Filmpodium Programmheft 16. Mai – 30. Juni 2016 // Filmpodium programme issue May - June 2016

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16. Mai – 30. Juni 2016

Ida Lupino Der Garten im Film


LA MEMORIA DEL AGUA

AB 26. MAI IM KINO

MATÍAS BIZE, CHILE

Der Liebe auf der Spur NEUE FILMPERLEN UND RESTAURIERTE KLASSIKER

www.trigon-film.org


01 Editorial

Looking for Lupino Sie war sozusagen schon immer da. Schon als ich vor bald elf Jahren im ­Filmpodium anfing, stand ihr Name gross auf der Projektliste: Ida Lupino (1918–1995). Nochmals gut 20 Jahre vorher war ich erstmals mit ihr in Kontakt gekommen, als wir im Stadtkino Basel mit dem Programm «Die Frau mit der Kamera» die Regie-Pionierinnen Alice Guy, Dorothy Arzner, Lotte Reiniger und Ida Lupino würdigen und wieder auf die Leinwand bringen wollten. Vor rund sechs Jahren sah es aus, als sollte es Lupino von der Shortlist ins Filmpodiumprogramm schaffen. Doch auf die intensiven Recherchen meiner Vorgänger-Kollegen Martin Girod und Andreas Furler folgte die Frustration: Vor allem bei den Regiearbeiten war die Kopiensituation so desolat, dass wir das Projekt schliesslich auf Eis legen mussten. Neue Hoffnung schöpften wir im vorletzten Winter, als wir die Zusammenarbeit mit den Berliner Filmkuratoren Hannes Brühwiler und Lukas Foerster fortsetzen wollten, die im Sommer 2013 mit dem Programm «The Real Eighties» begonnen hatte: Auf ihrer Projektliste blitzte Ida Lupinos Name auf. Gemeinsam müsste es doch zu schaffen sein, vor allem, als wir hörten, dass sich auch das Österreichische Filmmuseum in Wien dafür interessierte. Und plötzlich schien Lupino überall zu sein: an der Viennale im vergangenen Herbst, am Festival International de Film Fribourg diesen März – bei letzterem nicht ohne den Hinweis auf die prekäre Kopienlage und auf die teilweise suboptimale Qualität des vorgeführten Materials. So ist es auch uns trotz grosser Anstrengungen unserer Berliner Kollegen nicht gelungen, von allen LupinoRegiearbeiten eine Kopie (geschweige denn eine mit Untertiteln) aufzutreiben. Bei der Ton- und Bildqualität mussten wir zudem zugunsten einer möglichst grossen Vollständigkeit das Auge etwas stärker zudrücken als üblich – auch weil nur wenig auf Blu-ray oder DVD greifbar ist. Wir freuen uns sehr, dass diese Reihe zustande gekommen ist, aber auch darüber, dass wir das Schaffen dieser vor und hinter der Kamera so aussergewöhnlichen Frau gleich mehrfach vertiefen können. Martin Girod wird am Anfang der Reihe die Schauspielerin Ida Lupino porträtieren, und eine Gruppe von Filmhistorikerinnen und Filmhistorikern rund um die Kultur- und Literaturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen wird am ersten Juni-Wochenende mehrere Facetten der Film- und TV-Regisseurin beleuchten. Nun brauchen wir nur noch Sie, verehrtes Publikum, und Ihre Neugierde auf das Werk von Ida Lupino. Denn jetzt ist es zu sehen. Endlich! Corinne Siegrist-Oboussier Titelbild: Ida Lupino auf dem Set von The Man I Love (1946)


02 INHALT

Ida Lupino

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Der Garten im Film

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Niemand soll taffe, vom Pech verfolgte «dames» so gut verkörpert haben wie Ida Lupino. Ihr Filmdebüt gab die in eine Schauspielerdynastie geborene Britin bereits mit 15 Jahren; 1933 ging sie nach Hollywood, wo sie u. a. an der Seite von Stars wie Humphrey Bogart, Jack Palance und Jean Gabin überzeugte. Da gute Frauenrollen immer seltener wurden, wagte Lupino 1949 den Schritt hinter die Kamera, gründete die Firma The Filmakers und profilierte sich als Drehbuchautorin, Produzentin und Regisseurin (Hard, Fast and Beautiful, The Bigamist u. a.). Wir ehren die vielseitige Pionierin mit ihren besten Regiearbeiten und starken Beispielen ihrer Schauspielkunst.

Das Museum Rietberg widmet ab Mitte Mai dieses Gartenjahrs den «Gärten der Welt» eine Ausstellung. Das Filmpodium zeigt ergänzend dazu eine Reihe von Filmen, in denen Gärten und Parks eine zentrale Rolle spielen. Als Idyllen abseits des Alltags, als Orte der Sehnsucht, als Horte der Zuflucht, als Quellen künstlerischer Inspiration, als Schauplätze für Romanzen wie auch als Tatorte von Verbrechen bieten Gärten dem Kino prachtvolle Szenerien. Von All That Heaven Allows bis zu The Draughts­ man’s Contract, von The Go-Between bis zu The Swimmer und von Unser Garten Eden bis zu A Little Chaos reicht unser blumiges Potpourri von Horti- und Filmkultur.

Bild: On Dangerous Ground

Bild: Dialogue avec mon jardinier


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Das erste Jh. des Films: 1956

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John Fords The Searchers und Nicholas Rays Bigger Than Life demontieren amerikanische Mythen und Lebens­ träume; Robert Bresson und Jean-­ Pierre Melville schlagen mit Un condamné à mort s’est échappé und Bob le flambeur in Frankreich neue Wege ein; Pietro Germis Il ferroviere und Satyajit Rays Aparajito huldigen dem Neorealismus. Bild: The Searchers

Filmpodium für Kinder: 39 Wallace & Gromit – Auf der Jagd nach dem Riesenkaninchen Wallace und Gromit sind als Kaninchenjäger in englischen Gärten unterwegs. Doch beim alljährlichen Ge­ müsewettbewerb stehen die beiden wegen eines fatalen Selbstversuchs von Wallace ihrer grössten Herausforderung gegenüber. Höchst amüsante Knetfiguren-Action – in unserer Reihe «Der Garten im Film» auch in der Originalfassung zu sehen. Bild: Wallace & Gromit – Auf der Jagd nach dem Riesenkaninchen

Premiere: Une histoire de fou

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Fernab seiner sympathischen Marseiller Milieustudien befasst sich Robert Guédiguian in Une histoire de fou mit dem Genozid am armenischen Volk vor 100 Jahren und seinen anhaltenden tragischen Folgen. Drama um Engagement und Versöhnung.

Einzelvorstellungen Referat: Der Gotthard in der ­Schweizer Filmwochenschau Dada im Film Sélection Lumière: Céline et Julie vont en bateau

38 36 40



05 Ida Lupino – Star und Regisseurin

Ausbrüche aus der Passivität Als Star galt und gilt die profilierte und eigenwillige Schauspielerin Ida Lupino (1918 –1995) in den USA weniger als im cinephilen Frankreich. Als Regisseurin gelang es ihr in kurzen Jahren der Selbständigkeit, ein Werk zu schaffen, das sie als Pionierin ausweist. Lange schon wollte das Filmpodium Lupinos Regiearbeiten zeigen, nun wird es endlich möglich. Daneben dürfen markante Beispiele ihrer Schauspielkunst nicht fehlen. In der Geschichte des US-amerikanischen Spielfilms war Ida Lupino – nach Alice Guy, Lois Weber und Dorothy Arzner – erst die vierte Frau, die es fertigbrachte, sich einige Zeit als Regisseurin zu behaupten. Dieser minimale Frauenanteil unterbot noch den bescheidenen internationalen Branchendurchschnitt. Die Gründe dafür dürften in der industriellen Arbeitsteilung der US-Studios liegen, in der die Firmenbosse und Produzenten den Frauen zwar Kreativität als Drehbuchautorinnen oder Cutterinnen zutrauten, nicht aber das Durchsetzungsvermögen auf dem Set. Guy, Weber und Lupino traten bezeichnenderweise selbst auch als Produzentinnen hervor. Ida Lupino, 1918 als Tochter eines Schauspielerpaars in London geboren, war nach ersten Rollen im britischen Kino schon mit fünfzehn nach Hollywood gekommen. Als Schauspielerin lernte sie, sich im Studiobetrieb zu behaupten; vor allem ihre Intensität in hochdramatischen Rollen machte sie zum gefragten Star. Trotz Konflikten mit den Studiobossen, weil sie nicht jede Rolle akzeptieren wollte, hätte sie den Weg zur Regie kaum gefunden ohne den tiefgreifenden Wandel, der in der Nachkriegszeit die Hollywoodstudios erfasste. 1948 urteilte der Oberste Gerichtshof der USA, dass die von den grossen Studios betriebene vertikale Konzentration von Produktion, Verleih und Kinoketten gegen die Anti-Trust-Gesetzgebung verstosse. In der Folge mussten sich die Majors von ihren Kinoketten trennen, der Markt wurde durchlässiger, und es entstanden viele kleine unabhängige Produktionsfirmen. Ida ­Lupino heiratete 1948 Collier Young, der als enger Mitarbeiter Harry Cohns bei Columbia mit der Filmproduktion vertraut war, und gründete mit ihm und dem Produzenten und Drehbuchautor Anson Bond eine eigene Produk­ tionsfirma, die zuerst – nach Idas Mutter – Emerald Productions, später The Filmakers (mit einem m!) genannt wurde. >

Poetischer Realismus trifft auf Film noir: Jean Gabin und Ida Lupino in Moontide

<

Outrage, Lupinos vielleicht wagemutigste Regiearbeit


06 Von der Film- zur Fernsehregie Für diese Firma wirkte Ida Lupino anfänglich als Produzentin und Drehbuchautorin; der als Regisseur für Not Wanted engagierte Elmer Clifton erlitt aber drei Tage nach Drehbeginn einen Herzinfarkt. Was für die junge Firma ein fataler Schlag hätte sein können, wurde für Ida Lupino zum Beginn einer neuen Karriere: Sie sprang ein als Regisseurin. Bis 1953 führte sie dann bei fünf weiteren Filmakers-Produktionen Regie. Sie entstanden alle – das war prägend – als Low-Budget-Filme im Rahmen dieser kleinen Firma, einer kreativen Gemeinschaft, die offenbar auch noch funktionierte, als sich Lupino 1951 von Young scheiden liess und in dritter Ehe den Schauspieler Howard Duff heiratete. Das Abenteuer der Filmakers fand jedoch ihr Ende, als sie die neue Freiheit auskosten wollten, ihre Filme direkt zu verleihen, und dabei an den eingespielten Marktstrukturen scheiterten. In rund sieben Jahren hat die Firma zwölf Filme hervorgebracht; Ida Lupino führte nicht nur in sechs davon Regie, in einem davon spielte sie zugleich eine der Hauptrollen. In zwei weiteren trat sie ebenfalls auf, bei fünf Titeln war sie am Drehbuch beteiligt. Collier Young zeichnete meist als Produzent und war bei fast allen Regiearbeiten Ida Lupinos Mitautor. Nach dem Ende der Filmakers gründete Ida Lupino mit anderen Partnern eine Produktionsgesellschaft für Fernsehfilme und -serien. Diese wurde zum Ausgangspunkt einer bis Ende der sechziger Jahre dauernden, äusserst produktiven TV-Karriere als Darstellerin und Regisseurin. 1966 führte sie bei The Trouble with Angels ein letztes Mal Regie für einen Kinofilm; ab und zu konnte man ihr auch wieder in prägnanten Rollen auf der grossen Leinwand begegnen. Ida Lupinos Fernseharbeiten, in unterschiedlichsten Genres und weitgehend nach fremden Drehbüchern realisiert, sind weit weniger persönliche ­Arbeiten als ihre Kinofilme. Lupinos Ruhm als Regie-Pionierin gründet sich fast ausschliesslich auf die sechs Filme, die sie 1949 bis 1953 für Emerald/ Filmakers schuf. Es waren billige Produktionen, aber mit den Ambitionen von A-Filmen; sie kosteten nur je 200 000 $, weniger als die meisten B-Pictures, wurden in etwa zwei Wochen gedreht und verzichteten weitgehend auf teure Stars. Dafür setzte man auf neue Gesichter und auf «heisse», aktuelle Themen, die das Publikum anziehen sollten, was nicht ohne Konflikte mit Hollywoods Selbstzensur-Instanz, der Production Code Administration, abging. Brisante Stoffe – dokumentarisch geprägte Darstellung Im Zentrum der brisanten Stoffe standen oft junge Frauen: Eine Unverheiratete wird schwanger (Not Wanted); eine Tänzerin erkrankt nach dem ersten Erfolg an Kinderlähmung (Never Fear); eine Buchhalterin, die spät noch arbeitet, wird auf dem Nachhauseweg vergewaltigt (Outrage); ein Tennisstar wird von ihrer Mutter «vermarktet» (Hard, Fast and Beautiful). Andere Filme


07 rücken männliche Figuren in den Fokus: Ein Killer terrorisiert als Autostopper seine beiden «Gastgeber» (The Hitch-Hiker); ein Handelsreisender ist in zwei Städten verheiratet (The Bigamist). Doch Ida Lupinos Behandlung dieser Storys ist das Gegenteil von sensationshascherisch. Sie vertieft sie zu mustergültigen Porträts von Menschen, die aus ihrer gewohnten Bahn geworfen werden; sie bleibt, selbst dann, wenn die Geschichten melodramatische Wendungen nehmen, erstaunlich unsentimental, und sie hütet sich bei allem spürbaren Engagement davor, «preachy» (Lupino) zu werden. Zum sachlichen Eindruck trägt oft eine – bereits vom italienischen Neorealismus beeinflusste – dokumentarisch geprägte Darstellung bei, etwa in der Schilderung der Rehabilitations-Physiotherapie für die gelähmte Frau oder des Tennismatchs und, immer wieder, durch den Einbezug der Aussenwelt, sei es die Stadtarchitektur oder die unberührte Landschaft. Vor allem aber wird die Situation der weiblichen Hauptfiguren mit einem Einfühlungsvermögen gezeigt, das uns die Frau hinter der Kamera spüren lässt. Als durchgehendes Motiv lässt sich in Lupinos Filmen das Spannungsverhältnis zwischen (oft erzwungener) Passivität und dem Anspruch auf eigene, aktive Lebensgestaltung erkennen, zwischen dem zeitweiligen Erdulden und der letztendlichen Notwendigkeit des Sich-Wehrens. In der Polarität von Anpassung und Widerstand spiegelt sich Lupinos Auseinandersetzung mit der traditionellen Frauenrolle, aus der sie spätestens mit dem Schritt zur Regie herausgetreten ist. Noch in ihrem letzten und unpersönlichsten Kinofilm, der Komödie The Trouble with Angels, entsteht der Konflikt daraus, dass sowohl die Leiterin der Klosterschule als auch die junge Rebellin den aktiven Part spielen wollen. Umgekehrt sehen wir in The Hitch-Hiker, einem reinen Männerfilm, wie die beiden Automobilisten, die ahnungslos einen Kriminellen mitgenommen haben, von diesem terrorisiert und zu (vorübergehender) Passivität verurteilt werden. Kritikerinnen haben Ida Lupino später, ohne die Zeitumstände zu berücksichtigen, vorgeworfen, ihre Filme seien nicht feministisch. Es sind gleichwohl unverkennbar Filme, in denen die Welt aus dem Blickwinkel einer Frau gezeigt wird, die Welt der Frauen und der Männer – und vor allem, wie die einen mit den andern umgehen. Martin Girod

Martin Girod (meg), freier Filmjournalist und Programmkurator, war von 1993 bis 2005 Co-Leiter des Filmpodiums.


> The Bigamist.

> The Gay Desperado.

> Never Fear.

> Private Hell 36.

> Hard, Fast and Beautiful.

> The Big Knife.


