3/3 KONZEPT Diplomarbeit Elisabeth Pichler

Page 1

leere – versprechung

1


2

elisabeth Pichler 2012

TEIL III

AUSSTELLUNGS-PARCOURS


leere – versprechung

ausstellungsparcours DIPLOMARBEIT Ausstellungskonzept für das Flughafenareal Tempelhof ELISABETH PICHLER KOMMUNIKATIONSDESIGN FACHHOCHSCHULE POTSDAM 2012 Betreuende Professoren: Prof. Detlef Saalfeld Prof. Lutz Engelke

teil III konzept loch im stadtkäse

leere fassen – rahmen blickwinkel – handlungsraum hauptexponat

reise in die leere intro warteraum transitbereich abflughalle anzeigetafel flugfeld

3


4

elisabeth Pichler 2012

TEIL III

AUSSTELLUNGS-PARCOURS


Vorwort Das Format meiner Ausstellung ist ein weit verzweigter Parcours durch den Gebäudekomplex des ehemaligen Flughafens Tempelhof. Einer Reise gleich ereignen sich an aufeinanderfolgenden Stationen Situationen, die - durch Handlungsaufforderungen den Besucher involvieren; - in Entscheidungsmomenten dem Protagonisten Einflussmöglichkeiten auf den Fortgang der Handlung geben; - in Wahrnehmungsräumen den Rezipienten zu sich und zur Ruhe kommen lassen; - mit Überraschungsmomenten aufmerk- sam machen auf das ungewöhnlich Gewöhnliche. Ziel ist nicht die Vermittlung von Wahrheiten, sondern verbunden mit der realen Gebäudesituation - zu experimentieren, um zu entdecken; - zu spielen, um zu erfeuen; - herauszufordern, um wach zu werden; - zu überraschen, um aufmerksam zu machen; - Vertrautes zu zeigen, um sich zu orientieren; - zu irritieren, um sich neu zu positionieren; - zu provozieren, um zu reagieren; - zu verstecken, um zu finden.

Elisabeth Pichler, 2012

5


loch im stadtkäse (David Wagner, ›Welche Farbe hat Berlin‹, 2012)

6

elisabeth Pichler 2012

TEIL III

AUSSTELLUNGS-PARCOURS


7


leere fassen Freiraum und Leere sind keine objektivierbaren Zustände, sondern subjektive raumbezogene Eindrücke, die sich aus sehr unterschiedlichen materiellen und immateriellen Einflussfaktoren ergeben. Sie sind stets relativ.

inszenierungsmittel Den Einsatz von Mitteln, um die Leere ›lesbar‹ zu machen, zu ›fassen‹ oder zu ›begreifen‹, möchte ich weitmöglichst reduziert gestalten, um den originären Eindruck nicht zu überladen. Vielmehr sollen Anregungen zu einem Nachdenken über Leere und damit Freiräume geschaffen werden, ohne diesen Imaginationsraum schon vorwegzunehmen. Der ›Ausstellungsrahmen‹ bildet die erste Inszenierung, die eine Erwartungshaltung ›etwas zu sehen oder zu erleben‹ und damit eine gesteigerte Aufmerksamkeit auslöst. Visuelle Markierungen sollen helfen, Blicke zu lenken und Besonderheiten hervorzuheben. Transparente Installationen, die mit Klang, Licht oder Luftströmen arbeiten, regen die Produktion ›eigener Bilder‹ an.

ROT: Signalfarbe Warnhinweis Hervorhebung ...

8

elisabeth Pichler 2012

TEIL III

AUSSTELLUNGS-PARCOURS


rahmen Grundlegend für die Wahrnehmung von Leere ist das Gespür für Raum. Ich stütze mich in meiner Ausstellungskonzeption auf Raumtheorien der Soziologen – für die sich Raum erst durch die handelnden Subjekte, im und mit dem Raum konstituiert – und auf Erkenntnisse der Phänomenologen, die körperliche Erfahrung von Raum und Zeit als Voraussetzung jeder Wahrnehmung betrachten.

