Nachhaltigkeit

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dieperspektive

37 M채rz & April 2015


THEMA

INHALT

Nummer 37

Nachhaltigkeit ist mir wichtig. Aber easyJet ist günstiger als der Zug.

IMPRESSUM KONTAKT verein dieperspektive, zentralstrasse 167, 8003 zürich REDAKTION simon jacoby + conradin zellweger + manuel perriard + konstantin furrer + marius wenger + andrea schweizer LAYOUT isabella furler COVER isabella furler + sarah sbalchiero LEKTORAT konstantin furrer DRUCK nzz print AUFLAGE 4000 ARTIKEL EINSENDEN artikel@dieperspektive.ch WERBUNG simon@dieperspektive.ch ABO conradin@dieperspektive.ch LESERBRIEFE leserbriefe@dieperspektive.ch GÖNNERKONTO pc 87-85011-6, vermerk: gern geschehen THEMA DER NÄCHSTEN AUSGABE wg-geschichten REDAKTIONSSCHLUSS donnerstag, 26. märz, 23.55 uhr

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Editorial NachHALT!igkeit - Wir sind alle Moglis oder Evas. Marius Wenger über fiese, verführerische Schlangen, unser Cover und Sneakers aus China. POLITIK Das Duell Das letzte Duell in dieser Zusammensetzung. 06 Es geht um Grundsätzliches: Links gegen rechts.  08Politkolumne Bizeli Öko sein gehört zum guten Ton, Ware von Zalando halt zum "guten Style". Aline Trede liest dir jetzt mal die Leviten, f***! THEMA Mehr CO2, mehr Liebe 10 Fernbeziehungen sind nicht nur schwierig zu meistern, sondern vor allem auch schlecht für die Umwelt.  12Nachhaltigkeit kann mich mal Dieser Autor hat eine Freundin und scheisst auf Nachhaltigkeit #Kurzzusammenfassung.  14Rolandsky Nur bei uns fühlt er sich wirklich frei, unser anarchistischer Kolumnist. In einer alternativen Welt kommt die Strassenbahn nur einmal im Monat "Tod 16 durch Pangasiusfilet!", schreit der Autor und wünscht sich eine alternative Welt, in der er glücklich ist.  18Eine kritische Betrachtung Auch wenn sich alle einen grünen und guten Anstrich geben: Wir sind noch weit entfernt von einer nachhaltigen Wirtschaft.  22Genug Dieser Autor hat g.e.n.u.g! Und das auf 48 Zeilen. Genug!!  26Die IKEA und Ich sind keine Freunde Alles muss der Kunde selber machen. Scheinbar zu seinem Vorteil. Wird er nicht einfach verarscht?  28Fairstyleshop Gründer eines fairen Kleiderladens im Interview: Warum er von Öko-Fundis nicht geliebt wird.  32Nachhaltig leben trotz Rollkoffer Wie Hasen gehen wir mit der Nachhaltigkeit um: Hinten zwei grosse Abdrücke, vorne ein kleiner. So geht das immer weiter und bringt doch nichts.  34Laurin Buser Damit er endlich wieder schlafen kann, muss Laurin ständig fliegen. Denn da schnarcht er am besten.  36Die Plastiksackgebür Die Autorin fordert Express-Kassen im Supermarkt für nachhaltige Kunden. Gute Idee!  37Bekenntnisse einer Foodwasterin Im Supermarkt arbeiten kann ganz schön nerven, wenn man sich für Nachhaltigkeit einsetzt. HINTERGRUND Leserbrief Für unseren Leser Norbert 39 Nochholt ist das Cover unserer letzten Ausgabe (Thema: Scheitern) so sehr in die Hose, dass unsere Zeit möglicherweise bald abgelaufen ist...  ILLUSTRATOR DER AUSGABE Hat schon im Kindergarten lieber geGregor Schenker zeichnet als aufgepasst; alle seine Schulhefte sind voller Kritzeleien. Heute studiert und arbeitet er in Zürich, wenn er nicht gerade Comics und Illustrationen macht. Sein Artwork findest du auf den Seiten 10  12  17  18  33  36  39. 04


EDITORIAL

Wir sind alle Moglis und Evas. Wer kennt sie noch, die Schlange Kaa aus dem Dschungelbuch, die Mogli mit ihren hypnotisierenden Augen in ihren Bann zieht, und ihn nach ihrer Pfeife tanzen lässt? Und jene andere Schlange, damals, im Paradies, die Eva dazu verführte vom Baum der Erkenntnis zu essen? Genau so versucht sie uns heute immer wieder vom nachhaltigen, ethisch korrekten Leben abzuhalten. Wer denkt, die Schlange habe nichts mit Nachhaltigkeit zu tun: Bitte nochmals das Cover dieser Ausgabe anschauen (aber nicht zu tief in die Augen!) - Und, die Schlange entdeckt? Perfid wie sie ist hat sie sich in einen orangen Flugzeugsicherheitsgurt verwandelt. Die orange Fluggesellschaft kennen wir alle. Wir sind alle immer wieder kleine Moglis und Evas, die der verführerischen Schlange widerstehen müssen. Fährst du ins nahe Ausland, nimmst du natürlich den Zug. Die Schlange will dich davon abhalten: „Nimm doch das Flugzeug statt den Zug, ist doch viel schneller, und erst noch billiger!“ Deine Fairtrade-Sneakers kaufst du im netten, kleinen, unabhängigen Kleiderladen. Aber Halt!, sagt die Schlange: „Du musst doch jetzt nicht extra in die Stadt nur wegen einem Paar neuen Schuhen! All die zigtausend Leute dort! Zalando hat ja alles und ist immer da wo du und dein Internet sind!“ Das Poulet, das du kaufst, ist Bio und regional. Beim Fleischkaufen hast du sowieso immer ein schlechtes Gewissen im Hinterkopf. In Form eines orangen 50% - Klebers auf dem Poulet aus slowenischer Massentierhaltung versucht dich die Schlange auch davon abzuhalten. Immer und überall versucht sie dich davon abzuhalten, nachhaltig zu leben!Mantraartig murmelst du zu dir selbst: „Muss nachhaltig leben, nachhaltig leben, nachhaltig leben, darf der Versuchung nicht nachgeben, nicht nachgeben, nicht nachgeben. Ich geb nicht nach, ich geb nicht nach, ich geb nach-HALT!-ig leben, nachhaltig leben...“ Grad nochmal gut gegangen. Ja, ein nachhaltiges Leben zu führen kann anstrengend und teu(r)er sein. Aber es muss nicht. Der Versuchung zu widerstehen ist meiner Meinung nach vor allem Kopfsache und zu einem grossen Teil eine Frage der Gewohnheit. Aus ethischen Gründen nachhaltig zu leben erfordert auch den Glauben daran, als einzelner Konsument, als kleines Rädchen im System, etwas zur Veränderung beitragen zu können. Wer diesen Glauben nicht hat, der soll sich von der Nachhaltigkeit an der Nachhaltigkeitswoche an diversen Zürcher Hochschulen vom 2.-6. März überzeugen lassen (siehe Seiten 21-24). Insbesondere der Thementag zu „Faulheit“, an dem unter anderem eine „feierliche 24-Stunden-Siesta“ begangen wird, sollte auch die letzten Zweifler von der stressfreien und gesunden Seite des nachhaltigen Lebens überzeugen. Wir meinen: Statt uns von Kaa verführen zu lassen, probieren wir‘s lieber mit Gemütlichkeit - aber viel Überzeugung. Für die Redaktion Marius Wenger 4


FOTOGRAFIE

No nature left for animals.

No nature left for animals

Artwork

Meret Gut Meret Gut, 1989, versucht herauszufinden, weshalb es schwierig ist bescheiden und dankbar zu sein auf lange Zeit.

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DAS DUELL

Simon Jacoby vs. Peter Werder

SJ Ich habe nur ein schlechtes Gewissen, wenn ich es unversucht lasse, für möglichst alle die gleichen und besten Chancen zu erreichen. Meine politischen Positionen lassen sich mit einem Wort beschreiben: vernünftig. Sprich: staatskritisch, gesellschaftlich liberal und extrem kritisch gegenüber allen, die Gewinne auf dem Buckel ihrer Angestellten machen. Zudem - und das ist heute nicht ganz unwichtig: Ich freue mich über jede Einwandererin und will, dass sie sich bei uns willkommen fühlt.

Beim Duell stehen sich in jeder Ausgabe Peter Werder und ein Mitglied der Redaktion zum aktuellen Thema der Ausgabe gegenüber. Heute: Drogen (u.a.).

Peter Werder:

Das ist unser letztes Duell, Herr Jacoby.

Ich werde Ihre naive Sicht auf die Welt sicher vermissen. Auch im Gemeinderat in Adliswil sehen wir uns nicht mehr, da sie umgezogen sind. Wir hätten es in den vier gemeinsamen Jahren - auf der entgegengesetzten politischen Seite - fast einmal zu einem gemeinsamen Vorstoss gebracht. Sie erinnern sich?

PW Klingt gut, mindestens am Anfang: Ich bin auch staatskritisch und liberal (nicht nur gesellschaftlich). Das mit den Gewinnen haben Sie wohl einfach ökonomisch noch nicht verstanden. Wenn Sie keine Gewinne machen, können Sie nicht investieren. Dann sind irgendwann die

Simon Jacoby:

PW Kann ich nachvollziehen, dass Sie das so sehen. Wenn es um Eigenverantwortung oder eine tiefere Staatsquote, um tiefere Gebühren oder Steuern geht, also um wichtige liberale Themen, da bekommen Sie ein ganz fest schlechtes Gewissen, gäll. Aber sagen Sie mal: Wenn Sie zum Schluss Ihre politischen Positionen auf den Punkt bringen müssten, wie würde das klingen?

»

Ja, da fühlte ich mich Ihnen mehr verbunden als meiner Fraktion, die das Kiffen nicht liberalisieren wollte... Schade, dass es nicht geklappt hat. Es war das einzige Mal, wo Sie auf der richtigen Seite gestimmt hätten.