09

Ida Lupino. Page (Pearl Fabrini), Alan Hale (Ed Carlsen), Roscoe Karns

THE GAY DESPERADO USA 1936 Ein Kino voller Mexikaner, unter ihnen der Bandit Pablo Braganza, der von dem Film – einem amerikanischen Gangsterstreifen – so angetan ist, dass er kurzerhand beschliesst, seine kriminellen Machenschaften dem Standard der Chicagoer Bosse anzupassen. Da er auch Musik liebt, entführt er noch den Opernsänger Chivo, der wieder­um in seiner Gefangenschaft auf Jane (Ida Lupino), ein weiteres Opfer Braganzas, trifft. Es ist ein Kommen und Gehen in The Gay Desperado, man wird entführt, flieht, verliebt sich – und versucht erneut zu fliehen. Rouben Mamoulians filmische Extravaganza ist teils Satire auf das damals aufkommende Genre des Gangsterfilms, teils genüsslich-hysterische Musicalkomödie. (hb) 86 Min / sw / 35 mm / E // REGIE Rouben Mamoulian // DREHBUCH Wallace Smith, nach der Geschichte von Leo Birinsky // KAMERA Lucien Andriot // MUSIK Alfred Newman // SCHNITT Margaret Clancey // MIT Ida Lupino (Jane), Nino Martini (Chivo), Leo Carrillo (Pablo Braganza), Harold Huber (Juan Campo), James Blakeley (Bill Shay), Stanley Fields (Butch), Mischa Auer (Diego), Adrian Rosley (Direktor des ­Radiosenders).

(Irish McGurn), John Litel (Harry McNamara), George Tobias (George Rondolos).

HIGH SIERRA USA 1941 Roy Earle, berüchtigter Bankräuber und einst eine grosse Nummer, sieht sich nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis in einer ihm feindlich gesonnenen Welt. Jüngere Gangster beäugen ihn misstrauisch, und die majestätische Berglandschaft der High Sierra entpuppt sich als ebenso eng wie die Schluchten der Grossstadt. Nach They Drive by Night ist High Sierra eine weitere Zusammenarbeit von Raoul Walsh, Ida Lupino und Humphrey Bogart und ein Klassiker des Film noir. Walsh erzählt High Sierra als aufrichtige Geschichte über Menschen, die versuchen, ihre Träume zu verwirklichen. Das Glück mag Nebenfiguren treffen, nicht jedoch Lupino und Bogart. Ihr Verhängnis ist unausweichlich, das scheinen die Figuren von Beginn an zu wissen – und auch die Zuschauer. (hb) 100 Min / sw / 35 mm / E/f // REGIE Raoul Walsh // DREHBUCH John Huston, W. R. Burnett, nach einem Roman von W.  R. Burnett // KAMERA Tony Gaudio // MUSIK Adolph Deutsch // SCHNITT Jack Killifer // MIT Ida Lupino (Marie Garson), ­Humphrey Bogart (Roy Earle), Alan Curtis («Babe» Kozak),

THEY DRIVE BY NIGHT USA 1940 Der endgültige Durchbruch zum Superstar gelingt Lupino in ihrer zweiten Zusammenarbeit mit Raoul Walsh. Das Lastwagenfahrerdrama They Drive by Night ist einer der schönsten Filme über das Leben (und Sterben) «on the road» und ein Musterbeispiel für jene Art wendiges, raubeiniges Bewegungskino, für das der amerikanische Filmkritiker Manny Farber den Begriff «termite cinema» prägte. Wobei: «Der Film entzieht sich jeder Klassifizierung, jedem Genre» (Bernhard Eisenschitz). Es geht um zwei Trucker (George Raft und Humphrey Bogart) und zwei Frauen: Ann Sheridan spielt das all-American Girl, Lupino die Femme Fatale. Und was für eine Femme fatale! Mit der Wucht eines Zwölftonners kann es ihr eiskalt psychopathischer Killerblick allemal aufnehmen. (lf) 93 Min / sw / 35 mm / E/f // REGIE Raoul Walsh // DREHBUCH Jerry Wald, Richard Macaulay, nach dem Roman «Long Haul» von A. I. Bezzerides // KAMERA Arthur Edeson // MUSIK Adolph Deutsch // SCHNITT Thomas Richards // MIT Ida Lupino (Lana Carlsen), George Raft (Joe Fabrini), Ann Sheridan (Cassie Hartley), Humphrey Bogart (Paul Fabrini), Gale

Arthur Kennedy («Red» Hattery), Joan Leslie (Velma), Henry Hull («Doc» Banton), Barton MacLane (Jake Kranmer), Henry Travers (Pa), Elisabeth Risdon (Ma), Cornel Wilde (Louis ­Mendoza), Minna Gombell (Mrs. Baughman).

MOONTIDE USA 1942 Poetischer Realismus aus Frankreich trifft auf amerikanischen Film noir. Moontide, begonnen unter der Regie von Fritz Lang (der sich jedoch mit dem Star Jean Gabin zerstritt) und schliesslich von Archie Mayo gedreht, erzählt in magisch künstlichen Studiobauten Hollywoods eine berührende Liebesgeschichte. Gabins Bobo ist ein Trunkenbold, der, so scheint es, in einen Mord verwickelt ist und sich in Anna verliebt. (hb) «Ida Lupino, das ‹Oh, leave me alone, will you›Girl, liefert eine genuine Schauspielleistung und verzichtet dabei weitgehend auf ihre neurotischen Qualitäten, auf die sie sonst zurückgreift. Anstatt mit quirliger Anspannung zu spielen, macht sie Anna gewöhnlich und liebenswürdig, so, dass ich, seit Elisabeth Bergner die Rolle der Gemma Jones in Escape Me Never gespielt hat, nie wieder solche Wärme gesehen habe.» (Manny Farber, The New Republic, 11.5.1942)


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Ida Lupino. 94 Min / sw / 35 mm / E // REGIE Archie Mayo, Fritz Lang // DREHBUCH John O’Hara, nach dem Roman von Willard ­Robertson // KAMERA Charles G. Clarke, Lucien Ballard ­(ungenannt) // MUSIK David Buttolph, Cyril J. Mockridge // SCHNITT William Reynolds // MIT Ida Lupino (Anna), Jean ­Gabin (Bobo), Claude Rains (Nutsy), Thomas Mitchell (Tiny),

hinaus: Den (sehr erotischen) Tanz zeigt sie als Ausdruck einer Frau, die sich mit ihrem Körper in glücklicher Übereinstimmung fühlt, die Krankheit als Verlust dieser Ganzheit, die Rekonvaleszenz schliesslich als ein langsames Wiederfinden der weiblichen Identität. (meg)

Jerome Cowan (Dr. Frank Brothers), Ralph Byrd (Rev. Wilson), William Halligan (Barkeeper), Victor Sen Yung (Takeo),

82 Min / sw / 35 mm / E // REGIE Ida Lupino // DREHBUCH Ida

Chester Gan (Henry Hirota).

Lupino, Collier Young // KAMERA Archie Stout // MUSIK Leith Stevens // SCHNITT Harvey Manger, William H. Ziegler // MIT

THE MAN I LOVE USA 1946 Die Sängerin Petey Brown verlässt New York und besucht zur Erholung ihre Geschwister an der Westküste. Ruhe findet sie auch dort nicht; die Probleme ihrer Familie, ein zwielichtiger Nachtklubbesitzer und San, ein Klavierspieler, der sich in sie verliebt, sorgen für Unruhe. The Man I Love ist ein zwischen den Genres mäandernder Film, dessen Form stets in Bewegung ist: mal Film noir, dann wieder Musical und immer wieder romantisches Melodrama. (hb) «Kein einziges Mal gerät der Motor ins Stottern, wenn Walsh in einen anderen Gang schaltet. Man gibt sich dem Meister hin und verliert sich in den Figuren, allen voran Lupinos Petey, eine Frau, die ich sofort ins Herz geschlossen habe.» (Farran Smith Nehme, selfstyledsiren.blogspot. de/2009) 96 Min / sw / 35 mm / E // REGIE Raoul Walsh // DREHBUCH Catherine Turney, Jo Pagano, nach einem Roman von Maritta Wolff // KAMERA Sid Hickox // MUSIK Max Steiner // SCHNITT Owen Marks // MIT Ida Lupino (Petey Brown), Robert Alda ­(Nicky Toresca), Andrea King (Sally Otis), Martha Vickers (Virginia Brown), Bruce Bennett (San Thomas), Alan Hale (Riley),

Sally Forrest (Carol Williams), Keefe Brasselle (Guy Richards), Hugh O’Brian (Len Randall), Eve Miller (Phyllis Townsend), Lawrence Dobkin (Dr. Middleton), Rita Lupino (Josie),

Herbert

Butterfield

(Walter

Williams),

Kevin

O’Morrison (Red Dawson), Stanley Waxman (Dr. Taylor), Jerry Hausner (Mr. Brownlee), John Franco (Carlos).

OUTRAGE USA 1950 Lupinos vielleicht wagemutigste Regiearbeit widmet sich einem auch heute im Hollywoodkino noch weitgehend tabuisierten Thema: Die Hauptfigur Ann Walton (die beeindruckende Mala P ­ owers in ihrer ersten grossen Rolle) wird früh im Film Opfer einer Vergewaltigung. Der Rest von Outrage ist nicht dem juristischen, sondern dem psychologischen und zwischenmenschlichen Nachhall dieser Gewalttat gewidmet, der existenziellen Verunsicherung einer im Innersten verletzten jungen Frau und einer vorsichtigen, bis zum Schluss brüchigen Rekonvaleszenz. (lf) «Es rührt mich, wie der Film Hass und Ankla­ge aus sich verbannt, die Menschen ansieht wie in ­einen Garten gepflanzte Blumen, sie weich fühlen lässt, ihre Herzen gross, einander zugetan.» ­(Silvia Szymanski, critic.de)

Dolores Moran (Gloria O’Connor), John Ridgely (Roy Otis), Don McGuire (Johnny O’Connor), Warren Douglas (Joe Brown).

75 Min / sw / 35 mm / E // REGIE Ida Lupino // DREHBUCH Ida Lupino, Collier Young, Malvin Wald // KAMERA Archie Stout

NEVER FEAR USA 1949

// MUSIK Paul Sawtell // SCHNITT Harvey Manger // MIT Mala Powers (Ann Walton), Tod Andrews (Reverend Bruce Ferguson), Robert Clarke (Jim Owens), Raymond Bond (Eric Walton), Lillian Hamilton (Mrs. Walton), Rita Lupino (Stella

«Eine Tänzerin erkrankt an spinaler Kinderlähmung; sie wird zwar wieder gesund, doch auftreten kann sie nicht mehr. Tapfer versucht sie, neuen Lebensmut und eine neue Lebensaufgabe zu finden.» (Lexikon des int. Films) Zeigt uns Not Wanted die Angst vor unerwünschter Schwangerschaft in der Zeit vor der Antibabypille, sehen wir in Never Fear die Probleme mit der Kinderlähmung vor der Polio-Impfung (den Salk-Impfstoff gab es erst ab 1955). «This is a true story. It was photographed where it happened», betonen schon die Vorspanntitel den dokumentarischen Charakter der Schilderung. Doch Ida Lupino geht weit darüber

Carter), Hal March (Detective Sergeant Hendrix), Kenneth Patterson (Tom Harrison), Jerry Paris (Frank Marini), Angela Clarke (Madge Harrison), Roy Engel (Sheriff Charlie Hanlon), Lovyss Bradley (Mrs. Miller).

HARD, FAST AND BEAUTIFUL USA 1951 Ausserhalb der Filme Lupinos blieb Sally Forrest die grosse Karriere versagt. Für ihre Entdeckerin und Mentorin hat sie jedoch gleich drei denkwürdige Hauptfiguren erschaffen. In Hard, Fast and Beautiful, dem letzten dieser drei, verkörpert sie


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Ida Lupino.

REFERAT MIT FILMAUSSCHNITTEN DIE SCHAUSPIELERIN IDA LUPINO

DI, 17. MAI | 19.15 UHR

Schon als Kind stand für Ida Lupino, die sowohl väterlicher- wie mütterlicherseits aus berühmten Schauspielerdynastien stammte, ihr künftiger Beruf fest. Statt auf die Bühne führte sie jedoch der Weg von der Royal Academy of Dramatic Arts in London ins Filmstudio. Ein Jahr später wurde die Fünfzehnjährige nach Hollywood verpflichtet. Hier schuf sie sich rasch einen Platz, nicht unter den absoluten Topstars, doch mit profilierten Hauptrollen an der Seite von Darstellern wie Humphrey Bogart, Edward G. Robinson, Jean Gabin, Errol Flynn und Robert Ryan. Ihr Renommee als Schauspielerin war die Basis für ihren Vorstoss in die Männerdomäne Filmregie, und bis heute sind einige ihrer fulminanten Rollen bekannter als ihre Regiearbeiten. Anhand von Filmausschnitten zeichnet Martin Girod ein Porträt der Schauspielerin Lupino. Dauer ca. 50 Minuten.

die junge Tennisspielerin Florence. Talent hat diese selbst genug, ehrgeizig ist aber vor allem ihre Mutter Millie (Claire Trevor), die Florence zur Starsportlerin formen möchte, koste es, was es wolle. Am Ende erweist sich Hard, Fast and Beautiful weniger als Sportfilm denn als Geschichte einer Emanzipation. (lf) «Erstaunlich ist, was die Karrierefrau Lupino wirklich an ihrer Protagonistin interessiert: Nicht, dass sie hart kämpfen muss, um nach oben zu kommen, sondern dass sie lernen muss, sich zu widersetzen, ja sogar zu verzichten.» (Michael Kienzl, critic.de)

einen denkbar düsteren, nihilistischen Grossstadt-Noir in eine intime, emotional intensive Studie über Vergebung und Mitmenschlichkeit, vor freiem, schneeweissem Horizont. (lf) «Ray degradiert die dominierenden Themen der amerikanischen Kultur des 20. Jahrhunderts, Entfremdung, Einsamkeit und Unsicherheit, zum Ausgangsmaterial einer ungebrochenen Hymne an die erlösende Kraft romantischer Liebe.» (Ulrich von Berg, in: Ray, Wissenschaftsverlag Volker Spiess, 1989) Ida Lupino soll einige Tage für den erkrankten Nicholas Ray eingesprungen sein; das lässt sich aber nicht belegen.

78 Min / sw / 35 mm / E // REGIE Ida Lupino // DREHBUCH Martha Wilkerson, nach dem Roman von John R. Tunis // KA-

82 Min / sw / 35 mm / E/f // REGIE Nicholas Ray // DREHBUCH

MERA Archie Stout // MUSIK Roy Webb // SCHNITT William

A. I. Bezzerides, Nicholas Ray, nach dem Roman «Mad with

H. Ziegler, George C. Shrader // MIT Claire Trevor (Millie

Much Heart» von Gerald Butler // KAMERA George E. Diskant

­Farley), Sally Forrest (Florence Farley), Carleton G. Young

// MUSIK Bernard Herrmann // SCHNITT Roland Gross // MIT

(Fletcher Locke), Robert Clarke (Gordon McKay), Kenneth

Ida Lupino (Mary Malden), Robert Ryan (Jim Wilson), Ward

Patterson (Will Farley), Marcella Cisney (Miss Martin), Ida

Bond (Walter Brent), Charles Kemper (Pop Daly), Anthony

­Lupino (Zuschauerin am Tennismatch, ungenannt).

Ross (Pete Santos), Ed Begley (Captain Brawley), Ian Wolfe (Sheriff Carrey), Sumner Williams (Danny Malden), Gus Schilling (Lucky), Frank Ferguson (Willows), Cleo Moore (Myrna

ON DANGEROUS GROUND

Bowers), Olive Carey (Mrs. Brent).

