Rodney Harvey (Gary), Chiara Caselli (Carmella), Michael

Matt Dillon spielt den drogensüchtigen Bob, der zusammen mit seiner Gang und seiner Ehefrau Dianne durch die Gegend zieht und wegen einer Vorliebe für Medikamente «Drugstores» überfällt. Der Tod eines Bandenmitglieds durch eine Überdosis bringt Bob dazu, sein Leben zu ändern. «Drugstore Cowboy präsentiert sich ohne moralische Ansprüche als ungeschönter Abgesang auf eine Ära der Drogen. (…) Aus der Innenperspektive eines Süchtigen und stimmungsvoll inszeniert, stellt Drugstore Cowboy einen sorgfältig gestalteten, kontroversen und markanten Meilenstein innerhalb des Werks von Gus Van Sant dar, das von marginalisierten und wandlungsfähigen Antihelden wie Bob geprägt ist.» (Marie Anderson, kino-zeit.de) > Psycho.

> To Die For.

Parker (Digger), Jessie Thomas (Denise).

TO DIE FOR USA/GB/Kanada 1995 Suzanne ist Wetteransagerin bei einem Provinzsender und träumt von der grossen Karriere beim Fernsehen; für sie ist nur das im Fernsehen Gezeigte real. Kurz darauf beteiligt sie sich deshalb an einer Dokumentation über Teenager und formiert Jimmy, Lydia und Russel zu einer Gang, die die örtliche Realität auf handfeste Weise fernsehgerecht umkrempelt. Entsprechend wird auch ihr Mann Larry umgestaltet, der mit seiner Familienplanung Suzannes Traum nur im Weg steht …


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Gus Van Sant «Suzanne wird von Kidman als eine Frau gespielt, die immer auf der Bühne zu stehen und ihren Dialog von einem Teleprompter abzulesen scheint, der vor ihrem inneren Auge abläuft. (...) Das alles könnte als grobe Farce aufgezogen werden, aber Van Sant benutzt Buck Henrys böses Script als Basis für einen leiseren, grausameren Humor. (…) Kidmans grossartige Suzanne ist nicht nur dumm, eitel und egomanisch (das kennen wir bereits), sondern auch in verletzlicher Weise menschlich.» (Roger Ebert, rogerebert.com, 6.10.1995) 107 Min / Farbe / 35 mm / E/d/f // REGIE Gus Van Sant // DREHBUCH Buck Henry, nach dem Roman von Joyce Maynard // KAMERA Eric Alan Edwards // MUSIK Danny Elfman // SCHNITT Curtiss Clayton // MIT Nicole Kidman (Suzanne

> Promised Land.

Stone), Matt Dillon (Larry Maretto), Joaquin Phoenix (Jimmy Emmett), Casey Affleck (Russel Hines), Illeana Douglas (Ja-

PSYCHO USA 1998 In seinem Remake übernimmt Gus Van Sant ­Alfred Hitchcocks Original beinahe Einstellung für Einstellung. Anstatt 40 000 Dollar stiehlt Marion hier zeitgemäss den zehnfachen Betrag, bevor sie im Bates Motel absteigt. «Hitchcocks Film lädt den Zuschauer dazu ein, sich selbst zu beobachten. (…) Der Film lotet die Grenzen der Rationalität aus. Das ist der Grund, weshalb ein Remake so verführerisch scheint. Was könnte passender sein als dieser post-postmoderne Psycho? Ein Film, der uns dazu einlädt, zurückzulehnen und unsere eigene Reaktion zu reflektieren.» (Owen Gleiberman, Entertainment Weekly, 21.6.2013)

nice Maretto), Alison Folland (Lydia Mertz), Dan Hedaya (Joe). 105 Min / Farbe / 35 mm / E/d/f // REGIE Gus Van Sant // DREHBUCH Joseph Stefano, Robert Bloch // KAMERA Christopher

GOOD WILL HUNTING USA 1997

> Paranoid Park.

«Eine atemberaubende Leistung von Matt Damon in der Hauptrolle und ein hervorragendes Ensemble, angeführt von einem grossartigen Robin Williams, heben Good Will Hunting, Gus Van Sants emotional packendes psychologisches Drama, eine bis zwei Stufen über die therapeutische Mainstream-Sensibilität seiner Story hinaus. Diese wunderschön umgesetzte Geschichte eines brillanten Jünglings aus der Arbeiterklasse, der gezwungen wird, mit seinem kreativen Genie und seinen wahren Gefühlen klarzukommen, ist immer fesselnd und oft sehr berührend. Es ist ein Beleg für Van Sants eigenwilliges Talent, dass er die Erzählung, vor allem in den ersten Kapiteln, mit dem nihilistischen Humor und dem trügerisch-beiläufigen Stil ausstattet, die seine besten Werke kennzeichnen. (…) Während er sein Lieblingsthema – Aussenseiter – anspricht, fühlt er sich hier tief in das halbe Dutzend Figuren ein, und das Resultat ist ein wunderschön strukturierter Film über jene Art von Individuen, die sonst selten in Hollywood zu sehen sind.» (Emanuel Levy, Variety, 30.11.1997) 126 Min / Farbe / 35 mm / E/d/f // REGIE Gus Van Sant // DREHBUCH Matt Damon, Ben Affleck // KAMERA Jean-Yves

Doyle // MUSIK Bernard Herrmann, Danny Elfman // SCHNITT Amy E. Duddleston // MIT Vince Vaughn (Norman Bates), Anne Heche (Marion Crane), Julianne Moore (Lila Crane), Viggo Mortensen (Sam Loomis), William H. Macy (Milton Arbogast), Philip Baker Hall (Sheriff Chambers).

FINDING FORRESTER USA 2000 «Finding Forrester hält eine grosse Überraschung parat: Sean Connery zeigt Angst. Nach fünf Jahrzehnten als Macho-Legende (…) triumphiert Connery (…) nun durch Verletzlichkeit. Dies ist eine wunderbare Performance, mitreissend, intuitiv und voller Herz und Humor. Als zurückgezogener Autor William Forrester (...) schlurft Connery im Pyjama in seinem Apartment in der South Bronx herum und vertreibt sich die Zeit mit (…) der Nachhilfe von Jamal Wallace, einem 16-jährigen afroamerikanischen Wunderkind (…). Fragen zum Schreiben oder zu Forresters Suppenrezepten sind ok, doch im Persönlichen zu schnüffeln liegt nicht drin. (...) Der Schluss tendiert zur SoapOpera, aber Gus Van Sant ist ein zu genauer Charakterbeobachter, als dass er diesen witzigen und anrührenden Film schlaff werden lassen würde. (…) Fragen Sie nicht, wie alles endet. Das ist keine Suppenfrage.» (Peter Travers, Rolling Stone, 20.12.2000)

Escoffier // MUSIK Danny Elfman // SCHNITT Pietro Scalia // MIT Matt Damon (Will), Robin Williams (Sean Maguire), Ben

132 Min / Farbe / 35 mm / E/d/f // REGIE Gus Van Sant // DREH-

Affleck (Chuckie), Stellan Skarsgård (Lambeau), John Migh-

BUCH Mike Rich // KAMERA Harris Savides // MUSIK Bill

ton (Tom), Rachel Majorowski (Krystyn), Colleen McCauley

­Frisell // SCHNITT Valdís Óskarsdóttir // MIT Sean Connery

(Cathy), Casey Affleck (Morgan), Minnie Driver (Skylar).

(William Forrester), Rob Brown (Jamal Wallace), F. Murray ­Abraham (Prof. Crawford), Anna Paquin (Claire Spence), Busta Rhymes (Terrell Wallace), April Grace (Ms. Joyce), Michael Pitt (John Coleridge), Michael Nouri (Dr. Spence).

> Gerry.


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Gus Van Sant

GERRY USA/Argentinien/Jordanien 2002 «Da sind zwei Freunde (…), die beide Gerry heissen, mit einem alten Mercedes unterwegs in einer unspezifischen Mission, die sie ohne Nahrung der Gnadenlosigkeit der Wüste und ihrer eigenen Grenzen aussetzt. (…) Es ist die bis ins stille Standbild hineinreichende, atmosphärische Reduktion von Dynamik und Sprache, die diesen Film prägt, der einen so extremen wie intensiven Kontrapunkt zu den klassischen Erzählformen des Kinos setzt. (...) Gerry besticht durch grandiose landschaftliche Szenarien, die der wachsenden Orientierungs- und Hilflosigkeit der beiden Protagonisten innerhalb dieser monumentalen Kulisse eine unbarmherzige Tragik verleihen. Mal betont, mal kontrastiert die gewaltige Natur die Stimmungen der Figuren, die allein in der Wildnis physisch wie emotional auf eine drohende Unwiederbringlichkeit zusteuern. Kameramann Harris Savides (…) gelingen Aufnahmen von schonungsloser Intensität, die der Verlorenheit der Charaktere (...) einen eindringlichen visuellen Ausdruck verschaffen.» (Marie Anderson, kino-zeit.de) 103 Min / Farbe / 35 mm / E/f // REGIE Gus Van Sant // DREHBUCH UND SCHNITT Casey Affleck, Matt Damon, Gus Van Sant // KAMERA Harris Savides // MUSIK Arvo Pärt // MIT ­Casey Affleck (Gerry), Matt Damon (Gerry).

