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BRANCHE

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DIGITALISIERUNG

DIGITALISIERUNG

BRANCHE: AUSSENDIENST DER ZUKUNFT

ZUSAMMENARBEIT MIT HANDELSAGENTEN – ist das ein Konzept mit Zukunft? Diese Frage ist momentan eine der meistgestellten in meiner Tätigkeit als Unternehmensberater.

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TEXT: ULRICH GRIESAR, GRIESAR CONSULTING

ULRICH GRIESAR

ist Inhaber von griesar consulting, ein Beratungsunternehmen für vertriebsorientierte Unternehmensführung. Als zertifizierter Businesstrainer blickt er auf eine mehr als 30-jährige Führungserfahrung in Handel und Industrie zurück. Darüber hinaus ist Griesar Fliesenfan und betreibt den YouTube-Kanal „besserfliesen“. Ulrich Griesar ist 56 Jahre alt, verheiratet und hat drei Kinder.

ug@griesar.com www.griesar.com E s gibt für Unternehmen gute Gründe, das Geschäft mit Handelsagenten zu organisieren: Branchenwissen, Marktzugang, Sprachkenntnisse und Unternehmerpersönlichkeit zum Beispiel sind Anforderungen bei der Suche nach einem Handelsagenten. Außerdem gibt es eine unmittelbare Relation zum Umsatz, da in der Regel weder Sozialabgaben, Reisekosten noch ein Fixum anfallen. Doch reicht das heute, um gegenüber festangestellten Außendienst-Vertriebsmannschaften und Online-Marketing-Aktivitäten zu bestehen?

Wir wollen gar nicht um den heißen Brei herumreden: Für viele Unternehmen lassen sich Handelsagenturen nur schwer bis gar nicht führen. Sie sind und bleiben eigenständische Unternehmer und werden in der Regel auch für andere Unternehmen tätig sein. Und trotzdem schaffen sie einen Mehrwert.

Jahrelang war es wichtig, dass Handelsagenten möglichst viel „auf der Straße“ und damit im Markt sind, häufig 40.000 Kilometer pro Jahr und mehr. Trotzdem arbeiten viele heute vermehrt im Homeoffice, haben oder hatten während der Pandemie eingeschränkte Besuchsmöglichkeiten oder sogar Besuchsverbote. Welche Faktoren bestimmen also die Zukunft der Handelsagenten?

GEÄNDERTES KUNDENVERHALTEN: EINE OHRFEIGE FÜR ALLE FANS DER KALTAKQUISE

Studienergebnisse sagen, dass in B2BEinkaufsprozessen heute schon 70 Prozent der Termine vom Einkäufer vereinbart werden. Und: Jeder zweite Einkäufer gehört zur Generation unter 35 Jahren. Sie recherchieren, checken Preise, Konditionen und den Wettbewerb. Der Einkäufer von heute ist gut informiert und in seiner Tätigkeit gewohnt, sich selbstbestimmt einen Überblick zu verschaffen. Er zeigt zunehmend, dass er das Sagen haben will. Das persönliche Gespräch ist jedoch nach wie vor der Erfolgsfak-

tor und ein entscheidendes Kaufsignal. Denn der Kunde vergibt die wichtigsten Aspekte seiner Selbstbestimmtheit: persönliche Nähe und seine Zeit. Daher ist es unabdingbar, das Verkäuferverhalten daran anzupassen. Handelsagenten werden gemessen an Fakten – also Umsatz, Neukunden und Ertrag. Nicht vorrangig an der Anzahl ihrer Besuche vor Ort. Es zählt die Qualität der gut vorbereiteten Besuche und das richtige Angebot zum richtigen Zeitpunkt.