USA 1952 Der Anfang des Films gehört Robert Ryan als verbittertem Polizist Jim Wilson, der als einsamer Wolf durch Strassenschluchten streift und von seiner eigenen Brutalität angeekelt ist. Mary Malden (Lupino) begegnet er erst nach einer guten halben Stunde Filmlaufzeit, weit ausserhalb der Stadt, auf der Jagd nach einem flüchtigen Mörder. Aber ihr Auftauchen verändert alles, verwandelt

THE BIGAMIST USA 1953 The Bigamist ist der einzige Film, in dem Lupino sich selbst inszeniert. In ihrer vorletzten Regiearbeit für das Kino spielt sie Phyllis Martin, eine Kellnerin in Los Angeles. Auf den ersten Blick ist diese Phyllis Martin nur die «andere Frau», in die


> They Drive by Night.

> While the City Sleeps.

> High Sierra.

> The Hitch-Hiker.


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Ida Lupino. sich der Handelsreisende Harry Graham (Edmond O’Brien) verliebt, der eigentlich mit seiner Gattin und Geschäftspartnerin Eve (Joan Fontaine) ein paar hundert Meilen nördlich in San Francisco lebt. Aber The Bigamist ist eben kein spekulatives Melodram, sondern ein herzzerreissender, zutiefst humanistischer Film über drei Menschen, die besten Willens sind und dennoch aneinander verzweifeln. Die «Kombination aus ­ Ambiguität und Intensität» erinnert Chris Fujiwara an Nicholas Ray und Carl Theodor Dreyer (in: 1001 Movies You Must See Before You Die, Cassel Illustrated, 2003). (lf) 80 Min / sw / 35 mm / E // REGIE Ida Lupino // DREHBUCH ­Collier Young, nach einer Story von Lawrence B. Marcus, Lou Schor // KAMERA George E. Diskant // MUSIK Leith Stevens // SCHNITT Stanford Tischler // MIT Ida Lupino (Phyllis ­Martin), Joan Fontaine (Eve Graham), Edmund Gwenn (Mr. Jordan), Edmond O’Brien (Harry Graham), Kenneth Tobey

PRIVATE HELL 36 USA 1954 Nicht nur als Hauptdarstellerin, sondern auch als Produzentin und Koautorin dominiert Lupino diesen späten, desillusionierten Noir, einen Film voller hochgradig verletzlicher Menschen, die auf moralisch abschüssigem Gelände den Halt verlieren. Lupino spielt die zynische Nachtclub­ sängerin Lilli Marlowe («Ever since I was a little girl, I dreamed I’d meet a drunken slob in a bar who’d give me fifty bucks and we’d live happily ever after»), eine melancholische Variation ihrer Femme-fatale-Rollen der 1940er. Die dunkel­ romantische Emphase ist der puren Gier nach Geld gewichen. Auch dank Don Siegels wie immer hochökonomischer Regie entwickelt die Erzählung um Marlowe und zwei korrupte Polizisten einen unwiderstehlichen Sog. (lf)

(Tom Morgan, Verteidiger), Jane Darwell (Mrs. Connelley), Lillian Fontaine (Miss Higgins), John Maxwell (Richter).

81 Min / sw / 35 mm / E/d/f // REGIE Don Siegel // DREHBUCH Ida Lupino, Collier Young // KAMERA Burnett Guffey // ­MUSIK Leith Stevens // SCHNITT Stanford Tischler // MIT Ida Lupino

THE HITCH-HIKER USA 1953

(Lilli Marlowe), Steve Cochran (Cal Bruner), Howard Duff (Jack Farnham), Dean Jagger (Capt. Michaels), Dorothy ­Malone (Francey Farnham), Bridget Duff (Farnhams Tochter), Jerry Hausner (Nachtclubbesitzer), Dabbs Greer (Sam

«Myers, ein psychopathischer Killer, wird als Autostopper von Bowen und Collins mitgenommen. Er bedroht sie und zwingt sie, ihn an die mexikanische Grenze zu bringen. Selbst im Schlaf behält Myers ein Auge offen. Die Polizei befreit schliesslich die beiden Unglücklichen aus dem Schlamassel. Ein sehr beeindruckender Thriller mit einem irren Killer, den man nicht vergisst. Wohl der beste Film von Ida Lupino.» (Jean Tulard: Guide des films) «Von Film zu Film führt uns Ida Lupino eine Anatomie der zeitgenössischen Melancholie vor Augen. Unerschrocken findet, isoliert und zeigt sie uns die Viren, die ihre Patienten befallen: Selbstmitleid, Selbstbestrafung, Stolz, der fehl am Platz ist, Zynismus, Verzweiflung (…). Die Exzesse des Melodramas gehen dabei nicht vergessen, denn es gibt immer ein Gegenmittel, das das verletzte Herz absondert.» (Michael Henry, Positif Nr. 540, 2006) 71 Min / sw / 35 mm / E // REGIE Ida Lupino // DREHBUCH ­Collier Young, Ida Lupino, Robert Joseph, nach einer unveröffentlichten Erzählung von Daniel Mainwaring // KAMERA

Marvin), Kenneth Patterson (Det. Lt. Lubin).

THE BIG KNIFE USA 1955 Ein starbesetzter Hollywoodfilm über die Abgründe des Hollywood-Starsystems, inszeniert als klaustrophobisches Kammerspiel. Jack Palance spielt einen sensiblen Schauspieler, Ida Lupino seine desillusionierte Frau, ein entfesselter Rod Steiger den denkbar dämonischen Studioboss, der Palance nicht freigeben will. Die Lust am Glamour, die Hollywoods Selbstbespiege­ lungen von The Bad and the Beautiful bis Hail, ­Caesar! sonst stets begleitet, fehlt für einmal völlig. Stattdessen inszeniert Robert Aldrich einen permanenten psychopathologischen Ausnahmezustand: Jeder negative Affekt muss ausagiert, jede seelische Wunde aufgerissen werden. Ein Film «wie eine manikürte Hand, die eine Faust ballt und mit voller Wucht gegen eine Wand prallt» (Fernando F. Croce, letterboxd.com). (lf)

Nicholas Musuraca // MUSIK Leith Stevens // SCHNITT ­Douglas Stewart // MIT Edmond O’Brien (Ray Collins), Frank

111 Min / sw / 35 mm / E/f // REGIE Robert Aldrich // DREH-

Lovejoy (Gilbert Bowen), William Talman (Emmett Myers),

BUCH James Poe, nach dem Theaterstück von Clifford Odets

José Torvay (Capt. Alvarado), Sam Hayes (Sam), Wendell

// KAMERA Ernest Laszlo // MUSIK Frank De Vol // SCHNITT

­Niles (Wendell), Jean Del Val (Polizeichef), Clark Howat (US-

Michael Luciano // MIT Ida Lupino (Marion Castle), Jack

Verbindungsmann ), Natividad Vacio (José).

Palance (Charles Castle), Shelley Winters (Dixie Evans), ­ ­Wendell Corey (Smiley Coy), Jean Hagen (Connie Bliss), Rod


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Ida Lupino. Steiger (Stanley Shriner Hoff), Ilka Chase (Patty Benedict),

100 Min / sw / 35 mm / E/d/f // REGIE Fritz Lang // DREHBUCH

Everett Sloane (Nat Danziger), Wesley Addie (Hank Teagle),

Casey Robinson, nach dem Roman «The Bloody Spur» von

Paul Langton (Buddy Bliss), Nick Dennis (Mickey Feeney), Bill

Charles Einstein // KAMERA Ernest Laszlo // MUSIK

Walker (Russell).

­Herschel Burke Gilbert // SCHNITT Gene Fowler jr. // MIT Dana Andrews (Edward Mobley), Rhonda Fleming (Dorothy

WHILE THE CITY SLEEPS USA 1956

Kyne), George Sanders (Mark Loving), Ida Lupino (Mildred Donner), Howard Duff (Lt. Burt Kaufman), Thomas Mitchell (John Day Griffith), Vincent Price (Walter Kyne jr.), Sally Forrest (Nancy Liggett), John Drew Barrymore (Robert ­

Eine von Lupinos letzten Kinoarbeiten, bevor sie sich eineinhalb Jahrzehnte lang exklusiv dem Fernsehen widmete: In Fritz Langs Journalismus-Thriller While the City Sleeps taucht sie als Starreporterin mit dem tollen Rollennamen Mildred Donner auf. Ausgangspunkt dieses vielleicht düstersten unter den amerikanischen Filmen des deutschen Exilanten ist ein zynischer Wettbewerb: Ein Verlagschef hetzt drei Redakteure auf die Spur eines Serienkillers. Wer ihm als erstes eine Exklusivstory zum Kriminalfall liefert, darf fortan die Zeitung leiten. (lf) «Ein grimmiges Lehrstück über den Zusammenhang von Profit, Mord und Medienkorruption. (...) Auf den Mythos des Journalisten als Beschützer der Witwen und Waisen setzt Lang das Rasiermesser seiner amerikanischen Erfahrungen an.» (Harry Tomicek, Österr. Filmmuseum Wien, Okt./ Nov. 2012)

­Manners), Mae Marsh (Mrs. Manners). Kurztexte, wo nicht anders vermerkt: Hannes Brühwiler (hb) und Lukas Foerster (lf).

> Regie: Ida Lupino.

LUPINO-WEEKEND IDA LUPINO, REGIEPIONIERIN IN HOLLYWOOD

FR, 3. BIS SO, 5. JUNI

2013 erschien als zweiter Band der Reclam-Reihe «Stilepochen des Films» das Buch «Classical Hollywood», herausgegeben von Norbert Grob und Elisabeth Bronfen. Im Hauptteil werden 54 Filme von 29 Autorinnen und Autoren dargestellt; die grosse Abwesende darin ist aber Ida Lupino. Ein Workshop im Rahmen unserer Retrospektive soll das Manko etwas wettmachen. Am Freitag, 3. Juni, sprechen Norbert Grob, Seniorprofessor an der Universität Mainz, «zum Image von Ida Lupino» und Lukas Foerster, Filmkritiker und Kurator aus Berlin, zu «Plansequenzen in Ida Lupinos Regiearbeiten». Am Samstag, 4. Juni, präsentiert Ivo ­Ritzer, Juniorprofessor an der Universität Bayreuth, anhand mehrerer Ausschnitte «Ida Lupinos TV-Arbeiten»; Elisabeth Bronfen, Ordinaria an der Universität Zürich, untersucht den «weiblichen Blick in Ida Lupinos Regiearbeiten» und Hannah Schoch, Assistentin an der Universität Zürich, hinterfragt den «fragilen amerikanischen Traum bei Ida Lupino». Am Sonntag, 5. Juni, findet ein abschliessendes Panelgespräch mit allen Referentinnen und Referenten sowie Prof. Fabienne Liptay, Dr. Johannes Binotto und Prof. Barbara Straumann von der Universität Zürich statt. In Zusammenarbeit mit dem Englischen Seminar der Universität Zürich.

Die genauen Zeiten finden Sie in der Programmübersicht.


15 Der Garten im Film

Mehr als blosse Kulisse Romantischer Zufluchtsort, blühende Utopie und Sinnbild einer modernden Gesellschaft: Im Kino ist der Garten weit mehr als blosse Kulisse. Ergänzend zur Ausstellung «Gärten der Welt» im Museum ­Rietberg zeigen wir den Garten in seinen diversen filmischen Ausformungen. «Der Garten ist die Urform des cineastischen Sets», hält Nina Gerlach in ihrer Dissertation «Gartenkunst im Spielfilm» fest. In den ältesten erhaltenen Filmfragmenten aus Louis A. A. Le Princes Roundhay Garden Scene (1888) dient er als Hintergrund, und im ersten Film mit fiktionalem Geschehen, der Komödie L’arroseur arrosé (1895) der Gebrüder Lumière, wird ein Gärtner Opfer eines simplen Streichs. Der Filmtheoretiker Béla Balázs weist 1924 darauf hin, dass es im Film keine Natur als neutrale Wirklichkeit gebe: «Sie ist immer Milieu und Hintergrund einer Szene, deren Stimmung sie tragen, unterstreichen und begleiten muss» (in: Der sichtbare Mensch). Fernab seiner Funktion als dekorativer Hintergrund wurde der Garten im Lauf der Filmgeschichte unterschiedlich konnotiert: Es sei an den modernen Steingarten in Jacques Tatis Mon oncle (1958) erinnert, in dem die Natur nur noch als fernes Echo erklingt; an den Beginn von Blue Velvet (1986), wenn die Kamera im Rasen krabbelndes Ungeziefer zeigt, das sinnbildlich für die Verdorbenheit hinter der scheinbar heilen Vorstadtwelt steht, oder an Tom und Gerri in Mike Leighs Another Year (2010), denen ein paar Stunden in ihrem Schrebergarten zum Glück genügen. Trügerische Idyllen Als bedeutungstragendes Element wird der Garten mitunter zu einem dominanten Motiv des Films. Wie in einem breiteren kulturellen Kontext seit der Antike hat er sich auch im Film wiederholt als Projektionsfläche für Wünsche und Sehnsüchte, als Refugium und Utopie manifestiert. Gleich zu Beginn von Douglas Sirks All That Heaven Allows (1955) wird dieses Motiv etabliert, wenn Ron Kirby der Witwe Cary Scott einen Ast vom «Liebesbaum» abschneidet. Der naturverbundene, Thoreau lesende Gärtner verkörpert, wonach sich Cary sehnt: jenes andere Leben in Freiheit, in das sie entfliehen möchte. Mit Verfremdungstechniken im brechtschen Sinne, die in kräftigem Technicolor daherkommen, zeichnet der Film das Happy End jedoch als Utopie. Selbst wenn sich die beiden schliesslich demonstrativ in den Armen liegen, kann dies kein glückliches Ende sein; Cary wird den gesellschaftlichen Konventionen nicht entkommen können. Der



17 Garten als Projektionsfläche der eigenen Wünsche wandelt sich am Schluss von Sirks Film zu einem weiteren Element des Vorstadtkäfigs. Die Natur selbst wird zum unerreichbaren Ideal, wie die letzte Einstellung zeigt, wenn hinter der überdimensionierten Fensterscheibe – die an die Kinoleinwand erinnert – der Rehbock als Zeichen der unschuldigen Natur zum Greifen nah auftaucht und doch nur eine weitere unfassbare Projektion darstellt. In Frank Perrys The Swimmer (1968) zeigt sich der Garten zu Beginn auch als paradiesischer Ort, wenn der skulpturhafte Körper von Ned (Burt Lancaster) in das kühle Nass des Schwimmbeckens seiner Freunde eintaucht. Beim Blick über das Tal sieht Ned auf jedem Grundstück einen Pool, das Statussymbol der Mittelschicht. Von einem Anwesen zum anderen schwimmt er in der Folge nach Hause, und von Pool zu Pool wandelt sich die Idylle immer deutlicher zum Querschnitt eines bornierten und sinnleeren amerikanischen Bürgertums, dem auch Ned vergeblich zu entkommen versucht. Die strenge Ordnung des Gartens und der Stolz seiner Besitzer geraten mitunter zur humorvollen Chiffre für kleinbürgerliche Lebensträume, sei es im mit Filmzitaten gespickten Animationsspass The Curse of the Were-Rabbit (2005), in dem ein nachbarschaftlicher Gemüsewettbewerb eskaliert, oder in Mano Khalils feinfühligem Dokumentarfilm Unser Garten Eden (2010), der eine Schrebergartenkolonie mit ihren diversen Nationalitäten als Mikrokosmos der multikulturellen Schweiz zeichnet. Als Ort der Zuflucht präsentiert sich der verborgene Garten in Shirin Neshats Women Without Men (2009): Gleich zu Beginn gleitet die Kamera einem Bach entlang, um durch ein kleines Felsloch jene Oase zu offenbaren, in der die vier weiblichen Hauptfiguren Schutz vor den politischen Wirren im Iran um 1953 finden. Mit stilisiertem Farb- und Schattenspiel zeigt uns Ne­ shat in strengen Bildkompositionen das räumlich entrückte Refugium, dessen hohe Mauern aber nur vorübergehend Schutz bieten. Auch hier zeigt sich die Idylle als brüchige Fassade, die am Ende nicht aufrechterhalten werden kann. Die positiven Konnotationen des Gartens in seiner Begrenztheit implizieren gleichzeitig auch deren Unzulänglichkeit: Die Dystopie ist der Utopie inhärent. So auch in Silent Running (1972), Douglas Trumbulls bildgewaltigem Regiedebüt (er war zuvor für die Special Effects in 2001: A Space Odyssey verantwortlich), in dem unter riesigen Glaskuppeln die letzten Pflanzen der Erde zu den Klängen von Joan Baez’ Musik durch den Weltraum gleiten. Mit verzweifelter Hingabe kümmert sich der Astronaut Freeman Lowell um die Biotope, während die Natur auf Erden unwiederbringlich zerstört ist. >