ELEPHANT USA 2003 Eigentlich ist es ein Tag wie jeder andere auch – eigentlich. Doch die Jugendlichen, die in den Korridoren ihrer Highschool aufeinandertreffen oder in der Cafeteria zusammen zu Mittag essen, ahnen nicht, dass dieser Tag wegen zweier Mitschüler ein tragisches Ende nehmen wird. «Rein beobachtend und ohne Prätention dehnt Gus Van Sant einen Tag des Jungseins ins Unendliche. Und seine Laiendarsteller, die allesamt wirklich in Portland, Oregon, zur Schule gehen, verkörpern diese Jugendlichen so vollkommen ohne Barrieren, dass der Film fast dokumentarische Züge annimmt. Wären da nicht die planen Einstellungen, in denen die Kamera (…) langsam verschiedenen Protagonisten folgt, auf ihrem Weg zur Schule und durch die Schulgebäude. (…) Bei alledem bleibt Gus Van Sants Regie subtil und respektvoll. Er masst sich nicht an, seine Figuren zu durchschauen. (…) Das Besondere des Films: seine Details, die inmitten der Langsamkeit unvermutet aufblitzen. Und ihn trotz der distanzier-

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Gus Van Sant

ten Kamera zu einem sehr intimen Film machen, dessen grosse Erzählqualitäten im Nonverbalen liegen.» (Anja Marquardt, artechock.de) 81 Min / Farbe / 35 mm / E/d/f // DREHBUCH, REGIE UND SCHNITT Gus Van Sant // KAMERA Harris Savides // MIT Alex Frost (Alex), Eric Deulen (Eric), John Robinson (John McFarland), Elias McConnell (Elias), Jordan Taylor (Jordan), Carrie Finklea (Carrie), Nicole George (Nicole), Brittany Mountain (Brittany), Alicia Miles (Acadia).

LAST DAYS USA 2005 Musiker Blake hat sich aus seinem exzessiven Dasein als Rockstar zurückgezogen und hält sich nun auf seinem ländlichen Anwesen auf. Gedankenversunken irrt er nachts im Wald umher und sucht tagsüber in den verlassenen Räumen nach den letzten Überbleibseln seiner Kreativität. Verschlossen, wie er ist, «gehört er nicht länger zu dieser Welt und nimmt innerlich Abschied von ihr. Genau diesen Zustand des Übergangs, der zugleich als Schmerz und als Erlösung erlebt wird, versucht Gus Van Sant vor allem metaphorisch und atmosphärisch nachvollziehbar zu machen. (…) Wer von Last Days eine Art Biopic (über Nirvanas Kurt Cobain) erwartet, wird wahrscheinlich enttäuscht oder vielleicht umgekehrt positiv überrascht sein, dass der Regisseur mit diesem Film offenbar etwas ganz anderes intendiert hat. (…) Der Film (…) konfrontiert den Zuschauer mit einer Geschichte, die die Kunst- und Weltsicht des Regisseurs vermutlich viel intensiver reflektiert als die der charismatischen Grunge-Ikone.» (Ekaterina Vassilieva, schnitt.de) 96 Min / Farbe / 35 mm / E/d/f // DREHBUCH, REGIE UND SCHNITT Gus Van Sant // KAMERA Harris Savides // MUSIK Rodrigo Lopresti // MIT Michael Pitt (Blake), Lukas Haas (Luke), Asia Argento (Asia), Scott Patrick Green (Scott), Nicole Vicius (Nicole), Ricky Jay (Detektiv), Ryan Orion (Donovan), Harmony Korine (Mann im Club).

PARANOID PARK USA/Frankreich 2007 Als der 16-jährige Alex sich aus Spass an die langsam vorbeirollenden Güterzüge hängt, wird er ertappt; bei der verbotenen Nachtaktion kommt es zu einem Todesfall. Geschockt und verwirrt, versucht der emotional isolierte Skater die Geschehnisse jener Nacht zu verarbeiten. «Und wir im Kino mit ihm: Erst tappen wir im Dunkeln, alles erscheint somnambul und unscharf, dann werden die Konturen deutlicher. (…)

Kompliziert und in der Adoleszenz bedrohlich und sich selber ein Rätsel ist jedoch das Bewusstsein. Seine Schlaufen, seine Unberechenbarkeit, seine Lücken und seine Lernprozesse schlagen sich in der nicht linearen filmischen Erzählweise von ­Paranoid Park nieder. (…) Van Sant und seine Kamera- leute Christopher Doyle (35 mm) und Rain Li (Super 8) haben dabei traumhaft schöne Bild­ sequenzen von ausserordentlicher Musikalität kreiert. Sie kreisen um die Betonwannen und Wände von Paranoid Park, wo die jungen Skater unter einer Brücke die Überwindung der Schwerkraft zelebrieren. (…) ‹Niemand ist wirklich je ­bereit für Paranoid Park›, hat Alex’ Freund Jared ihm über diesen unwirtlichen Ort gesagt, was sich auch als eine Metapher fürs Erwachsenwerden und seine moralischen Forderungen herauskristallisiert.» (Martin Walder, NZZ, 6.4.2008) 84 Min / Farbe / 35 mm / E/d/f // REGIE UND SCHNITT Gus Van Sant // DREHBUCH Gus Van Sant, basierend auf dem Roman von Blake Nelson // KAMERA Christopher Doyle, Rain Li // MIT Gabe Nevins (Alex), Daniel Liu (Detektiv Richard Lu), Jake Miller (Jared), Taylor Momsen (Jennifer), Lauren McKinney (Macy), Scott Patrick Green (Scratch), John Michael Burrowes (Wachmann), Christopher Doyle (Onkel Tommy).

MILK USA 2008 Gus Van Sants Biopic über Harvey Milk, der im San Francisco der siebziger Jahre mit Chuzpe, Tatkraft und Witz für die Rechte der Homosexuellen eintrat und es zum ersten schwulen Stadtrat brachte, bevor ihn ein geistig verwirrter Amtskollege niederschoss. «Milk erzählt Harvey Milks Geschichte als die eines verwandelten Lebens, als einen Triumph der individuellen Freiheit über staatliche Verfolgung, als politische und soziale Fallstudie. (…) Sean Penn verblüfft mich immer wieder. Er schafft mit unendlicher Aufmerksamkeit fürs Detail Figuren aus dem Herzen heraus, in diesem Fall eine, die vielen Mainstream-Amerikanern als schräger Vogel erscheinen dürfte und mit der sich doch alle identifizieren können. (…) Er zeigt Milk nie als Helden, sondern als ganz gewöhnlichen Menschen, liebenswert, lustig, voller Schwächen und schlau, idealistisch und voller Sehnsucht nach einer besseren Welt. Er zeigt, was so ein gewöhnlicher Mensch alles erreichen kann.» (Roger Ebert, Chicago-Sun Times, 24.11.2008) 128 Min / Farbe / 35 mm / E/d/f // REGIE Gus Van Sant // DREHBUCH Dustin Lance Black // KAMERA Harris Savides // MUSIK Danny Elfman // SCHNITT Ellio Graham // MIT Sean Penn (Harvey Milk), Emile Hirsch (Cleve Jones), Josh Brolin

(Dan White), Diego Luna (Jack Lira), James Franco (Scott Smith), Alison Pill (Anne Kronenberg), Victor Garber (Bürgermeister Moscone), Denis O’Hare (John Briggs).

RESTLESS USA 2011 Ein Teenager, der seine Eltern bei einem Verkehrsunfall verloren hat und statt der Schule die Beerdigungen fremder Leute besucht, trifft bei einem seiner «funeral crashings» auf ein Mädchen, das bald an einem Gehirntumor sterben wird. Die beiden Aussenseiter lernen mit- und voneinander, die eigene Sterblichkeit und jene der Liebsten zu akzeptieren. Eine bittersüsse Ballade in herbstlichen Farben und zum sanften Sound von Sufjan Stevens. Das Mädchen trägt sein Schicksal mit der liebenswertesten Schrulligkeit und Gefasstheit, und der Junge, anfänglich nur mit dem Geist eines japanischen Kamikazepiloten kommunizierend, findet durch seine neue Freundin fast schon wundersam aus seiner Depression heraus. Doch mag dieser zärtlichste aller Van-Sant-Filme bisweilen auch den romantischen Kitsch streifen – die Krankheit der Heldin etwa zeitigt kaum je ein unschönes körperliches Symptom –, so berührt er dennoch durch Van Sants Gespür für die Nöte von Teenagern und durch die Präsenz der beiden Hauptdarsteller. (Andreas Furler) 91 Min / Farbe / 35 mm / E/d/f // REGIE Gus Van Sant // DREHBUCH Jason Lew // KAMERA Harris Savides // MUSIK Jordan Dykstra, Danny Elfman // SCHNITT Elliot Graham // MIT Henry Hopper (Enoch Brae), Mia Wasikowska (Annabel Cotton), Ryo Kase (Hiroshi Takahashi), Schuyler Fisk (Elizabeth Cotton), Lusia Strus (Rachel Cotton), Jane Adams (Mabel), Paul Parson (Edward), Chin Han (Dr. Lee).