Einblicke – ausblicke Durch Einbauten oder Einschnitte in die Bausubstanz, die unerwartete Ausblicke und Einblicke zulassen und den Besucher hinsichtlich Orientierung, Dimension oder Gleichgewicht irritieren, wird die grundlegende Raumwahrnehmung thematisiert und erfahrbar gemacht. Handlungsaufforderungen und Entscheidungssituationen involvieren den Besucher und lassen eine aktive Einflussnahme auf den Fortgang des Geschehens zu; eine Änderung von ›Blickwinkeln‹ oder ›Sichtweisen‹ kann physisch wie kognitiv vollzogen werden. Eingriffe und Einbauten sind eindeutig von der Originalsubstanz unterschieden; farblich setzen sie sich rot oder weiß von der Umgebung ab.

WEISS: neutralisierend zurücknehmend ausgleichend ...

Text wird eingesetzt, um Assoziationen auszulösen, Imaginationsräume zu öffnen, zu kommentieren oder zu kontrastieren. Mannshohe Wortblöcke bilden Orientierungspunkte auf weiten Flächen und wecken an der Fassade oder auf dem Flugfeld die Neugierde potentieller Besucher.

9


blickwinkel Blickwinkel können konkret räumlich oder geistig eingenommen werden. Vielschichtige Deutungsmöglichkeiten von Situationen werden verschlagwortet, wobei der Besucher seine Interpretationshoheit beibehält. Der ›Standpunkt‹ kann sich durch Bewegung aber auch Vorstellungsverschiebungen verändern.

10

elisabeth Pichler 2012

TEIL III

AUSSTELLUNGS-PARCOURS


handlungsraum Entscheidungssituationen involvieren den Besucher und machen deutlich, dass Handlungsr채ume zuerst geistig erschlossen werden m체ssen. Sie regen zu Gedankenspielen an oder werden als Handlungsaufforderungen wahrgenommen.

11


Hauptexponat ready-made ›Hauptexponat‹ der Ausstellung ist das Gebäude. Durch minimale Eingriffe in die originale Bausubstanz – oder Einbauten, die ›Sichtfenster‹ auf diese freilassen – wird es zum Träger der Geschichte, vor allem aber von grundlegender Raumwahrnehmung und unterschiedlichen Wahrnehmungen von Leere. Das ehemalige Tempelhofer Flughafengebäude präsentiert sich dem Besucher als ein gigantisches ›Ready-made‹, anhand dessen unterschiedliche Qualitäten von Leere erfahrbar gemacht werden.

12

elisabeth Pichler 2012

TEIL III

AUSSTELLUNGS-PARCOURS


13


14

elisabeth Pichler 2012

TEIL III

AUSSTELLUNGS-PARCOURS


Der Titel des Ausstellungsparcours über dem Haupteingang des Gebäude zitiert den Schriftzug ›Zentralflughafen Tempelhof‹. Er verweist sowohl auf die Versprechung, die der Leere innewohnt, und ist zugleich Aufforderung, sich selbst ein Bild vom Zukunftspotential dieses Ortes zu machen – die Versprechung und das eigene Gefühl dazu zu überprüfen.