Erotisch-kriminalistisches Intrigenspiel im englischen Garten: Peter Greenaways The Draughtsman’s Contract

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Unser Garten Eden: der Schrebergarten als Mikrokosmos der multikulturellen Schweiz


18 Exil auf Zeit Joe Wrights Pride & Prejudice (2005) schildert die aufkommende Liebe zwischen Elizabeth und Mr. Darcy vor dem opulenten Hintergrund des eng­lischen Landschaftsgartens Stourhead und verdeutlicht, wie sich der Historienfilm mit seiner Darstellung des einengenden gesellschaftlichen Korsetts besonders eignet, um den Garten respektive die Natur als romantisches Exil zu inszenieren. Während die Jane-Austen-Adaptation bereits den Unterschied zwischen dem herrschaftlichen Anwesen und dem ärmlichen Landhaus der Familie Bennet mit seinem verwilderten Garten etabliert, wird ein solcher Kontrast in Joseph Loseys The Go-Between (1971) noch akzentuiert. Die Tochter aus reichem Hause hat eine Affäre mit dem Pächter des benachbarten Grundstücks. Deutlich zeigt sich der Gegensatz zwischen der strengen Ordnung des herrschaftlichen Landguts der Oberschicht und der freien Natur, wo das illegitime Paar für kurze, flüchtige Momente seine Liebe ausleben kann. In exakt komponierten Bildern der gegensätzlichen Schauplätze reisst der Film symbolisch den Klassengraben auf, an dem die unstandesgemässe Liebe – der Logik des Melodramas folgend – scheitern muss. In Un dimanche à la campagne (1984) zeichnet Bertrand Tavernier mit dem sonntäglichen Familienbesuch bei einem betagten Kunstmaler ebenfalls ein romantisches, jedoch von Melancholie geprägtes Bild. Der Spätsommertag scheint zuerst der Zeit entrückt, doch immer stärker zeigt sich auch hier, dass der idyllische Schein trügt. Der Film erweist sich als Sittenbild einer Gesellschaft kurz vor dem Ersten Weltkrieg, dessen Schrecken in der Harmonie des Gartens nur vermeintlich in weiter Ferne liegen. Während der Maler in Taverniers Werk den Garten als Inspirationsquelle nutzt, reflektieren zwei weitere Filme der Reihe andere künstlerische Ausdrucksmöglichkeiten. Peter Greenaways postmodernes Vexierspiel The Draughtsman’s Contract (1982) hinterfragt den zeichenhaften Charakter der Kunst, und Víctor Erices El sol del membrillo (1992) begleitet akribisch den Maler Antonio López, der an seinem Sujet – einem Quittenbaum im eigenen Garten – verzweifelt. In seinen vielfältigen filmischen Manifestationen ist der Garten auf kein singuläres Motiv reduzierbar. Doch scheint ihm eigen zu sein, dass er als utopischer Idealort die diversen Sehnsüchte, Ängste und Schwächen der Menschen vor seinem (vermeintlich) unschuldigen Hintergrund umso schärfer hervortreten lässt. Marius Kuhn


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Der Garten im Film. (Cary Scott), Rock Hudson (Ron Kirby), Agnes Moorehead

ALL THAT HEAVEN ALLOWS

(Sara Warren), Conrad Nagel (Harvey), William Reynolds

USA 1955

(Ned Scott), Gloria Talbott (Kay Scott), Virginia Grey (Alida

Eine amerikanische Vorstadt in den 50er-Jahren: Die einsame Witwe Cary Scott verliebt sich in den jüngeren Gärtner Ron Kirby. Die eigenen Kinder und Freunde reagieren mit Unverständnis und Ablehnung, worauf Cary sich gezwungen sieht, die Beziehung abzubrechen. «Jane Wyman ist eine reiche Witwe, Rock Hudson schneidet ihre Bäume. In Janes Garten blüht ein ‹Liebesbaum›, der nur blüht, wo eine Liebe ist, und so wird aus Janes und Rocks zufälligem Zusammentreffen die grosse Liebe. Rock aber ist fünfzehn Jahre jünger als Jane, und Jane ist total in das gesellschaftliche Leben einer amerikanischen Kleinstadt integriert (…) Rock liebt zu Anfang die Natur, Jane liebt erstmal gar nichts, weil sie alles hat. Das sind ein paar beschissene Voraussetzungen für eine grosse Liebe. (…) Nach dem Film ist die amerikanische Kleinstadt das letzte, wo ich hinwollte. Das sieht dann so aus, dass Jane irgendwann zu Rock sagt, dass sie ihn jetzt verlässt, wegen der depperten Kinder und so. Rock wehrt sich nicht sehr, er hat ja die Natur. (…) Da bricht man zusammen im Kino. Da begreift man was von der Welt und was sie macht an ­einem. (…) Darüber macht der Filme, der Douglas Sirk. Allein kann er nicht sein, der Mensch, und zusammen auch nicht. Die sind sehr verzweifelt, die Filme.» (Rainer Werner Fassbinder, Filme befreien den Kopf, 1984) )

(Mona Plash), Leigh Snowden (Jo-Ann Grisby), Hayden Rorke

89 Min / Farbe / DCP / E/d // REGIE Douglas Sirk // DREH-

94 Min / Farbe / 35 mm / E/d/f // REGIE Frank Perry // DREH-

BUCH Peg Fenwick, nach einer Erzählung von Edna L. Lee,

BUCH Eleanor Perry, nach einer Kurzgeschichte von John

Harry Lee // KAMERA Russell Metty // MUSIK Frank Skinner

Cheever // KAMERA David Quaid // MUSIK Marvin Hamlisch

// SCHNITT Frank Gross, Fred Baratta // MIT Jane Wyman

// SCHNITT Sidney Katz, Carl Lerner, Pat Somerset // MIT

­Anderson), Charles Drake (Mick Anderson), Jacqueline deWit (Dr. Dan Hennessy).

THE SWIMMER USA 1968 Unvermittelt taucht Ned Berry im Garten seiner Freunde auf und springt in deren Schwimmbecken. Als ihm beim Blick über das angrenzende Tal die unzähligen Pools auffallen, kommt er auf die Idee, von einem Garten zum anderen nach Hause zu schwimmen. Neds Unterfangen wird dabei immer deutlicher als vergebliche Flucht vor der eigenen Vergangenheit erkennbar. «Sensible Studie eines am Leben gescheiterten Menschen (...). Am Beispiel Ned Merrills entlarvt Perry die Hohlheit einer Gesellschaft, deren Statussymbol der Swimming Pool und deren Reaktionen auf menschliches Unglück Reserviertheit, Abwehr und Schadenfreude sind.» (epd film, 42/1969) «Burt Lancaster ist überragend in der besten Darbietung seiner Karriere. Darüber hinaus ist er auch ein glaubwürdiger Held. Und einen Helden braucht dieser Film. Wir müssen an die Grösse des Schwimmers glauben, um sein tragisches Schicksal zu erahnen.» (Roger Ebert, Chicago Sun-Times, 2.7.1968).

DO, 19. MAI | 19.15 UHR VIDEOREFERAT KINO UND GARTEN: RÜCKZUGS- UND SEHNSUCHTSORTE

Ohne gleich ein neues Sub-Genre postulieren zu wollen: Es gibt so etwas wie den «Gartenfilm». Leinwandgärten, -parks und -paradiese durchwachsen die Filmgeschichte als Motiv und Schauplatz, und dies seit der ersten Filmkomödie mit dem begossenen Gärtner der Lumières und bis zu Alan Rickmans Kino-Testament A Little Chaos. Hansmartin Siegrist (Universität Basel/HGK Basel) bringt in seinem Videoreferat die Rückzugs- und Sehnsuchtsorte Garten und Kino zusammen und lädt ein zu einem medien­ geschichtlichen Spaziergang durch diese Projektionsräume einer inszenierten, ja zugerichteten Natur. Dauer ca. 55 Minuten.


> All That Heaven Allows.

> The Swimmer.

> Un dimanche Ă la campagne.

> Silent Running.

> El sol del membrillo.

> The Go-Between.


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Der Garten im Film. Burt Lancaster (Ned Merrill), Janice Rule (Shirley Abbott), Janet Landgard (Julie Hooper), Kim Hunter (Betty Graham), Tony Bickley (Donald Westerhazy), Marge Champion (Peggy Forsburgh), Nancy Cushman (Mrs. Halloran), Bill Fiore (Howie Hunsacker), John Garfield Jr. (Billettverkäufer), Rose Gregorio (Sylvia Finney), Charles Drake (Howard Graham), Bernie Hamilton (Chauffeur).

THE GO-BETWEEN GB 1970 England um die vorletzte Jahrhundertwende. Ein zwölfjähriger Junge, der seine Ferien im reichen Elternhaus seines Freundes verbringt, wird zum Mitwisser einer verbotenen Liebe – die Tochter des Hauses hat ein Verhältnis mit dem Pächter des benachbarten Landgutes. Während er sich selbst in die junge Frau verliebt glaubt, fungiert er als Botengänger zwischen den Liebenden und muss verständnislos miterleben, wie die Affäre unter den Teppich gekehrt wird. In opulenten, präzis komponierten Bildern formuliert der in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnete Film subtil Kritik an der Klassengesellschaft. «Joseph Loseys Regie verleiht Harold Pinters feinfühligem Drehbuch Tiefe. In idealem Einklang mit Pinters Ton bewahrt der Regisseur The GoBetween davor, eine rührselige Romanze zu werden. (…) Es ist der Höhepunkt ihrer gemeinsamen Arbeit.» (Foster Hirsch: Joseph Losey, 1980) 116 Min / Farbe / 35 mm / E/d/f // REGIE Joseph Losey // DREHBUCH Harold Pinter, nach dem Roman von L. P. Hartley // KAMERA Gerry Fisher // MUSIK Michel Legrand // SCHNITT Reginald Beck // MIT Julie Christie (Marian, Lady Trimingham), Alan Bates (Ted Burgess), Dominic Guard (Leo Colston als Junge), Michael Redgrave (Leo Colston als alter Mann), Margaret Leighton (Mrs. Maudsley), Michael Gough

tion ins 21. Jahrhundert kann (…) nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier ein brennend aktuelles Problem artikuliert wird, nämlich die Sehnsucht nach dem natürlichen Lebensraum, der Kampf um die Erhaltung der Natur, verkörpert durch Freeman Lowell.» (Lexikon des ScienceFiction-Films, 1987) 90 Min / Farbe / Digital HD / E/d // REGIE Douglas Trumbull // DREHBUCH Deric Washburn, Michael Cimino, Steven Bochco // KAMERA Charles F. Wheeler // MUSIK Peter Schickele // SCHNITT Aaron Stell // MIT Bruce Dern (Freeman Lowell), Cliff Potts (John Keenan), Ron Rifkin (Marty Barker), Jesse Vint (Andy Wolf), Mark Persons (Dewey), Cheryl Sparks, ­Steven Brown (Huey), Larry Whisenhunt (Louie).

THE DRAUGHTSMAN’S CONTRACT GB 1982 Ein Künstler des ausgehenden 17. Jahrhunderts soll zwölf Bilder eines englischen Landsitzes und von dessen Parkanlage anfertigen. Zunehmend verstrickt er sich dabei in ein erotisch-kriminalistisches Intrigenspiel. Der Durchbruchfilm des Malers, Cutters und Experimentalfilmers Peter Greenaway ist eine intelligente Reflexion über die Ausdrucksmöglichkeiten der Malerei und des Kinos. «Was wir hier haben, ist ein reizvolles Rätsel, verpackt in Erotik und präsentiert mit äusserster Eleganz. Nie habe ich einen vergleichbaren Film gesehen. The Draughtsman’s Contract erzählt uns eine scheinbar ganz einfache Geschichte auf ganz gradlinige Weise, doch kaum ist der Film vorbei, muss man womöglich stundenlang mit Freunden diskutieren, ehe man sich (falls überhaupt) klar darüber wird, was da genau geschehen ist.» ­(Roger Ebert, Chicago Sun-Times, 29.9.1983)

(Mr. Maudsley), Edward Fox (Hugh Trimingham), Richard Gibson (Marcus Maudsley), Simon Hume-Kendall (Denys),

104 Min / Farbe / Digital SD / E/d // REGIE Peter Greenaway

Roger Lloyd-Pack (Charles), Amaryllis Garnett (Kate).

// DREHBUCH Peter Greenaway // KAMERA Curtis Clark // MUSIK Michael Nyman // SCHNITT John Wilson // MIT An-

SILENT RUNNING USA 1972

thony Higgins (Mr. Neville), Janet Suzman (Mrs. Herbert), Anne-Louise Lambert (Mrs. Talmann), Hugh Fraser (Mr. Talmann), Neil Cunningham (Mr. Noyes), Dave Hill (Mr. Herbert), David Gant (Mr. Seymour), David Meyer (Poulenc I), Tony

In Form einer modernen Arche Noah beherbergt eine Flotte von Raumschiffen unter riesigen Glaskuppeln die letzten Pflanzen und Tiere, da auf der Erde die gesamte Natur zerstört wurde. Während die restliche Crew an ihrer Mission zweifelt, pflegt der Astronaut Freeman Lowell voller Überzeugung die Biotope. Seine Hingabe geht so weit, dass er sich dem Befehl, das Projekt zu beenden, widersetzt, um die Gärten vor der Zerstörung zu retten. Douglas Trumbulls Regiedebüt lässt sich «als Illustration des Lebensgefühls der Jugend zu Beginn der siebziger Jahre verstehen. Die Projek-

Meyer (Poulenc II), Nicholas Amer (Mr. Parkes), Suzanne Crowley (Mrs. Pierpont), Alastair Cumming (Philip).

UN DIMANCHE À LA CAMPAGNE Frankreich 1984 1912: Der Landsitz eines betagten Kunstmalers ist Schauplatz der sonntäglichen Wiedervereinigung seiner Familie. Die Schilderung des Besuchs gerät dabei zur subtilen Charakterstudie der unterschiedlichen Figuren und zum Zeitbild


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Der Garten im Film. einer Gesellschaft kurz vor dem Ersten Weltkrieg, dessen Schrecken in der Idylle des Gartens in trügerischer Ferne zu liegen scheinen. Man erkennt «immer deutlicher das Bild einer Familie, das die Immobilität einer müde gewordenen Gesellschaft spiegelt und deren Ende ahnen lässt. (…) Doch nicht nur der Tod ist in der trunkenen Schönheit dieses Spätsommertags präsent, sondern auch das Bewusstsein, den Mut zu Neuem nicht gehabt zu haben: Es wird in den Dialogen angedeutet, und man spürt es aus der meisterhaften Farbdramaturgie (…). Un dimanche à la campagne ist ein Film der Stimmungen und Andeutungen, eine Komposition aus Lichteffekten, Farben und Tönen, deren Ästhetizismus nie zum Selbstzweck wird, sondern stets Spiegel sein will einer Lebenshaltung, die auch unserer Zeit nicht fremd ist.» (Gerhart Waeger, Zoom, 13/84) 94 Min / Farbe / 35 mm / F/d // REGIE Bertrand Tavernier // DREHBUCH Bertrand Tavernier, Colo Tavernier // KAMERA Bruno de Keyzer // MUSIK Gabriel Fauré, Louis Ducreux, Marc Perrone // SCHNITT Armand Psenny // MIT Louis ­Ducreux (Monsieur Ladmiral), Michel Aumont (Gonzague), Sabine Azéma (Irène), Geneviève Mnich (Marie-Thérèse), Monique Chaumette (Mercédès), Quentin Ogier (Lucien), ­ Claude Winter (Madame Ladmiral), Thomas Duval (Émile).