PROMISED LAND USA 2012 Zwei Vertreter einer Fracking-Firma touren durchs ländliche Amerika, um verarmten Farmern die Umnutzung ihres Landes zur Gasgewinnung aufzuschwatzen. In einer Kleinstadt stossen sie auf unerwarteten Widerstand, der sich zu einem Tauziehen mit allen erdenklichen Mitteln auswächst, als ein junger Ökoaktivist eine deftige Gegenkampagne aufzieht. Einer von Van Sants konventionelleren Filmen, doch eine packend erzählte Geschichte mit einer überraschenden Schlusswendung und vor allem eine stimmige Studie einer prototypischen Farmer-Community in der globalisierten Wirtschaft. Wie immer nimmt sich Van Sant beim Erzählen Zeit für Blicke in das Milieu seiner Figuren, und


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Gus Van Sant gerade der Reichtum der lange tradierten Lebenswelt, welcher dabei zum Vorschein kommt, wird zum entscheidenden Argument gegen die Verlockung des schnellen Geldes und das ökologische Kahlschlag-Prinzip der Fracking-Wirtschaft. Dass Matt Damon und Frances McDormand als die manipulativen Konzernvertreter überzeugen, versteht sich von selbst, mag McDormands Part auch sehr knapp angelegt sein. Damon bekommt denn auch den Schluss-Speech, dessen rhetorische und schauspielerische Brillanz ein Vergnügen für sich ist. (Andreas Furler) 106 Min / Farbe / Digital HD / E/d // REGIE Gus Van Sant // DREHBUCH John Krasinski, Matt Damon, nach einer Story von Dave Eggers // KAMERA Linus Sandgren // MUSIK Danny ­Elfman // SCHNITT Billy Rich // MIT Matt Damon (Steve Butler), John Krasinski (Dustin Noble), Frances McDormand (Sue Thomason), Sara Lindsey (Claire Allen), Rosmarie DeWitt (Alice), Scoot McNairy (Jeff Dennon), Tim Guinee (Drew Scott).

Selbstmörder-Wald, das Leben zu nehmen. Während er dort verloren umherwandert, trifft er auf den Geschäftsmann Takumi Nakamura, der ursprünglich mit dem gleichen Ziel hierhergekommen war, sich dann aber umentschieden hat. Nun versucht auch Arthur, sein eigenes Ich unter all seiner Trauer wiederzufinden. «Gus Van Sant zeigt ein aufrichtiges Drama, das mittels Rückblenden Einblick in Arthurs Vergangenheit sowie die Beziehung zu seiner Frau Joan offeriert. (…) Dabei ist The Sea of Trees alles andere als die allseits proklamierte Katastrophe (…). In erster Linie handelt es sich (…) um eine ambitionierte Geschichte, die sich mit den zerbrechlichen Seiten ihrer Protagonisten beschäftigt.» (Matthias Hopf, dasfilmfeuilleton.de) «Der Film ist in einer gelungenen, zurückhaltenden Performance von Matthew McConaughey verankert und in einer tief empfundenen, wenn auch manchmal melodramatischen Geschichte, die sich als eine seltsam immersive Erfahrung erweist.» (Gary Goldstein, LA Times, 25.8.2016)

THE SEA OF TREES

110 Min / Farbe / Digital HD / E/d // REGIE Gus Van Sant //

USA 2015

DREHBUCH Chris Sparling // KAMERA Kasper Tuxen //

Gus Van Sant

KURZFILME VON GUS VAN SANT Gus Van Sant hat im Verlauf seiner Karriere immer wieder Kurzfilme realisiert, zwischen den Spielfilmen und zum Teil sogar parallel zur Arbeit daran. Es sind fiktionale Geschichten, Reportagen, kleine Komödien, Musikfilme, Selbstporträts, Gedichtlesungen und Performances. Alle diese Filme wurden mit der Zustimmung von Gus Van Sant und unter der Leitung von Mark Toscano vom Academy Film Archive konserviert und restauriert; wir zeigen sie in Zusammenarbeit mit dem Academy Film Archive, in der englischen Originalversion ohne Untertitel.

­(Gabriella Laforte), Jordan Gavaris (Eric).

PROGRAMM 1 (ca. 70 Min) FLEA SINGS (1991) Flea, der Bassist der Red Hot Chili Peppers, singt «Orange Claw Hammer» von Captain Beefheart. THE HAPPY ORGAN (1971) Ein Geschwisterpaar macht einen Wochenendausflug; die beiden ahnen nicht, welche tragische Wendung dieser nehmen wird. Die erste ­Zusammenarbeit von Gus Van Sant mit seinem Kameramann Eric Edwards. BOB (1987) In diesem Film ist die Figur von Bob Pigeon aus My Own Private Idaho schon angelegt. A THANKSGIVING PRAYER (1991) William S. Burroughs skandiert ein Pamphlet gegen den amerikanischen Imperialismus. FOUR BOYS IN A VOLVO (1996) Ein Roadtrip (ursprünglich eine Auftragsarbeit für eine Levi’s-Werbung) wird zu einer Serie von impressionistischen und intimen Momenten. BALLAD OF THE SKELETONS (1987) Zur Musik von Paul McCartney und Philip Glass liest Allen Ginsberg sein gleichnamiges Gedicht.

> Restless.

LITTLE JOHNNY (1972) Ein Junge namens Johnny geht mit seinem Hund spazieren. Er begegnet einer alten Dame, die ihm Komplimente für seine Kleidung, Schuhe und Krawatte macht und ihm eine einfache Frage stellt. ½ OF A TELEPHONE CONVERSATION (1973) Eine Frau wird in einer Telefonkabine angegriffen, doch dann wird der Aggressor von einem Auto angefahren.

MY FRIEND (1982) Komödie über die körperliche Anziehungskraft, die ein Freund ausstrahlen kann.

McConaughey (Arthur Brennan), Naomi Watts (Joan Brennan), Ken Watanabe (Takumi Nakamura), Katie Aselton

THE DISCIPLINE OF DE (1978) Adaption einer Kurzgeschichte von William S. Burroughs, in der es um Vereinfachungen im ­Alltag geht («DE – Do Easy»), und gleichzeitig eine Metapher aufs Filmemachen gemäss Gus Van Sant: Man muss die Dinge so lange wiederholen, bis man sie richtig macht.

LATE MORNING START (1975) Schulabschlussprojekt von Gus Van Sant, inspiriert von Jean-Luc Godard und Luis Buñuel.

­MUSIK Mason Bates // SCHNITT Pietro Scalia // MIT Matthew

Arthur Brennan hat einen Entschluss gefasst. Wie in Trance lässt er alles in seiner Heimat zurück, um sich in Japan im Aokigahara-Wald, dem

PROGRAMM 2 (ca. 63 Min)

USA 1972 – 2000

EASTER (2000) Nachdem er mit seiner Frau einen Schwulenporno gesehen hat, meint ein Mann, er sei homosexuell. Ursprünglich als Teil des nicht vollendeten Films Jokes vorgesehen.

WHERE’D SHE GO? (1983) Vom Tod der Grossmutter väterlicherseits inspirierter Kurzfilm. SWITZERLAND (1984) Ein Heranwachsender erzählt dem Filmemacher von seinen Zielen und von seinen Wurzeln. NIGHTMARE TYPHOON (1984) Ein düsteres und urkomisches telefonisches Spiel über die Traurigkeit, von seinem «Stalker» nicht geliebt zu werden. KEN DEATH GETS OUT OF JAIL (1985) Der Skinhead Kenneth Murray Mieske, der ein Jahr nach dem Film wegen eines rassistischen Mordes verurteilt wird, erzählt von seinem Gefängnisaustritt. FIVE WAYS TO KILL YOURSELF (1987) Gus Van Sant, beruflich unzufrieden, zählt fünf Wege auf, seinem Leben ein Ende zu setzen. JUNIOR (1982) Die Katze von Gus Van Sant tanzt zu seiner Gitarre. DEWITT CLINTON CHOIR (2000) Eine bewegende Aufführung von «Lean On Me» durch den Chor der DeWitt Clinton High School, anlässlich der Dreharbeiten zu Finding Forrester. Texte zu Kurzfilmen nach: Programmheft Cinémathèque s­ uisse, Nov./Dez. 2017; Credits s. Website www.filmpodium.ch

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Das erste Jahrhundert des Films: 1997

