Filmpodium Programmheft Januar/Februar 2024 / Program January/February 2024

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1. Januar –15. Februar 2024

STUMMFILMFESTIVAL 2024 MARCELLO MASTROIANNI 100 JAHRE PRAESENS


Filmpodium-Highlights Januar/Februar ZÜRCH BAUT – DOPPELPROGRAMM    S. 37

Zürich baut (CH 1938) und Das genossenschaftliche Zürich (CH 1929) Stummfilm mit Live-Musik: Martin Christ (Piano) DI, 9. JAN. | 18.00 UHR

DOUBLE BILL ON DOUBLE BILL   S. 46

Elisabeth Bronfen & Johannes Binotto im Gespräch Ein Pas de Deux zu Marie-Louise (L. Lindberg, CH 1944), & The Wizard of Oz (V. Flemming, US 1939) MI, 10. JAN. | 20.00 UHR

PREMIERE: PIAFFE (ANN OREN, DE 2022)   S. 41

In Anwesenheit der Regisseurin Ann Oren und des Schauspielers Sebastian Rudolph Moderation: Bernadette Kolonko DO, 11. JAN. | 20.45 UHR

PREMIERE: WHILE THE GREEN GRASS GROWS (PART 1 & 6) (PETER METTLER, CH/CA 2023)   S. 42–43

In Anwesenheit des Regisseurs mit Apéro (ab 17.00 Uhr), Ambient Sound & Images im Foyer SA, 13. JAN. | 18.00 UHR

DIE LETZTE CHANCE (LEOPOLD LINDTBERG, CH 1945)   S. 40

Buchpräsentation «Heidi, Hellebarden und Hollywood – Die Praesens-Film-Story» von und mit Benedikt Eppenberger SO, 14. JAN. | 18.00 UHR

STUMMFILMFESTIVAL 2024: LAUT, FRECH UND NASTY    S. 04–21 Kino-Konzerte mit Live-Musik DO, 18. JAN. – SO, 11. FEB.

KINO-KONZERT: LES VAMPIRES (LOUIS FEUILLADE, FR 1915)   S. 11

Serien-Marathon mit Live-Musik: ONe_Orchestra New Caroline Kraabel und ihr zehnköpfiges Improvisations-Orchester aus Frauen, trans und non-binären Personen SA, 20. JAN. | AB 15.00 UHR

KINO-KONZERT IM SCHAUSPIELHAUS: SPIONE (FRITZ LANG, DE 1928)   S. 09 Live-Musik: Iokoi (Stimme, Elektronik), Bit-Tuner (Elektronik, E-Bass), Joke Lanz (Plattenspieler), Jonas Kocher (Akkordeon) SO, 21. JAN. | 19.00 UHR

KINO-KONZERT: EIN WERKTAG (RICHARD SCHWEIZER, CH 1931)   S. 37 Live-Musik: André Desponds DI, 23. JAN. | 18.30 UHR

KINO-KONZERT IM MOODS: QUEENS OF DISTRUCTION – KURZFILMPROGRAMM  S. 09 Live-Musik: Héloïse – Sabina Leone (Stimme, Elektronik, Schlagzeug) Joëlle Léandre (Kontrabass, Stimme, Objekte) DI, 30. JAN. | 20.00 UHR

VORPREMIERE: MENUS PLAISIRS – LES TROISGROS (FREDERICK WISEMAN, FR/US 2023)   S. 45

Mit Buchpräsentation: «Frederick Wiseman – Das Schauspiel der Gesellschaft» von Hannes Brühwiler (Hg.) DO, 1. FEB. | 18.30 UHR


01 Editorial

Neue Ufer Eine kulturelle Institution ist nur spannend, wenn sie wach und spielerisch bleibt, sich immer wieder mutig selbst hinterfragt und Lust auf Veränderungen hat. Ganz in diesem Sinne bringt das Jahr 2024 auch für das Filmpodium die eine oder andere Neuerung, auf die wir uns freuen, und wir sind neugierig, wie sie Ihnen gefällt. Das Programmheft, das Sie in den Händen halten, wird das letzte dieser Art sein. Nach 17 Jahren wünschen wir uns einen neuen Look. Wir danken der TBS Marken Partner AG, die nicht nur das Design des Heftes, sondern auch seine vielen unterschiedlichen Anwendungen entworfen hat, ganz herzlich für die inspirierende und immer kollegiale Zusammenarbeit. Für unser Redesign haben wir uns aus vielen spannenden Zürcher Grafiker:innen und nach einer sorgfältigen Evaluation für das Büro Elektrosmog entschieden. Seine kraftvollen Arbeiten mit einer starken, künstlerischen Handschrift haben uns begeistert. Wir stecken nun mitten im Gestaltungsprozess und freuen uns schon sehr auf den visuellen Auftritt, den wir Ihnen mit dem Februar/ März-Programm präsentieren können. Auch inhaltlich stehen die Zeichen auf Aufbruch. Das traditionelle Stummfilmfestival, das im Januar zum 20. Mal stattfindet, bestreiten wir ab diesem Jahr in einem Schulterschluss mit dem Institute of Incoherent Cinematography (IOIC). Eine grosse musikalische Bandbreite, rebellische Frauen im Fokusthema «nasty women» sowie die Gastspielabende im Schauspielhaus und im Moods sorgen für frischen Wind. Neben diesen neuen Akzenten wartet auf Sie wie immer ein buntes Kaleidoskop restaurierter Archivperlen aus aller Welt von klingenden Namen wie Ernst Lubitsch, Alfred Hitchcock oder Germaine du Lac. Aber auch weniger bekannte Filme, Entdeckungen, die wir unbedingt mit Ihnen teilen möchten. Besonders ins Auge stechen heuer die vielen überwältigenden Landschaftsaufnahmen: verschneite Weiten und Flüsse im finnischen Drama Noidan Kirot, die Wasserfälle des Yosemite-Parks (die eigentlich für eine japanische Landschaft stehen) in The Dragon Painter, das wilde Meer in Pêcheur d’Islande und natürlich Frank Hurleys atemberaubende Bilder von Shackletons gescheiterter Antarktis-Expedition. Apropos Outdoor: Wir haben die Baubewilligung für unsere Aussenterrasse bekommen! Das Gartenmobiliar ist – mit Unterstützung unseres Fördervereins Lumière – gekauft und wartet nun auf die ersten Strahlen der Frühlingssonne und seinen Einsatz. Auf zu neuen Ufern! Nicole Reinhard

Titelbild: Die Strasse von Karl Grune


02 INHALT

Stummfilmfestival 2024: Laut, frech und nasty

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Rebellische Frauen, die vor und hinter der Kamera mit Furor, Unberechenbarkeit und Witz gegen den Status Quo aufbegehren, Agent:innen die mit modernster Technik dem Bösen begegnen und Menschen, die der Verlockung der Grossstadt erliegen: Das Stummfilmfestival 2024 setzt zu seinem 20-jährigen Jubiläum frische Akzente: Das Fokus-Thema – dieses Mal «nasty women» – ist neu. Ab 2024 ­bestreiten wir das Stummfilmfestival zusammen mit dem IOIC (Institute of Incoherent Cinematography). Hannes Brühwiler, Nicole Reinhard und Pablo Assandri zeichnen unterstützt von einem Beratungsteam (Martin Girod, Kristina Köhler und Daniel Wiegand) für das Programm verantwortlich. An zwei Abenden sind wir zu Gast im Schauspielhaus und im Moods. Bild: Les vampires

Marcello Mastroianni: Traumtänzer

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Eleganz, Schönheit, Humor, Leichtigkeit aber auch Melancholie – mehr als 150 Filme prägte Marcello Mastroianni, einer der herausragendsten Schauspieler seiner Generation, mit seinem Charisma und seiner Wandelbarkeit. Seit er 1962 mit Anita Ekberg in Fellinis La dolce vita in den TreviBrunnen gestiegen war, galt er als Inbegriff italienischer Männlichkeit. Ein Image, das Mastroianni nie ganz verstehen wollte und dem er mit seiner Rollenwahl ge­ schickt entgegen trat: Sei es als impotenter Schönling in Il bell’Antonio oder als verwirrter Schwerenöter mit Macho-Allüren an einem feministischen Kongress in Fellinis Città delle donne. Zu seinem 100. Geburtstag ehren wir den Spielwütigen mit einer Auswahl seiner schönsten und widersprüchlichsten Rollen. Bild: La città delle donne


03

100 Jahre Praesens: Zwischen 32 Anpassung und Widerstand

Filmpodium für Kinder: Königreich Arktis

Die Retrospektive wirft einen frischen Blick auf die Geschichte der Produk­ tionsfirma Praesens-Film AG. Neben einigen der populärsten Schweizer Filme, zeigen wir auch unbekanntere Titel, die ein Schlaglicht auf ein Unternehmen werfen, dem der Spagat zwischen progressiven Idealen und staatspolitischem Konsens gelang.

In spektakulären und ergreifenden Bildern begleitet dieser «National Geographic»-Dokumentarfilm das Leben der Eisbärin Nanu und des Walrossmädchens Seela. Dabei wird das Thema Klimawandel auch für Kinder verständlich dargestellt.

Bild: Die letzte Chance

Filmpodium Premiere: 42 While the Green Grass Grows (Part 1& 6) In seinem filmischen Tagebuch folgt Peter Mettler dem Lauf der Flüsse und des Lebens. Es kreist um die Tragweite des Todes seiner Eltern und die Frage, wie es mit uns allen weitergeht – auf persönlicher und globaler Ebene. Mal tragisch, mal humorvoll, philosophisch und poetisch. Schweizer Kinopremiere in Anwesenheit von Peter Mettler. Mit Ambient Sound und Images im Foyer.

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Bild: Königreich Arktis

Einzelvorstellungen Filmpodium Premiere: 41 Piaffe Filmpodium Classics: 44 Life of a Shock Force Worker Vorpremiere und Buchpräsentation 45 Menus plaisirs – Les Troisgros Double Bill on Double Bill: 46 Marie-Louise & The Wizard of Oz Re:vision: 46 Che ora è Sélection Lumière: 47 Rembetiko


→ Hindle Wakes.

© Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion GmbH © belongs to RDB Entertainments

→ Les vampires.

→ Circe, the Enchantress.


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Stummfilmfestival 2024: Laut, frech und nasty Das Stummfilmfestival feiert 2024 sein 20-Jahr-Jubiläum und wartet mit zahlreichen Neuerungen auf. Wir freuen uns sehr, das Festival von nun an zusammen mit dem IOIC (Institute of Incoherent Cinematography) zu bestreiten. Neben Klassikern von Josef von Sternberg, Alfred Hitchcock oder Frank Borzage widmen wir einen besonderen Schwerpunkt den «nasty women». Zwei Höhepunkte erwarten Sie in Form von zwei Gastspielen: Am 21. Januar zeigen wir Fritz Langs ­Spione im Schauspielhaus und am 30. Januar das wilde Kurzfilm­ programm «Queens of Destruction» im Moods.

Ins Kino gingen von Beginn weg auch Frauen: Arbeiterinnen, Mütter mit Kindern, Schriftstellerinnen, Verkäuferinnen, Dienstmädchen, Migrantinnen. Noch bevor sich der männliche Blick in filmischen Erzähl- und Kamerakonventionen verankerte, richteten sich viele Filme dezidiert an dieses weibliche Publikum – sie erzählten Geschichten, in denen Alltagsthemen, Wünsche und Ängste von Frauen verhandelt wurden. Der Fokus des diesjährigen Stummfilmfestivals widmet sich den Frauen, hinter der Kamera und vor den Leinwänden. Er zeigt, wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Halbdunkel des Kinosaals traditionelle Geschlechterklischees herausgefordert oder gar auf den Kopf gestellt werden konnten. Gerade in Filmkomödien der 1910er-Jahre begegnen uns Frauenfigu­ ren, die überraschend unangepasst, wild und rebellisch auftreten: Dienst­ mädchen, die bei der Hausarbeit die Wohnungseinrichtung zertrümmern, streikende Kindermädchen und Töchter aus gutem Haus, die Streiche aus­ hecken oder Polizisten verprügeln. Diese Frauen tanzen, weinen und lachen so hemmungslos, dass ihre Unangepasstheit «ansteckend» wirkt. Diese Komikerinnen waren bei ihren Zeitgenoss:innen äusserst populär, gerieten aber in den letzten hundert Jahren in Vergessenheit. Unter dem Schlagwort #nastywomen sind Maggie Hennefeld, Laura Horak und Elif Rongen-Kaynakçi diesen Frauen in Filmarchiven nachgegangen. Bewusst stellen sie ihre Filmprogramme unter jenen Begriff, mit dem US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump seine Gegnerin Hillary Clinton während eines TVDuells 2016 verunglimpfte und der alsbald zum positiv besetzten Motto einer feministischen Protestwelle avancierte: Als «nasty women» – also Frauen, die sich nicht unterkriegen lassen – zogen Hunderttausende bei weltweit organisierten Women’s Marches durch die Strassen.


06 Solche Formen eines lustvoll-trotzigen Feminismus finden in frühen Filmen ­einen erstaunlich wirksamen Resonanzraum. Slapstick-Komödien boten ein ideales Genre, um Frauen in überbordend-unkontrollierter Körperlichkeit zu inszenieren: Sie zeigen den weiblichen Körper in exaltierten Bewegungen, feiern Affekt und Kontrollverlust mit raumgreifenden Gesten. Anstatt in bürgerlichen Wohnzimmern oder Küchen für Ordnung, Sauberkeit und Sittlichkeit zu sorgen, stellen diese Frauen Verwüstung und Anarchie her oder drängen auf die Strasse – wie die Suffragetten, die sich zur gleichen Zeit für das Frauenwahlrecht einsetzten.

Sprengkräfte Als «Queens of Destruction» sind die «nasty women» zugleich divers angelegt: Da ist Tomboy Léontine, die mit diabolischem Grinsen Streiche anzettelt; da ist das Dienstmädchen Cunégonde, dessen «Missgeschicke» im bürgerlichen Haushalt auch als gezielte Attacken auf geordnete Klassenverhältnisse zu lesen sind. Und der Lach-Flash der Schwarzen Mandy Brown (gespielt von Bertha Regustus, einer der ersten afroamerikanischen Schauspielerinnen) in Laughing Gas (US 1907) unterminiert die damals in den USA praktizierte Rassentrennung und ergreift sämtliche Körper – egal, ob weiss oder schwarz, Mann oder Frau. Queere Subtexte eröffnen sich auch in Western oder romantischen Komödien der Zeit. In «Gender Rebels» entfaltet sich das Spektakel des CrossDressings: als Cowboys verkleidete Mädchen und schreckhafte Jungs mit viel zu kleiner Pistole. Im fantastischen Genre der Science-Fiction platziert Filibus (IT 1915) seine genderfluide Actionheldin, die Baroness Troixmonde, die sich in den Dieb Filibus verwandelt, mit ihrem Luftschiff Diamanten jagt und männliche Verfolger virtuos abschüttelt. Les résultats du féminisme (FR 1906) der französischen Regisseurin Alice Guy und What’s the World C ­ oming To? (US 1926) spielen mit Verkehrungen von Geschlechter-Stereotypen: Was, so das in diesen Filmen angelegte Gedankenexperiment, wenn Frauen die politische Führung übernehmen und Männer Haushalt und Kinder versorgen würden? Auch wenn diese Filme mitunter in konventionellen Arrangements (wie Hochzeiten) enden, die die heteronormative und patriarchale Ordnung ­wiederherstellen, sollte das nicht über ihre Sprengkraft hinwegtäuschen. Mit ihren ambivalenten Erzählkonstellationen lassen sie durchaus widerstrebende Lesarten zu: Sie zelebrieren die Handlungsmacht ihrer unkonventionellen Figuren, erzählen aber auch von den gesellschaftlichen Ängsten und Kräften (häufig verkörpert durch Lehrer:innen, Polizisten, Eltern), die diese Frauen zu disziplinieren suchen.


07 Mit Filmen von Musidora sowie Germaine Dulacs La belle dame sans merci (FR 1921) lädt das Programm zudem zur (Wieder-)Entdeckung zweier einflussreicher Frauen der französischen Filmkultur der 1920er-Jahre ein.

Einfluss der «nasty women» Mit solchen historischen Querverbindungen möchte das Fokusthema dazu anregen, die jenseits des Schwerpunkts gezeigten Stummfilme auf die ihnen eingeschriebenen Gender-Konstellationen zu befragen. Wer die «nasty women» früher Filme bestaunt hat, wird kaum mehr über die auffällige Abwesenheit rebellischer Frauenfiguren in Stummfilm-Klassikern der 1920erund 30er-Jahre hinwegschauen können – etwa in den sehenswerten, doch weitgehend männlich ausgestalteten Erzähluniversen von Josef von Sternbergs Underworld (US 1927), Fritz Langs Agentenfilm Spione (DE 1928) oder Alfred Hitchcocks The Ring (GB 1927). Lubitschs Lady Windermere’s Fan (US 1925) oder Stroheims The Merry Widow (US 1925) erzählen zwar vordergründig keine Emanzipationsgeschichten, doch scheinen ihre weiblichen Hauptfiguren in Verve und Resilienz den «nasty women» des frühen Kinos zumindest verwandt. Ganz nah an der Perspektive der beiden weiblichen Hauptfiguren Fanny und Mary entfaltet sich wiederum Hindle Wakes (GB 1927): Was mit der Leichtigkeit eines Flirts im Vergnügungspark und mit taumelnden Tanzszenen beginnt, entwickelt sich zu einem dramatischen, doch eindringlichen Plädoyer für weibliche Selbstbestimmtheit, gerade auch im Sexuellen. Kristina Köhler

Kristina Köhler arbeitet als Juniorprofessorin für Kunst- und Mediengeschichte der Bildmedien an der Universität zu Köln. Herzlichen Dank an das Programmberatungs-Team: Martin Girod, Kristina Köhler, Daniel Wiegand.


→ South.

→ Filibus.

→ Noidan Kirot.

→ Pour Don Carlos.

→ Dragon Painter.


Stummfilmfestival 2024

FILMPODIUM @ SCHAUSPIELHAUS ZÜRICH

KINO-KONZERT: SPIONE Deutschland 1928

«Seltsame Dinge geschahen in aller Welt …» Was wie ein Satz aus der Zukunft über unsere Jetztzeit klingen mag, ist tatsächlich der erste Zwischentitel in Fritz Langs Spionagethriller von 1928. Ein internationaler Geheimdienst kämpft hier gegen die dunklen Machenschaften des Verbrecherbosses Haghi (ebenso wie Dr. Mabuse in Langs früherem Film gespielt von Rudolf KleinRogge), der im Schutz seiner zweiten Identität als Chef eines Bankhauses und von einer geheimen Schaltzentrale aus agiert. Die Agenten tragen Nummern wie bei James Bond, sind bereits mit Minikameras ausgerüstet und sterben auch schon auf geheimnisvolle Weise. Doch statt Bond mit Girl gibt es Willy Fritsch und Gerda Maurus – wir sind zweifellos in der Weimarer Republik und bei Lang, einem der visionärsten Regisseure der Epoche. 150 Min / sw / digital HD / stumm, d Zw’titel // REGIE Fritz Lang // DREHBUCH Fritz Lang, Thea von Harbou, nach einem Roman von Thea von Harbou // KAMERA Fritz Arno Wagner // MIT Rudolf Klein-Rogge (Haghi), Lien Deyers (Kitty), Gerda ­Maurus (Sonya Baranilkowa ), Willy Fritsch (Nr. 326), Paul Hörbiger (Chauffeur Franz ), Louis Ralph (Hans Morrier), ­Hertha von Walther (Lady Leslane), Lupu Pick (Dr. Masimoto).

deutet, «sich zu weigern, diszipliniert oder zum Schweigen gebracht zu werden, während man die Unordnung, die der geschlechtlichen und sexuellen Differenz innewohnt, umarmt und sich als tatkräftige Teilnehmerin am feministischen politischen Leben engagiert». (Maggie Hennefeld/Laura Horak) THE DAIRYMAID’S REVENGE 2 Min / sw / digital HD / stumm, e Zw’titel // REGIE Frank S. ­Armitage. THE FINISH OF MR. FRESH 2 Min / sw / digital HD / stumm, e Zw’titel // REGIE Frank S. ­Armitage. MARY JANE’S MISHAP 4 Min / sw / digital HD / stumm, e Zw’titel // REGIE George ­Albert Smith. LA GRÈVE DES NOURRICES 12 Min / sw / digital HD / stumm, f Zw’titel/e // REGIE André Heuzé. LA FUREUR DE MME PLUMETTE 6 Min / sw / digital HD / stumm, f Zw’titel/e // REGIE unbekannt. LEA SUI PATTINI 5 Min / sw / digital HD / stumm, i Zw’titel/e // REGIE unbekannt. LA PILE ÉLECTRIQUE DE LÉONTINE 6 Min / sw / digital HD / stumm, f Zw’titel/e // REGIE Roméo ­Bosetti.