EL SOL DEL MEMBRILLO Spanien 1992 Über mehrere Monate arbeitet der Maler Antonio López an exakten Skizzen eines Quittenbaums, der im Garten seines Hauses steht, ehe er sein Projekt aufgibt. «Die Beschäftigung mit einem ‹simplen› Sujet (…) dient dem tief philosophischen Film als Anlass zu einer leidenschaftlichen Reflexion über die Schöpfung und zu einer faszinierenden Auseinandersetzung mit dem künstlerischen Schaffensprozess – auch mit seinen ganz prosaischen Seiten.» (Lexikon des int. Films) «Ein wahrlich prachtvoller Film (…). Am meisten punktet er dort, wo er sein Thema in Gesprächen mit Freunden, der Ehefrau und Bewunderern des Malers, aber auch mit den in seinem Haus tätigen Handwerkern herausarbeitet; eine Strategie, die gleichzeitig López in einem Umfeld festmacht und seine bizarre, ja sogar beschränkte Auffassung künstlerischen Bemühens relativiert. (…) Visuell herausragend, lustig, berührend und mit absolut nichts zu vergleichen.» (Geoff Andrew, Time Out Film Guide)

Linares // MUSIK Pascal Gaigne // SCHNITT Juan Ignacio San ­Mateo // MIT Antonio López (Antonio), María Moreno (María), Enrique Gran (Enrique), José Carretero, María López.

THE SECRET GARDEN USA 1993 Ausgehend von Frances Hodgson Burnetts Kinderbuchklassiker erzählt der Film von Mary, die nach dem Tod ihrer Eltern zu ihrem Onkel in ein abgelegenes Schloss ziehen muss. Dort trifft sie auf Colin, dem es aufgrund einer Krankheit verboten ist, das düstere Haus zu verlassen. Auf dem weiten Anwesen findet Mary eines Tages hinter hohen Mauern einen verwilderten Garten, der für die beiden Kinder zu einem magischen Ort wird. Neben Maggie Smith in einer Paraderolle als strenge Haushälterin holt Agnieszka Holland aus den jungen Darstellern Erstaunliches heraus. Prägnant wird in den Dekors von Stuart Craig (Harry Potter) der Kontrast zwischen dem verwunschenen Garten und der furchterregenden Schlossanlage herausgearbeitet, zusätzlich akzentuiert durch Roger Deakins’ (Fargo) subtile Kameraarbeit. «Holland ist eine grosse Bewunderin der Vorlage. Die Sorgfalt und der Aufwand, die sie in ihren Film steckt, sind Beweis genug und ergeben einen Film, der Zuschauer jeden Alters verzaubern wird.» (James Berardinelli, Reel Views 2, 2005) 101 Min / Farbe / 35 mm / E/d/f // REGIE Agnieszka Holland // DREHBUCH Caroline Thompson, nach einem Roman von Frances Hodgson Burnett // KAMERA Roger Deakins // MUSIK Zbigniew Preisner // SCHNITT Isabelle Lorente // MIT Kate Maberly (Mary Lennox), Heydon Prowse (Colin Craven), Maggie Smith (Mrs. Medlock), Andrew Knott (Dickon), John Lynch (Lord Archibald Craven), Laura Crossley (Martha), Walter Sparrow (Ben Weatherstaff).

DER GARTEN

(Záhrada) Tschechien/Slowakei/Frankreich 1995

Schneidersohn Jakub, ein charmanter Tagedieb, wird von seinem Vater aus dem Haus geschmissen, weil er mit Tereza, einer verheirateten Kundin, herummacht. Stattdessen soll er auf dem Lande das baufällige Haus des verstorbenen Grossvaters auf Vordermann bringen. Im überwucherten Garten der Bruchbude erlebt Jakub allerhand Kurioses. Bald schauen nicht nur Jakubs Vater sowie Tereza und deren Mann vorbei, sondern auch Rousseau und Wittgenstein. 133 Min / Farbe / Digital SD / Sp/d // REGIE Víctor Erice // «Wer liesse sich nicht bezaubern vom Wunsch, DREHBUCH Víctor Erice, Antonio López // KAMERA Javier Aguirresarobe, Ángel Luis Fernandez, José Luis López-­ alles, was uns gefangen hält, abzuschütteln und


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Der Garten im Film. in einen schönen Garten Eden zurückzukehren, wo ein einfacheres, erfüllenderes Leben uns alles lehren und wo alles so sein wird, wie es sein muss. Šulíks verführerische Vision von biblischer Reinheit, abgemischt mit Schnaps und Monty-­ Python-haften Spässen, stammt von den slowakischen Happenings der späten sechziger und frühen siebziger Jahre ab.» (Andrew J. Horton, Central Europe Review, 23.11.1998) 99 Min / Farbe / Digital SD / Slow/e // REGIE Martin Šulík // DREHBUCH Marek Leščák, Martin Šulík, Ondrej Šulaj // KAMERA Martin Štrba // MUSIK Vladimír Godár // SCHNITT Dušan Milko // MIT Roman Luknár (Jakub), Marián Labuda (Jakubs Vater), Zuzana Šulajová (Helena), Jana Švandová ­(Tereza), Katarína Vrzalová (Helenas Mutter), Dušan Trančík (Terezas Mann).

PRIDE & PREJUDICE Grossbritannien 2005 Nach dem Roman von Jane Austen erzählt der Film die Geschichte der Familie Bennet, deren Mutter verzweifelt nach Ehemännern für ihre fünf Töchter sucht, wobei es zu Intrigen und Missverständnissen kommt. «Wrights Film reüssiert auf mehreren Ebenen. Roman Osins Kamera nimmt auf zärtliche Weise ein ländliches, in erdigen Farben ausgemaltes Milieu auf, bewundert prachtvolle Schauplätze und edle Interieurs. Pride & Prejudice funktioniert als Liebesdrama, als subtile Gesellschaftsstudie und vibrierende Komödie.» (Dietmar Kanthak, epd Film 10/2005). Joe Wright «lässt hinter all den prächtigen Kostümen, Kutschen und Kunstwerken immer auch das Elend und den Schmutz durchschimmern, in die die Bennet-Töchter stürzen könnten, wenn sich kein Ehemann fände. Und dann die Schauspieler: Keira Knightley blitzt vor Temperament und findet in Matthew MacFadyen einen romantischen Widerpart, der hinter seiner Zurückhaltung einen brodelnden Vulkan unterdrückter Gefühle spürbar macht. Hervorragend besetzt sind auch die Nebenrollen: Donald Sutherland als Vater Bennet, der seine Tochter mit gequältem Lächeln ziehen lässt, und Judi Dench als bigotte Lady de Bourg.» (Nina Scheu, Züritipp, 29.9.2005).

WALLACE & GROMIT: THE CURSE OF THE WERE-RABBIT GB/USA 2005 Der alljährlich stattfindende Gemüsewettbewerb sorgt in einem kleinen englischen Dorf für grosse Aufregung. Als besonders gefrässige Karnickel die Wettbewerbsbeiträge zu fressen beginnen, sind Wallace und Gromit gefragt, die sich seit Neuem unter dem Namen ‹Anti-Pesto› auf Schädlingsbekämpfung spezialisiert haben. Ein Experiment von Wallace misslingt jedoch und ein gewaltiger Riesenhase terrorisiert fortan die Ortschaft. Nick Park erweist sich «auch hier wieder als Meister der Filmparodie und der gelungenen Zitate. Wurden vor Jahren vornehmlich Ausbrecherfilme (…) der tierischen Travestie unterworfen, müssen dieses Mal klassische Grusel- und Horrorfilme wie King Kong oder die UniversalSchocker der dreissiger Jahre dran glauben. (…) Auch wenn man nicht erkennt, dass selbst Gromits genervtes Augenrollen beim Ertönen der Schmonzette ‹Bright Eyes› von Art Garfunkel ironische Hintergründe hat, wird man in diesem kurzweiligen und überaus rasanten Familienfilm richtig viel zu lachen haben. Dafür sorgt nicht zuletzt die bis in die Details stimmige Inszenierung (…), deren sorgfältig erarbeitete Dramaturgie so manchem Realfilmregisseur noch ein hilfreiches Vorbild sein könnte. Von den vielfältigen Kameraeinstellungen, den witzigen Figurenzeichnungen und dem perfekten Ablauf der flüssigen Stop-Motion-Animation bis hin zu einer Story, die vor Situationskomik und feinem Dialogwitz nur so strotzt, gibt es hier absolut nichts zu bemängeln.» (Frank Brenner, schnitt.de) Neben der englischen Originalfassung wird der Film auch in der deutschen Synchronfassung im Kinderprogramm gezeigt (siehe S. 39). 85 Min / Farbe / 35 mm / E/d/f // REGIE Steve Box, Nick Park // DREHBUCH Steve Box, Nick Park, Mark Burton, Bob Baker // KAMERA Tristan Oliver, Dave Alex Riddett // MUSIK Julian Nott // SCHNITT David McCormick, Angharad Owen, Gregory Perler // MIT DEN STIMMEN VON Peter Sallis (Wallace/ Hutch), Ralph Fiennes (Victor Quartermaine), Helena ­Bonham Carter (Lady Campanula Tottington), Peter Kay (PC Mackintosh), Nicholas Smith (Pfarrer Clement Hedges), John

128 Min / Farbe / 35 mm / E/d/f // REGIE Joe Wright // DREH-

Thomson (Mr. Windfall), Mark Gatiss (Miss Blight), Geraldine

BUCH Deborah Moggach, Emma Thompson, nach dem Ro-

McEwan (Miss Thripp), Liz Smith (Mrs. Mulch).

man von Jane Austen // KAMERA Roman Osin // MUSIK Dario Marianelli // SCHNITT Paul Tothill // MIT Keira Knightley (Elizabeth Bennet), Matthew Macfadyen (Mr. Darcy), Rosamund Pike (Jane Bennet), Talulah Riley (Mary Bennet), Jena Malone (Lydia Bennet), Carey Mulligan (Kitty Bennet), Donald Sutherland (Mr. Bennet), Brenda Blethyn (Mrs. Bennet), Judi Dench (Lady Catherine de Bourg).


> The Pool.

> The Secret Garden.

> A Little Chaos.

> Women Without Men.

> Pride & Prejudice.

> Another Year.


Der Garten im Film.

DIALOGUE AVEC MON JARDINIER Frankreich 2007 Ein erfolgreicher Maler aus Paris kehrt in sein auf dem Land gelegenes Elternhaus zurück. Er stellt einen Gärtner ein, der sich als alter Schulkamerad entpuppt. Viel verbindet die beiden nicht, doch schon bald entwickelt sich eine innige Freundschaft zwischen den zwei Männern. «Wenn es um den dringlichen Auftrag geht, ‹seinen Garten zu bestellen›, ist von vornherein eine Portion Philosophie im Spiel, weil man an dem geflügelten Wort, das der grosse Voltaire seinem Candide in den Mund gelegt hat, einfach nicht vorbeikommt. (…) Die Hauptmelodie spielt nicht der Künstler mit seinen Modellen und Ehekrisen (…), sondern das in geordneten Bahnen verlaufende Leben der arbeitsamen kleinen Leute (…). Da schwingt eine gehörige Portion Unwohlsein an der Unvollkommenheit der Welt mit ihrer ungleichen Güterverteilung mit; die melodramatischen Töne im Schlussteil des Films sprechen eine deutliche Sprache. Für diejenigen, die ein Ohr dafür haben, spielt Jean Becker geschickt mit den fragwürdigen Glücksvorstellungen unserer Zeit.» (Marli Feldvoss, NZZ, 13.12.2007)

gleich wie die Schauspieler heissen, mehr als reale Menschen denn als Erfindungen eines Autors wahr. Das Drehbuch beruht auf einer Kurzgeschichte von Randy Russell, die eigentlich in Iowa spielt. Der Ortswechsel der Handlung von einem Kontinent auf den anderen ist gerade der Beweis für die Universalität seiner Themen. (…) Im Stil eines Satyajit-Ray-Films meidet The Pool das Melodrama, um Venkateshs ärmliches Leben umso subtiler und differenzierter darzustellen.» (Stephen Holden, The New York Times, 2.9.2008) «Dieser Film unterscheidet sich von den vorherigen Werken des Dokumentarfilmers Chris Smith. Ein Spielfilm, leise, aber eindringlich gespielt und ungemein schön gefilmt: ein Werk mit viel Charme. (…) Smiths Film ist natürlich und ungezwungen, mit einem stimmigen Erzählfluss und einem ruhigen, beobachtenden Blick erzählt. Es ist ein sehr guter Film, der lange gebraucht hat, bis er bei uns in die Kinos kam. Aber besser spät als nie.» (Peter Bradshaw, The Guardian, 15.11.2012) 98 Min / Farbe / Digital HD / Ov/e // REGIE Chris Smith // DREHBUCH Chris Smith, nach einer Kurzgeschichte von Randy Russell // KAMERA Parvez Pathan, Chris Smith // MUSIK Didier Leplae, Noisola, Joe Wong // SCHNITT Barry Poltermann // MIT Venkatesh Chavan (Venkatesh), Nana Patekar (Nana), Jhangir Badshah (Jhangir), Ayesha Mohan (Ayesha).

110 Min / Farbe / 35 mm / F/d // REGIE Jean Becker // DREHBUCH Jean Becker, Jean Cosmos, Jacques Monnet, nach dem Roman von Henri Cueco // KAMERA Jean-Marie Dreujou // MUSIK Wolfgang Amadeus Mozart, Ahmet Gülbay // SCHNITT Jacques Witta // MIT Daniel Auteuil (Maler, genannt Dupinceau), Jean-Pierre Darroussin (Gärtner Léo, genannt Dujardin), Fanny Cottençon (Hélène), Alexia Barlier (Magda), Hiam Abbass (Frau des Gärtners), Élodie Navarre (Carole), Roger Van Hool (Tony), Michel Lagueyrie (René), Christian Schiaretti (Charles).

THE POOL USA 2007 Der junge Venkatesh hält sich in Panjim, der Provinzhauptstadt Goas, mit Gelegenheitsjobs knapp über Wasser. So oft er kann, steigt er die Hügel am Rande der Stadt hinauf und beobachtet einen verwilderten Garten, in dessen Mitte sich ein Pool befindet. Eines Tages lernt er den Besitzer des Anwesens kennen, worauf sich sein Leben auf grundlegende Art und Weise verändert. Komplett in Hindi und grösstenteils mit Laiendarstellern (der Besitzer des Hauses wird von Bollywood-Star Nana Patekar gespielt) drehte der amerikanische Regisseur Chris Smith seinen in Sundance ausgezeichneten Film, der «die Grenzen zwischen Fiktion und Realität verschwimmen lässt. Man nimmt die Figuren, die

WOMEN WITHOUT MEN

(Zanan-e bedun-e mardan ) Deutschland/Österreich/Frankreich/Italien/ Ukraine/Marokko 2009 1953, während der politischen Umbrüche im Iran, führen die Wege von vier Frauen in ein abgeschiedenes Landhaus mit einem von hohen Mauern umgebenen Garten. «Die Oase, in der die vier Hauptfiguren (…) zusammenfinden, ist ein aus der Zeit gefallener Platz: Ein altes, von Obstbäumen gesäumtes Haus bietet Schutz und Ruhe, bis sich die politische Realität (…) auch dieser Enklave bemächtigt. Auf der visuellen Seite ist Shirin Neshat (…) eine Könnerin. Exquisite Kamerafahrten, eine atmosphärische Fotografie und eindringliche Bilder sind das Kapital dieses Films, mit dem die Iranerin 2009 den Goldenen Löwen in Venedig gewann. (…) Women Without Men bietet (…) einen seltenen Einblick in die Gefühlswelt muslimischer Frauen. Nicht nur als Künstlerin, sondern auch als Regisseurin beweist Shirin Neshat ohne Frage eindrückliches Potenzial.» (Jens Hinrichsen, filmdienst, 13/2010) 99 Min / Farbe / 35 mm / Ov/d/f // REGIE Shirin Neshat // DREHBUCH Shoja Azari, Shirin Neshat, nach einem Roman

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Der Garten im Film. von Shahrnoush Parsipour // KAMERA Martin Gschlacht // MUSIK Ryuichi Sakamoto // SCHNITT George Cragg, Patrick Lambertz, Jay Rabinowitz, Christof Schertenleib, Julia Wiedwald // MIT Shabnam Toloui (Munis), Pegah Ferydoni (Faezeh), Arita Shahrzad (Farrokhlagha), Orsolya Tóth (Zarin), Ahmad Hamed (Gärtner), Navid Akhavan (Ali), Bijan Daneshmand (Abbas).