Das erste Jahrhundert des Films

1997 1997 ging auf der Leinwand das Kreuzfahrtschiff Titanic unter und versenkte dabei alle Einspielrekorde. Während sich James Cameron zum (Film-)König der Welt ausrief, zeigt sich in seinem Schatten eine Reihe zukünftiger Thronfolger. Mit der Blaxploitation-Hommage Jackie Brown wächst Quentin ­Tarantino endgültig aus der Rolle des Wunderkindes heraus. Nach dem Erfolg der Jane-Austen-Adaption Sense and Sensibility widmet sich Ang Lee mit The Ice Storm ebenfalls dem Amerika der 70er-Jahre. In seinem sensiblen ­Porträt einer US-Kleinstadt im Jahr 1973 gelingt Lee anhand der dysfunktionalen Familien und der Orientierungslosigkeit seiner Hauptfiguren eine ­Momentaufnahme der USA, die über die dargestellte Zeit hinausweist. An Amerika und sein Publikum dachte Michael Haneke in seinem selbstreflexiven Film Funny Games, der so kontrovers wie ambivalent das Thema Gewalt im Film auslotet. Der Versuch des österreichischen Regisseurs, Brutalität als etwas nicht Konsumierbares darzustellen, zielt dabei weniger auf Filme wie Takeshi Kitanos Hana-Bi. Dieses in Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnete Werk integriert Gewaltausbrüche in eine so eigentümliche wie ­berührende Mischung aus Komik, Groteske und Tragödie. Bis zum Kinostart von Titanic war Peter Cattaneos Debütfilm The Full Monty der umsatzstärkste Film des Jahres in Grossbritannien. Mit viel Sympathie und ohne ihre nackten Protagonisten blosszustellen, vergisst die Komödie nicht die reale Tragik hinter der humorvollen Fassade. Ein weiterer Erstling ist Nuri Bilge Ceylans Kasaba. In dieser intimen Studie einer Grossfamilie zeigt sich bereits das Talent des Regisseurs, der 17 Jahre später für Winter Sleep die Goldene Palme erhielt. Marius Kuhn Das erste Jahrhundert des Films In der Dauerreihe «Das erste Jahrhundert des Films» zeigen wir im Lauf von zehn Jahren rund 500 ­wegweisende Werke der Filmgeschichte. Die Auswahl jedes Programmblocks ist gruppiert nach Jahrgängen, woraus sich schliesslich 100 Momentaufnahmen des Weltkinos von 1900 bis 1999 ergeben. ­Referenzzahl ist jeweils der aktuelle Jahrgang, d. h. im Jahr 2017 sind Filme von 1917, 1927, 1937 usw. zu sehen. Weitere wichtige Filme von 1997 Abre los ojos Alejandro Amenábar, Spanien Boogie Nights Paul Thomas Anderson, USA Carne trémula Pedro Almodóvar, Spanien Das Schweigen der Männer Clemens Klopfenstein, CH Der Aal (Unagi) Shohei Imamura, Japan Der Geschmack der Kirsche (Ta’m e guilass) Abbas Kiarostami, Iran Face/Off John Woo, USA Gummo Harmony Korine, USA

Insomnia Erik Skjoldbjærg, Norwegen L. A. Confidential Curtis Hanson, USA La vita è bella Roberto Benigni, I Lost Highway David Lynch, USA Princess Mononoke (Mononoke-hime) Hayao Miyazaki, Japan Starship Troopers Paul Verhoeven, USA The Sweet Hereafter Atom Egoyan, Kanada Titanic James Cameron, USA

FUNNY GAMES Österreich 1997 Anna und Georg planen mit ihrem Sohn Schorschi ein paar Tage in ihrem Ferienhaus am See. Kaum sind sie angekommen, schaut Peter, der Sohn der Nachbarin, vorbei. Als kurz darauf auch sein Freund Paul auftaucht, nehmen die beiden die Familie als Geiseln und beginnen ein grausames Katz-und-Maus-Spiel. «Ich versuche Wege zu finden, um Gewalt als das darzustellen, was sie immer ist, als nicht ­konsumierbar. Ich gebe der Gewalt zurück, was sie ist: Schmerz, eine Verletzung anderer», sagt ­Michael Haneke über sein kontroverses Werk. Im Spiel mit Metalepsen – direkter Zuschaueransprache und Manipulation der Erzählebenen – stellt der Regisseur den Film als Konstrukt aus und reflektiert dabei das Medium im Kontext von Gewaltdarstellungen und deren Faszination. Da Haneke dabei nicht zuletzt die Normen des US-­ Kinos kritisierte und dessen Publikum erreichen wollte, drehte er zehn Jahre später auf Englisch ein exaktes Remake seines eigenen Films. (mk) «Jeder Kino-Regisseur, der sein Publikum moralisch läutern will, sieht sich mit einem kaum auflösbaren Widerspruch konfrontiert. Wer zum

Beispiel vor den Schrecken des Krieges warnen will, muss sie zeigen (…). Und damit verwickelt sich die läuternde Absicht in einen Strudel von Ambivalenzen. Denn das Bild der Gewalt ist stets auch faszinierend. Gewalt, die körperliche Konfrontation, definiert das Kino. Für die Diskussion um Gewalt, Bilder und Moral ist Funny Games ein Markstein. (…) Funny Games ist ein faszinierend inszenierter Alpdruck, in dem alles immer schlimmer wird. (…) Und wir, die Zuschauer, werden zu Komplizen des fortschreitenden Terrors. Funny Games scheint, von Szene zu Szene, heftiger zu fragen: Warum gehen Sie nicht? Wollen Sie das wirklich sehen? (…) Haneke will den endlosen Fluss der Fernsehbilder kritisieren, in denen die Zeichen dem Bezeichneten fremd geworden und zu Formeln erstarrt sind. Er rebelliert gegen die Inflation der Bilder und unseren gleichgültigen Blick.» (Stefan Reineck, epd Film, 9/1997) 108 Min / Farbe / DCP / D/f // DREHBUCH UND REGIE Michael Haneke // KAMERA Jürgen Jürges // MUSIK Georg Friedrich Händel, Wolfgang Amadeus Mozart, John Zorn // SCHNITT Andreas Prochaska // MIT Susanne Lothar (Anna), Ulrich Mühe (Georg), Frank Giering (Peter), Arno Frisch (Paul), ­Stefan Clapczynski (Schorschi), Doris Kunstmann (Gerda), Christoph Bantzer (Fred), Wolfgang Glück (Robert), Susanne Meneghel (Gerdas Schwester), Monika Zallinger (Eva).

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Das erste Jahrhundert des Films: 1997

HANA-BI Japan 1997 Die Frau des Tokioter Polizisten Yoshitaka Nishi ist an Leukämie erkrankt. Darüber hinaus ist er hoch verschuldet und fühlt sich verantwortlich für die schwere Verletzung eines Kollegen, der seit einer Schiesserei an den Rollstuhl gefesselt ist. Ohne Worte und sichtbare Gefühlsregungen versucht der Polizist seine Schuld zu begleichen. «Vor drei Jahren krempelte ein Motorradunfall nicht nur Takeshi Kitanos Leben um, auch seine Mimik wurde verändert: Die rechte Gesichtshälfte des Autors und Hauptdarstellers von Hana-Bi ist seitdem von einem unwillkürlichen Zucken gezeichnet. (…) Das Besondere und Fesselnde an Hana-Bi ist, dass der anfängliche Gangster-Thriller zunehmend zugunsten einer bezaubernden Tragödie zurücktritt. Auf der finalen Reise wird an Nishis Seite die Bedeutung von Freundschaft wie auch das Wunder der Liebe und der Natur erschlossen. Kitanos naive Gemälde von BlumenTieren und mystischen Mensch-Tier-Pflanzenwesen, die aus seiner Rekonvaleszenz-Zeit stammen, begleiten diese Reise und entwickeln sich von Raumdekorationen langsam zu Handlungsmotiven. Sie tragen zu diesem souveränen Kunstwerk ebenso bei wie die durchweg überzeu-

genden Darsteller, die brillante Kameraarbeit und das durchdachte Schnittkonzept. Es ist Kitano mit Hana-Bi auf einzigartige Weise gelungen, grausige Blutorgien, rohe Gewalt, subtile Komik, laute Groteske und eine poetische Liebesgeschichte zu einem komplexen Film zu verflechten, der durchweg spannend, unterhaltend und zu Tränen rührend ist, ohne je in Kitsch zu entgleiten.» (Antje Krumm, schnitt.de) «Hana-Bi, eine Polizistenstory als Feuerwerk und Meditation. Eine dieser uralten, ewigen Geschichten, die die Essenz des Kinos sind und seine ganze Zukunft. Kitano hat ihr nur einen neuen Akzent gegeben, eine neue Farbe, eine neue Melodie. Aber mehr muss man auch gar nicht tun.» (Andreas Kilb, Die Zeit, 12.9.1997). 103 Min / Farbe / Digital HD / Jap/d // DREHBUCH UND REGIE Takeshi Kitano // KAMERA Hideo Yamamoto // MUSIK Joe Hisaishi // SCHNITT Takeshi Kitano, Yoshinori Ohta // MIT Takeshi Kitano (Yoshitaka Nishi), Kayoko Kishimoto (Miyuki, seine Frau), Ren Osugi (Horibe), Susumu Terajima (Nakamura), Tetsu Watanabe (Tesuka), Hakuryu (Yakuza-Killer), ­Yasuei Yakushiji (Krimineller), Taro Itsumi (Kudo), Kenichi ­Yajima (Arzt), Makoto Ashikawa (Tanaka).