Geld regiert unsere Welt. Es bestimmt, wann wir aufstehen, was wir essen, wie wir uns kleiden und wo wir uns die Körperhaare rasieren. Simon Jacoby

»

Maschinen alt, Sie machen kein Business mehr, und dann müssen Sie die Angestellten entlasten. Wenn Sie keine Gewinne machen, können Sie, um zu investieren,kein Geld aufnehmen und dafür Zinsen zahlen. Bevor ich zu den Einwanderern komme: Ist das verständlich, hat das vielleicht etwas in Ihrem staubigen Klassenkampf-Bilderbüechli-Denken bewegt? SJ Staubig? Kapitalismuskritik ist heute so sexy wie noch nie zuvor. Ich bin nicht

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gegen Gewinne an sich - das mit dem Investieren macht durchaus Sinn. Aber nehmen wir das Beispiel Apple (Schweizer Unternehmen wie Glencore usw. sind da genau gleich): Die Arbeiterschaft in den chinesischen Fabriken wird ausgebeutet. Da gibt es nicht wirklich Unterschiede zu den Sklaven von früher. Während Apple im letzten Quartal 5,5 Milliarden Franken Gewinn macht, schuften sich die iPhone-Bastler zu Tode. Das nervt mich. Gewinne dürfen nicht auf dem Buckel der Arbeiter erzielt werden, sie haben ein Recht auf anständige Löhne. PW Ja, die Löhne und vor allem die Arbeitsbedingungen sind schlecht. Einverstanden. Das sollten die Unternehmen verbessern. Auch wenn hohe Gewinne Arbeitsplätze sichern, und auch wenn höhere Löhne zu höheren Verkaufspreisen führen, die sie dann kaum bezahlen werden. Kapitalismuskritik – da gehen wir einig – ist wichtig, nur das bringt den Kapitalismus weiter. Es nützt aber nichts, wenn Sie an den Grundwerten wie Wettbewerb oder Eigenverantwortung schrauben, sondern an der konkreten Umsetzung. Das macht das ganze System besser. Und auch das nur dann, wenn es innerhalb des Systems – mit Anreizen – passiert.


Simon Jacoby vs. Peter Werder

Die Sozialisiten sind ja auch nicht mehr gegen Lohnarbeit, sondern für höhere Löhne. Also akzeptieren Sie mittlerweile das System.

»

SJ Nein, das System ist falsch. Ein System, in dem Gutmensch ein Schimpfwort ist, ist ein Arschloch. Geld regiert unsere Welt. Es bestimmt, wann wir aufstehen, was wir essen, wie wir uns kleiden und wo wir uns die Körperhaare rasieren.

Ich mag dieses politintellektuelle Getue von Schriftstellern nicht, auch wenn sie Max Frisch heissen. Es behauptet niemand, dass Arbeitskräfte keine Menschen seien. Aber gerufen hat man Arbeitskräfte. Was ist schlimm daran? Sie stellen auch Grafiker oder Texter an, von denen Sie eine Leistung erwarten, für die Sie sie bezahlen - und nicht einfach Menschen, denen Sie ein bisschen Geld geben, weil sie - huiiiiiii - einfach nur nette Menschen sind. PW

Ich hab für meine Rasur noch nie Geld bekommen. Und bitte verschonen Sie mich mit Details, wo Sie sich rasieren, sollte man das nicht von weitem sehen. Da wären wir bei den Einwanderern. Ein beliebtes Thema auf Ihrer Seite - man ist so ein Gutmensch, wenn man alle willkommen heisst. Und niemand ist ein Rassist. Logo. Menschen, die in die Schweiz kommen, weil wir hier ihre Arbeitskraft brauchen: Sind die auch willkommen? Das wäre ja dann eine Art Kapitalismus, ein Teil des Wettbewerbs. Freier Personenverkehr nicht aus Humanität, sondern als Konsequenz des Kapitalismus. PW

SJ Ja, auch Einwanderer, die hierher kommen, um zu arbeiten, sind willkommen. Warum denn nicht? Sie können ja nichts dafür, dass es hier so läuft. Wichtig ist einzig, dass wir diese Fremden nicht als Arbeitskräfte sondern als Menschen sehen. Sie wissen, auf welches Zitat ich anspiele?

Ihre Traumwelt ist eine Diktatur von wenigen, die sich im Staat das Recht herausnehmen zu entscheiden, was richtig und falsch ist. Peter Werder

»

PW Ihre Traumwelt ist eine Diktatur von wenigen, die sich im Staat das Recht herausnehmen zu entscheiden, was richtig und falsch ist - auch wenn Sie das mit Ihrem Nachsatz ausschliessen wollen. Alle Erfahrungen haben gezeigt, dass das nicht funktioniert - die Menschen fliehen aus solchen Systemen. Meine Realwelt ist eine Diktatur der Mehrheit. Das ist mir immer noch lieber. Wissen Sie was, ich habe eine ganz andere Vermutung.

SJ Ich will gar niemandem Geld geben und ich will auch kein Geld von irgendjemandem. Das Problem ist, dass ich aber Geld brauche. Sehen Sie, worauf es hin läuft? Ich lebe in einem System, das ich doof finde. Sie finden es gut. Darum finden wir uns leider nicht. PW Es gibt keine Freiheit, das System zu verlassen? Meinen Sie das?

SJ Ich will gar keine Diktatur, sondern alles basisdemokratisch. So wie bei den linken und autonomen Bewegungen: Occupy Walstreet beispielsweise. Aber ja, was ist Ihre Vermutung?

SJ Ja, weil der bürgerliche Staat, den Sie auch gerne liberal nennen, leider jede kleinste Freiheit (ausser die des Konsumenten) im Keim erstickt. PW Und wie lautet Ihre denkbare Alternative? SJ Haha, Sie sind lustig. Und da haben Sie einen Punkt. Ich habe da auch keine Lösung. Das müssen wir zusammen entwickeln. Erste Schritte würden sicher in etwa so aussehen: Wirtschaft demokratisieren, Banken verstaatlichen - ebenso Immobilien usw... Wobei ich mit diesem Staat dann nicht unser alt Herren Staat meine.

PW Sie sind einfach faul und stellen sich dem Wettbewerb nicht. SJ Oh doch. ich stelle mich nicht nur dem Wettbewerb, ich will ihn sogar auch noch bekämpfen. Ich wurde noch nicht weichgespült. PW Bekämpfen Sie nicht den Wettbewerb, akzeptieren Sie ihn - akzeptieren Sie das System und lernen Sie, damit Gutes zu tun, ganz nach der Gelassenheitsdefinition von Niebuhr: (Jetzt kommt mal ein Zitat von mir - sogar eines von einem Pfarrer) « G ott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden. » Ich bin nicht gläubig, ich bin einfach ein Verfechter der Gelassenheit. Vielleicht sollten Sie ab und zu eins kiffen? SJ Dieses Angebot nehme ich gerne an. Im Sommer lade ich Sie ein auf eine schöne Wiese. Wir liegen in den Blumen, hören Manu Chao, legen die Köpfe auf unsere Bücher von Jean Ziegler und rauchen einen Joint und dippen im MDMA. Dann haben wir uns sicher ganz lieb. PW Wenn ich auf Drogen wäre, wäre ich wohl auch in Ihrer Partei.

Dies ist (vorläufig?) das letzte Duell. In den vergangenen zwei Jahren sind hier gehörig die Fetzen geflogen. Es hat Spass gemacht. dieperspektive bedankt sich bei Peter Werder für die spitzen Worte und wünscht ihm für die Kantonsratswahlen alles Gute. 7


POLITKOLUMNE Aline Trede

Nachhaltigkeit ist mir wichtig. Ohne Aber.

W

ir mögen Greenpeace, WWF, Supermärkte ohne Verpackungen, Vegan, Vegetarisch und Slowfood. Aber kaufen unsere Schuhe auf Zalando, fliegen mit Easyjet an eine Party in Berlin und nehmen vier Plastiksäckli im Coop. Und hin und wieder ein Cheeseburger im Mac nach eine durchfeierten Nacht hat noch nie geschadet.

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Wenn es aber um Verzicht geht oder um Konsequenz sind wir doch Luxuskinder und das Angebot ist zu gross und Geld haben wir auch genug. Aline Trede

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Die Aufforderung zu dieser Kolumne hat mich glücklich gemacht. Weil mich dieses Thema umtreibt und ich jeden Tag in meinem Umfeld diese Debatte führe. Und auch weil ich für mich sagen kann, ja, ich bin konsequent und lebe, was ich politisch fordere. Strike! Leider interessierts politisch niemanden. Konkret: Ja, ich bin Mitglied bei WWF und Greenpeace. Ja, ich versuche in Supermärkten ohne Verpackungen einzukaufen, was nicht so einfach ist in der Schweiz. Vegan bin ich nicht, esse Fleisch vom Biohof Heimenhaus, da weiss ich genau von wo die Tierli sind und Slowfood – naja, mit einem Kleinkind gibt’s glaubs nichts anderes, oder? Und nein, ich kaufe meine Schuhe nicht auf Zalando, weil die nur Billiglöhne zahlen und keinen guten Arbeitnehmerschutz kennen und ich fliegen tu ich gar nicht. Im Mac war ich seit dem Rinderwahnsinn nicht mehr und habe das Vorhaben gegen Multis hilft nur die KonsumentIn immer in meinem Poschettli. Das heisst, ich kaufe auch nichts von Néstle, Unilever etc. – wenn es denn ersichtlich ist.

Die Frage ist nun wirklich: Warum finden alle so ein bisschen öko sein ist total hip, aber ich leben, wie ich will? Warum sagen alle im Gespräch, jaja, du hast schon recht, aber ich kanns eben noch nicht grad ändern. Warum wählen viele die Grünliberalen und stehen nicht mal dazu? Genau das ist der Punkt. Es gehört zum guten Ton sich für die Umwelt einzusetzen und sich ökologisch und engagiert dafür zu äussern. Wenn es aber um Verzicht geht oder um Konsequenz sind wir doch Luxuskinder und das Angebot ist zu gross und Geld haben wir auch genug. Warum sollte ich diese Peperoni nicht kaufen, welche mich da so schön anlacht in der Aus-lage. Sie ist ja eh schon da. Und saisonal kochen kann ich ja dann morgen mal. Warum sollte ich auf eine Woche Wärme verzichten, wenn das Angebot für die Seychellen so billig und verlockend ist. Und warum sollte ich Velofahren, wenn ich doch so ein cooles Auto habe? Weil es um deine Lebensgrundlage geht, f***. Weil du nur dank sauberer Luft, sauberem Wasser und gesunden Lebensmitteln überleben kannst. Und weil kein anderes Lebewesen auf dieser Welt so dumm ist und sich seinen eigenen Lebensraum zerstört. Und weil du die Macht hättest, mit kleinen Veränderungen, exttrem viel zu verändern. Beginn jetzt und leg das Kotlett zurück ins Regal. Aline Trede ist grüne Nationalrätin aus dem Kanton Bern. Nicht alles an ihr ist aber grün: Sie hat fünf verschiedenfarbige Brillen, keine einzige davon ist grün. Weil sie Politikerin ist, schreibt sie für uns immer über Politik.