15


reise in die leere parcours Der Parcours durch den Gebäudekomplex nutzt die große Ausdehnung des Areals und bietet die Möglichkeit, verschiedene Situationen in Folgen, Wiederholungen und Kontrasten zu erfahren. Im Flughafengebäude, Startpunkt zu neuen und unbekannten Zielen, kann der Besucher – einer Reise gleich – unterschiedliche Arten von Raumund Leererfahrungen sammeln. Ein begehbares Rollenspiel, das den Besucher nicht nur als Beobachter, sondern ebenso als aktiven Gestalter des Geschehens herausfordert. Er selbst entscheidet über Verweildauer, seine Rolle, den Fortgang oder Ausgang. Der aus dem Französischen stammende Begriff Parcours (›parcourir‹: durchlaufen, bereisen, zurücklegen) bezeichnet Fahrt- oder Wegstrecke, Durchgang und Reise, aber auch Werdegang, Laufbahn und Lebensverlauf. Als ›parcours initiatique‹ wird er zum Übergangsritus, als ›parcours combattant‹ zum Hindernislauf. Parcours im Theaterkontext bezeichnet einen Spielablauf, der sich an mehreren Stationen ereignet. Der Ortswechsel – das Dazwischen – wird Teil der Inszenierung. Oft werden die Stadt oder eine Landschaft zum Kontext, in den das Geschehen eingebunden ist. In abgewandelter Schreibweise – Parkour – ist es der Name einer Extremsportart, deren ›Herausforderung‹ darin besteht, auf möglichst kreative Weise Hindernisse zu überwinden.

Vorbei am gigantischen Gebäude wird der Besucher zum Haupteingang des Flughafens geleitet. Die Hinweise sind deutlich und lassen doch Platz für eigene Erkundungen vor und nach einem ›Besuch‹.

Am ›Check-In‹ startet die Reise des Besuchers durch mehrere Stationen seiner Raumwanderung. An der Gepäckaufgabe können Jacken und leichtes Gepäck abgegeben werden.

Mehrere ›Gates‹ mit den verheißungsvollen Destinationen: ›NICHTS‹, ›LEERE‹, ›FREIRAUM‹, etc. stehen dem Reisenden zur Wahl – und führen in ›Gangways‹, deren Wände mit einer Fülle an Versprechungen für unsere und Tempelhofs Zukunft bebildert sind.

Hinter der Bilderflut findet sich unser Reisender mit den anderen Besuchern in einem großen leeren Raum wieder, der mit eigenen Bildern gefüllt werden muss.

16

elisabeth Pichler 2012

TEIL III

AUSSTELLUNGS-PARCOURS


Die ›letzte Station‹ der Reise ist kein Ende. Der Aussichtspunkt, der den Blick über die Weite des Tempelhofer Feldes freigibt, ist vielmehr ›erste Station‹, um auf neuen und selbstgesuchten Wegen Erfahrungen zu sammeln.

Auf dem Weg durch das Gebäude wird der Besucher mit Handlungsaufforderungen, Entscheidungssituationen und Räumen konfrontiert, die körperliche Raumwahrnehmungen wie Dimension, Gleichgewicht oder Orientierung harmonisieren oder stören.

17


18

elisabeth Pichler 2012

TEIL III

AUSSTELLUNGS-PARCOURS


INTRO Auf dem Weg zur Ausstellung wird der Besucher zwangsläufig mit dem monumentalen Gebäudekomplex aus der Zeit des Nationalsozialismus konfrontiert. Neben dem Gebäude verweisen auch ›Denkmäler‹, wie der Kopf des Reichsadlers auf dem Platz der Luftbrücke oder das im Volksmund ›Hungerharke‹ genannte Luftbrückendenkmal, auf die Geschichte des Ortes. Ich verstehe diese ›Begegnung‹ als Einleitung für das sich entwickelnde Ausstellungsgeschehen. Rote Markierungen heben die ›Zeitzeugen‹ und besonderen Merkmale des Gebäudes hervor. 19


warteraum »Es gibt keinen Grund, den Raum gegen die Zeit auszuspielen, und man muss nicht der Zeit nehmen, was man dem Raum gibt«. (Bernhard Waldenfels, ›Ortsverschiebungen, Zeitverschiebungen‹, 2009)

Raum und Zeit lassen sich nicht voneinander trennen. Im Warteraum wird Zeit im Sinne der ›Eigenzeit‹ des Besuchers, aber auch des Gebäudes thematisiert. Der Besucher wartet hier auf ›Nichts‹, bevor er nach eigener Einschätzung befindet, dass die ›Zeit gekommen ist‹, seine Reise zu starten. In diesem Raum kann kann sich der Besucher ›Zeit nehmen‹ und zur Ruhe kommen.