SO, 21. JAN. | 19.00 UHR Live-Musik: Iokoi (Stimme, Elektronik), Bit-Tuner

ROSALIE ET SON PHONOGRAPHE

­(Elektronik, E-Bass), Joke Lanz (Plattenspieler),

4 Min / sw / digital HD / stumm, f Zw’titel/e // REGIE Roméo

Jonas Kocher (Akkordeon)

­Bosetti.

Tickets direkt im Schauspielhaus; mit Filmpodium-GA und Halbtax vergünstigt

ROSALIE ET LÉONTINE VONT AU THÉÂTRE 4 Min / sw / digital HD / stumm, f Zw’titel/e // REGIE Roméo ­Bosetti.

FILMPODIUM @ MOODS

KINO-KONZERT: QUEENS OF DESTRUCTION

#nastywomen Die «nasty women» nehmen die Zügel der institutionellen Macht in die Hand und decken dabei die absurde Unlogik des gesamten Systems auf. Mit Freude am sozialen Protest und an der anarchischen physischen Zerstörung demolieren diese rebellischen Königinnen das Haus, tyrannisieren ihre Ehepartner und bringen die fe­ ministische Revolution auf die Strasse. Lange bevor der Begriff «Nasty Woman» zum feministischen Schlachtruf wurde und lange bevor es «Pussy Hats» und Social-Media-Hashtags gab, sagten Komödiantinnen und feministische Aktivistinnen der patriarchalen Macht die Wahrheit ins Gesicht. Eine «nasty women» zu sein be­

CUNÉGONDE FEMME COCHÈRE 6 Min / sw / digital HD / stumm, f Zw’titel/e // REGIE unbekannt. LAUGHING GAS 7 Min / sw / digital HD / stumm, e Zw’titel // REGIE Edwin S. Porter. FATTY AND MINNIE-HE-HAW 21 Min / sw / digital HD / stumm, e Zw’titel // REGIE R ­ oscoe «Fatty» Arbuckle. DI, 30. JAN. | 20.00 UHR 1. Programmteil: Héloïse – Sabina Leone (Stimme, ­Elektronik, Schlagzeug) 2. Programmteil: Joëlle Léandre (Kontrabass, Stimme, Objekte) Tickets direkt im Moods; mit Filmpodium-GA und Halbtax vergünstigt

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Stummfilmfestival 2024

KINO-KONZERT: GENDER REBELS

#nastywomen Die Filme dieses Programmes entwerfen eine dystopische Welt (dystopisch für wen eigentlich?), in der Männer die Rollen der Frauen und Frauen die Rollen der Männer übernehmen, sie zelebrieren die Durchlässigkeit der Geschlechter im Wilden Westen und sie befassen sich mit den Gefahren und Freuden der Grossstadt, wobei Cross-Dressing immer wieder unzählige Gelegenheiten für zufällige gleichgeschlechtliche Anziehung bietet. Die Filme spielen mit den rasanten Veränderungen der Vorstellungen über Gender und Sexualität, die sich in dieser Zeit vollziehen, und handeln von verwirrenden Ritualen, Maskeraden und Verwechslungen und einer Zukunft, in der «Männer wie Frauen» und «Frauen wie Männer» sind. LES RÉSULTATS DU FÉMINISME 7 Min / sw / digital HD / stumm, f Zw’titel/e // REGIE Alice GuyBlaché. ALGIE, THE MINER 10 Min / sw / stumm, e Zw’titel // REGIE Edward ­Warren, Alice Guy-Blaché // MUSIK Marcus Sjowall // MIT Billy Quirk (Algie Allmore), Mary Foy (Society Dowager). A RANGE ROMANCE 12 Min / sw / digital HD / stumm, e Zw’titel // REGIE unbekannt. SHE’S A PRINCE 27 Min / sw / digital HD / stumm, e Zw’titel // REGIE Marcel Perez. WHAT’S THE WORLD COMING TO? 22 Min / sw / digital HD / stumm, e Zw’titel // REGIE Richard Wallace. MO, 5. FEB. | 20.45 UHR Live-Musik: Constanza Pellicci (Stimme, Elektronik), Víz (Stimme, Cello, Elektronik), Dadaglobal (Elektronik, Piano)

KINO-KONZERT: SLAPSTICK-FAMILIENPROGRAMM Da laust uns doch der Affe! Das traditionelle Slapstick-Kinderprogramm wartet dieses Jahr mit einer (fast) All-Animal-Cast und so mancher tierischer Überraschung auf: Die vier Kurzfilme stellen auf überaus humorvolle Weise Mensch und Tier in Bezug: Ein Affe zündet einem Mann eine Zigarette an und beginnt mit ihm Karten zu spielen, in einer rein von Tieren gespielten Western-Parodie wird Gerechtigkeit gesucht, und ein als Mensch verkleideter Affe wird aus seinem ­Elternhaus geworfen und zieht in den amerika-

nischen Westen, um dort sein Glück zu finden. ­Offenkundig hat diese Art von tierischen Darstellungen den einzigartigen Buster Keaton dazu inspiriert, in The Play House auf virtuose Weise einen talentierten, wenn auch widerspenstigen Affen zu spielen, der wiederum einen Menschen spielt. Damit auch Kinder, die noch nicht schnell lesen können, die Zwischentitel verstehen, werden diese live in Dialekt eingesprochen. MENNESKEABEN. DARWINS TRIUMF AKA THE HUMAN APE, OR DARWIN’S TRIUMPH 6 Min / sw / digital HD / stumm, e Zw’titel // REGIE unbekannt. THE PLAY HOUSE 22 Min / sw / DCP / stumm, e Zw’titel // REGIE Buster Keaton, Edward F. Cline // DREHBUCH Buster Keaton, E ­dward F. Cline // KAMERA Elgin Lessley // SCHNITT Buster Keaton // MIT Buster Keaton (Bühnenar­beiter), Joe Roberts, Virginia Fox. GO WEST 12 Min / sw / stumm, e Zw’titel // REGIE Len Powers. NORTH OF 50-50 14 Min / sw / stumm, e Zw’titel // REGIE Len Powers. SA, 3. FEB. | 15.00 UHR Live Musik: Andreas Schaerer (Stimme), Julian Sartorius (Schlagzeug, Perkussion) Zutritt ab 6 Jahren.

KINO-KONZERT: FILIBUS Italien 1915

#nastywomen In einer Zeit, in der es in der europäischen Populärkultur nur so wimmelte von heroischen Verbrechergestalten, nimmt Baroness Troixmonde alias Filibus eine spezielle Stellung ein. Als Adlige ein respektiertes Mitglied der vermeintlich guten Gesellschaft, treibt sie in der Figur des Filibus aus einem futuristischen Zeppelin heraus ihr abenteuerliches Unwesen. Lange vor Marlene Dietrich verführt Filibus in der Rolle des männlichen Dandys Count de la Briève die tanzenden Frauen – natürlich nicht ganz ohne verbrecherische Hintergedanken. Aber Detektiv Hardy ist ihr bzw. ihm hartnäckig auf der Spur … Als Vorfilm zeigen wir die Episode 26 des Serials The Hazards of Helen. THE HAZARDS OF HELEN 11 Min / sw / digital HD / stumm, e Zwi’titel // REGIE J. P. McGowan, Paul Hurst // DREHBUCH Frank Howard Clark, Edward T. Matlack // MIT Helen Holmes (Helen), Leo D. Maloney, J. P. McGowan, George A. Williams, M. J. Murchison.


Stummfilmfestival 2024

KINO-KONZERT: LES VAMPIRES Frankreich 1915/1916 #nastywomen Mitten im 1. Weltkrieg und unter widrigen Bedingungen setzt Louis Feuillade seine berühmte Serie Les vampires in Szene. Die zehn eigenständigen Episoden handeln von der Verbrecherbande Les Vampires, die in Paris ihr Unwesen treibt, sowie einem ehrgeizigen Journalisten, der die Bande überführen und hinter Gitter bringen möchte. In ihrer Rolle als Irma Vep (Anagramm für frz. «vampire») erregte die Schauspielerin Musidora als wortwörtlich erster Vamp der europäischen Kinogeschichte grosses Aufsehen. Eingebrannt hat sich das Bild der Irma Vep im eng anliegenden, schwarzen Fledermauskostüm. In Feuillades Meisterwerk halten sich die fantastische Tradition Georges Méliès’ und die realistische der LumièreBrüder die Waage, weshalb die Serie auch schon als Vorläufer des Surrealismus im Kino bezeichnet wurde. 507 Min / sw / DCP / stumm, f Zw’titel/e // REGIE Louis Feuillade // DREHBUCH Louis Feuillade // KAMERA Manichoux // MIT Musidora (Irma Vep), Edouard Mathé (Philippe Guérande),

Am Samstag, den 20. Januar präsentieren wir Les vampires als Stummfilmmarathon. Für Verpflegung wird gesorgt sein. Episoden 1–4: 15.00–17.30 Uhr Episoden 5–7: 18.15–21.00 Uhr Episoden 8–10: 21.45–01.00 Uhr Episode 1: LA TÊTE COUPÉE 39 Min Episode 2: LA BAGUE QUI TUE 17 Min Episode 3: LE CRYPTOGRAMME ROUGE 48 Min Episode 4: LE SPECTRE 38 Min Episode 5: L’ÉVASION DU MORT 45 Min Episode 6: LES YEUX QUI FASCINENT 72 Min Episode 7: SATANAS 55 Min Episode 8: LE MAÎTRE DE LA FOUDRE 65 Min Episode 9: L’HOMME DES POISONS 60 Min Episode 10: LES NOCES SANGLANTES 68 Min

Jean Aymé (der Gross-Vampir), Marcel Levesque ­ (Oscar ­Mazamette), Renée Carl (Andalusierin), Fernand Herrmann

Live-Musik: ONe_Orchestra New

(Juan-José Moréno/Brichonnet), Stacia Napierkowska (Marfa

Caroline Kraabel ­(Sopranino, Altsaxofon, Stimme), Romane

Koutiloff).

Bouffioux (Perkussion), Sofia Vaisman Maturana (Cello, ­Stimer), Khabat Abas (Cello), Cath Roberts ­(Baritonsaxofon, Perkussion, Stimme), Olga Ksendzovska (Piano, Posaune, Stimme), Saadet Türköz (Stimme), Constanza Pellicci (Stimme), Linda Vogel (Harfe), Tizia ­Zimmermann (Akkordeon)

→ Les vampires.

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→ Lady Windermere’s Fan.

→ Pêcheur d’Islande.

→ The Merry Widow.

→ La belle dame sans merci.


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Stummfilmfestival 2024 FILIBUS 71 Min / tinted / DCP / stumm, e Zw’titel // REGIE Mario ­Roncoroni // DREHBUCH Giovanni Bertinetti // KAMERA ­Luigi ­Fiorio // MIT Cristina Ruspoli (Leonora), Giovanni Spano ­(Detektiv), Mario Mariani (Polizeiinspektor), Filippo Vallino (Leo Sandy). MO, 5. FEB. | 18.30 UHR Live-Musik: Constanza Pellicci (Stimme, Elektronik), Víz (Stimme, Cello, Elektronik), Dadaglobal (Elektronik, Piano)

KINO-KONZERT: SOUTH: SIR ERNEST SHACKLETON’S GLORIOUS EPIC OF THE ANTARCTIC GB 1919

Die Dokumentation des Australiers Frank Hurley über Ernest Shackletons glorreich gescheiterten Versuch, die Antarktis via den Südpol zu durchqueren, ist eine Pioniertat des dokumentarischen Kinos. Bereits wenige Tage nachdem das Expeditionsschiff Endurance Ende 1914 South Georgia verlassen hatte, stiess es auf Packeis, blieb stecken, und die Besatzung zog sich mit den Vorräten und drei Rettungsbooten aufs Eis zurück. Nach neun Monaten sank das Schiff, und die Besatzung kampierte weitere fünf Monate auf den Eisschollen, bevor sie in den Booten zur Elefanteninsel segelte. Von dort segelten Shackleton und fünf andere bei eisigen Temperaturen und rauer See 800 Meilen zurück nach South Georgia und organisierten die Rettung der restlichen Besatzung. Nur Frank Hurleys heroischem Sprung ins eiskalte Wasser des sinkenden Schiffes verdanken wir die Rettung der Filmrollen und Fotoplatten. 81 Min / sw / DCP / stumm, e Zw’titel // REGIE Frank Hurley // KAMERA Frank Hurley // MIT Sir Ernest Shackleton. FR, 2. FEB. | 18.30 UHR Live-Musik: Tout Bleu – Simone Aubert (Stimme, Gitarre, Elektronik), Luciano Torella (Violine), Maxime Tisserand (Bassklarinette), POL (Elektronik)

KINO-KONZERT: THE DRAGON PAINTER USA 1919

Sessue Hayakawa spielt Tatsu, einen Maler, der alleine in der Wildnis Japans lebt. Die lokale Bevölkerung hält ihn für verrückt, denn er ist davon überzeugt, dass seine Verlobte von einem Drachen gefangen gehalten wird. Aus dieser grenzenlosen Trauer heraus zieht er seine ungeheuerliche künstlerische Inspiration. Derweil sucht ein berühmter Künstler einen Nachfolger für

seine Werkstatt und glaubt, ihn in Tatsu gefunden zu haben. Dieser ist sofort begeistert, denn er meint in der Tochter seines neuen Mentors die verlorene Prinzessin, seine Verlobte, gefunden zu haben. «The Dragon Painter ist ein seltener Hollywood-Stummfilm mit einer fast ausschliesslich asiatischen Besetzung, darunter der japanische Hauptdarsteller und Superstar Sessue Hayakawa. Produziert von Hayakawas Produktionsfirma, wurden die Aussenszenen im spektakulären ka­ lifornischen Yosemite-Nationalpark gedreht.» (San Francisco Silent Film Festival 2023) 61 Min / sw / DCP / stumm, e Zw’titel // REGIE William Worthington // DREHBUCH Richard Schayer, Mary McNeil Fenollosa // KAMERA Frank D. Williams // MIT Sessue Hayakawa (Tatsu), Tsuru Aoki (Ume-Ko), Edward Peil Sr. ­ (Kano Indara), Toyo Fujita (Undobuchida «Uchida»). SO, 11. FEB | 19.00 UHR Live-Musik: Vera Kappeler (Piano, Harmonium), Peter Conradin Zumthor (Schlagzeug, Perkussion)

KINO-KONZERT: LA BELLE DAME SANS MERCI Frankreich 1921

#nastywomen Germaine Dulac wirft in diesem impressionistischen Melodram einen ironischen und teils sarkastischen Blick auf das Leben der französischen Grossbourgeoisie. Eine berühmte Schauspielerin, die von einem reichen Mann verführt und anschliessend verlassen wurde, wird zur gnadenlosen Femme fatale und stürzt die Männer auf rücksichtslose Weise ins Verderben. La belle dame sans merci dekonstruiert den Archetyp der Femme fatale mittels ausgefeilter narrativer und ästhetischer Strategien wie selbstreflexiver Erzählweise und einer assoziativen Schnitttechnik. Der Film ist damit «eine der wenigen frühen Kreationen eines anspruchsvollen und komplexen Kinos, das zugleich kommerziell als auch künstlerisch, sozial engagiert und feministisch ist». (Tami Williams) 90 Min / sw / 35mm / stumm, f Zw’titel/e // REGIE Germaine ­Dulac // DREHBUCH Germaine Dulac, nach einer Idee von Irène Hillel-Erlanger // KAMERA Jacques Olivier // MIT Tania Daleyme (Lola de Sandoval), Jean Toulout (Guy d’Armaury), Denise Lorys (Comtesse d’Armaury), Jean Tarride (), Pierre Mareg (), Lucien Glen (), Yolande Hillé (), Louis Monfils (). Kopie aus der Sammlung des Eye Filmmuseum, Amsterdam FR, 26. JAN. | 18.30 UHR Live-Musik: Spill – Magda Mayas (präpariertes Piano), Tony Buck (Schlagzeug)


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Stummfilmfestival 2024

KINO-KONZERT: POUR DON CARLOS Frankreich 1921

#nastywomen Die Rolle der Irma Vep aus Les Vampires machte Musidora zum Star, zur Muse der Surrealisten und zum ersten Kino-Vamp. Als sie 1920 als Produzentin, Regisseurin und Protagonistin Pour Don Carlos in Angriff nahm, verband sie die Hauptrolle mit der fiktionalen Figur, die sie berühmt gemacht hatte, und versicherte ihren Fans: «Ich verspreche Ihnen, dass Allegria mindestens eine Person töten und einige andere leiden lassen wird.» Und sie hält Wort: «Hauptmann» Allegria, glühende Anhängerin des spanischen Thronanwärters Don Carlos, schlüpft in verschiedene Verkleidungen und entführt, erpresst und mordet sich regelrecht durch den Film, um ihren König vor den Carlisten zu schützen. Während der Krieg in den Hintergrund gerät und die Innenszenen atemberaubenden Aussenaufnahmen an baskischen Schauplätzen weichen, läuft alles auf eine wundersame Wandlung der Bösewichtin zur Heldin hinaus. 90 Min / DCP / stumm, f Zw’titel/e // REGIE Musidora, ­Jacques Lasseyne // DREHBUCH Musidora, Pierre Benoit // KAMERA Frank Daniau-Johnston, Léonce Crouan, Jean Daragon // MIT Musidora (Allegria Petchart), Stephen Weber (Olivier de Préneste), Abel Tarride (General Gelimar), Marguerite Greyval (Gouvernante), Simone Cynthia (Conchita).

SA, 10. FEB. | 20.45 UHR Live-Musik: Maud Nelissen (Piano)

KINO-KONZERT: DIE STRASSE Deutschland 1923

Ein braver Kleinbürger erliegt den Verlockungen der Grossstadt und flieht vor der bedrückenden Enge seines ehelichen Heims. Draussen, auf der «Strasse», trifft er auf Ganoven und Prostituierte und gerät in einen Strudel aus kriminellen Machenschaften, der ihn zu verschlingen droht. Die Strasse gilt als paradigmatisches Meisterwerk des Weimarer «Strassenfilms», in dem die traditionellen Wertevorstellungen des Kleinbürgertums auf die Bedrohungen durch die urbane Moderne treffen. Grunes vollständig im Atelier inszenierter Film – jede Strassenecke ist künstlich gebaut – lässt die Grenzen zwischen Realität und Traumzustand zerfliessen und zeigt die Grossstadt nicht zuletzt als kinematografischen Taumel aus Licht, Schatten und Bewegung.

