1/3 THEORIE Diplomarbeit Elisabeth Pichler

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ICH WILL KEINE VITRINEN BAUEN ICH ENTWERFE BEZIEHUNGSKISTEN

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elisabeth Pichler 2012

TEIL I

medium ausstellung


ICH WILL KEINE VITRINEN BAUEN ICH ENTWERFE BEZIEHUNGSKISTEN medium ausstellung DIPLOMARBEIT Ausstellungskonzept für das Flughafenareal Tempelhof ELISABETH PICHLER KOMMUNIKATIONSDESIGN FACHHOCHSCHULE POTSDAM 2012 Betreuende Professoren: Prof. Detlef Saalfeld Prof. Lutz Engelke

teil I theorie akteure ausstellungsmacher besucher dinge

Andere räume – struktur vergleiche offene und normative strukturen narrative strukturen räumliche strukturen der weg der garten beispiele

InSZENIERUNGSMITTEL

AUfmerksam machen 3


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Vorwort Alles was gezeigt wird, ist Ausstellung, ›Zur-Schau-Stellung‹; Dinge, Waren, Menschen, Tiere, Wissen, Kultur, Bilder, Geschichte(n) ... bis hin zum Lebensgefühl. Im Wohnzimmer kann ich mein Verständnis von ›Gemütlichkeit‹, im Internet meinen ›Lifestyle‹ inszenieren. Was ich brauche, ist etwas ›Zeigbares‹, eine Plattform und ein Publikum. Spannend wird das Ausstellen, wenn es – über die reine Präsentation hinaus – darum geht, Beziehungen und Bedeutungszusammenhänge darzustellen: Welche Bedeutung haben die Dinge, welche Deutungsabsicht hat meine Darstellung, und welche Möglichkeiten biete ich dem Publikum an, sie zu decodieren und selbst am Deutungsprozess teilzunehmen? Beziehungen darstellen und aufbauen zwischen Dingen und dem Publikum; sichtbarmachen, zur Disposition stellen und hinterfragen. Ich will keine Vitrinen bauen, ich entwerfe Beziehungskisten. Elisabeth Pichler, 2012

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MEDIUM AUSSTELLUNG Mein Fokus liegt nicht auf der langen Form-, Entwicklungs-, und Funktionsgeschichte von Museen und Ausstellungen, sondern auf neueren Entwicklungen und Diskussionen zu den Themen: Medium Ausstellung, Neues Ausstellen, Dialograum und Display-Gestaltung. Diese theoretische Auseinandersetzung hat mich in meinem Selbstverständnis in meiner Rolle als Ausstellungsgestalterin bestärkt und mir geholfen mich und meine Arbeitsweise im Kontext des ›Ausstellungsbetriebs‹ zu verorten.

Ausstellen ist Beziehungsstiftung Im Grunde handelt es sich bei einer Ausstellung um das einfache Kommunikationsmodell von Sender und Empfänger. Ein Inhalt soll anhand von Dingen vermittelt oder gezeigt werden. Die Ausstellung bildet die Plattform dieser Kommunikation, sie ist das Medium. Eine Ausstellung entsteht aus dem Beziehungsgeflecht von Zeigendem, Gezeigtem und Betrachter. Dieses Beziehungsgeflecht, und besonders welche Form es annehmen kann, möchte ich im folgenden genauer untersuchen.

SENDER

»Ausstellen bedeutet, ein Ding in einen bestimmten Kontext zu stellen. Ausstellen ist Beziehungsstiftung: Dinge zueinander in Beziehung setzen und dieses Ensemble von Dingen zu einem Ort in Beziehung setzen, der seinerseits mit der Welt in Beziehung steht«1, fasst paolo bianchi das Vermögen von Ausstellungen, Sinnzusammenhänge zu vermitteln, zusammen. Für ihn ist »[d]ie Bedeutung der Dinge […] nicht in den Objekten angelegt, sondern erschließt sich erst im ›Dialog‹ zwischen Zeigendem, Betrachter und Gezeigtem. Wer die Ausstellung als ›Dialograum‹ begreift, sieht nach deren Durchquerung den Alltag und dessen Bedeutungsgeflecht kritisch und in einem anderen Licht.«2 Dieser Dialog konstituiert sich aus vielschichtigen Bedeutungszuweisungen. »Im Ausstellen kreuzen sich Deutungsabsichten von Ausstellenden, Bedeutungen des Ausgestellten und Bedeutungsvermutungen der Rezipierenden. Dieses Beziehungsgeflecht von AusstellungsmacherInnen, BesucherInnen und Objekten bestimmt die Rezeption«3 , beschreiben roswitha muttenthaler und regina Wonisch den Prozess des Ausstellens. Sie verweisen damit explizit darauf, dass die Beziehungsstiftung auch eine Bedeutungszuweisung beinhaltet.

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Ein Raumverhältnis, das aus Bewegung entsteht

EMPFÄNGER

Für Harald Krämer sollten »Gestaltungsregeln […] grundsätzlich inhaltlich motiviert sein, denn nur so kann Navigation zugleich auch Inhalt werden und sich das Design der Informationsarchitektur bestmöglich entfalten […], in diesem Zusammenspiel von Dramaturgie und Narration, Navigation und Design liegen die Herausforderungen.«4 krämer spricht hier von virtuellen Räumen und der Gestaltung hypermedialer Wissensvermittlung. Seine Aussage lässt sich auf den Ausstellungsraum übertragen, in dem die Navigation eine körperliche wird. ekhard siepmann nennt es eine »Wahrnehmung-in-Bewegung«5 durch den Besucher. »Verräumlichung der Ausstellung bedeutet die Einbeziehung der Raumbeziehungen in die Bedeutungsproduktion. Der Raum wird zum Medium der Aufhebung des ›starren‹ Gegenüberstehens von ›Besucher‹ und ›Objekt‹: Der Raum räumt die Möglichkeit wechselnder Relationen zwischen Passanten und Objekten ein, er ermöglicht einen Prozess, der an der Bedeutungsproduktion beteiligt ist.«6 Ausstellungsgestaltung besteht darin, eine Übersetzung des Inhalts in den Raum zu finden. Für den auch als Kurator tätigen Künstler moritz küng ist es »letztendlich […] der Raum der Ausstellung selbst ›der sagt‹, was und wie man ausstellt.«7 paolo bianchi spricht von der Ausstellung als Dialograum in dem er mit Displays arbeitet, die »dabei mehr [sind] als nur Rahmung (Vitrine, Podest, Label, Wandtext), sondern inhaltliche Zusammenstellung, Dialog zwischen den Arbeiten, Sichtachse, Zuschauerposition, Kapitelgliederung, Farbe, Atmosphärenbildung«8 . MEDIUM AUSSTELLUNG

»Ein Dialograum ist [für Bianchi] daran erkennbar, dass er frei von Autorität und Hierarchie ist, dass keine bestimmten Aufgaben und Ziele erfüllt werden müssen, dass niemand verpflichtet wird, zu irgendwelchen Schlüssen zu kommen«9 . Seiner Meinung nach soll nicht »Wissen tradiert«, sondern »Wissen generiert« werden. Er strebt »keine höheren Einsichten, sondern die Vielzahl gleich gültiger Wahrheiten«10 an.

Es gibt einen Inhalt, den ich vermitteln oder in Frage stellen will. Es gibt einen Ort, an dem ich dem Inhalt, mit Hilfe von Dingen, eine Form und einen Raum gebe, ihn verräumliche und zur Disposition stelle. Es gibt ein Publikum, das dieses Angebot wahrnimmt und Bedeutung erst entstehen lässt.

inhalt

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Bianchi in: Kunstforum 2007: 54

2 Ebd. 46 3

Muttenthaler/ Wonisch 2006:38 2007:1 5 Siepmann 2003:4 6 Ebd. 5 7 Küng in: Kunstforum 2007:105 8 Bianchi in: Kunstforum 2007:82 9 Ebd. 10 Ebd. 4 Krämer

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AKTEURE Eine Ausstellung ist an sich schon interaktiv. Das Geschehen einer Ausstellung ist prozesshaft und entsteht aus einem Zusammenspiel unterschiedlicher Akteure. Ausstellungsmacher – Besucher – Dinge. »Mit der Entscheidung für den Prozess, für Partizipation seitens der Rezipienten verlassen wir gesichertes Terrain. Anstelle des einen omnipotenten Autors gibt es nun viele mehr oder weniger potente Co-Autoren.« 11

AUSSTELLUNGSMACHER »AUSSTELLUNGEN ZU MACHEN, BEDEUTET, SICH ALS

WISSENSCHAFTLER, PHILOSOPH, KÜNSTLER, GESTALTER, MANAGER, ORGANISATOR, COACH, BUCHHALTER, REDNER UND MUSEUMSPÄDAGOGE ZU VERSUCHEN.«12

WER

Unter ›Ausstellungsmachern‹ möchte ich alle ›Gewerke‹ zusammenfassen, die das Angebot einer Ausstellung inhaltlich oder formal entwerfen. Ähnlich einem Film ist eine Ausstellung ein komplexes Werk, für dessen Gelingen die gute Zusammenarbeit unterschiedlicher Experten unerlässlich ist. Ausstellungsmacher setzten Sachverhalte – martin schärer fasst darunter »Vorstellungen, Geschehen und Dinge«13 zusammen – zueinander in Beziehung. Ob intendiert oder unbewusst, passiert mit diesem Vorgang eine Deutung. »Keine Bezeichnung zielt nur aufs Objekt. Jede ist in ihrer Zeit auch für den bezeichnend, der sie vornimmt« 14

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medium ausstellung

Gerade in kulturhistorischen Ausstellungen sieht martin schärer Ausstellungsmacher in der Verantwortung transparent zu machen, dass es sich bei ihrer Darstellung nicht um »eine endgültige, gesicherte, objektive […] Wahrheit« handelt, da Vergangenes »weder vollständig zu wissen noch jemals rekonstruierbar« ist und Aussagen über die Zukunft nur über die »gegenwärtigen oder vergangenen (durch die Gegenwart wahrnehmbaren), die Zukunft betreffenden Sachverhalte«15 getroffen werden können. Diesen Anspruch formuliert er »nicht nur bei umstrittenen Themen, sondern auch bei ›ungefährlichen‹ Ausstellungsthemen«. Schärer hält es für »unbedingt nötig, von der absoluten, dozierenden Haltung wegzukommen«.16 Als Ausstellungsgestalterin sehe ich mich in der Verantwortung ein gestalterisches, räumliches Konzept zu erarbeiten, das viele unterschiedliche Interpretationen zulässt oder transparent macht, welche ›Sicht der Dinge‹ gerade vermittelt wird.


WEM BESUCHER PROTAGONIST, ERZÄHLER UND REZIPIENT. KÖNIG ODER KUNDE. EIGENERZÄHLER, RAUMWANDERER. BEDEUTUNGSPRODUZENT, KONSUMENT. ZUSCHAUER, MITSPIELER. SCHATZSUCHER, REISENDER. Besucher sind der ›aktive Teil‹ im Ausstellungsgeschehen.