Einzige Intervention, die den Raum von einem üblichen Wartesaal unterscheidet, ist eine Uhr, die sich nicht nach üblichen Zeiteinheiten richtet. Die projizierten Zeiger symbolisieren persönliche Zeit, die still steht, rennt, schleicht, zurück fällt, hinterher hinkt oder davon läuft.

20

elisabeth Pichler 2012

TEIL III

AUSSTELLUNGS-PARCOURS


transitbereich Der Transitbereich bleibt frei von sichtbaren Eingriffen, spürbar jedoch sind unterschiedlich starke, warme und kalte Luftströme, die den gebogenen Gebäudeteil durchfließen. Der ›Fahrtwind‹ im geschlossenen Raum irritiert und berührt die sensorische Raumwahrnehmung des Besuchers.

21


abflughalle In der größzügig angelegten Abflughalle wird das Fehlen von Betriebsamkeit besonders augenfällig. Dieser Ort entwickelt ohne Menschenmassen und Lärm eine exklusive, ruhige Schönheit. Die Ruhe wird in kurzen Phasen von Soundinstallationen, welche die Klangkulisse des Flughafenbetriebs entstehen lassen, unterbrochen und hervorgehoben. Kleine unerwartete Performances kontrastieren die aufgerufenen Bilder vom Flughafen mit Tanz- oder Theatereinlagen von absurder Gestalt und loten die Grenzen des Raumes aus.

22

elisabeth Pichler 2012

TEIL III

AUSSTELLUNGS-PARCOURS


anzeigetafel Eine Anzeigetafel informiert im Normalbetrieb über konkrete Raum-Zeit-Verbindungen. Im Ausstellungsparcours wird sie zum Träger poetischer und philosophischer Texte, die sich mit persönlicher Raum-Zeit auseinandersetzen und die Bedeutung der gedanklichen Erschließung von Raum hervorheben. Das Klappern beim Wechsel der Zeichen bildet Teil der Klangkulisse und kündigt, der originären Funktion entsprechend, neue ›Ziele‹ oder ›Erwartungen‹ an.

23


flugfeld Das Tempelhofer Feld, an der Nord/West-Seite auf einer Länge von 1,2 Kilometern vom Gebäude gerahmt, bildet einen vom Ausstellungsparcours unabhängigen Erfahrungsraum für Leere und Freiraum. Der Titel ›LEERE – VERSPRECHUNG‹ zitiert und ersetzt auch auf der dem Flugfeld zugewandten Gebäudeseite den Schriftzug ›Berlin Tempelhof‹ und steht zum Feld in einem ganz anderen Spannungsverhältnis als auf der Strassenfassade. Das Feld selbst bleibt weitgehend unbearbeitet. Nur die mannshohen Wortblöcke, die auf dem Feld aber auch von ›Sichtfenstern‹ aus dem Gebäude lesbar sind, bilden Orientierungsmarken auf der weiten Fläche und kommentieren diese ergänzend zur euphemistischen Terminologie der »Tempelhofer Freiheit«. Originale Markierungen auf den Flugbahnen und Sperrblöcken werden in der Signalfarbe Rot-Weiß aufgefrischt.

24

elisabeth Pichler 2012

TEIL III

AUSSTELLUNGS-PARCOURS


25


Eidesstattliche Versicherung Ich versichere, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe. Alle Stellen, die wörtlich oder sinngemäß aus Veröffentlichungen oder anderen Quellen entnommen sind, sind als solche eindeutig kenntlich gemacht. Die Arbeit ist in gleicher oder ähnlicher Form noch nicht veröffentlicht und noch keiner Prüfungsbehörde vorgelegt worden.

Potsdam, 05.Juli 2012

26

elisabeth Pichler 2012

TEIL III

AUSSTELLUNGS-PARCOURS


27



Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.