79 Min / sw / DCP / stumm, d Zw’titel // REGIE Karl Grune // DREHBUCH Karl Grune, Julius Urgiss, Carl Meyer // KAMERA Karl Hasselmann // MIT Eugen Klöpfer (Kleinbürger), Lucie Höflich (Ehefrau), Leonhard Haskel (Herr aus der Provinz), Aud Egede Nissen (Dirne), Hans Trautner (Bursche), Max Schreck (Blinder). SA, 10. FEB. | 18:00 UHR Live-Musik: Günter A. Buchwald (Piano, Violine), Frank Bockius (Schlagzeug, Perkussion) & Bruno Spoerri ­(Altsaxofon, Elektronik)

KINO-KONZERT: L’AUBERGE ROUGE Frankreich 1923

In einer regnerischen Nacht kehrt ein junger Arzt in einem Gasthof ein. Dort übernachtet er zusammen mit einem Juwelierhändler im gleichen Zimmer. Am nächsten Morgen ist der fremde Händler tot und der Schmuck wird beim Arzt gefunden. Bei einem überaus eleganten Abendessen Jahre später wird über diesen Fall spekuliert. Die noble Gesellschaft gruselt sich ob der brutalen Tat und fragt sich: War der Arzt tatsächlich der Mörder? «Ich wollte einen Film machen, der nicht auf einer akribischen Inszenierung, sondern auf einer gründlichen psychologischen Studie der Figuren beruht. Mein Drama ist nicht ‹äusserlich› und soll nicht das Auge verführen, sondern ausschliesslich ‹innerlich› sein; sein Ziel ist vor allem, die Herzen der Zuschauer zu erobern.» (Jean Epstein, Cinémagazine, 23.3.1923) 73 Min / sw / DCP / stumm, f Zw’titel/e // REGIE Jean Epstein // DREHBUCH Jean Epstein, nach einer Erzählung von ­Honoré de Balzac // KAMERA R ­ aoul Aubourdier // MIT Léon Mathot (Prosper Magnan), Jean-David Evremond (JeanFrédéric Taillefer), Pierre Hot (Gastwirt), Gina Manès (Tochter des Gastwirtes), Marcelle Schmit (Victorine Taillefer), Jaque Christiany (André).

SO, 4. FEB. | 15.00 UHR Live-Musik: Stephen Horne (Piano), Frank Bockius (Schlagzeug, Perkussion)

KINO-KONZERT: CIRCE THE ENCHANTRESS USA 1924

Cecilie Brunner lebt in ihrer pompösen Villa und geniesst das Leben inmitten einer Reihe von betrunkenen Verehrern. Sie war einst eine liebenswürdige Frau, doch nach dem Tod ihrer Mutter hat sie sich in einen zynischen Vamp verwandelt. Als


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Stummfilmfestival 2024 sie sich jedoch ihren Nachbarn und Arzt Peter Van Martyn verliebt, beginnt sie ihren wilden Lebensstil zu hinterfragen. «Circe lieferte Murray in der Tat ein neues Korsett, eine Rolle, die ihrem Image entsprach, und erweiterte gleichzeitig ihre Ausdruckspalette – von der glühenden Göttin zur Jazz­ nixe, zum melancholischen Schulmädchen, zur verspielten Tänzerin, zur Klosterlehrerin und zur Patientin –, und zeitgenössische Kritiker lobten ihre Schauspielleistung.» (Artemis Willis, Le ­giornate del cinema muto, 2023) 66 Min / sw / digital HD / stumm, tsch Zw’titel/e // REGIE ­Robert Z. Leonard // DREHBUCH Douglas Z. Doty, Vicente Blasco Ibáñez, Lillian Langdon // KAMERA Oliver T. Marsh // MIT Mae Murray (Circe / Cecilie Brunner), James Kirkwood (Dr. Wesley Van Martyn), Tom Ricketts (Archibald Crumm), Charles K. Gerrard (Ballard Barrett), William Haines (William Craig). DO, 25. JAN. | 20.45 UHR Live-Musik: Co Streiff-Russ Johnson Quartett Co Streiff (Tenorsaxofon), Russ Johnson (Trompete), Christian Weber (Kontrabass), Gerry H ­ emingway ­(Schlagzeug)

KINO-KONZERT: LADY WINDERMERE’S FAN USA 1925

Lady Windermere ist eine angesehene Dame aus bester Gesellschaft. Selbst gelegentliche Flirts mit ihrem heimlichen Verehrer Lord Darlington können nicht an der respektablen Fassade ihrer Ehe mit Lord Windermere rütteln. Doch wer ist nur diese Mrs. Erlynne, die wie aus dem Nichts auftaucht und sich sogar erdreistet, an Lady Windermeres Geburtstagsfeier zu kommen? Lubitsch verlegt die Handlung von Oscar Wildes Theaterstück in die 1920er-Jahre und kreiert mit seinem unvergleichlichen Regiestil (dem berühmten Lubitsch-Touch) eine satirische Gesellschaftskomödie um menschliche Abgründe und die Kunst, sie zu überspielen. Schon die erste Szene entwirft eine wahre Choreografie aus verstohlenen Seitenblicken und unscheinbaren Gesten, die das Unausgesprochene im Hause Windermere nur allzu deutlich zum Vorschein bringen. 95 Min / sw / DCP / stumm, e Zw’titel // REGIE Ernst Lubitsch

KINO-KONZERT: PÊCHEUR D’ISLANDE

// DREHBUCH Julien Josephson, Maude Fulton, Eric Locke, nach dem Stück von Oscar Wilde // KAMERA Charles Van ­Enger // MUSIK Yati Durant // SCHNITT Ernst Lubitsch // MIT

Frankreich 1924

Ronald Colman (Lord Darlington), May McAvoy (Lady Winder-

Die frühen 1920er-Jahre in der Bretagne: Wie jeden Sommer segeln die Fischer weit in den Norden, um dort ihre Beute zu fangen. So auch der junge Yann. Kurz bevor er in See sticht, lernt er Gaud kennen, die sich unsterblich in ihn verliebt. Doch Yann ist zurückhaltend und hin- und hergerissen zwischen seiner grossen Leidenschaft für das Meer und der Zuneigung zu Gaud. «Baroncellis Ehrfurcht vor dem Roman von ­Pierre Loti führt nicht zu einem drögen, literarischen Film. Am schönsten ist er in den Strassen des Dorfes und in dem kleinen Hafen. Unvergesslich sind die Bilder von Gaud, die auf der Klippe wartet, vom Friedhof mit den Namen der Boote und der Männer, die vom Fischfang nicht mehr zurückkehrten, und von der Grossmutter, die vor dem Haus näht.» (Kevin Brownlow, Le giornate del cinema muto, 2023)

­Erlynne), Edward Martindel (Lord Augustus Lorton), Carrie

93 Min / sw / DCP / stumm, f Zw’titel/e // REGIE Jacques de ­Baroncelli // DREHBUCH Jacques de Baroncelli, Pierre Loti // KAMERA Louis Chaix // MIT Charles Vanel (Yann), Sandra Milowanoff (Gaud), Roger San Juana (Sylvestre), Mme. Boyer (Grossmutter), Claire Darcas (La Gommeuse). FR, 19. JAN. | 20.45 UHR Live-Musik: Gabriel Thibaudeau (Piano), Silvia Mandolini (Violine)

mere), Bert Lytell (Lord Windermere), Irene Rich (Mrs. Daumery (The Duchess of Berwick). Restored by The Museum of Modern Art, with the financial support of Matthew and Natalie Bernstein. MI, 31. JAN. | 18.30 UHR Live-Musik: Julia Schiwowa (Stimme), Alexander S ­ chiwow (Piano)

KINO-KONZERT: THE MERRY WIDOW USA 1925

Prinz Danilo möchte die lebenslustige Tänzerin Sally O’Hara heiraten, doch Danilos Cousin hintertreibt erfolgreich dieses Vorhaben. Enttäuscht heiratet Sally den reichsten Mann des Landes, der aber stirbt schon in der Hochzeitsnacht an einem Herzversagen. Sally vergnügt sich mit ihrem ererbten Vermögen in Paris und ist nun allseits als «die lustige Witwe» bekannt. Nach Motiven der gleichnamigen Operette Lehárs inszenierte Erich von Stroheim eine höhnische Travestie auf den Niedergang des Adels. Der Film war von Stroheims grösster kommerzieller Erfolg und das einzige ­seiner Werke, das bis auf kleine Schnitte so aufgeführt wurde, wie er es konzipiert und gedreht hatte.


→ Spione.

→ The Ring.


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Stummfilmfestival 2024 «Ein betörend grausamer und zugleich lustvoller Film, in dem es von pomadisierten Monokelträgern wimmelt, von grinsenden Grafen, geilen Greisen und flattrigen Frauen, welche die Epoche als ‹Geschöpfe› tituliert. Was diese Personen und ihre zerfliessenden Triebe zusammenhält, ist das Korsett des ‹esprit de corps› und die boulevardbreiten Bahnen von Lüge und Konvention.» (Harry Tomicek, Österreichisches Filmmuseum, 1991) 137 Min / sw / DCP / stumm, e Zw’titel // REGIE Erich von Stroheim // DREHBUCH Erich von Stroheim, Benjamin Glazer, Marian Ainslee (Zwischentitel), nach der Operette von Franz Lehár, Victor Leon, Leo Stein // KAMERA Oliver T. Marsh, ­William Daniels, Ben Reynolds // SCHNITT Frank Hull // MIT Mae Murray (Sally O’Hara), John Gilbert (Prinz Danilo), Roy D’Arcy (Prinz Mirko), Tully Marshall (Baron Sadoja), Josephine Crowell (Königin Milena), George Fawcett (König ­Nikita), Albert Conti (Adjudant des Prinzen Danilo). DCP aus der Sammlung des Österreichischen Filmmuseums. DO, 18. JAN. |18.15 UHR Live-Musik: Gabriel Thibaudeau (Piano), Silvia Mandolini (Violine)

KINO-KONZERT: HINDLE WAKES GB 1927

«In Maurice Elveys Hindle Wakes lässt sich die Fabrikarbeiterin Fanny Hawthorne während des jährlichen Ausflugs zum traditionellen Vergnügungsbadeort Blackpool – dem britischen Pendant zu Coney Island – mit Allan Jeffcote ein, dem Sohn des Fabrikbesitzers. Als die Familien auf Heirat drängen, weigert sich Fanny, erklärt Allan zu ihrer ‹little fancy› und nimmt sich damit die Freiheit sexueller Libertinage jenseits von Romanze und Ehe. Erstaunen und Entsetzen auf Seiten beider Parteien. (…) Hindle Wakes ist einer der wenigen Filme, der Arbeit über Ehe, Romantik und Liebe triumphieren lässt und damit die Brücke schlägt zwischen den Anliegen der Frauenbewegung nach Selbstbestimmung in Berufstätigkeit und Sexualität.» (Annette Brauerhoch, City Girls – Frauenbilder im Stummfilm, 2007) 115 Min / sw / 35 mm / stumm,stumm, e Zw’titel // REGIE Maurice ­Elvey // DREHBUCH Maurice Elvey, Victor Saville, nach dem Bühnenstück von Stanley Houghton // KAMERA William Shenton, Jack Cox // MIT Estelle Brody (Fanny Hawthorne), John Stuart (Allan Jeffcoate), Norman McKinnel ­(Nathaniel Jeffcoate), Marie Ault (Mrs. Hawthorne). This print is from the collection of the BFI National Archive. SO, 28. JAN. | 18.15 UHR Live-Musik: Neil Brand (Piano)

KINO-KONZERT: NOIDAN KIROT

(Curses of the Witch) Finnland / Schweden 1927 Der finnische Bauer Semo ist frisch verheiratet und über beide Ohren verliebt. Er holt seine junge Frau Selma zu sich auf das abgelegene Gehöft, auf dem auch seine blinde Schwester Elsa lebt und sehnsüchtig auf etwas Gesellschaft hofft. Die Frauen schliessen Freundschaft, und schon bald vertraut Elsa der Schwägerin an, dass auf dem Land der Fluch einer Hexe liegt, der die Menschen der Gegend in Angst und Schrecken versetzt. Und so währt die anfängliche Idylle nur kurz: Als Semo längere Zeit abwesend ist, wird Selma von flössenden Holzfällern vergewaltigt. Ihrem Mann erzählt sie nichts von den traumatischen Ereignissen. Er aber ahnt, dass das Kind, das sie zur Welt gebracht hat, nicht von ihm ist. Der Film lebt von seinen grossartigen Landschaftsaufnahmen, in denen sich der Zauber der Liebe und der Schrecken des Fluches spiegeln. Eine Landschaft, die die Menschen dazu zwingt, über sich selbst hinauszuwachsen. 76 Min / sw / DCP / stumm, finn Zw’titel/e // REGIE Teuvo Puro // DREHBUCH Teuvo Puro, Väinö Kataja // KAMERA Frans Ekebom // SCHNITT Einar Rinne , Heidi Blåfield // MIT Irmeli Viherjuuri (Aaprami), Kaisa Leppänen (Elsa), Hemmo Kallio (Esa), Olga Leino (Selman äiti). DI, 6. FEB. | 20.45 UHR Live-Musik: Forbidden Color - Sandra Weiss (Fagott), ­Rodolphe Loubatière (Snare Drum), Anna-Kaisa Meklin (Viola da gamba), Violeta Motta (Flöten)

KINO-KONZERT: THE RING GB 1927

«I shall always be ready to fight for my wife against any man»: Der Jahrmarktboxer Jack ist mit Nellie verheiratet, doch diese Ehe gerät in Gefahr, als sich Nellie auf Bob, einen australischen Meister im Schwergewicht, einlässt. Jack setzt alles daran, seine Frau nicht zu verlieren. «Es gibt in seinem aktuellen Werk Passagen, in denen Herr Hitchcock von einer echten Entschlossenheit geleitet scheint, den Film als ein Medium zu nutzen, das sich vom Theater unterscheidet. Dies bedeutet nicht einfach nur, eine Geschichte nicht in Worten, sondern in Bildern zu sehen – das ist es auch, aber es ist mehr.» (The Times 1927) «Im Kampf Mann gegen Mann, der in Wahrheit ein Duell zweier Welten ist, lässt Hitchcock das


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Stummfilmfestival 2024 ‹Gute› siegen. Dass der Boxfilm sich trefflich für das Ausspielen und Abarbeiten sozialer Unterschiede eignet, haben unzählige Beispiele dieses Subgenres erwiesen. The Ring reiht sich unter die besten davon ein.» (Andreas Ungerböck, Filmmuseum Wien) 108 Min / sw / DCP / stumm, e Zw’titel // REGIE Alfred Hitchcock // DREHBUCH Alfred Hitchcock, Alma Reville // ­KAMERA Jack E. Cox // MIT Carl Brisson («One Round» Jack Sander), Lilian Hall-Davis (das Mädchen), Ian Hunter (Bob Corby), Forrester Harvey (James Ware, der Promoter), Harry Terry (der Showman), Gordon Harker (Jacks Trainer), Clare Greet (Wahrsagerin), Billy Wells (Boxer). FR, 9. FEB | 20.45 UHR Live-Musik: Maud Nelissen (Piano)

KINO-KONZERT: UNDERWORLD USA 1927

«Der erste grosse Gangsterfilm der Filmgeschichte, gedreht von Josef von Sternberg, dem in Wien geborenen Stilisten des Schwarzweissfilms, der seine grössten Erfolge in der Tonfilmzeit mit Marlene Dietrich schuf. In düsteren Bildern wird eine Geschichte vom Machtkampf zweier rivalisierender Gangster in Chicago erzählt, in dem es auch um Liebe und Eifersucht geht.» (Programm Bonner Sommerkino 2007) «Das organisierte Verbrechen war eine Realität, für das Kino aber ein neues Thema, als Un­ derworld herauskam. Der kommerzielle Erfolg des Films führte zu dem Zyklus der klassischen Gangsterfilme der dreissiger Jahre. Nur wenige Regisseure versuchten jedoch, Sternbergs barocke Vision nachzuahmen, die selbst in den schmutzigsten Winkeln noch Perspektiven poetischer Schönheit entdeckt.» (Buchers Enzyklopädie des Films) 81 Min / sw / Digital HD / stumm, e Zw’titel / J/14 // REGIE Josef von Sternberg // DREHBUCH Robert N. Lee, Charles Furthman, Ben Hecht // KAMERA Bert Glennon // MIT George Bancroft (Bull Weed), Clive Brook (Rolls Royce), Evelyn Brent (Feathers), Larry Semon (Slippy Lewis), Fred Kohler (Buck Mulligan), Helen Lynch (seine Freundin), Jerry Mandy ­(Paloma). SA, 27. JAN. | 20.45 UHR Live-Musik: Günter A. Buchwald (Violine), Neil Brand ­(Piano)

KINO-KONZERT: SCHLOSS AUS WIND UND WOLKEN (Fûun jôshi) Japan 1928

Als der Samurai Shinhachi nach drei Jahren Dienst in der Hauptstadt nach Hause zurückkehrt, ist sein Clan bedroht. Es gibt einen Aufstand und seine Verlobte Chigusa ist mittlerweile die Geisha des Fürsten. Fortan steht Shinhachi im Verdacht, aus Rache einen Verrat am Oberhaupt des Clans begangen zu haben, obwohl er loyal bis zur Selbstaufopferung ist und allen intriganten Aufforderungen widersteht. Ein Epochendrama, das Verrat und Verschwörung innerhalb eines SamuraiClans mit atemberaubenden Naturbildern, kunstvoll choreografierten Kampfszenen und einer tragischen Liebesgeschichte vereint. Mit der Figur des einsamen Samurai nimmt Schloss aus Wind und Wolken viele Motive späterer SamuraifilmKlassiker (und ihrer Western-Remakes) vorweg. (Stummfilmtage Bonn, 2023) 61 Min / tinted / DCP / stumm, jap Zw’titel/e // REGIE Toko ­Yamazaki // DREHBUCH Tetsuro Hoshi // KAMERA Eiji Tsuburaya // MIT Kazuo Hasegawa (Aizawa Shinpachi als Chôjirô Hayashi), Sôroku Kazama (älterer Bruder Einoshin), Yoshie Nakagawa (Mutter Setaujo), Akiko Chihaya (), Keinosuke ­Sawada (), Ippei Sôma (Cousin Samnonnsuke), Yukiko Ogawa, Shinkuro Masamune. Kopie aus der Sammlung der CINEMATEK - Cinémathèque Royale de Belgique DO, 8. FEB | 20.45 UHR Live-Musik: Niton - El Toxique (Elektronik, Objekte), Luca Martegani (Elektronik), Zeno Gabaglio (E-Cello)

KINO-KONZERT: STREET ANGEL USA 1928

Angela, eine junge Frau aus Neapel versucht verzweifelt Medikamente für ihre todkranke Mutter zu organisieren. Da ihr das Geld fehlt, beginnt sie zu Stehlen. Auf der Flucht vor der Polizei versteckt sie sich bei einem Wanderzirkus. Dort lernt sie einen Maler kennen, in den sie sich sofort verliebt. Ihr Glück währt jedoch nur kurz. Street Angel ist ein Schlüsselwerk im Schaffen Borzages und gilt als eines seiner ergreifendsten Werke. «Borzage altert so gut wie das Beste von Griffith, (…) die intimistischen Meisterwerke, deren Grazie, Humor und Subtilität in der Schauspielerführung man bei Borzage wieder findet.» (Bertrand Tavernier / J.-P. Coursodon: 50 ans de cinéma américain)


Stummfilmfestival 2024 103 Min / sw / DCP / stumm, e Zw’titel // REGIE Frank Borzage // DREHBUCH Marion Orth, Philip Klein, Henry Roberts Symonds, nach einem Theaterstück von Monckton Hoffe // KAMERA Ernest Palmer // MUSIK Ernö Rapée // SCHNITT Barney Wolf // MIT Janet Gaynor (Angela), Charles Farrell (Gino), Guido Trento (Neri, Polizeisergeant), Henry Armetta (Masetto), Natalie Kingston (Lisetta), Louis Liggett (Beppo), Milton Dickinson (Bimbo), Helena Herman (Andrea). SA, 3. FEB. | 20.45 UHR Live-Musik: Stephen Horne (Piano), Frank Bockius ­(Schlagzeug, Perkussion)

Für die Unterstützung des Stummfilmfestivals danken wir:

→ Street Angel.

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→ Che ora è.

© Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion GmbH © belongs to RDB Entertainments

→ La dolce vita.

→ Dramma della gelosia.