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Wir teilen, was zum Thema passt. Folge dieperspektive auf Facebook und die Atraktivit채t deiner Timeline steigert sich um 87%. (Haben Forscher in weissen Kitteln herausgefunden).


THEMA

Mehr CO2, mehr Liebe

Mehr CO2, mehr Liebe! Stellen wir uns mal so rein hypothetisch vor: Deine Liebste zöge in drei Monaten nach London.

Laura Ermert Gregor Schenker Artwork Text

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at Hans Nötig, der frühere Sex-Kolumnist der Perspektive, eigentlich schon etwas über Fernbeziehungen geschrieben? Sie haben, zumindest in meinem Freundeskreis, einen miserablen Ruf – trotzdem aber erstaunlich grosse Verbreitung. Mit Zürich-London habe ich dir ein harmloses Beispiel gewährt. Gibts wirklich: ZürichToronto. Zürich-Chicago. Zürich-Sydney. Fernbeziehungen sind allgegenwärtiges Produkt gestiegener Mobilität. Jeder kennt sie (inzwischen auch der Duden). Verlässliche Statistiken zu finden ist nicht leicht: Noch gelten Fernbeziehungen als wenig untersucht. Glaubt man allerdings den Medien, so ist das Modell Fernbeziehung auf dem Vormarsch. Also, im weiterhin rein hypothetischen Fall du sagtest zu. Mich triebe an deiner Stelle neben den üblichen Fragen* ganz besonders eine um: Was würde so eine Fernbeziehung eigentlich mit deiner persönlichen CO2-Bilanz anstellen? Ein schrulliges Detail, ich weiss. Aber vielleicht kennst du die Diskussion: Müssen wir eigentlich in die Ferien nach Südamerika fliegen? Ihr wisst ja, Fliegen ist des Teufels, abgrundtief schlecht fürs Klima, Fliegen ist schuld, dass Eisbärbabys sterben und Holländerbabys Schwimmhäute kriegen. 10


Mehr CO2, mehr Liebe

Hast du dir bei bevorstehenden Urlaubsreisen jeweils (mit Erfolg) eingeredet, dass du nächstes Jahr dann mit dem Nachtzug an die Ostsee fahren wirst, oder dass deine Erziehung zum kosmopolitisch-toleranten Bürger unter Anleitung deiner burkinesischen Kollegin auch weltverbessernde Wirkung hat, so wäre damit, in diesem hypothetischen Fall der bevorstehenden Fernbeziehung, ein für alle mal Schluss. Regelmässig fliegen ohne die Ausrede der einmaligen Klimasünde und ohne Völkerverständigungs-Kulturdings-Bonus stünde auf dem Plan. Kriegt « parship » für irischfranzösische Paare eigentlich Dividenden von Ryanair? Dass Fliegen nicht gerade gut fürs Klima ist, hat sich herumgesprochen. Zwar machen die Emissionen durch die zivile Luftfahrt gerade mal ein paar Prozent der globalen CO2-Emissionen aus (2004 etwa 2.5%, Tendenz leicht steigend). Frappierend ist allerdings der Vergleich zwischen dem CO2-Aufkommen pro Passagier für einen Hin- und Rückflug, beispielsweise nach London: etwa 0.3 Tonnen CO2, und dem klimaverträglichen Jahresbudget** einer Person, so man das Budget gleichmässig auf alle Erdlinge verteilt: 2.3 Tonnen CO2 pro Jahr. Easy! Du kannst deine Freundin also 6 mal im Jahr besuchen, ohne ein schlechtes Gewissen zu bekommen. Den Rest der Zeit wohnst du einfach in einer ungeheizten Blockhütte am Zürichberg, isst Wurzeln und Käfer aus den umgebenden Schrebergärten und wäschst dich im Bach. Ciao Facebook – hallo Walden Pond! Ursprünglich leben ist sowieso wieder im Kommen. Was «Nein»? Geht schon, sagen deine Kollegen. Pflanz einfach Bäumchen. Seit den 2000er Jahren hat sich ein Markt für freiwillige Kompensation durch Privatkunden und Unternehmen entwickelt. Wer Emissionen kompensieren möchte, zahlt dem Kompensationsanbieter einen von der Fluglänge abhängigen Beitrag. Der Anbieter untertützt damit ein Klimaschutz-Projekt, das laut einem «  anerkannten  » Standard zertifiziert ist. Zertifikate werden von unabhängigen Prüfstellen ausgegeben und bestätigen die Menge CO2, die das Projekt zusätzlich vermeidet oder bindet. Je nach Standard kommen weitere Kriterien wie die Einbindung der lokalen Bevölkerung hinzu, denn Klimaschutz-Projekte werden bevorzugt in Entwicklungs- und Schwellenländern durchgeführt. Die grossen Kompensationsanbieter bauen Projekte meist selbst auf, bevor sie zertifiziert werden.

Das müssen dann schon verdammt viele Bäumchen sein. Mehrmals im Jahr fliegen: Weder eisenharte Velowaden bei Minusgraden, noch die Kohl-und-RübenDiät, noch Opas staatlich subventionierter Solarkollektor reissen das so schnell wieder raus. Statt eines einzigen Trips nach London könntest du drei Jahre lang Bier kühlen***, oder drei Monate lang Inder sein. Musst du EgoistIn denn unbedingt diese eine Person jenseits des Ärmelkanals sehen? Gib mal lieber ein Bier... Aber warte mal, Bäumchen sind gar nicht so teuer. Ab 9 Euro bist du dabei. Drei Anbieter wurden in einer Studie der deutschen Verbraucherzentrale als seriös und « k limawirksam » eingestuft: «  Myclimate  », «  Atmosfair  » und «  Arktik  ». Alle drei haben Webseiten, auf denen man in Minutenschnelle die Belastung durch eine Flugreise ermitteln kann und darüber hinaus einige Informationen zu den unterstützten Projekten findet. Die berechneten Emissionsmengen können sehr unterschiedlich ausfallen: So zum Beispiel für den Retour-Flug nach London bei «Myclimate» (390 kg) und «Arktik» (590 kg). Abweichungen kommen zum Beispiel durch verschiedene Annahmen über Umwege zustande, aber auch, weil die Klimawirkung von nicht-CO2 Effekten wie Stickoxiden nicht genau bekannt ist. Kompensationsmengen, die direkt beim Ticketkauf von den Fluggesellschaften angegeben werden, sind laut Verbraucherzentrale dagegen oft zu niedrig. Übrigens: Mehrere erfolgreiche Anbieter, wie zum Beispiel die schweizerische Stiftung «  Myclimate  », sind aus universitären Initiativen hervorgegangen. Heute kooperieren sie mit grossen Partnern wie Coop und der Lufthansa. Okay du Gutmensch. Du schwuppst also per «Paypal» 15 Franken an «Myclimate», und bekommst dafür einen «BY AIR kompensiert compensé compensato» Aufkleber. Was wohl so eine thailändische Mango

zahlt? Egal. 15 Franken also. Klingt nach modernem Ablasshandel. Ist es auch. Immerhin: Mit deinem Geld wird kein blattvergoldetes Porträt von Jean-Claude Périsset aufgestellt, sondern ein Solarkocher in Madagaskar. Wenn du aber an die Geschichte mit den 2.3 Tonnen denkst, heisst das: Das reiche Ende der Weltbevölkerung überzieht diese Quote, unter anderem mit Langstreckenflügen, exortbitant, und bezahlt dann das arme Ende auch noch dafür, dass die Kluft im CO2-Verbrauch noch grösser wird. Klimagerechtigkeit? Arktik lässt seine Kunden zwischen verschiedenen Projekttypen auswählen (Biomasse oder deutsche Moorlandschaften, was auch immer der genaue Unterschied sein mag); «Myclimate» bietet die Option an, mindestens 50% der Emissionen in heimischen Schweizer Projekten zu kompensieren. Das treibt die Kompensationskosten allerdings rasant in die Höhe. Halb-schweizerische Kompensation für ZürichLondon kostet 35 statt 15 Franken, für Zürich-Sydney 620 statt 200 Franken. Kritiker der freiwilligen CO2-Kompensation befürchten, dass das beruhigte Gewissen Menschen, die es sich leisten können, dazu veranlassen wird, nur noch mehr zu fliegen. Denn das Beste fürs Klima ist, Emissionen schlicht zu vermeiden, das bestätigen selbst die Kompensationsanbieter und entlassen uns damit nicht aus unserem Dilemma. Du kriegst kalte Füsse? « Tut mir leid, auf Fernbeziehung stehe ich nicht so. Ist viel zu schlecht fürs Klima. Und deutsche Biomasse klingt auch nicht so sexy. Kannst du nicht doch nach Winterthur ziehen? BITTE?  »

Z A H L E N , FA K T E N U N D S T E R N C H E N 1 Verbraucherzentrale nennt arktik, atmosfair und myclimate als seriöse Kompensationsanbieter • 2 Kompensation Zürich-San Francisco-Zürich: 100 bis 120 Franken 3 Retour-Flug Zürich-New York: ca. 3 Tonnen CO2 4 Durchschnittlicher europäischer Jahresverbrauch pro Kopf, CO2 aus Brennstoffen: ca. 8 Tonnen 11

Laura hat noch nie eine funktionierende Fernbeziehung geführt,verfügt aber dennoch über eine äusserst zweifelhafte CO2-Bilanz. Sie verliert zeitweise die Lust, den skeptischen Rand zu spielen, fühlt sich aber durch die Perspektive hin und wieder bemüssigt ein wenig Sand ins Getriebe zu streuen.

5 Klimaverträgliches Jahresbudget pro Kopf: 2.3 Tonnen 6 Business class fliegen ist doof * deren Erörterung ich gerne Hans Nötig überlassen möchte ** Lt. Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen, gefunden auf atmosfair.de *** in haushaltsüblichen Mengen


THEMA

Nachhaltigkeit kann mich mal.

