6 minute read

Textilhanf Made in Germany

Spitzenqualität und Ökologie vom Acker bis zum Hemd

Nachhaltigkeit und bewusster Konsum liegen im Trend. Neue Faseraufbereitungsprozesse und spezielle Anbauverfahren ermöglichen eine hochqualitative und wirtschaftliche Nutzung von Hanffasern als Garn mit Vorteilen für Landwirte und Verarbeiter.

Von Michael Dickeduisberg und Heiko Beckhaus

In Deutschland wurde in den vergangenen Jahren die Verarbeitung und der Anbau von besonderem Hanf entwickelt. Nachhaltigkeit und bewusster Konsum sind Trend dieses Jahrzehnts und längst keine Nische mehr in der Gesellschaft. Textilien aus Naturfasern – am besten aus heimischer umweltfreundlicher Produktion – gewinnen in diesem Kontext schnell an Bedeutung und sind die akzeptierte Lösung für Mikroplastik aus Wäsche und Kunststoffmüll. Doch die weltweite Konkurrenz um Qualität und Preis ist hoch und durch jahrzehntewährende preissensible Importpolitik ist die Abhängigkeit gewachsen und die Kontrolle der Produktionsbedingungen und der ökologischen und sozialen Gesichtspunkte sind abgebaut worden.

Die Wende kam in den letzten Jahren. Ein innovativer Unternehmer und vom Hanf begeisterte Landwirte haben gemeinsam die technischen Faseraufbereitungsprozesse und spezielle Anbauverfahren für hochqualitative und auf dem Markt konkurrenzfähige Hanfasern entwickelt. Vor Beginn eines gemeinsamen Innovationsansatzes standen zwei Probleme. Die Industrie konnte aus heimischen Naturfasern, insbesondere dem faserreichen Hanf, keine feinen Textilfasern erzeugen und war daher auf Importware angewiesen. Als Rohstofflieferanten wollten die Landwirte gerne Hanf als pflanzenbaulich wertvolle Kulturpflanze anbauen, die geringe Wertigkeit der erzeugten Fasern ließ den Hanfanbau zur Fasererzeugung in vielen Region jedoch unwirtschaftlich erscheinen.

Neue Wege in der Landwirtschaft

Klassischer Hanf wird auf deutschen Ackerflächen im Mai gesät und zwischen August und Oktober geerntet. Die hochwachsenden Hanfpfanzen erzeugen in ihren über 3 m langen Stängeln Fasern. Diese sind allerdings dick und spröde und daher nicht für feinere Garne für die Textilindustrie zu verwenden. Sie werden bisher überwiegend im stofflichen Bereich als Dämmmaterial, für Vliese und andere technische Zwecke in Industriebetrieben aufbereitet. Durch die geringe Wertigkeit der Fasern konnten die Aufbereitungsanlagen, die ihrerseits die Endprodukte am Markt umsetzen müssen, den Landwirten bisher nur geringe Preise zahlen. Für Anbauer in räumlicher Nähe zu einer der wenigen bundesweiten Aufbereitungsanlagen genügten die Auszahlungspreise für einen wirtschaftlichen Anbau. Mit zunehmender Entfernung des landwirtschaftlichen Betriebs von der Aufbereitungsanlage wuchsen die Transportkosten und machten den Anbau auf der begrenzten Fläche weniger lukrativ als Getreide, Zuckerrüben, Mais oder Kartoffeln. Folglich wurde Hanf trotz seiner vielen Vorteile für den Boden und Ackerbau nicht angebaut. Wesentliche Vorzüge des Hanfs im Ackerbau sind unter anderem Verzicht auf Pflanzenschutzmittel durch schnelle und gute Bodenbedeckung, gute Durchwurzelung, gute Bodenqualität für Folgekulturen und sehr gutes Nährstoffaneignungsvermögen. Probierfreudige Landwirte begannen den Hanf zu unüblichen Zeiten in den Boden zu säen, wenn eigentlich keine Kulturen wachsen, um die positiven Effekte des Hanfs zu nutzen. So gibt es in der Landwirtschaft Zeiten, in denen nach Ernte der ersten Frucht, wie beispielsweise Getreide im Sommer, bis zur Aussaat der neuen Kultur, wie Mais im nächsten Frühjahr, der Acker ungenutzt bleibt. In dieser Zeit wächst aufgrund der begrenzten Wachstumszeit keine zur Vermarktung angedachte Kultur. Die Landwirte säen sogenannte Zwischenfrüchte. Diese sollen den Boden bedecken, Nährstoffe speichern und Humus aufbauen, bevor sie im Frühjahr ohne Ernte untergepflügt werden. Neben den positiven Effekten für den Boden bleibt eine wirtschaftliche Nutzung aus. Wird an dieser Stelle Hanf ausgesät, so wird die Anbaukonkurrenz mit Getreide oder Mais vermieden. Die Landwirte stellten gutes Wachstum des Hanfs vor dem Winter fest und waren erstaunt, im Frühjahr nach dem Winter abgestorbene Hanfpflanzen vorzufinden, die ihre Fasern teilweise freilegten. Die Idee, diese Fasern technisch zu nutzen und den Hanf somit zu ernten war geboren. Dank des innovativen nachgelagerten Unternehmens wurde versucht, die Fasern dieses Hanfs aufzubereiten und eine besondere Feinheit festgestellt.