»Der Prozesshaftigkeit der Ausstellung entspricht eine Wahrnehmung-in-Bewegung, dem Umgebungshaften, Atmosphärischen die Wahrnehmungmit-dem-ganzen-Körper.«18 Auch der norwegische Museologe marc maure richtet den Fokus auf die Bewegung im Raum und zieht dabei Vergleiche zur Montagetechnik im Film. Der Ausstellungsbesucher wird zum Regisseur seines eigenen ›Kopfkinos‹: »The exhibition's narrative structure consists of a montage of various ›images‹ which is the result of the viewer's movement in the room.«19 Den Besucher als bedeutungsstiftenden Akteur im Prozess des Ausstellungsgeschehen wahrund ernstzunehmen, bedeutet sich von der Vorstellung der abgeschlossenen Form zu verabschieden.

Akteure

In der Ausstellungsanalyse und -planung kommt ihnen eine bedeutende Rolle zu, da sie zwar in ihrer Rezeption gelenkt werden können, aber über Freiheiten und Eigenverantwortung hinsichtlich ihrer Zeit-, Raum- und Aufmerksamkeitseinteilung verfügen.

eckhard siepmann misst der Prozesshaftigkeit einer Ausstellung besondere Bedeutung zu, die erst durch Präsenz des Besuchers und seiner Bewegung im Raum in Gang gebracht wird:

Für werner hanak-lettner ist es erst der Besucher, »der das Angebotene in eine nachvollziehbare logische Ordnung führt« und »sich die Geschichte, die anhand von Dingen und architektonischen Strukturen von Ausstellungsmachern ›in den Raum gestellt‹ wurden, selbst fertig erzählt.«18 Die leibliche Präsenz und Bewegung des Besuchers unterscheidet das Medium Ausstellung von anderen Kulturprodukten wie Literatur, Film, Theater oder virtuellen Räumen.

WAS DINGE

11 Müller

2003: 9 Roger Fayet im Interview: Bianchi 2010: 21 13 Schärer 2003: 8 14 Simon 1989: 214 15 vgl. Schärer 2006: 1 16 Schärer 2006: 5 17 vgl. Hanak-Lettner 2011: 135 /109 18 Siepmann 2003: 6 19 Maure 1995: 162 12

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»To isolate an object from any physical or social connection and ask what it means, is as meaningless or reductionist as isolating a word in a sentence.« 20

Für martin schärer sind »Dinge alles, was physisch-konkret ist. Es sind mit den Sinnen wahrnehmbare und dadurch für den Menschen erst in ihrer Bedeutung konstituierte materielle Einheiten.« 21 Als Objekt bezeichnet er »ein Ding, mit dem der Mensch eine spezifische, über die Sinne laufende ›Beziehung‹ etabliert und unterhält«.22

Akteure

Der Ding-Begriff kann auf alles Materielle, also auch auf Gebäude und ›originale Bausubstanz‹ angewendet werden. Schärer fasst den Begriff so offen, dass »sogar ein Mitmensch musealisiert werden«24 kann.

Marc Maure

Dinge werden personalisiert und personifiziert, sie haben ein Gedächtnis und ›erzählen‹ uns etwas, wenn sie ›zum Sprechen gebracht werden‹. Dinge, unabhängig ob es sich um Artefakte oder Naturartefakte handelt, durchlaufen in einer Ausstellung einen Musealisierungsprozess. Musealisierung findet aber nicht nur im Museumskontext statt. Das Museum stellt für Schärer »nur eine mögliche Musealisierungsinstitution« dar. Außerdem »findet Musealisierung – und zwar hauptsächlich – sogar außerhalb von Institutionen statt, im öffentlichen wie im privaten Leben.«23

WER OBJEKTE, EXPONATE, SAMMLERSTÜCKE, RARITÄTEN, KURIOSITÄTEN, MUSEALIA, MATERIALISIERTE ÜBERRESTE, ZEIT-ZEUGEN, BEWEISE, FRAGMENT, DOKUMENT, ZEICHEN, STELLVERTRETER, OBJEKTE DER BEGIERDE, AURATISCHE ORIGINALOBJEKTE, SCHÖNE GEGENSTÄNDE, FETISCHE, ILLUSTRATIONEN ...

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Dinge tauchen in einer Ausstellung nie isoliert auf. Jede Positionierung oder Distanzierung zu anderen Ausstellungsstücken stellt Bezüge her und ›Alles, auch das Nicht-Sagen‹, sagt uns etwas. jana scholze definiert die Bedeutungsebenen der Dinge einer Ausstellung als Denotation, Konnotation und Metakommunikation. Die Denotation bezeichnet die Herleitung der Gebrauchsfunktion des Objektes in seinem ursprünglichen Zusammenhang. Auch mehrdeutige Denotationen seien möglich, wenn ein Objekt etwa auf verschiedene Gebrauchsfunktionen verweist oder wenn die Nutzung sich historisch bedingt gewandelt habe. Die Konnotation beschreibt den individuellen Kontext, dessen Eingebundensein in kulturelle Vorgänge, Norm- und Wertesysteme sowie individuelle Lebensgeschichten. Unter Metakommunikation versteht Scholze den Einsatz am ›Ort der Kommunikation‹: Die Metakommunikation lässt sich in der Art der Präsentation, dem Sammlungsinteresse, der Raumnutzung und den Gestaltungsmitteln ablesen.25 martin schärer bezeichnet Denotation und Konnotation als Gebrauchsfunktion und attributierte Werte. Die Metakommunikation übermittelt Botschaft oder Kommunikationsabsicht der Ausstellung. Wobei er den »Umgang mit dem Objekt zum Einteilungskriterium«26 erhebt, aufgrund dessen er unterschiedliche Ausstellungssprachen unterscheidet. p S. 16/17 NARRATIVE STRUKTUREN


WEM

LIEBGEWONNENES, VERHASSTES. SCHÄTZE, MÜLL. KOSTBARES, KRAM. ERINNERUNGEN, ANDENKEN. SOUVENIRS, SCHMUCKSTÜCKE. KUNSTWERK, RELIQUIE.

Abhängig von Vorwissen und kulturellem Hintergrund kann die Denotation oder Gebrauchsfunktion eines Objekts erschlossen oder erahnt werden. Form und Material der Objekte geben selbstreferentiell Auskunft.

Diese Theoretisierung der Dinge in Ausstellungen soll ihnen nicht ihre Qualität als ›auratische Objekt‹ nehmen, sondern im Gegenteil verständlich machen, welche Potentiale der Objekte mithilfe von Text oder Präsentationsweisen lesbar gemacht werden können.

p S. XX // INSZENIERUNGSMITTEL

Dinge verlieren in Ausstellungen ihre Gebrauchsfunktion und durchlaufen einen Dekontextualisie-

rungs- und einen anschließenden Rekontextualisierungsprozess, um als Zeichen oder Stellvertreter einer bestimmten Botschaft ihren Platz zu finden. Sie werden dabei in eine neue Ordnung überführt.

juliane rebentisch stellt fest, dass »Elemente in der Installation ein darstellerisches Eigenleben [führen], das nicht in der Darstellung der Narration oder überhaupt: im Setting einer bestimmten Szene aufgeht«. Dieses Eigenleben ästhetischer Objekte enstehe nicht aus der »Symbolisierung eines narrativen oder dramatischen Sinns«, sondern ereigne sich »weil sie sich einer solchen Symbolisierung beharrlich sperren. Und zwar in ihrer doppelten Lesbarkeit als Ding und Zeichen. Weder geht das ästhetische Objekt umstandslos im Sinn auf noch ist es auf seine Buchstäblichkeit, seine Ding- oder Objekthaftigkeit reduzierbar.«31

sche Reihen auf und stellt eine Vergleichbarkeit in den Vordergrund, wobei Aufbewahren und Präsentieren – beispielsweise in einem ›Schaudepot‹ – oft als Eines zu verstehen sind.27 Bei der Chronologie führt eine zeitliche Reihenfolge zu einer linearen Anordnung der Objekte.28 In der Inszenierung wird versucht »räumliche Imagination durch szenische Nachbauten« auszulösen, und um Herkunft oder Gebrauchsfunktion des Objekts vorstellbar zu machen. 29

Akteure

Konnotationen oder attribuierte Werte sind jana scholze unterscheidet vier typische Ordmeist vielschichtiger, undurchsichtiger und nungskonzepte: stark von persönlicher Anschauung geprägt. Sollen eine oder mehrere Konnotationen lesbar Klassifikation, Chronologie, Inszenierung und gemacht werden, bieten Ausstellungen anhand Komposition. von Inszenierungsmitteln ›Interpretationshilfen‹. Diese bilden Teil der Metakommunikation. Die Klassifikation führt Objekte als systemati-

»Kontextbezug […] sollte mithin nicht als Gegensatz zur Autonomie des ästhetischen Gegenstandes, sondern als wesentliches Moment von deren Bestimmung verstanden werden.«32

Die Komposition bildt eine netzartige Struktur, die zu vielen Kombinations- und Bedeutungsmöglichkeiten führt. Hier liegt der Schwerpunkt auf den Beziehungen zwischen Dingen und Besuchern und weniger auf dem Einzelstück.30

WAS DINGE ARTEFAKTE, NATURARTEFAKTE.

KÜNSTLICHES, ECHTES. EXEMPLARISCHES, TYPISCHES. REPRÄSENTATIVES, ELEMENTARES. FUNDAMENTALES, INNOVATIVES, MODELLHAFTES.

20

Maure 1995: 160 Schärer 2003: 47 22 Ebd. 11 23 Ebd. 47 24 Ebd.62 25 vgl. Scholze 2004: 30ff 26 Schärer 2003: 118 27 vgl. Scholze 2004: 86ff 28 vgl. Scholze 2004: 138ff 29 Scholze 2004: 28 30 vgl. Scholze 2004: 263ff 31 vgl. Rebentisch 2003: 170f 32 Ebd. 2003: 234 21

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ANDERE RÄUME – Strukturvergleiche Andere ›Räume‹ lassen sich metaphorisch oder ganz konkret auf Ausstellungssituationen übertragen. Neben thematischen Überschneidungen sind ganz allgemein Strukturen, die narrative oder räumliche Dramaturgien entwickeln, aufgrund ihrer kognitiven und/oder leiblichen Wahrnehmung mit denen der Ausstellung vergleichbar. Während meiner Recherche bin ich auf diverse Anlehnungen, vor allem aber auf Abgrenzungstendenzen zwischen unterschiedlichen Medien gestoßen. In der grundlegenden Ähnlichkeit narrativer und/ oder zeit-räumlicher Strukturen liegt vielleicht die Motivation für Abgrenzungstendenzen, die versuchen, Besonderheit und Einzigartigkeit des jeweiligen Mediums herauszustellen. In meinen Überlegungen zitiere ich bewusst nicht nur Personen, die sich mit Ausstellungen beschäftigen, sondern ziehe Inspiration aus den Bereichen Kunst, Literatur, Theater, Film- und Museumswesen sowie aus Marketing und Unterhaltungsmedien. Der interdisziplinäre Vergleich und Anlehnungen an andere ›Formate‹ ist sinnvoll, da sich in einer Ausstellung häufig mehrere Medien zu einer dichten Textur verweben. Parallelen und Unterschiede dienen als Grundlage für das Verständnis wechselseitiger Referenzen und als Ausgangspunkt, um unterschiedliche Qualitäten für das Medium Ausstellung nutzbar zu machen.