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Marcello Mastroianni: Traumtänzer «Und ich, Marcello, wann habe ich wirklich gelebt?» hat sich Marcello Mastroianni einmal gefragt, als er auf sein rastloses Künstlerleben zurückgeblickt hat und die vielen Figuren, denen er mit beeindrucken­ den Leinwandpräsenz Leben eingehaucht hat. Ob in leichten Komödien, existenziellen Dramen, mondänen Extravaganzen oder politischen Grotesken – keiner gab so berührend das Bild des italienischen Mannes in all seinen widersprüchlichen Facetten. Das Filmpodium nimmt Sie mit auf eine Reise durch die Leben, die Mastroianni für uns gespielt hat!

«Marcello, come here!» Das Echo von Sylvias Lockruf hallt bis heute durch die engen Gassen der römischen Innenstadt. Federico Fellinis Grossstadtsatire La dolce vita (1960) schrieb Filmgeschichte und stilisierte Marcello Mastroianni in der Rolle des verführerischen Flaneurs zwischen südländischem Spieltrieb und fragilem Intellekt zum damaligen Inbegriff moderner Männlichkeit. Gleichwohl können nur wenige Schauspieler von sich behaupten, sämtliche Klischees toxisch männlicher Potenz auf so mannigfaltige Art und Weise ans Messer geliefert zu haben wie Mastroianni. Das schillernde Bild, das zeitlebens auf ihn projiziert wurde, hat er stets reflektiert und voller Selbstironie untergraben: «Wann immer ich in mir einen Helden sah, musste ich lachen.» Die Magie seines Œuvres liegt bis heute genau in dieser Leichtigkeit, mit der sich Mastroianni nahbar wie feinfühlig immer wieder neu erfand und dabei stets derjenige blieb, zu dem ihn seine Liebe zum Kino gemacht hatte: ein rastlos Verspielter.

Vom naiven «bel giovane» zum verführerischen Gigolo Marcello Mastroianni, der sich unter der Regie von Luchino Visconti bereits als talentierter Theaterschauspieler bewiesen hatte, wagte seine ersten ernsthaften Schritte in der Filmwelt mit Luciano Emmers Domenica d’agosto (1950). Der Ensemblefilm folgt in poetischer Beiläufigkeit dem sonntäglichen Treiben am Strand von Ostia und zeichnet ein Panorama der römischen Gesellschaft – vom spiessigen Kleinbürger über verliebte Teenager bis hin zum blasierten Grosskapitalisten. Einzig Mastroianni als fürsorglicher Verkehrspolizist Ercole bleibt in Rom, um für seine schwangere Freundin eine neue Unterkunft zu finden. Emmer, der mit Mastroianni fünf Filme drehte, besetzte ihn stets als den etwas Einfältigen und Gutmütigen, der am Ende die


22 Rechnung für alles bezahlt – so auch in Il bigamo (1956): Der Handelsver­ treter Mario De Santis führt ein geregeltes Leben mit Frau und Baby. Alles scheint in bester Ordnung, bis er aus heiterem Himmel der Bigamie beschuldigt wird. Mastroianni brilliert in der Rolle des vordergründig selbstsicheren Durchschnittsbürgers, der nicht weiss, wie ihm geschieht. Mit bemerkenswerter Natürlichkeit verkörpert er das gesamte Spektrum von Marios wachsender Verzweiflung und beweist dabei auch sein komödiantisches Gespür. Unter Emmers Regie, der wie kein anderer das Italien der 1950er-Jahre zwischen Provinzialität und sozialem Aufbruch einzufangen wusste, wurde Mastroianni zum Inbegriff folkloristischer Italianità. Was damals wie heute fesselt, ist die Art und Weise, wie Mastroianni diesen einfach gezeichneten Charakteren zwischen unschuldiger Schwärmerei und jugendlichem Leichtsinn authentisches Leben einhaucht. Der ersehnte Durchbruch zum Charakterdarsteller gelang ihm jedoch erst durch die Begegnung mit Federico Fellini. Fellinis Produzent Dino de Laurentis hätte eigentlich einen kantigen Amerikaner wie Paul Newman für die Rolle des verführerischen Paparazzos in La dolce vita bevorzugt; daher ist es umso überraschender, dass ausgerechnet dieser verträumte «tipo pane fatto in casa» mit weichen Gesichtszügen auf Fellinis Beharren hin die Zusage bekam. Er brauche einen Unbekannten, sagte Fellini Mastroianni beim ersten Treffen wenig charmant ins Gesicht – der Rest ist Geschichte. Der grosse Erfolg von La dolce vita machte Mastroianni zum Star und verlieh ihm das Image des verführerischen Womanizers – ein Etikett, das an ihm haften blieb, obschon er es in seinem nächsten Film bereits eindrücklich durchbrach. Il bell’Antonio (1960) erzählt die Geschichte eines Schönlings, der dem süditalienischen Ideal von Maskulinität diametral entgegenstand: Als nach Antonios lang erwarteter Hochzeit durchsickert, dass er die Ehe aufgrund seiner Impotenz nicht vollziehen kann, wird seine «fehlende» Männlichkeit zum öffentlich diskutierten Skandal. Mastroianni spielt den anfänglich von allen bewunderten Antonio auffällig zurückhaltend, beinahe stoisch, ganz so, als wüsste dieser, dass letztlich nicht er selbst, sondern alle anderen über ihn und sein Schicksal entscheiden würden. Die beiden zeitlich so nahe aufeinanderfolgenden Filme La dolce vita und Il bell’Antonio verdeutlichen eindrucksvoll, wie konsequent Mastroianni dem auf ihn pro­ jizierten Image entgegenspielte.

Zwischen verspielter Selbstironie und zärtlicher Nostalgie Mastroiannis Werk umfasst über 150 Filme und zeichnet sich durch seine schiere Produktivität und Experimentierfreude aus. Auffallend ist allerdings, wie er sich nach La dolce vita immer wieder für Rollen entschied, die keineswegs dem Idealbild potenter Männlichkeit entsprachen, sondern in denen er sich stets selbstironisch stereotypischen Rollenbilden entzog oder diese von


23 innen her aushöhlte. So spielte er in Jacques Demys skurrilem L’événement le plus important … (1973) beispielsweise den ersten schwangeren Mann der Kinogeschichte. Mastroianni kehrte aber auch immer wieder zu Figuren zurück, die wir aus seinen früheren Filmen zu kennen scheinen, und interpretiert sie neu: Dem unsterblich verliebten Taxifahrer Oreste in Ettore Scolas Dramma della gelosia (1970) ist jegliche jugendliche Leichtigkeit abhandengekommen. Von Eifersucht und Herzeleid zerfressen, wird er im Liebesrennen um Adelaide schliesslich vom jungen Pizzaiolo Nello ausgestochen. Mastroianni widmet seiner einstigen Paraderolle des jungen Schwärmers mit einer grandiosen, leidend-exzentrischen Performance ein ironisches Abschiedslied. Man könnte argumentieren, dass Mastroiannis Alterswerk mit dem midlifekriselnden Alter Ego von Federico Fellini in Otto è mezzo (1963) beginnt. Besonders im Erzählkino von Ettore Scola, mit dem er nach Dramma della gelosia noch neun Filme drehen sollte, offenbarte sich aber nochmals ein neues Kapitel in Mastroiannis schauspielerischer Vielseitigkeit. Während Fellini den alternden Mastroianni in La città delle donne (1980) eskapistisch in surreale (Alb-)Traumwelten abtauchen liess, inszenierte Scola feinfühlig und realistisch die Einsamkeit des einfachen Träumers. In Che ora è (1989) begegnen wir Mastroianni in der Rolle eines sechzigjährigen Rechtsanwalts, der seinen erwachsenen Sohn besucht und mit diesem einen Nachmittag verbringt. Zwischen wieder aufbrechenden Streitereien vergangener Jahre und arbiträren Gesprächen zeichnet der Film das subtile Porträt zweier Generationen, die sich eigentlich nichts mehr zu sagen haben. Der vom Alter gezeichnete Mastroianni verkörpert die Vaterfigur durchzogen von zärtlicher Nostalgie und fragiler Melancholie; Eigenschaften, die sein Schauspiel bis zum Schluss auszeichneten. Doch war sie, diese zärtliche Fragilität, nicht schon immer unterschwellig da gewesen? Und scheint es umgekehrt gar in Mastroiannis letzten Filmen nicht stets noch so, als wäre keine Zeit verstrichen, als würden sich hinter gealterten Augen noch immer der jugendliche Schalk und die verspielte, gutmütige Leichtigkeit seiner Figuren aus den ersten Jahren verbergen? Marc Frei

Marc Frei studierte Filmwissenschaft und Geschichte an der Universität Zürich und blieb dem Kino seither eng verbunden. Für die Kooperation danken wir der Cineteca Nazionale, Roma Das Filmpodium dankt dem Istituto Italiano di Cultura di Zurigo für die grosszügige Unterstützung dieser Reihe.


→ Peccato che sia una canaglia.

→ La notte.

→ Il bigamo.

→ I soliti ignoti.

→ Le notti bianche.

→ Il bell’Antonio.


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Marcello Mastroianni

DOMENICA D’AGOSTO Italien 1950

«Der Film verwebt fünf Geschichten von Menschen aus Rom, die an einem heissen Sonntag im August ihre Freizeit am Strand von Ostia verbringen. Luciano Emmers unprätentiöses Spielfilmdebüt mit seinem skizzenhaften Drehbuch, komplett on location mit zahlreichen Laien und wenig bekannten Nebendarsteller:innen gedreht, zeigt die Vorliebe des Regisseurs fürs Dokumentarische. Domenica d’agosto, dem mehr als 20 dokumentarische Arbeiten Emmers vorausgingen, war der Auftakt zu fünf gemeinsamen Filmen mit Marcello Mastroianni bis 1957. Als Verkehrspolizist Ercole, der eine Bleibe für seine schwangere Verlobte sucht, hat Marcello Mastroianni seinen ersten längeren Auftritt in einem bemerkenswerten Film. Das Recht auf die eigene Stimme blieb ihm 1950 allerdings versagt; der damals noch unbekannte junge Darsteller wurde von Alberto Sordi synchronisiert.» (Hans-Joachim Fetzer, Kino Arsenal ­Berlin, September 2022) 84 Min / sw / DCP / I/e // REGIE Luciano Emmer // DREHBUCH Franco Brusati, Luciano Emmer, Giulio Macchi, Cesare Zavattini, nach einer Geschichte von Sergio Amidei // KAMERA Leonida Barboni, Ubaldo Marelli, Domenico Scala // MUSIK

95 Min / sw / DCP / I/d // REGIE Alessandro Blasetti // DREHBUCH Alessandro Continenza, Suso Cecchi d’Amico, Ennio Flaiano, Sandro Continenza, nach der Geschichte «Il fanatico» von Alberto Moravia // KAMERA Aldo Giordani // MUSIK Alessandro Cicognini // SCHNITT Mario Serandrei // MIT Marcello Mastroianni (Paolo), Sophia Loren (Lina Stroppiani), Vittorio De Sica (Vittorio Stroppiani, Linas Vater).

IL BIGAMO Italien 1956

Der Geschäftsmann Mario ist glücklich mit Valeria verheiratet. Doch als er eines Tages von einem seiner Businesstrips nach Hause kommt, erwartet ihn eine böse Überraschung: eine Anklage wegen Doppelehe! «Es wäre eine Lüge, zu behaupten, dass der schlau und gekonnt aufgebaute Film nicht amüsant wäre. Ganz im Gegenteil, das Vergnügen ist sicher und hält bis zum sich überstürzenden Schluss (…). Das grösste Verdienst des Regisseurs liegt in der gekonnten Führung der Schauspieler. So stellt uns Luciano Emmer einen äusserst ausgeglichenen und selbstverständlichen Mastroianni vor. Er wirkt so natürlich wie eine Frucht am Ast, wie ein Schlüssel im Schlüsselloch. Er übertrifft sich selbst und seine früheren Rollen bei Basletti.» (Giuseppe Marotto, L’Europeo 4.3.1956)

Roman Vlad // SCHNITT Jolanda Benvenuti // MIT Anna ­Baldini (Marcella Meloni), Vera Carmi (Adriana), Emilio Cigoli

110 Min / sw / 35 mm / I/e // REGIE Luciano Emmer // DREH-

(Alberto Mantovani), Andrea Compagnoni (Cesare Meloni),

BUCH Sergio Amidei, Agenore Incrocci, Francesco Rosi, Furio

Anna Di Leo (Iolanda), Franco Interlenghi (Enrico).

Scarpelli, Vincenzo Talarico // KAMERA Mario Montuori // MUSIK Alessandro Cicognini // SCHNITT Otello Colangeli // MIT Marcello Mastroianni (Mario De Santis), Franca Valeri

PECCATO CHE SIA UNA CANAGLIA Italien 1954

«Der römische Taxifahrer Paolo soll die verführerische Lina mit ihren beiden Begleitern zum Strand fahren. Dann aber versucht das Trio, seinen brandneuen Wagen zu stehlen. Es gelingt ihm, die Kerle in die Flucht zu schlagen und ihre Komplizin festzusetzen – doch Paolo findet Gefallen an der schönen Lina. Anstatt zur Polizei zu gehen, sucht er ihren Vater auf, ohne zu ahnen, dass Linas feiner Herr Papa in Wahrheit der durchtriebenste Ganove von allen ist.» (Eurovideo) «Marcello Mastroianni ist der natürliche, lebhafte und sehr sympathische Taxifahrer, der das Opfer seiner Naivität und der Liebe wird.» (Ermanno Contini, Il Messaggero, 20.2. 1955) «Eine der bezauberndsten italienischen Komödien der 50er-Jahre mit dem Traumpaar Sophia Loren und Marcello Mastroianni, erfrischend, spritzig und besonders der Loren auf den Leib geschrieben.» (Lexikon des int. Films)

(Isolina Fornaciari), Giovanna Ralli (Valeria Masetti), Marisa Merlini (Enza Masetti), Vittorio De Sica (Rechtsanwalt).

LE NOTTI BIANCHE Italien/Frankreich 1957

Eines Nachts begegnet ein junger Mann auf einer Brücke einer jungen Frau. Sie kommen ins Gespräch, und so erfährt er, dass die Frau auf die Rückkehr ihres Geliebten wartet. Wann er jedoch zu ihr zurückkehrt, das weiss sie nicht; und so kehrt sie immer wieder auf die Brücke zurück und hofft auf ein baldiges Wiedersehen. Die beiden leisten sich gegenseitig Gesellschaft – so beginnt zaghaft eine Romanze. Luchino Visconti übersetzte Dostojewskis Erzählung zweier rastloser Seelen in ein hinreissend artifizielles Traumspiel. «Er sperrt seine ­Figuren dafür in ein klaustrophobisches Kanalufer-Set. Darin findet sich nun eine Abfolge kurzer Spaziergänge, Verfolgungen und kleinerer Fluch-


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Marcello Mastroianni ten, die allesamt zum Scheitern verurteilt sind. Im Stil einer neorealistischen Tragödie schenkt der Film seinen Figuren einzig einen Moment, in dem sie ihren nächtlichen Obsessionen entfliehen dürfen: eine laute, sexuell aufgeladene und subversive Szene in einem Tanzlokal. Danach fällt der Schnee – und macht damit einer frostigen Verzweiflung über das Ausmass menschlicher Selbsttäuschung Platz.» (Chris Auty, Time Out Film Guide, 10.9.2023)

wird als Königshochzeit zelebriert, doch als sich herumspricht, dass Barbara nach Monaten noch immer unberührt ist, wird Antonio zum Gespött der Stadt.«In Vitaliano Brancatis Romanvorlage diente sexuelle Impotenz als grotesker Spiegel des faschistischen Regimes, in der erdigeren Modernisierung durch Mauro Bolognini und Koautor Pier Paolo Pasolini ist sie die universale Metapher für versteinerte Geschlechterrollen.» (Christoph Huber, Österreichisches Filmmuseum, 2/2017)

106 Min / sw / 35 mm / I/e // REGIE Luchino Visconti // DREH-

105 Min / sw / 35 mm / I/d // REGIE Mauro Bolognini // DREH-

BUCH Luchino Visconti, Suso Cecchi d’Amico, nach dem

BUCH Pier Paolo Pasolini, Gino Visentini, nach einem Roman

Roman von Fjodor M. Dostojewski // KAMERA Giuseppe ­

von Vitaliano Brancati // KAMERA Armando Nannuzzi //

­Rotunno // MUSIK Nino Rota // SCHNITT Mario Serandrei //

­MUSIK Piero Piccioni // SCHNITT Nino Baragli // MIT

MIT Maria Schell (Natalia), Marcello Mastroianni (Mario),

­Marcello Mastroianni (Antonio Magnano), Claudia Cardinale

Jean Marais (der Mieter), Clara Calamai (die Prostituierte), Dick

(Barbara Puglisi), Pierre Brasseur (Alfio Magnano), Rina

Sanders (der Tänzer), Marcella Rovena (Pensionsinhaberin).

­Morelli (Rosaria Magnano), Tomas Milian (Eduardo).

I SOLITI IGNOTI

LA DOLCE VITA

Italien 1958

Italien/Frankreich 1960

«Ein paar Kleinkriminelle träumen vom grossen Coup. Durch die dünne Wand zur Nachbarwohnung wollen sie den Geldschrank einer Pfandleihe leeren. Dabei geht so ziemlich alles schief, was schiefgehen kann. I soliti ignoti, an der Schnittstelle zwischen den pittoresken Komödien des Neorealismo rosa und einer bissigeren, satirischen Form der Komik entstanden, gilt als erster Film der Commedia all’italiana und verbindet eine cartoonartige Typisierung der Charaktere mit neorealistischer Betonung der Schauplätze in den Armenvierteln am Stadtrand von Rom.» (Hans-Joachim Fetzer, Kino Arsenal Berlin, September 2022) «Marcello Mastroianni (…) gibt uns eine vergnügliche Kostprobe duckmäuserischer und weinerlicher Einfältigkeit.» (Filippo Sacchi, Epoca, 19.10.1958)

Marcello Rubini, ein Sensationsreporter, streift auf der Jagd nach Geheimnissen der römischen High Society jede Nacht durch die exklusiven Clubs und Cafés der Stadt. Er lernt dabei sehr zum Missfallen seiner Verlobten zahlreiche Schönheiten kennen, doch als ein Freund Selbstmord begeht, kommen ihm Zweifel über den süssen und flüchtigen Schein seines nachtschwärmerischen Daseins. «La dolce vita ist ein vielschichtiges Stadtporträt, das einige typische Lebensbereiche der Grossstadt Rom beschreibt – verbunden durch die Figur, Marcello, der als Journalist, Berichterstatter und oft involvierter Zeuge fungiert, gleichzeitig ein Mann, der ein wesentlicheres Dasein anstrebt. Doch gerade dies gelingt ihm nicht, (…) unweigerlich verfällt er einer moralischen Dekadenz.» (Thomas Koebner: Federico Fellini, et+k 2010)

112 Min / sw / DCP / I/e // REGIE Mario Monicelli // DREHBUCH Agenore Incrocci, Furio Scarpelli, Suso Cecchi d’Amico,

174 Min / sw / DCP / I/d // REGIE Federico Fellini // DREH-

Mario Monicelli, nach der Kurzgeschichte «Furto in una pa-

BUCH Federico Fellini, Tullio Pinelli, Ennio Flaiano, Brunello

sticceria» von Italo Calvino (ungenannt) // KAMERA Gianni Di

Rondi // KAMERA Otello Martelli // MUSIK Nino Rota //

Venanzo // MUSIK Piero Umiliani // SCHNITT Adriana Novelli

SCHNITT Leo Catozzo // MIT Marcello Mastroianni (Marcello

// MIT Vittorio Gassman (Peppe), Marcello Mastroianni

Rubini), Anita Ekberg (Sylvia), Anouk Aimée (Maddalena),

­(Tiberio), Renato Salvatori (Mario Angeletti), Claudia Cardinale

Yvonne Furneaux (Emma), Alain Cuny (Steiner), Annibale

(Carmelina), Totò (Dante Cruciani), Carla Gravina (Nicoletta).

­Ninchi (Marcellos Vater), Adriano Celentano (Sänger).