Nachhaltigkeit kann mich mal. Simeon Milkovski Gregor Schenker Artwork Text

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m-Welt, was soll das bitte sein? Au contraire zur In-Welt oder wie? Wie die In-Welt deiner Mutter oder deiner Freundin? Da bin ich öfters. Witz. Ich bin eher so, ist ja lustig, Zigis in den Wald zu schmeissen. Den Stummel weit rein schnippen dass ihn ein Reh frisst. Ich weiss was Umwelt ist, hab schliesslich studiert. Bin auch kein „Klima“-“Skeptiker“. Klar gibts Klima. Meine Freundin hat mir mal vom Plastik in den Weltmeeren geklagt. Langsam hinsiechende Möwen, erwürgt von Kunststoffringen, die mal ein Sixpack zusammenhielten oder einen Fernsehkarton. Immerhin klappt das mit dem Alu. Oder? Wir rezyklieren doch neunundneunzig Prozent davon, oder? Aber wär ja nicht schlimm. Das taucht ja, nicht? Das schwimmt nicht obenauf und bildet Atolle im Nordpazifik wie es der Plastikkarsumpel anscheinend tut. Hat mir meine Freundin erzählt. Sie musste es für einen Vortrag recherchieren sonst wär ihr das auch scheissegal geblieben. Und jetzt hab ich den Salat. Nicht nur im Teller. „Komm Schatz wir nehmen den Nachtzug nach Lissabon, nicht den Flieger. Ist doch auch tolle Ferien so ne Nachtzugfahrt“ sagt sie dann, weil sie weiss, ich spring nur an, wenn für mich was drin liegt. Sie hat aufgegeben mir Nächstenliebe zu lehren. Jetzt macht sie mein Egoismus geil. Das freut mich sehr. Aber Lissabon geht schon mit dem airberlin drei Stunden. Ich bin übrigens schon links. Beziehungsweise

Mitte links. Beziehungsweise moderat. Abstimmen tu ich manchmal, wählen eigentlich nie. Und wenn würd› ich sicher nicht links wählen. Links abstimmen, also Mittelinks, aber nicht wählen. Bin ich denn bescheuert? Ausländer raus? Da müsst ich ja noch mehr arbeiten. Ich bin mit 65 pensioniert, glaubs mir nur. Die AHV hat›s bis dann eh gelupft. Drum landen die vorigen Franken eben unter der Matratze. Bist jetzt verruckt? Seid’s jetzt madig mit mir? Aber Ihr könnt mir gar nichts vorhalten, Ihr seid mit Nachhalten beschäftigt. Sobald Ihr anklagt werdet ihr von eurer eignen Heuchlerei aufgefressen. Die Welt retten braucht Zeit, hat mir mal eine Bekiffte mit Filz als Haar vorgetragen. Glasaugen. Alle Zeit eigentlich, eigentlich sollten die Grünen die Vierstundennacht propagieren. Dann kann man wieder raus, was für die Um-Welt tun. Dosen aufsammeln. Ich hab wenigstens begriffen, dass ich auch nix machen kann. Und auch du nicht imfall. Auf den heissen Stein tropfen. Das Pet in den Coop zurückbringen oder in den Volg. Bio kaufen und damit die Schweizer Bauern subventionieren, dass sie weiter um Eins in der Beiz auf ihrem ersten Kirschsuff vom Tag trippen können, wo ich zweiundvierzigeinhalb Stunden pro Woche von einem Schlips erwürgt werde. Klar. Keine Plastiktüten mehr benutzen. Und im Osten feuern sie damit den Ofen an wenn 12

die Kohle mal wieder alle ist. Ja genau. Auf den heissen Stein tropfen. Nächste Woche mach ich ein paar Liegestützen damit meine Arme grösser aussehen und geh nach Schlieren. Kauf mir einen 79er Trans Am und fahr damit überland nach Konstanz zum Einkaufen. Das ist so ein Auto, da sind horrende Abgaben drauf, wenn man damit rumfährt. Der Staat straft, weil der Auspuff noch richtig zu tun hat. Klar kann ich›s mir leisten. Ich sollte einfach aufhören, mir auf Stimulanzien Zigarren mit Hunderternoten anzuzünden, dann hätt ich mehr als genug. Aber man darf ja Vorsätze haben, so bin ich auch nicht. Ich bin ein positiver Mensch. Und Kohlendioxidfetischist. Ich lass ihn an, leg mich unters Heck und schnüffel den Qualm, minutenlang. Oft werd ich dabei spitz und fang an, mir einen runterzuholen. Keine Ahnung, liegt wohl an verdrängten Erinnerungen aus der Kindheit. Ein dicker, fetter Nervenstrang, direkt vom Kohlendioxidrezeptor in meiner Nase in meine Schwellkörper. Gut ist, was glücklich macht. Da muss kein Therapeut oder Priester kommen und mir das madig machen wollen. Der Zug ist schon längst abgefahren. Die Erde gibts sowieso nur noch paar Jahrzehnte. Der Billigflieger hat abgehoben. Simeon Milkovski, Mitte Zwanzig, ein positiver Mensch.


THEMA

Fotografie

There must be enough for another generation

Artwork

Meret Gut Meret Gut, 1989, versucht herauszufinden, weshalb es schwierig ist bescheiden und dankbar zu sein auf lange Zeit.

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KOLUMNE Rolandsky

Mein Name ist Rolandsky. Ich will Anarchismus. Rolandsky Isabella Furler Artwork Text

Auf der anderen Seite machen sie Tea Party. Der neue Konservativismus greift um sich, wiegelt sich in unsere Rapmusik ein, in unsere Service Public Reportagen, in unsere Familien-IKEA-Träume, in unsere Migrationsängste.

A

narchismus ist die einzige Lösung. Es ist die einzige Vision für unsere Zivilisation. Denn dem Kapitalismus fehlt die Vision. Fehlt die Fantasie. Die anarchistische Gesellschaft besteht aus Individuen, die auf freiwilliger Basis selbstbestimmt und föderal in Kollektiven verschiedener Art wie Kommunen als kleinster Einheit des Zusammenlebens, Genossenschaften und Syndikaten zusammen leben und organisiert sind. Anarchie ist Liberalismus plus Kommunismus. Anarchismus ist genial. Er entspricht dem, was ich seit langem auch als spiritueller Kapitalismus propagiere. Anarchie fängt im Alltag an. Du musst knallhart sein. Sonst ist scheisse. Fuck Fair Trade, Fuck Fair Wohnen, Fuck all diese linksliberale Scheisse. Mit Biodiesel sind wir nicht frei. Das System (Kontrollgesellschaft) zwingt uns zum Dialog. So hat das Deleuze gemeint. Auch wenn die Quottom-Redaktion (Rolandsky hat sich mit der Redaktion des Trendheftlis Quottom überworfen, nachdem die Verantwortlichen einen Essay von Rolandsky verweigerte und zensurierte. Die Verantwortlichen hatten nicht den Mut, zu Ihrer Entscheidung zu stehen, aus Angst, Rolandsky könnte sich wehren.) Eine faire Jeans ist ein Hamsterrad aus Teakholz. Fair Everything macht uns verhandlungsschwach. Das gibt keinen guten Sex. Immer kacken wir ab, wenn unsere Gegner mit uns einen Dialog führen wollen.

Fair Anarchismus Ich habe ja diese Bürgerrechtsbewegung FairWohnen gezündet (die bewirkt hat, dass die Stadt beschleunigt günstige Wohnbauzonen einrichten will) und wurde dann von der PR-Frau von Zentrum Karl der Grosse (einem Gemeinschaftszentrum der Stadt Zürich) auf ein speziell diesem Thema gewidmetes Podium eingeladen. Ich solle am 3. März 2015 über Fair Wohnen reden. Ich wollte aber einen Punkt machen. Ich verlangte, dass auf der Einladungskarte steht, Roland Wagner Anarchist. Nur durch Anarchie gibt es wahre Liebe und wahres Leben im Leben. Alles was lebt ist intelligent, denn sonst könnte es gar nicht leben. Anarchie gibt Dir das Recht zu leben mit Deinen Leuten, Tiere, Pflanzen und Amöben. Ohne Staaten. Ohne Grosskonzerne. Wir können längst leben ohne Grossbauern. Doch das war dem Karl dem Grossen zu klein. Er weigerte sich. Er will Fair Wohnen. Keinen Fair Anarchismus. Frei sein und wahre Liebe, ohne die Unterdrückung durch den Staat und die Wirtschaft und diese Faire Netzwerke. Der Staat und die Wirtschaft zwingen uns zu konkurrenzieren. So ist keine Liebe möglich. Kapitalismus und Liebe ist unmöglich. Sozialismus und Liebe ist unmöglich. Konservativismus und Liebe ist unmöglich. Das ist wie Teufel

und Hölle. Nein, nur mit dem Anarchismus, der übrigens nicht mit der chaotischen Anomie zu verwechseln ist, diesen Fehler machen nur schlechte Journalistinnen und Journalisten in den Quoten-Medien, bist Du im Chefsessel. Nein, Anarchie heisst, du bist der King. Du bist Queen. Du bist Gott. Liebe. Und dann ist noch was passiert. Das Szenenheftli Quottom hat mir gesagt, ich könne einen freien Aufsatz schreiben, ich sei ganz frei. Und dann habe ich zusammen mit meinem Künstlerfreund Joel Eschbach einen schönen Aufsatz geschrieben und dann haben sie den voll zensuriert, weil ich zu Anarchismus und Spiritualismus aufgerufen haben, also zu Liebe. Ich zahle es den QuottomLeuten hier auf diese Weise zurück, weil dieperspektive mir nämlich die volle Freiheit gibt, zu schreiben was ich will, ganz im Gegensatz zu Euch Weicheiern. Ihr seid Fair Quottom. Das ist so was wie Quoten-Fairness. Ein paar Jungs aus gutem Haus, die Pseudointellektuelle sind, die einfach nur gut aussehen wollen, aber aus Stein sind. Nur Anarchisten haben guten Sex. Ihr Goldfische. Aber darum geht es gar nicht. Es geht darum, dass es das wahre Leben nur mit Poesie gibt. Lang lebe die Anarchie. Lang lebe Rolandsky. Lang liebe Rolandsky alles was lebt. Ich liebe Euch. Rolandsky, mit bürgerlichem Name Roland Wagner.Nach dem Lesen seiner Kolumnen geht es den meisten so: verwirrt, betroffen, aha-so-ist-das, was soll das? Recht hat er...