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medium ausstellung

Roswitha Muttenthaler und Regina Wonisch beschreiben die Ausstellung als dichte Textur von verschiedenen Medien: »Ausstellungspräsentationen sind durch die Verschneidung von verschiedenen Medien in einem Raum zu einer dichten Textur verwoben. Jedes Exponat steht in Wechselwirkung mit den es umgebenden Objekten, Texten und Elementen der Ausstellungsarchitektur. Diese beziehen sich in einer je spezifischen Weise aufeinander, lassen einzelne Aspekte in den Vordergrund rücken, bestärken oder unterlaufen sich gegenseitig in ihren Effekten.« 33 Besonders die Verschneidung unterschiedlicher Medien in einer Ausstellung macht sie für intermediale Referenzen bezüglich Präsentationsund Sturkturformen fruchtbar. Die Ausstellungsmacher, auf die ich mich theoretisch wie praktisch beziehe, versuchen interdisziplinäre Verbindungen zu schaffen und Abgrenzungstendenzen abzubauen. martin schärer sieht keinen Anlass, Kunstwerke museologisch anders zu behandeln als ›normale‹ Objekte, solange es sich nicht um eine rein ästhetische Zurschaustellung handelt: »Wenn die Museologie als allgemeine Wissenschaft verstanden wird, die eine spezifische (weil nur durch Werte und nicht auch durch Gebrauch bestimmte) Beziehung des Menschen mit seiner materiellen Umwelt untersucht, können Kunstwerke kaum einen Sonderstatus beanspruchen. Alle Objekte, das heisst Dinge, für die ein Mensch-Ding-Verhältnis besteht, sind deshalb museologisch als gleichwertig zu betrachten.« 34


martin heller versucht gegen die Abgrenzungstendenzen von Kultur und Wirtschaft zu argumentieren. Pointiert fasst er zusammen: »Wird ein Ausstellungsbesuch kulturell im Kontext eines Bildungsverhaltens verortet, so wird er in wirtschaftlicher Perspektive als Konsum verstanden.« 35 Er selbst hält diese Unterscheidung für unfruchtbar und plädiert seinerseits für das »Alle-Publikum und die Erotik der Überzeugung«. »Das Publikum selbst nämlich sieht sich […] keineswegs in doppelter Identität als Wirtschafts- oder Kulturpublikum. Es kümmert sich kaum um derartige Zuschreibungen, sondern verhält sich unter- und oberhalb der damit verbundenen Ansprüche mehr oder minder souverän, flanierend, zappend, auf unterhaltende Momente und Reize reagierend zugleich ziemlich kompetent und emanzipiert.« 36 Auch bianchi spricht sich gegen die Unterscheidung von Hoch- und Unterhaltungskultur aus. In seiner Tätigkeit als Kurator spricht er sich für eine »gleichberechtigte Anerkennung von High- und Low-Culture als Crossover« aus: »Angesagt ist der fliegende Wechsel zwischen Subversion und Attraktion, zwischen Avantgarde und Entertainment, zwischen Multi- bzw. Subkultur und Mainstream, zwischen Peripherie und Zentrum, zwischen Elfenbeinturm und Militanz.«37

hanak-lettner zieht für seine Ausstellungsanalyse »Vergleichsräume« heran, die »eine ähnliche Öffentlichkeit herstellen, […] als Versuchsorte für eine verdichtete Weltlandschaft fungieren, […] oder in denen Dinge wie in einer Ausstellung aufund ausgestellt werden« 39: Weg, öffentlicher Platz, Tempel, Konsumtempel, Zoo, Park, Stadt. Der von michel foucault etablierte Begriff der Heterotopie, dessen Typologie »generelle kulturelle Relevanz, funktionale Veränderbarkeit, Integration von Unvereinbarem, Heterochronie, Begrenztheit sowie illusionäre und kompensatorische Aufgaben« 40 umfasst, lässt sich bestens auf Ausstellungssituationen übertragen. »Die Heterotopie vermag an einen einzigen Ort mehrere Räume, mehrere Platzierungen zusammenzulegen, die an sich unvereinbar sind. So lässt das Theater auf dem Viereck der Bühne eine ganze Reihe von einander fremden Orten aufeinander folgen; so ist das Kino ein merkwürdiger viereckiger Saal, in dessen Hintergrund man einen zweidimensionalen Schirm einen dreidimensionalen Raum sich projizieren sieht. Aber vielleicht ist die älteste dieser Heterotopien mit widersprüchlichen Platzierungen der Garten.[…] Der Garten ist seit dem ältesten Altertum eine selige und universalisierende Heterotopie (daher unsere zoologischen Gärten).« 41

Andere Räume

»Ob wir eine anspruchsvolle historische Kunstschau über die 50er-Jahre inszenieren oder ob es um die technischen Spezifikationen des Cadillac Seville geht, ist für uns die genau gleiche Herausforderung. In beiden Fällen geht es um die Fertigkeit, dass solche Botschaften in der Umsetzung eine hohe Erlebnisqualität generieren – und alle Sinne ansprechen« 38, beschreibt der spanische Szenograf xavier bellprat die Arbeitsweise seines Teams.

Für das Gestalten einer Ausstellung muss ich mir klar sein welche Geschichte(n) ich thematisieren möchte, wie ich sie ›verräumliche‹ und überzeugend erzähle. Im Folgenden gehe ich auf ›offene‹ und ›normative‹ Strukturen und die, damit verbundene Einflussnahme der Ausstellungsmacher auf die Besucher ein; stelle die Übertragbarkeit narrativer Strukturen im intermedialen Zusammenhang dar; und gebe zwei Beispiele für räumliche Strukturen: Weg und Garten die mich aufgrund ihrer räumlichatmosphärischen Wirkung interessieren.

33 Muttenthaler/Wonisch

2002: 6 2009: 8 35 Heller in: Kunstforum 2007: 166 36 Ebd. 166/167 37 Bianchi in: Men in Black 2004: 167 38 Bellprat im Interview Bianchi 2010: 9 39 Hanak- Lettner 2011: 162 40 von Bismark in: Texte zur Kunst 09/2002: online 41 Foucault in: Barck 1992: 34 34 Schärer

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Offene und normative strukturen

Andere Räume

Ausstellungen und Teilbereiche können ›offen‹ oder ›normativ‹ strukturiert werden, je nachdem, ob die zu vermittelnden Inhalte aufeinander aufbauen oder gleichwertige und unabhängige Positionen vertreten. Bei der Thematisierung kritischer oder komplexer Inhalte ist der Druck, dass eine Ausstellung ›richtig‹ verstanden werden ›muss‹, besonders hoch.

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medium ausstellung

Martin Tröndle leitet das Forschungsprojekt ›eMotion – mapping museum experience‹, in dem das Rezeptionsverhalten von Besuchern in Ausstellungen untersucht wird. »Im Zentrum steht die psychogeografische Wirkung des Museums und seiner Objekte auf das Erleben der Museumsbesucher.«42 Datenhandschuhe und Tracking registrieren Bewegung, Tempo und emotinale Reaktionen der Besucher im ›Kraftfeld Museum‹.


Abb. 2

Psychogeografische Visualisierung der Bewegung und emotionalen Reaktion eines Besuchers der Ausstellung 11 : 1 (+3) = Elf Sammlungen für ein Museum, im Kunstmuseum St.Gallen

»God is a curator« 43 ist der polemische Titel von justin hoffmanns Beitrag zu der hitzigen Debatte über die Einflussnahme der Ausstellungsmacher auf Werk- und Institutions- und Besucherebene. »Es geht nicht um Allmacht oder Ohnmacht, […] Kontrolle und Zugriff können auch in graduellen Abstufungen ausgeübt werden, auf einer Skala zwischen ganz oder gar nicht.« 44 ›Sinneinheiten‹, die dem Besucher angeboten werden sind oft in ›Raumeinheiten‹ gegliedert.

Neben den unterschiedlichen ›Ordnungssystemen‹, die in Ausstellungen Anwendung finden, bieten Inszenierungsmittel Orientierungshilfen, damit der Besucher nicht mit einer Über- oder Unterforderung, ungewollten Textfülle oder Unübersichtlichkeit, kurz mit der Unmöglichkeit mit dem Ausgestellten in Beziehung zu treten, konfrontiert wird. Im Ausstellungsbereich wird dabei oft auf ein von der Stadtplanung inspiriertes Vokabular zurückgegriffen: Es entstehen Sichtachsen, Knotenpunkte, Verbindungen, Kreuzungen … »In Knoten werden Helden verehrt«, 45 schreibt christian mikunda. Seine Aussage, in der er sich auf den Vergleich der urban-räumlichen Struktur von Paris mit der Struktur eines James-Bond-Films bezieht, ist ebenso auf ausstellungsrelevante Konzepte anzuwenden.

Ein ›offener Raum‹ suggeriert dem Besucher, mehr oder weniger stark, welche Wege er beschreiten soll und teilweise in welcher Abfolge. Entscheidend für einen offenen Raum ist nur, dass Besucher »zwischen Ein- und Ausgang einen Weg zurücklegen, über dessen Streckenführung sie selbst entscheiden«.46 Trotzdem, oder gerade deshalb nimmt der Ausstellungsmacher mit technischen oder gestalterischen Entscheidungen enormen Einfluss auf die Entscheidungen des Besuchers im Ausstellungsraum. Letztlich sind aber auch strenge Raumfolgen nicht normativ, oft geben sie zwar die empfohlene Gehrichtung vor, haben aber dennoch keinen endgültigen Einfluss auf Bewegung, Aufmerksamkeit und Geschwindigkeit des Besuchers im Raum.

Andere Räume

Raumeinheiten ergeben sich entweder aus baulichen Gegebenheiten oder werden bewusst hergestellt. Als Ausstellungsmacher muss man sich mit den räumlichen Gegebenheiten auseinandersetzen, mit ihnen umgehen und gegebenenfalls neue Folgen oder Verbindungen entstehen lassen.

Für die Orientierung in unübersichtlichen, weitläufigen Raumgefügen werden meist Orientierungspläne oder ausgefeilte Leitsysteme angeboten.