ANOTHER YEAR Grossbritannien 2010 Unterteilt in die vier Jahreszeiten erzählt der Film aus dem Leben des Ehepaares Tom und Gerri. Ihr gastfreundliches Haus ist wiederholt Anlaufstelle für unglückliche, vom Leben gezeichnete Freunde, die hier Trost suchen. Ausgleich finden die beiden in ihrem Schrebergarten, den sie mit viel Liebe pflegen. «Frühling, Sommer, Herbst und Winter, der Zyklus der Jahreszeiten findet seine Entsprechung in immer wiederkehrenden Bildern, die Tom und Gerri bei der Arbeit in ihrem Kleingarten zeigen. Sie sind es, die hegen und pflegen, die Sorge tragen, Verantwortung übernehmen und sich dabei wohlfühlen. Im Regen, an heissen Tagen, bei Wind und bei Schnee – zum Glück reicht eine gemeinsame Tasse Tee im Bretterverschlag der Kleingartenanlage.» (Ulrich Sonnenschein, epd Film, 1/2011) «Mike Leighs gemeinsam mit den Schauspielern mittels Improvisation ausgearbeitete Alltagsstudie befasst sich mit den Bedingungen von Zufriedenheit und Lebensglück bzw. dessen Scheitern und fasziniert durch ihren ungeschönten, gleichwohl nie entblössenden, sondern stets Anteil nehmenden Blick auf ihre lebensvollen Figuren.» (Jens Hinrichsen, film-dienst, 2/2011)

«Mit humorvoll-ironischem, aber dennoch immer respektvollem Blick zeigt der kurdische Kameramann und Regisseur Mano Khalil in seinem fein beobachteten Dokumentarfilm, wer heute in der Schweiz so alles den Traum vom eigenen Garten mit Holzhäuschen lebt. (…) Ein Schrebergarten, das macht dieser witzige, aber unterschwellig auch sehr ernste Dokumentarfilm deutlich, ist auch ein Miniaturabbild und eine Übungswiese in Sachen Schweizer Demokratie.» (Bettina Spoerri, Cinema, Nr. 56/2010) 97 Min / Farbe / 35 mm / Ov/d // DREHBUCH UND REGIE Mano Khalil // KAMERA Mano Khalil, Steff Bossert // MUSIK Mario Batkovic // SCHNITT Thomas Bachmann.

A LITTLE CHAOS Grossbritannien 2014 In Alan Rickmans zweiter und letzter Regiearbeit spielt Kate Winslet die Gartenarchitektin Sabine De Barra, die für den Sonnenkönig Louis XIV. einen Garten in Versailles planen soll. Dabei trifft ihr offener, (scheinbar) chaotischer Ansatz auf Unverständnis bei ihrem Kollegen André Le Nôtre, der die Gärten bisher nach strenger Ordnung konzipierte. Trotz der Differenzen verlieben sich die beiden ineinander. «Kate Winslet zeigt erneut eine Darbietung, die uns mit ihrer Schönheit, Sinnlichkeit und Intelligenz fesselt. Matthias Schoenaerts mit seiner unterschwellig brodelnden Intensität ist der perfekte Partner. (…) A Little Chaos ist keine historische Dokumentation, weshalb man sich einfach zurücklehnen und den wunderschön fotografierten Film geniessen sollte, der uns eine Vergangenheit zeigt, wie sie hätte sein sollen.» (Bill Zwecker, Chicago Sun-Times, 14.8.2015)

129 Min / Farbe / 35 mm / E/d/f // DREHBUCH UND REGIE Mike Leigh // KAMERA Dick Pope // MUSIK Gary Yershon //

117 Min / Farbe / DCP / E/d/f // REGIE Alan Rickman // DREH-

SCHNITT Jon Gregory // MIT Jim Broadbent (Tom), Ruth

BUCH Jeremy Brock, Alison Deegan, Alan Rickman //

Sheen (Gerri), Lesley Manville (Mary), Oliver Maltman (Joe),

­KAMERA Ellen Kuras // MUSIK Peter Gregson // SCHNITT

Peter Wight (Ken), David Bradley (Ronnie), Philip Davis (Jack),

­Nicolas Gaster // MIT Kate Winslet (Sabine De Barra), Mat-

Imelda Staunton (Janet), Karina Fernandez (Katie).

thias Schoenaerts (André Le Nôtre), Stanley Tucci (Philippe, Herzog von Orleans), Alan Rickman (König Louis XIV.), Danny Webb (Moulin), Cathy Belton (Louise), Adrian Schiller (Jean

UNSER GARTEN EDEN Schweiz 2010 Der Dokumentarfilm Unser Garten Eden zeigt den Alltag in der Schrebergartensiedlung Bottigenmoos in Bern Bümpliz. Die Porträts der Schweizer, italienischen und serbischen Besitzer der Parzellen und die Beobachtung ihres mitunter schwierigen Zusammenlebens verdichtet sich dabei zu einem Mikrokosmos der Schweiz und der verschiedensten darin beheimateten Kulturen.

Risse).


27 Das erste Jahrhundert des Films

1956 John Fords legendärer Western The Searchers demontiert in den epischen Weiten des Monument Valley den amerikanischen Gründungsmythos und Nicholas Rays seziert in seinem Melodrama Bigger Than Life in Cinemascope sowie mit expressivem Licht- und Schattenspiel den American Way of Life. Zur gleichen Zeit beeinflussen US-Kriminalfilme wie The Asphalt Jungle Jean-Pierre Melvilles Bob le flambeur, der damit auch zeitgebundener Ausdruck der zunehmenden Amerikanisierung respektive Modernisierung Europas ist. Was sich 1956 mit Melvilles Porträt eines alten Kriegers und Robert Bressons formal bahnbrechendem Gefängnisfilm Un condamné à mort s’est échappé andeutet, kommt wenige Jahre später unter dem Namen Nouvelle Vague und mit Regisseuren wie Godard oder Truffaut, die dann umso deutlicher Anleihen beim klassischen Hollywood machen, zu endgültigem Durchbruch. Der vom «Vater» der Nouvelle Vague – André Bazin – wiederum so hochgelobte italienische Neorealismus erlebt mit Pietro Germis Il ferroviere nochmals einen Höhepunkt, während sich Satyajit Ray für Aparajito nicht zuletzt von den Vertretern jener Filmbewegung inspirieren lässt. In Deutschland wird der gros­se Filmstar Heinz Rühmann bereits totgesagt, bevor er in der Satire Der Hauptmann von Köpenick unter der Regie Helmut Käutners seine vielleicht beste Leistung abliefert und auf der Karriereleiter neue Höhen erklimmt. Marius Kuhn

Das erste Jahrhundert des Films In der Dauerreihe «Das erste Jahrhundert des Films» zeigen wir im Lauf von zehn Jahren rund 500 ­wegweisende Werke der Filmgeschichte. Die Auswahl jedes Programmblocks ist gruppiert nach Jahrgängen, woraus sich schliesslich 100 Momentaufnahmen des Weltkinos von 1900 bis 1999 ergeben. ­Referenzzahl ist jeweils der aktuelle Jahrgang, d. h. im Jahr 2016 sind Filme von 1916, 1926, 1936 usw. zu sehen. Weitere wichtige Filme von 1956 Around the World in Eighty Days Michael Anderson, USA Die gelbe Venus von Kamakura (Kurutta kajitsu) Ko Nakahira, J Die Halbstarken Georg Tressler, BRD Die Harfe von Burma (Biruma no tategoto) Kon Ichikawa, J Frühlingsanfang (Soshun) Yasujiro Ozu, J Giant George Stevens, USA Il tetto Vittorio De Sica, I Invasion of the Body Snatchers Don Siegel, USA La traversée de Paris Claude Autant-Lara, F

Le monde du silence Jacques-Yves Cousteau/ Louis Malle, F Moby Dick John Huston, USA Oberstadtgass Kurt Früh, CH The Killing Stanley Kubrick, USA The Man Who Knew Too Much Alfred Hitchcock, USA The Ten Commandments Cecil B. DeMille, USA Written on the Wind Douglas Sirk, USA


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Das erste Jahrhundert des Films: 1956.

APARAJITO

(The Unvanquished) Indien 1956 Im zweiten Teil der Apu-Trilogie erzählt Satyajit Ray vom Erwachsenwerden des Jungen. Als der Vater stirbt, kehren Apu und seine Mutter aufs bengalische Land zurück. Da Apu ein glänzender Schüler ist, soll er nach Kalkutta, doch die Mutter will ihren Sohn unbedingt bei sich behalten. «Aparajito ist der zentrale Film von Rays grosser Apu-Trilogie. Seine Geschichte erzählt er vielmehr beiläufig, anstatt dramatische Akzente zu setzen. (…) Der Film zeichnet dabei das Bild eines modernen, industriellen Indiens, dessen Gesellschaft nicht primitiv, sondern verdorben ist. In Apu demonstriert der Regisseur seine feste, humanistische Überzeugung, dass ein Individuum auch unter diesen Umständen nicht korrupt werden muss.» (Pauline Kael, 5001 Nights at the Movies, 1993) «Auch wenn Pather Panchali bereits von einem nahezu perfekten filmischen Stil und tiefgehenden emotionalen Einsichten zeugt, hebt der zweite Teil Rays Talent nochmals auf eine neue Stufe. Das Wort Meisterwerk ist ohne Frage überstrapaziert, doch dieser Film verdient es. (…) Aparajito ist ein unglaublicher Film. Die dichten, poetischen Kompositionen sind perfekt vereint mit den subtilen emotionalen Aspekten der Hand-

lung. Für diejenigen, die den Vorgänger gesehen haben, ist der Film eine nahtlose Fortsetzung von Apus Reise. Aber selbst wenn man Pather Panchali nicht gesehen hat, verliert Aparajito nichts von seiner Wirkung.» (James Berardinelli, www. reelviews.net) 113 Min / sw / 35 mm / Beng/d/f // REGIE Satyajit Ray // DREHBUCH Satyajit Ray, nach dem Roman von Bibhutibhushan Bandyopadhyay // KAMERA Subrata Mitra // MUSIK Ravi Shankar // SCHNITT Dulal Dutta // MIT Pinaki Sengupta (Apu als Kind), Smaran Ghosal (Apu als Jugendlicher), Kanu Bannerjee (Harihar Ray, der Vater), Karuna Bannerjee ­(Sarbojaya, die Mutter), Ramani Sengupta (Bhabataran, der Onkel), Santi Gupta (Ginnima), Ranibala (Teliginni), Sudipta Roy (Nirupama), Ajay Mitra (Anil), Charuprakash Ghosh (Nanda).


Das erste Jahrhundert des Films: 1956.

DER HAUPTMANN VON KÖPENICK

BOB LE FLAMBEUR

BRD 1956

Frankreich 1956

Nach einem Theaterstück Carl Zuckmayers erzählt Helmut Käutner die Geschichte des Schusters Wilhelm Voigt, der sich als Hauptmann ausgibt, um endlich seinen langersehnten Pass zu erhalten. Die oscarnominierte Satire über den preussischen Militarismus war ein grosser Publikumserfolg und wurde für den Komödianten Heinz Rühmann zum Höhepunkt seiner Karriere. «Wie er unsicher durch die falsche Weltordnung taumelt, wie er kapituliert und erst still und dann aus der Verzweiflung heraus übermütig wird – das ist die Sternstunde in der Laufbahn dieses Schauspielers. Rühmann macht keine Faxen. Er ist im besten Sinne tragikomisch. Er ist immer da, gibt nicht nur Gesicht und Stimme her, er spielt ganz, bis in die Füsse.» (Der Abend, 1.9.1956)

Ein alternder Pariser Gangster, dessen letzte Leidenschaft das Glücksspiel ist, lässt sich dazu verleiten, die Spielbank von Deauville auszurauben. Das Unternehmen scheitert jedoch an Spitzeln und am unverhofften Spielerglück des Gangsters. «Bob le flambeur oder Streifzüge durch Montmartre und Pigalle und Melvilles Liebeserklärung an Paris. (…) An der Oberfläche ein ‹film policier› ist der (…) persönlichste Film Melvilles ein Stück Autobiografie, aus intimer Kenntnis des Milieus entstanden und eine ‹comédie de moeurs›.» (Hans Gerhold, Jean-Pierre Melville, 1982) «Dieser Film, der in der Folge zu einem geradezu mythischen Objekt der Cinephilie wurde, stiess bei der Premiere vorwiegend auf Desinteresse und Ablehnung. (…) Die Filmzeitschriften hingegen sahen hier bereits den ‹auteur› dämmern.» (Jacques Zimmer, Chantal de Béchade: Jean-Pierre Melville)

93 Min / Farbe / 35 mm / D // REGIE Helmut Käutner // DREHBUCH Helmut Käutner, Carl Zuckmayer, nach dem Theaterstück von Carl Zuckmayer // KAMERA Albert Benitz // MUSIK Bernhard Eichhorn // SCHNITT Klaus Dudenhöfer // MIT

98 Min / sw / 35 mm / F/d // REGIE Jean-Pierre Melville //

Heinz Rühmann (Wilhelm Voigt), Martin Held (Dr. Obermül-

DREHBUCH Jean-Pierre Melville, Auguste le Breton //

ler), Hannelore Schroth (Mathilde Obermüller), Willy A. Klei-

­KAMERA Henri Decaë // MUSIK Eddie Barclay, Jo Boyer //

nau (Friedrich Hoprecht), Leonard Steckel (Adolph Worm-

SCHNITT Monique Bonnot // MIT Roger Duchesne (Bob

ser), Friedrich Domin (Gefängnisdirektor), Otto Wernicke

­Montagné), Isabelle Corey (Anne), Daniel Cauchy (Paulo), Guy

(Schuhmachermeister).

Decomble (Inspektor Ledrut), Simone Paris (Yvonne), Howard Vernon (McKimmie).

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Das erste Jahrhundert des Films: 1956.