IL BELL’ANTONIO

DIVORZIO ALL’ITALIANA

Der schöne Antonio, Sprössling einer einflussreichen sizilianischen Familie, kehrt nach einigen Jahren in Rom nach Catania zurück, wo er als vermeintlicher Frauenheld mythische Verehrung geniesst. Seine Heirat mit der hübschen Barbara

Der unglücklich verheiratete Baron Fefè begehrt seine jugendliche Cousine Angela. Weil eine Scheidung unmöglich ist, versucht Fefè seine Gattin Rosalia zum Ehebruch anzustiften, damit er sie mit Fug und Recht umbringen kann. Pietro

Italien/Frankreich 1960

Italien 1961


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Marcello Mastroianni Germis Satire über konservativen Katholizismus und die Dekadenz des Adels mit einem öligen Marcello Mastroianni gewinnt im MeToo-Zeitalter eine zusätzliche Note. «Als Hauptdarsteller verkörpert er in hervorragender Form den Typ eines neurotischen, listigen, falschen und jähzornigen Provinzlers, den man so leicht nicht vergisst.» (Alberto Moravia, L’Espresso, 14.1.1962) 105 Min / sw / DCP / I/d // REGIE Pietro Germi // DREHBUCH Ennio De Concini, Pietro Germi, Alfredo Giannetti // KAMERA Leonida Barboni, Carlo Di Palma // MUSIK Carlo Rustichelli // SCHNITT Roberto Cinquini // MIT Marcello Mastroianni (Baron Ferdinando «Fefè» Cefalù), Daniela Rocca (Rosalia Cefalù, seine Gattin), Stefania Sandrelli (Angela, seine Cousine), Leopoldo Trieste (Carmelo Patanè).

LA NOTTE

Italien/Frankreich 1961 24 Stunden im Leben des Schriftstellers Giovanni und seiner Frau Lidia, die sich im Laufe der Jahre auseinandergelebt haben. Das Absterben der Gefühle ist ein zentrales Thema, das Antonioni in seinen Filmen realistisch und unpathetisch verhandelt. «Wie da eine Party unter den oberen Zehntausend gefeiert oder vielmehr nicht gefeiert wird, wie die Gäste einsam auf Treppen sitzen oder in beziehungslosem Gespräch herumstehen, mit den Augen nicht das Gegenüber, sondern die Leere suchend, das ist geradezu eine Allegorie der Enttäuschung. (…) Mastroianni mit seiner Naivität, mit seiner Wärme und dümmlichen Resthoffnung und Moreau mit ihrer vollendeten Desillusionierung – das sind die beiden Prototypen des modernen Menschen, wie ihn Antonioni sieht. (…) Niemals auch hat ein Schwarzweissfilm mit so viel Recht auf Farbe verzichtet: Das Leben hat in Antonionis existenzialistischem Meisterwerk keine Farben mehr.» (Jens Jessen, Die Zeit, 31.3.2005) 122 Min / sw / 35 mm / I/d // REGIE Michelangelo Antonioni // DREHBUCH Michelangelo Antonioni, Ennio Flaiano, Tonino Guerra, nach einer Story von Michelangelo Antonioni, Ennio Flaiano, Tonino Guerra // KAMERA Gianni Di Venanzo // MUSIK Giorgio Gaslini // SCHNITT Eraldo Da Roma // MIT Marcello Mastroianni (Giovanni Pontano), Jeanne Moreau (Lidia Pontano), Monica Vitti (Valentina Gherardini), Bernhard Wicki (Tommaso Garani), Rosy Mazzacurati (Maria Teresa, «Resy»).

CRONACA FAMILIARE Italien 1962

«Der in Armut lebende Schriftsteller Enrico erfährt vom Tod seines jüngeren Bruders Lorenzo und ver-

sucht, sich sein Wesen in Erinnerung zu rufen, dessen Qualitäten er zu wenig und zu spät geschätzt hat. Lorenzo war nach dem Tod der Mutter bei seiner Geburt von einem reichen Baron adoptiert worden, die unterschiedliche Erziehung hatte die Brüder einander entfremdet. Valerio Zurlinis von Wehmut und gedeckten Farben geprägter, in einem leeren Florenz ohne Sonne spielender Film wurde beim Festival in Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet – gemeinsam mit Andrej Tarkowskijs Iwans Kindheit.» (Hans-Joachim Fetzer, Kino Arsenal Berlin, September 2022) «Nie zuvor und selten danach hat ein Regisseur zwingender mit Blicken und Gesten erzählt, eine Beziehung filmisch visueller und sensibler entwickelt und sich mutiger auf Pathos, Schmerz und Leid eingelassen. In meinen Augen ist Cro­ naca familiare einer der verkanntesten Filme der Kinogeschichte und Zurlini ein Regisseur, den man eigentlich in einem Atemzug mit Rosi, Pasolini, Fellini und Antonioni nennen müsste.» (Süddeutsche Zeitung, 19.11.1980) 113 Min / Farbe / 35 mm / I/e // REGIE Valerio Zurlini // DREHBUCH Mario Missiroli, Valerio Zurlini, Vasco Pratolini, nach einem Roman von Vasco Pratolini // KAMERA Giuseppe ­Rotunno // MUSIK Goffredo Petrassi // SCHNITT Goffredo Lombardo // MIT Marcello Mastroianni (Enrico), Jacques Perrin (Dino/Lorenzo), Valeria Ciangottini (Enzina), Salvo ­ Randone (Salocchi), Serena Vergano (Krankenschwester).

L’UOMO DEI CINQUE PALLONI / BREAK-UP Italien/Frankreich 1965

«Der Bonbonfabrikant Mario Fuggetta entwickelt einen Luftballon-Fetischismus und beschäftigt sich dermassen obsessiv mit der Frage, wie viel Luft ein Ballon aufnehmen kann, bis er platzt, dass darunter nicht nur das Verhältnis zu seiner Freundin Giovanna, sondern auch seine seelische Gesundheit leidet. Der erste von sechs Filmen, die Marco Ferreri mit Marcello Mastroianni drehte, wurde vom Produzenten Carlo Ponti um zwei Drittel gekürzt und als Episode in den Omnibusfilm Oggi, domani, dopodomani integriert. Nach einem Treffen mit Ponti konnte Ferreri 1967 eine farbige Traumszene nachdrehen und der ursprünglichen Fassung hinzufügen. Einen Kinostart des abendfüllenden Films gab es in Italien trotzdem nicht.» (Hans-Joachim Fetzer, Arsenal Berlin, Sept. 2022) 85 Min / sw / DCP / I/e // REGIE Marco Ferreri // DREHBUCH Marco Ferreri, Rafael Azcona // KAMERA Aldo Tonti // MUSIK Teo Usuelli // SCHNITT Renzo Lucidi // MIT Marcello Mastroianni (Mario), Catherine Spaak (Giovanna), William ­ Berger (Benny).


→ Lo straniero.

→ Cronaca familiare.

→ Allonsanfàn.

→ Viagem ao princípio do mundo.

→ La citta delle donne.

© 1962 WBEI

→ L’événement le plus important....


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Marcello Mastroianni

LO STRANIERO

Italien/Frankreich/Algerien 1967 In einer politisch angespannten Atmosphäre, in der die Franzosen noch immer die Kontrolle über Algier haben, wird ein Algerier am Strand ermordet und ein Franzose wegen Mordes verhaftet. «Luchino Viscontis verkanntester Film, eine bei ihrem Erscheinen – trotz erstaunlicher Werktreue – sehr gemischt aufgenommene, seither kaum gezeigte Adaption von Albert Camus’ ‹L'étranger›. Das angeblich Unverzeihliche: Die Schattenwelt, die existenzielle Leere, die den gleichgültigen Protagonisten des Buchs umgibt, wird von Visconti mit gewohnt sorgfältig rekonstruierter, realistischer Detailfülle versehen, der ebenso ungreifbare existenzialistische Anti-Held mit Psychologie und der Star-Präsenz von Marcello Mastroianni. Das Porträt absoluter Entfremdung, die Geschichte eines sinnlosen Mordes und seiner Folgen, muss sich hier – in typischer Visconti-Manier – den Platz mit einem Gesellschaftsporträt teilen. Viscontis Fremde: Algier in den 1930er-Jahren, durchwirkt von Rassismus und Spannungen zwischen den einheimischen Kolonisierten und den französischen Kolonisatoren.» (Christoph Huber, Österreichisches Filmmuseum, 1/2005) 104 Min / Farbe + sw / 35 mm / I/d/f // REGIE Luchino Visconti // DREHBUCH Luchino Visconti, Suso Cecchi d’Amico, Georges

107 Min / Farbe / DCP / I/e/d // REGIE Ettore Scola // DREHBUCH Agenore Incrocci, Furio Scarpelli, Ettore Scola // ­KAMERA Carlo Di Palma // MUSIK Armando Trovajoli // SCHNITT Alberto Gallitti // MIT Marcello Mastroianni (Oreste Nardi), Monica Vitti (Adelaide), Giancarlo Giannini (Nello), ­Manolo Zarzo (Ughetto), Marisa Merlini (Silvana, Adelaides Schwester), Bruno Scipioni (Pizzaiolo).

L’ÉVÉNEMENT LE PLUS IMPORTANT DEPUIS QUE L’HOMME A MARCHÉ SUR LA LUNE Frankreich/Italien 1973

«Der Fahrschullehrer Marco Mazetti lebt in Paris, von seiner Ehefrau Maria getrennt, mit der Friseuse Irène und dem Söhnchen Luca zusammen. Eines Abends, während einer Darbietung, fühlt sich Marco schlecht. (…) Die Diagnose [der Ärztin] schliesst anscheinend jeden Zweifel aus: Marco ist schwanger.» (Marcello Mastroianni: Seine Filme – sein Leben, Claudio G. Fava & Mathilde Hochkofler, 1982/1988) «Die ganze Komödie basiert auf dieser biologischen Absurdität und fällt – wider alle Erwartungen – bis zuletzt nicht ab; denn der groteske, fiktive Fall dient nur dazu, die Konsumgesellschaft zu verspotten, die ebendiesen Fall für ihre Zwecke ausbeutet. (…) Bereitwillig in sein Schicksal ergeben – das halten wir ihm zugute –, schöpft Mastroianni die Komik aus, die sich aus dieser merkwürdigen Situation ergibt.» (Rudi Berger, Corriere della Sera, 17.11.1973)

Conchon, Emmanuel Roblès, nach dem Roman von Albert ­Camus // KAMERA Giuseppe Rotunno // MUSIK Piero

96 Min / Farbe / DCP / F/d // DREHBUCH UND REGIE J­acques

­Piccioni // SCHNITT Ruggero Mastroianni // MIT Marcello

Demy // KAMERA Andréas Winding // MUSIK Michel Legrand

Mastroianni (Arthur Meursault), Anna Karina (Marie

// SCHNITT Anne-Marie Cotret // MIT Catherine Deneuve

­Cardona), Bernard Blier (Verteidiger), Pierre Bertin (Rich-

(Irène de Fontenoy), Marcello Mastroianni (Marco Mazetti),

ter), Alfred Adam (Staatsanwalt), Georges Wilson (Untersu-

Micheline Presle (Dr. Delavigne), Marisa Pavan (Maria

chungsrichter), Bruno Cremer (Priester), Marc Laurent

­Mazetti), Claude Melki (Lucien Soumain).

­(Emmanuel).

DRAMMA DELLA GELOSIA Italien/Spanien 1970

«Ein Mann muss sich wegen Mordes und Mordversuchs vor Gericht verantworten. Aber wie kam es zur Tat? Es begann mit einer langweiligen Ehe, dann kam eine schöne Frau wie aus dem siebten Himmel, dann kam der Nebenbuhler, dann die Experimente mit einer Dreierbeziehung, dann nur noch die Verwahrlosung, die Eifersucht und die Straftat. Ettore Scola meinte damals, er wolle mit dieser Komödie zeigen, wie die Arbeiterklasse kaputtgeht, weil sie auf eine schlechte Art die bürgerliche Kultur nachäfft. So ist es bis heute. Drama della gelosia ist eine herrliche Komödie, besetzt mit absoluten Göttern und Göttinnen der Filmkunst.» (Karlstorkino, Karlsruhe, 2014)

ALLONSANFÀN Italien 1974

«Fulvio Imbriani wird von Zweifeln geplagt: Er ist Mitglied einer revolutionären Geheimgesellschaft, weiss aber kaum mehr, warum – die Hoffnung ist ihm zur Qual geworden. Fulvio wäre froh, wenn er sich zurückziehen und seine Tage im Kreise der Familie, die Nächte mit seiner Geliebten Charlotte verbringen könnte. Den Genossen verschweigt er seine Hoffnungsmüdigkeit. Allonsanfàn erzählt von den Anfängen des Risorgimento, dem Jahr 1816 – spricht in Wirklichkeit aber über die Studentenbewegung, über das Jahr 1974. Damals wurde auch den kühnsten Schwärmern klar, dass die Veränderung der Gesellschaft komplizierter, vor allem langwieriger ist, als man zuvor dachte.» (Olaf ­Möller, Österreichisches Filmmuseum, 2011)


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Marcello Mastroianni 115 Min / Farbe / 35 mm / I/e // DREHBUCH UND REGIE P ­ aolo und Vittorio Taviani // KAMERA Giuseppe Ruzzolini // MUSIK Ennio Morricone // SCHNITT Roberto Perpignani // MIT ­Marcello Mastroianni (Fulvio Imbriani), Lea Massari (Charlotte), Mimsy Farmer (Francesca), Laura Betti (Esther, Fulvios Schwester), Claudio Cassinelli (Lionello), Bruno C ­ irino (Tito), Benjamin Lev (Vanni «Peste»), Luisa De Santis (Fiorella), Renato De Carmine (Costantino, Fulvios Bruder).

sophischen und fantastischen Typs auf, in der jeder Ton stimmt.» (Pierre Lachat, Tages-Anzeiger, 1981) 96 Min / Farbe / 35 mm / I/d // REGIE Dino Risi // DREHBUCH Dino Risi, Bernardino Zapponi, nach einem Roman von Mino Milani // KAMERA Tonino Delli Colli // MUSIK Riz Ortolani // SCHNITT Alberto Gallitti // MIT Romy Schneider (Anna), Marcello Mastroianni (Nino Monti), Eva Maria Meineke ­

TODO MODO Italien 1976

«Ein satirischer ‹giallo› als Kammerspiel: Wie jedes Jahr begibt sich die Führungselite Italiens, Grössen aus Wirtschaft, Kirche und Politik, darunter der Staatspräsident ‹M›, an einem abgeschiedenen Ort in Klausur. Schauplatz ist eine Klosteranlage, der Pater Don Gaetano vorsteht. Hier werden weniger die drängenden Probleme des Landes besprochen, vielmehr wird an Machtpositionen und Netzwerken gefeilt. Doch dann werden, während im Land eine Epidemie grassiert, auch hinter den Klostermauern Leichen gefunden. Petris Verfilmung eines Romans von Leonardo Sciascia entwirft ein bestürzendes Bild der Verhältnisse der späten ‹bleiernen Jahre› in Italien. Anspielungen auf Aldo Moro und seinen ‹historischen Kompromiss› sind unverkennbar und werden wenige Jahre später von einer tödlichen Realität eingeholt.» (Arsenal Berlin, Nov. 2013) 130 Min / Farbe / DCP / I/e // REGIE Elio Petri // DREHBUCH Elio Petri, Berto Pelosso, nach dem Roman von Leonardo Sciascia // KAMERA Luigi Kuveiller // MUSIK Ennio Morricone // SCHNITT Ruggero Mastroianni // MIT Gian Maria ­Volonté (M), Marcello Mastroianni (Don Gaetano), Mariangela Melato (Giacinta), Michel Piccoli («Er»), Renato Salvatori (Scalambri), Ciccio Ingrassia (Voltrano), Franco Citti (der Chauffeur).

­(Teresa Monti), Victoria Zinny (Loredana), Wolfgang Preiss (Graf Zighi), Paolo Baroni (Ressi), Giampiero Becherelli (Prof. ­Arnaldi), Michael Kroecher (Don Gaspare).

LA CITTÀ DELLE DONNE Italien/Frankreich 1980

Im Zug sitzt der notorische Schürzenjäger Snàporaz einer verführerischen Frau gegenüber. Er folgt der Schönen und landet so in einem abgelegenen Hotel. Zu seinem Entsetzen tagt dort gerade ein Feministinnen-Kongress, für dessen Teilnehmerinnen Snàporaz ein gefundenes Fressen ist. «Fellini gelingt das Porträt eines nicht mehr jungen Mannes, der verwirrt und verängstigt auf die Frauenbewegung reagiert. (…) Mastroianni vermag wie kein anderer den weichen, unbestimmten, gedankenträgen Mann zu spielen, zu dessen Lebenserfahrung aber auch gehört, dass sich Frauen ihm freundlich, vielleicht sogar erotisch animiert nähern. Er ist ein verwöhnter Mann – desto mehr verletzt ihn der Angriff der Frauen, versetzt ihn in tiefe Ratlosigkeit, aus der er sich nur dadurch heraushelfen kann, dass er sich auf seine alte Identität zurückzieht, also nichts lernt.» (Thomas Koebner: Federico Fellini, et+k 2010) 139 Min / Farbe / DCP / I/d // REGIE Federico Fellini // DREHBUCH Federico Fellini, Bernardino Zapponi, Brunello Rondi // KAMERA Giuseppe Rotunno // MUSIK Luis Enriquez Bacalov

FANTASMA D’AMORE

Italien/Frankreich/BRD 1980 In guten Verhältnissen lebend, aber nicht besonders glücklich verheiratet, trifft der Rechtsanwalt Nino Monti im Bus auf eine ältere Frau. Als sich herausstellt, dass es Anna, die grosse Liebe seiner Jugend, ist, reagiert er zunächst schockiert. Damals war sie eine blühende Schönheit, jetzt sieht sie alt und verhärmt aus. Doch der Gedanke an Anna lässt ihn nicht mehr los. Als er Nachforschungen anstellt, erfährt er, dass sie schon seit drei Jahren tot ist. Doch dann steht Anna plötzlich vor ihm, jung und schön wie vor 20 Jahren.«Sonst eher auf laute satirische Grotesken und Sexkomödien abonniert, wartet Risi diesmal mit einer verhaltenen, melancholischen Erzählung des philo-

// SCHNITT Ruggero Mastroianni // MIT Marcello Mastroianni (Snàporaz), Ettore Manni (Katzone), Bernice Stegers (Frau im Zug), Anna Prucnal (Snàporaz’ Frau), Donatella Damiani (Donatella), Iole Silvani (Motorradfahrerin), Fiammetta Baralla (Onlio), Dominique Labourier (eine Feministin).

CHE ORA È

Italien/Frankreich 1989 Ein 60-jähriger Rechtsanwalt verbringt mit seinem erwachsenen Sohn einen Tag in dessen Garnisonsstadt. Doch die Zweisamkeit ist brüchig. Zusehends begreift der Vater, wie wenig er von seinem Sohn weiss. Dieser selbst glaubt, dass der Vater sich nie ändern und immer die dominierende Persönlichkeit bleiben wird, die anderen keine Freiräume lässt.


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Marcello Mastroianni «Die Annäherung schmerzt – nur das Publikum nicht. Denn da ist ein Dialog, der jederzeit geistreich und voller vielsagender Feinheiten ist. Da sind zwei perfekt harmonierende Komödianten, und da ist eine Regie, die deren Manierismen – Massimo Troisis neapolitanisches Genuschel und Marcello Mastroiannis Sentimentalität – präzis zu dosieren weiss.» (Andreas Furler, züritipp, 24.7.1990) 97 Min / Farbe / 35 mm / I/e // REGIE Ettore Scola // DREHBUCH Beatrice Ravaglioli, Ettore Scola, Silvia Scola // ­KAMERA Luciano Tovoli // MUSIK Armando Trovajoli // SCHNITT Raimondo Crociani // MIT Marcello Mastroianni

teils Biografie, teils philosophisches Nachdenken über das Kino und die Kunst des Schauspielers, zeichnet dieser lange und liebevolle Film ein grossartiges Porträt eines Mannes, der seinen Beruf als Kind ergriff, sein Handwerk auf der Bühne verfeinerte und mehr als 170 Filme drehte (…). ‹Ich mag Menschen›, sagt er. ‹Ich liebe das Leben.› Mi ricordo, si, io mi ricordo macht Lust, die grossen Filme des bemerkenswerten Schauspielers noch einmal zu sehen. Dieser reichhaltige, witzige Dokumentarfilm macht deutlich, wie sehr die Kunst des Kinos durch seinen Verlust verarmt ist.» (Lawrence van Gelder, New York Times, 13.8.1999)

(Marcello, der Vater), Massimo Troisi (Michele, der Sohn), Anne Parillaud (Loredana, Micheles Freundin), Renato

206 Min / Farbe / DCP / I/e // DREHBUCH UND REGIE Anna

­Moretti (Sor Pietro), Lou Castel (der stumme Fischer).

