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Kleinod in mauenheim
Das „Mauenheim Museum of modern Art“ im Irnfriedweg 12 ist das wohl bunteste Haus in Kölns kleinstem Stadtteil Mauenheim. Es ist in dunkelroter Farbe gehalten, der Sockel aber ist mit farbenfrohen Fliesen verziert, die unter anderem ein abstraktes Gesicht mit offenem Mund darstellen (siehe Titelbild) – übrigens das optimale Versteck für Botschaften bei einer Schnitzeljagd, wie viele Kinder im Veedel bereits wissen. Ein buntes Schild verweist darauf, wo man hier gelandet ist, nämlich im „Institut für die allgemeine PERFEKTIONIERUNG der MENSCHHEIT“, Werkstatt und Versuchslabor für die – nach eigener Aussage teilweise –„lebensgefährlichen Artefakte“, die dann im MMomA ausgestellt werden.
Das Haus ist nicht nur von außen ein Hingucker, sondern auch und gerade von innen: Küche, Wohnzimmer und Loggia im Erdgeschoss des Hauses verändern sich quasi täglich, seit der Künstler Achmett Schachbrett – der Name ist seit der Zeit seines Zivildiensts an ihm haften geblieben – mit seiner Frau Claudia dort Karfreitag 2007 eingezogen ist.
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Dabei versteht sich das Inventar des 74-Quadratmeter-Domizils „als logische Weiterentwicklung des von mir gehegten und gepflegten Gedankens der Kunstkomprimierung“. Der gelernte Krankengymnast und einstige Judolehrer zeigt dabei auf seine Werke über dem bunten Esstisch und sagt: „Wir müssen heutzutage doch alle enger zusammenrücken, somit auch die Bilder an der Wand!“ Die hängen tatsächlich dicht an dicht: Die Blondinen-Fabrik neben dem Papst-Teller, Fotos aus vergangenen
Punk-Tagen neben einem Buch, das Heidi Klum als junge Frau zeigt –„Sexismus pur“. Man kann all die Dinge hier in Beziehung zueinander setzen, sich darüber Gedanken machen, einen roten Faden suchen – man kann sich aber auch einfach nur ins Bunte fallen lassen und sein.

Schachbrett erzählt, dass häufig etablierte Künstler*innen vorbeikämen und fachmännisch behaupteten, dass sei alles keine Kunst. „Lustig ist aber, dass sich alle hier sauwohl fühlen. Und darum geht es ja eben.“
Während das halb fertige Puzzle auf dem Tisch und der Free Jazz aus dem Radio eine gemütliche Atmosphäre abgeben, kann es auch ganz schön unbequem werden, wenn man sich die Werke genauer anschaut.
„Mir fällt es schwer, nicht politisch zu werden“, sagt der passionierte Schlagzeuger, der neuerdings auch Keyboard spielt. Ein Wohlfühlort für
Unbequeme also? Ein Wohnzimmer für Querulant*innen und Andersdenkende? Ein buntes Statement gegen die Grauheit des Alltags? „In den Bereich der Wohnkultur, da würde ich mir eben niemals reinreden lassen, denn in erster Linie muss ich mich ja hier wohlfühlen bzw. meine Frau. Es wäre undenkbar, in einem Raum mit Möbeln aus einem Möbelhaus zu leben“,sagt der 59-Jährige, der sich tatsächlich noch nie im Leben ein Möbelstück gekauft hat. Alles, was hier steht, hat er mit den eigenen Händen bearbeitet und angemalt. Den größten Spaß hätte er, wenn es gar keine Möbelhäuser mehr gäbe.