KOMPETENZENWANDEL NOTWENDIG: FITNESS IM AUSSENDIENST

In Branchen mit standardisierten Leistungen und Produkten wie Versicherungen und Banken wird der Vertrieb zunehmend über elektronische Wege organisiert. Bei individuellen Branchen oder individueller Vertragsgestaltung nützt jedoch auch künstliche Intelligenz nichts, das lässt sich kaum programmieren. Handelsagenten mit ihren Qualifikationen machen also den Unterschied: Die Art und Weise, zu verkaufen und Menschen zu überzeugen, hat sich geändert. Produktwissen ist die Basis. Auf Menschen eingehen zu können, ist Grundbedingung. Sich mit neuen Medien auseinanderzusetzen ein Muss. Investieren Sie in permanentes, aber individuelles Lernen, um Veränderungen im Kundenmarkt zu erkennen und neue Stärken auszubauen.

INFORMATIONSMANAGEMENT IM UNTERNEHMEN

Digitalisierung ist ein Muss für alle Unternehmen. Aber nur mit einer kundenorientierten Digitalisierungsstrategie. Wer mit diesen Daten vom Käuferverhalten lernt, wird langfristig wettbewerbsfähig sein. Heute ist es unabdingbar, dass Informationen permanent zur Verfügung stehen. Firmen unterhalten eigene Plattformen rund um die Produkte, damit Informationen für das Tagesgeschäft bereitstehen. Dies sollte oder wird Standard sein, erleichtert den Blick auf das Wesentliche und die Konzentration auf individuelle Bedürfnisse der Kunden.

Das ist gefährlich für die Informationsinseln beim Handelsagenten. Handelsagenten und ihre Auftraggeber müssen bezüglich Digitalisierung up to date sein. Sie gewinnen, wenn sie ihre Abläufe miteinander verbinden. Ein agiler Handelsagent hält jedoch weiterhin die Fäden in der Hand, führt und pflegt die Kundenkontakte – so agiert man am Markt.

AKTIVES BEZIEHUNGSMANAGEMENT

Der Kunde hat vielfältige Herausforderungen in seinem Tagesgeschäft: die langfristige profitable Ausrichtung der Firma, die Anpassung an Branchenveränderungen und nicht zuletzt die Steuerung seiner eigenen Mannschaft. Auch im B2B-Vertrieb treffen wir Menschen mit Stärken und Schwächen. Oft unter Zeitdruck, stets auf der Suche nach dem besten Preis und sofortiger Verfügbarkeit.

Der Kunde nutzt das Internet, um sich zu informieren. Privat kauft er online und nutzt eine Zahlungs-App. Aber er entscheidet auch aus persönlichen Motiven und oft emotional. Gute Handelsagenten reduzieren den Kunden daher nicht nur auf den persönlichen Besuch vor Ort, das Gespräch an der Verkaufstheke oder das Telefonat. Sie sind „auf mehreren Straßen“ unterwegs zum Kunden. Vernetzen Sie sich mit den Kunden online und offline.

Für Top-Verkäufer sind gute Kommunikationsfähigkeiten, Offenheit für Menschen und Spaß am „Spiel mit dem Kunden“ unabdingbar. Wichtig ist es, dem gewerblichen Kunden vorbehaltlos zuzuhören und seine wahren Bedürfnisse zu verstehen. Der moderne Handelsagent ist Beziehungsmanager, Anwalt des Kunden, aber vor allem Innovationstreiber. Er ist derjenige, der aktiv neue Ideen für den Erfolg seines Unternehmerkunden platziert (Produkte, Dienstleistungen, Reserven im bestehenden Sortiment etc.) und sich schlichtweg kümmert. Das zahlt sich aus. So spielt der Preis nicht mehr die einzige bestimmende Rolle.

AKTIVER VERTRIEB GEWINNT

Nicht die Digitalisierung macht das Geschäft, sondern die Handelsagenten, die die wesentlichen Themen beim Kunden platzieren. Bleiben Sie nicht fremdbestimmt durch den Kunden. Nur wenn Sie der Taktgeber der Themen sind, finden Sie gemeinsam mit Ihrem Kunden Lösungen für ein ertragreiches Geschäft.