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Thema

Interview Marcus Kuhn Rolandsky

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In einer alternativen Welt kommt die Strassenbahn nur einmal im Monat.

THEMA

In einer alternativen Welt kommt die Strassenbahn nur einmal im Monat

In einer alternativen Welt würden die Menschen nicht einkaufen gehen, sondern für sich einkaufen lassen. Von Tieren.

William Stern Gregor Schenker Artwork Text

In einer alternativen Welt würden sich die Menschen darüber freuen, wenn es regnet.

In einer alternativen Welt würden sich die Menschen nicht begrüssen, wenn sie sich auf der Strasse begegneten, sondern fluchtartig das Weite suchen.

In einer alternativen Welt hätte es keinen Platz für Liebe.

In einer alternativen Welt würde es mehr Erotikoutlets geben als Coop,Migros- und Dennerfillialen zusammengenommen.

In einer alternativen Welt könnten Häuser sprechen. Niemand würde ihnen zuhören.

In einer alternativen Welt wären alle per du mit ihrem Schatten.

In einer alternativen Welt stünde in jedem Haushalt eine Büste von Aristoteles. Seine Augen wären geschlossen.

In einer alternativen Welt wäre weiss nicht weiss. Sondern grau.

In einer alternativen Welt wäre ich glücklich. In einer alternativen Welt hiessen Kugelschreiber Ruhemeider.

In einer alternativen Welt würden alle Menschen Schwerter aus dem 17. Jahrhundert auf sich tragen.

In einer alternativen Welt hätten die Wohnungen zwar Fenster, aber man würde nur sich selber darin sehen, wie man einmal war und wie man dereinst sein wird. Fernseher gäbe es dafür keine.

In einer alternativen Welt kommt die Strassenbahn nur einmal pro Monat.

In einer alternativen Welt würden die Menschen das Licht meiden, so wie Vampire. Vampire wären dafür in der gesellschaftlichen Mitte angekommen.

In einer alternativen Welt hiessen alle Männer Karl und alle Frauen Samuel.

In einer alternativen Welt gäbe es keine Geschlechter. Nur Verwirrung.

In einer alternativen Welt herrschte keine Nase. Auch Ohren, Augen, und andere Sinnesinstrumente wären nur untertan.

In einer alternativen Welt ist jeder dazu verpflichtet, zu schweigen.

In einer alternativen Welt sind Spanier Franzosen und Franzosen Spanier. 16


In einer alternativen Welt kommt die Strassenbahn nur einmal im Monat

In einer alternativen Welt ist jeder dazu verpflichtet zu schweigen.Widerspruch wird nicht geduldet.

In einer alternativen Welt würde man nach einem ausgiebigen Mittagessen lallen.

In einer alternativen Welt käme jeden Moment die Müllabfuhr. Die Menschen leben in permanenter freudiger Erwartung.

In einer alternativen Welt lautet das Urteil: Tod durch Tod. Die Wahl der Todesart ist jedem selbst überlassen.

In einer alternativen Welt hätte jeder Mensch einen Bauchladen umgehängt. Im Angebot: Flüssiger Beton. Im Sonderangebot: Demut.

In einer alternativen Welt würde das Licht von Zeit zu Zeit willkürlich ausgeknipst.

In einer alternativen Welt wäre die eigene Sicht verzerrt: alles andere würde einem im Vergleich zur eigenen Grösse riesig erscheinen. In Wahrheit wäre alles andere noch viel grösser. Das geht allen so. Die Furcht nimmt überhand.

In einer alternativen Welt wäre das Glas immer halb leer. Gefüllt mit Gelatine.

In einer alternativen Welt hätten die Menschen den Blick immer in den Himmel gerichtet. Für die dadurch entstehenden Nackenschäden kommen die katholische Kirche und privat finanzierte Chemtrailforschungsinstitute auf.

In einer alternativen Welt blühten die Blumen immer am ersten Mittwoch des Monats. In einer alternativen Welt müsste man leben, sonst würde man zum Tode verurteilt.

In einer alternativen Welt ist Widerspruch verboten. Das Urteil lautet: Tod durch Pangasiusfilet.

In einer alternativen Welt ist diagonal besser als rund. Ecken sind verboten.

In einer alternativen Welt gibt es keine Entscheidungen. Die Menschen sagen ja zu allem. Alles funktioniert wie bisher und immer.

In einer alternativen Welt stünde die Todesstrafe auf das Tragen von Hosenträgern. Das Urteil lautet: Tod durch im Kreislaufen.

In einer alternativen Welt muss man Gedanken immer aufschreiben. Erst dann darf man neue Gedanken entstehen lassen. Die Zettel wirft man dann in einen an jeder Strassen-ecke dafür bereitgestellten Eimer der niemals geleert wird. Die Zettelwirtschaft hat gesiegt. Die Zettelwirtschaft hat gesiegt.

In einer alternativen Welt sind Ecken nicht verboten.

In einer alternativen Welt herrschen Korsare über London. Ihre Flagge hängt auch schon auf dem Seelisberg.

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In einer alternativen Welt würde sich jeder einzelne über Werbung finanzieren.

In einer alternativen Welt hätte jeder Mensch ein Geheimnis, das er mit nur drei Personen teilen darf.

In einer alternativen Welt gehen die Ideen nie aus. Sie sind verpflichtet, zuhause zu bleiben.

In einer alternativen Welt sind Witze verboten. Das Urteil lautet: Tod durch karierte Socken.

In einer lalternativen Welt sind Konsonanten eigenwillig.

In einer alternativen Welt wäre ich glücklich.


THEMA

Nachhaltigkeit  —   E ine kritische Betrachtung

Nachhaltigkeit

E ine kritische Betrachtung Levin Koller Gregor Schenker

Text Artwork

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Nachhaltigkeit  —   E ine kritische Betrachtung

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Primäres Ziel ist nicht die Umwelt zu schützen, sondern die Möglichkeit mit nachhaltigem Wirtschaften Geld zu verdienen

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N

achhaltigkeit – der Begriff ist in aller Munde. Nach Jahrzehnten des Kampfes scheint das Wort in Wirtschaft und Gesellschaft angekommen zu sein: Coop und Migros überbieten sich gegenseitig mit immer grüneren Ideen, die Energiewende findet im Parlament eine Mehrheit und für umweltschädigende Unternehmungen wird es zunehmend schwieriger, sich zu rechtfertigen. Trend gut, alles gut? Könnte man meinen. Ich wage jedoch zu behaupten, der Weg zu einer ökologischen Gesellschaft ist viel steiniger und könnte mit tiefer greifenden Veränderungen verbunden sein als wir uns das vorstellen und wünschen. Vor 30 Jahren bestand die Umweltbewegung aus aufgebrachten Bürgern, welche auf der Strasse einen respektvolleren Umgang gegenüber der Umwelt forderten. Heute sieht die Situation grundlegend anders aus: Der Gedanke des Umweltschutzes findet vermehrt in der Wirtschaft Anklang. Dieser Trend ist grundsätzlich wünschenswert und ein Verdienst der Grünen Parteien, die den Gedanken des Umweltschutzes in der Mitte der Gesellschaft platzieren konnten. In den letzten Jahren hat sich Beispielsweise der Wirtschaftsdachverband «Swisscleantech» gebildet und wird heute als einflussreiche «Stimme der grünen Wirtschaft» wahrgenommen. Die Forderungen nach «mehr Umweltschutz» verbinden den Wirtschaftsverband und die Umweltbewegung, die Motive dafür sind jedoch sehr unterschiedlich. Während für die Umweltbewegung der Schutz der Natur im Zentrum steht, ist für den Wirtschaftsverband Umweltschutz Mittel zum Zweck: Primäres Ziel ist nicht die Umwelt zu schützen, sondern die Möglichkeit mit nachhaltigem Wirtschaften Geld zu verdienen und so einen neuen Wachstumsmotor zu erzeugen. Der Schutz der Umwelt ist

somit nur ein angenehmer Nebeneffekt, nur eine hinreichende, aber im Gegensatz zur Profitmaximierung keine notwendige Bedingung. Der Umweltgedanke ist in der Schweiz heute so tief verankert wie noch nie. Viele Ideen und grosse Energie ist vorhanden: So entstehen Beispielsweise neue Phänomene wie «urban gardening», «containern» oder eine «Nachhaltigkeitswoche», wie sie vom 2.-6. März an den Zürcher Hochschulen stattfindet. Positive und unterstützenswerte Initiativen. Dabei darf es allerdings nicht bleiben. Die Umweltbewegung muss sich stärker den theoretischen Grundlagen ihres Handelns bewusst werden und sich mit ihnen befassen. Ansonsten drohen Aktivitäten nur in oberflächlichen Verbesserungen zu enden ohne die Wurzeln der Probleme überhaupt in Betracht zu ziehen. Folgende zwei Grundsatzfragen scheinen mir dabei zentral und sollten viel stärker, kritischer und offener diskutiert werden: Erstens: Wirtschaftswachstum und Umwelt Die erste Frage betrifft die Vereinbarkeit von Wirtschaftswachstum und Umweltschutz: Ist exponentielles Wirtschaftswachstum auf einem endlichen Planeten möglich ohne die Umwelt zu zerstören? In Anbetracht der enormen Bedeutung dieser Frage finden sich erstaunlich wenige Antworten. Sie ist aber entscheidend, da die daraus entstehenden Schlussfolgerungen

Levin Koller

das Handeln der Umweltschützer massiv beeinflussen sollten. Wäre Wirtschaftswachstum mit der Umwelt grundlegend nicht vereinbar, hätte beispielsweise die Harmonie zwischen dem Wachstumsverband «Swisscleantech» und den «wahren Umweltschützern» keine Zukunft. Zudem ergibt sich daraus eine weitere Frage: Um das daraus folgende Ziel einer wachstumslosen Gesellschaft zu erreichen, muss zuerst verstanden werden wie Wirtschaftswachstum überhaupt zustande kommt. Eine zweite sehr Grundlegende Frage. Zweitens: Entstehung von Wirtschaftswachstum Zugegeben, die Zusammenhänge sind kompliziert und es gibt wohl nur wenige Menschen, die einen vollständigen Durchblick haben. Ich habe ihn zumindest nicht. Auf der Suche nach Begründungen des Wachstumszwanges finden sich verschiedene Theorien: Für die Einen besteht der Grund im Konkurrenzsystem. Um fortbestehen zu können, muss jedes Unternehmen seinen Gewinn maximieren und wachsen, was zu einer wachsenden Wirtschaft führt. Andere sehen die Schuld in der Existenz von Zinsen, worauf aus einem Geldbetrag immer mehr entstehen muss. Für Dritte ist Wirtschaftswachstum eine Folge von Forschung, Innovation und dem Trieb des Menschen. Am Ende ist mit den vielen Fragezeichen nur etwas klar: Wenn Umwelt und Wirtschaftswachstum nicht vereinbar wären, sind aus Umweltschutzgründen tiefgreifende Veränderungen der Wirtschaft unabdingbar. Lasst uns die vielen Fragen mit Inhalt füllen! Kritisch, differenziert und ohne Rücksicht auf Eigeninteressen. Nur so kann definiert werden, wie die Umwelt in den nächsten Jahrzehnten optimal geschützt werden kann. Levin Koller, Student Umweltnaturwissenschaften ETH.