Es »gibt […] keinen abstrakten Betrachter, nicht zwei Besucher verhalten sich in einer Installation identisch« 47, sagt ilya kabakov, der in seinen ›totalen‹ Installationen die Manipulation der Besucher auf die Spitze treibt. Für hanak-lettner »entsteht eine interessante Ausstellung gerade durch das unaufdringliche suggerieren von ›desire lines‹, also verdeckten Achsen, deren Entdeckung die Trophäe eines jeden einzelnen Besuchers bleibt, wobei es egal ist, ob diese Verbindungen innerhalb des Ausstellungstextes und -kontextes bestätigt werden oder nicht«.48

Abb. 1 Guy

Debord, The Naked City, 1957

Die politisch motivierte Gruppe der ›Situationistischen Internationale‹ um Guy Debord hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die von den Machthabern geschaffenen, normativen und bevormundenden Strukturen im ›offenen‹ Stadtraum aufzudecken.

Sie entwickeln Strategien um ursprüngliche Atmosphären und Bedürfnisse aufzuspüren und wieder nutzbar zu machen. 1957 erstellt Debord mehrere ›psychogeografische‹ Karten von Paris, in denen er (versteckte) Verbindungen – einem kognitiven Stadtplan nicht unähnlich – sichtbar macht.

Eine ›Anleitung‹ zum Verständnis ist keine Bevormundung. In einer Ausstellung ist es wichtig ein Orientierungsangebot zu schaffen, das den Besuchern ermöglicht, sich zurecht zu finden und die Freiheit lässt, sich von eigenen Interessen leiten zu lassen. p S.22/23 // INSZENIERUNGSMITTEL p S. 24/25 // AUFMERKSAM MACHEN

42 eMotion

2008: online Hoffmann in: Men in Black 2004: 111 44 Müller 2003: 9 45 Mikunda nach Hanak-Lettner 2011: 180 46 Hanak-Lettner 2011: 132 47 Kabakov nach Rebentisch 2003: 166 48 Hanak-Lettner 2011: 183 43

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NARRATIVE STRUKTUREN In Literatur, Theater oder Film finden sich seit jeher Dramaturgien, die Spannung aufbauen, den Betrachter involvieren oder in kritische Distanz versetzen. Diesen Dramaturgien liegen narrative Strukturen zugrunde, die linear oder sequenziell verlaufen können. Bei der Analyse narrativer Strukturen unterscheidet man zwischen: story/histoire – was erzählt wird, also der zeitliche Ablauf der Ereignisse innerhalb der Geschichte; discourse/discours – wie erzählt wird, also die Gestaltung der Geschichte durch den Erzähler.

Orte gewinnen an Attraktivität, wenn man sie kognitiv herstellen kann.

Andere Räume

werner wolf entwickelt eine Intermediale Erzähltheorie. Er versteht das Narrative als kognitives Schema, dass nicht auf bestimmte (z. B. literarische) Textgenres beschränkt ist, sondern bei einer Vielzahl von Gattungen, Texttypen und Medien in Erscheinung tritt. Dieser Herangehensweise liegt die Auffassung zugrunde, dass jedes Kulturprodukt als Text verstanden werden kann. Das Narrative als kognitives Schema zu verstehen bedeutet für Wolf, »dass das Werk zwar als Stimulus für dessen Applikation wirkt (und entsprechende Faktoren anbieten muss), die Narrativierung jedoch zu einem Gutteil in der kognitiven, kulturell konditionierten Tätigkeit des Rezipienten liegt«.49 »Das Narrative ist – im Gegensatz zu einer verbreiteten Auffassung, die auf einer monomedial literarisch ausgerichteten Gattungstheorie beruht […] – ein kognitives Schema von relativer Konstanz, das auf lebensweltliche Erfahrung, vor allem aber auf menschliche Artefakte, und hier wiederum auf deren makro- wie mikrotextuellen oder -kompositionellen Bereich, applizierbar ist, und zwar ohne dass dabei apriorische Festlegungen hinsichtlich bestimmter Realisierungs- oder Vermittlungsmedien getroffen werden müssen. Dieses Schema nenne ich ›das Narrative‹ bzw. ›das Erzählerische‹.«50 Abb. 3

Werner Wolf, Abnahme von Narrativität in Abhängigkeit vom werkseitigen Potential unterschiedlicher Medien

20 Werner Wolf

»Wo es ein Sujet gibt, haben wir auch schon eine Erzählung, ein verborgenes Erzählen, ein Narrativ. Die Objekte der Installation, durch das Sujet miteinander verbunden, existieren in ihr schon so, als stünde hinter ihnen ein ›Text‹, der ihre Anwesenheit erklärt und garantiert.« 48

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medium ausstellung

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Ilya Kabakov

Wolf unterteilt, in ›Abhängigkeit vom werkseitigen Potential‹ unterschiedlicher Medien, in Anteile ›werkseitiger Narreme‹ und ›rezipientenseitig nötige Narrativierung‹. p Abb. 1 »Schon ein einziges Narrem kann vom Rezipienten zum Anlass genommen werden, ein narratives Schema anzuwenden und andere Narreme gegebenenfalls selbst zu ergänzen.«51 Diese Bereitschaft erklärt Werner Wolf mit einer Art erzählerischem Druck. »Er geht dabei von der Existenz verschiedener anthropologischer Grundbedürfnisse, wie dem Bedürfnis nach Sinn, Unterhaltung, Erlebnis, Fiktion und Kommunikation aus, die durch Narration befriedigt werden können.«52


Der Marketingexperte und Film- und Fernsehdramaturg christian mikunda spricht von ›Brain Scripts‹, die sich der Besucher oder Betrachter abhängig von seiner lebensweltlichen Erfahrung eigenständig vervollständigt.

»Die Ausstellungssprache ist durch Elemente der Ausstellungssituation, die wesentlich auch die Absicht der Ausstellungsmacher und der Vermittler einschließt, bestimmt.«

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Martin Schärer

»Drehbücher im Kopf, Brain Scripts, sind dafür verantwortlich, dass man bei einer Geschichte versteht, was eigentlich gespielt wird. Es sind erlernte Handlungsmuster, die von Signalen aufgerufen werden und aus beziehungslos nebeneinander stehenden Informationen in unserem Kopf eine sinnvolle Handlung zusammen konstruieren.«53 thomas hammacher weist auf Ähnlichkeiten von Film- und Ausstellungswesen hin und versucht »am Beispiel der Filmmontage […] Möglichkeiten, […] Methoden und Begrifflichkeiten der Filmtheorie für die Analyse von Ausstellungen fruchtbar zu machen«: »Beide, der Filmeditor, wie der Ausstellungsmacher [und letztendlich der Betrachter], schaffen aus Partikeln der Wirklichkeit neue, eigene Wirklichkeiten.« 54

Für martin schärer ist das »Bedeutungssytem Ausstellung […] dem Theater am meisten verwandt«.56 Er unterscheidet zwischen vier (formalen) Ausstellungssprachen: die ästhetische, die didaktische, die theatrale und assoziative Ausstellungssprache, die er teilweise mit dem Theater in Verbindung bringt. schärer weist darauf hin, dass solche Sprachen nie rein vorkommen, sondern die Realität immer mit Mischformen aufwartet. Da Interaktivität in allen Ausstellungssprachen möglich ist, erübrigt es sich für Schärer, von einer ›interaktiven Ausstellungssprache‹ zu sprechen.

Abb. 4

Bertolt Brecht, Gewichtsverschiebungen vom dramatischen zum epischen Theater

»Die ästhetische Ausstellungssprache stellt die Form der Objekte in den Vordergrund und ermöglicht Kunstgenuss.« Eine dem Einzelobjekt, einem Kunstwerk gleich, wertgebende Form der Präsentation, die auch auf banale oder Alltagsgegenstände angewendet werden kann, um ihre Wertigkeit (im Kontext) zu verdeutlichen. 58

»Die didaktische Ausstellungssprache verweist auf die Bedeutung der Objekte und vermittelt Wissen.« Sie hebt den ursprünglichen Kontext hervor und versucht, häufig mit didaktisch aufbereiteten Zusatzmaterialien, »mit einer diskursiven Annäherung möglichst nahe an eine auf Fakten basierende historische Realität« zu verweisen.59

»Die theatrale Ausstellungssprache schafft durch Objektensembles Erlebnisräume und erlaubt Teilnahme.« Hier wird das Einzelobjekt Teil eines Arrangements aus dem ein ›Gesamtbild‹ entsteht. Neben der (möglichst ›naturgetreuen‹) Rekonstruktion von Vergangenheit findet diese Form auch bei In-situ-Erhaltungen ihren Platz.60

»Die assoziative Ausstellungssprache kombiniert die Objekte mit dem Ziel, Denkprozesse auszulösen.« Einzelobjekte werden hier aus ihrem individuellen Kontext und historischen Verwendungszusammenhang herausgelöst und verfremdet. Sie erfahren erst im Zusammenspiel der Ausstellungssituation eine Bedeutung, die sich der Besucher, von dem ein aktives Mitdenken erwartet wird, erschließen muss.61

Die Gegenüberstellung von schärers Ausstellungssprachen und bertolt brechts Schema gewichtsverschiebungen vom dramatischen zum epischen theater p Abb.2 verdeutlicht die Parallelen von Erzählweisen und -absichten im Theater- und Ausstellungskontext. Schärer selbst ist der Meinung, dass sich »Brechts Ausführungen zum Verfremdungseffekt im Theater […] erstaunlich gut auf die der assoziativen Ausstellungssprache übertragen [lassen]«.62

Andere Räume

hanak-lettner nimmt an dass, »ähnliche Stoffwahl, der Realitätsbezug, der aktive Rezipient und auch der Wille, komplizierte Sachverhalte in einem spannenden und auch vergnüglichen Rahmen sichtbar zu machen, […]im Theater und in der Ausstellung ähnliche Erzähl- und Informationsstrategien entstehen« 55 ließen.

Auch Hanak-Lettner macht darauf aufmerksam, dass »die Ausstellung inzwischen eine aristotelische [dramatische] und eine Brecht’sche [epische] Tradition kennt: Während sich die assoziative Ausstellungssprache […] Brecht zuordnen lässt, orientiert sich die theatrale Ausstellungssprache, ›die durch den Aufbau konkreter Situationen Erlebnisse, Stimmungen und emotionale Teilnahme schaffen‹ will, an der aristotelischen Dramaturgie«.63

48

Kabakov nach Rebentisch 2003:168 Wolf nach Scheuermann 2005:98 50 Ebd. 87 51 Vokus 2008:31 52 Ebd. 53 vgl.Mikunda 2011:18 54 Hammacher in: Vokus 2008:33 55 Hanak-Lettner 2011:121 56 Schärer 2003:138 57 Schärer 2003: 114 58 vgl. Ebd. 114, 123f. 59 vgl. Ebd. 124f. 60 vgl. Ebd. 125f. 61 vgl. Ebd. 127f. 62 Ebd. 128 63 Hanak-Lettner 2011: 122f 49

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RÄUMLICHE STRUKTUREN

Andere Räume

Ich stelle Weg und Garten exemplarisch für räumliche Strukturen vor, da sie konkret und im übertragenen Sinne für zwei Extreme der räumlichen Wahrnehmung stehen: Der Weg für Ablauf, Fortschritt und eine räumlichlineare Abfolge von Ereignissen; der Garten, Sinnbild des ›Verweilens‹, für das räumlich-atmosphärische ›Ereignen‹. Beide bieten – metaphorisch aber auch ganz praktisch – Inspirationen, die auf Ausstellungen oder Teilbereiche von Ausstellungen angewandt werden können. Der Weg beschreibt nicht nur lineare, sondern auch sequenzielle Narrationen, wenn wie in Brechts epischem Theater die ›Spannung auf dem Gang‹ und nicht ›auf dem Ausgang‹ liegt.