Das erste Jahrhundert des Films: 1997

JACKIE BROWN USA 1997 Die in die Jahre gekommene Stewardess Jackie Brown arbeitet für eine Billig-Airline. Um ihr spär­liches Gehalt aufzubessern, schmuggelt sie für den Waffenhändler Ordell Robbie Geld über die mexikanische Grenze. Als ihr die Polizei auf die Schliche kommt und sie als Lockvogel zur Überführung Robbies einsetzen will, plant Jackie beide Parteien zu überlisten, um selbst ans grosse Geld zu kommen. Nach Reservoir Dogs und Pulp Fiction waren die Erwartungen an Quentin Tarantinos dritten Wurf entsprechend gross. Der Regisseur scheint damit zu spielen, wenn er die Handlung bewusst entschleunigt, die Gewalt zügelt und Robert De Niro als faulen, zugedröhnten Ex-Häftling gegen den Strich besetzt. Gleichzeitig beginnt mit der ersten Einstellung das von ihm gewohnte Zitierspiel: Die Kamera folgt Jackie Brown auf der Rolltreppe, wie sie es 30 Jahre zuvor bei Benjamin Braddock in The Graduate tat. Dennoch lässt sich Tarantinos Kino-Universum nicht alleine auf die selbstreferenziellen Verweise reduzieren. Jackie Brown besticht durch die für Tarantino typischen, präzise gezeichneten Figuren und lotet die Möglichkeiten des filmischen Erzählens aus, wenn er den Höhe-

punkt der Handlung aus drei unterschiedlichen Perspektiven zeigt. (mk) «Dieser Film beweist, dass Tarantino ein echtes Talent ist und nicht nur ein Zwei-Filme-Wunderkind. Jackie Brown ist keine Kopie seiner vorherigen Filme, sondern besticht durch einen neuen Stil und schwört die Magie von Elmore ­Leonards Vorlage herauf. In einer Sequenz diskutieren Robert De Niro und Bridget Fonda über ein Foto an der Wand, und es ist so perfekt geschrieben, getaktet und gespielt, dass ich spontan applaudierte. (…) Man geniesst jeden Moment von Jackie Brown. Wer sagt, der Film sei zu lang, hat eine kinematische Aufmerksamkeitsstörung. Ich wollte, dass die Figuren stundenlang reden, betrügen und intrigieren.» (Roger Ebert, Chicago Sun-Times, 24.12.1997) 154 Min / Farbe / 35 mm / E/d/f // REGIE Quentin Tarantino // DREHBUCH Quentin Tarantino, nach dem Roman «Rum Punch» von Elmore Leonard // KAMERA Guillermo Navarro // SCHNITT Sally Menke // MIT Pam Grier (Jackie Brown), Samuel L. Jackson (Ordell Robbie), Robert Forster (Max ­ Cherry), Bridget Fonda (Melanie Ralston), Michael Keaton (Ray Nicolette), Robert De Niro (Louis Gara), Michael Bowen (Mark Dargus), Chris Tucker (Beaumont Livingston).

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Das erste Jahrhundert des Films: 1997

KASABA Türkei 1997 In vier Kapiteln und aus der Perspektive der Kinder erzählt Nuri Bilge Ceylans Kasaba von einer Grossfamilie in einer kleinen, gottverlassenen Stadt in der Türkei. Mit dem Caligari-Filmpreis an der Berlinale 1998 ausgezeichnet, zeigt Ceylans Debütfilm in prägnanten Schwarzweiss-Bildern bereits die Stilistik und Subtilität, welche seine späteren Werke wie Once Upon a Time in Anatolia aus­ zeichnen. «Kasaba wurde mit sehr wenig Geld her­ gestellt. Doch nicht die knappen Finanzen waren der Grund dafür, dass das Filmteam so klein war – wenn wir drehen, wollen wir einfach nicht viele Leute um uns herum. Wir haben versucht, alles auf das Minimum zu reduzieren. Die Crew bestand aus zwei Leuten, einem Freund, der die Schärfe zog, und mir. Für die Beleuchtung benutzten wir zwei 1000-Watt-Glühlampen. Meine Eltern, mei­ne Verwandten und Freunde aus der Region waren die Schauspieler. Es ist eine wahre Geschichte mit autobiografischen Bezügen, das Drehbuch basiert auf der Autobiografie meiner Schwester, die den Titel ‹Das Maisfeld› trägt. Gedreht wurde in einem sehr kleinen ägäischen Dorf, in dem ich

fast meine gesamte Kindheit verbracht habe.» (Nuri Bilge Ceylan, Katalog Int. Forum des Jungen Films, Berlin 1998) «Nuri Bilge Ceylans Kasaba ist ein heraus­ ragender Debütfilm. Es ist ein weitschweifendes, aber vollkommenes Werk (…), in dem uns das ­Leben in einer ländlichen Kleinstadt durch die Augen der Kinder näher gebracht wird. (…) Der leise, aber aufmerksame Film zeigt uns diese gewöhnlichen Menschen und wie sie versuchen, ihrem Leben einen Sinn zu geben. Er vergegenwärtigt uns den Alltag der Menschen und ihre Erwartungen, speziell in Bezug zu ihrer Nationalität und ihrem Platz in der Welt.» (Dennis Schwartz, Ozus’ World Movie News, 31.1.2012) 85 Min / sw / 35 mm / Türk/d // DREHBUCH, KAMERA UND ­REGIE Nuri Bilge Ceylan // MUSIK Ali Kayaci // SCHNITT ­Ayhan ­Ergürsel // MIT Emin Toprak (Saffet), Havva Saglam (Asiye), ­Cihat Bütün (Ali), Fatma Ceylan (Nine), Emin Ceylan (Dede), Sercihan Alevoglu (Vater Baba), Semra Yilmaz (Mutter Anne), Latif Altintas (Lehrer Ögretmen), Muzaffer Özdemir (Deli Ahmet).

Das erste Jahrhundert des Films: 1997

THE FULL MONTY GB 1997 Sechs arbeitslose Stahlarbeiter in der mittel­ englischen Stadt Sheffield lassen sich vom Erfolg amerikanischer Striptease-Tänzer dazu animieren, ihre leeren Taschen mit dem Ablegen der Kleider zu füllen. Bis aus der bunt zusammen­ gewürfelten Gruppe aber eine Go-Go-Truppe wird, sind nicht nur körperliche Hürden zu überwinden. In nur 40 Tagen und mit einem Budget von 3,5 Millionen US-Dollar gedreht, wurde Peter Cattaneos erster Kinofilm zum Überraschungserfolg und war nach Titanic der erfolgreichste Film des Jahres in Grossbritannien. «Der Film ist sich bewusst, dass Arbeitslosigkeit weit demütigender ist als Nacktheit, aber er freut sich auch am Anblick heruntergekommener Ex-Arbeiter, die lernen, ihre neue Freiheit zu ­geniessen. Neben der Hauptfigur Gaz, gespielt mit der ­herausragenden Präsenz und dem herben Charme von Robert Carlyle, ist Gerald die überzeugendste Figur im Film: ein ehemaliger Vorarbeiter mit distinguiertem Stil. Nicht zuletzt um den dekorativen Gartenzwergen seiner Frau zu entkommen, solidarisiert er sich mit der Männergruppe, die er

einst zu beaufsichtigen hatte. Zu seiner eigenen Überraschung ist er schon bald ebenso hingebungsvoll bei der Sache wie die anderen. Im vollen Bewusstsein über die Absurdität der Situation lässt Regisseur Cattaneo im mit rosafarbener Blumentapete ausstaffierten Wohnzimmer von Gerald die Männer das erste Mal blankziehen. ‹Nicht gucken›, warnt einer, ‹und nicht lachen, ihr Mistkerle.› Nicht lachen in The Full Monty? Sorry, keine Chance.» (Janet Maslin, The New York Times, 13.8.1997) «The Full Monty ist ein erstklassiges Beispiel für ein weiteres, einstmals florierendes englisches Produkt, von dem man annahm, dass es den gleichen Weg gegangen sei wie die Stahl­ industrie. Peter Cattaneos Film ist die beste britische Situationskomödie seit Jahren.» (Jonathan Romney, The Guardian, 29.8.1997) 95 Min / Farbe / 35 mm / E/d/f // REGIE Peter Cattaneo // DREHBUCH Simon Beaufoy // KAMERA John de Borman // MUSIK Anne Dudley // SCHNITT Nick Moore, Dave Freeman // MIT Robert Carlyle (Gaz), Tom Wilkinson (Gerald), Mark Addy (Dave), Lesley Sharp (Jean), Emily Woof (Mandy), Steve Huison (Lomper), Paul Barber (Horse), Hugo Speer (Guy), Deirdre Costello (Linda), Bruce Jones (Reg), William Snape (Nathan), Paul Butterworth (Barry).

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Das erste Jahrhundert des Films: 1997

SÉLECTION LUMIÈRE

ELISA, VIDA MÍA Unter dem Franco-Regime hatte der spani-

lauter Schönheit in eine Art Hypnose

sche Filmemacher Carlos Saura in ver-

­abtaucht, die nicht besser geleitet werden

schlüsselter Form Kritik an der politischen

könnte als von den zwei grossen und

Repression geübt. Zwei Jahre nach Francos

hervorragenden schauspielerischen Dar­ ­

Tod legte er mit Elisa, vida mía eines seiner

bietungen Fernando Reys und Geraldine

intimsten und persönlichsten Werke vor.