NUTZEN SIE DIE DIGITALISIERUNG

Digitalisierung ist kein Ersatz für Handelsagenten. Sie hilft, Kommunikation und Kommunikationskanäle zu verbessern. Sie macht den Blick frei für die Individualität im Vertrieb. Die Handelsagenten als Profis ihres Geschäftes machen den Unterschied, weil sie dem Kunden auf Augenhöhe begegnen und so das Geschäft der Zukunft gestalten. Handelsagenten müssen sich digital zukunftsfähig aufstellen. Dann können sie auch im digitalen Wandel mit ihrem Geschäftsmodell punkten.

VERKÄUFERPERSÖNLICHKEIT MACHT DEN UNTERSCHIED

Geschulte und starke Handelsagenten im Außendienst sind die richtige Antwort auf den anspruchsvollen Kunden. Handelsagenten sind selbst(ständige) Unternehmer, also Profis in der Ausgestaltung von Geschäftsbeziehungen.

SUMMARY Die Diskussion über die zukünftige Vorgehensweise im Vertrieb ist die Chance für alle verkaufsaktiven Handelsagenten mit Profil. Standardprodukte und -dienstleistungen werden zunehmend digital vertrieben. Der digitale Wandel ändert auch die Art und Weise im individuellen Vertrieb, wie Sie Ihren Kunden erreichen und kaufmännische Prozesse abwickeln. Das bietet jede Menge Chancen. Denn auch in Zukunft wird das Geschäft von Mensch zu Mensch gemacht. Wo liegt also der Vorteil des Handelsagenten? Als Unternehmer und Verkäufer mit Persönlichkeit haben Handelsagenten den richtigen Drive, Kundenbeziehungen professionell zu organisieren. Dennoch gilt: Investieren Sie in Ihre persönliche Weiterbildung und integrieren Sie die digitalen Medien in Ihre tägliche Arbeit. Davon profitiert Ihre Kundenbeziehung und letztlich auch Ihr Auftraggeber. Und so sind Sie gut aufgestellt für die Zukunft.

BRANCHE: ONLINE VERSUS ECHTES (ER)LEBEN

COVID-19 HAT UNS GEZEIGT, DASS SICH VIELES IM GESCHÄFTSLEBEN ONLINE ERLEDIGEN LÄSST, ohne echten menschlichen Kontakt. Doch manche Dinge ändern sich nie.

TEXT: SUSANNE LOHS, HANDELSAGENTIN

SERIE Aus dem Leben

TEIL 10

Zoom, Skype, Microsoft Teams und andere Videokonferenztools machen es möglich, einander zu sehen, zu hören und sich auszutauschen, ohne tatsächlich miteinander in Berührung zu kommen. Was früher in unseren Breitengraden eher als unhöfliches, distanziertes Verhalten angesehen wurde, war plötzlich oberste Benimmregel: Abstand halten war angesagt und wer sich nicht akribisch an die SocialDistancing-Normen hielt, wurde kopfschüttelnd beäugt oder gar zurechtgewiesen.

Für Beziehungsmenschen, wie ich es einer bin, war diese Distanziertheit am Anfang sehr befremdlich. Mit der Zeit habe ich jedoch gelernt, die Vorzüge des reinen Onlinearbeitens mehr und mehr zu genießen: Nicht persönlich bei Meetings erscheinen zu müssen, spart enorm viel Zeit und Nerven (denken Sie nur an die Staus auf den Straßen) und damit letztlich Geld (Kosten für Treibstoff, Flug- oder Bahntickets, Übernachtungen im Hotel, Verpflegung …). Und dass der Flugverkehr eine Zeit lang komplett eingestellt war, hat sich unbestreitbar als Segen für die Umwelt erwiesen.

MIT ALLEN SINNEN

Was ich in den letzten eineinhalb Jahren noch gelernt habe, ist, dass sich gewisse Dinge trotz allen Fortschritts nicht online erledigen lassen. Weil wir sie nämlich mit all unseren Sinnen wahrnehmen und erleben müssen.