Maria Tatò // KAMERA Giuseppe Rotunno // ­MUSIK Armando Trovajoli // SCHNITT Anna Maria Tatò //

DER SCHWEBENDE SCHRITT DES STORCHES (To meteoro vima tou pelargou) Griechenland/Frankreich/Schweiz 1991

Ein Fernsehjournalist forscht an der Grenze zur Türkei nach einem verschwundenen Schriftsteller und Politiker. In dem kleinen griechischen Grenzort haben sich Asylanten aus dem Fernen und dem Nahen Osten versammelt, unter ihnen möglicherweise der Gesuchte, der sich auf einfache Lebensformen besonnen hat. Es bleibt offen, ob er nicht erkannt werden will oder ein Gestrandeter unter anderen ist. «Ein filmisches Meisterwerk voller (kino-)magischer Momente und mit ungeheurem Reichtum, ein philosophischer und politischer Diskurs über Grenzen zwischen Ländern und Kulturen, über die Grenzlinien in jedem Einzelnen. Der Film lotet das Überschreiten dieser Linien aus und registriert voller Trauer den Verlust von Utopien.» (Lexikon des int. Films) 139 Min / Farbe / 35 mm / Gr/d/f // REGIE Theo Angelopoulos // DREHBUCH Theo Angelopoulos, Tonino Guerra, Petros Markaris, Thanassis Valtinos // KAMERA Giorgos Arvanitis, Andreas Sinanos // MUSIK Eleni Karaindrou // SCHNITT Yannis Tsitsopoulos // MIT Marcello Mastroianni (Politiker/ Verschwundener), Jeanne Moreau (die Frau des Politikers), Gregory Karr (Reporter), Dora Chrysikou (Mädchen), Ilias Logothetis (Oberst), Vassilis Bouyiouklakis (Produktionsleiter).

MARCELLO MASTROIANNI: MI RICORDO, SÌ, IO MI RICORDO Italien 1997

«Mi ricordo, si, io mi ricordo ist das Werk von Anna Maria Tatò, der Partnerin von Marcello Mastroianni in den letzten 22 Jahren seines rastlosen wie erfolgreichen Lebens. Teils Reisebericht,

VIAGEM AO PRINCÍPIO DO MUNDO Portugal/Frankreich 1997

«Ein alternder Regisseur namens Manoel (als ­Alter Ego des Regisseurs Manoel de Oliveira) begleitet drei befreundete Schauspielleute auf eine lange Autoreise durch Portugal, damit Afonso seine Tante Maria kennenlernen kann, die er noch nie gesehen hat. Mit dabei sind auch der sardonische Marxist Duarte und die beeindruckbare Judite, die Manoel in einen Dialog über das Alter, die Erinnerung und das Vergehen der Jugend verwickeln. (…) Viagem ao princípio do mundo ist ein leuchtender und geistreicher Film des Regisseurs Manoel de Oliveira, dessen Karriere mit dem Eintritt in die 1990er-Jahre an Fahrt aufgenommen zu haben scheint; er war 89, als er diesen Film drehte. Es ist auch der 171. und letzte Film von Marcello Mastroianni. Mastroianni wusste, dass er an Krebs erkrankt war, als er mit den Dreharbeiten begann, auch wenn man ihm sein Gebrechen nicht ansieht; am Ende der Dreharbeiten war klar, dass das Projekt sein letzter Leinwandauftritt sein würde. Oliveira widmete den fertigen Film Mastroianni, der kurz vor seiner Veröffentlichung starb. (…) Für viele ist (…) [Via­ gem ao princípio do mundo] das Meisterwerk von Oliveira.» (Wheeler Winston Dixon, senseofcinema.com, Okt. 2005) 95 Min / Farbe / 35 mm / Port/e // REGIE Manoel de Oliveira // DREHBUCH Manoel de Oliveira // KAMERA Renato Berta // MUSIK Emmanuel Nunes // SCHNITT Valérie Loiseleux // MIT Marcello Mastroianni (Manoel), Jean-Yves Gautier (Afonso), Leonor Silveira (Judite), Diogo Dória (Duarte), Isabel de Castro (Maria Afonso), Cécile Sanz de Alba (Christina), José Pinto (José Afonso), Isabel Ruth (Olga).


→ Marie-Louise.

→ Die letzte Chance.

→ Frauennot – Frauenglück.


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100 Jahre Praesens: Zwischen Anpassung und Widerstand Die Zürcher Produktionsfirma Praesens-Film AG drehte zahlreiche der wichtigsten und beliebtesten Filme der Schweizer Geschichte. Ihre Bedeutung ging jedoch weit über die Landesgrenzen hinaus, auch im Ausland feierten die Filme grosse Erfolge, wovon nicht zuletzt vier Oscars zeugen. Nun feiert Praesens sein 100-jähriges Bestehen, und parallel zur grossen Ausstellung im Landesmuseum wirft die von Olaf Möller kuratierte Retrospektive einen Blick auf ein Unternehmen, dem in seinen Produktionen der Spagat zwischen progressiven ­Idealen und staatspolitischem Konsens gelang.

Vor rund einem Jahrhundert, genau gesagt am 19.3.1924, gründeten der im polnischen Piotrków Trybunalski geborene Brückenbauingenieur Lazar Wechsler und der St. Galler Flieger-Abenteurer Walter Mittelholzer die Praesens-Film AG zu Zürich. Aus heutiger Perspektive kann man sagen: Damit ward – endlich – der Grundstein gelegt für eine systematische Filmproduktion in der Schweiz. Es brauchte allerdings das tönende Kino, um die Praesens ins Spielfilmgeschäft zu locken – zuvor konzentrierte man sich auf Dokumentar-, Expeditions-, Auftrags- und Werbefilme. Die grosse Zeit der Praesens waren die 1940er und frühen 1950er, als die Firma zum Mass aller liberalen Dinge des Kinos wurde – weltweit. Meisterwerke wie Marie-Louise (1944), Die letzte Chance (1945), Die Vier im Jeep (1950) und Unser Dorf (1953), alle realisiert von Praesens-Hausregisseur ­Leopold Lindtberg, wurden gerne als zentrale Diskussionsbeiträge zu den grossen Fragen der Zeit verstanden. Ihr Humanismus, der sich querstellte zu den ideologischen Frontverläufen erst des Zweiten Welt- und dann des Kalten Krieges, galt als vorbildlicher, sich jeglichen Radikalisierungen gen rechts oder links verweigernder, damit allgemein akzeptabler politischer Mittelgrund. Der gebürtige Wiener Lindtberg war im Übrigen erst der zweite Regisseur überhaupt, dem es gelang, den Hauptpreis von zwei A-Festivals zu gewinnen: 1946 gehört Die letzte Chance zu jenen elf Werken, die sich den Grand Prix des ersten Filmfestivals von Cannes ex aequo teilten, 1951 wird Die Vier im Jeep dann bei der ersten Berlinale mit dem Goldenen Bären (Bestes Drama) ausgezeichnet. Wenn man bedenkt, wie politisch aufgeladen Filmfestivals in der frühen Nachkriegszeit waren – regelrechte diplomatische Kraftakte, bei denen gerne mal auch Politiker, Gewerkschaftsfunktionäre etc.


34 in den Jurys sassen –, dann kann man erahnen, was diese beiden Anerkennungen für einen extrem hohen Symbolwert für die Schweiz hatten, die im Praesens-Spiegel zum Vorbild der zivilisierten Welt wurde.

Staatspolitisch suspekt Was weniger bekannt sein dürfte, sind die politischen Reibereien gerade hinter Die letzte Chance. Während der Produktion wurde dieser Film massivst von behördlichen Seiten angegangen, da er als Kritik an der fragwürdigen Schweizer Flüchtlingspolitik verstanden werden konnte. Was also ab 1945 als Monument Schweizer Anstandes galt, war zuerst einmal staatspolitisch suspekt. Und das blieb kein Einzelfall: Franz Schnyder, der mitWilder Urlaub (1943), einem Film über einen Soldaten, der glaubt seinen Vorgesetzten erschlagen zu haben und in der Folge desertiert, am Mythos der Schweizer Wehrhaftigkeit kratzte, wurde danach als politisch Suspekter polizeilich überwacht: Da sass dann wenig subtil ein Beamter im Atelier während der Dreharbeiten von Uli der Knecht (1954) und Uli der Pächter (1955) und berichtete, was am Set geschah; Schnyders zu trauriger Berühmtheit gelangter Verfolgungswahn hatte seine Gründe. Das Verhältnis zwischen der Praesens und dem Schweizer Staat war also um einiges komplexer, als es oft den Anschein hat: Für jedes Werk, das Anstoss erregte, ob nun geplant oder nicht, findet sich ein Film, der sich in den Dienst der Regierung stellte – für jeden Wilder Urlaub gibt es einen ­Füsilier Wipf. Aus der schweizerischen Grenzbesetzung 1914/1918 (1938, Leopold Lindtberg & Hermann Haller). Dieser Balanceakt, der ja auch finanziell funktionieren musste, schaut sich heute wie eine Geschichte der Schweiz von den 1930ern bis in die späten 1960er an. Aus diesem Grund haben wir diesen Aspekt der Firmengeschichte ins Zentrum unserer Hommage zum 100-jährigen Jubiläum gestellt. Dass wir dabei eine Auswahl treffen, verdichten mussten, versteht sich von selbst und betrifft vor allem auch das Schaffen von Leopold Lindtberg. Man kann eigentlich jeden Lindtberg-Film zeigen und eine Auslotung Schweizer Politverhältnisse darin sehen – selbst in scheinbar geradlinigen Genrearbeiten wie seinen ausserordentlichen Glauser-Adaptionen. Die Praesens arbeitete jedoch auch mit anderen Giganten des Deutschschweizer wie überhaupt des internationalen Kinos zusammen, allen voran der schon erwähnte Franz Schnyder, dessen erstes Jeremias-Gotthelf-Epos, Uli der Knecht und Uli der Pächter, sich gut als Staatswerk eignet. Genau so hatten 1981 die beiden Historiker Werner ­Wider und Felix Aeppli die gesamte Produktion des alten Schweizer Film in ihrem Buch charakterisiert. Aber war diese Kinokultur wirklich so statuarisch-konservativ, wie es diese Beschreibung nahelegt?


35 Komplexe Geschichte Die Geschichte der Praesens liest sich komplexer. Die Anfänge sind klar progressiv grundiert, wie es speziell Richard Schweizers für die Sozialdemokratische Partei der Schweiz (SPS) realisierter Ein Werktag (1931) zeigt, der fünf Werktätige in Zürich begleitet; und auch zum Ende der Praesens-Spielfilmproduktionszeit findet sich beispielsweise mit Aleksander Fords Der Arzt stellt fest (1966) ein Film, der sich dem Thema Schwangerschaftsabbruch widmet. Doch wie wirkt in diesem Kontext ein Werk wie Kurt Hoffmanns Die Ehe des Herrn Mississippi (1961), für das Friedrich Dürrenmatt seine «stilisierte Komödie mit mehreren Leichen» zu einem Traktat über die Eitelkeit allen Weltverbesserertums verdichtete? Wenn sich Filme wie Die letzte Chance noch über den Links-rechts-Widerspruch hinwegsetzen konnten, zeigt sich hier gut 20 Jahre später in einer schier ausweglosen Weise, dass die politischideologischen Gegensätze der Zeit und Welt unentrinnbar ineinander verwunden sind. Die Weltverbesserer und ihre Nächsten in Hoffmanns Werk sind nun ineinander verwoben und scheinen sich oft sogar zu bedingen. Beginnt hier vielleicht das Ende der Praesens? Gab es die Welt nicht mehr, für die man dekadenlang produziert hatte? Und wollte man sich mit der neuen Welt gemein machen? Wenige Jahre später stellte die Praesens ihre Produktion ein. Heute erweisen sich viele der Filme komplexer, als sie zu ihrer Zeit zumeist diskutiert wurden. Kann sein, dass die Praesens uns heute beim genauen Betrachten durch eine Frische wie auch einen Einfallsreichtum überrascht, den man sich nicht erwartet hat. Olaf Möller

Olaf Möller (Köln/Helsinki). Schreibt über und zeigt Filme. Parallel zur Retrospektive findet im Landesmuseum Zürich die Ausstellung «Close-up, eine Schweizer Filmgeschichte» statt.


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→ Ueli der Pächter.

→ Unser Dorf.

→ Füsilier Wipf.

→ Taxichauffeur Bänz.

→ Wilder Urlaub.


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100 Jahre Praesens

ZÜRICH BAUT ­ (Schweiz 1938)

KINO-KONZERT: DAS GENOSSENSCHAFTLICHE ZÜRICH (Schweiz 1929)

Mythos und Wirklichkeit des Roten Zürich in zwei Schlüsselwerken der Epoche: Das genossen­ schaftliche Zürich wurde von einem Zusammenschluss aus 19 Genossenschaften produziert; im Mittelpunkt steht das Baugewerbe, welches so deutlich das Stadtbild von Zürich verändert hat – eine Vorzeigeleistung der Genossenschaftsbewegung. Zürich baut zeigt rund zehn Jahre später, wie sich die Stadt weiter verändert hat. In diesem Fall zeichnete das Tiefbauamt der Stadt Zürich finanziell verantwortlich für das Projekt. Bei allem Stolz auf Geleistetes kommt man bei beiden Filmen aus dem Staunen nicht heraus, mit welcher Härte sie die Arbeits- wie Lebenswirklichkeit durchschnittlicher Werktätiger zeigen. (om) ZÜRICH BAUT 49 Min / sw / DCP / D // KAMERA Emil Berna, L. Wullimann // MUSIK Tibor Kasics. DAS GENOSSENSCHAFTLICHE ZÜRICH 93 Min / sw / DCP / Stummfilm mit d Zw’titel DI, 9. JAN. | 18.00 UHR Live-Musik: Martin Christ (Piano)

KINO-KONZERT: EIN WERKTAG Ein im Auftrag der SPS gedrehter Film, der im Rahmen einer Nationalrats-Wahlkampagne landesweit an politischen Veranstaltungen einsetzbar sein sollte. «Ein Werktag zeugt von der Geschicklichkeit der Praesens-Film in der Ausführung eines inhaltlich genau definierten Auftrags und vom grossen Talent des Chefkameramanns Emil Berna. (...) Der Film beschreibt den Alltag von fünf Werktätigen in einer nicht genannten, aber gut erkennbaren Stadt (Zürich) vom Aufstehen bis zur Rückkehr nach Hause. (...) Parallel dazu sehen wir, wie in einem typografischen Betrieb politische Texte gesetzt und gedruckt werden. (...) Auch als eindeutiger ‹Gebrauchsfilm› ist dieses Werk eines der interessantesten der Schweizer Produktion der Zwischenkriegszeit.» (Roland Cosandey) Zum Auftakt: [Publicité Guigoz] Une vie de bon­ heur / Ein glückliches Leben (1924–25)

EIN WERKTAG 69 Min / sw / DCP / Stummfilm mit d Zw’titel // DREHBUCH UND REGIE Richard Schweizer // KAMERA Emil Berna // SCHNITT Richard Schweizer. UNE VIE DE BONHEUR / EIN GLÜCKLICHES LEBEN 10 Min / sw / DCP / Stummfilm mit d/f Zw’titel DI, 23. JAN. | 18.30 UHR Live-Musik: André Desponds

FÜSILIER WIPF Schweiz 1938

Wenn das Vaterland rief, stand man bereit. Füsilier Wipf. Aus der schweizerischen Grenzbesetzung 1914/1918 ist so etwas wie Propaganda in Bezug auf zu erwartende Ereignisse: Etwas weniger als fünf Monate nach dem «Anschluss» Österreichs an Nazideutschland erinnerte dieser Film die Schweizer Zuschauer:innen daran, dass ihm die sich abzeichnende Situation nicht neu ist, dass es Ähnliches mit Anstand überstanden hat und als Gemeinschaft gestärkt daraus hervorging. Wichtig ist hier, wie der Film sich als Gesamtschweizer Werk positioniert: Wipf dient im Wallis, im Tessin und im Jura – die Praesens überwindet hier ihren Schwerpunkt in der deutschsprachigen Schweiz, genau genommen in Zürich. Wie man’s auch erwarten sollte vom ersten Beitrag des Hauses zur Geistigen Landesverteidigung – eine Haltung, mit der sich Wechsler, Lindtberg et.al. nicht so leicht gemein machten. (om) 112 Min / sw / Digital HD / Dialekt/d, wahlweise mit Audio­ deskription // REGIE Leopold Lindtberg, Hermann Haller // DREHBUCH Richard Schweizer, Robert Faesi, nach der ­Novelle von Robert Faesi // KAMERA Emil Berna // MUSIK Robert Blum // SCHNITT Käthe Mey, Hermann Haller // MIT Paul Hubschmid (Reinhold Wipf), Heinrich Gretler (Leu), ­Robert Troesch (Meisterhans), Zarli Carigiet (Schatzli), Max Werner Lenz (Hungerbühler), Wolfgang Heinz (tschechischer Flüchtling), Sigfrit Steiner (Oberleutnant), Erwin Kalser (Herr Godax), Lisa Della Casa (Vreneli), Emil Hegetschweiler (Coiffeur Wiederkehr), Elsie Attenhofer (Rosa Wiederkehr), Alfred Rasser (Notar Schnurrenberger).

WILDER URLAUB Schweiz 1943

Ein Deserteur flieht durch den strömenden Regen, im Glauben, seinen Vorgesetzten erschlagen zu haben. In einer Pension in der Zürcher Altstadt findet er Unterkunft, aber die Albträume


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100 Jahre Praesens plagen ihn weiter. Als er einem anderen Untermieter zivile Kleider stehlen will, wird er entdeckt, mit gezückter Pistole gestellt – und gesteht: Ein alter Schulkamerad aus reichem Hause hat sich von ihm, dem Arbeitersohn, im Laufe der Jahre distanziert, ihn dann als Vorgesetzter beim Militär schikaniert. Die Aussprache hat unerwartete Folgen. «Eine Art Schweizer Noir avant la lettre, visuell einfallsreich und kompakt inszeniert trotz problematischer Entstehungsgeschichte – Behörden und Armee erzwangen Änderungen wegen der (militär-)kritischen Tendenzen, das Publikum lehnte den finsteren, ‹unerwünschten› Film ab, sein Hauptdarsteller ging in die DDR, für den Regisseur Schnyder folgten zehn Jahre Zwangspause. Heute scheint er unglaublich. Eine Wiederentdeckung.» (Christoph Huber, Österreich. Filmmuseum 3/2005) 84 Min / sw / 35 mm / Dialekt/f // REGIE Franz Schnyder // DREHBUCH Franz Schnyder, Richard Schweizer, Kurt Guggen­ heim, nach dem Roman von Kurt Guggenheim // KAMERA Emil Berna // MUSIK Robert Blum // SCHNITT Hermann Haller // MIT Robert Troesch (Mitrailleur Hermelinger), Paul Hubschmid (Fritz Hablützel), Robert Freitag (Feldweibel Epper), Adolf Manz (Emil Ruttishuser), Elfriede Volker (Frau Ruttishuser), Sylva Denzler (Emma Quadri), Johannes Steiner (Dr. Krebser, der Arzt), Max Werner Lenz (Lampenverkäufer).