Chaplins. Ein absolutes Meisterwerk des Genies Carlos Saura.» (Alberto Tovar, zi-

Ohne sich darüber ganz im Klaren zu sein,

tiert von Xavier Nidal im Blog Cinoscar &

wieso er seine Familie einst verlassen hat,

Rarities, cachecine.blogspot.ch, 10.6.2014)

wohnt Luis nun zurückgezogen in seinem alten Landhaus und verbringt seine Zeit vor

✶ am Donnerstag, 7. Dezember, 18.15 Uhr:

allem mit Schreiben. Als seine Tochter

Einführung von Martin Girod

Elisa nach fast zwanzig Jahren Funkstille einige Tage zu Besuch kommt, wird ihr Zusammenleben zu einer existenziellen Herausforderung. Zwischen Gegenwart und Vergangenheit, Realität und Vorstellung er-

THE ICE STORM USA 1997 Thanksgiving 1973. Die Eltern des halbwüchsigen Paul sind in einer schwierigen Phase, eine Paartherapie haben sie soeben abgebrochen, der Vater hat eine Affäre mit der Nachbarin. Auch Pauls jüngere Schwester landet im Bett eines Nachbarsjungen. Am Beispiel einer Kleinstadt im winterlichen Connecticut wird so witzig wie melancholisch aufgezeigt, wie die Mitglieder einer Kleinfamilie mit sexuellen Auf- und Ausbrüchen, Drogen und neureligiösen Strömungen experimentieren und sich dabei mit zunehmender Ratlosigkeit des verloren gehenden Zusammenhalts bewusst werden. (mk) «The Ice Storm ist grosses, intensives, stilistisch beeindruckendes Kino. Leidenschaften werden hier nicht zu Beziehungsfragen reduziert oder in das Saccharin des Kitschs aufgelöst. In guten Momenten erreicht Lee das Format eines Ingmar Bergman. Schonungslos analysiert er die Realität des amerikanischen Traums. Verklärt wird hier nichts mehr, im Gegenteil ist das Bild der Wirklichkeit, das hier gezeichnet wird, von ­einer Schärfe, die man nur in wenigen europäischen Filmen der letzten Jahre gesehen hat. Gleichzeitig bleibt der American Dream aber

j­ederzeit präsent: als eine Hoffnung und ein Anspruch, der das, was der Gegenwart fehlt, nur umso schärfer hervortreten lässt.» (Rüdiger Suchsland, artechock.de) «‹Einfühlsam› ist das beste Wort, das mir einfällt, um The Ice Storm, Ang Lees meisterhafte Dekonstruktion der amerikanischen Familie, ­ zu beschreiben. Der Film provoziert, ist unterhaltsam und makellos gedreht. Dennoch liegt seine grösste Stärke darin, wie er die Wahrheit tief unter der Oberfläche hervorholt. The Ice Storm ist einfühlsam gegenüber den Figuren, ihren Beziehungen und der menschlichen Natur. Während der gesamten 112 Minuten gibt es keinen einzigen falschen Ton.» (James Berardinelli, reelviews.com)

kundet Saura die verschiedenen Bewusst-

sem Umfang, die sich nicht damit begnügt,

Geraldine Chaplin (Elisa), Norman Briski (Antonio), Ana ­

112 Min / Farbe / 35 mm / E/d/f // REGIE Ang Lee // DREHBUCH

die emotionale Psychologie der beiden

­Hinojosa (Julián), Francisco Guijar (Arzt).

James Schamus, nach dem Roman von Rick Moody // KAMERA

Hauptfiguren dieser eigenartigen Bezie-

Frederick Elmes // MUSIK Mychael Danna // SCHNITT Tim

seinsebenen seiner Figuren. «Die Identitäten von Mann und Frau, Vater und Tochter, Ehefrau und Ehemann ähneln Kostümen, auf die (sie) verzweifelt zurückgreifen, im Bemühen, eines zu finden, das ihnen passt.» (Juan Carlos Ampié, Cine Qua Non, juancarlosampie.wordpress.com, 11.3.2013) «Elisa, vida mía verwandelt sich in eine aussergewöhnliche Übung von Introspektion und Reflexion. Eine Reflexion von gros-

Squyres // MIT Christina Ricci (Wendy Hood), Joan Allen (Elena

hung zu entschlüsseln, sondern auch die

Hood), Kevin Kline (Ben Hood), Tobey Maguire (Paul Hood),

präzisen literarischen und filmischen Gren-

Sigourney Weaver (Janey Carver), Jamey Sheridan (Jim ­ ­Carver), Elijah Wood (Mikey Carver), David Krumholtz (Francis

zen aufbrechen will und sich dadurch als

Davenport), Adam Hann-Byrd (Sandy Carver), Kate Burton

exzellentes Stück Metaliteratur anbietet.

(Dorothy Franklin), Katie Holmes (Libbets Casey).

(…) Dieses ganze Konglomerat wird mit absoluter Bravour entwickelt, einer Bravour, die einen erschauern lässt, weil man vor

ELISA, VIDA MÍA / Spanien 1977 125 Min / Farbe / DCP / Sp/e // DREHBUCH UND REGIE ­Carlos Saura // KAMERA Teo Escamilla // MUSIK Erik Satie // SCHNITT Pablo G. del Amo // MIT Fernando Rey (Luis), ­Torrent (Elisa als Kind), Isabel Mestres (Isabel), Joaquín


38

39 Reedition

Babette’s Feast In Gabriel Axels oscargekrönter Verfilmung von Karen Blixens Erzählung Babettes gæstebud lehrt Stéphane Audran als französische Köchin ein Dorf von dänischen Frömmlern leibliche Freuden geniessen.

schen Wirren in ihrer Heimat alles verloren, und ein gemeinsamer Bekannter hat sie nach Dänemark geschickt, damit die Schwestern sie aufnehmen und als Köchin beschäftigen. Babette bewährt sich, und nach 14 Jahren treuer Dienste erfährt sie, dass sie in der Lotterie gewonnen hat. Dieses Vermögen will B ­ abette in ein Diner zum 100. Geburtstag des verstorbenen Propstes investieren, als Dank für ihr Asyl. Die skeptischen Dörfler beschliessen, zwar am Festmahl teilzunehmen, ohne sich jedoch von irdischen Genüssen verführen zu lassen. Aber sie haben nicht mit Babettes Kochkunst gerechnet. Es ist dem Regisseur «in erstaunlichem Masse gelungen, den atmosphärisch schwebenden Stil der Vorlage zu treffen, eine ganz eigenartige, unverwechselbare Mischung aus zärtlicher Hinwendung zu den Personen und feiner ironischer Distanzierung, verbunden mit ebenso poetischen wie lakonischen und treffsicheren Formulierungen. Wie Karen Blixens Erzählung wird so auch der Film zu einer tiefsinnigen poetischen Parabel über Selbstaufopferung, nicht gelebtes Leben und verlorene Liebe.» (Franz Ulrich, Zoom, 23/1988)

Geschenke fürs ganze Jahr – ein Abonnement oder ein Plakat! Erhältlich an der Kinokasse

BABETTE’S FEAST (Babettes gæstebud) / Dänemark 1987 103 Min / Farbe / DCP / OV/d // REGIE Gabriel Axel // DREHBUCH Gabriel Axel, nach der Kurzgeschichte von Karen Blixen // KAMERA Henning Kristiansen // MUSIK Per Nørgaard // SCHNITT Finn Henriksen // MIT Stéphane Audran (Babette Hersant), Bodil Kjer (Filippa), Birgitte Federspiel (Martine), Jarl Kulle (General Löwenhielm), Jean-Philippe Lafont (Achille Papin), Bibi Andersson (Hofdame aus Schweden), Ghita Nørby (Erzählerin), Astar Esper Hagen Andersen (Anna), Thomas Antoni (Leutnant).

Im 19. Jahrhundert wachsen in einem dänischen Fischerdorf die zwei schönen Töchter des Propsts keusch und asketisch auf, und nach dem Tod des Vaters bleiben sie als alternde Jungfern dessen strengen Geboten treu. Eines Tages sucht die Französin Babette bei ihnen Zuflucht; sie hat bei den politi-


40

41 EINZELVORSTELLUNG FR, 29. DEZ | 15.30 UHR

IOIC-SOIREE:

DIE REVOLUTION IM STUMMFILM Das IOIC – Institute of Incoherent Cinema-

nistischen Fundament: Nicht die Revolution

tography – macht mit neuen und neuartigen

verändert das Bewusstsein der Menschen,

Live-Vertonungen die frühe Stummfilm-

sondern es sind die Lebenserfahrungen,

kunst nicht zuletzt auch einem jungen Pu­

die graduell das Bewusstsein verändern

blikum zugänglich. In der Saison 2017/18

und in der Folge zur Revolution führen.

geht es um die grossen politischen Revolutionen.