Abb. 7 Koreanischer

Wegweiser helfen uns bei der Orientierung. Weggefährten sind Menschen, die uns während eines Lebensabschnitts begleiten. Auf Pilgerwegen wird der Geschichte von Heiligen gefolgt. Sie stellen nicht nur die metaphorische Verbindung zu deren Lebens- oder Leidensweg her, sondern manifestieren diesen an konkreten ›Wegpunkten‹. Die Via Dolorosa in Jerusalem, Mutter aller christlichen Pilgerwege, verortet die 14 Stationen des Kreuz- und Leidensweges Jesu Christi an den ›Originalschauplätzen‹.

Der Weg ist nicht das Ziel, sondern der Weg Der metaphorische Gebrauch des Weges ist schier unerschöpflich. Erzählungen verfolgen den Werdegang der Protagonisten. Der Weg wird zur ›storyline‹ der Heldenreise und beschreibt den linearen Ablauf zwischen Anfang und Ende einer Geschichte. Auf dem Weg zu Höhepunkt und Ziel werden Umwege beschritten, der Protagonist ›kommt vom rechten Weg ab‹ und findet ›seinen‹ Weg.

Abb. 5 KulturSpiegel, April

Eine spezielle ›Kunstform‹ stellen Labyrinth und Irrgarten dar. Sie verknüpfen Weg und Garten auf besondere Weise, die sich hinsichtlich der Wegeführung unterscheidet.

Abb. 6 Irrgarten

elisabeth Pichler 2012

Thematische Stadtführungen bieten uns die Möglichkeit, Informationen am Wegrand aufzusammeln – über das Leben des Preussenkönigs Friedrich des Großen in Potsdam oder die StreetartKultur in Berlin. Die Stadt, Landschaft oder Umgebung bilden einen Kontext, der durch die Fokussierung auf Details zu einer Geschichte mit aktuellen und historischen Bezügen zusammengefügt werden kann. Flaneure, wie walter benjamin oder Franz Hessel am Anfang des 20. Jahrhunderts, lassen sich durch die Stadt ›treiben‹ – ohne Ziel. Sie setzten den Gang durch die Stadt mit einer Lektüre gleich, deren Tempo von der Gangart bestimmt wird. Es ist eine Lektüre, die aus der Wahrnehmung des Betrachters im Raum geschrieben wird. Jeder Besucher sucht sich seinen Weg durch eine Ausstellung, ähnlich wie durch einen Garten, durch die Stadt, aber auch durch Einkaufszentren und Supermärkte – mehr oder weniger frei – und von seinen persönlichen Interessen gelenkt.

2012

Die KulturSpiegel-Ausgabe titelt »Museumsmeile - Was uns Gullydeckel, Laternen und Kopfsteinpflaster über unsere Welt erzählen«.64 In der Titelgeschichte wird eine Strasse in Hamburg, mit dem bezeichnenden Namen ›Durchschnitt‹, zur ›Museumsmeile‹, anhand der Alltagsdesign- und Stadtentwicklungsgeschichte erzählt und kontextualisiert.

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Garten

TEIL I

und Labyrinth

medium ausstellung

Im Labyrinth gibt es nur einen Weg, der zur Mitte und wieder heraus zum Eingang führt. Allerdings verläuft der Weg in vielen Windungen, so dass Geduld und Konzentration gefragt sind. Der Besucher muss nicht selbst den richtigen Weg finden. Er wird geführt und kann sich auf sich selbst und seinen ›Lebensweg‹ besinnen. Seine Gedanken können sich nach innen richten.

Der Irrgarten besitzt ein komplexes Wegesystem mit Kreuzungen und Sackgassen. Zahlreiche Abzweigungen und im ›Nichts‹ endende Wege zwingen den Wanderer, sich ständig neu zu orientieren und zu entscheiden, um ans Ziel und auch wieder zurück zum Eingang zu gelangen. Hier ist also auch eine nach außen gerichtete Konzentration nötig. 65


Abb. 8

Beim Blick in die Gärten kann man nicht nur die Kultur, sondern vor allem auch ihre Zeit verstehen.

Chinesischer Garten

»Guerilla Gärtner« ziehen große Freude und tiefe Befriedigung daraus, individuelle mit altruistischen Zielen zu verbinden. Diese Ziele können als auf verschiedenen Ebenen politisch angesehen werden.72

»Der Garten ist in allen Kulturen unserer Welt ein Sinnbild für Frieden, Schönheit, Wohlstand und Glück. Trotz dieser Gemeinsamkeiten haben Religionen und kulturelle Traditionen weltweit zu unterschiedlichen Gartenformen geführt, wobei insbesondere das Verhältnis der Menschen zur Natur das Aussehen der jeweiligen Gärten geprägt hat.«68

»Wer eine Kultur verstehen will, muss in ihre Gärten schauen.« 66

In Botanischen oder Zoologischen Gärten werden ›exotische‹ oder ›schützenswerte‹ Flora und Fauna zur Schau gestellt, in Landschaftsgärten eine idealisierte Form von Natur. Im (heute) öffentlichen Schlossgarten oder in der privaten Kleingartenkolonie manifestieren sich Mikrokosmen, in denen die Lebensvorstellung und Philosophie der ›Betreiber‹ ihren Ausdruck finden.

Gärten befriedigen die Sehnsucht nach der Verbindung zur Natur und dem Ursprünglichen. Dieses Bedürfnis wird in Zeiten großer Umbrüche besonders stark. Unzählige Artikel, Reportagen und Publikationen befeuern und reflektieren in der letzten Zeit dieses Phänomen: »die neue lust am gärtnern« 70 »das glück im garten« 71 …

›Guerilla Gardening‹, Melbourne

Eine Form der neuen ›Zurück-zur-Natur-Welle‹ bildet das »globale Phänomen des Guerilla Gardening«.73 Akteure eignen sich mit performativen, oft illegalen, Aktionen ungewöhnliche Orte im urbanen Raum an, deren ›Bestimmung‹ sie neu definieren; an denen sich Natur ereignen darf und soll. Auch Bianchi geht es bei seinem Entwurf der Ausstellung als Dialograum »um ein Ereignenlassen des Sichzeigens […], darum wie etwas in Erscheinung tritt – sinnlich präsent, auratisch und ereignishaft«.74 Er versucht »sich sowohl mit diversen Techniken der Sichtbarmachung auseinanderzusetzen als auch ein Terrain zu erforschen, auf dem sich […] Sehen und Denken unmittelbar begegnen«. 75

Andere Räume

Ein Garten ist ein definiertes, künstlich angelegtes Terrain. Ob die ›Natur‹ in den künstlichen Anlagen als ›gezähmt‹ oder ›wild‹ stilisiert wird, hängt stark von bestehenden und (un)gewünschten Ordnungen ab.

Durch die Jahrhunderte lassen sich zwischen den Gärten und Ausstellungsformen der jeweiligen Zeit Verbindungen herstellen. Beispielsweise äußert sich, nach gabriele bessler, der »konstruktive, stets an der Grenze zum Manierismus operierende Geist« der Spätrenaissance in ihren Gärten »in einer Landschaftsplanung entlang von Sichtachsen und Raumillusionen, in mechanisch raffinierten, mit antiker Mythologie verzierten Brunnen, Labyrinthen, Grottenautomaten, emaillierten Krustentieren«.69

Abb. 10

Der ›Blick über den Gartenzaun‹ steht umgangssprachlich für eine Öffnung und das Interesse an anderen und fremden Vorstellungen und Ideen.

»Jedem ›Kunstgarten‹ liegt eine zentrale Idee zu Grunde. Sie ist fast immer Jahrhunderte alt, war vielleicht einmal Weltmodell, politisches Programm, Theater der Götter und Menschen.«67 Der Garten Eden steht in der christlichen Mythologie für den idealen Urzustand der Welt. Dieses Bild lässt sich nicht nur in den monotheistischen Schöpfungsmythen finden.

Die Botschaft eines Gartens wird in der Regel ohne Verschriftlichung – räumlich und atmosphärisch – verkörpert und wahrgenommen. Für Ausstellungen sind Weg und Garten interessant, da sie unterschiedliche Gewichtungen von zeit-räumlicher Wahrnehmung repräsentieren. In einem ›Parcours‹ verbinden sich diese Wahrnehmungen: räumliches ›Ereignen‹, ›ereignet‹ sich in einer zeitlichen Abfolge.

64 KulturSpiegel

04/2012: 1 Gärten der Welt 2012: online 66 Zeit Magazin Nr. 15, 2012: 28 67 Terzic in: Die Presse 2011: online 68 Gärten der Welt 2012: online 69 Beßler nach Kaube 2009: online 70 Bild Online 2012: online 71 Die Zeit 05/2012:1 72 Jahnke 2007:74 73 vgl. Ebd. 1 74 Bianchi in: Kunstforum 2007: 83 75 Ebd. 65

Abb. 9 Renaissance

Garten

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NEUE NATIONALGALERIE BERLIN Der 1968 eröffnete Bau stammt von Ludwig Mies van der Rohe, in der oberen Halle werden Wechselausstellungen zeitgenössischer Kunst präsentiert. »Mit dem lichtdurchfluteten Pavillonbau hatte Mies van der Rohe einen offenen Universalraum geschaffen, der einzigartig ist und der gleichzeitig jede Ausstellung an diesem Ort zur großen Herausforderung werden lässt« , ist auf der Website der Staatlichen Museen zu Berlin zu lesen. Die ›Herausforderung‹ ist sowohl als Chance als auch als Schwierigkeit für die Bespielung zu verstehen. 76

beispiele

Die Beispiele zeigen drei unterschiedliche und gelungene Umgangsformen mit der offenen Struktur.

Abb. 11 Neue

Nationalgalerie, Außenansicht

Abb. 12 Jenny

Holzer

Abb. 13 Jeff

Richters Panorama, Außenansicht

Abb. 15 Gerhard

Richters Panorama, Innennansicht

jenny holzer

jeff koons

gerhard richter

Installation for the Neue Nationalgalerie (2011)

Kult des Künstlers: Jeff Koons. Celebration (2008)

Panorama

jenny holzer bespielt allein die Deckenkonstruktion des Gebäudes. Holzers Installationen sind häufig im öffentlichen Raum verortet. Die Inszenierung richtet sich ebenso nach Innen wie nach Außen und unterstreicht in besonderer Weise die Qualität des Gebäudes, dessen Decke zu schweben scheint.