MARIE-LOUISE Schweiz 1944

«Mitten im Krieg 1943 entstanden, erzählt Leopold Lindtbergs Marie-Louise vom Mädchen aus dem besetzten Frankreich, das für drei Monate in die neutrale Schweiz reisen darf, um hier Ferien von den erlebten Gräueln zu machen. Danach: Ruckzuck, über die Grenze abgeschoben, zurück in den Krieg. So wollte es die offizielle Schweiz. Nicht alle befürworteten diese Flüchtlingspolitik, und so machen in Marie-Louise Schweizer Arbeiter und ein Fabrikdirektor gemeinsam Front gegen Unmenschlichkeit und verordnete Leisetreterei. Aus heutiger Sicht wirkt das alles ein wenig unscharf. Zu seiner Zeit aber bedeutete Ma­ rie-Louise ein Wagnis für Lazar Wechslers Praesens, die auch im vierten Kriegsjahr unvermindert den Schikanen von Hitlers Freunden in Schweizer Armee, Verwaltung und Politik ausgesetzt war. Mit Marie-Louise unterstrich die Truppe um den Flüchtling und Antifaschisten Lindtberg nachdrücklich, dass man nicht gewillt war, die Geistige Landesverteidigung widerstandslos den unheimlichen Patrioten zu überlassen.» (Benedikt Eppenberger, filmo.ch)

103 Min / sw / DCP / Dialekt+F/d // REGIE Leopold Lindtberg // DREHBUCH Richard Schweizer // KAMERA Emil Berna // MUSIK Robert Blum // SCHNITT Hermann Haller // MIT ­Josiane Hegg (Marie-Louise Fleury), Heinrich Gretler (Direktor Rüegg), Anne-Marie Blanc (Heidi Rüegg), Margrit Winter (Anna Rüegg), Armin Schweizer (Lehrer Bänninger), Mathilde Danegger (Päuli), Fred Tanner (Robert Scheibli), Emil Gerber (Ernst Schwarzenbach), Bernard Ammon (André), Pauline Carton (Frau Gilles), Germaine Tournier (Frau Fleury), Jean Hort (Vater Deschamps).

DIE LETZTE CHANCE Schweiz 1945

Norditalien, 1943: Ein britischer und ein amerikanischer Soldat fliehen aus einem deutschen Gefangenentransport. In einem Bergdorf treffen sie auf einen Priester, der jüdische Flüchtlinge versteckt und die beiden überredet, diese verzweifelten Menschen auf einem gefährlichen Weg über die Berge in die neutrale Schweiz zu begleiten. Es ist ihre letzte Chance ... «Die letzte Chance ist ohne Zweifel Lindtbergs Meisterwerk. (...) Man tut dem Film Unrecht an, wenn man heute meinen zu dürfen glaubt, dass er eine Art offizieller Film über die Schweiz gewesen sei. Das Gegenteil trifft zu, die Filmemacher bekamen den Widerstand der Ämter zu spüren, den Unmut der Behörden, die sich durch den Stoff des Films und die Tatsache, dass er überhaupt gedreht wurde, dem Vorwurf des neutralitätswidrigen Verhaltens ausgesetzt sehen wollten.» (Martin Schlappner, in: Vergangenheit und Gegenwart des Schweizer Films 1896–1987) 113 Min / sw / DCP / E+I+D+F/d // REGIE Leopold Lindtberg // DREHBUCH Richard Schweizer, Elizabeth Scott-Montagu, ­Alberto Barberis, David Wechsler // KAMERA Emil Berna // MUSIK Robert Blum // SCHNITT Hermann Haller // MIT Ewart G. Morrison (Major Telford), John Hoy (Leutnant John Halliday), Ray Reagan (Sgt. James R. Braddock), Therese Giehse (Frau Wittels), Eduardo Masini (Wirt), Luisa Rossi (Tonina), Sigfrit Steiner (Schweizer Militärarzt), Leopold Biberti (Oberleutnant Brunner), Robert Schwarz (Bernhard Wittels), Emil Gerber (Grenzwächter Rüedi), Germaine Tournier (Madame Monnier).

THE VILLAGE

(Unser Dorf) Schweiz/GB 1953 Situiert ist der Film in einem Pestalozzi-Dorf, wo Kinder aus ganz Europa, fast alle gezeichnet von den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges, teilhaben an einem Experiment in friedlichem Miteinander. Und nicht nur die Kinder, sondern auch


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100 Jahre Praesens das Personal kommt aus vielen verschiedenen Ländern – was genauso viel Problemstoffe wie Lösungsansätze mit sich bringt ... Ein utopischer Film verankert in der konkreten Nachkriegswirklichkeit, in seiner Originalfassung in einem aufregenden, weil wahren Mischmasch der Sprachen und Dialekte gehalten. Könnte man sagen, The Village ist die Realisierung jener Vision, mit der Marie-Louise endet, nämlich im internationalistischen Geist von Die letzte Chance? (om) Gezeigt wird die restaurierte Fassung der internationalen Version. 93 Min / sw / DCP / E/d/f // REGIE Leopold Lindtberg // DREHBUCH Leopold Lindtberg, Kurt Früh, Elizabeth Montagu, Peter Viertel, David Wechsler // KAMERA Emil Berna // MUSIK ­Robert Blum // SCHNITT Gordon Hales // MIT John Justin (Alan Manning), Eva Dahlbeck (Wanda Piwonska), Sigfrit Steiner (Heinrich Meili), Mary Hinton (Frau Worthington), ­ ­Wojciech Wojtecki (Doktor Stefan Zielinski), Guido Lorraine (Herr Karginski).

ULI DER KNECHT

ULI DER PÄCHTER Schweiz 1955

«Seit zwei Jahren führen Uli und Vreneli den Glunggenhof in Pacht, sie sind glücklich zusammen und haben ein Töchterchen. Joggeli und seine Frau, Besitzer der Glungge, haben sich ins Stöckli zurückgezogen. Die Ernten sind gut gewesen, das dritte Jahr fängt aber schlecht an. Um die Rechnungen bezahlen zu können, muss Uli den Weizen zu einem Spottpreis verkaufen. Darsteller, Techniker und Schauplätze sind grösstenteils dieselben wie im ersten Uli, dieser wird aber in mehrerer Hinsicht übertroffen: Richard Schweizers Drehbuch ist besser strukturiert, dichter und präziser auf die Wirrungen und moralischen Anfechtungen des Jungbauern konzentriert, dem das Glück den Verstand vorübergehend dermassen benebelt, dass er sogar Bescheidenheit und Redlichkeit vergisst.» (Hervé Dumont: Geschichte des Schweizer Films, 1987) 115 Min / sw / 35 mm / Dialekt // REGIE Franz Schnyder // DREHBUCH Richard Schweizer, Werner Düggelin, Franz

Schweiz 1954

Schnyder, nach einem Roman von Jeremias Gotthelf //

Ein leichtsinniger junger Bursche und Schürzenjäger entwickelt sich zum pflichtbewussten Mann, der am Ende eine geliebte Frau findet und vom Bodenbauern, in dessen Diensten er steht, den Hof erhält. «Im Werk von Jeremias Gotthelf nahm Franz Schnyder eine noch längst nicht überholte und tatsächlich nie auch überholbare Aktualität wahr. Eine Aktualität, durch welche sich eine kritische Haltung gegenüber der hemmungslos vorangetriebenen Entwicklung unseres Landes in eine Gesellschaft der totalen Industrialisierung und Kommerzialisierung, der Zerstörung von Umwelt durch deren ausbeuterische wirtschaftliche Nutzung und der Entfremdung der Menschen durch deren Funktionalisierung und Vermassung ausdrücken lassen würde.» (Martin Schlappner, in: Vergangenheit und Gegenwart des Schweizer Films 1896–1987)

Hans Heinrich E ­gger, Hermann Haller // MIT Hannes

115 Min / sw / 35 mm / Dialekt // REGIE Franz Schnyder // DREHBUCH Richard Schweizer, Werner Düggelin, Franz Schnyder, nach dem Roman «Wie Uli der Knecht glücklich wird» von ­Jeremias Gotthelf // KAMERA Emil Berna // MUSIK Robert Blum // SCHNITT Hans-Heinrich Egger, Hermann ­Haller // MIT Hannes Schmidhauser (Uli), Liselotte Pulver (Vreneli), Heinrich Gretler (Johannes, Bodenbauer), Gertrud Jauch ­(Bodenbäuerin), Emil Hegetschweiler (Joggeli, Glunggenbauer), Hedda Koppé (Glunggenbäuerin), Marianne Matti (Elisi, ihre Tochter), Erwin Kohlund (Johannes, ihr Sohn), Stephanie Glaser (Trinette, dessen Frau), Alfred Rasser ­ (Baumwollhändler), Elisabeth Schnell (Annelise), Max Haufler (Karrer).

­KAMERA Emil Berna // MUSIK Robert Blum // SCHNITT ­Schmidhauser (Uli), Liselotte Pulver (Vreneli, seine Frau), Emil Hegetschweiler (Joggeli), Hedda Koppé (Glunggenbäuerin), Leopold Biberti (Hagelhannes), Marianne Matti (Elisi), Alfred Rasser (Baumwollhändler), Erwin Kohlund (­ Johannes), Stephanie Glaser (Trinette), Hans Gaugler (Mannli), Peter Arens (Arzt).

TAXICHAUFFEUR BÄNZ Schweiz 1957

«In den (von der Konkurrenz produzierten) Filmen Polizischt Wäckerli und Oberstadtgass hatte der von Bühne und Radio bekannte Schaggi Streuli seine Popularität unter Beweis gestellt. Deshalb engagierte ihn Wechsler für eine weitere seiner Darstellungen kleinbürgerlicher Vaterfiguren: Diesmal geht es um die Sorgen eines Zürcher Taxifahrers, der für seine Medizin studierende ­ Tochter jedes Opfer bringt und deshalb auch seine Zuneigung zu einer Kolonialwarenhändlerin verheimlicht. Konflikte mit einem sympathischen, aber nicht sehr charakterstarken jungen Mann, der eine Karriere als Fussballspieler verschenkt und sogar in den Verdacht des Diebstahls gerät, schüren die Spannungen zwischen den Generationen. Für die Regie gewann die Praesens einen bereits viel beachteten jungen Theatermann, Werner Düggelin; Taxichauffeur Bänz sollte seine einzige Kinofilmregie bleiben.» (Filmpodium, ­Nov. 2000)


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100 Jahre Praesens 93 Min / Farbe / DCP / Dialekt // REGIE Werner Düggelin, Her-

DER ARZT STELLT FEST

mann Haller // DREHBUCH Schaggi Streuli, Hermann Haller,

Schweiz/Deutschland 1966

Werner Wollenberger, Richard Schweizer // KAMERA Emil Berna // MUSIK Robert Blum // SCHNITT Hans Heinrich ­Egger // MIT Schaggi Streuli (Oscar Bänz), Elisabeth Müller (Irma Bänz), Maximilian Schell (Toni Schellenberg), Emil ­Hegetschweiler (Vater Schellenberg), Fred Tanner (Dr. Zbinden), Elisabeth Barth (Mutter Schellenberg).

DIE EHE DES HERRN MISSISSIPPI Schweiz/BRD 1961

«Zwei Freunde beschlossen, die Welt zu verändern. Der eine durch das Gesetz Moses, der andere durch die Weltrevolution. Nun gibt’s eine Leiche, die mit beiden Weltverbesserern verbunden ist...» Dürrenmatts «stilisierte Komödie mit mehreren Leichen» in einer autoreneigenen Verdichtung, fürs Kino umgesetzt von BRD-Samtpeitschenselbstflagellant Kurt Hoffmann, der seine Starriege um den stählernen O. E. Hasse, den hinterhältigen Martin Held und die Niedertracht verstrahlende Johanna von Koczian flott auf Trab hält. Die politischen Pointen werden unüberhörbar gesetzt, und dabei lässt Hoffmann das alles super, sehr stylish aussehen. Die Ehe des Herrn Mississippi ist am Ende ein Werk, das aller Zeit­ geistigkeit zum Trotz immer noch erstaunlich effektiv unangenehme Dinge über den exzessiven Willen zum Guten sagt. Heute nötiger denn je gedacht? (om)

Ida Kleiner hat schon drei Kinder und ist erneut schwanger. Doch diesmal will sie abtreiben lassen, was aber an sich verboten ist. Oberarzt Dr. Maurer möchte der Frau helfen, weil ein weiteres Baby ihr Ruin wäre ... 37 Jahre nach Eduard Tisses Frauennot – Frauenglück (1929) kehrt die Praesens zum Thema weibliche Selbststimmung zurück, kurioserweise wieder unter der Regie eines Durchreisenden: Aleksander Ford, der angesichts des immer problematischeren Politklimas in Polen eine Internationalisierung seiner Karriere anging, nur um zwei Jahre später im Rahmen einer kaum verbrämten antisemitischen Aktion aus dem Land verjagt zu werden. Der Arzt stellt fest ist kühl in seinen Bildern, gelassen in seinem Erzähltempo, ideologisch klar und unmissverständlich, wenn auch diskussionsoffen, in alldem an­ gesiedelt in einem Niemandsland zwischen Sensationsstoff und sozialer Ernsthaftigkeit. (om) 86 Min / 35mm / D // REGIE Aleksander Ford // DREHBUCH David Wechsler // KAMERA Eugen Schüfftan // MUSIK Robert Blum // SCHNITT Hermann Haller // MIT Tadeusz Łomnicki (Dr. Maurer), René Deltgen (Hausarzt Dr. Diener), Margot ­Trooger (Frau Sidler), Dieter Borsche (Herr Sidler), Peter Oehme (Gerichtsvorsitzender), Charles Regnier (Professor).

92 Min / Farbe / DCP / D // REGIE Kurt Hoffmann // DREHBUCH Friedrich Dürrenmatt, nach dem Theaterstück von Friedrich Dürrenmatt // KAMERA Sven Nykvist // MUSIK Hans-Martin Majewski // SCHNITT Hermann Haller // MIT Otto Eduard Hasse (Florestan Mississippi), Johanna von Koczian (Anastasia), Martin Held (Frédéric René Saint­ Claude), Charles Regnier (Justizminister Sir Thomas Jone), Max Haufler (van Bosch), Ruedi Walter (McGoy).

BUCHPRÄSENTATION «HEIDI, HELLEBARDEN UND HOLLYWOOD – DIE PRAESENS-FILM-STORY» VON UND MIT BENEDIKT EPPENBERGER

SO, 14. JAN. | 18.00 UHR

Wer waren die Stars der Praesens-Film AG? Wer ihre Gründer? Welche Triumphe feierte die ­Zürcher Firma, welche Niederlagen musste sie in dieser Zeit einstecken? Pünktlich zum 100. Geburtstag der legendären Schweizer Film-Gesellschaft ist mit «Heidi, Hellebarden und Hollywood – Die P ­ raesens-Film-Story» erschienen, in dem der Historiker Benedikt Eppenberger die wechselvolle F ­ irmengeschichte vor dem Hintergrund des «Jahrhunderts der Extreme» aufrollt. Im ­Anschluss an die Buchpräsentation ist im Filmpodium mit Die letzte Chance einer der heraus­ ragenden Spielfilme von Praesens-Film zu sehen.


41 Filmpodium Premiere

Piaffe «Nach dem Nervenzusammenbruch ihrer Schwester Zara muss die introvertierte Eva deren Job als Geräuschemacherin übernehmen. Für einen Werbespot vertont sie das Verhalten eines Pferds – und vertieft sich so leidenschaftlich in die Arbeit, dass ihr ein Schweif aus dem Steissbein wächst. Mit dem Schwanz wird auch Evas sexuelles Begehren immer grösser. Sie beginnt eine SM-Affäre mit einem Botaniker, der Farne erforscht, und erlebt ihren Körper auf eine noch nie empfundene Weise. In Piaffe mischt die aus Tel Aviv stammende und in ­Berlin lebende Regisseurin und Künstlerin Ann Oren Elemente aus Erotik, Fantasy und Performancekunst zu einer surrealistischen Feier des Andersseins und Andersbegehrens. Ihr auf 16 mm gedrehter Film ist ‹Body Pleasure› par excellence und zugleich ein taktiler Liebesbrief an die unterschätzten Magier des ­Kinos. In Locarno wurde Piaffe als sinnliches Meisterwerk gefeiert und mit dem Preis der Jugendjury ausgezeichnet. Ein transgressiver, kaum fassbarer Film voller neuer und faszinierender Reize!» (salzgeber.de)

PIAFFE / Deutschland 2022 86 Min / Farbe / DCP / D+E/d // REGIE Ann Oren // DREHBUCH Thais Guisasola, Ann Oren // KAMERA Carlos Vasquez // SCHNITT Ann Oren, Haim Tabakman // MIT Simone Bucio (Eva), Sebastian Rudolph (Novak), Simon(e) Jaikiriuma Paetau (Zara), Bjørn Melhus (Piotr), Lea Draeger (Gretchen), Don Alonso (Pferd).

 Donnerstag, 11. Januar, 20.45 Uhr: Premiere, anschl. Q&A mit Ann Oren und Sebastian Rudolph; Moderation: Bernadette Kolonko.


42 Filmpodium Premiere

While the Green Grass Grows In seinem filmischen Tagebuch folgt der preisgekrönte schweizerisch-kanadische Filmemacher Peter Mettler dem Lauf der Flüsse und des Lebens. Es kreist um die Tragweite des Todes seiner eigenen Eltern und um die Frage, wie es mit uns allen weitergeht – auf persönlicher und auf globaler Ebene. Mit seiner einzigartigen filmischen Handschrift lädt der Regisseur auf eine meditative Reise ein, von den Appenzeller Alpen bis in den Lockdown nach Toronto. Visuell und inhaltlich schöpft Peter Mettler aus persönlichen Gesprächen, aus philosophischen und spirituellen Texten wie auch aus seinem eigenen Film- und Soundarchiv. Sein Zugang ist geprägt von Offenheit und Demut gegenüber dem Leben und der Natur, aber auch von dem hintergründigen Humor, der all seine Filme auszeichnet. While the Green Grass Grows umfasst den ersten und sechsten Teil eines epischen, in insgesamt sieben Kapiteln angelegten Tagebuchprojekts in mehreren Teilen. Der Film wurde u. a. am DOK Leipzig und am Visions du Réel in Nyon mit dem Hauptpreis ausgezeichnet. «Ein unberechenbarer Film, der das Publikum durch die Qualität seiner Beobachtung alltäglicher Ereignisse, Orte und Objekte in einem poetischen neuen Licht sehen lässt.» (Jurybegründung GOLDENE TAUBE, DOK Leipzig) «Dieser Filmemacher ist ein geborener Künstler, ein Dichter und Philosoph, ein Komponist von Licht, Bild und Ton.» (Margareta Hruza, Modern Times Review)

WHILE THE GREEN GRASS GROWS (PART 1 & 6) / Schweiz, Kanada 2023 166 Min / Farbe / DCP / E/d // REGIE, DREHBUCH UND KAMERA Peter Mettler // SCHNITT Jordan Kawai, Peter Mettler.