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THEMA Genug.

Text

Robin Schwarz Genug Habe genug. Genug. Genug. Genug. Von allem genug. Genug. Genug.

Was ist das überhaupt für ein Wort? Genug? Genug! Will nichts mehr hören von diesem Wort! Genug! Genug! Genug! Oder ist es ist die semantische Sättigung? Auch davon habe ich genug! Oder ist die ständige Wiederholung, dieses Mantra, genug, um zu zeigen, dass man nie genug hat? Ich muss nur einatmen, warten, ein paar Buchstaben, Zeilen, Worte. Einatmen und diese Zeichenkombination vergessen. Diese unheilvolle Abfolge. Die den Klang stiehlt. Und den Sinn. Ins Nichts. Atmen. Und dann, Aus dem Nichts. Kehrt sie wieder zu mir zurück. Die Melodie, die mich beschwört und in mir an mir reisst. Und ich vergessen habe, wie es war den Sinn in sich zu verlieren. Es plötzlich wieder in mir hämmert und pocht , dieser urige, dumpfe Laut Ge-Nug Ge-Nug Ge-Nug Ge-Nug Ge-Nug Ich habe nie genug. G E N U G . . Robin Schwarz, 25, hat Journalismus studiert und gehört jetzt professionellerweise zur Lügenpresse. Denkt über Medien nach und interessiert sich für Literatur, Philosophie, Videospiele und noch viel zu viel anderes.

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NACHHALTIGKEITSWOCHE 2015 – EIN STUDENTISCHES GROSSPROJEKT Die Nachhaltigkeitswoche 2015, welche vom 2. bis am 6. März 2015 stattfindet ist eine von über 60 ehrenamtlich arbeitenden Studierenden organisierte Veranstaltungsreihe, welche sich kritisch, kreativ und innnovativ mit Themen rund um die Nachhaltigkeit beschäftigen. In Vorträgen, Workshops, Exkursionen und Ausstellungen wird an fünf Zürcher Hochschulen, UZH, ETH, ZHAW, ZHdK, PHZH, versucht die Studentenschaft, sowie auch die breite Öffentlichkeit auf die Thematik der Nachhaltigkeit zu sensibilisieren. Wer dem Konzept der «Nachhaltigkeit» gerecht werden will, muss bereit sein, seine Konsequenzen in unzähligen Bereichen des täglichen Lebens und Handelns zu erkennen. Dies fällt nicht nur uns als Individuen schwer, sondern auch Institutionen, Unternehmen und nicht zuletzt unseren Hochschulen. Diesen kommt zudem als Bildungsinstitutionen eine besondere Verantwortung zu. Die Anstösse zu einem Kulturwandel kommen von verschiedenen Seiten und nun — seit drei Jahren — auch vom studentischen Grossprojekt «Nachhaltigkeitswoche» (NHW). Angestossen durch die «Konferenz über Lehre und Nachhaltigkeit an den Zürcher Hochschulen» an der zweiten NHW, wurden 2014 an der PHZH, der ZHAW und der ZHdK drei studentische Nachhaltigkeitsvereine gegründet. Diese haben sich mit beeindruckendem Engagement dem NHW-Team angeschlossen und ermöglichen die Durchführung der NHW15 an fünf Hochschulen gleichzeitig! Wir freuen uns, dass das Thema der Nachhaltigkeit interdisziplinärer angegangen werden kann, und hoffen, den beteiligten Hochschulen zu zeigen, dass unsere Forderung nach

#NHW15

hochschulübergreifenden Nachhaltigkeitsbemühungen umsetzbar ist. In diesem Sinne verstehen wir uns als Vorzeigemodell. In den vergangenen zwei Jahren haben wir mit unserer Themenwahl bereits ein breites Spektrum an Nachhaltigkeits-Baustellen behandelt. In der dritten Nachhaltigkeitwoche wollen wir Dir aufzeigen, dass ein Paradigmenwechsel zu einer zukunftsfähigeren Gesellschaft nicht nur nötig ist, sondern auch eine Chance bietet. Er bietet uns u.a. Entschleunigung, Spass, Verantwortungsbewusstsein, Identi-

fikation und viel Platz für Kreativität. Diesen Aspekten wollen wir mit unseren Tagesthemen und unserem Programm gerecht werden. Über 60 Studierende haben die Organisation der dritten Nachhaltigkeitswoche ehrenamtlich in die Hand genommen und bieten innerhalb einer Woche über 50 Vorträge, Exkursionen und Workshops an. Wir hoffen, Dich für unsere Veranstaltungen begeistern zu können und wünschen uns, dass Du die Distanz zwischen den Standorten gleich für eine entschleunigende und umweltfreundliche Fahrradfahrt nutzt — damit Nachhaltigkeit mehr wird als ein leeres Konzept.

www.Nachhaltigkeitswoche.ch


NACHHALTIGKEITSWOCHE 2015 – DAS WOCHENPROGRAMM

INNOVATION

FAULHEIT

MÜLL

MONTAG, 2. MÄRZ

DIENSTAG, 3. MÄRZ

MITTWOCH, 4

Z

Kick-Off Brunch Filmvorführung: The New Industrial Revolution Führung: Die Kalkbreite Ein neues Stück Stadt Institutionelle vs. selbstorganisierte Bildung Innovation & Karriere, im Dialog mit Nachhaltigkeitspionier Markus Freitag Nachhaltigkeit in der Grundschule Sustainability, Innovation and Poverty Reduction Podium: Nachhaltige Landwirtschaft trotz Bevölkerungswachstum

Fotoausstellung: Bio/nicht Bio Bilder

Ausstellung: D Hochschule

Techniken der Faulheit — Bewusst entspannen

Repair Café

Drink Sustainably — Leitungswasser

Wo landet uns produzierter M

Veganer Kochkurs

Kleidertausch Flickecken

Hospiz der Faulheit Dein Kurs — Welchen Kurs vermisst du an der NHW 2015? Faul gärtnern: mehrjährige Gemüsekulturen Faulheit. Eine schwierige Disziplin Faulheit als Hindernis oder zur Förderung von Nachhaltigkeit? Filmabend mit Apero:

«TRASHED», «Revolution», «COWSPIRACY»

#NHW15

Besitzen oder

Workshop: Ess haltbar mache

Out to Sea? Th Garbage Proje

Besetzte Häus Nachhaltig?

Exkursion zum Klärwerk Werd

Podium: Energ Welche Verant tragen die Hoc

www.Nachhaltigkeitswoche.ch


EINFACHHEIT

SPASS

4. MÄRZ

DONNERSTAG, 5. MÄRZ

FREITAG, 6. MÄRZ

Der Müll einer

Recycles

LAMM-Workshop

Urbanes Gärtnern

Workshop: Upcycling

Vortrag: LifeHacks Jutebeutel selbernähen und bedrucken

Während dem Studium ein Start-Up gründen! Macht Sinn und viel Spass

Human Library

Lodernder Zorn oder Freudenfeuer

r nutzen?

ser unnötig Müll?

hbörse mit

sen länger en

Lehre und Nachhaltigkeit an den Zürcher Hochschulen — Die 2. Konferenz

he Plastic ect

Insekten — das Steak der Zukunft?

ser?

Permakultur

m ERZ dhölzli

giewende — twortung chschulen?

Lass das Kind in dir spielen! Dein Kurs Welchen Kurs vermisst du an der NHW 2015? Vegane Kochshow mit Philip Hochuli ReHab: Spielen für den Regenwald Essen für ein gutes Klima: Nachhaltigkeit auf unseren Tellern NHW-FEEZ

ZNaK


NACHHALTIGKEITSWOCHE 2015 – DIE PODIUMSDISKUSSIONEN

NACHHALTIGE LANDWIRTSCHAFT TROTZ BEVÖLKERUNGSWACHSTUM — REALISTISCH ODER UTOPISCH? Prof. Wilhelm Gruissem (Professur Pflanzenbiotechnologie ETH), Tina Goethe (Brot für alle) Adriano Mannino (Sentience Politics), Dr. Sibyl Anwander (ProTerra, ehem. Leiterin Nachhaltigkeit Coop) Daniel Bärtschi (Geschäftsführer BioSuisse, Agronom), Moderation: Sandro Brotz (SRF Rundschau)

Podiumsdiskussion mit anschliessendem Apero 19:00 - 20:45, UZH Zentrum, KOH-B-10 Die Weltbevölkerung und der globale Wohlstand steigen. Bisher korreliert die Nachfrage an Nahrungsmitteln. Ist der wachsende Bedarf mit einem schonenden Umgang der Umwelt vereinbar? Ist der Trend des Wachstums durch Verhaltensänderungen im Konsum beeinflussbar? Eine Diskussion mit ExpertInnen über Themen wie Gentechnik, biologische Landwirtschaft und Fleischkonsum. Anschliessend laden wir Dich zu einem Apero riche ein — gesponsert von nachhaltiger Zürcher Gastronomie.