„Ich würde dann gerne bei der Schließung auftreten. Hab‘ ne Menge neu geschriebener Schlager in der Schub- darüber denken, ist ihm eigentlich egal. lade.“ Manchmal weiß man nicht so recht, ob er all die Ideen nur umsetzen will, weil er sich damit persönlich eine Freude macht. Was die anderen
Sicher war es auch diese Suche nach der absoluten Freiheit, die ihn bereits mit 17 Jahren vom Elternhaus in die Grefrather Punkszene – „mit permanenter Bierzufuhr und ohne jegliche polizeiliche Kontrolle“ – zog. Eine tolle Zeit, an die er sich gerne erinnert. In den 90ern tourte er mit seiner Free-Jazz-Operette „Das Land des Hechelns“, die er schließlich im Kölner Sonic Ballroom aufführte und an dem Abend prompt seine spätere Frau kennenlernte. Der gelernte Krankengymnast, der unter anderem das legendäre Vinkrath-Festival gründete, verlegte seinen Wohnsitz also in die Rhein-Metropole: „Kulturell ein Absturz. Wenn du Musik machen willst, brauchst du Räume. Räume zum Proben und für Auftritte sind hier rar gesät. Ich kenne das eben aus früheren Tagen vom Niederrhein, dass überall Instrumente rumstanden, da endete jeder Tag mit einer Session.“ Sein größter Traum ist ein Proberaum. Immerhin sieht er, wie sich in seinem Veedel vieles zum Guten wendet.
„Als ich hierher zog, waren viele Anwohner*innen noch gedanklich in den 50ern verhaftet. Da hätte man gut mal eine Studie zu braunen Häusern machen können“, sagt er. „Aber der Wind hat sich gedreht. Es ziehen ja momentan auch eine Menge neuer Leute nach. Da scheinen ja ein paar echt nette dabei zu sein.“ Und: „viele Musiker*innen.“ Die Hoffnung wächst. Im MMomA finden immer wieder Filmabende, Vernissagen oder auch kleinere Konzerte statt, auch Oper:
„Die Dreigroschenoper“ in einer Neuvertonung durch das „Orchester Feinripp“, legendär auch die K-FreitagsLesungen zu „Achmetts handgeschütteltem Eierlikör“. „Ich sag mal so: Die Sache hier ist nicht immer jugendfrei. Und zum Teil lebensgefährlich.“
Dieses besondere, lautlose Lachen begleitet den Mann genauso wie sein großer Hut, den er draußen immer trägt. Es ist fast so, als lache Achmett Schachbrett, der Mauenheimer Museumsdirektor mit dem Hang zum Barocken, über all diejenigen, die nur in den Kategorien Schwarz oder Weiß denken können. „Ich finde eben, Schwarz-Weiß ist eine verpasste Gelegenheit, davon halte ich mich an und für sich fern, nicht nur, weil da ja auch ein seltsamer Dualismus angedeutet ist. Ich stehe eben auf bunt.“ Für Mauenheim ein Glück.
Femi Kayode
Lightseekers
Eine aufgebrachte Menge rottet sich zusammen, treibt aufgebracht drei junge Männer vor sich her, schlägt sie, hängt ihnen Autoreifen um den Hals, zündet sie an, lässt sie verbrennen. Nigeria ist schockiert. Die kleine Universitätsstadt Okriki ist in aller Munde. Ein knappes Jahr ist das her. Doch Emeka Nwamadi, Vater eines der drei Opfer, gibt keine Ruhe. Obwohl die Polizei sich aus dem Mob einige Täter*innen herausgepickt hat, reicht ihm das nicht. Er will wissen, warum dies geschah und ob nicht hinter allem ein gezieltes Aufstacheln der Menge steht.
Dies alles geschieht in Nigeria, dem bevölkerungsreichsten Land Afrikas, mit großen Ölvorkommen, geprägt von Korruption, ethnischen Konflikten, Armut und explodierenden Großstädten wie Lagos mit 22 Millionen Einwohner*innen. Dorthin zieht der nigerianische Psychologe Dr. Philip Taiwo, nachdem er sich in den USA niedergelassen hatte, seine Frau aber die dortigen Rassenkonflikte nicht mehr aushielt. Ihm ist vieles in seinem Heimatland fremd geworden. Und so konzentriert er sich auf die Lehre zum Thema Gewalt.