IL FERROVIERE I 1956 Der Lokführer Andrea Marcocci muss miterleben, wie ein verzweifelter Mann vor seinen Zug springt. Traumatisiert von dem schlimmen Vorfall begeht er bei der Arbeit immer öfter Fehler. Als bei einer medizinischen Untersuchung sein hoher Alkoholkonsum festgestellt wird, kürzt ihm die Bahngesellschaft seinen Lohn. Der Niedergang eines einfachen Arbeiters beeindruckte Kurt Früh dermassen, dass er ihm als Vorbild für seinen Film Bäckerei Zürrer diente. Der Regisseur Pietro Germi spielt die Hauptrolle selbst (er wollte zuerst Spencer Tracy als Zugführer) und vermag die zunehmende Hilflosigkeit der Hauptfigur eindrücklich darzustellen. Subtil, ohne Pathos erzählt das in Cannes und San Sebastian ausgezeichnete Spätwerk des italienischen Neorealismus vom sozialen Abstieg und dem langsamen Abgleiten in den Alkoholismus. «Auch wenn sich der Film vom Thema und der Technik in die Strömung des Neorealismus einschreibt, könnte Il ferroviere meiner Meinung nach nicht weiter entfernt von den Filmen Rossellinis und sogar De Sicas liegen. Die Bezugspunkte, welche mir hinsichtlich der Kameraarbeit

einfallen, sind King Vidor und William Wyler. (…) Die Ehrlichkeit der Darstellung in Germis Spiel, eine staunenswerte ‹Präsenz› verbunden mit einer authentischen Physik, trägt viel zum ungewöhnlichen Charme dieser fesselnden Darstellung bei.» (André Bazin, France-Observateur, 6.3.1958) 118 Min / sw / 35 mm / I/d/f // REGIE Pietro Germi // DREHBUCH Alfredo Giannetti, Pietro Germi // KAMERA Leonida Barboni // MUSIK Carlo Rustichelli // SCHNITT Dolores Tamburini // MIT Pietro Germi (Andrea Marcocci), Luisa Della Noce (Sara Marcocci), Sylva Koscina (Giulia Marcocci), Saro Urzi (Gigi Liverani), Carlo Giuffrè (Renato Borghi), Renato Speziali (Marcello Marcocci), Edoardo Nevola (Sandro Marcocci).


Das erste Jahrhundert des Films: 1956.

BIGGER THAN LIFE USA 1956 Um über die Runden zu kommen, arbeitet der schlecht bezahlte Lehrer Ed Avery ohne das Wissen seiner Frau und seines Sohnes abends als Telefonist in einer Taxizentrale. Der Stress macht ihn krank und führt zu einer Arterienentzündung. Die Ärzte verschreiben ihm die neue Wunderdroge Cortison, doch die Nebenwirkungen führen zu Stimmungsschwankungen, die Ed immer stärker an seinem Umfeld auslässt. Neben den Werken Douglas Sirks ist Nicholas Rays Film eines der herausragenden Beispiele für die Melodramen der 1950er Jahre, ihre auffällige Veräusserlichung der Gefühle in die Mise en Scène und den damit verbundenen kritischen Blick auf die damalige amerikanische Gesellschaft. Ray zeichnet «das Porträt eines Mannes, den seine Unnachgiebigkeit in moralische Einsamkeit führt, aber er gibt ihm unrecht, und im gleichen Mass, wie er die Vergeblichkeit von Gewalt zeigt, beweist er, dass auch intellektuelle Scharfsicht kein Selbstzweck ist, denn sein Held ist letztlich nur ein der Hölle der Logik Entronnener. (…) Masons Spiel ist von ausserordentlicher Klarheit und Genauigkeit; unter der meisterhaf-

ten Führung von Nicholas Ray kommt er zu den drei oder vier schönsten Grossaufnahmen von Gesichtern, die ich seit dem Aufkommen des Cinemascope habe bewundern können. Die Inszenierung, von schneidender Schärfe, prägt dem Film eine sehr grosse Schnelligkeit auf. Kurze Szenen fegen über die Leinwand, von denen keine einzige der Figur des Ed Avery äusserlich ist. Bigger Than Life ist das Gegenteil eines dekorativen Films, aber noch die geringsten Details, ob es sich um die Dekoration, die Kleidung, die Accessoires oder Haltungen handelt, sind von einer verblüffenden Schönheit. (…) Bigger Than Life, ein Film von unnachgiebiger Logik und Scharfsicht, ist geradezu der Film der Logik und Scharfsicht, weil er sie zur Zielscheibe hat und mit jedem Bild ins Schwarze trifft.» (François Truffaut, Die Filme meines Lebens, 1999) 95 Min / Farbe / DCP / E/e // REGIE Nicholas Ray // DREHBUCH Cyril Hume, Richard Maibaum, nach einem Zeitungsartikel von Berton Roueche // KAMERA Joseph MacDonald // MUSIK David Raksin // SCHNITT Louis R. Loeffler // MIT James Mason (Ed Avery), Barbara Rush (Lou Avery), Walter Matthau (Wally Gibbs), Robert F. Simon (Dr. Norton), Christopher Olsen (Richie Avery), Roland Winters (Dr. Ruric), Rusty Lane (Bob LaPorte), Rachel Stephens (Krankenschwester), Kipp Hamilton (Pat Wade).

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Das erste Jahrhundert des Films: 1956.

UN CONDAMNÉ À MORT S’EST ÉCHAPPÉ Frankreich 1956 Während des Zweiten Weltkriegs sitzt der französische Leutnant Fontaine in Einzelhaft im Fort Montluc. Weil seine Hinrichtung bevorsteht, plant er zu fliehen. Als ein 16-jähriger Junge sein Zellengenosse wird, beginnt Fontaine zu glauben, dass es sich um einen Spitzel handelt. «Bressons Filme drehen sich oft um Menschen am Rande der Verzweiflung. Wie sie sich angesichts unerträglicher Lebenslagen zu behaupten versuchen – das ist sein Thema. In seinen Handlungen geht es nicht darum, ob das diesen Menschen gelingt oder nicht, sondern wie sie diese Momente aushalten. Schnörkellos erzählt er diese Geschichten, ohne Filmstars, Spezialeffekte, künstlichen Thrill oder erhöhte Spannung. Seine Filme, die frei von publikumsgefälligen Elementen scheinen, ziehen viele seiner Zuschauer in einen hypnotischen Bann. (…) Einen Film wie Un condamné à mort s’est échappé zu sehen ist wie eine Lektion in Sachen Kino: Er zeigt, was in einem Film alles unwichtig ist. Im Umkehrschluss suggeriert er, dass die meisten Dinge, an die wir

uns gewöhnt haben, überflüssig sind. In diesem Film gibt es keine einzige Einstellung zu viel.» (Roger Ebert, Chicago Sun-Times, 21.11.2011) «Es ist eine seltsame Erfahrung, einen Bresson-Film heute zu sehen, da der grösste Teil des gegenwärtigen Populärkinos so gross, laut, schnell und, in vielen Fällen, sogar grotesk ist. Mit anderen Worten, die exakte Antithese zu Bressons Kino. Ich sah Un condamné à mort s’est échappé kürzlich wieder, er ist eine so vollkommen reine Erfahrung, gänzlich ohne jede Unwesentlichkeit – er funktioniert wie eine empfindliche und perfekt kalibrierte, von Hand gefertigte Maschine.» (Martin Scorsese, zit. in: Robert Bresson, Indiana University Press 1999) 99 Min / sw / Digital HD / F/e // REGIE Robert Bresson // DREHBUCH Robert Bresson, nach einem Tatsachenbericht von André Devigny // KAMERA Léonce-Henry Burel // MUSIK Wolfgang Amadeus Mozart // SCHNITT Raymond Lamy // MIT François Leterrier (Leutnant Fontaine), Charles Le Clainche (François Jost), Roland Monod (Pfarrer Deleyris), Maurice Beerblock (Blanchet), Jacques Ertaud (Orsini), Jean Paul Delhumeau (Hebrard), Roger Treherne (Terry), Jean Philippe Delamarre (Gefangener).


Das erste Jahrhundert des Films: 1956.

THE SEARCHERS USA 1956 Zu Beginn von The Searchers öffnet sich der Eingang zur Edwards Ranch und das Schwarz der Leinwand weicht der imposanten Kulisse des Monument Valleys. Am Ende schliesst sich die Türe wieder vor dem rastlosen John Wayne und die Weite des Tales verschwindet im Dunkel. Dazwischen liegt die jahrelange, immer stärker von Rache getriebene Suche des ambivalenten Helden nach seiner von Indianern entführte Nichte. Ikonische Bilder hat John Ford für seinen epischen Western geschaffen, der für viele als bester Vertreter seines Genres gilt. «Der Moby Dick des Western, ein revidierter Lederstrumpf, ‹Die Geschichte Amerikas› (Joseph McBride). Die Tür zu einem neuen Land hat sich geöffnet. Die Tür zu einem neuen Land hat sich geschlossen. (…) Der weisse Amerikaner, der sich der Herausforderung der Wildnis stellt, Ethan Edwards, der zu den Wilden geht, wie Lederstrumpf zu den Wilden ging und wie John Ford mit diesem Film zu den Wilden geht, ist verdammt, zwischen den Wilden zu wandern, wie ein toter Krieger, dem man die Augen ausgeschossen hat. Ahab hat das Meer der Wüsten, der Prärien, der Felsengebirge durchquert, seinen weissen

Wal erlegt und geht mit ihm unter. Er versinkt in dem Land, dessen Büffel er geschossen, dessen Menschen er massakriert, dessen Erde er mit Messern, Kugeln und mit seinen Fäusten bearbeitet hat.» (Joe Hembus, Das Western-Lexikon, 1976) Fords Meisterwerk verkörpert «wie kein anderer Film die Essenz des Westerns. (…) Allein die erste Einstellung reflektiert, wie die effektive Kadrierung der Landschaft und der Figuren in ihr das visuelle Zentrum des Genres bildet. Genau wie die Kamera in dieser ersten Einstellung, so steht auch der Film an einer Grenze, markiert den Übergang von der klassischen zur revisionistischen Phase des Westerns und ergründet in dieser Position den Frontiermythos in all seiner Komplexität und in ästhetischer Perfektion.» (Martin Holtz, www.schnitt.de) 119 Min / Farbe / 35 mm / E/d/f // REGIE John Ford // DREHBUCH Frank S. Nugent, nach einem Roman von Alan LeMay // KAMERA Winton C. Hoch // MUSIK Max Steiner // SCHNITT Jack Murray // MIT John Wayne (Ethan Edwards), Jeffrey Hunter (Martin Pawley), Vera Miles (Laurie Jorgensen), Ward Bond (Captain Reverend Samuel Clayton), Natalie Wood ­(Debbie Edwards), John Qualen (Lars Jorgensen), Olive Carey (Mrs. Jorgensen), Hank Worden (Mose Harper), Harry Carey jr. (Brad Jorgensen), Henry Brandon (Chief Scar), Ken Curtis (Charlie McCorrie), Antonio Moreno (Emilio Figueroa).

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34 Premiere: Une histoire de fou

Plädoyer für Mitmenschlichkeit Der armenischstämmige Marseiller Regisseur Robert Guédiguian (Le promeneur du Champ-de-Mars, Les neiges du Kilimandjaro) dreht Filme aus persönlicher, staatsbürgerlicher Betroffenheit. Une histoire de fou ist sein Beitrag zum 100. Jahrestag der Deportationen des armenischen Volkes, ein wehmütiges Meisterstück der Vergegenwärtigung von Geschichte.

UNE HISTOIRE DE FOU / Frankreich 2015 134 Min / Farbe / DCP / OV/d // REGIE Robert Guédiguian // DREHBUCH Robert Guédiguian, Gilles Taurand, nach der Autobio-

­

grafie von José Antonio Gurriarán // KAMERA Pierre Milon // MUSIK Alexandre Desplat // SCHNITT Bernard Sasia // MIT A ­ riane Ascaride (Anouch), Simon Abkarian (Hovannès), Grégoire Leprince-Ringuet (Gilles Teissier), Syrus Shahidi (Aram), Razane Jammal (Anahit), Robinson Stévenin (Soghomon Tehlirian), Serge Avedikian (Armenak ), Hrayr Kalemkerian (Haig), Siro ­Fazlian (Arsinée Sarkissian, Anouchs Mutter).

Es war ein denkwürdiger Prozess, der im Juni 1921 vor dem Landgericht Berlin-Moabit verhandelt wurde. Er endete mit einem Urteil, das nicht weniger erstaunlich war. Der junge Armenier Soghomon Tehlirian war angeklagt, Talaat Pascha, den letzten Innenminister des osmanischen Reiches, der nach Berlin geflohen war, auf offener Strasse ermordet zu haben. Der Angeklagte war geständig und die Last der Indizien gegen ihn erdrückend. Aber die Geschworenen mussten sich nur eine Stunde beraten, um ihn freizusprechen.


35 Mit ihrem Urteil folgten sie der Argumentation der Verteidigung, Tehlirian habe Talaat Pascha, einen der Strategen des Völkermordes an den Armeniern, zur Rechenschaft ziehen wollen. Die Geschworenen verschlossen ihre Augen nicht vor den Gräueltaten des jungtürkischen Regimes, denen sechs Jahre zuvor anderthalb Millionen Menschen, darunter Tehlirians gesamte Familie, zum Opfer gefallen waren. Der Urteilsspruch wurde zum Fanal für die in der Diaspora lebenden Armenier. Er konnte jedoch nicht verhindern, dass auf Druck der türkischen Diplomatie noch Jahrzehnte lang Schweigen gewahrt wurde über den ersten Genozid des 20. Jahrhunderts. Eindrücklich rekapituliert Robert Guédiguian den Prozess im Prolog seines jüngsten Films. Mit einem diskreten Schwenk auf eine Litfasssäule verweist er auf den Kontext und das historische Erbe der Geschehnisse. Dort wirbt ein Plakat für einen Film, dessen Titel ebenso heisst wie die Geheimorganisation, der Tehlirian angehörte: Nemesis. Gleich daneben wird der Vortrag eines Politikers angekündigt, der Deutschland eine neue Zukunft verheisst und ein grosser Bewunderer der türkischen Verdrängungsdemagogie werden sollte: Adolf Hitler. Schuld, Verantwortung und Terrorismus Die eigentliche Handlung des Films setzt zwei Generationen später ein, im Marseille der 1980er Jahre, wo die armenische Familie Alexandrian ein Feinkostgeschäft betreibt. Sie ist zerrissen zwischen Erinnerung und dem Wunsch nach Vergessen. Sohn Aram schliesst sich der geheimen armenischen Terrorarmee Asala an. Er verübt ein Attentat auf den türkischen Botschafter, bei dem ein unschuldiger Passant, der Medizinstudent Gilles, schwer verletzt wird. Arams Mutter bittet das Opfer um Vergebung und setzt damit einen schwierigen, aber heilsamen Prozess der Annäherung in Gang. Gegenüber der Vorlage, dem autobiografischen Roman «La bomba» des spanischen Journalisten José Antonio Gurriarán, erweitert Guédiguian die Erzählperspektive, indem er von der spirituellen Reise einer Vielzahl von Figuren erzählt. Der Stoff scheint ungewöhnlich für einen Regisseur, der seine Geschichten gern um eine beschaulich-mediterrane Idee von Geselligkeit und Solidarität herum konstruiert. Mit armenischer Wehrhaftigkeit hat sich Guédiguian indes schon in dem Résistance-Drama L’armée du crime auseinandergesetzt. In Une histoire de fou nun verstrickt er den Zuschauer in einen leidenschaftlich offenen Dialog über Schuld, Verantwortung und die Legitimation des Terrorismus: ein emphatisches Plädoyer für die Mitmenschlichkeit. Gerhard Midding

Gerhard Midding arbeitet als freier Filmjournalist in Berlin.


36 FR, 17. JUN. | 20.45 UHR

FESTSPIELE ZÜRICH

DADA IM FILM Dass die heuer 100-jährige Dada-Bewe-

An Méliès gemahnen René Clairs Entr’acte

gung die damals neue Kunstform Film auf-

(1924) und Hans Richters Vormittagsspuk

griff, überrascht nicht; schon Georges

(1928), die auf eine Handlung verzichten, mit

­Méliès und andere Pioniere hatten mit dem

der Laufgeschwindigkeit spielen, Szenen

Medium Schabernack getrieben. Witz, An-

rückwärts laufen lassen, leblose Gegen-

archie und Poesie im Dada-Stil scheinen bis

stände animieren und durchwegs von anar-

heute im Kino auf.

chischem Spass gezeichnet sind. Die Filme von Fernand Léger und Marcel Duchamp erscheinen eher als Weiterentwicklungen ihrer Gemälde und Skulpturen: Ballet mécanique (1924) von Léger und ­Dudley Murphy ist ein modern-abstrakter Clip von tanzenden Bildern; der amerikanische Avantgarde-Komponist George Antheil schuf dazu eine kakophonische Maschinenmusik, die Bruce Posner für die restaurierte Fassung des Films möglichst originalgetreu ­aufführen liess. Duchamps Anémic cinéma (1926) nimmt heutige Videokunst vorweg und kombiniert bewegte Bilder mit Wortspielen. Die poetische Seite der Dadaisten

> Entr’acte.