Ich denke an unsere Zeit von „Köstliches aus Vorarlberg“ zurück: Käse ist ein Genussmittel, dessen Geruch, Geschmack und Konsistenz sich nach und nach entfaltet, je länger er außerhalb des Kühlschranks atmen darf. Ich erinnere mich an die ehrfürchtigen Blicke, wenn wir Stücke zum Kosten direkt vom Käselaib abschnitten, und an das Lachen, Staunen und Interesse unserer Kunden, wenn wir dabei erzählt haben, wie die Kühe unseres Bauern an der Massagebürste Schlange stehen und jede einzelne der 60 Prachtexemplare ihre Eigenheiten und besonderen Vorlieben hat. Für uns undenkbar, eine Verkostung online durchzuführen.

Im umweltschonenden MehrwegbecherBusiness meines Mannes läuft es ähnlich: Während der Lockdowns hatte er einige Kundenmeetings via Zoom und hielt dabei die unterschiedlichen Becher vor die Kamera. Mit mäßigem Erfolg. Seit er Kunden wieder „in echt“ besucht, sieht die Sache ganz anders aus: Wie ein Becher in der Hand liegt, wie schwer er ist, wie sehr sein jeweiliges Material Glas ähnelt (oder eben auch nicht), wie dick der Glasrand ist, mit dem die Lippen beim Trinken in Berührung kommen – all das lässt sich nicht online vermitteln. Die Kunden müssen es real erleben. Nur dann springt der Funke über.

Selbst ich als Texterin und Marketingcoach brauche für meine Arbeit hin und wieder den echten Zugang. Wenn ich beispielsweise Texte für die neue Website eines Weinhändlers schreibe, muss ich einmal leibhaftig vor Ort sein, um den Weinkeller samt angrenzendem Showroom zu sehen und zu riechen. Spüren, mit wie viel Begeisterung und Leidenschaft der Weinhändler sein Business führt. Überrascht sein, was für einen imposanten Eindruck die rund 63.000 Weinflaschen auf mich machen. Herausfinden, wie gemütlich oder stylish der Showroom auf mich wirkt. Mir ausmalen, wie stimmungsvoll eine Verkostung dort wohl sein wird. Wie fühlt es sich an, live vor Ort zu sein? Nur wenn ich es tatsächlich erlebe, kann ich überzeugende Texte schreiben, und das lässt sich mittels Videokonferenz nicht nachempfinden.

UNVERÄNDERBAR

Bei allem Fortschritt, manches ändert sich nie. Für gewisse Dinge braucht es das echte Erleben, die direkte zwischenmenschliche Interaktion, das Fühlen der Stimmung. Mit all unseren Sinnen. Manchmal springt nur so der Funke über. Und das wird kein Onlinetool der Welt jemals ersetzen können.

SUSANNE LOHS

hat vier Jahre lang „Köstliches aus Vorarlberg“ in Wien und Umgebung vertrieben. Mit CommuniCare ist sie selbstständige Texterin sowie Marketingcoach und unterstützt als solche u. a. ihren Mann beim Vertrieb von Mehrwegbechern.

s.lohs@communi-care.at www.communi-care.at

LESERFORUM:

ZUM LESEN

Management einfach erklärt Philippa Anderson, Alexandra Black, Pippa Bourne, Richard Ridout dk Verlag, 224 Seiten, EUR 19,95

#dkinfografik hat bereits viele Themen verständlich in Wort und Bild aufbereitet und widmet sich in seinem neuesten Buch den Grundlagen des Managements. Gelassen bleiben mit den Stoikern Gregory Lopez, Massimo Pigliucci piper Verlag, 432 Seiten, EUR 20,60

Die antike Kunst der Gelassenheit ins Heute transferiert. Philosoph Massimo Pigliucci gibt eine leicht verständliche Anleitung für ein zufriedenes Leben. Strengt euch an! Wolf Lotter ecowin Verlag, 126 Seiten, EUR 18,00

Wissen, Ideen, Innovationen, Problemlösungen: Dass das alles ohne Mühe verfügbar sei, ist eine Illusion. Doch allzu oft fehlt der innere Antrieb. Wolf Lotter zeigt, warum sich Leistung wieder lohnen muss.

VOR 35 JAHREN

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