„Drei Wochen nach Beginn meiner ersten Vorlesungsreihe über Massenpsychologie hatte ich den Polizeischülern die Aufgabe gestellt, Fallstudien von Verbrechen anzufertigen, die von Menschenmengen begangen worden waren. Über die Hälfte der Referate befasste sich mit einem Vorfall im Südosten des Landes, dem die Medien das Etikett ‚Okriki Three‘ verpasst hatten. Ich hatte mir die Zeit genommen und die Berichterstattung über den Fall nachgelesen. Daher wusste ich, dass Emeka Nwamadi der Vater eines der drei jungen Studenten war, die vor über einem Jahr in der Universitätsstadt Okriki zusammengeschlagen und verbrannt worden waren.“
Die Videos des Lynchmordes an den drei Studenten kursieren, für jeden einsehbar, längst in den sozialen Medien des Internets. Emeka Nwamadi drängt darauf, dass Taiwo die ganze
Sache noch einmal durchleuchtet. So lässt Philip Taiwo seine Vorlesungen ausfallen und macht sich auf den Weg nach Okriki. Dorthin, wo die Menschen ihm mit Abwehr und Hass begegnen. Sie wollen das Ganze vergessen, ihre Ruhe haben. Doch Taiwo ist hartnäckig, stößt auf Drogenexzesse, ethnische Konflikte der übelsten Art, auf Korruption und Hinterhalte, auf Geheimkulte, die jenseits von Recht und Gesetz über Leben und Tod richten. Er bringt sein Leben in Gefahr, ebenso wie das seines zwielichtigen Assistenten, den ihm der trauernde Vater zur Seite gestellt hat.
Eine Recherche nach der Wahrheit und nach Hintergründen. Inmitten eines Landes, in dem die Menschen misstrauisch und dünnhäutig sind. In dem angebliche Heilsbringer, zwielichtige Zusammenschlüsse und Geheimkulte den Rhythmus vorgeben. Und jede*r, aber auch jede*r die Hand aufhält. Denn ohne Bestechung läuft hier gar nichts. Ein Einblick in ein Afrika: kaputtgeräubert, menschenverachtend, ungerecht.
Ingrid Müller-Münch
Femi Kayode: Lightseekers. btb 2022, 16,- Euro.
ISBN 978-3-44277-011-3
Acht perfekte Morde
Es ist schon ziemlich lange her, da veröffentliche der Buchhändler Malcom Kershaw auf dem Blog seiner Krimibuchhandlung
„Old Devils Bookstore“ eine Liste mit den seiner Meinung nach acht perfektesten Morden in der Weltliteratur. Darunter natürlich Agatha Christies 1936 erschienener Krimi „Die Morde des Herrn ABC“ und selbstredend der Klassiker „Zwei Fremde im Zug“ von Patricia Highsmith. Jahre später taucht eines Morgens in Malcoms Bookstore eine junge Frau auf, Special Agent Gwen Mulvey vom FBI:
„Die Ladentür ging auf, und ich hörte, wie sich die FBI-Agentin auf der Fußmatte die
Stiefel abtrat. Es hatte eben zu schneien begonnen, und die Luft, die in den Laden strömte, war schwer und randvoll mit Energie.“
Die junge Frau brachte nicht nur Schneeflocken im Haar mit in den verstaubten Buchladen. Sondern Neugierde und Informationen: „Haben Sie von der Sache mit Robin Callahan gehört?“ Robin Callahan war eine Nachrichtensprecherin im Lokalfernsehen gewesen, die man vor anderthalb Jahren in ihrem Haus erschossen aufgefunden hatte. „Und was ist mit Jay Bradshaw?“ Ich überlegte einen Moment, dann schüttelte ich den Kopf. „Ich glaube nicht.“ „Er lebte in Dennis on the Cape. Man hat ihn im August erschlagen in seiner Garage gefunden.“
Erstaunt darüber, dass die blass aussehende, unscheinbare FBI-Agentin ihn mit weiteren Namen und Verbrechen konfrontiert, erkundigt sich Malcom, was dies alles denn mit ihm zu tun habe. Und so nach und nach rückt seine Besucherin damit heraus, dass all diese Morde auf verblüffende Weise so geschahen, als würde jemand die auf Malcoms Blog seinerzeit beschriebenen fiktiven Tötungsarten in die Tat umsetzen. Genauer gesagt sucht die Agentin bei Malcom den Zusammenhang zwischen den Büchern und den Morden.
Diese Szene ist der Ausgangspunkt einer Suche nicht nur nach Zusammenhängen zwischen Fiktion und Realität. Sondern auch der Jagd nach einem Mörder und der Frage, welche Rolle spielt eigentlich dieser unscheinbare Buchhändler Malcom Kershaw bei all dem. Ist er wirklich nur der seine Katze liebende, etwas langweilige Bücherwurm, oder steckt hinter seiner so unspektakulären Fassade eine ganz andere Figur?
Der Autor von „Acht perfekte Morde“, Peter Swanson, ist längst auf Erfolg gepolt. Auch dieser Krimi wird seinen Weg in die Bestsellerlisten nicht verfehlen. Er ist vor allem ein Leckerbissen für Krimifans, die sich den Spaß machen, all die empfohlenen Bücher nachzulesen, die bei der Suche nach dem Mörder eine Rolle spielen. Ein ziemlich arbeitsreiches Unterfangen, das aber sicherlich viel, viel Spannungsspaß verspricht.
Ingrid Müller-Münch
Peter Swanson: Acht perfekte Morde. Blanvalet 2022, 15 Euro.
ISBN 978-3-73411-020-7
Christina Bacher (Hrsg.)
DIe letzten hIer Köln im sozialen Lockdown
Wie erleben Obdachlose die Corona-Pandemie in Köln? Wie geht eine Großstadt mit dem Lockdown um, wenn nicht alle zu Hause bleiben können? Was, wenn Armut in einer Stadt plötzlich deutlich sichtbarer wird? Haben sich Strukturen des Hilfesystems verändert?
Und: Hat sich durch die Krise vielleicht sogar etwas zum Guten gewandt für diejenigen, die sonst durchs Raster fallen? Mit eben diesen Fragen hat sich Deutschlands ältestes Straßenmagazin DRAUSSENSEITER beschäftigt und nun eine Auswahl an Texten und Fotos zusammengestellt, teilweise von Betroffenen selbst.
Daedalus Verlag
144 Seiten (mit zahlreichen Abbildungen)
12,- Euro, ISBN 978-3-89126-267-2
Erhältlich im Straßenverkauf oder im Buchhandel
LoThaRs REIsE
2. Juni 2022, 9.05 uhr, vor dem Aachener Hauptbahnhof. In Köln hatte der Zug, aus Siegen kommend, fünf Minuten Verspätung. In Aachen kam er pünktlich an. Dass auch bei einem Preis von neun Euro/Monat Verspätungen aufgeholt werden, ist eher selten, aber nicht unmöglich. Mein letzter Aufenthalt in Aachen liegt sehr weit zurück. Entspannt in einem fast leeren Zug bin ich hergefahren, gleich werde ich die Stadt erkunden. Am Nachmittag soll es dann weitergehen nach Trier, wo ich im Mai 2018 zum letzten Mal gewesen bin.
Den Dom erreiche ich pünktlich zur Werktagsmesse um 10 Uhr. Eine Gruppe von Schüler*innen aus Olpe – hier war ich im Mai 2019 – gestaltet die Messe mit und sitzt in der ersten Reihe, in der sogenannten Pole-Position. Sie drehen während des Hochgebets die Stühle um und knien sich auf die Sitze. Viele andere machen dieses Spielchen nicht mit, ich auch nicht. Ich beobachte nur.

Nach der Messe komme ich mit einigen, die am gleichen Tag mit der Deutschen Bahn angereist sind, ins Gespräch. Bis 13 Uhr erkunde ich weiter die Stadt. Im „Aquis Plaza“, einem Einkaufszentrum, muss ich die Toilette aufsuchen. Einen einfachen Stadtplan (kostenlos!) kann ich als Andenken mitnehmen. An der Ecke Gottfried-/Richardstraße entdecke ich einen städtischen Garten. „Hirschgrün“ heißt er, benannt nach einem jüdischen Bürger.
Zurück am Hauptbahnhof erreiche ich die Regionalbahn nach Siegen. In Düren steige ich aber schon wieder aus. Aber nicht, um mich in die Klinik einweisen zu lassen. Von hier möchte ich nach Euskirchen gelangen. Der Fahrplan der Bördebahn gibt mir eine Stunde Zeit, um Düren zu erleben. Die Hauptgeschäftsstraße ist in türkischer Hand. Ich fühle mich fehl am Platz und gehe zurück zum Bahnhof.