ENERGIEWENDE — WELCHE VERANTWORTUNG TRAGEN DIE HOCHSCHULEN? mit Dr. Kathy Riklin (Universitätsrätin UZH, Nationalrätin CVP), Prof. Anthony Patt (Professur Mensch-Umwelt-Systeme ETH), Prof. Martina Hirayama (Schulleitung ZHAW, Direktorin School of Engineering), Dr. Rudolf Rechsteiner (Energieexperte, Dozent, Alt Nationalrat SP), Moderation: Dr. Rainer Egloff (Colllegium Helveticum) Podiumsdiskussion mit anschliessendem Apero 19:00 - 20:45, ETH HG F30 Audimax Der Bundesrat will die Energiewende vorantreiben. Um eine nachhaltige Energieversorgung zu realisieren sollen deshalb die erneuerbaren Energien massiv ausgebaut und der Energieverbrauch beträchtlich gesenkt werden. Welche Rolle spielen dabei die Hochschulen? Welche Verantwortung tragen sie in Bildung und Forschung? Haben sie eine Vorbildfunktion?

#NHW15

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MEHR WURST!

Wirf die Wurstmaschine an und schick uns deinen literarischen Text bis am 14. Juni 2015 an:

info@delirium-­‐magazin.ch

So gewinnst du: Bezug zu Vorgängerausgaben! ...spinne eine Geschichte weiter... ...denke eine Figur zu Ende... ...baue ein Motiv aus... ...schreibe ein Gedicht zu Prosa zu Drama um... ...mache Jazz, hole Elektro heraus... ...und überhaupt: was soll das alles eigentlich... ...diese Welt, diese Literatur... max. 15‘000 Zeichen Bezug zu Vorgängerausgaben!?

Gefragt sind künstlerische Antworten auf die bereits erschienenen Ausgaben delirium N°01 bis N°04

MEHR SENF!

delirium braucht scharfe Meinungen! Wenn du kritikfähig bist, melde dich für eine Bratwurst:

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ALLE AUSGABEN AUF: www.delirium-­‐magazin.ch

BLOG: www.deliriummagazin.wordpress.com FACEBOOK: www.facebook.com/Magazindelirium


THEMA

Die IKEA und ich sind keine Freunde

Die IKEA und Ich sind keine Freunde.

E-Banking, Self-Checkin, Self-Checkout, E-Tickets: Alles muss man selber machen. Dabei sollte der Kunde doch König sein und nicht noch für dumm verkauft werden. Text &  Fotografie

Marco Büsch

I

n meinem Coop kann ich nun auch per Self-Checkout bezahlen. Es geht schneller als wenn ich an der Kasse anstehe. Ich kann die Produkte gleich wieder einpacken und gewinne Zeit. Und trotzdem bleibt ein fader Nachgeschmack. Dasselbe gilt für das Self-Checkin am Flughafen, das Selber-Geschirr-abräumen in der IKEA, beim E-Banking: Es ist zwar effizienter und schneller, aber ich fühle mich auch benutzt oder gar ausgenützt. Ich werde zum Mitarbeiter, obwohl doch der Kunde König sein sollte. Aber auch dann bleibt die Frage, weshalb denn das ein Problem darstellt, man trägt ja selbst auch Nutzen davon. Mich persönlich nervt es, wenn ich für dumm verkauft werde. Wenn ich in der Zeitung lese, dass Coop und Migros keinesfalls danach streben, in nicht allzu ferner Zukunft alle Kassiererstellen durch SelfCheckout-Automaten zu ersetzen. Es heisst nur immer: «Niemand wird entlassen!». Dabei lassen sie einfach Arbeitsverträge

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Die IKEA und ich sind keine Freunde

Mich nervt diese künstliche Transparenz. Dieses künstliche Getue, als seien diese Firmen deine besten Freunde und wollten nur das Beste für dich. In diesem Bereich ist die IKEA der absolute König: Kaum ein anderes Unternehmen kann einem so das Gefühl vermitteln, verstanden zu werden. IKEA hilft dir in allen Bereichen. IKEA erklärt auch immer alles. Wenn ich das Geschirr im IKEA-Restaurant selber abräumen muss, steht auf einem Schild geschrieben: «Warum sollte ich meinen Tisch abräumen? Bei IKEA zahlt man am Anfang weniger fürs Essen, weil man sein Geschirr danach selbst aufräumt. Mit dem Aufräumen Ihres Tabletts helfen Sie uns auch weiterhin, die Preise niedrig zu halten. Es ist so einfach. Herzlichen Dank.» – IKEA entführt einen aus der Welt der moralischen Bedenken in die Welt des unbedenklichen Konsums. Wegrationalisierte und unterbezahlte Mitarbeiter oder die Frage, weshalb diese Möbel so verdammt günstig sind und wer dafür büssen muss, stellen sich in der Welt des Konsums nicht, hier zählt nur mein vermeintlicher Vorteil. Ich habe weniger bezahlt, also habe ich gewonnen. Und ich muss kein schlechtes Gewissen ha-

»

auslaufen und stellen dann keine neuen Mitarbeiter mehr ein, weil das Self-Checkout günstiger ist. Der eigene Kunde arbeitet und er bezahlt einen sogar noch dafür. Die einzigen Mitarbeiter, welche in Zukunft noch benötigt werden, sind diejenigen, welche beim Check-out helfen und gleichzeitig sicherstellen, dass man nicht klaut. Dasselbe gilt für das Self-Checkin am Flughafen, nur dass es dort irgendwann gar keine Mitarbeiter mehr braucht, weil die Möglichkeit des Stehlens nicht besteht.

Wer nicht mitmacht und sich die Steuerunterlagen oder die Tickets per Post nach Hause schicken lässt, ist mehr oder weniger ein Ökoterrorist.

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Marco Büsch

ben, denn ich hab ja meinen Teller selber abgeräumt, die Möbel selber zusammengebaut. Auf der gleichen Ebene läuft das beim EBanking oder bei Ticketportalen: Man wird immer wieder dazu aufgefordert, die Geschäfte elektronisch abzuwickeln. Damit man aktiv hilft, die Papierverschwendung zu verringern. Wer nicht mitmacht und sich die Steuerunterlagen oder die Tickets per Post nach Hause schicken lässt, ist mehr oder weniger ein Ökoterrorist. Hier wird einfach so getan, als wäre alles nur zum Wohle der Umwelt, dabei geht es nur um Nutzenmaximierung. Es braucht keine Filialen mit Mitarbeiter mehr, man muss keine Briefe mehr verschicken, wenn der Kunde elektronisch alles selbst erledigt. Der Kunde wird zum Mitarbeiter und dabei wird so getan, als würde man dem Kunden einen Gefallen tun. Und der Kunde fühlt sich gut, weil er per E-Banking die Umwelt

rettet. Effizienzsteigerung geschieht unter dem Deckmantel der Nachhaltigkeit. Aber man soll mich nicht falsch verstehen: Ich mag ökologisches Denken. Ich mag auch Effizienz. Aber ich mag es nicht, wenn man mir die eigentlichen Beweggründe verschweigt und stattdessen Scheingründe auftischt, nur damit ich mich besser fühle. Echte Freunde machen so etwas nicht, denn Ehrlichkeit ist die Basis jeder wahren Freundschaft. Marco Büsch ist Stadtzürcher, politischer Student und Besitzer eines kleinen, aber feinen Blogs: marcobuesch.wordpress. com

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Unsere Läden Aarberg | BE Münchwilen | TG Unterentfelden | AG Zürich


THEMA

Interview mit Raffael Gasparini

« B ei diesem Business wollte ich nicht mehr mitmachen.  »

Interview& Fotografie

Conradin Zellweger

Raffael Gasparini kommt aus der Snowboard-, Skate-, Surfbranche: Er war Einkäufer in Trendläden. Als er die Machenschaften der Textil-branche und Grosskonzernen zu hinterfragen begann, konnte er nicht mehr anders als auszusteigen. Vor sechs Jahren eröffnete Raffael seinen eigenen Kleiderladen « auras fair & style store ». Das Konzept: alle Kleider müssen nachhaltig sein. 28


Interview mit Raffael Gasparini

dp

H

du davon, wenn sich grosse Unternehmen, die Jahrelang wegen schlechten Arbeitsbedingungen in den Schlagzeilen waren, sich plötzlich öko und sozial geben?

ast du damit auch einen aufkommenden Trend bedient? Anders als in den meisten Bio-Kleiderläden ist im Auras in Richterswil auch das Aussehen der Kleider entscheidend. Wir haben mit dem Schweizer Pionier der fairen und stylischen Mode über sein Verständnis von Nachhaltigkeit gesprochen.

dieperspektive

W

arum hast du einen nachhaltigen Kleiderladen gegründet? Raffael Gasparini

F

rüher als Einkäufer für Trendstores habe ich Kleider ausgepackt, und mir begannen die Augen zu Tränen vor lauter Giftstoffen. Manchmal waren die Shirts noch feucht und man musste die Mittel meherere Tage verdampfen lassen. Ich dachte mir, das kann doch nicht sein. Die Textilindustrie richtet viel Leid an. Extrem viele Bauern erkranken jährlich…. schwer an allen diesen Giften. Nach zehn bis fünfzehn Jahre sind die Anbaugebiete so verseucht, dass die Firmen die Länder verlassen. Bei diesem Business wollte ich nicht mehr mitmachen. dp

D

u bezeichnest dich als Pionier der fairen und modischen Bekleidung in der Schweiz? RG

W

ir waren der erste Fashion Trend-Laden, der 100 Prozent nachhaltig ist. Vorher gab es Läden wie Claro und so weiter – diese Kleider waren aber auch optisch öko.. Unsere Idee war es, Kleider zu verkaufen, die nicht nach Bio aussehen. Vor knapp sechs Jahren als ich den Laden eröffnete fand ich nicht einmal genügend Kleider, die unseren Kriterien entsprachen. Der Laden war halb leer.

RG

A

nfangs dachte ich, in einem Jahr machen das alle Brands. Darum wollte ich sofort eröffnen, um nicht zu spät zu sein. Damals glaubte ich, in ein paar Jahren gibt es nur unzählige Produkte. Das war eine grobe Fehleinschätzung. Langsam beginnt das Interesse an faire Textilien langsam zu steigen. Es ist nicht so, dass wir schon viel Gewinn machen – seit einem Jahr lebe ich immerhin am Existenzminimum. Die fünf Jahre davor war ich drunter. Biologisches und regionales Essen ist schon längst verbreitet. Bei der Bekleidung hingegen gibt es wenige Produkte von grossen Anbietern.