Auch jeff koons’ Ausstellung spielt mit der Spiegelung. Hier ist es jedoch besonders die spiegelnde Oberfläche seiner an überdimensioniertes Spielzeug und Geschenkartikel erinnernden Skulpturen, die sich selbst und dem Betrachter ›den Spiegel vorhalten‹. Die Werke aus Koons' Celebration-Serie und selbst die Objektbeschriftungen sind unverstellt nach außen gerichtet, für zufällige Passanten wie zahlende Ausstellungsbesucher gleichermaßen gut lesbar.

Das ›Herz‹ von gerhard richters Werkschau panorama wird von Stellwänden umschlossen; nur seine letzte Arbeit 4900 farben ist nach außen sichtbar präsentiert. Die Einbauten ›rahmen‹ die unterschiedlichen Stilrichtungen und Schaffensperioden in Richters Werk und ermöglichen – im Inneren – eine intime und exklusive Begegnung der Besucher mit Richters Werk.

Diese massentaugliche Inszenierung wird einem Künstler gerecht, »dessen Popularität sich in besonderem Maße seinem strategisch aufgebauten Kult um die eigene Person verdankt«.77

Die Neugierde der ›Außenstehenden‹ wird durch eine Teilpräsentation geweckt; in den Kreis der ›Eingeweihten‹ werden sie erst nach (teilweise mehrstündigem) Anstehen und dem Erwerb eines Ausstellungstickets aufgenommen.

Es entsteht ein starker Dialog zwischen Innenund Außenraum, der durch Spiegelungen des Glaskubus noch verstärkt wird.

20

Koons

Abb. 14 Gerhard

elisabeth Pichler 2012

TEIL I

medium ausstellung


ILYA KABAKOVS ›TOTALE‹ INSTALLATION Der ukrainische Künstler Ilya Kabakov schafft in den 1990er Jahren Mehrraum-Installationen und entwickelt das Konzept einer ›totalen‹ Installation. Kabakov lässt Gesamtkunstwerke entstehen, bei denen nichts dem Zufall überlassen bleibt. Diese verkörpern für ihn »a complete universe, a complete, self contained model of the world«. 78

juliane rebentisch bespricht in ihrem Buch ästhetik der installation die Arbeiten Kabakovs, der in seinen Installationen, »mit dem Prinzip der räumlichen Dramaturgie«arbeitet. Kabakov, so Rebentisch, ist es wichtig »dass sich der Betrachter nur scheinbar von Lust und Laune leiten lassen darf. Denn der Betrachter soll durch die Installation weitgehend gesteuert werden«.

»In ihrer allgemeinsten Form lautet die Definition der ›totalen‹ Installation wie folgt: Ein vollständig bearbeiteter Raum.« 80

Ilya Kabakov

Ilya Kabakov setzt sich stark theoretisch mit seiner Arbeit auseinander. Die hier gezeigten Skizzen sind Teil seiner »Typologie der totalen Installation«, die »einige optimale Varianten [zeigen], die in der Praxis der totalen Installation häufig vorkommen«.81

»Denn anders als bei Installationen, in denen der Betrachter mit einer Anordnung scheinbar verstreuter Materialien in einem wie auch immer gestalteten Raum konfrontiert ist, geht es bei Kabakovs Mehrraum-Installationen unter anderem darum, den Weg des Betrachters explizit in das künstlerische Kalkül einzubeziehen.«

beispiele

Die Steuerung der Betrachter könne »durch die Anlage der Installation mehr oder weniger dramatisiert werden«, und auch wenn Kabakov nicht davon ausgeht, dass er den Betrachter vollständig kontrollieren kann, nutzt er die »Möglichkeit einer Dramatisierung maximal aus«. Die einzelnen Elemente der Installation erhalten »ihre Bedeutung zwar durch ihre Anordnung im Raum. Dies allerdings nun nicht mehr nur in dem allgemeinen Sinne, dass ein Element im Gesamt eines (installativen) Kunstwerks sitzt, sondern auch in dem Sinne, dass es einen Unterschied macht, an welcher Stelle des Wegs, den der Betrachter zu gehen hat, sie stehen – und das heißt mit anderen Worten: wann sie im Verhältnis zum vorher und nachher Gesehenen vor dem Betrachter auftauchen«. Für Rebentisch besteht die Qualität von Kabakovs ›totalen‹ Installationen gerade nicht darin, dass sein suggeriertes Konzept der Totalität aufgeht, »sondern darin, dass sie jede narrative ›Erklärung‹ der Objekte auf beunruhigende Weise unterlaufen«. »Gegen die Tendenz zur kontrolliert steuernden Repression des Betrachters, zur narrativen Schließung und zur integrativen Unterdrückung der Einzelkünste, die in Begriff und Konzeption der ›totalen‹ Installation zweifelsohne mitschwingt, sollte man deren Totalitätsanspruch, wie ich meine, entschieden ironisch verstehen: das Scheitern der ›totalen‹ Installation an einem solchen Anspruch ästhetisch ernstnehmen.« 89

Abb. 16 Ilya

Kabakov, Eine Typologie der totalen Installation, 1995

76

Staaliche Museen zu Berlin 2012a: online Staaliche Museen zu Berlin 2012b: online 78 Kabakov nach Schneemann 2005: 64 79 vgl. Rebentisch 2003: 165ff 80 Kabakov nach Rebentisch 2003: 164 81 Kabakov 1995: 30 77

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Inszenierungsmittel Inszenierungsmittel bieten Orientierungs- und Interpretationshilfen, zur »erklärenden Veranschaulichung von abwesenden Sachverhalten«. Gemeinsam mit den ›Dingen‹ sind sie Teil der ›lesbaren‹ Zeichen in einer Ausstellung. Alle wahrnehmbaren Elemente – nicht nur ausgewählte und ›gestaltete‹ – tragen in einer Ausstellung zur Bedeutungsproduktion bei. Inszenierungsmittel sind somit nicht auf Dinge und Sachverhalte beschränkt, sondern können auf alle den Ausstellungsraum bestimmenden und betreffenden Formalien angewendet werden. 82

WEG / EINGANG / ZUTRITT HINWEISTAFELN UND -SCHILDER, WÄNDE, BODEN, DECKE, FENSTER, RAUM- UND OBJEKTBELEUCHTUNG, AKUSTIK, OLFAKTORIK, SICHERHEITSELEMENTE, MÖBLIERUNG, STELLWÄNDE, SOCKEL, VITRINEN, BESCHRIFTUNG, GRAFISCHER STIL, FREIRÄUME, BESUCHERWEG, DEMONSTRATIONS- UND AUSKUNFTSPERSONEN …

Einige Elemente dieser Aufzählung benennen gegebene Raumelemente, die außerhalb der ›Gestaltungshoheit‹ der Ausstellungsmacher (oder des Finanzierungsrahmens) liegen. Diese Gegbenheiten müssen trotzdem mitgedacht und es muss ein Umgang mit ihnen gefunden werden. Gebäudesituation und Vorgaben, die erfüllt werden müssen, spielen hier ebenso eine Rolle wie Umgebung, Umfeld und die Geschichte des Ortes. ›Mitdenken‹ darf nicht als ›hinnehmen‹ missverstanden werden; einen Umgang finden heisst sich mit den Gegebenheiten auseinandersetzen um diese aktiv zu beeinflussen und gegebenenfalls zu entschärfen.

stellen Inszenierungsmittel dar, die an der »In-Szene-Setzung der Objekte/Exponate und damit der Ausstellungsbotschaft« beteiligt sind. 83

»Jedes irgendwie hingestellte Objekt ist […] ›inszeniert‹ und dadurch immer auch interpretiert.« 84

Martin Schärer

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elisabeth Pichler 2012

TEIL I

medium ausstellung


TEXT In Ausstellungen bekommen Inalte eine Form und Form wird zum Inhalt. Dieser Prozess ist wechselseitig. Inhalte sind keine unveränderlichen Wahrheiten, sie können aus unterschiedlichem Blickwinkel betrachtet und gestaltet werden. Formfindung ist eine Manifestation der ›Sicht der Dinge‹. Form und Inhalt bedingen sich gegenseitig.

Dem Text kommt in einer Ausstellung als Inszenierungsmittel eine Doppelrolle zu. Er ist einerseits Informationsträger, gibt Auskunft über komplexe Sachverhalte und macht Konnotationen verständlich; andererseits bietet der formale Umgang mit dem Text ›inhaltsunabhängig‹ wichtige visuelle Anreize. martin schärer beschreibt den Einsatz von Text in Ausstellungen als eine »Art Arbeitsteilung«, in der »die Sprache mit den Ausstellungstexten eher den rationalen Part (Sacherläuterungen) und die Exponate und die Inszenierungen den emotionalen Teil zu bestreiten haben«.85 ilya kabakov enthebt den Text aus dieser rationalen Funktion, für ihn stellt er »eine der vielen Farben im Gesamtbild der Installation«86 dar. juliane rebentisch formuliert diese Herangehensweise in Kabakovs Werk folgendermassen:

Sie können ins Rampenlicht rücken oder in den Schatten stellen, hervorheben, unterstreichen und herausstellen oder in einen Kontext einbetten, Dinge und Sachverhalte als singulär, besonders wertvoll, schützenswert, natürlich, alltäglich inszenieren. Eine Pfeilspitze – in Bodennähe oder auf einem Sandbett präsentiert – kann ihre Fundsituation konnotieren; schräg an der Wand oder frei schwebend im Raum auf ihre Eigenschaft als dynamisches, fliegendes Objekt hinweisen; in Kombination mit anderen Objekten gleichen Materials auf das Aufkommen oder die Verbreitung desselben in einer bestimmten Region oder Zeit hinweisen; kombiniert mit anderen Jadginstrumenten zeigt sie sich als Teil eines ›Waffenarsenals‹; als Einzelstück und ins ›richtige Licht gerückt‹ verweist sie auf die Besonderheiten der Fertigung oder die Einzigartigkeit ihres Vorkommens; in einem ›Schrein‹ wird sie zum Fetisch oder zur Ikone.

inszenierungsmittel

Bewusst gestaltete Inszenierungsmittel sind meist selbsterklärend.

»Der Text kann nie die Funktion haben, die Anwesenheit der Elemente in der Installation vollständig zu erklären; vielmehr wird er selbst zum Element der Installation und geht als solches in das prozessuale Spiel der ästhetischen Verstehensvollzüge ein.«87 Die Textebene einer Ausstellung muss in das Gesamtbild eingebunden werden. Schärer beobachtet dabei statt einem Zusammenspiel häufig »eine Art Konkurrenz […], wenn der Beschriftungstext beschreibt, was man sehen kann und so das visuelle Erfahrungspotential einschränkt.«88 Der Text in einer Ausstellung sollte die Bedeutungsebenen erweitern und nicht doppeln.