43 PREMIERENABEND: WHILE THE GREEN GRASS GROWS (PART 1 & 6)

SA, 13. JAN. | AB 17.00 UHR

Anlässlich der Schweizer Kinopremiere von Peter Mettlers neuem Werk lädt das Filmpodium zum immersiven Kinoerlebnis: Der Filmemacher wird das spiegelbestückte Foyer des Kinos mit ­Projektionen in ein Mettler’sches Bild- und Tonuniversum verwandeln – der ideale Ort, um sich bei einem Apéro auf das Filmerlebnis einzustimmen. Nach dem Film findet ein ausführliches ­Regie-Gespräch statt. Wer will, bleibt zum Apéro riche und treibt anschliessend auf Bild- und Klangwelten von Peter Mettler & friends durch die Nacht. Wir präsentieren den Abend in Kooperation mit der VIDEOEX. 17.00 Uhr: Türöffnung und Willkommensdrink 18.00 Uhr: While the Green Grass Grows (Part 1 & 6) (mit Pause) ca. 21.00 Uhr: Q&A mit Peter Mettler (Moderation: Annina Wettstein) ca. 21.30 Uhr: Drinks & Food im Foyer ca. 22.15 Uhr: Ambient Sound und Images von Peter Mettler & friends

120 Jahre Filmgeschichte II: Das klassische Zeitalter

Die Jahre 1930 bis 1960 Thomas Binotto / ab Mi 10.1.2024, 3×

Ästhetik der Intimität

Nähe und Erotik im Film Jean Perret / ab Do 1.2.2024, 3×

Praesens-Film

Ein Stück Schweizer Film- und Landesgeschichte

Jean Perret / Fr 15.3.2024 EXKURSION:

Praesens-Film im Landesmuseum Aaron Estermann / Di 19.3.2024


44 Filmpodium Classics

Life of a Shock Force Worker «Im sowjetischen Kommunismus gab es einen berühmten Helden der Arbeit: Stachanow, der jeden Plan übererfüllte. Adem, unterstützt von seinen Bergbaukumpels, ist ein jugoslawischer Stachanow. Mit russnackten Oberkörpern holen sie Kohle aus dem Berg und werden damit zu Idolen. Mit einem ausgeprägten Sinn für die implizite Komik von Propaganda erzählen diese ‹Szenen aus dem Leben eines Arbeitshelden› von der heroischen (aber auch stalinistischen) Phase des damals noch zum sowjetischen Block gehörenden Tito-Jugoslawien. Aus heutiger Sicht wird man den grossartigen Film auch als ein Menetekel lesen: Er zeigt das fossile Zeitalter auf einem grotesken Höhepunkt.» (Bert Rebhandl, Viennale 2024) «Adem wird vom Titos Regime als Paradebeispiel eines Arbeiters und als Stütze des Kommunismus gepriesen. Aber will er wirklich ein Nationalheld sein und welchen Preis wird er dafür zahlen? Bahrudin ‹Bato› Čengićs Film ist nicht nur eine spielerische Subversion des sozialistischen Realismus, sondern auch von bitterer Ironie durchzogen. Čengić macht sich keine Illusionen, weder über die Ausbeutung des Proletariats durch die kommunistische Partei noch über die Behandlung der Arbeiterklasse zu Beginn des kapitalistischen Zeitalters. (..) Die treibende Kraft des Films liegt in seiner fast Brecht’schen Poetik, die die anthropologische Dokumentation der Bergarbeiter und ihrer Arbeit mit theatralischen, absurden Vignetten aus ihrem Alltag verbindet – von Avantgarde-­ Meister Karpo Godina als Tableaux vivants gefilmt.» (Evgeny Gusyatinskiy, Viennale 2024) LIFE OF A SHOCK FORCE WORKER (Slike iz zivota udarnika) / Jugoslawien 1972 78 Min / Farbe / DCP / OV/e // REGIE Bahrudin «Bato» Čengić // DREHBUCH Bahrudin

«Bato»

Čengić,

Branko

Vučićević, // KAMERA Karpo Aćimović Godina // MUSIK Bojan Adamič // SCHNITT Marijana Fuks, Olga Skrigin // MIT Adem Čejvan, Stojan Aranđelović, Zaim Muzaferija, Ilija Bašić, Miodrag «Mida» Stevanović, Štefka Drolčeva, Helena Buljan. Restaurierung: Slovenska kinoteka, Filmski centar Sarajevo, Hrvatska ­kinoteka & Österreichisches Film­ museum


45 Vorpremiere und Buchpräsentation

Menus plaisirs – Les Troisgros Das Restaurant Troisgros, vor über 90 Jahren gegründet und seit 55 Jahren mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnet, liegt in der Gemeinde Roanne in Zentralfrankreich. Es wird in vierter Generation von der Familie Troisgros betrieben und ist ein Ort des Luxus, an dem sich der Vater und seine beiden Söhne mit grösster Leidenschaft und Geduld gemeinsam der Spitzengastronomie widmen. Menus plaisirs – Les Troisgros ist nicht in erster Linie eine Dokumentation über dieses Restaurant (in zahlreichen Passagen erfahren wir allerhand über die unterschiedlichen Lebensmittellieferant:innen), sondern erneut interessiert den Filmemacher das Innenleben eines Ortes mit seinen jeweiligen komplexen Regeln und wie sich die Mitarbeiter:innen und Gäste darin verhalten. Wie in La danse – le ballet de l’opéra de Paris, dem anderen zentralen französischen Film Wisemans, geht es schlussendlich auch hier um Menschen, die es in ihrem Beruf zu Perfektion gebracht haben. Und einmal mehr zeigt sich, dass die Kunst des Kochens und die des Filmemachens sehr viele Gemeinsamkeiten offenbaren. «Nachdem Wiseman die meiste Zeit seines Filmemacherlebens damit verbracht hatte, dokumentarische Analysen von dysfunktionalen Institutionen und schwerfälligen Bürokratien zu drehen, drehte er in den letzten Jahren Filme, die, um es einfach auszudrücken, den Wert der menschlichen Zivilisation und die zu ihrer Erhaltung erforderlichen Anstrengungen aufzeigen. Seine Filme über das System der New York Public Library, das Ballett der Pariser Oper, die National Gallery in London und sogar über ein bescheidenes Boxzentrum in Austin zeigen, dass nicht alles verloren ist und dass Menschen, die mit einem gemeinsamen Ziel arbeiten, in der Tat gelungene Ergebnisse erzielen können. (...) Nach Jahrzehnten der Chronik des sozialen Zusammenbruchs und der organisatorischen Gleichgültigkeit könnte die letzte Zeile, die in Menus plaisirs – Les Troisgros gesprochen wird, als Wisemans filmische Abschiedsrede dienen: ‹Alles ist schön.› » (Michael Sicinski, cinema-scope.com) MENUS PLAISIRS – LES TROISGROS / USA/Frankreich 2023 240 Min / Farbe / DCP / E/d/f // REGIE Frederick Wiseman // KAMERA James Bishop // SCHNITT Frederick Wiseman

 Donnerstag, 1. Februar, 18:30 Uhr: Buch­präsentation «Frederick Wiseman – Das Schauspiel der Gesellschaft», Hannes Brühwiler (Hg.)


46 DOUBLE BILL ON DOUBLE BILL MAIRE-LOUISE & THE WIZARD OF OZ

MI, 10. JAN. | 20.00 UHR MIT ELISABETH BRONFEN & JOHANNES BINOTTO

Der eine Film ein kaum bekanntes Drama aus der Schweiz, der andere einer der berühmtesten Klassiker Hollywoods: In Marie-Louise (siehe auch Seite 38) wird ein Mädchen aus dem kriegsverwüsteten Frankreich zur Erholung in die Schweiz geholt, in The Wizard of Oz verschlägt es ein Mädchen aus dem monotonen Kansas ins TechnicolorTraumland. Einmal mehr bringt Double Bill on Double Bill zwei auf den ersten Blick ganz unterschiedliche Filme in einen Dialog. Die Autorin Elisabeth Bronfen und der Medienwissenschaftler Johannes Binotto gehen im Gespräch und anhand ausgewählter Filmausschnitte den verblüffenden Verbindungen zwischen beiden Filmen nach und zeigen auf, wie eng das eskapistische Musical und die psychologische Studie zusammenhängen und was den Traum mit dem Trauma und den alten Schweizer Film mit dem klassischen Hollywoodkino verbindet.

autor:innen bis zur Traumfabrik-Kenntlichkeit entstellter Horrortrip, also: ein Märchen. Judy Garland wird aus dem sepiabraunen Frieden des bäuerlichen Kansas per Wirbelsturm ins Wunderland Oz katapultiert, wo sie neue, furchtsame Freunde, böse und gute Hexen, die ebenso niedlichen wie grauenvollen Munchkins und viele andere Seltsamkeiten findet. Mit Vogelscheuche, Löwe und Blechmann zieht sie los, dem mächtigen Zauberer von Oz ihre Bitten vorzutragen. Dessen Ruf verdankt sich aber, ganz wie beim Hollywood-Spektakel selbst, bloss Mundpropaganda und ­ Illusionsmaschinerie – das Glück muss man schon selber f­ inden, somewhere over the rainbow. (Christoph Huber, Filmmuseum Österreich, 2007) 102 Min / Farbe / DCP / E/d // REGIE Victor Fleming, George Cukor (ungen.), Mervyn LeRoy (ungen.), Richard Thorpe ­(ungen.), King Vidor (ungen.) // DREHBUCH Noel Langley,

THE WIZARD OF OZ USA 1939

Ein Urtext des US-Kinos: ein Selbstfindungs­ mythos, ein Technicolor-Rausch, ein von vielen Regisseuren und noch viel mehr Drehbuch­ ­

RE:VISION – FILME NEU SEHEN CHE ORA È VON ETTORE SCOLA

Florence Ryerson, Edgar Allan Woolf, nach dem Kinderbuch von Lyman Frank Baum // KAMERA Harold Rosson // MUSIK Herbert Stothart // SCHNITT Blanche Sewell // MIT Judy ­Garland (Dorothy Gale), Frank Morgan (Zauberer von Oz/Prof. Marvel), Ray Bolger (Vogelscheuche/Hunk), Bert Lahr (Löwe/ Zeke), Jack Haley (Zinnmann/Hickory).

MI, 7. FEB. | 18.30 UHR

Genau hinschauen, erneut hinschauen, anders hinschauen eröffnet manchmal unerwartete ­Perspektiven. In Kooperation mit der Volkshochschule und dem Publizisten Thomas Binotto lädt das Filmpodium bereits zur dritten Staffel der Vorlesungsserie «Re:vision». Zwei Männer, ein Gespräch, ein halber Tag: Che ora è ist ein Konzentrat. Und genau solche ­Herausforderungen liebte der Stilist Ettore Scola. Die Inszenierung der scheinbar unscheinbaren Kleinigkeit beherrschte er so virtuos wie nur wenige und zeichnet damit doch immer mit sicherem Strich ein grosses Ganzes. In seiner Re:vision öffnet Thomas Binotto den Blick für die Präzision Scolas, der im scheinbar rein Privaten fein nuanciert eine ganze Gesellschaft porträtiert. Bei Scola – genau wie bei seinen Hauptdarstellern Marcello Mastroianni und Massimo Troisi – liegt die Kunst im Detail. Online sind Tickets zu Film und Vorlesung separat erhältlich, vergünstigte Kombitickets gibt es nur an der Kinokasse. Eine Kooperation von Filmpodium und Volkshochschule Zürich.


47 SÉLECTION LUMIÈRE

REMBETIKO

MI, 3. JAN. | 20.45 UHR / MO, 8. JAN. | 20.30 UHR / SO, 14. JAN. | 15.00 UHR

In seinem preisgekrönten, nach einem be-

so unwiderstehlich berauschend wie die

stimmten Stil griechischer Volksmusik

Musik, die er feiert, und erzählt die Lebens-

(auch bekannt als griechischer Blues)

geschichte einer ihrer berühmtesten Sän-

benannten Spielfilm, erzählt Regisseur ­

gerinnen, Marika Ninou. Während der Blues

­Costas Ferris vom Leben einer berühmten

in den Gin-Mühlen des amerikanischen Sü-

Rembetiko-Sängerin. Ein leidenschaftlich

dens aufkam, blühte der Rembetiko in den

melancholisches Werk, von dem wir den

Haschischhöhlen von Piräus auf. (…) Doch

Director’s Cut zeigen.

dieser mitreissend romantische Film ist keineswegs eine konventionelle Biografie.

«Als eine Million verarmter Griechen und

Er ist eher eine Volksoper, die sich in einer

armenischer Flüchtlinge aus Kleinasien

verführerisch schäbigen und finsteren At-

nach dem türkischen Angriff auf Smyrna im

mosphäre entfaltet, in der die Lust zur Ver-

Jahr 1922 nach Griechenland strömten, bil-

schnaufpause der Verzweiflung wird. Es ist

deten sie eine Klasse von gesellschaftlich

ein Film voller dunkler Tavernen mit nied-

Geächteten, bekannt als ‹Rembetes›. Die

rigen Decken, in denen Arbeiter und Arbei-

reichhaltige Volksmusik, in der sie ihren

terinnen andächtig tanzen und ihre Sorgen

Kummer ausschütteten, wurde ‹Rembe-

wegtrinken (oder wegrauchen).» (Kevin

tiko› genannt. Costas Ferris’ Rembetiko ist

Thomas, Los Angeles Times, 28.3.1986)

REMBETIKO / Griechenland 1983 121 Min / Farbe / Digital HD / Gr/e // REGIE Costas Ferris // DREHBUCH Sotiria Leonardou, Costas Ferris // KAMERA Takis Zervoulakos // MUSIK Stavros Xarchakos // SCHNITT Yiana Spyropoulou // MIT Sotiria Leonardou (Marika Ninou), Nikos ­Kalogeropoulos (Babis), Michalis Maniatis (Georgakis), Nikos Dimitratos (Panagis), Konstantinos Tzoumas (Taschenspieler), Themis Bazaka (Adrianna), Giorgos Zorbas (Thomas), Vicky Vanita (Rosa).


48 Filmpodium für Kinder

Königreich Arktis Die kleine Eisbärin Nanu und das Walrossmädchen Seela entdecken ihr Zuhause: eine Welt aus Schnee und Eis. Ein visuell beeindruckender Dokumentarfilm, der den Klimawandel kindgerecht thematisiert. «Aus über 800 Stunden Filmmaterial entstand eine visuell bestechende Dokumentation über das ‹Königreich Arktis› und seine Bewohner, die erfreulicherweise auf eine aufdringliche Vermenschlichung und Verniedlichung verzichtet. Hier wie überall gilt das Spiel vom Fressen und Gefressenwerden, doch auf exzessive Bilder der Gewalt wurde verzichtet. Als Erzähler fungieren Kinder, die ihr Wissen über die Arktis eher beiläufig einfliessen lassen, indem sie die Lebensumstände der Tiere erklären – kindgerecht, aber nicht kindisch. Doch Königreich Arktis ist kein reiner Naturfilm, keine blosse Aneinanderreihung aussergewöhnlicher und berührender Tieraufnahmen, sondern auch die Dokumentation einer schleichenden Umweltkatastrophe.» (kinderkinobuero.de)

KÖNIGREICH ARKTIS (Arctic Tale) / USA 2007 90 Min / Farbe / 35 mm / D / 6 (8) // REGIE Adam Ravetch, Sarah Robertson // DREHBUCH Linda Woolverton, Mose Richards, ­Kristin Gore // KAMERA Adam Ravetch, Sarah Robertson // SCHNITT Beth Spiegel.

Zutritt ab 6, empfohlen ab 8 Jahren (Begleitung durch Erwachsene generell empfohlen). Kinderfilm-Workshop Im Anschluss an die beiden Vorstellungen vom 27. Januar und 10. Februar bietet das Filmpodium einen Film-Workshop für Kinder unter der Leitung der Filmwissenschaftlerin Julia Breddermann an (ca. 30 Min., gratis, keine Voranmeldung nötig). Die Kinder erleben eine Entdeckungsreise durch die Welt der Filmsprache und werden an einzelne Szenen und Themen des Films herangeführt.


49 IMPRESSUM

DAS FILMPODIUM IST EIN ANGEBOT DES PRÄSIDIALDEPARTEMENTS

in Zusammenarbeit mit der Cinémathèque suisse, Lausanne/Zürich LEITUNG Nicole Reinhard (nr), STV. LEITUNG Hannes Brühwiler (hb) WISSENSCHAFTLICHE MITARBEIT Lorenzo Berardelli (lb), Tanja Hanhart (th) SEKRETARIAT Claudia Brändle BÜRO Postfach, 8022 Zürich, Telefon 044 412 31 28, Fax 044 412 31 25 WWW.FILMPODIUM.CH // E-MAIL info@filmpodium.ch // KINO Nüschelerstr. 11, 8001 Zürich, Tel. 044 415 33 66 UNSER DANK FÜR DAS ZUSTANDEKOMMEN DIESES PROGRAMMS GILT: British Film Institute, London; Cinematek, Brüssel; Cinémathèque de Toulouse; Ciné-Tamaris, Paris; Cineteca di Bologna; Cineteca Nazionale, Rom; Cristaldifilm, Rom; EYE Film Institute Netherlands, Amsterdam; Fernsehjuwelen GmbH, Walluf; Filmmuseum München; Filmski Centar, Sarajevo; Frenetic Films, Zürich; Gaumont Pathé Archives, Saint-Ouen ; Intramovies, Rom; Kinemathek Le Bon Film, Basel; Kino Lorber, New York; Leopardofilmes, Lissabon; Lobster Films, Paris; Louise va au cinéma, Vevey; Missing Films, Berlin; Movietime, Rom; Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, Wiesbaden; Museum of Modern Art, New York; National Audiovisual Institute, Helsinki; NFA, Prag; Österreichisches Filmmuseum, Wien; Park Circus, Glasgow; Praesens-Film, Zürich; Salzgeber Medien, Berlin; SRF Schweizer Radio und Fernsehen, Zürich; Surf Film, Rom; RAI, Rom; trigon-film, Ennetbaden; Variety Distribution, Rom; Xenix Film­distribution, Zürich. DATABASE PUBLISHING BitBee Solutions GmbH, Zürich // KONZEPTIONELLE BERATUNG Esther Schmid, Zürich GESTALTUNG TBS, Zürich // KORREKTORAT Nina Haueter, Daliah Kohn // DRUCK Ropress, Zürich // AUFLAGE 4500 ABONNEMENTE & VERGÜNSTIGUNGEN Filmpodium-Generalabonnement : CHF 400.– (freier Eintritt zu allen Vorstellungen; inkl. Abo Programmheft) // Filmpodium-Halbtaxabonnement: CHF 80.– / U25: CHF 40.– (halber Eintrittspreis bei allen Vorstellungen; inkl. Abo Programmheft) // Jahrhundert-Abo: CHF 50.– (für alle in Ausbildung; freier Eintritt zu den Filmen der Reihe «Das erste Jahrhundert des Films») // Programm-Pass: CHF 60.– (freier Eintritt zu allen Vorstellungen einer Programmperiode) // Abonnement Programmheft: CHF 20.– // Anmeldung an der Kinokasse, über www.filmpodium.ch oder Tel. 044 412 31 28

VORSCHAU FEBRUAR/MÄRZ Im Schatten des Vulkans

Terence Davies

Sie stehen für den Anfang und das Ende.

Terence Davies, Filmemacher und Poet,

Sie sind gefürchtet für ihre Zerstörungs-

hinterlässt uns nach seinem unerwarteten

kraft, bewundert als mitreisendes Natur-

Tod ein schmales, aber betörendes fil-

spektakel. In einer Welt, in der sich die Wis-

misches Oeuvre. Seine frühen Filme be­

senschaft die Erde scheinbar Untertan ge-

schwören

macht hat, bleiben Vulkane unbeherrschbar.

Weiss das Liverpool und die Arbeiter­

Auch auf Filmemacher:­innen üben sie eine

quartiere seiner Kindheit herauf: Armut

grosse Faszination aus, sei es im Block-

und Gewalt aber auch die erlösende Kraft

buster-Kino, Dokumentar- oder Ex­ pe­ ri­

gemeinsam gesungener Lieder. Später ver-

mentalfilmen. Als Metapher in Melodramen

schreibt er sich kunstvollen und sensiblen

oder als Gegenstand mythologischer wie

Literaturverfilmungen. Nun in Farbe aber

philosophischer Betrachtungen. Eine Re-

stets erkennbar die an der dänischen Male-

trospektive im Schatten des Vulkans – von

rei geschulte Bildsprache. Wir verbeugen

Dante’s Peak (Roger Donaldson) zu den Isole

uns vor Terence Davies mit einer Retro-

di fuoco (Vittorio de Seta).

spektive.

in

eindringlichem

Schwarz-


A B 11 . 1 . I M K I N O

ANNA HINTS • ESTLAND AB 8.2. I M KI NO

ANTHONY CHEN CHINA

AB 29.2. I M KI NO

RAMATA-TOULAYE SY S E N EGA L


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