In den folgenden Jahren musste der Anbau optimiert und untersucht werden, um einerseits hoch qualitative Rohstoffe zu erzeugen und andererseits eine Sicherheit im Anbauerfolg zu haben. Inzwischen wird der Hanf möglichst zeitnah nach der Gerstenernte im Juli ausgesät, etwas mit Gülle für die Nährstoffversorgung gedüngt und im folgenden Februar bis März mit bekannter Grünlandtechnik bestehend aus Mähwerk und Presse geerntet. Durch den Einsatz bekannter Technik anstelle von hauptsächlich üblicher Hanf-Spezialtechnik kann jeder Betrieb leicht in den Anbau einsteigen. Begünstigt wird diese Erntetechnik durch einen im Vergleich zum Sommerhanf geringeren Ertrag. Die Blätter sind zur Ernte bereits abgefallen und bleiben als Nährstofflieferanten auf dem Acker zurück. Die Biomasseerträge von bis zu 3 t/ha liegen zwar deutlich unter den zu erwartenden 10 t/ha des Sommerhanfs, dafür haben die Fasern eine höhere Qualität, wodurch sich höhere Auszahlungspreise ergeben. Transporte lassen sich dadurch eher bezahlen und realisieren. Für Landwirte liegt der Vorteil dieses Anbauverfahrens in der ökonomischen Nutzung einer Zwischenfrucht unter gleichzeitigem Genuss der positiven Effekte auf den Boden. Das kleine Zusatzeinkommen ist sehr willkommen und der Stolz, Partner der deutschen Textilien und Bioökonomie zu sein, ist bei den meisten Anbauern ebenso bedeutend.

Vom Feld zum Garn

Nach der Ernte des trockenen Hanfstrohs werden die Rund- oder Quaderballen beim Landwirt eingelagert oder nach Absprache mit dem Verarbeiter direkt zur Entholzung transportiert. Die notwendige Röste als sogenannte Standröste erfolgt sehr schonend über den Winter, so dass die mechanische Trennung der außenliegenden Faserbündel, auch Bast genannt, vom holzigen Kern ohne hohen Energieaufwand vollzogen werden kann. Nun gilt es, die freigelegten Faserbündel von den kleinen Holzteilchen vollständig abzutrennen, um bei der Lösung, der durch Lignine und Pektine – die natürlichen Klebstoffe in allen Pflanzen – verbundenen Faserbündel, die elementaren feinen Hanffasern erhalten zu können. Dazu wurde mit einem Partnerunternehmen ein sogenannter „Abkochprozess“ entwickelt, der völlig ökologisch mit nur geringem Energieverbrauch unter Druck in Autoklaven die Fasern abkocht. Er ist mit einem Schnellkochtopf im Haushalt zu vergleichen: die Garung von Naturprodukten gelingt wesentlich schneller als bei normalem Kochen. Die Temperatur des Wassers ist eben unter Druck höher und damit finden Prozesse und so auch das Lösen von Klebstoffen zur Freilegung der elementaren Hanffasern schneller statt. Ferner ist es wichtig, wie beim Wäsche waschen, ein Waschmittel – Tensid – zuzusetzen, damit der Lösungsprozess noch schneller und einheitlicher stattfindet.

Die freigelegten ca. 7 bis 8 cm langen elementaren Hanffasern können nun in verschiedensten Verfahren zu Garnen versponnen werden. Die originale Faserlänge kann nur in einem Streich- oder Kammgarn, ggf. abgemischt mit anderen Fasern oder zu 100 %, zu groben Hanfgarnen versponnen werden. Allerdings hat sich das Baumwoll- oder Ringspinnverfahren durchgesetzt, so dass weltweit ca. 90 % aller Spinnereien auf diesem Verfahren basieren. Daher müssen die elementaren Hanffasern weitestgehend eingekürzt – auch Cottonisierung genannt – und zur Zeit noch mit anderen Fasern abgemischt werden, um feine Garne herstellen zu können, aus denen man auch weiche Textilien wie Unterwäsche herstellen kann. ↙

Dr. Michael Dickeduisberg leitet das Zentrum für nachwachsende Rohstoffe bei der Landwirtschaftskammer NRW. Seit vielen Jahren werden Versuche mit Sommer- und Winterhanf durchgeführt. Dabei wurde das Anbauverfahren Winterhanf weiterentwickelt.

Dr. Heiko Beckhaus beschäftigt sich seit 2008 mit dem Anbau und der Verarbeitung von nachwachsenden heimischen Faserpflanzen. Er betreibt seit mehr als zehn Jahren eine Multi-Purpose-Anlage für elementare Naturfasern „Made in Germany“. Eine Neuanlage für 20.000 t/a Hanfstroh wird im ersten Quartal 2024 mit Hilfe eines Investors in Betrieb genommen.

Als Hersteller von elementaren Hanffasern in Deutschland arbeiten die Autoren intensiv daran, schon bald auch feine 100 %ige Hanfgarne herstellen lassen zu können.

This article is from: