Klischee - Oktober 13

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kunst, kultur & politik

Nr.29 Oktober / November 2013

KLISCHEE


« Rassismus? » « Find ich geil. » Ein Klischee geht um in Zürich – das Klischee der arroganten Deutschen. Zudem klauen sie unsere Jobs. Die guten (Ärzte) und die, von denen es ganz viele gibt (Gastro). Die Deutschen kommen in ganzen Horden. Man könnte meinen, sie kommen in Extrazügen über die Grenze. Sie nisten sich bei uns ein. Nehmen unsere Wohnungen, nehmen unsere Frauen und Männer und nehmen unsere Sitzplätze im Tram. Und – ui näi! – sie sagen dem Üetliberg «Ütliberg»! Dazu sind sie dermassen arrogant, dass sie nicht mal bereit sind, unsere «Sprache» zu lernen. Soweit das Klischee. Stimmt natürlich alles nicht. Klar, wir haben viele Deutsche in Zürich. Na und? Es ist nicht ihre Schuld, dass wir zu wenige Ärzte ausbilden. Es ist nicht ihre Schuld, dass wir dermassen viele «Latte», Espressi und Cappuchini trinken, dafür aber nicht genügend Arbeitskräfte stellen. Wir brauchen die Deutschen! Wir sind ihnen zu Dank verpflichtet! Das Gegenteil ist der Fall. Fremdenhass gegenüber den Deutschen ist salonfähig geworden. Im Tram, in der Beiz, bei der Arbeit. Überall wird gegen die Deutschen gewettert. Warum eigentlich? Das Nörgeln ist denn auch nicht wirklich zielgerichtet. Meistens heisst es einfach: «Diese dummen Deutschen.» Und keiner schaut hin. Breite Zustimmung. Man stelle sich vor, jemand nervt sich im Tram über «diese dummen Tamilen/Schwarzen/Jugos.» Alle würden

sich sofort und vehement von diesem Rassisten distanzieren. Nicht so bei den Deutschen. Fremdenhass gegenüber den Deutschen ist salonfähig geworden. Ein harmloses Klischee entwickelt sich in wenigen Jahren zu einem gefährlichen Fremdenhass. Menschen werden ausgeschlossen aufgrund ihrer Herkunft. Und niemand schaut hin. Niemand reagiert. Eher im Gegenteil. Natürlich nicht alle. Aber auch junge, gebildete, urbane und weltoffene linke Menschen ziehen gegen die Deutsche in den Kampf. Befeuert von den konservativen Eliten und den Massenmedien. Klischees können gefährlich sein. Gegen eine Volksgruppe hetzen ist einfach. Und wenn man mal von einem Deutschen genervt ist, soll das auch gesagt werden dürfen. Fremdenhass, der salonfähig ist und quer durch die ganze Bevölkerung nicht nur akzeptiert wird, sondern als das Normalste der Welt angesehen ist, ist saugefährlich und meiner modernen Stadt Zürich nicht würdig. Für die Redaktion, Simon Jacoby

IMPRESSUM

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EDITORIAL

REDAKTION verein dieperspektive, zentralstrasse 167, 8003 zürich, simon jacoby, conradin zellweger, manuel perriard COVER isabella furler (special thanks to sarah sbalchiero) MODEL manuel perriard LAYOUT isabella furler LEKTORAT konstantin furrer TEIL DER REDAKTION: konstantin furrer & marius wenger & andrea schweizer DRUCK zds zeitungsdruck schaffhausen ag AUFLAGE 5500 ARTIKEL EINSENDEN artikel@ dieperspektive.ch WERBUNG simon@dieperspektive.ch ABO abo@dieperspektive.ch LESERBRIEFE leserbriefe@dieperspektive.ch THEMA DER NÄCHSTEN AUSGABE VON A BIS SEX GÖNNERKONTO pc 87-85011-6, vermerk: gern geschehen REDAKTIONSSCHLUSS donnerstag, 31oktober 2013, 23.55 uhr


KLISCHEE

NR. 29

Illustratorin der Ausgabe Namen: Simone Hörler Seiten: 10 | 13 | 18 | 21 | 26 | 28 Vielen Dank an Simone für die Illustrationen zu den Texten. Möchtest auch du die Texte illustrieren? Melde dich auf info@dieperspektive.ch Thema der nächsten Ausgabe: VON A BIS SEX

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IM GRYPHIUSWEG

Der Getränkelieferant will eigentlich nur seine Kisten liefern. Plötzlich kniet er vor einem Kriegsveteranen und soll dessen Wunde einsalben.

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JUNG SUCHT RAUM, STADT GIB HER!

Hintergrund

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Jugendräume wie das Dynamo haben eine bewegte Entstehungsgeschichte. Drogen, Opernhauskrawalle und der Platzspitz. Was tut eigentlich die heutige Jugend?

FRÄULEIN SCHWEIZER IM EXIL IN AMSTERDAM Käse, Schoggi, Matterhorn und Banken. Ja Ja..

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MONEYSHOT

Katharina S. schreibt über Männer, die Pornos schauen und Frauen, die Schnulzen schauen. Eigentlich ist alles das Gleiche - findet die Autorin.

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De Niro im Pornokino, ein familienfreundlicher Harrison Ford und räuberische Hippies. Selina Hangartner erklärt.

Das Streitgespräch über Klischees in der Politik. Ob Bonzen, Bratwürste oder spielende Generäle, ohne geht's nicht.

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UPDATE STEREOTYPEN Joy Teig schreibt über die Rolle von Klischees in unserer ach so individuellen Welt. Aber sind Klischees immer nur schlecht?

HOLLYWOOD À LA CARTE

DAS DUELL

Thema

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WAS SIND DAS FÜR MÄNNER? Die Autorin sehnt sich nach testosterongeladenen Männern. Doch diese cremen sich lieber den Arsch mit teuren Kosmetika ein.

INHALT

Aktuelles & Kreatives

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WO FRÜHER MEIN QUARTIERFEST WAR...

Im Sommer ist alles voll von diesen Quartierfesten. Die ganze Stadt kommt und trinkt das eigene Dosenbier. Logisch, dass das nicht allen gefällt. Ob das gut geht?

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Das Duell Nr. 19 {Text} * Conradin Zellweger und Peter Werder

Peter Werder: Klischees - da sind Sie als Linker ja Experte. 1:12, Bonzensteuer, Erbschaftssteuer, Mindestlohn: Sie pflegen gekonnt das Klischee des bösen Reichen. Ähnlich die SVP, die das Klischee des kriminellen Ausländers bewirtschaftet. Es gibt sie, die kriminellen Ausländer und die bösen Reichen, es gibt anteilsmässig sogar jeweils mehr davon als in andern Stichproben. Aber die Verallgemeinerung ist ein Klischee, das sie zügig im politischen Alltag verankern. Dazu gibt es nur eine Alternative: liberales Denken und Handeln. Conradin Zellweger: Es stimmt, dass einige Parteien mit Klischees Wahlkampf machen. Das trifft sowohl bei der SVP wie auch bei den Linken zu. Und da werden Sie staunen, aber auch in Ihren Kreisen bedient man sich Klischees. Ich nehme an, beim Wahlkampf für Tankstellenöffnungszeiten geht es nicht wirklich um die Legalisierung von Bratwürsten? Ich finde es nicht nur verwerflich, wenn man sich Klischees zunutze macht, um für ein Anliegen zu werben. Sie können auf einem Wahlplakat ja nicht den ganzen Sachverhalt erklären. Wenn jedoch Unwahrheiten als Tatsache hingestellt werden, damit habe ich Mühe. PW: Die Bratwurst ist Pars pro toto. Worum soll es denn gehen, wenn nicht um die Bratwürste? CZ: Dort wird mit dem Klischee gespielt, dass der Böse Staat Sie daran hindert, Ihre Esswahren 24/7 an jeder Ecke

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zu kaufen. Die „Legalisierung“ von Bratwürsten. Zugegeben, ich musste darüber schmunzeln! Aber die linken Gutmenschen (Klischee) wollen Ihnen das Shopingvergnügen verderben, wie Sie alles regulieren und kontrollieren wollen (Klischee). Sie sehen, ohne Klischees kommen Sie auch nicht aus.

«

Wieso brauchen Sie immer Grenzen und Regulierung? Oder ist das jetzt ein Klischee?

»

PW: Das ist leider kein Klischee. Das ist wahr. Es gibt Listen von Verboten, die von links kommen. Ich sag es immer wieder: Die grasrauchenden Linken der 60er

HINTERGRUND DAS DUELL

Jahre kämpfen heute für Rauchverbote. Und so sind es auch die Linken, die einen absolut idiotischen Unterschied zwischen Tiefkühlpizza und Bratwurst oder Cervelat machen. Das ist kein Klischee. CZ: Die grasrauchenden Linken... Sie sind eine regelrechte Klischeemaschine! PW: Ah, Sie haben es gemerkt. Aber der Rest stimmt. CZ: Ich rege mich auch manchmal darüber auf, dass ich mir mitten in der Nacht keine neuen Schuhe kaufen kann. Aber irgendwo muss man halt die Grenze ziehen. Ausser man reguliert gar nichts. Und leider hat es Ihre geliebte Bratwurst nicht über die Grenze geschafft. Warum auch immer. PW: …weil es ein paar unterbeschäftigte Bürokraten, die in den 60er und 70er oder 80er Jahren auf den Tramgeleisen sassen und für Freiheit demonstriert haben, so entschieden haben. Ist es übrigens auch ein Klischee, dass diejenigen, die in der Nacht und am Wochenende einkaufen, zur Vorlage nein gesagt haben? Können Sie mir dies erklären?Wieso brauchen Sie immer Grenzen und Regulierung? Oder ist das jetzt ein Klischee? Sind Sie vielleicht ein kleiner liberaler Rambo? CZ: Wenn wir diese Regulierung der Ladenöffnungszeiten komplett aufheben, sind Sie nachher wieder einer dieser Spiessbürger, die sich über nächtliche Lärmemissionen und die pöbelnden Besoffenen aufregen. Die Liberalisierung der Laden-


öffnungszeiten wird auch solche Folgen mit sich bringen. PW: Der Vergleich hinkt. Wenn schon müssten Sie die These vertreten, dass Cervelats leiser sind als Bratwürste. Aber wir waren ja bei den Klischees. Meine Anfangsthese: Links und rechts aussen liebt man die Klischees und verführt damit die Wähler. Nur Liberale tun das nicht. CZ: Hm. Sie verstärken da grade ein neues Klischee. Der «naive Liberale», welcher meint, die Bratwurst werde diskriminiert. Ihre Anfangsthese ... Das kann ich mir tatsächlich vorstellen. Die Aussenpoole der politischen Landschaft bedienen sich wohl öfters Klischees. Das liegt daran, dass die Aussenpoole die grösste Differenz zwischen Soll und Ist wahrnehmen. Aber mal ehrlich. Die SP und die FDP unterscheiden sich nicht merklich bezüglich der Verwendung von Klischees. PW: Die Bratwurst wird nicht diskriminiert, sondern diejenigen, die sie kaufen wollen. Die Bratwurst ist ein Beispiel, das hat nichts mit Klischees zu tun. Ein Klischee ist es zu behaupten, Reiche seien bös, verantwortungslos oder hätten für ihren Reichtum nichts getan. Solche Bilder malt die SP. Und bei der SVP sind es halt

die Ausländer. Ich kenne keine solchen Klischees in der politischen Mitte. Liberale Menschen lassen andere, sich zu entfalten. Sie machen Ihnen keine Regeln und diskriminieren niemanden. CZ: Sie sind die politische Mitte? Ich glaube, Sie überschätzen den Anteil der Leute rechts von Ihnen. Das Duell: Beim Duell stehen sich jeden Monat Peter Werder und ein Mitglied der Redaktion zum aktuellen Thema der Ausgabe gegenüber. * Dr. Peter Werder ist bürgerlicher Politiker, Dozent an der Universität Zürich und leitet die Kommunikation eines Konzerns im Gesundheitswesen. * Conradin Zellweger, 25, Student in Publizistik & Kommunikationswissenschaften, Co-Chefredaktor von dieperspektive, versucht sich momentan Gitarre beizubringen.

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Frei ist nur, wer seine Freiheit gebraucht! {Text} * Cédric Wermuth

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ie parlamentarische Rechte in der Schweiz ist in heller Aufregung. Linke und Gewerkschaften haben es tatsächlich fertig gebracht eine ganze Reihe von Initiativen zu sammeln, die die uneingeschränkte Herrschaft der classe économique in Frage stellen: Mit der 1:12-Abstimmung im November kommt die erste Vorlage vors Volk, nächstes Jahr folgt die Initiative für einen gesetzlichen Mindestlohn. Die überbezahlten Werbefachleute haben jetzt offenbar das Schlagwort gefunden, mit dem Sie die « kommunistischen » Volksinitiativen bodigen wollen: Nein zum staatlichen Lohndiktat! Flächendeckend wurde die millionenschwere Kampagne von Economiesuisse und Konsorten lanciert. Die Warnung klingt einleuchtend: Wer will schon unter einem Diktat leben? Und dann noch ein Diktat vom Staat? In jeder Diskussion weist dann der Vertreter von Rechts noch darauf hin, das habe man in der Sowjetunion bereits einmal ausprobiert und dieses Modell sei schliesslich gescheitert. Das Schlagwort vom « s taatlichen Lohndiktat » hat nur einen kleinen Haken: Wir leben in einem demokratischen Staat. Und in einer Demokratie, die ihre grundlegenden Gesetze dann auch noch per Volksabstimmung beschliesst, ist das «  staatliche Lohndiktat » nichts anderes als der demokratische Wille des Volkes. Wer also gegen staatliche Entscheide ist, ist gegen nichts anderes als die Demokratie. Und tatsächlich liegt genau dort die Angst der rechten Parteien: Die Angst, das Volk könnte auf die Idee kommen auch mal in der Wirtschaft ein paar demokratische Regeln zu verankern.

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Es stehen sich bei diesen Abstimmung zwei Weltanschauung gegenüber: Für die einen ist demokratische Politik vor allem etwas mühsames, etwas lästiges, etwas, dass die « Unternehmer » im « freien Markt » daran hindert zu tun und zu lassen, was sie wollen. Es ist schon beeindruckend, wie doppelbödig die Rechte argumentiert: Genau diese Kreise fordern immer mehr Staat, wenn es darum geht die Überwachung der Bürger, die Repression gegen Flüchtlinge oder das polizeiliche Vorgehen gegen Junge oder Fussballfans durchzusetzen. Die ehemalige Mittepartei CVP will sogar die Kleidervorschriften an den Schulen mittels staatlichem Diktat durchsetzen. Aber wenn es um die ganz grundlegenden Regeln unserer Gesellschaft geht, dann stört der Staat, dann stört das Volk. Und weil es im Volk nicht so gut ankommt gegen das Volk zu sein und weil es noch weniger gut ankommt, wenn man versucht die eigenen Privilegien und die der Abzocker-Freunde zu verteidigen, spricht man eben vom «  L ohndiktat  ». Auf der anderen Seite stehen die Demokraten. Und die Demokraten wollen nicht einsehen, warum die Demokratie - auf die immer alle so stolz sind - ausgerechnet vor den Türen der Unternehmen, vor unseren Arbeitsplätzen halt machen sollte. Warum sollte Sie das? Warum sollen wir jedes kleinste Detail unseres Lebens bis und mit der Ausbildung von Hundehaltern demokratisch regeln, aber nicht die ganz zentrale Frage, wie wir den gemeinsam erarbeiteten Reichtum verteilen? In der Bundesverfassung steht, dass « frei nur ist, wer seine Freiheit gebraucht » . Wie wahr. Leider haben die AnHINTERGRUND POLITKOLUMNE

tidemokraten in unserer Gesellschaft die Oberhand. Sie versuchen unsere Entscheidungsfreiheit mehr und mehr zurück zu drängen. Sie sind tatsächlich daran, den ganzen Kontinent nach ihrem Gusto umzubauen: Nicht mehr Demokratien bestimmen heute das Schicksal der Länder Europas, sondern private Finanzspekulanten, Ratingagenturen, Banken und die von ihnen finanzierten Parteien. In Griechenland genauso wie in der Schweiz. Mit dem Unterschied, dass wir in der Schweiz eine grosse Chance haben: Die Chance zu zeigen, dass wir unsere Freiheit gebrauchen und die Demokratie zurückfordern.

* Cédric Wermuth ist sozialdemokratischer Nationalrat aus dem Kanton Aargau, er schreibt monatlich zum Thema Politik. Antworte Cédric Wermuth auf leserbriefe@dieperspektive.ch.


Wolltest du schon immer wissen,

wer du bist? Lies die folgenden Zeilen, und wir sagen dir, wer du bist! Nein, hierbei handelt es sich nicht um eine pseudopsychologische Hilfe zur Selbstfindung, sondern um das Ergebnis unserer Leserumfrage, welche wir in diesem Frühjahr durchführten. Sie lieferte uns aufschlussreiches Wissen über euch - unsere Leserschaft – und euer Verhältnis zu dieperspektive.

{Text} * dieperspektive

Du als durchschnittlicheR LeserIn von dieperspektive bist 26,187 Jahre alt und etwa gleich fest Männlein wie Weiblein. Nur mit 15%-iger Wahrscheinlichkeit bist du nicht zwischen 20- und 30-jährig. Wenn du in der Stadt Zürich lebst, so triffst du wohl oft auf andere dieperspektive-LeserInnen, denn hier leben mehr als die Hälfte von eurer Sorte. Lebst du weder im Kanton Zürich, noch in einer deutschschweizer Stadt gehörst du als dieperspektive-LeserIn zu einer raren Spezies. Du hast sehr wahrscheinlich studiert oder befindest dich noch im Studium, genau wie der Grossteil unserer Leser. Die andern Leser schätzt du also zu Recht als gut gebildet und sehr fortschrittlich ein. Manchmal blätterst du dieperspektive nur kurz durch, manchmal liest du fast jeden Artikel, und du tust dies meistens zuhause, hast uns lieber auf Papier als online, aber verfolgst uns zu 50% doch auf Facebook. Du liest mit grosser Wahrscheinlichkeit noch einige weitere Zeitungen und Zeitschriften, zumindest den Tagi, die NZZ oder lokale Tageszeitungen. Gehörst du zu den ganz Gescheiten unter unseren Lesern, ist auch der Economist teil deiner wöchentlichen Lektüre, einfache Gemüter bevorzugen den Blick (am Abend). Vielleicht frönst du auch einer deiner ganz persönlichen Leidenschaften beim Lesen von Magazinen mit den klingenden Namen «holzwerken«, «cook&travel», «kurzpass.ch» oder «Wir Eltern». dieperspektive schätzt du besonders wegen ihrer Themenund Meinungsvielfalt, weil sie eine Plattform um sich auszudrücken und mitgestalten ist, und grosse künstlerische Freiheit gewährt. Dies freut uns sehr, gehören diese Werte doch auch zu dem, was wir dir bieten wollen. Dass dabei die Objektivität und teils auch Aktualität der Artikel verloren geht, hast du richtig erkannt, ist aber von uns auch so gewollt und nicht zu verhindern. Deshalb unser Fazit der Umfrage und Motivation an Dich: Nutze auch du dieperspektive in ihrem vollumfänglichen Angebot! Lies nicht nur, schreib / zeichne / gestalte mit (dies tun nämlich nur ¼ aller Leser)! Insbesondere solltest du dies tun, falls du zu denjenigen gehörst, die sich von der dieperspektive mehr Sex wünschen: Hilf gleich selber mit, dass dich die nächste Ausgabe mit dem Thema «Von A bis Sex» befriedigt. Also zufriedenstellt. * dieperspektve ist eine Zeitschrift, bei der auch du mitmachen kannst. Infos unter www.dieperspektive.ch

IN EIGENER SACHE ERGEBNIS LESERUMFRAGE

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{Illustration} Esther Gloor, 34, ist Lehrerin


{Illustration} Mattia Furler

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Fräulein Schweizer im Exil in Amsterdam Exil

Die Geschichte eines Fräuleins, die mit Klischees zu kämpfen hat. Ist zwar alles frei erfunden – könnte aber genau so geschehen sein. {Text} * Veronika Gutzwiller

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ines Tages musste Fräulein Schweizer ihre liebe Schweiz für immer verlassen. Sie war traurig, konnte jedoch nichts dagegen tun. In ihrer Not liess sie sich in Amsterdam nieder. Das wollte sie eigentlich nicht - wenn sie hätte wählen können, wäre sie selbstverständlich in der Schweiz geblieben, doch das ging eben nicht mehr. Mit den Jahren gewöhnte sie sich an das Leben in Amsterdam. Sie wurde eigentlich eine von dort. Mit dem kleinen Unterschied: Jedes Mal, wenn sie neue Leute (oft auch, wenn sie Bekannte)traf, wurde sie wegen ihrem Akzent zunächst mal als Schweizerin erkannt. Danach fragte man sie regelmässig, zum Teil sogar interessiert, über die Schweizer Alpen aus

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KLISCHEE FRÄULEIN SCHWEIZER IM EXIL IN AMSTERDAM


- die sind doch ein guter Anknüpfungspunkt, diese Alpen. Sie sollte vom guten Schweizer Käse und der super-mega-feinen Schweizer Schokolade erzählen. Die Leute waren immer sehr nett zu ihr, kein Ding. Fräulein Schweizers Problem bestand einzig darin, dass sie ein Stadtkind war. Sie kannte die Alpen kaum, interessierte sich – ehrlich gesagt – auch nicht wirklich dafür. Ausserdem war sie allergisch auf Käse und mochte die supermega-feine Schweizer Schokolade nicht sehr, da sie eher auf Salziges stand. Was machen, wenn Leute es gut meinen und mit dir über deine Heimat sprechen wollen, es dagegen aber nicht tun? Wenn sie über einen Teil deines Landes sprechen, der für sie dein Land bedeutet, für dich als von dort dagegen gar nicht? Weil du dein Land so, wie es offenbar im Ausland bekannt, gar nicht gekannt? Wenn sie immer wieder meinen, du seist so, je-doch bist du ganz anders? Die Zeit ist knapp. Die Gespräche über Alpen, Käse und Schokolade neh-

men nicht wenig Raum ein – und ehe man sich’s versieht, ist der Abend gelaufen, und Fräulein Schweizer? Ist wieder heimgegangen, nichts gesagt habend als Alpen, Käse und Schokolade. Nichts gesprochen habend von sich, nur einem Klischee. Nicht gesehen, nicht gehört, nicht verstanden. Für die Amsterdamer wird sie bleiben für immer das Mädchen des Käses, der Schoki, der Alpen. Ein Nettes, übrigens. Nur, das war sie eben gar nie und wird sie nie sein. * Veronika Gutzwiller Ataş, 34, Germanistin, Lehrkraft Deutsch, Content Managerin, Texterin hier und dort, Mutter zweier kleiner Mädchen, wohnhaft in Bern.

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Alle bringen etwas fürs gemeinsame Buffet mit. Ein Gast berichtet über ungewöhnliche Wege und unerwartete Ankünfte seines beruflichen Werdegangs. 3x Mittwoch, 16. Oktober, 13. November, 11. Dezember 2013, 12.15 – 13.00, KOL-Q-2, Universität Zürich Zentrum

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Im Gryphiusweg

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{Text} * Peter Metz

ie oft hatte ich dem Chef schon vorgerechnet, dass die Tour durch den Gryphiusweg mit ihren zwei Kunden nicht rentierte! Und was für Kunden: die alte Frau Schollenberger, die alle zwei Wochen einen halben Kasten Bier bestellte, und der alte Adam in Nr. 2. Adam war der schwierigere Kunde von den zweien, vielleicht mein schwierigster überhaupt. Er war ein alter Schlesier, hatte eine ständig eiternde, offene Wunde am Bein und brauchte Zeit, so viel Zeit, dass mir währenddessen jedes Mal Bierkästen von der Ladefläche geklaut wurden. Und es fing immer damit an, dass ich klingelte und Adam mich durch die Gegensprechanlage nach oben bestellte, und noch ehe ich fragen konnte, was er wolle, den Hörer aufhängte und den Türöffner drückte. Er wohnte im fünften Stock, und obwohl er mich mit Sicherheit durch den Türspion beobachtet hatte, musste ich nochmals klingeln, ehe ich hörte, wie drei Türketten gelöst wurden. Nach der zweiten öffnete er die Tür einen Spalt, um sicher zu gehen, dass ich es sei. Wenn er schliesslich die Tür ganz öffnete, erwartete ich immer einen dunkelbraunen Kalbslederhandschuh auf der Klinke zu sehen. Schon bevor er mir erzählt hatte, dass er im Krieg Luftwaffenoffizier gewesen war, hatte ich ihn für etwas Besseres gehalten. Trotz des immer gleichen abgewetzten Adidas-Trainingsanzugs spürte man, dass er einmal andere Zeiten erlebt hatte. Vielleicht kam seine Gewohnheit, mich bis nach oben kommen zu lassen, aus der Zeit, als seine Familie noch Dienstboten hatte. Er bestellte wie immer einen Kasten Bitburger. « Soll ich den Kasten gleich in den Keller bringen? », wollte ich fragen, aber da hatte er die Tür schon wieder zugezogen und begonnen, die Ketten wieder einzuhängen. Also musste ich fünf Stockwerke zum Wagen hinunter und wieder hoch steigen, nur um zu hören: « Könnten Sie mir das nicht in den Keller stellen? » Natürlich hätte mir Adam nie den Kellerschlüssel anvertraut. Er zog den rechten Schuh an, während der linke Fuss, oberhalb dessen die Wunde eiterte, in den Hausschuhen blieb, suchte seinen Stock und humpelte Stufe für Stufe nach unten, wobei er wie ein Patrouillenführer an jeder Windung des Treppenhauses innehielt, den nächsten zu überwindenden Abschnitt sondierte, spähte und lauschte, ob nicht über oder unter ihm im Treppenhaus sich etwas bewegt hatte. Nach etwa fünf Minuten waren wir im Keller angelangt. An der Kellertüre begann die langwierige Suche nach Schlüsseln. « Liegt alles an meinem Bein. Zweimal im Krieg abgeschossen, ein anderer wäre längst draufgegangen, aber so leicht erledigt man den alten Adam nicht. » Als der Kasten endlich im Keller verstaut war, nahm mich Adam mit der freien Hand am Oberarm und meinte: « Ach, junger

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Mann, wären sie nicht so freundlich, mir noch zwei Flaschen mit nach oben zu nehmen, sie wissen ja, ich kann so schlecht tragen, wegen der verfluchten Krücke. » Das Treppaufsteigen war wesentlich unangenehmer, nicht nur weil der Weg nach oben doppelt so lange dauerte, sondern vor allem, weil Adam dann vor mir ging und sich so jedes Mal derselbe unerfreuliche Anblick bot. Immer war der Verband am linken Bein, der unter der ein Stück weit hochgeschobenen Trainingshose hervorschaute, irgendwie lose, locker, schlecht gebunden, und immer konnte ich, während ich hinterher ging, durch die auseinandergeschobenen oder heruntergerutschten Mullbinden etwas von der Wunde sehen, eine Mischung aus fahlrotem Wundfleisch und weiss-gelblichem Eiter. Nachdem ich die ersten Male bei Adam gewesen war, hatte ich ihn sogar verdächtigt, den Verband absichtlich zu lockern, um seine Wunde durchscheinen zu lassen, und ich malte mir aus, wie er jeden Abend vor dem Fernseher in der Wunde herumwühlte. Während wir unendlich langsam hinaufstiegen, erzählte mir Adam zum hundertsten Male, wie er als Flieger zweimal in einem brennenden Flugzeug auf den Erdboden zugerast, zweimal in letzter Sekunde herausgekommen sei und wie er jetzt nur in dieser Nachbarschaft überhaupt noch eine Wohnung bezahlen könne. « Immerhin hält sich die Zahl der Kanaken hier noch in erträglichen Grenzen. Aber die Rotzlöffel hier, egal, ob das Deutsche oder Türken sind, die klauen alle wie die Raben. Passen Sie nur mal auf, dass Sie nachher überhaupt noch was auf dem Wagen haben! » Ich musste dran denken, dass ich hauptsächlich Sprudel und andere antialkoholische Getränke geladen hatte. So was klauten die nie. « Jetzt geht dieser Scheissverband schon wieder auf. Da fragt man sich, warum zweimal die Woche eine Krankenschwester bezahlt wird, um das Ding zu wechseln. Polackin natürlich. Wussten Sie, dass ich in dem vermutlich einzigen deutschen Kampfflugzeug sass, das über Polen abgeschossen wurde? Das nennt man Ironie, was? Muss ein reiner Zufallstreffer gewesen sein. Da hab ich auch die Wunde her. Und das zweite Mal Engländer, über Nordafrika, genau die gleiche Stelle verletzt, und noch einen Metallsplitter im Bein dazu. Sie können sich ja vorstellen, wie die hygienischen Zustände in dem Berberlager waren, in dem ich mit dem Fallschirm runterkam. Aber immerhin: geholfen haben sie mir. Der Deutsche hat ja bis heute einen guten Ruf bei den Parawern da unten. Wenn es erstmal die Schmerzen lindert, da fragen sie nicht, ob das Kamelscheisse ist, die der Abdul ihnen da drauf packt. Und der Verband hat besser gehalten als bei der Polackin. » Bis dahin war alles wie immer gewesen, im Gryphiusweg Nr. 2. Doch diesmal machte Adam vor der Wohnungstür eine längere Pause als gewöhnlich, schaute mich lange an und fragte schliesslich: « Würden Sie mir vielleicht heute das Bein einreiben? » Ich stotterte: « Dafür habe ich jetzt wirklich keine Zeit… » Adam sperrte mir, gegen den Türrahmen gelehnt, mit dem Krückstock den Rückzug und zischte: « Glauben Sie, es fällt mir leicht, Sie um Hilfe zu bitten? » Ich zögerte. Mein Wagen war wahrscheinlich sowieso schon leer geräumt. Also überwand ich mich und half Adam in die Wohnung und dort auf das Sofa. Die Wunde wirkte, als ich den Verband abgewickelt hatte und sie in ihrem vollen Umfang sehen konnte, weitaus gewaltiger als vermutet. Adam reichte mir eine grosse Tube mit Salbe. Meine Hände waren von den Arbeitshand-

KLISCHEE IM GRYPHIUSWEG


«

Würden Sie mir vielleicht heute das Bein einreiben?

»

schuhen, dem Geld und dem Lenkrad schweissgelb-dreckig, hygienisch gesehen eine Katastrophe. Ich nahm die Tube und presste einen haselnusskerngrossen Klecks heraus und liess ihn auf meine Handfläche dropsen. Der Klecks fühlte sich gut an, er hatte etwas Kühlendes an sich, etwas, das sich anfühlte, als könne es jede mögliche Infektion verhindern. « Mehr », raunte der alte Adam, « das reicht nie ». Also gut: wenn schon, dann richtig. Aus der Tube quoll ein gewaltiger Blubbs, der sich weiterhin gut anfühlte und auf meiner Handinnenfläche eine gediegene Schutzschicht gegen jede Art von Eiter auf Adams Wunde bildete. Langsam begann ich, die Paste zu verstreichen. « Fester, nur richtig druff, sonst zieht das Zeug nicht ein, die Polackin macht das auch nicht feinfühliger », ermunterte mich Adam. Ich hatte plötzlich das Gefühl, dass in dem Offizierston doch etwas lag, was Gehorsam abnötigte, auf eine nicht einmal unangenehme Weise, und so begann ich kräftiger, mit flachen Handflächen, geschützt durch die millimeterdicke Paste, die Wunde auf- und abzufahren. « Wichtig ist, dass man überhaupt etwas spürt, junger Mann. » Adams bleiche Haut war kalt und glatt, bis auf ein paar einzelne Stoppeln. Wahrscheinlich musste das Bein jedes Mal rasiert werden, wenn der Verband gewechselt wurde. Jedes Mal, wenn ich über die Wunde fuhr, machte ich eine hohle Hand, um sie nicht zu berühren. So umging ich sie an den Rändern. « Da, wo’s offen ist, da müssen Sie rein. Hilft doch sonst alles nichts ». Ich wagte, mit der flachen Hand über die Wunde zu fahren. Sie fühlte sich nicht dramatisch anders an als der Rest des Beines. So überwand ich mich erneut. Adam gefiel es. Er brummte rau, dann sagte er: « So kommt Butter bei die Fische ». Das ermutigte mich, es war eine Redensart, die nicht in unseren Landstrich passte, aber aus dem Munde eines alten, versehrten, schlesischen Luftwaffenoffiziers irgendwie, naja, authentisch klang. Wenn die Bakterien von meinen schwieligen Händen ihn nicht umbrachten, dann sollte ihm dieser Tag in guter Erinnerung bleiben. Ich rieb schneller und fester. Da war die Salbe auch schon eingezogen. Ich liess die Hände einen Moment auf Adams Bein liegen. Das war ja halb so schlimm gewesen. « Zieht gut ein, die Salbe. Geht es Ihnen besser? » Adam brummte zustimmend. Ich liess los. Mit einem leisen, ausgeatmeten « m » setzte sich Adam wieder gerade und zog das langgestreckte Bein heran. Ich half ihm, ohne dass er mich dazu auffordern musste, den Verband wieder anzulegen. Dann krempelte ich ihm, nachdem er mich, nur zwei oder drei Sekunden, mit seltsamem Blick angestarrt hatte, die Trainingshosen wieder herunter. Ich hatte erwartet, dass ein unheimliches Gefühl an den Händen zurückbleiben würde. Unten auf der Strasse stellte ich überrascht fest, dass praktisch nichts vom Wagen gestohlen worden war. * Peter Metz, 1962 in Mannheim geboren, lebt seit 1998 in der Schweiz. Nach dem Studium der Politik und Geschichte an der Universität Mannheim arbeitete er als Journalist, Fliessbandarbeiter, Bierkutscher, Bürobote und seit 1998 als Lehrer für Deutsch, Geschichte und Theater an verschiedenen Rudolf Steiner Schulen in der Schweiz. 2004 gewann er den Mannheimer Literaturpreis, 2013 belegte er den zweiten Platz beim Wettbewerb der « Literarischen Offensive » Heidelberg; gelegentlich veröffentlicht er Kurzprosa, z. B. in « die perspektive ». KLISCHEE IM GRYPHIUSWEG

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JUNG SUCHT

STADT GIB HER! {Text} * Jessica Hefti {Fotos} * Julia Furer (Portraits) | Ruedi Staub (Archiv)

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TITELGESCHICHTE JUNG SUCHT RAUM, STADT GIB HER!


Die Jugendjahre im Schnelldurchlauf sind voller Erfahrungen. An die besten Partys, die ersten Küsse und sonstige Abenteuer erinnert man sich gut. An die Krisen mit Beziehungen, Freundschaften und einem selbst lieber nicht. Und immer sind es auch Orte: Jugendräume, Plätze in freier Wildbahn oder das kleine Zimmer bei den Eltern zuhause, die mit «da waren wir noch jung ...» verbunden werden. Doch wie kam es eigentlich zum ersten Jugendkulturhaus in Zürich? Ein Rück- und Umblick zur Jugendkultur und ihren Drang nach Raum. Ab den 1930er-Jahren machte in Zürich immer wieder die Idee eines Jugendhauses die Runde. Ein erster Vorstoss wurde allerdings vertagt: Der Zweite Weltkrieg ging los, was die politischen Prioritäten verschob. Erst Ende der Fünfzigerjahre bekam der Verein Zürcher Jugendhaus (VZJ) nach zehn Jahren Papierkrieg das Drahtschmidli zugesprochen. Die damalige Abbruchliegenschaft war aber nicht mehr als eine Übergangslösung. Im Zuge der 68er-Bewegung forderten die Jugendlichen erstmals öffentlich ein Jugendzentrum. Das einstige Globus-Provisorium, wo jetzt der Coop zwischen Hauptbahnhof und Central residiert, stand leer und war für eine Besetzung prädestiniert. Doch bei der ersten Demonstration kam es zu einer groben Strassenschlacht mit der Polizei. 36 cm2 für jeden Jugendlichen In der Luft lag Aufbruchsstimmung. Neben dem globalen Verlangen, etwas zu ändern, wuchs das lokale Bedürfnis nach einem Jugendhaus in der Stadt Zürich. Nach vielen Diskussionen und Studien öffnete die Stadt schliesslich den Lindenhofbunker als Jugendzentrum. 8000 kamen zur Einweihungsparty, 800 hatten Platz. Ein Graffiti aus dieser Zeit besagt zynisch: «Wir danken dem Stadtrat, der uns grosszügigerweise für jeden Jugendlichen, der in der Stadt Zürich lebt, 36 cm2 Jugendhausfläche zur Verfügung gestellt hat!» Nach genau 68 Tagen wurde der Bunker wieder geschlossen. «Wegen Drogenproblemen», argumentierten die Behörden. «Weil die Behörden uns die Selbstverwaltung nicht zugestehen wollen», sagten die Jugendlichen. Die Diskussion um das Drahtschmidli-Areal rückte deshalb wieder in den Vordergrund. Bei einer ersten Besetzung durch Jugendliche, griff die Polizei schnell durch und räumte das Haus. Kurz darauf scheiterte ein Drahtschmidli-Gemeinschaftsprojekt an der Urne. Die Jugendlichen selbst waren gegen die Vorlage, weil ein autonomes Jugendzentrum für sie ganz anders aussah als das von der Politik vorgelegte Projekt.

TITELGESCHICHTE JUNG SUCHT RAUM, STADT GIB HER!

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Züri brännt!

Beat Käser (32) Stadtplaner «Kultur kann nicht eingepflanzt werden, sie muss wachsen. Darum eignen sich alte Gebäude so gut, in denen das Leben einst schon blühte. Industriegebäude sind prädestiniert für eine Umnutzung. Besonders junge Menschen haben das Faible, sich neue Räume anzueignen. Das zeigte sich einst am Paradebeispiel der Roten Fabrik und in Zukunft auch immer mehr mit Räumen, die einem zum Umnutzen gar nicht in den Sinn kämen. Man wird erfinderisch und kann sogar einen Büroraum mit Teppich zu einem Kulturraum umgestalten. Manchmal muss an den Rand der Legalität gegangen werden, um eine Innovation durchzusetzen. Wir ertrinken heute in Regulatorien. So viele Beschränkungen können Räume nicht zugänglich machen, wo sie eigentlich vorhanden sind. Aber wo man einst in den 80er-Jahren um öffentliche Räume noch kämpfen musste, hat sich heute das Bewusstsein für das Bedürfnis von Jugend- und Kulturräumen viel mehr etabliert.

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Ich denke, Jugendräume wird es auch in Zukunft geben. Im Dorf, wo ich aufwuchs, war es üblich, dass bei Konzerten mindestens einmal der Verstärker ausstieg. Wir haben aus dem, was wir hatten, das Beste rausgeholt. Mit der modernen Technik werden solche Pannen vielleicht seltener. Aber ich denke mal, die Atmosphäre bleibt die gleiche. Weil Jugendliche heute wie morgen den Drang haben, mit dem Wenigen das sie bekommen, das zu machen, was sie wollen.»

« D ie Jugend bleibt nicht still, sie geht Tag und nacht auf die Strasse. »

Steine werfen für ein Jugendhaus In den 80er-Jahren wurde es den Jugendlichen erneut zu bunt. Eine Bewegung formiert sich und geht auf die Strasse. «Züri brännt!» Die Forderung: mehr Freiheit für junge Kultur und mehr Raum, diese auszuleben. Derweil nimmt die Bevölkerung die Vorlage für einen 60-Millionen-Kredit für das Zürcher Opernhaus an. Die Jugend rebellierte: Beim Opernhauskrawall toben die ersten grossen Strassenschlachten zwischen den Bewegten und der Polizei. Ein autonomes Jugendzentrum (AJZ) ist nur während kurzer Zeit offen, zu unruhig geht es der Regierung da vonstatten. Später wird es abgerissen. Doch die Jugend bleibt nicht still, geht Tag und Nacht auf die Strasse und tut ihre Wut mit Parolen und Steinen kund. «…unten, wo der Verputz zu bröckeln beginnt, wo verschämte Rinnsale Kleenex-sauberer Menschenärsche zu stinkenden Kloaken zusammenfliessen, da leben die Ratten, wild wuchernd und fröhlich, schon lange.Sie sprechen eine neue Sprache, und wenn diese Sprache durchbricht, ans Tageslicht stösst, wird gesagt nicht mehr getan sein, Schwarz auf Weiss wird nicht mehr klipp und klar sein, alt und neu wird ein Ding sein.»«Züri brännt», 1980 (DVD bei videoladen.ch) Das neue Jugendhaus Drahtschmidli war keine Lösung. In

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Eine Zeit auf Nadeln In derselben Zeit wächst drüben am Fluss die Drogenszene. Einst noch hatte die Polizei die Szene in der Stadt herumgehetzt – im Platzspitz lässt man sie gewähren. Die Öffentlichkeit spricht vom Needle-Park, spätestens 1987 sind die desolaten Zustände nicht mehr zu übersehen. Als einer der ersten Ärzte ist Dr. André Seidenberg freiwillig im Einsatz, um Nothilfe zu leisten. Er erinnert sich: «Drogen hatten ein aufmüpfiges Image. Es war hip – wie man damals in den 80ern sagte. Nach der Zerstörung des AJZ begann eine depressive Zeit. Es wurde vergessen, worum man vorher gekämpft hat; die sexuelle Befreiung und all das. Die Stimmung war auf ‹No Future›! Es gab auch zunehmend Gewalt – der Tod hat gelauert. Uh ja, Mitte der 80er-Jahre war eine üble Zeit.» Als der Platzspitz 1992 geschlossen wird, zieht die Szene an den Oberen Letten weiter – direkt vor die Haustüre des Dynamos. Das führt zu Spannungen, hindert das Jugendkulturhaus aber nicht daran, sich weiterzuentwickeln. Ist auch bei der Generation der «Bewegten» bis heute eine gewisse Skepsis geblieben, konnte es seinen Ruf, eine stattliche Beruhigungspille zu sein, langsam durch Offenheit und Vielfalt überwinden. Heute nutzen bis zu 240 000 junge Menschen jährlich die Übungsräume für Bandprojekte oder Breakdance und toben sich in der Sieb- und Medien-, Textil- oder Metallwerksatt aus. Die Jugend von heut ... Dieser Satz ist beliebig zu vervollständigen. Jeder Einzelne glaubt es genau zu wissen, zu beobachten wie sie säuft, wie sie ziellos herumstreunt und nicht an morgen denkt. Positives ist damit selten zu vermelden. Doch geht man gerade beim Dynamo durch die Räume, revidieren sich die Klischees. Da herrscht ein ungemeiner Tatendrang, hier druckt einer ein T-Shirt, dort feilt einer an der Tanz-Choreografie. Jeder entdeckt auf die eigene Art seine Kreativität. Während die Jugendbewegungen von einst dazu da waren, für diesen Freiraum zu kämpfen, weiss man heut um die Gunst der Jugendkultur. Und während wir manchmal durch den Alltag hetzen und auf die Kids herabsehen, die es noch ein wenig geniessen können, tut es auch immer wieder gut sich selbst zurückerinnern: Was waren die Orte meiner Jugend? Was war mir wichtig? Und wovon habe ich geträumt? Und man wird sich erinnern was früher besser war und für die nächste Generation hoffentlich noch besser wird. * Jessica Hefti 23, hat gerade ein Buch über die Jugend und Zürich herausgegeben. «Hört doch auf zu heulen, es hat gerade erst angefangen» kann man im Buchhandel kaufen oder bestellen unter http://sealandkingfisher.com/dynamo/ * Julia Furer 23, ist Fotografin und Videostudentin an der Hochschule Luzern Design & Kunst.

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Zum Abbau von Klischees: Filme aus Süd und Ost

La Yuma, Nicaragua

der städtischen Antwort auf den Abriss des autonomen Jugendzentrums sahen die Jugendlichen einen «Sozibunker». Sie wollten Selbstbestimmung. Das Drahtschmidli schliesst wieder und die Stadt brütet über ein neues Konzept. So entsteht 1988 das Dynamo. Die Autonomen meiden den Ort weiterhin und ziehen sich an Orten wie der Roten Fabrik und später die Wohlgroth zurück.

DVDs und Online-Kino Aktueller Fokus: Lateinamerika

www.trigon-film.org

Linda Landolt (28) Gründerin der Party Partei «Meine Jugend im Dorf empfand ich als deprimierend. Wir sassen herum, hörten Musik und langweilten uns. Ich war froh, ins Gymnasium zu gehen und die Stadt für mich zu entdecken. Wie erzählt man eine gute Geschichte? – Die Frage hat mich zum Filmemachen geführt. Egal, ob du einen Filmdreh oder eine Party organisierst, es ist immer wichtig, gute Leute zu motivieren und zusammenzubringen. Darum habe ich die Party-Partei mitgegründet. Wir wollen mit Aktionen die politische Diskussion fördern und setzen uns für mehr Freiräume ein. Die Clubkultur in Zürich erlebe ich zunehmend als Abfertigung. Ich lasse mich ungern als Konsumentin behandeln, die bereits an der Tür angeschnauzt wird

TITELGESCHICHTE JUNG SUCHT RAUM, STADT GIB HER!

und dann überhöhte Preise zahlen muss. Ich suche nach alternativer Kultur, in der noch etwas bewegt werden kann. Gäbe man mir einen grossen Raum, würde ich einen Spielplatz für Erwachsene daraus machen.»

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Was sind das für Männer?

{Text} * Nette Riemen

Statt richtig viel Fleisch zu essen, cremen sich Männer von heute ihren Arsch mit teuren Kosmetika ein. Wo ist der klischeehafte und testosterongeladene Mann geblieben?

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KLISCHEE WAS SIND DAS FÜR MÄNNER?

Dieser Typus grassiert vorwiegend in Grosstädten und breitet sich aus wie einst Typhus. Was sind das bloss für Männer? Sie halten ihre Tassen stereotyp mit abgespreiztem kleinem Finger. Sie erkundigen sich vorsorglich nach Getränken light, löffeln mittags im Birchermüesli oder stochern in einer Salatbowle herum. Nach dem Mittag bleiben sie gemütlich sitzen, um bei einem Latte Macchiato mit Gleichgesinnten über ihre Hallux zu plaudern, während sie sich ab und wann einer Spiegelwand zuwenden, um sich narzisstisch zu bewundern, worauf ich unverzüglich meine Augen zu verdrehen beginne. Ich komme nicht darum herum. Und in solchen Momenten frage ich mich mehr schwermütig denn angekratzt, wo die anderen Kerle geblieben sind, denen ein Espresso nicht doppio genug sein kann und ein saftiges Entrecôte zu jeder Tageszeit willkommen ist. Ich halte schon lange Ausschau nach Männern, die sich bestenfalls intelligent und doch in kindlicher Manier über Kommunismus oder Marx unterhalten oder von Reisen in Einöden berichten, wo sie die Zurückgezogenheit variantenreich und tiefgründig zu schildern vermögen, ohne dabei die abgeklatschten Worte Selbstfindung oder Meditation je in den Mund nehmen zu müssen. Nun, Männer die etwas meinen. Stattdessen wimmelt es von jenen, die zwar unbedingt Männer sein wollen und gerade deshalb für mich keine Män-


«Diese neuen Typen interessieren sich leider mehr für die Unterhosen von Prince Harry als für Politik

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ner sein können, mitunter auch deshalb, weil sie sich für meinen Geschmack zu leidenschaftlich über die Matratzendicke der Strandliegen auf Mauritius austauschen oder sich reihenweise Castingstaffeln (der Zielgruppe Backfisch zugedacht), reinziehen und zwar frei ironischen Abstands. Nicht nur ist dies zum Gähnen langweilig, aber für einmal wirklich sinnleer. Wenn Frauen sich detailliert über Lippenstifte unterhalten, so tun sie dies anders und es wäre verfehlt hier von Oberflächlichkeit zu sprechen. Das Feinsinnige versteckt sich allzu gern im vermeintlich Profanen, dies ist eine Tatsache, die uns Frauen bestens vertraut ist und mit der wir gekonnt umzugehen verstehen. Auch auf der psychologischen Ebene sind Diskurse über Pomadigkeit des Lippenstifts, Hersteller, Preis usw. nicht zu unterschätzen. Es geht nur vordergründig um den habenmüssenbestimmten Farbton, doch erfährt man durch das Gespräch, je länger es sich dahin zieht und zwischen den Zeilen, wie es um die allgemeine Befindlichkeit des Gegenübers geht. Was die Kinder treiben, ob der Mann sie betrügt, ob sie selber treu ist und elegant wird auch anderer Tratsch über den Lippenstift gebrochen, um auf diese Weise nicht zuletzt den sozialen Bund via einer vermeintlichen Bagatelle zu stärken. Weil die Bagatelle keine Bagatelle ist, sondern Mittel zum Zweck, eine weitreichende Metapher, aus der die Eingeweihten jede erdenkliche Information ziehen können: vom Hypozinskurs bis zum Thema Krieg in Zentralafrika. Bei versehentlich gelauschten Gesprächen unter Männern, zum Beispiel in Bezug auf Hammerzehen, kam solcherlei Spannweite, zumindest wenn ich gelauscht habe, nie heraus. Da ging es bestenfalls um den Austausch der Orthopädenadresse oder den Grad des Schmerzes. Irgendwie vermisse ich Mannsbilder, die eine an einer rezenten Käserinde riechenden Frau sexy finden und bei Alkohol grundsätzlich nicht nein sagen. Männer, die etwas Schweres tragen helfen, ohne dabei an ihre Muskelkraft zu denken, die telefonieren, um Informationsgut hin und herzuschieben: Ort, Zeit, fertig. Nicht aber solche, die klönend an der Strippe hängen und Zeit totschlagen oder aktiv und vernetzt aussehen müssen. Diese von mir so ersehnten Männer, so scheint mir, verschwinden mehr und mehr von der Bildfläche, beziehungsweise betritt der neue Typus zunehmend ein Terrain, dass bisher vorwiegend den weiblichen Geschöpfen vorbehalten war. Der neue Charakter, der eigentlich gar nicht mehr so neu ist, man mag ihn metrosexuell oder was immer nennen, überschreitet die Grenze, ist aber nicht konsequent genug, um fachgemäss in die femininen Stapfen zu treten und sie gänzlich auszufüllen. So müsste er nämlich mit Hingabe oder zumindest mit Pragmatismus gelegentlich Fenster putzen können oder ab und zu in einer Warte-

KLISCHEE WAS SIND DAS FÜR MÄNNER?

schlange an der Kasse eines Supermarktes anzutreffen sein, dort aber ist er nicht. Denn er belagert lieber die besten Plätze von Caféhäusern, nimmt die Modeverkäuferin in Beschlag (jene Frau übrigens, welche aus Kostengründen neuerdings für zwei Abteilungen zuständig ist) und die sich diesem äusserlich tendenziell attraktiven Mann, der immer vor mir dort ist, mit Hingabe widmet und mich links liegen lässt, wobei ich lediglich um den anderen Pump bitten wollte. Doch der gute Mann fordert nicht nur ihre ganze Aufmerksamkeit, sondern ersucht gleich eine ganze Typberatung, indem er der Dame zugleich verheissungsvoll zu vermitteln weiss, dass er eine Verabredung später nicht ausschliesst. Und so kaufe ich nach kurzer Beobachtung dieses peinlich anmutenden Zwischenspiels dann letztlich keine Schuhe und bin somit zweifach frustriert. Ich gehe zur Whiskybar und treffe dort auf Gelächter von Zigarre schmauchenden Matronen. An der Bar hat es notwendigerweise auch Kerle, aber nur jene berüchtigten Schnapsnasen, also vielleicht interessant, weil oft eine spannende Geschichte dahinter liegt, warum sie Schnapsnasen geworden sind, aber lieber nicht jetzt. Diese neuen Typen interessieren sich leider mehr für die Unterhosen von Prince Harry als für Politik. Sie sind aus Unwissenheit diplomatisch und irgendwie lasch. Sie können weder Schachspielen noch asexuell flirten. Und weil hysterische Showeinlagen die Xanthippen nun mal besser beherrschen, fehlt diesen Männern auch ein Stück weit Authentizität in ihrer Art femininen Gebärde. Ich sage ja nicht, sie sollen sich beim Pinkeln nicht mehr setzen, und nach dem Toilettengang müssen sie sich unbedingt die Hände waschen. Sie dürfen um Gottes willen nicht nach Schweiss riechen und sollen bitte nicht in völlig verfehlten Outfits herumlaufen und das Auge von Ästheten beleidigen. Und selbstverständlich: sie sollen weinen können. Aber es ist wohl kaum zuviel verlangt, dass ich fordere, sie sollen sich immer, wirklich immer und ohne mit der Wimper zu zucken, von ihren teuer eingecremten und rasierten Hintern erheben, um allen Damen in der Strassenbahn Platz zu machen. Nicht nur den alten. Wie früher eben. Und im Schuhladen, diesem überirdischen Ort, der ja für so manches Frauenzimmer zunehmend auch eine Therapiestätte darstellt, ist der Vortritt generell und ausnahmslos ebenfalls dem weiblichen Geschlecht vorbehalten. Wer weiss, aus welchem tragischen Anlass heraus sie sich heute für einen Schuhkauf entschlossen hat. * Nette Riemen, Jg. 1971, Autorin von diversen Büchern (Kurzprosa, Lyrik)

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Alles nur Klischee. {Text} * Beat Ospelt

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as Leben kommt mir manchmal wie ein riesiges Theater vor: Eine brüchige Bühne mit von sich überzeugten Laienschauspielern besiedelt, welche alle ihr persönliches Drama vor sich hin spielen. Sie gehen geschäftig auf und ab, lachen, weinen, tanzen schlecht und untermalen alle ihre Gesten mit pompösem Gehabe. Wir stehen im Rampenlicht, vor einem schon etwas blind gewordenen Spiegel und überurteilen uns ständig selbst. Ich wünschte wir könnten uns selbst sehen, erkennen, wie wir schemenhaft herumzappeln. Wie lächerlich wir doch alle sind. Was wir anbeten, was wir verehren, was wir begehren. Was wir sind? Und was wir darbieten... Alles nur Klischee. Das ganze bunte Treiben in dieser Welt erscheint mir manchmal ziemlich sinnlos und fern, ein Abglanz von Leben. Etliche andere gab es vor mir und ebenso viele werden wahrscheinlich noch nach mir auf dieser Erde herumtollen. Ein riesen hin und her. Wir stolzieren stolpernd durchs Leben. Der Laufsteg ist mehr schlecht als recht vorbereitet. Es wurde in unserer Geschichte viel gepfuscht. Holprig und von zu vielen Ansprüchen beladen, gehen wir vorwärts, mühen uns ab, währendem unsere Ängste im Publikum neben den anderen sitzen, uns mit Blitzlichtern und viel Getöse verwirrend: Diese selbstverwirrten Irrlichter. Sie sind selbst schon verloren und wollen uns zu sich ins Dunkel locken. Doch wir brauchen Licht um zu sehen. Der Spiegel ist unser Sinn. Die Geschichte ist ein Sumpf. Wir schlurfen vor uns hin. Zombiewalk Leben. Das Ganze hat kein Fundament mehr. Wir sind schon tot. Und am Ende des Laufstegs wartet Nichts. Alles nur Klischee, auch dieser düstre Pessimismus. Der Spiegel bekommt Risse. Abgenutzte Worte. Was wenn die Kulisse in sich zusammenfiele? Vielgepriesene Kreativität, Spontanität stirbt an Langeweile. Wir sind alle so innovativ, so flexibel, wie man es von uns verlangt. Wir lernen fast alles nur durch Nachahmung. Hartnäckig, Schritt für Schritt, laufen wir jenen vor uns nach. Schattenhaft imitieren wir das, was uns vorgespielt wird. Vorgespielt von anderen Silhouetten, welche selbst nicht wissen was sie eigentlich tun wollen.

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* Beat Ospelt, zufriedener Student


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Update Stereotypen Im Himmel sind die Schweizer die Organisatoren, die Italiener die Köche, die Deutschen brauen das Bier und die Amerikaner sind für Film und Musical zuständig. In der Hölle organisieren die Italiener, die Schweizer sind Liebhaber, die Amerikaner kochen und die Deutschen bombardieren uns mit Reality-TV-Soaps. text: * joy tieg

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KLISCHEE UPDATE STEREOTYPEN


J

a, Klischees haben etwas Gutes an sich: Sie bieten Stoff für unzählige Witze und solange man die teils vermittelten Stereotypen nicht als absolute Wahrheit annimmt, kann man immer wieder überrascht werden. Verhält sich das Gegenüber doch ganz anders, als eigentlich erwartet oder doch verblüffend genau dem Klischee entsprechend. Schlussendlich sind Klischees jedoch Vorurteile und können diskriminierend wirken. Wieso eigentlich? Liegt es an der Verallgemeinerung oder der fixen Zuschreibung? Eigentlich ist es doch praktisch, wenn von vorneherein klar ist, was von jemandem erwartet werden kann, oder nicht? Wäre es vielleicht schon, ist es aber nicht, weil

einem so die Chance genommen wird, sich selber vorzustellen und zu beweisen. Wir sind nun mal keine programmierten Roboter, sondern lebende Organismen. Dies zudem in einer Zeit in der Individualität groß geschrieben wird. Sowohl in der Erziehung, der Bildung, als auch im Ausdruck der Menschen gegen außen. Wir alle sind einzigartig: „Sei ja nicht zu einfach in eine Schublade zu stecken. Pass dabei aber bitteschön auf, dass du nicht zu sehr aus dem Rahmen fällst. Wir wollen andere ja nicht vor den Kopf stoßen.“ Ja, so sieht der „moderne Anspruch“ an die Gesellschaft aus. Echt anstrengend. Durch den omnipräsenten Anspruch an jedes Individuum, nur sich selber zu sein, werden Klischees demnach zu einem weiteren Paradox unserer Gesellschaft. Klasse und gefährlich an Vorurteilen ist, dass sie zu einer Art Software werden können, die mit dauernder Repetition durch das Umfeld auf dem einzelnen Menschen installiert wird. Wie

KLISCHEE UPDATE STEREOTYPEN

Max Frisch in seinem Drama „Andorra“ so treffend die Geschichte eines jungen Mannes Namens Andri schildert, der von seinem Umfeld auf Grund seiner Herkunft als asozial abgestempelt wird, so dass Andri schließlich selber an die ihm zugeschriebenen Eigenschaften glaubt, selbst als klar ist, dass er eigentlich die gleichen Wurzeln wie seine Peiniger hat. Das Selbstbild erhält durch das Umfeld laufend ein „Update“ und entwickelt sich demnach in die Richtung, in die einen die Umgebung lotst. Schüler, die von ihren Lehrern als begabt eingestuft werden, erzielen in der Regel bessere Leistungen als solche, die von den Lehrern als „dumm“ eingeschätzt werden. Dies hat mitunter damit zu tun, dass das Leistungsrückgrat namens Ego durch die hohe oder niedere Erwartung gepuscht oder gedrückt wird. Ist es somit ein Verbrechen, mit einer gewissen Einstellung auf neue Leute zuzugehen? Kaum, denn wir sind Menschen und bilden uns nun einmal schnell eine Meinung. „Der erste Eindruck zählt“, wie es so schön heisst. Dem Gegenüber das Gedachte stante pede mitzuteilen, gepaart mit der Abwesenheit der Bereitschaft, das Bild zu revidieren, sind die beiden Dinge, die sich negativ auf das Gegenüber auswirken können. Ein komplexes Phänomen, dieses Klischee. Ist es vorwiegend negativ oder positiv? Da die meisten Klischees nichts Nettes aussagen, eher negativ. Wird ein Klischee einem angepasst oder fügt man sich in ein Klischee ein, wie in eine Passform? Fragen über Fragen, die sich einem in den Kopf schleichen, um eine verwirrende Show abzuziehen * Joy Tieg schloss diesen Sommer das Gymnasium mit dem Schwerpunktfach Philosophie/Psychologie/Pädagogik ab. Momentan singt und schreibt sie sich durchs Leben und hofft, an einen passenden Ort getrieben zu werden, um ein Studium aufzunehmen.

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KLISCHEE MONEYSHOT


MONEYSHOT Männer schauen Pornos und Frauen romantische Filme mit Happyend. So das Klischee. Aber sind diese zwei Genres wirklich so grundverschieden, wie sie auf den ersten Blick wirken? {Text} * Katharina S.

Pornographie war noch nie so einfach und ohne Angst vor Entdeckung zu konsumieren wie heute. Sei es über Onlineshops, welche die Filme in unauffälliger Verpackung in den heimischen Briefkasten versenden, oder über die allseits bekannten Tubesites die eine unerschöpfliche Quelle ständig neuer Clips direkt auf den heimischen PCBildschirm liefern. Doch nicht nur Pornos sind ständig verfügbar - der neuste Hollywoodfilm ist meist schon wenige Tage nach seiner Veröffentlichung auf Stream- und DownloadSeiten zu finden. Eine solche Verfügbarkeit von Unterhaltung jeglicher Couleur gab es nie zuvor und wir müssen nun lernen mit den einhergehenden Möglichkeiten umzugehen. Männer und Frauen sind in ihrem Konsumverhalten verschieden. In der Praxis zeigen uns dies nicht nur Kinderspielzeuge, die in binärem Farbsystem ihre Zugehörigkeit zu einem von zwei Geschlechtern anzeigen, sondern auch die Inhalte die diese Vermitteln. Mädchen lassen ihre Barbies die Ehe eingehen, während Jungen technisches Spielzeug bekommen, das sie auf eine Zukunft als Ingenieur oder ähnliche «männlichen» Beruf vorbereiten. Aus den Mädchen die Beziehungen mit der Barbie trainiert haben werden bald Frauen denen Hollywoodfilme beibringen, dass die Ideale Beziehung am besten nur mit dem einzig wahren PrinzCharming geführt werden kann, der mit einem Diamantenring vor ihnen auf die Knie geht. Die Filme, welche sich an die Männer wenden, zu denen die Jungen herangewachsen sind, zeigen ähnliche Interaktionen, nur knien die Damen hierbei sicherlich nicht, um ihre immerwährende Liebe zu gestehen. Dem Zuschauer präsentieren Pornos wie auch romantische Filme beider Geschlechter strikt vorgegebene Rollen. So ist die Frau in der Pornographie das Objekt der Begierde, das sich dem männlichen Zuschauer lasziv darbietet. Im romantischen Film sind es die Männer, welche durch ihren erfolgreichen oder wenigstens aufregenden Beruf für die Frauen als lässigelegantes Ziel aller Träume werden. Wenn er nicht Anwalt oder Kinderarzt ist, taugt er nicht. Diese Darstellungen von Geschlecht sind Fantasievorstellungen die überspitzt

KLISCHEE MONEYSHOT

ein Ideal (einmal das des schnell verfügbaren Sex, das andermal das der immerwährenden, idealen Liebe) produzieren, das wenig Bezug zur Realität hat. Bei der Pornographie wird dem männlichen Betrachter hierbei durch den Protagonisten, welcher sich überpotent alle sexhungrigen Frauen zuwendet, eine Identifikationsfolie gegeben, die ein archaisches Männlichkeitsbild favorisiert. Die weiblichen Konsumenten sollen in der Hauptprotagonistin des Liebesfilmes eine Identifikationsfigur finden, die trotz oberflächlicher Unabhängigkeit dringend einen Mann sucht, der ihr Leben in ihrem riesigen New Yorker Apartment komplettiert. Diese Wunschvorstellungen sind natürlich streng heterosexuell. Wenn es in der Pornographie einmal zu Handlungen homosexueller Natur kommt, so finden diese natürlich nur zwischen Frauen statt und sind nur Beiwerk zum eigentlichen, heterosexuellen Akt. Im Genre der Romanze und besonders, in der romantischen Komödie, finden wir homosexuelle Charaktere nur im Zusammenhang mit dem Topos des schwulen Besten Freundes, der der weiblichen Protagonistin, als vermeintlich unterhaltsames Klischee, zur Seite gestellt wird. Seine Präsenz tritt jedoch nie mit dem idealen (sprich heterosexuellen) Partner in Konkurrenz. Die Finale und wohl signifikanteste Gemeinsamkeit zwischen der Romanze und dem Pornographischen Film ist wohl das Ende. Während im Porno der «Moneyshot», also der Moment des männlichen Orgasmus den Beweis für die Vollendung eines sexuellen Aktes ist, ist es bei der romantischen Komödie eine Einstellung die man ebenso als «Moneyshot» bezeichnen könnte. Der Moment, in dem die Liebenden endlich zueinander finden, der Moment des ersten Kusses oder sogar der Kuss als frisch vermähltes Brautpaar sind beweis für Liebe und signalisieren das ultimative Erreichen aller Träume. Natürlich gibt es auch Frauen, welche Pornographie konsumieren und sicherlich auch Männer, die sich für eine romantische Komödie begeistern, dennoch, werden diese Filme Zielgruppenorientiert produziert und es stellt sich die Frage wieweit diese Orientierung etwas über unser Zusammenleben und Selbstempfinden ausdrückt. Natürlich bilden Hollywoodfilme oder Pornographie nicht die Realität ab, aber sie bieten dem Zuschauer eine Fluchtmöglichkeit aus der eigenen Lebensrealität. Aber warum nur muss diese Flucht so stumpf und reaktionär für beide Geschlechter sein und auf überholte Muster zurückgreifen? * Katharina S. studiert Kulturwissenschaften, romantische Komödien und Pornos. @Kat_Cohen

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Hollywood à la carte Text: * selina Hangartner

Die Traumfabrik auf den Hollywood-Hügeln ist die Brutstätte aller Klischees. Ob eine Schnulze, in der sich Schön zu Reich gesellt oder ein schmaläugiger Actionheld im Clint EastwoodFormat – alles schon tausende Male gesehen. Und doch bleiben manche Klischees auch beim tausend und einen Mal noch sehenswert.

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ollywood-Streifen ohne Klischees wären wie Schweizer Emmentaler ohne Löcher. Durchaus denkbar – aber einfach nicht echt. Die Traumfabrik verschlingt Klischees und spuckt sie auf der Leinwand aus. Und das Rad dreht auch in die andere Richtung: MainstreamStreifen sind der Ursprung einer ganzen Menge Klischees – denken Sie an die Femme Fatales, die Actionhelden oder an den Hard-Boiled Kriminalinspektor. Alle gäbe es ohne Hollywood nicht, und sie füllen Jahr um Jahr dankbar die Leinwand in den Kinos.

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KLISCHEE HOLLYWOOD À LA CARTE


Der Grundstein eines jeden Klischees ist die Wiederholung. Sie macht das Tolle zum Typischen und das Sympathische zum Symptomatischen. Wann immer eine Story durch einen gefährlichen Ganoven oder Helden bereichert werden sollte, greifen die Puppenspieler tief in ihre Stereotypenkiste. Und hervorzaubern sie dann ein introvertiertes, schwitzendes Schwein mit Vorliebe für tote Frauen und gleich passend dazu den verkniffenen, stahlhart und gefühlskalten Helden, der dem Kriminellen die schwedischen Gardinen vor der Nase zuzieht. Dazu noch eine Frau mit Lockenhaar und Schlafzimmerblick, die sich an der Gefühlskälte des Helden stösst, eine Dreiviertelstunde lang hart-zu-kriegen spielt und dann aus Nachlässigkeit selbst kurz in Gefahr gerät. Zum Glück eilt der Breitschultrige herbei und sie fällt ihm am Ende des Films um ebendiese. Voilà – Hollywood à la Carte – und das noch von der besseren Sorte. Wer nämlich noch tiefer in der Kiste kramt, findet dort einen schmalzigen Teenage-Bubi mit – das ist allerdings neu – Vampirzähnen, und das möchte wirklich niemand. Kein Deutscher in den amerikanischen Mainstream-Filmen, der nicht eine schmutzige Nazi-Vergangenheit zu verbergen hätte, kein Russe, der nicht mit verbissenem Antlitz die Weltübernahme plant und kein Asiat, der im Kampf nicht zum Kung-Fu-Kick ausholen würde. Die echten Helden, die letzten Überlebenden, bleiben – mit schmalem Lächeln auf den Lippen und dem Star-Spangled-BannerLiedchen im Herzen – wohl stets die Amerikaner. Es war nicht immer so. In den Sechzigern, da wurde ein junger Dustin Hoffman von der reifen Mrs. Robinson verführt und die Western-Helden – sonst mit hochpoliertem Sheriffsternchen auf der Brust – sprachen auf ein Mal italienisch, trugen Dreck im Gesicht und stapelten Leichenberge hinter sich auf wie die Kuhbauern die Misthaufen. Der müde Taxifahrer De Niro ruhte sich im Pornokino aus und räuberische Hippies wurden von feigen Polizisten in einer MaschinengewehrSalve durchlöchert wie ein Pasta-Sieb. Kein Held in Sicht, weit und breit. Doch bald turnte ein Harrison Ford im familienfreundlichen Rahmen auf Holzbrücken herum und der Blockbuster war geboren – und mit ihm das Innovative im Keim erstickt. Auf der Leinwand rettete Hollywood dann die Achtziger- und Neunzigerjahren hindurch die Welt aber-

mals. Die Schmaläugigen wichen den Muskelbepackten, die Italienischsprechenden denen mit österreichischem Akzent. In strahlendem Glanz gingen auch in den Nullerjahren die Sternchen am kalifornischen Himmel auf und leuchteten uns Normalsterblichen in ihrer vollen Pracht auf den Scheitel. Ich wünschte, ich könnte Ihnen etwas anderes erzählen, aber Hollywood verbleibt auch jüngst Ausdruck seiner eigenen Einfallslosigkeit. Verstaubte Klassiker werden aus dem Bücherregal gezogen und auf Hochglanz poliert, Comic-Helden werden im Akkord zu stahlbürstigen Filmhelden gemacht. Alles wie gewohnt – die Ausnahmen bestätigen wohl auch hier nur die Regel. Zum Schluss muss ich doch noch eine Lanze für das Kino brechen. Denn Klischees auf der Leinwand stehen immer auch für eine Verlässlichkeit: Keinen Samstagabend, an dem wir uns in den roten Samtsessel setzten und nicht bereits wissen, dass wir bald Zeuge eines Spektakels sein werden. Und dank brandneuer 3D-Technologie und schwarzem Gestell auf der Nase fliegen uns dann satte zwei Stunden lang die Funken um die Ohren und wieder zu Hause wissen wir – heute Abend haben wir etwas erlebt. Bruce Willis rettet die Welt nun schon seit drei Jahrzehnten und jedes einzelne Mal bin ich heimlich froh, wie zuverlässig dieser gute Mann doch ist. Und kein Disney-Film ohne ‚jööh’ und ‚ah’ und ‚oh’. Adam Sandler und Ben Stiller bleiben auch bei ihrem dreihundertsten Auftritt lustig und dank ihnen wird ein Abend im Kino zum Wiedersehen mit altbekannten Freunden. Auf die Leinwand gehört eben, was auf die Leinwand gehört – und seien das die immer gleichen Klischees.

Die Traumfabrik verschlingt Klischees und spuckt sie auf der Leinwand aus.

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* Selina Hangartner, Filmstudentin an der Universität Zürich, 23 Jahre alt

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Meistens schauen wir nicht erst, und definieren dann

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KLISCHEE FOTOGRAFIE


{Fotografie} Isabella Furler

Wir definieren erst, und schauen dann. WALTER LIPPMANN

KLISCHEE FOTOGRAFIE

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klischee 2013 {Text} * Philipp Meier u.a.

meine statusmeldung zu dieser kolumne lautete nicht nur «klischee 2013» sondern folgendermassen: die neue kolumne in die perspektive steht an! WER MACHT MIT? thema: KLISCHEE 2013 so konkret diesmal der aufruf war, er löste so wenig resonanz aus wie selten zuvor. das sagt zwar noch relativ wenig über die qualität aus, aber eines ist klar: es bleibt mir etwas mehr arbeit. gezwungenermassen und der verzweiflung nahe postete ich den ersten kommentar unter diese statusmeldung (im wissen darum, dass ich viel poste, wenn der tag lang ist, und deshalb locker mal ein eintrag übersehen werden kann): «vor 38 minuten» und noch kein kommentar? das ist der untergang dieser kolumne... lange sieben minuten später reagierte tina b. zimmermann: das ist der untergang von xxx ist doch ein klischee worauf ich entgegnete: das ist eher eine metapher (oder nicht?) drei minuten später meldete sich beni blaser mit einem diskursquerschläger Hab ich doch schon geliefert, Kunst muss nicht teuer sein! dabei bezog er sich auf einen post, den er am selben tag auf meiner chronik platzierte (ein hinweis auf eine aus seiner sicht brillante fotografin, deren werk sehr günstig erstanden werden können) was ich mit ... du hast dem klischee, dass kunst teuer ist, widersprochen (oder wie sagt man dem genau? entlarvt? entblösst? manno....) ... beantwortete. tina b. zimmermann muss vier hände haben, denn fast gleichzeit schrieb sie anschliessend diesen kommentar ... eine zum klischee verkommene metapher? ... und eine persönliche nachricht mit dem link zu einem artikel im newsnetz, der sich mit dem thema «schwule und/im fussball» beschäftigt. diesen link postete ich in den kommentarverlauf und schob folgende frage nach:

jedoch noch heisser werden, denn tina b. zimmermann reichte mit den worten «aha. es wird immer besser :)» einen link nach, der gewisse aussagen aus dem obigen artikel rausfilterte. darin wurde u.a. erich vogel mit den worten zitiert «Wenn ein junger Spieler spürt, dass er sich eher zu Männern hingezogen fühlt, dann fühlt er sich in der Hetero-Domäne einfach nicht mehr wohl, dann steigt er früh aus und will erst gar nicht Profifussballer werden» «Die Aussteiger fühlen sich eher der Kunstszene zugehörig» eigentlich könnte ich hier nun abbrechen, denn schöner könnte ich «klischee 2013» nicht auf den punkt bringen. der vollständigkeitshalber möchte ich jedoch die kommentare noch nachschieben, die anschliessend auch noch eingetroffen sind: Philipp Meier: so. jetzt muss ich kurz eine halbe stunde raus. bin gespannt, ob sich in der zwischenzeit was tut. ansonsten werde ich dieses mal (wieder) etwas mehr in die tasten hauen (müssen;)) 30. August um 14:47 · Gefällt mir Janina Lu: Ich empfinde die These von Vogel «Die Aussteiger fühlen sich eher der Kunstszene zugehörig» viel interessanter 30. August um 14:49 · Gefällt mir · 1 Miriam Fischer: Der erste Schuss des Bösewichts geht immer daneben 30. August um 16:30 · Gefällt mir nicht mehr · 1 Philipp Meier: mein klischee von schwulen und nicht fussball wäre fashion 30. August um 16:35 · Gefällt mir Claudia Christen Weizenegger: das echte Klischee wird bewusst zelebriert 30. August um 22:38 via Handy · Gefällt mir

was ist hier nun das klischee? das es im fussball keine (oder viele) schwule gibt? mir gefiel es ausserordentlich gut, dass unter der überschrift «klischee 2013» dieses heisse eisen angepackt wurde. es sollte

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* Philipp Meier kennt sich in Zürich fast überall aus. Für uns schreibt er die Kultur- und Kunstkolumne. Antworte ihm auf leserbriefe@dieperspektive.ch und besuche ihn auf seinem Blog: http://milieukoenig.posterous.com/

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Wo früher mein Quartierfest war...

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nd so weiter und so fort. Die Quartierfeste in der Stadt Zürich platzen aus allen Nähten. Wo vor einigen Jahren noch die Bewohner des Quartiers ihre Nachbarschaft pflegten und dafür ein Fest organisierten, feiert inzwischen die ganze Stadt mit. Es ist schön an diesen Festen: Musik, Essen aus aller Welt, Bier aus Zürich, Holzbänke und –Tische, und vor allem das komplette soziale Umfeld. Kaum ein junger Mensch der nicht an mindestens zwei der Quartierfeste geht. Und Jahr für Jahr werden es mehr. In diesem Sommer fand zum ersten Mal das Brupacherplatzfest statt. Zeitgleich mit dem Röntgenplatzfest zwar, aber he – es kamen doch hunderte Menschen. Nicht alle freuen sich, dass die einst kleinen Veranstaltungen inzwischen von Besuchern überrannt werden. Das OK vom Röschibachplatz überlegte sich sogar, die Medien zu beten, ihr Fest explizit nicht in ihrer Berichterstattung zu erwähnen – sie konnten mit der Menschenmasse schlicht nicht umgehen. Auch ans Idaplatzfest pilgern immer mehr Leute. Das Organisationskomitee sieht verschiedene Gründe, die zu einem starken Zuwachs an Besuchern geführt hat. Durch die sanfte

Erneuerung des Idaplatzes und der verkehrsberuhigten Weststrasse wurde der Aufwertung des Kreis 3 Tür und Tor geöffnet. Rund um den Platz finden sich inzwischen unzählige Aufwertungskafis und Aufwertungslädelis. So wandelte sich das Arbeiterquartier zu einem hippen Mittelstandsgebiet. Es überrascht kaum, dass plötzlich viel mehr Menschen ans Idaplatzfest kommen – gut 1000 Personen waren es in diesem Jahr. Die Veranstalter freut der Zuwachs an trink- und feierfreudigen Personen. Mehr Menschen ergibt mehr Konsum und das wirkt sich positiv auf die Negativbilanz aus. Einfacher: Wenn mehr gesoffen wird, machen die Organisatoren kein minus. In den letzten Jahren konnte ein kleiner Gewinn verzeichnet werden. Dieser war gerademal so gross, dass der Umsatz von 35 000 Franken ohne Zuschuss der Stadt erreicht werden konnte. Auf der anderen Seite steht es um die Bewegungsfreiheit auf dem Platz nicht gerade rosig. Bis der Abend einbricht, findet auf dem Idaplatz nach wie vor ein Quartierfest statt. Nachher ist alles voll. Das OK sagt, der Ansturm habe eine Grenze erreicht, die dem Anlass nicht mehr zuträglich ist. Beim Röntgenplatzfest sieht es etwas anders aus. Weil der Anlass seit 33 Jahren besteht, habe er sich schon längst etabliert. Trotz grosser Konkurrenz beispielsweise vom Dörfli- oder vom Brupacherplatzfest, kommen die Besucher recht zuverlässig – bei schönem Wetter, versteht sich. Die stabilen und grossen Menschenmassen, die den Röntgenplatz jährlich während zwei Tagen besetzen, kommen auch dadurch zustande, dass das Fest zwar ein Quartierfest ist, aber klar eine politische Note hat. Immer wieder stehen Leute rum, die ihr mitgebrachtes Dosenbier trinken. Oder die sich an der nahen Bar bedienen lassen – wie das am Idaplatz der Fall ist. Während der Coop am Röntgenplatz kaum zu einer Umsatzbeteiligung bereit ist, dürfen die Bars am Idaplatz freiwillig 500 Franken an das Kulturforum Idaplatz abgeben. Die meisten machen das auch – mit einer Ausnahme an der Piazza. Der Sturm auf die Quartierfeste wird wohl noch einige Jahre dauern. Laue Sommerabende, kühles Bier, jede Menge junge Menschen – mehr braucht es nicht. Wenn aber auf den Plätzen plötzlich kein Platz mehr ist, könnte plötzlich das Quartier wieder im Vordergrund stehen. * Simon A. Jacoby ist 24 Jahre alt, Redaktor bei dieperspektive und studierte bis vor Kurzem Politik und Publizistik.

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dieperspektive-SpieleAbend Wann? 18.Oktober 2013 ab 19:00h Wo? Karussell, Zweierstrasse 38, 8004 Zürich Was? dieperspektive lädt zum spielen! Bring deine Freunde und deine Lieblingsspiele mit. Wir bringen unsere, und verpflegen dich mit Flüssigem an der Bar!

Abstimmungspodium – 1:12-Initiative, evtl. weitere Wann? 1. November 2013 20:30h Wo? Karussell, Zweierstrasse 38, 8004 Zürich Was? Unser Abstimmungspodium geht in die dritte Runde. Die Ansichten der Politiker kennen wir, wir wollen eine eigene Meinung entwickeln. Dieses Mal im Brennpunkt: Die 1:12-Initiative. Je nach Zeit werden wir noch auf weitere Vorlagen eingehen. Auf dem Podium sitzt das altbewährte Trio. Die Diskussion ist für alle offen und wir freuen uns auf eure Teilnahme. Wer? Rino Borini (Chefredaktor PUNKT Magazin), Kafi Freitag (fragfraufreitag.ch), Philipp Meier (milieukoenig.ch) Moderation? Simon Jacoby (Redaktor dieperspektive) Gratis

gib din dieperspektive – Gib din Sänf däzue! Du füllst diese Zeitschrift! Bei dieperspektive hast du es in der Hand was es zu Lesen gibt, welche Themen aufgegriffen und welche Bilder abgedruckt werden. dieperspektive ist eine lesergenerierte Zeitung. Das bedeutet, wenn dich ein Phänomen besonders beschäftigt, du über etwas Spezielles bescheid weist, oder einfach gerne Kurzgeschichten schreibst: Schicks uns an artikel@dieperspektive.ch - egal, wie verrückt es auch sein mag! Wie kann ich für dieperspektive schreiben/illustrieren? Sende deinen Beitrag bis zum Redaktionsschluss an artikel@dieperspektive.ch oder lade ihn über die Webseite hoch. Als Dankeschön für eingesendete Beiträge bekommst du ein Halbjahresabonnement. Wir der Beitrag veröffentlicht bekommst du ein Jahresabonnement. Nächster Redaktionsschluss: 31. Oktober, 23:55 Uhr Zu welchen Themen kann ich schreiben? Pro Ausgabe gibt es ein Schwerpunktthema. Dein Beitrag hat erfahrungsgemäss die grössten Chancen, wenn er dieses Thema in irgendeiner Form behandelt. Es werden jedoch auch Beiträge über andere Themen abgedruckt. Ausgewählt werden die Beiträge übrigens an der öffentlichen

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Podiumsdiskussion Neutralität der Schweiz Wann? 14.November 2013 19:00 Apéro / 20:00 Diskussion Wo? Colab, Zentralstrasse 37, 8003 Zürich Was? Die Schweiz und die Neutralität sind untrennbar miteinander verbunden, könnte man meinen, so oft wird von Politikern oder Medien mit der Neutralität für oder gegen etwas argumentiert. Doch was heisst eigentlich Neutralität heutzutage? Was beinhaltet das Konzept der Schweizerischen Neutralität und woher kommt es? Ist es überhaupt noch zeitgemäss und sinnvoll, in der heutigen globalisierten, vernetzten Welt als Staat neutral zu sein? Oder führt dies die Schweiz über kurz oder lang in die Isolation? Welche Rolle soll also die Neutralität in der heutigen Schweiz einnehmen? Dass das Thema der Neutralität auch heute noch – und gerade heute - für viel Diskussionsstoff sorgt, beweisen wir euch an diesem Abend mit unseren Gästen. Wer? Roger Köppel (Chefredaktor «Weltwoche») und Hans-Jürg Fehr (Alt- Nationalrat und ehemaliger Präsident SP Schweiz) Moderation: Simon Jacoby (Redaktor dieperspektive) Wieviel? 10.-/für Abonnenten gratis

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Redaktionssitzung. Dazu bist du herzlich eingeladen. Thema der nächsten Ausgabe:? Von A bis Sex Wo finde ich dieperspektive regelmässig? Am einfachsten findest du dieperspektive in deinem Briefkasten. Für 30 Franken bekommst du ein Jahresabonnement. Du findest dieperspektive auch in Kaffees, Bars, Hochschulen und Läden. Die vollständige Liste findest du auf dieperspektive.ch. Jahresabonnement: SMS mit «hopp» und vollständige Adresse an 079 372 36 02. Anlässe Als Abonnent von dieperspektive kannst du kostenlos an allen unseren Anlässen teilnehmen. Wir machen politische Diskussionen, Lesungen, Ausstellungen und vieles mehr. Kommender Anlass: Podiumsdiskussion Köppel vs. Fehr: Neutralität der Schweiz (14. November) Online Im Wilde World Web findest du uns auf: dieperspektive.ch, Facebook, Twitter, Issue


Jungkunst

Wachstumsschmerzen

Bereits zum achten Mal lädt die jungkunst ein zur Ausstellung der vielversprechendsten Künstlerinnen und Künstler des zeitgenössischen Schweizer Kunstgeschehens. Vom 24. - 27. Oktober 2013 zeigen 26 Talente in der Halle 52 inWinterthur, was die junge Schweizer Kunst zu bieten hat. In entspannter Atmosphäre wird gestaunt, bewundert unddiskutiert. Mit Lounge und Bar sowie Konzerten und DJ‘s ist die jungkunst nebst einer Plattform für junge Kunst ein Erlebnis bis spät in die Nacht.

Gesellschaftliche Herausforderungen der Stadtentwicklung und ihre Bedeutung für Zürich Eine öffentliche Veranstaltungsreihe der Universität Zürich und der Stadtentwicklung Zürich. Jeweils dienstags, 17. September – 26. November

www.jungkunst.ch

Internationale Kurzfilmtage Winterthur Die Internationalen Kurzfilmtage Winterthur zählt zu den bedeutendsten Filmfestival der Schweiz, das sich ausschliesslich dem nationalen und internationalen Kurzfilm widmet. Vom 5. - 10. November 2013 werden im Casinotheater und Theater Winterthur verschiedene Kurzfilme aus der ganzen Welt gezeigt. www.kurzfilmtage.ch

YEAH YEAH YEAH Internationales Zürcher Tanzfestival

wachstumsschmerzen.uzh.ch

Landscape Collective presents Sköp Skōp befasst sich mit dem Erleben von Landschaft durch die Kunstschaffenden. In den ausgestellten Werken werden verschiedene Territorien ausgelotet. Der persönliche Bezug jeder Künstlerin und jedes Künstlers zur Umgebung und zum Panorama wird sichtbar.Gezeigt wird teilweise ein träumerischer, fast visionärer Ansatz – eine Suche, die darüber hinausgeht, was direkt vor einem liegt und sichtbar ist. Andere Werke befassen sich mit der physischen Verbindung zu Landschaft. Hier verraten handwerkliche Arbeiten oder sehr genaues Hinsehen eine sehr persönliche Beziehung zu einem Ort.Verschiedenste Wahrnehmungen, Gedanken und Handlungen innerhalb von und bezüglich Landschaften sollen in der Ausstellung Platz finden und ein „land of scopes“ (abgeleitet vom englischen „landscape“ – Landschaft) schaffen. an exhibition curated by Anne-Laure Franchette. 4- 31 October 2013 Karussell, Zweierstrasse 38 CH - 8004 Zürich

Genau 20 Jahre ist es her, dass der legendäre Tanznovemberseine Segel strich. Nun soll den hiesigen TanzliebhaberInnen und -fetischistInnen endlich wieder die Möglichkeit gegeben werden, im anregenden Rahmen eines Festivals ihrer Leidenschaft zu frönen. Deshalb findet in der Roten Fabrik ab sofort jährlich YEAH YEAH YEAH - das Internationale Zürcher Tanzfestival statt. Es bietet Ihnen die einmalige Gelegenheit, jenseits neoklassischer Sehgewohnheiten und kalkulierter Grossanlässe die faszinierende Vielfalt aktuellen Tanzschaffens hautnah zu erleben! Wann? 1.-8.Oktober 2013 http://www.rotefabrik.ch/de/fabriktheater/yeahyeahyeah.php

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shnit

11. Internationales Kurzfilmfestival 2. – 6. Oktober 2013 Playground Bern Programm und Vorverkauf: www.shnit.org

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