Nach dem grossen Erfolg der Nibelungen und von Dr. Mabuse im Dezember 2015 und 2016 findet das Quartett um Iokoi, Bit-Tu-

Anders als Eisenstein, bei dem stets soziale

ner, Dadaglobal und Steve Buchanan be-

Typen und kollektive Helden im Vorder-

reits zum dritten Mal zusammen. Mit einer

grund stehen, legt Pudowkin sein Augen-

Unzahl von elektronischen Geräten schafft

merk auf die Persönlichkeit individueller

es das Quartett mühelos, wie ein ganzes Or-

Charaktere. Mit Panzerkreuzer Potemkin,

chester zu klingen. Aber nicht nur für Auge

dem ersten Meilenstein des sowjetischen

und Ohr ist gesorgt, auch der Magen kommt

Kinos, bewiesen Eisenstein und sein Kame-

auf seine Kosten: In der Pause gibt es rus-

ramann Eduard Tisse eine bisher uner-

sische Spezialitäten, auch vegetarische.

reichte Meisterschaft in der subtilen Regie

Weitere Informationen zum IOIC: www.ioic.ch

der Menschenmassen und der elaborierten Kunst der Montage. Mit Die Mutter, dem ersten Film der Revolutionstrilogie, die den künstlerischen Höhepunkt der Karriere Pudowkins bildet, erweiterte letzterer diese Errungenschaften in Anlehnung an die naturalistischen Prinzipien Konstantin Sta-

MIT Wera Baranowskaja (Nilowna Wlassowa), Nikolai Batalow (­Pawel Wlassow), Aleksander W. Tschistjakow (Vater

sammenhängenden Meisterwerke behan-

­Wlassow), Anna Semtsowa (Anna), Iwan Kowal-Samborski

> Das Ende von St. Petersburg.

Bewusstwerdung einzelner Figuren: Die

komme des Dschingis Khan in Sturm über Asien sind vom Leben enttäuschte Menschen, die im Verlauf der Filme zur Klarheit über die Aufgabe ihrer Klasse gelangen. Der Vorrang des menschlichen Bewusstseins steht dabei auf einem festen huma-

Gorkis Roman von der Mutter, deren politisches Bewusstsein in dem Mass erwacht, wie sie am Schicksal ihres eigenen Sohns die Repression erfährt, wurde für den Film ebenso frei wie eindrücklich umgesetzt. «Die Mutter wurde zu einem Meisterwerk, das man oft in Beziehung zu Panzerkreuzer Potemkin gesetzt hat. Aber ganz im Gegensatz zu Potemkin ist Die Mutter kein Film der Massenregie (...), sondern ein Film der erdachten Fabel und des individuellen Helden. Tatsächlich verdankte der Film nicht zuletzt dem meisterhaften Spiel Wera Baranowskajas in der Rolle der Mutter seine Wahrheit und Intensität.» (Ulrich Gregor/Enno Patalas: Geschichte des Films)

Roman von Maxim Gorki // KAMERA Anatoli Golownja //

Die drei auf den ersten Blick nur lose zu-

Ende von St. Petersburg und der Nach-

UdSSR 1926

­Wsewolod Pudowkin // DREHBUCH Nathan Sarchi, nach dem

Schauspielers.

leidende Mutter, der junge Bauer in Das

DIE MUTTER (Mat)

73 Min / sw / DCP / stumm, russ.  +   dt. Zw’titel // REGIE

nislawskis um den Triumph des einzelnen

deln ein und dasselbe Thema, nämlich die

> Die Mutter.

(Wesowschtschikow), Wsewolod Pudowkin (Polizeioffizier).

DAS ENDE VON ST. PETERSBURG PUDOWKIN-TRILOGIE Fr. 40.– (übliche Vergünstigungen) Gesamtdauer bis ca. 22.45 Uhr; Verpflegungsmöglichkeit (russische Spezialitäten) in der Pause Vertonung: Iokoi (Stimme, Elektronik), Bit-Tuner (Elektronik), Dadaglobal (Elektronik, Piano) & Steve Buchanan (Altsaxophon, E-Gitarre, Elektronik) iokoi.net bit-tuner.net

(Konjez Sankt-Peterburga) UdSSR 1927

staltung und Montage, um die gesellschaftlichen Widersprüche und historischen Ereignisse nachvollziehbar zu machen.» (Programm Bonner Sommerkino 2006) 100 Min / sw / 35 mm / stumm, russ. + engl. Zw’titel // REGIE Wsewolod Pudowkin // DREHBUCH Natan Sarchi // K ­ AMERA Anatoli Golownja // MIT Alexander Tschistjakow (­Arbeiter), Wera Baranowskaja (seine Frau), Iwan Tschuwelew (junger Bauer), Sergej Komarow (Kommissar), M. Tereschkowitsch (Reporter), Andrej Gromow (Revolutionär), W. Obolenski (Lebedew, der Fabrikant), Nikolaj Chemeljew (Börsenspekulant), Wladimir Fogel, Wsewolod Pudowkin (deutsche Offiziere).

STURM ÜBER ASIEN

(Potomok Tschingis-Chana) UdSSR 1928 «Pudowkins letzter grosser Stummfilm erzählt die Geschichte von Bair, einem mongolischen ­Nomaden, der sich einer Widerstandsgruppe anschliesst, von den britischen Interventionstruppen gefangen genommen und dann als Träger eines alten Dokuments erkannt wird, das ihn als Erben Dschingis Khans ausweist. Er wird (…) als Marionettenkönig eingesetzt. Als er aber seine nationale und soziale Identität erkennt, ruft er die asiatischen Stämme zum Widerstand gegen die Unterdrücker auf.» (Buchers Enzyklopädie des Films) 125 Min / sw / 35 mm / stumm, engl. Zw’titel // REGIE Wsewo-

«Ein russischer Bauernbursche kommt ins zaristische St. Petersburg, um Arbeit zu suchen, und wird als Soldat im Krieg zum bewussten Bolschewiken, der an der Revolution teilnimmt. Der zum 10. Jahrestag der Oktoberrevolution hergestellte grosse Klassiker des russischen Stummfilms verwendet geschickt alle Stilmittel der Bildge-

lod Pudowkin // DREHBUCH Ossip Brik, nach dem Roman von Iwan M. Nowokschonow // KAMERA Anatoli Golownja // MIT Waleri Inkischinow (Bair, der Mongole), L. ­ Dedinzew (Kommandant der Okkupationstruppen), Anna S ­ udakewitsch (seine Tochter), Paulina Belinskaja (seine Frau), Boris Barnet (englischer Soldat), Viktor Tsopi (Henry Hughes), Alexander Tschistjakow (russischer Rebellenführer).


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43 BUCHVERNISSAGE UND STUMMFILM

2 BÜCHER ZUM KINO DER 1910ER-JAHRE

EINZELVORSTELLUNG DO, 14. DEZ | 18.15 UHR

MATINEE

HANNES SCHÜPBACH UND CESARE FERRONATO

EINZELVORSTELLUNG SA, 25. NOV | 11 UHR

Die Stummfilmkomödie Maciste alpino ist

des italienischen Stummfilmkinos, wurde

Nachdem Hannes Schüpbach 2007 mit dem

den Kommentar auf konzentrierte Momen-

eine der bedeutendsten italienischen Pro-

er 1914 quasi über Nacht weltweit zum Star.

heute 90-jährigen Schweizer Künstler ­Cesare

te der Arbeit und folgt dem Zusammenhang

duktionen aus der Zeit des Ersten Welt-

(…) Ein volksnaher Held, der seine unglaub-

Ferronato einen Film ohne Ton gedreht hat,

von Leben und künstlerischem Schaffen.

kriegs. Der Held Maciste, Prototyp späterer

lichen Kräfte stets zugunsten der Schwa-

erscheint nun ein Buch mit Gesprächen, in

Gesamtdauer ca. 60 Min. Anschliessend Büchertisch und

Film-Muskelprotze, nimmt es in den Dolo-

chen und Unterdrückten einsetzte. Wäh-

denen Schüpbach die Gedankenlandschaft

Umtrunk mit Cesare Ferronato, Hannes Schüpbach und wei-

miten mit einer ganzen Abteilung österrei-

rend des Kriegs stiess Pagano als ‹Maciste

des älteren Kollegen erkundet.

chischer Soldaten auf. Die derbe Kriegs-

alpino› zu den italienischen Gebirgsjägern,

posse sorgte anlässlich ihrer Aufführung in

um im Namen aller Italiener gegen den

Hannes Schüpbach spricht vor dem Film

Zürich vor genau 100 Jahren für Propagan-

Feind zu Felde zu ziehen.» (Corina Kolbe,

über die Etappen des Buchprojekts, das als

davorwürfe und heftige Kontroversen.

Spiegel Online, 21.3.2016)

Feldforschung angelegt war: In grossen

teren am Buch Beteiligten. Cesare Ferronato – Anatomie des Steins, Gespräche mit Hannes Schüpbach, Verlag für moderne Kunst, Wien. Erhältlich zum Spezialpreis.

Schleifen näherte sich der Dialog immer Die beiden Filmhistoriker Mattia Lento und Adrian Gerber führen in den Stummfilm ein und präsentieren ihre neuen

wieder dem Kern von Ferronatos Œuvre, ei-

Bücher. Lento untersucht in seiner italienischsprachigen

nem Werkprozess, während dessen der

Studie die Filmschauspielerei der 1910er-Jahre in Europa.