Dass diese Inszenierungsmittel selbsterklärend sind, heißt nicht, dass sie ohne Aufwand ›von selbst‹ gestaltet werden. Gerade der Beleuchtungsbereich, aber auch alle anderen Design- und Ausführungsrelevanten Elemente haben in der – teilweise subtilen – Detailausführung maßgeblichen Einfluss auf die Gesamtwirkung. Intendierte Widersprüche zwischen inhaltlicher und formaler Denotation können dabei ein Mittel sein, um Besucher zum Nachdenken anzuregen.

Schärer 2003: 83 Ebd. 106 84 Ebd. 107 85 Ebd. 116 86 Kabakov nach Rebentisch 2003: 170 87 Rebentisch 2003: 170 88 Schärer 2003: 116 82 83

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Aufmerksam Machen Eine Ausstellung soll Inhalte auf spannende, aufund anregende und interessante Weise anbieten. Dabei können unterschiedliche Strategien sowie Anregungen aus thematischen und strukturellen ›Vergleichsräumen‹ zum Einsatz kommen. Das Ausstellungsgeschehen ist ein performativer Akt. Eine Ausstellung ersetzt keine intensive wissenschaftliche Auseinandersetzung, sondern kann mit ihren Mitteln einen neuen Zugang schaffen und direkte Konfrontation, durch Präsenz der Besucher und der ›Dinge‹, anbieten. Eine Ausstellung sollte ›unterhalten‹, wobei Unterhaltung – wie das Wort schon sagt – nicht einseitiger Monolog, sondern Dialog ist: mit den Dingen, mit Begleitern, mit sich selbst. Spannend wird ein solcher Dialog durch unterschiedliche oder auch gegensätzliche Standpunkte. Spannung entsteht aus Gegensätzen.

»Eine Ausstellung konstituiert sich durch Dinge im Raum, die von den Besuchern entdeckt werden. Diese […] an eine Schatzsuche erinnernde Grundstruktur ist letztlich dafür verantwortlich, dass Ausstellungen funktionieren. Das Angebot bzw. die Aufgabe, die in den Raum gelegten Objekte zu erkennen und sie auf ihre möglichen Beziehungen untereinander und sich selbst zu testen, hat ein Medium enstehen lassen, das heute erfolgreicher ist denn je.«88 Das gekonnte Auslassen oder Ankündigen von Inhalten »gibt den Besuchern die Gelegenheit, […] über die Beschaffenheit des verpackten Inhalts zu rätseln und sich dabei über ihre eigene Scharfsinnigkeit zu freuen«. 89 »Erfolgreich erzählen bedeutet also – nicht alles sagen, nicht alles zeigen. Der Konsument [hier mit dem Besucher gleichzusetzen] soll die strategischen Lücken ergänzen können.«90 alexander klein spricht davon, dass »der Rest wichtiger als das Ganze« werden kann, »denn nur der Rest, und nicht das scheinbar Vollständige ermöglicht das Komplettieren im Geiste«. 81

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elisabeth Pichler 2012

TEIL I

Eine spannende Ausstellung sollte es dem Besucher ermöglichen, sich selbst in Beziehung zu den Inhalten und zum Raum zu setzen, sich zu positionieren und zu orientieren. Diese Orientierung – und die daraus resultierenden Erwartungen – kann dann mit Irritationen gebrochen werden, um Denk- und Kommunikationsprozesse auszulösen. Ziel ist hier nicht eine Provokation, die zur leeren Geste verkommt, sondern ein ›AufmerksamMachen‹. Ausstellungen, wie auch andere Medien, deren Konzept gerade Provokation, Verstörung oder Orientierungsverlust der Besucher ist, bedienen sich häufig einer ›Anleitungsverweigerung‹: ein ›Bruch mit den Konventionen‹.

In Literatur, Film und Theater wird der englische Spannung und Unterhaltung zu bieten, muss Begriff ›suspense‹ verwendet, um Strategien zu nicht heißen, dass etwas zum ›Spektakel‹ beschreiben, die eine gespannte Erwartungshal- verkommt. tung seitens der Rezipienten aufbauen und über deren Auflösung – über einen kurzen oder langen Aus einer ›Anleitungsverweigerung‹ entsteht nicht Zeitraum – Ungewissheit herrscht. automatisch eine anspruchsvolle Ausstellung, so wenig wie Ausstellungen ohne offensichtlichen Die Auslöser und Gründe solcher Spannung findet Bruch nicht automatisch ›gefällig‹ oder anspruchsman auch in Ausstellungen. los werden. hanak-lettner spricht von ›Anleitungen‹ oder ›Scripts‹, die von den Dingen selbst ›angerissen‹, umberto eco fasst seine Gedanken zu Anspruch durch Inszenierungsmittel zur Geltung gebracht und Unterhaltung folgendermaßen zusammen: und von den Rezipienten vervollständigt werden. »Ich glaube nämlich, dass es möglich sein wird, »Die möglichen Scripts werden den AusstellungsbeElemente von Bruch und Infragestellung auch an suchern von den Dingen, die durch ihre sinnliche Werken zu finden, die sich scheinbar zu leichtem Oberfläche selbst schon ihr eigenes Script anreißen Konsum anbieten, und demgegenüber festzustellen, können, oder durch deren Titel, durch die Positiodass manche provokatorisch erscheinenden Werke, nierung im Raum oder durch ihre Vernetzung mit die das Publikum immer noch von den Sitzen anderen Dingen suggestiv vermittelt.«92 reißen, in Wahrheit gar nichts in Frage stellen …«94 Im Gegensatz zu linearen Erzählungen, bei denen der Rezipient darauf vertauen kann, dass die aufgebaute Spannung im Folgenden gelöst wird, sind Ausstellungen für Besucher weniger vorhersehbar. In der Rolle als ›Eigenerzähler‹ laufen sie Gefahr, den ›springenden Punkt‹ zu verpassen. »Auflösungen im Nachhinein« sind deshalb für hanak-lettner »prinzipiell nur dann möglich, wenn die BesucherInnen gar nicht das Gefühl vermittelt bekommen, dass ihnen Information vorenthalten wird«. Sehr wohl aber kann »Spannung im Nachhinein« spürbar gemacht oder »den Besuchern eine zeitlich lang hinausgezögerte Interpretationshoheit ermöglicht«93 werden.

medium ausstellung

Zwischen ernsthafter Beschäftigung und Unterhaltung sollte – wie auch bezüglich der Abgrenzugstendenzen zwischen Ausstellungen und ›Vergleichsräumen‹ p S. 10/11 – keine starre Unterscheidung, sondern eine Balance in graduellen Abstufungen gefunden werden, die der Thematik gerecht wird. Wieviel Spaß verträgt die Wissenschaft? Wieviel Provokation braucht die Kunst? Wieviele Blickwinkel verträgt die Geschichte? Diese Fragen sind spannend und sollten immer wieder neu gestellt, verhandelt und beantwortet werden.


Alles, was widersprüchlich ist, schafft Leben. Salvador Dalí

REDUKTION UND ÜBERSCHNEIDUNG

Unsere Wahrnehmung wird von unzähligen Einflussfaktoren bestimmt. Der reduzierte und bewusste Einsatz dieser Einflussfaktoren ermöglicht eine Sensibilisierung auf die ›Einzelaspekte‹ in ihrer Wirkung.

ORIENTIERUNG UND IRRITATION Orientierung ist die handlungs- und bedeutungsbezogene, menschliche Sicht der Welt. Die Fähigkeit, die es einem Subjekt ermöglicht, sich zeitlich, räumlich und bezüglich seiner Person – in seiner Umgebung – zurechtzufinden. »Ein Besucher einer Ausstellung ist genauso wie ein Besucher einer Stadt oder eines Parks auf seine Orientierungsfähigkeit angewiesen, denn eine Ausstellung ist in räumlicher und narrativer Hinsicht nicht automatisch selbsterklärend.«95

Eine ähnliche Bedeutung hat für martina löw die Syntheseleistung, die »wahrnehmende und/oder analytische Synthese«, welche »über Wahrnehmungs-, Vorstellungs- oder Erinnerungsprozesse […] Güter und Menschen zu Räumen zusammenfasst«. 97 Wie wichtig die Orientierung für das Bewusstsein der eigenen Person und ihrer Bezüge ist und zum Wohlbefinden beiträgt, beschreibt kevin lynch in seinem Buch the image of the city am Beispiel des Orientierungsverlusts: »To become completely lost is perhaps a rather rare experience for most people […]. But let the mishap of disorientation once occur, and the sense of anxiety and even terror that accompanies it reveals to us how closely it is linked to our sense of balance and well-being.«98 Ein ungewollter Orientierungsverlust in einer Ausstellung stellt sich als negatives Gefühl ein, wenn sich Besucher im Gefüge aus Raum, Objekt und Kontext verlieren. Ausstellungsmachern stehen unterschiedliche Möglichkeiten – abhängig von Thema und räumlichen Gegebenheiten – zur Verfügung, Orientierungshilfen anzubieten oder diese bewusst zu unterlaufen. p INSZENIERUNGSMITTEL S. 22/23

Nach martina löw »handeln [Menschen] in der Regel repetitiv«.99 Aus Erfahrung mit praktischem Bewusstsein greifen wir auf Handlungsmuster und Routinen zurück, die nach anthony giddens »Sicherheiten und Seinsgewissheiten« vermitteln: »Routinen sind konstitutiv sowohl für die kontinuierliche Reproduktion der Persönlichkeitsstrukturen der Akteure in ihrem Alltagshandeln, wie auch für die sozialen Institutionen«.100 Situationen, die von der gewohnten oder erwarteten Wahrnehmung abweichen, ›fallen auf‹. Durch Irritation wird »die Aufmerksamkeit des Betrachters gezielt auf die Bedingungen der Rezeption zurück[ge]lenkt. Die intendierte Irritation des Betrachters wirkt so auf eine Kritik und einen Wandel bestimmter Wahrnehmungskonventionen hin«,101 stellt nina zschocke in ihrer Arbeit der irritierte blick. kunstrezeption und aufmerksamkeit fest. »Irritation und daraus resultierende Faszination bilden dann den Übergang zu und den Antrieb für Kontemplation und Reflexion. Das aus der Irritation resultierende Aufmerksamwerden auf das eigene Sehen beinhaltet Einsichten in einige Bedingungen und Eigenschaften der Wahrnehmung. Deutlich offenbart sich das bewusst wahrgenommene Phänomen als ein Produkt vorbewusster Interpretations- und Konstruktionsprozesse.«102 Die Irritation wird zum Auslöser eines ›Infragestellens‹ und Anstoß zu eigenen Denk- und Kommunikationsprozessen.