DADA IM FILM Vorstellungsdauer ca. 120 Min BALLET MÉCANIQUE F 1924, 16‘, sw, ohne Dialog // REGIE Fernand Léger und Dudley Murphy // MUSIK George Antheil ENTR’ACTE F 1924, 17‘, sw, ohne Dialog // REGIE René Clair // MUSIK Erik Satie ANÉMIC CINÉMA F 1926, 7‘, sw, stumm // REGIE Marcel Duchamp. Am Flügel: André Desponds VORMITTAGSSPUK D 1928, 6‘, sw, stumm // REGIE Hans Richter. Live-Vertonung durch die Musikklasse der ZHdK L’ÉTOILE DE MER F 1928, 21‘, sw, ohne Dialog // REGIE Man Ray // DREHBUCH Robert Desnos, nach seinem Gedicht. Am Flügel: André Desponds RENAISSANCE F 1964, Animationsfilm, 10‘, sw, ohne Dialog // REGIE Walerian Borowczyk // MUSIK Avenir de Monfred LES JEUX DES ANGES F 1965, Animationsfilm, 13‘, Farbe, ohne Dialog // REGIE Walerian Borowczyk // MUSIK Bernard Parmegiani LA DADA – KÖNIG HIRSCH Schweiz 2016, 7‘, Farbe, ohne ­Dialog // REGIE Anka Schmid // MUSIK Saadet Türköz // MIT Saadet Türköz (Gesang), Nina Vallon (Tanz)

zeigt sich in Man Rays L’étoile de mer (1928), der Adaptation eines Gedichts voller SinnBilder. In den sechziger Jahren greift Walerian Borowczyk Animationsmethoden und Antikriegsmotive der Dadaisten auf: In Renaissance (1964) re-animiert er zerstörte Objekte, darunter ein Objekt der Zerstörung; in Les jeux des anges (1965) «verfilmt» er eine Reihe mysteriöser Gemälde und suggeriert mit der Tonspur ein Szenario mechanischer Menschenvernichtung. Den – allzu selten erhaltenen – Beitrag der Frauen zu Dada würdigt Anka Schmids neuer Film La Dada – König Hirsch (2016), der eine Tanzperformance im Stil von ­Sophie Taeuber-Arp mit deren legendären Marionetten inszeniert. (mb)


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> Renaissance.

6 01 2 I MA

Ro R et

e tIv k e sp

ReenActMent: Do It AgAIn!

Ik Iln Z MIR I l Ze


38 SCHWEIZER FILMWOCHENSCHAU

MI, 25. MAI | 19.00 UHR

GOTTHARD: MYTHISCHES MASSIV Nachdem wir in den letzten beiden Jahren

siv durchbohrt und der Verkehrsweg von

im Rahmen unserer Filmgeschichtsreihe

Nord nach Süd mit den drei Tunnels stetig

die Schweizer Filmwochenschau und das

ausgebaut. Das Massiv ist verbaut, doch

Ciné-journal als Medien des Aktualitäten-

nicht gezähmt. Starker Schneefall, Lawinen

kinos vorgestellt haben, folgt jetzt ein the-

und Überschwemmungen suchen die Gott-

matischer Längsschnitt: Aus Anlass der

hardstrecke immer wieder heim. Entspre-

bevorstehenden Eröffnung des längsten ­

chend sind der Einsatz von Mensch und

Eisenbahntunnels der Welt präsentieren ­

­Maschine, von Erfindergeist und Mut ge-

wir anhand von Wochenschau-Beiträgen

fragt. Der Gotthard wird zum Massstab der

eine Kultur- und Verkehrsgeschichte des

technischen Entwicklung der Eisenbahn;

mythischen Gotthard-Massivs.

ein eigener Typus von Lokomotiven entsteht hier: die Gotthardlokomotive. Der europäische Bahntourismus an der Schwelle zum 20. Jahrhundert verstärkt das verbindende Element des Gotthards. Die beiden Weltkriege und die Militarisierung der Alpenkette durch Festungen und Kasernen machen die Gotthardstrecke für den internationalen Tourismus weniger attraktiv, beleben hingegen den Mythos des unbezwingbaren Gebirges. Keiner der drei Tunnels wurde in der Zeit der Filmwochenschau gebaut, doch es ist diese Verbindung von Natur, Technik, Se-

Lange Zeit galt er als höchster Berg Euro-

henswürdigkeiten, Tour de Suisse und Mili-

pas, weil sich hier Wasser, Wetter und Kul-

tär, die den Gotthard zu einem beliebten

turen trennen. Zu Beginn des 18. Jahrhun-

Wochenschau-Sujet machen.

derts erkannte man, dass der Gotthard weit

Severin Rüegg

davon entfernt ist, der höchste Berg zu sein, ja, dass er gar kein Berg ist. Das tut der Fas-

DER GOTTHARD IN DER SFW

zination, die diesem diesem Übergang eig-

Anhand von Beiträgen der Jahre 1940 bis 1972 skizziert der

net, keinen Abbruch, denn er bleibt die

der Ausstellung «Gotthard. Ab durch den Berg» im Forum

kürzeste Nord-Süd-Verbindung durch die ­ Alpen. Der Gotthard ist als Transitroute eine Zu-

Historiker und Filmwissenschaftler Severin Rüegg, Kurator Schweizer Geschichte Schwyz, eine Kultur- und Verkehrs­ geschichte des Gotthards. (Dauer ca. 60 Min.) Severin Rüegg trifft für uns auch die Auswahl der Wochenschaubeiträge im Vorprogramm der Filmgeschichtsreihe.

mutung. Kein Wunder, dass sich an ihm auch der Ehrgeiz der Ingenieure und Tun­ nelbauer entzündete. Viermal wird das Mas-

Diese Veranstaltung wird unterstützt von Lumière.


39 Filmpodium für Kinder

Wallace & Gromit – Auf der Jagd nach dem Riesenkaninchen Wallace und sein treuer Hund Gromit versuchen sich in ihrem ersten langen Kinoabenteuer als Kaninchenjäger in englischen Gärten. Höchst amüsante Knetfiguren-Action aus dem Hause Aardman.

WALLACE & GROMIT – AUF DER JAGD NACH DEM RIESENKANINCHEN (Wallace & Gromit: The Curse of the Were-Rabbit) / GB/USA 2005 85 Min / Farbe / 35 mm / D /8/6 J // REGIE Nick Park, Steve Box // DREHBUCH Steve Box, Nick Park, Mark Burton, Bob Baker // ­KAMERA Tristan Oliver // MUSIK Julian Nott // SCHNITT David McCormick, Angharad Owen, Gregory Perler // MIT DEN ­DEUTSCHEN STIMMEN VON Peter Kirchberger (Wallace), Benjamin Völz (Lord Victor Quartermaine), Melanie Pukaß (Gräfin ­Tottington), ­Stefan Staudinger (PC Mackintosh), Hasso Zorn (Pfarrer Clement Hedges), Evelyn Meyka (Frau Rindenmulch), Frank-Otto Schenk (Herr Rindenmulch). Wir zeigen den Film auch in der englischen Originalfassung mit deutschen Untertiteln in der Reihe «Der Garten im Film», s. Seite 23.

«Der Hund Gromit träumt davon, den nächsten Gemüsewettbewerb in einer englischen Kleinstadt zu gewinnen. Zuvor muss er aber gemeinsam mit seinem Freund und Herrchen, dem Erfinder Wallace, eine Technik ersinnen, um die Vorgärten der Stadt kaninchensicher zu machen. Durch einen misslungenen Selbstversuch von Wallace wächst jedoch eine gigantische Bedrohung für das Gemüse heran. Höchst amüsanter Knetfiguren-Trickfilm voller Skurrilitäten und Gags, der sich durch seine überbordende Fabulierlust sowie seine höchst subtile Detailfreude auszeichnet.» (Lexikon des int. Films)


40 SÉLECTION LUMIÈRE

CÉLINE ET JULIE VONT EN BATEAU Jacques Rivettes buchstäblich traumhaftes

vont en bateau als «Film der Epoche»: «Die-

Märchen Céline et Julie vont en bateau ist

ses bedeutende Werk der siebziger Jahre

eine Hommage an Lewis Carroll und an

(...) erhält die individualistischen Werte je-

Montmartre, aber auch eine Spielwiese für

nes freien und rebellischen Geistes am Le-

seine Hauptdarstellerinnen Juliet Berto

ben, der im Zuge des materialistischen

und Dominique Labourier. Poetisch, putzig

Rückschlags nach dem Mai 68 bedroht war

und postmodern.

von den falschen Göttern der Marktwirtschaft, die Himmel und Erde verwüsteten.»

Die Bibliothekarin Julie liest auf einer Parkbank ein Buch über Magie und zeichnet mit

* am Donnerstag, 16. Juni, 19.00 Uhr:

dem Fuss Symbole in den Sand. Prompt eilt

Einführung von Madeleine Hirsiger

eine Frau an ihr vorbei, und als Julie sie durch Paris verfolgt und schliesslich einholt, entpuppt sich Céline als Zauber(künstler)in. Die zwei verschiedenen, aber wesensverwandten Kindfrauen freunden sich an und beschwören mitunter eine Fantasiewelt herauf: In einem düsteren Haus lebt der Witwer Olivier. Er wird von zwei Frauen, Camille und Sophie, umschwärmt, und seine kleine Tochter Madlyn steht neuem Eheglück im Wege. Um das Mädchen vor den Plänen der Erwachsenen zu retten, versetzen Céline und Julie sich mit Hilfe von «Zauberbonbons» in dieses Drama hinein. Céline et Julie vont en bateau ist ein anspielungsreicher Film über das Fabulieren und letztlich das Filmemachen. Das traditionell-theatralische Drama, in das sich die

CÉLINE ET JULIE VONT EN BATEAU / Frankreich 1974 193 Min / Farbe / 35 mm / F/d // REGIE Jacques Rivette // DREHBUCH Juliet Berto, Dominique Labourier, Bulle Ogier, Marie-France Pisier, Jacques Rivette, Eduardo de Gregorio, Henry James // KAMERA Jacques Renard // MUSIK Jean-

Protagonistinnen hineinfantasieren, kont-

Marie Sénia // SCHNITT Nicole Lubtchansky // MIT Juliet

rastiert Jacques Rivette mit dem erfri-

­(Camille), Marie-France Pisier (Sophie), Barbet Schroeder

schenden, (post)modernen Gegenentwurf der locker-vergnüglichen, mit den Darstellerinnen Juliet Berto und Dominique Labourier halb improvisierten Hauptebene des Films. In «Le cinéma français des années 70» (1990) würdigt Freddy Buache Céline et ­Julie

Berto (Céline), Dominique Labourier (Julie), Bulle Ogier (Olivier), Nathalie Asnar (Madlyn), Marie-Thérèse Saussure (Poupie), Philippe Clévenot (Guilou).


41 IMPRESSUM

DAS FILMPODIUM IST EIN ANGEBOT DES PRÄSIDIALDEPARTEMENTS

in Zusammenarbeit mit der Cinémathèque suisse, Lausanne/Zürich LEITUNG Corinne Siegrist-Oboussier (cs), STV. LEITUNG Michel Bodmer (mb) WISSENSCHAFTLICHE MITARBEIT Tanja Hanhart (th), Primo Mazzoni (pm), Marius Kuhn, Laura Walde // SEKRETARIAT Claudia Brändle BÜRO Postfach, 8022 Zürich, Telefon 044 412 31 28, Fax 044 212 13 77 WWW.FILMPODIUM.CH // E-MAIL info@filmpodium.ch // KINO Nüschelerstr. 11, 8001 Zürich, Tel. 044 211 66 66 UNSER DANK FÜR DAS ZUSTANDEKOMMEN DIESES PROGRAMMS GILT: Ascot Elite Entertainment Group, Zürich; Beta Film, Oberhaching; BFI, London; Cineworx, Basel; DIF, Wiesbaden; The Festival Agency, Paris; Filmcoopi, Zürich; Filmmuseum München; Les Films du Losange, Paris; Warner Bros. (Transatlantic) Inc., Zürich; Gaumont, Neuilly sur Seine; Hollywood Classics, London; In Film, Prag; Library Films, Milwaukee; Light Cone, Paris; Look Now!, Zürich; Mano Film, Zürich; Milestone Films, Harrington Park; National Audiovisual Institute, Helsinki; Park Circus, Glasgow; Pathé Films, Zürich; Bruce Posner, Film­makers Showcase, Hanover; Praesens Film, Zürich; Pro Litteris, Zürich; Reel Media International, Plano; Ripley‘s Film, Rom; SRF Schweizer Radio und Fernsehen, Zürich; Studiocanal, Berlin; Tamasa Distribution, Paris; Théâtre du Temple, Paris; trigon-film, Ennetbaden; UCLA Film & Television Archive, Hollywood; Universal Pictures International, Zürich; Warner Bros. Entertainment Switzerland GmbH, Zürich; Warner Bros. Entertainment, Hamburg; Warner Bros. UK, London. DATABASE PUBLISHING BitBee Solutions GmbH, Zürich // KONZEPTIONELLE BERATUNG Esther Schmid, Zürich GESTALTUNG TBS & Partner, Zürich // KORREKTORAT N. Haueter, D. Kohn // DRUCK Ropress, Zürich // AUFLAGE 6000 ABONNEMENTE Filmpodium-Generalabonnement : CHF 400.– (freier Eintritt zu allen Vorstellungen; inkl. Abo Programmheft) // Filmpodium-Halbtaxabonnement: CHF 80.– / U25: CHF 40.– (halber Eintrittspreis bei allen Vorstellungen; inkl. Abo Programmheft) // Abonnement Programmheft: CHF 20.– // Anmeldung an der Kinokasse, über www.filmpodium.ch oder Tel. 044 412 31 28

VORSCHAU Remakes

Das Kino der BRD 1949–63

Was schon mal im Kino Kasse gemacht hat,

1962 verkündeten 26 junge deutsche Film-

das funktioniert bestimmt wieder. Nach die-

schaffende an den Kurzfilmtagen Oberhau-

ser Logik operieren viele Produzenten, die

sen: «Der alte Film ist tot. Wir glauben an

denselben Stoff mehr als einmal verfilmen.

den neuen.» Das Filmfestival Locarno wid-

Manche Remakes sind aber nicht nur neuer

met seine diesjährige Retrospektive jenem

Wein in alten Schläuchen: Moderne Neu­

totgesagten Kino der BRD von 1949–63, und

interpretationen, transkulturelle Verpflan-

dieses erweist sich bei näherer Betrachtung

zungen und andere Veränderungen führen

als durchaus vital und vielfältig. Neben Re-

oft zu einem eigenständigen Werk, das über

gisseuren des Unterhaltungskinos wie Kurt

den Rang einer blossen Kopie klar hinaus-

Hoffmann, Wolfgang Staudte und Hans Heinz

wächst. Unsere Sommerreihe gestattet

König setzten sich auch Remigranten wie

Vergleiche zwischen Originalen und ihren

Peter Lorre, Fritz Kortner, Frank Wisbar und

Remakes – und umgekehrt. Dabei zeigt sich,

Robert Siodmak kritisch mit der unmittelba-

dass mitunter selbst Klassiker und Meister-

ren deutschen Vergangenheit und mit der

werke auf früheren Filmen beruhen.

prekären Gegenwart der BRD auseinander.


SAVING THE WORLD TAKES A LITTLE HART

& A BIG

JOHNSON JUNE 16


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