Bildhauer seine körperhafte Vorstellung

Gerber beleuchtet die Filmkultur und ausländische Propaganda-Aktivitäten in der Schweiz während des Ersten Welt-

mit einem konkreten Stein, Träger einer ei-

kriegs.

genen langen Geschichte, zu verbinden

Die neue Farb-Restaurierung des Turiner Museo Nazionale

sucht. Der Film Erzählung schaut ohne je-

ERZÄHLUNG / Schweiz 2007 40 Min / Farbe / 16 mm / ohne Ton // REGIE, KAMERA UND SCHNITT Hannes Schüpbach // MIT Cesare und Jacqueline Ferronato und Familie, Dominique Weiss.

del Cinema wird von Linda Vogel (Harfe, Stimme) und Vincent Glanzmann (Schlagzeug) musikalisch begleitet. Anschlies­ send Apéro. Mattia Lento: La scoperta dell’attore cinematografico in

MACISTE ALPINO / Italien 1916 95 Min / Farbe / DCP / stumm, ital. + engl. Zw’titel // ­REGIE ­Luigi Maggi, Luigi Romano Borgnetto // DREHBUCH Giovanni Pastrone // KAMERA Giovanni Tomatis, Carlo Franzoni, ­Augusto Battagliotti // MIT Bartolomeo Pagano (Maciste), Fido Schirru (Fritz Pluffer), Valentina Frascaroli (Giulietta),

­Europa. Attorialità, esperienza filmica e ostentazione durante la seconde époque. (Scritture della visione, 21). Pisa: Edizioni ETS 2017 Adrian Gerber: Zwischen Propaganda und Unterhaltung. Das Kino in der Schweiz zur Zeit des Ersten Weltkriegs. (Zürcher Filmstudien, 37). Marburg: Schüren 2017

Enrico Gemelli (Herzog von Pratolungo), Marussia Allesti (Herzogin von Pratolungo), Felice Minotti, Abo Riccioni.

«Die Begeisterung des italienischen Publikums für monumentale Leinwandschinken war auch im Krieg ungebrochen. (…) Ein Mitarbeiter von Giovanni Pastrone, damals

Eine Veranstaltung in Zusammenarbeit mit dem Seminar für lienischen Kulturinstitut Zürich im Rahmen der Veranstaltungsreihe «Zurigo in Italiano». Mehr Informationen unter:

ten und -regisseure, entdeckte Bartolomeo

www.film.uzh.ch | www.iiczurigo.esteri.it

Genua Schiffe entluden. (…) In seiner ersten Rolle als Maciste in Pastrones Monumentalwerk Cabiria, der teuersten Produktion

ZURICH

Filmwissenschaft der Universität Zürich sowie mit dem Ita-

einer der einflussreichsten FilmproduzenPagano unter Arbeitern, die im Hafen von

HUMAN RIGHTS FILM FESTIVAL

6.–10. DEZ 17

WWW.HUMANRIGHTSFILMFESTIVAL.CH


44

45 Filmpodium für Kinder

mitten in der winternacht

Schöne Bescherung: Ein sprechender Elch ist in Max’ Scheune gekracht. Auch der Weihnachtsmann liegt irgendwo lädiert in der kalten Winterlandschaft. Und das ausgerechnet so kurz vor dem Fest.

IMPRESSUM

DAS FILMPODIUM IST EIN ANGEBOT DES PRÄSIDIALDEPARTEMENTS

in Zusammenarbeit mit der Cinémathèque suisse, Lausanne/Zürich LEITUNG Corinne Siegrist-Oboussier (cs), STV. LEITUNG Michel Bodmer (mb) WISSENSCHAFTLICHE MITARBEIT Tanja Hanhart (th), Marius Kuhn (mk), Primo Mazzoni (pm), Laura Walde PRAKTIKUM Alicia Schümperli // SEKRETARIAT Claudia Brändle BÜRO Postfach, 8022 Zürich, Telefon 044 412 31 28, Fax 044 212 13 77 WWW.FILMPODIUM.CH // E-MAIL info@filmpodium.ch // KINO Nüschelerstr. 11, 8001 Zürich, Tel. 044 211 66 66 UNSER DANK FÜR DAS ZUSTANDEKOMMEN DIESES PROGRAMMS GILT: Academy of Motion Picture Arts and Sciences, ­Hollywood; Arsenal Distribution, Berlin; Ascot Elite Entertainment Group, Zürich; Bonner Kinemathek; British Film Institute, London; Contemporary Films, London; Deutsches Filminstitut – DIF, Wiesbaden; Diaphana, Paris; Filmcoopi, Zürich; Les Films du Losange, Paris; Ignite Films, Amsterdam; Kinemathek Le Bon Film, Basel; KSM GmbH, Wiesbaden; MK2, Paris; Mosfilm ­Cinema Concern, Moskau; Motion Picture Licensing Corporation (MPLC), Zürich; Museo Nazionale del Cinema, Turin; Park Circus, Glasgow; Hannes Schüpbach, Winterthur; Studiocanal, Berlin; Tamasa Distribution, Paris; trigon-film, Ennetbaden; Universal Pictures International, Zürich; Warner Bros. (Transatlantic) Inc., Zürich; Warner Bros. UK, London. DATABASE PUBLISHING BitBee Solutions GmbH, Zürich // KONZEPTIONELLE BERATUNG Esther Schmid, Zürich GESTALTUNG TBS & Partner, Zürich // KORREKTORAT N. Haueter, D. Däuber // DRUCK Ropress, Zürich // AUFLAGE 6000 ABONNEMENTE Filmpodium-Generalabonnement : CHF 400.– (freier Eintritt zu allen Vorstellungen; inkl. Abo Programmheft) // Filmpodium-Halbtaxabonnement: CHF 80.– / U25: CHF 40.– (halber Eintrittspreis bei allen Vorstellungen; inkl. Abo Programmheft) // Abonnement Programmheft: CHF 20.– // Anmeldung an der Kinokasse, über www.filmpodium.ch oder Tel. 044 412 31 28

MITTEN IN DER WINTERNACHT (Midden in de Winternacht) / Niederlande/Schweden/ Belgien 2013 84 Min / Farbe / Digital HD / D / 8/6 J // REGIE Lourens Blok // DREHBUCH Daan Bakker, Marco van Geffen, nach dem Roman «Es ist ein Elch entsprungen» von Andreas Steinhöfel // KAMERA Philip van Volsem // MUSIK Jorrit Kleijnen, Alexander Reumers

VORSCHAU Stummfilmfestival 2018

Memento Moreau

1918 brillierte Charles Chaplin mit A Dog’s

Jeanne Moreau (1928  –2017) hatte sich

Life wie auch mit Shoulder Arms, einer Satire

schon auf der Bühne einen Namen gemacht,

Im Anschluss an die beiden Vorstellungen von Mitten in der Winternacht bietet die Filmwissenschaftlerin Julia Bredder-

gegen den Krieg; der Däne Holger-Madsen

ehe sie zum Film ging und Ende der 50er-

mann (www.fifoco.ch) einen Film-Workshop an. Die Kinder erleben eine Entdeckungsreise durch die Welt der Filmspra-

setzte im gleichen Jahr mit Himmelskibbet

Jahre in Louis Malles Ascenseur pour

// SCHNITT Annelis van Woerden // MIT Dennis Reinsma (Max), Dana Goldberg (Kiki), Jens Wendland (deutsche Stimme von Mr. Moose), Jelka van Houten (Kirsten), Arjan Ederveen (Panneman), Derek de Lint (Weihnachtsmann), Carla Hardy (Grossmutter). KINDERFILM-WORKSHOP

che und werden an einzelne Szenen und Themen des Films herangeführt. Dauer des Workshops: ca. 1 Stunde. Der Workshop wird gratis angeboten. Keine Voranmeldung nötig.

«Max’ kluge Schwester, seine besorgte Mutter und die resolute Grossmutter, alle müssen helfen, das heilige Fest zu retten. Doch dafür braucht es den zum Weiterfliegen unerlässlichen Sternenstaub, und der ist nicht zu finden. (...) Dann muss noch der Weihnachtsmann befreit werden, denn der ist inzwischen in der geschlossenen Abteilung der Irrenanstalt gelandet, da er überall steif und fest behauptet, Geschenke durch den Schornstein zu bringen. Das Herz der Adaption von Andreas Steinhöfels Roman ‹Es ist ein Elch entsprungen› ist die rührende Freundschaft zwischen dem eigenbrötlerischen Max und dem schrulligen Elch. (...) Man kann es kaum erwarten, dass die beiden zusammen abheben.» (Berlinale, Generation, 2014)

(Das Himmelsschiff) eine pazifistische Uto-

l’échafaud und Les amants zum Star der

pie dagegen. Einen zweiten Schwerpunkt im

Nouvelle Vague wurde. Ihre herbe erotische

15. Stummfilmfestival bildet 1928 mit 13 Fil-

Ausstrahlung, gepaart mit einer hinter-

men, darunter The Wedding March, The

gründigen Intelligenz, faszinierte neben

Crowd, Hitchcocks Champagne und Niblos

Malle, Truffaut und Ozon auch nicht-franzö-

The Mysterious Lady mit Greta Garbo. Ein

sische Cineasten wie Antonioni, Losey,

paar Perlen aus anderen Jahren ergänzen

Buñuel und Welles. Zu Moreaus Filmpart-

das Programm.

nern zählten Jean-Paul Belmondo, Maurice

Neben grossen Filmen sind natürlich

Ronet und Marcello Mastroianni. Bis ins

wiederum grossartige Musikerinnen und

hohe Alter blieb sie eine starke Präsenz im

Musiker zu erleben, die diese «alten» Werke

Kino, gestaltete aber im Fernsehen ebenso

in neuer Frische aufblühen lassen.

eindrucksvolle Rollen.


AB 20. DEZEMBER IM KINO

Die unsterblich schรถne Liebesgeschichte aus der Sicht von Wronski


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