Unsere Umwelt ist komplex und vielschichtig, auch in kleinen und alltäglichen Situationen. Auch inhaltliche Zusammenhänge verschneiden und sperren sich teilweise einer eindimensionalen Betrachtung. In der Auftaktveranstaltung zur Vorlesungsreihe ›Designprozesse‹ an der Fachhochschule Potsdam sagt lutz engelke, der Geschäftsführer von triad berlin, es gehe ihm und seinem Team darum, »Komplexität zu reduzieren, ohne an Komplexität zu verlieren«.104 Der reduzierte Einsatz führt zu Transparenz und macht Einzelaspekt-Betrachtungen möglich.

aufmerksam machen

Als »Grundvoraussetzung für die Orientierung im Raum« beschreibt hanak-lettner die »Möglichkeit, die Perspektive wechseln zu können, zusammenhängende Strukturen aus verschiedenen Standpunkten betrachten zu können, um sich des eigenen Standpunkts bewusst zu werden«.96

Aufmerksamkeit entsteht durch Brüche und Irritationen. Diese befördern eine Reflexion über unsere Routinen, Handlungs- und Erwartungsmuster.

dieter mersch zitiert – in seinem Beitrag für die Konferenz der raum der stadt – in diesem Zusammenhang den Medientheoretiker mark poster: »Das Urbane ist überladen mit den verschiedensten Informationssystemen, die simultan bewohnt werden und unterschiedliche Aufmerksamkeiten evozieren, sodass ein Platz oder eine Lokalität sich weder hier noch dort befindet, weder nah noch fern ist, sondern alles zugleich.«103

Inhaltliche ›Tiefe‹ oder ›Fülle‹ entstehen aus der gezielten Überschneidung unterschiedlicher Aspekte komplexer Themen und Räume. Der Einsatz von Überschneidungen möglichst vieler Dinge, Sachverhalte, Themen und/oder Räumen, lässt diese gerade als Phänomen ihrer ›Masse‹ erscheinen. Intendierte Überschneidungen und damit Überforderungen machen sich beispielsweise ›hypermediale‹ Theaterformen zunutze, die damit unter anderem auf das aktuelle Überangebot an Informationen aufmerksam machen.

88

Hanak-Lettner 2011: 186 Ebd. 182 90 Mikunda nach Hanak-Lettner 2011: 187 81 Klein nach Hanak-Lettner 2011: 186 92 Hanak-Letnner 2011: 187 93 vgl. Ebd. 183 94 Eco 1986: 74 95 Hanak-Lettner 2011: 177 96 Ebd. 97 Löw 2001: 159 98 Lynch 1960: 4 99 Löw 2001: 161 100 Giddens nach Löw 2001: 163 101 Zschoke 2005: 211 102 Ebd. 173 103 Poster nach Mersch in: Krusche 2008: 27 104 Engelke 2012: Vorlesung 89

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Literaturliste

Abbildungen

Arnheim, Rudolf

Anschauliches Denken. Zur Einheit von Bild und Begriff, DuMont Schauberg 1972

Schärer, Martin

Die Ausstellung, Theorie und Exempel, Verlag Dr. C. Müller-Straten, München 2003

Bianchi, Paolo

Das ›Medium Ausstellung‹ als experimentelle Probebühne, S. 44-55 Die Ausstellung als Dialograum, S. 83-102 in: Kunstforum International, Band 186, 2007

Museology and History, Provocative Paper in: ICOFOM Study Series – ISS 35, Munich/Germa ny and Alta Gracia/Córdoba/Argentina 2006 S.35-51

Was ist einegute Ausstellung? ›Interviews mit Bice Curiger, Xavier Bellprat, Peter Jezler, Angeli Sachs, Roger Fayet und Francesca Ferguson‹, Bulletin Seedamm Kulturzentrum Ausgabe 88/2010

Hat das Kunstwerk einen besonderen Status? Oder: Sind alle Objekte museologisch gleich? in: Kunsttexte, Ausgabe 3 - Gegenwart Eat Art / Art of Eating , 2009 online verfügbar unter: http://edoc.hu-berlin.de/ docviews/abstract.php?id=30116

Lob der Atmosphäre, in: Men in BlackHandbuch der kuratorischen Praxis, Revolver – Archiv für aktuelle Kunst, Frankfurt am Main 2004, S.123-127

Scholze, Jana

Medium Ausstellung, transcript Verlag, Bielefeld 2004

von Bismark, Beatrice

Hoffnungsträger - Foucault und de Certeau, in: Texte zur Kunst, Heft Nr. 47, Raum – Aufräumen: Raum-Klassiker Neu Sortiert, TEXTE ZUR KUNST Verlag GmbH & Co. KG, Berlin,2002

Scheuermann, Barbara Josepha

Erzählstrategien in der zeitgenössischen Kunst,Narrativität in Werken von William Kentridge und Tracey Emin, Dissertation, Philoso phische Fakultät der Universität zu Köln 2005

Bellprat, Xavier

in: Bianchi 2010

Engelke, Lutz

Schneemann, Peter

Mapping the site, Der Anspruch des Ortsspezifi schen als Herausforderung für die kunsthistori sche Dokumentation in: Kritische Berichte, Jg. 33, Heft 3, 2005, S. 64-76

Hoffmann, Justin

in der Auftaktberanstaltung zur Vorlesungsreihe ›Designprozess‹ an der Fachhochschule Potsdam, Simon, Josef Philosophie des Zeichens, Walter de Gruyter, 6. Mai 2011 Berlin, 1989 Andere Räume in: Barck, Karlheinz u.a. (Hg.), Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven Siepmann, Eckhard Räumlichkeit und Bewegung. Die performative Wende erreicht das Museum, einer anderen Ästhetik, Leipzig 1992, S. 34 – 46 in: Kunsttexte Ausgabe 2 - Bild Wissen Technik, 2003 Die Ausstellung als Drama, Wie das Museum aus Online verfügbar unter: http://edoc.hu-berlin.de/ dem Theater entstand, transcript Verlag, docviews/abstract.php?id=12313 Bielefeld 2011 Terzic, Mario Friedhof statt Paradies?, Die Presse, 28.01.2011 www.diepresse.com Monstranz zwischen Kultur und Wirtschaft in: Kunstforum International, Band 186, 2007, Zschocke, Nina Der irritierte Blick. Kunstrezeption und Aufmerk- S. 163-169 samkeit, Wilhelm Fink Verlag, 2005 God Is a Curator in: Men in BlackHandbuch der kuratorischen Praxis, Revolver – Archiv für aktuelle Kunst, Zeitungen/Magazine Frankfurt am Main 2004, S.111-117

Jahnke, Julia

Eine Bestandsaufnahme zum globalen Phänomen Guerrilla Gardening, Humboldtuniversität, Berlin 2007

Die Zeit

N°22, 24. Mai 2012

Zeit Magazin

Nr.15 2012

Kabakov, Ilya

Über die ›totale‹ Installation, Ostfilden 1995

KulturSpiegel 04/2012

Kaube, Jürgen

Das begehbare Monster, 22. Oktober 2009 www. artnet.com

Krämer, Harald

Entschleunigung, Schlichtheit und gute Geschichten, Aneignungen szenischen Designs für die hypermediale Wissensvermittlung, Vortrag anlässlich der Mai-Tagung 2007 im Zent- rum für Kunst und Medientechnologie, Karlsruhe 2007

Foucault, Michel Hanak-Lettner, Werner Heller, Martin

Krusche, Jürgen (Hg.) Der Raum der Stadt, Jonas Verlag, Marburg 2008 Küng, Moritz

Vom Verschwinden der AUsstellung, S. 133-147 im Interview ›Neues Ausstellen‹, S. 102-132 in: Kunstforum International, Band 186, 2007

Löw, Martina

Raumsoziologie, Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. Main, 2001

Von der Substanz zur Relation. Soziologische Reflexionen zum Raum in: Krusche, Jürgen (Hg.), Der Raum der Stadt, Jonas Verlag, Marburg 2008 S.31-44

Maure, Marc

The exibition as Theatre –On the staging of Museum Objects. in: Nordisk Museologie, Nr.2, 1995, S.155-168

Abb. 1

Guy Debord, The Naked City, 1957 Wright, Herbert: Instant Cities. Black Dog Publishing Limited, London, UK, 2008, S.186

Abb. 2 Abb. 3

Zeit Magazin N°24, Berlin, 24.06.2012, S.52/53 Wolf-Schema Schema 3: Narratives Potential unterschiedlicher Medien in: Scheuermann, Barbara Josepha Erzähl- strategien in der zeitgenössischen Kunst, Philosophische Fakultät der Universität zu Köln 2005, S. 266

Abb. 4

Krems, Claudia, Bertolt Brechts Dramen im Deutschunterricht:«Der kaukasische Kreidekreis«, GRIN Verlag, 2011, S.6

Abb. 5

KulturSpiegel, 04/2012, S.1

Abb. 6-9

Berliner Gärten der Welt, online

Abb. 10

Holsworth, Mark 2010 melbourneartcritic.wordpress.com/tag/guerrilla-gardeners/

Abb. 8

Christian Richters, 2011, ›Neues Museum, Berlin, by David Chipperfield Architects with Julian Harrap Architects‹

Abb. 9

Tubs, 20.08.2010, www.bmw-syndikat.de

Abb. 10

G.R. Christmas, 2011, ›James Siena, Exhibition view, 2011, The Pace Gallery, New York‹ www.textezurkunst.de

Abb. 11

Siegler, Fabian, 2012, www.studiosigler.com

Abb. 12

Zellin, Werner, 2011, www.spreeinsel.de

Abb. 13

Stadermann, ›Jeff Koons Celebration 7, Zaungäste am Baroque Egg with Bow‹, 2008, www.view.stern.de

Abb. 14/ 15

Pearson, Joseph, › Gerhard Richter Unaccompanied: The Retrospective at the Neue‹, 2012, www.needleberlin.com

Abb. 16

Kabakov, Ilya, Über die ›totale‹ Installation, Ostfilden 1995 S. 30/31

Onlinequellen: eMotion

www.mapping-museum-experience.com

Gärten der Welt

www.gruen-berlin.de>> Gärten der Welt

Staatliche Museen zu Berlin

www.smb.de >>neue Nationalgalerie (2012a) www.smb.museum/smb/kalender/ details.php?objID=16158 (2012b)

Muttenthaler, Gesten des Zeigens: Zur Repräsentation von Roswitha / Wonisch, Gender und Race in Ausstellungen, transcript Regina Verlag, Bielefeld 2006

Museum und Blick (2002). Onlinepublikation: www.iff.ac.at/museologie/service/lesezone/ imblick.pdf

Müller, Gisela

Von vernetzten Spielräumen und der Inszenierung des Disparaten, Vortrag im Rahmen des Symposiums »Future Theatre«, Karlsruhe/ZKM, 2003

Rebentisch, Juliane

Ästhetik der Installation, edition surkamp, Frankfurt a. Main, 2003

Eidesstattliche Versicherung Ich versichere, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe. Alle Stellen, die wörtlich oder sinngemäß aus Veröffentlichungen oder anderen Quellen entnommen sind, sind als solche eindeutig kenntlich gemacht. Die Arbeit ist in gleicher oder ähnlicher Form noch nicht veröffentlicht und noch keiner Prüfungsbehörde vorgelegt worden.

Potsdam, 05.Juli 2012

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elisabeth Pichler 2012

TEIL I

medium ausstellung


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