4.2 Grenzzustandsbetrachtungen an gerissenen Schiffswölbungen
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Nun ist es natürlich von höchstem Interesse, die durch eine schnelle Abschätzung gewonnenen Werte des Gewölbeschubes mit den Ergebnissen der genauen FiniteElemente-Simulationen durch Barthel zu vergleichen. [Barthel 1993, S. 162] hat das „römische Kreuzgewölbe“ über einem quadratischen Joch mit R ¼ 5 m und mit denselben sonstigen Annahmen wie hier, allerdings mit einer Wichte von 20 kN=m3 gerechnet. Skaliert man Barthels Finite-Elemente-Ergebnisse mit dem Faktor 18/20 (strenggenommen wegen der Nichtlinearität der FE-Berechnung unzulässig, hier jedoch ausreichend genau, weil nicht die Druck-, sondern die Zugfestigkeit das Verhalten dominiert), so erhält Barthel bei starren Auflagern einen Schub H ¼ 231 kN, was exakt der Membranlösung Heymans entspricht. Allerdings nimmt dieser Schub nach Barthel schon bei 2 mm Widerlagerverschiebung, also im praxisrelevanten Fall, auf H ¼ 174 kN ab [Barthel 1993, S. 162]. Die mit dem einfachen Starrkörpermodell bestimmte Horizontalkraft H ¼ 181 kN weist somit nur rund 4 % Abweichung von den Finite-Elemente-Ergebnissen auf und liegt auf der sicheren Seite. Hingegen sind die Werte von Pieper mit H ¼ 1;4 R2 ρgt ¼ 158 kN (am Gewölbescheitel angegebener Zahlenwert) und H ¼ 1;76 R2 ρgt ¼ 198 kN (am Widerlager angegeben) erwartungsgemäß weit von den realistischen Ergebnissen entfernt. Blickt man auf die Berechnungsreihe mit den verschieden großen Stichkappen zurück, kann man sogar noch eine weitaus deutlichere Vereinfachung der rechnerischen Untersuchung von Stichkappentonnen und Kreuzgewölben rechtfertigen: Eine reine Tonne ohne Stichkappen übt schätzungsweise einen Schub H ¼ 173 kN auf ihren Unterbau aus, das Kreuzgewölbe H ¼ 181 kN. Alle Stichkappentonnen werden einen Schub zwischen diesen beiden Werten liefern (gilt nicht für nach innen fallende Stichkappen). In guter Näherung kann man somit in den meisten Fällen die Stichkappen komplett ignorieren und einfach so tun, als liege ein reines Tonnengewölbe vor. Überdies stimmt auch die Lage der Gelenklinien beim Sabouret-Rissmechanismus in sehr guter Näherung mit der Gelenklage einer Tonne ohne Stichkappen überein (Bruchfugen wandern nur zwischen rund 41° und 45°). Mit etwas Vorsicht kann man die gute Übereinstimmung zwischen Tonne (d. h. ebenem Bogen) und Stichkappen- oder Kreuzgewölbe daher sogar ohne größere Bedenken verwenden, um für den Fall eingetretener Widerlagerverschiebungen größeren Ausmaßes die maximal bis zum Einsturz mögliche Widerlagerverschiebung geometrisch nichtlinear grob abzuschätzen, was mit jeder anderen Methode nahezu unmöglich ist. Im Einzelnen wäre nun noch zu erforschen, ob die Beobachtungen am Kreuzgewölbe über quadratischem Grundriss sich auch auf stark queroblonge Kreuzgewölbe, wie sie in gotischen Bauten vorkommen, übertragen lassen. Vereinfacht man rechnerisch die Stichkappentonne zu einer Tonne ohne Stichkappen, so sollte man bei der rechnerischen Weiterleitung der Lasten in den Unterbau nicht vergessen, dass eine reine Halbkreistonne ohne Stichkappen im Beispiel ein Gesamtgewicht von 725 kN aufweist, während das Gewicht des Kreuzgewölbes weniger als 80 % des Gewichts der Tonne ohne Stichkappen beträgt. Da der Wert des Horizontalschubs mit größer werdenden Stichkappen kaum abnimmt, sich das Gewölbegewicht jedoch verringert, ist der Gewölbeschub des Kreuzgratgewölbes für den Unterbau rechnerisch kritischer, da das Verhältnis von Schub zu Auflast maßgebend ist. In der Praxis wird dieses Problem jedoch durch die meist vorhandene