RG

D RG

W

ir verkaufen auch recyclete Mode, dort sind die Ursprungs-Stoffe dann zum Teil nicht Bio, aber nachhaltig ist das Produkt trotzdem. Ich habe fünf transparente Kriterien für meinen Store. Alle unsere Produkte müssen eines dieser Kriterien erfüllen, wobei mitlerweile 95 Prozent der Kleider das Kriterium Bio erfüllen. Aber konkret: Unsere Produkte sind Fairtrade, Recycling, Marken die an soziale Projekte gekoppelt sind, Seconhand und eben Bio

dp

W

oran liegt es, dass die Leute sich nicht besonders darum kümmern, wie fair ihre T-Shirts sind? RG

dp

ch glaube viele Menschen sind da etwas egoistisch. Beim Essen betrifft uns Bio persönlich. Wir bezahlen etwas mehr, um keine Giftstoffe zu essen. Die Gesundheit der Bauern und die Umwelt sind dabei zweitrangig. Viele denken Textilien, die mit Pestiziden produziert wurden, schaden uns als Person nicht. Das ist aber falsch. Da besteht ein Mangel an Information.

ir kaufen in der Schweiz Kleider von internationalen Marken, welche zu Bedingungen produzieren, die in der Schweiz nicht erlaubt sind wie Kinderarbeit und Umweltvergehen. Müsste man da eine gesetzliche Grundlage schaffen, damit solche Produkte nicht mehr verkauft werden dürfen?

W

I

RG

D

as finde ich eine super Idee. Beispielsweise könnte man den Zoll auf zertifizierte Produkte aufheben. Aber es geschieht genau das Gegenteil. Die Schweiz klaut Afrika Rohstoffe. Und auch Staat und Kantone - man könnte meinen - die beziehen wenigstens fair produzierte Textilien. Aber die Polizisten tragen wahrscheinlich Stoffe, die bereits viele Leute getötet haben. Das ist doch absurd. Aber der Filz verdient nun mal an den Entwicklungsländern. Darum passiert gar nichts.

dp

W

as genau verstehst du unter fairer Bekleidung?

dp

N

ike plant gemäss ihrem Report eine nachhaltige Firma zu werden. Was hältst 29

iese Unternehmen funktionieren nur nach Profit. Wenn sie nachziehen mit der fairen und nachhaltigen Produktion, dann begrüsse ich es natürlich. Mir geht es um die Sache. Was jedoch wirklich schade wäre, wenn uns die Grossen dann die Ressourcen wegnehmen. Denn das Angebot an fairen und biologischen Rohstoffen ist ja noch immer sehr beschränkt. Für alle kleinen und nachhaltigen Läden wäre das ein Horrorszenario. dp

W

ie lautet deine Prognose für die nächsten fünf Jahre bezüglich fairer Bekleidung in der Schweiz? RG

I

ch glaube, es entwickelt sich eine stabile Kundschaft für diese Produkte. Die Einsicht wird kommen, aber das braucht seine Zeit. dp

H

ast du weitere Pläne mit deinem Laden?

RG

I

ch eröffne möglichst bald einen Online-Shop. Auch wenn mir das von der Philosophie her etwas widerstrebt. Aber hey, ich habe dafür ein Firmenkonto bei einer nachhaltigen Bank gemacht, sowie einen Hoster gefunden, der seine Server mit Solarstrom betreibt.



Alexandra Tiefenbacher Franziska Staerkle Text Artwork


THEMA

Nachhaltig leben trotz Rollkoffer

Nachhaltig leben trotz Rollkoffer Nachhaltigkeit ist der Stimmungskiller schlechthin. Solange dies so bleibt, hoppeln wir weiter wie Hasen. Doch alles der Reihe nach.

Drei Behauptungen: Erstens kultivieren wir unter dem Zeitgeist-Begriff Self-Entrepreneur» den versatilen Lebensmodus. Der homo versatilis ist ein Tausendsassa, der über den Kategorien steht, einer der sich in der Schnittmenge der klassischen Lebensentwürfe aufhält. Stillstand ist für ihn das Ende (ausser in der Yogastellung natürlich). Doch soweit kommt es nie, denn bevor er nicht mehr weiter weiss, lotst ihn die GPS-App zur nächsten Erfahrung, zu nächsten Begegnung, zur nächsten Annekdote. So hüpft er von Punkt zu Punkt, von Job zu (Blow-)Job, und passt sich dabei solange der Umgebung an, wie es ihm passt. Dabei werden direkt und indirekt Emissionen produziert und Ressourcen verschwendet, was jedoch aufgrund der Kurzfristigkeit der Projekte gar nicht ins Bewusstsein der Verursacher tritt. Rollkoffer hinterlassen keine Spuren.

Sandro Murchini Gregor Schenker Artwork Text

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as bedeutet Nachhaltigkeit? Nachhaltig leben bedeutet in erster Linie, sich den Folgen seiner eigenen Handlungen bewusst zu sein. Das läuft darauf hinaus, dass wir im Stande sein sollten, das Ergebnis unseres Tuns und Lassens abzuschätzen. Wir können uns natürlich dieser Denkart verweigern oder sie einfach verdrängen. Aber nur weil wir die Augen vor den Konsequenzen unseres Handelns verschliessen, heisst das nicht, dass diese deswegen nicht eintreffen. Gähn und gut. Spannend wird es erst, wenn sich die indirekt Betroffenen einmischen. Diejenigen, die sich für die Geschädigten einsetzen, welche sich nicht wehren können - Greenpeace für die Natur, Amnesty International für die Menschenrechte, die Stadtverwaltung für die Uferpromenade und am Ende merken wir, dass uns Nachhaltigkeit vor allem deshalb beschäftigt, weil uns die Widersprüchlichkeit unserer Bedürfnisse zu schaffen macht.

Zweitens führt die permanente Mobilität zu einem r§egelrechten Bewegungsdiktat, das keinen Lebensbereich auszulassen scheint. Hochschulen haben Mobilitätsverantwortliche, die SBB ihr mobilityNetz, Firmen fördern den mobilen Arbeitsplatz, der Staat fördert die soziale Mobilität, Kinder wünschen sich Mobile Devices zu Weihnachten und im Pensionsalter bereist man heute lieber die Welt als im Seniorenturnen den Hampelmann zu machen. Es scheint, dass Stillstand so gar keinen Platz hat in einer Zeit, die das Vorankommen als Lebensziel postuliert.

Doch ist es denn überhaupt möglich, eine Form von Weltgewandtheit zu kultivieren, ohne unserem Gewissen einen Maulkorb anzuziehen? Die Vielfliegerin, die am Samstagmorgen regionale Produkte einkauft; der Sportwagenfahrer mit Minergie-Standard-Eigenheim; der Swimming-Pool-Besitzer mit der Fotovoltaik-Anlage… Lebensmodelle, die beispielhaft die Frage aufwerfen, was nachhaltig leben heute bedeutet.

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Leider geht all das Reisen und das Mal-kurz-wegsein-übers-Wochenende» nicht ohne die unschönen ökologischen Begleiterscheinungen. Schon stecken wir wieder im Dilemma. Liesse sich diese zumindest gelegentlich dadurch umgehen, dass wir auf die innere Bewegung fokussieren? Um im Geiste fit und offen zu bleiben, müssen wir nicht zwingend in Nepal trekken. Noch dazu sind wir doch gerade beim Denken am beweglichsten, denn (nur) Gedanken sind frei, wie es so schön heisst.

Drittens ähnelt unser ökologischer Fussabdruck seit langem einer Hasenfährte. Wissen Sie, wie eine solche aussieht? Zwei kleine Abdrücke der Vorderpfoten nacheinander und dann zwei grössere Abdrücke der Hinterpfoten nebeneinander. Dieses Muster ist charakteristisch für Tiere, die hoppeln – und eben auch für viele Zeitgenossen. Im Alltag kommen wir pflichtbewusst unseren Recycling-Pflichten nach, schnüren gekonnt Altpapierbündel und trennen Altglas. Kaufen Gemüse auf dem Markt oder direkt ab dem Bauernhof. Im Winter achten wir darauf, dass wir stosslüften und im Sommer halten wir mit runter geladenen Storen statt mit Klimaanlagen die Raumtemperatur erträglich. Alles kleine Schritte mit den Vorderpfoten. Dann fliegen wir für zwei Nächte in eine Grossstadt, die per Zug erreichbar wäre oder jetten für Tauchferien in die Malediven oder für die Velotour ins Mekong-Delta. Und hopp-la, da haben wir sie: Zwei grosse Abdrücke mit den Hinterpfoten. Natürlich kann man die grossen Abdrücke kritisieren, doch weshalb nicht einmal die kleinen loben. Sie sind das Ziel und manch Grosses hat schon klein begonnen.


Nachhaltig leben trotz Rollkoffer

Behauptungen hin oder her. Sind wir am Ende des Tages nicht einfach um Stimmigkeit in unserem Handeln bemüht Wir wollen nicht zwingend den Nachhaltigkeits-Award gewinnen, aber wir wollen etwas tun, wir wollen eine Balance finden zwischen dem, was wir geniessen und dem was wir verursachen. Jedoch ist Nachhaltigkeit jenseits von Bio-Anbau und Stromsparlampen etwas sehr Subjektives. Und gerade weil sie der persönlichen Meinung so viel Platz einräumt, ist sie genauso wie der Tabutriangel von Sex, Religion und Politik ein rotes Tuch für nettes Geplauder: «Ach, Business in die Karibik, wie chic. Wie teuer war denn das CO2-Kompensationsticket?», «Sie mögen frischen Thunfisch? Das muss ich gleich Greenpeace erzählen». Das sind nicht wirklich geeignete Sätze für locker-lässigen Apéro-Talk. Nachhaltigkeit muss aber nicht unweigerlich ein Stimmungskiller sein, denn es verhält sich mit ihr etwa so wie mit klassischer Musik: Sie hat keine Feinde. Es gibt Freunde klassischer Musik und es gibt den Rest. Das heisst, die einen hören sie und die anderen eben nicht, was die letzteren jedoch nicht zu Feinden macht. Es hilft uns also, wenn wir Nachhaltigkeit so pflegen, als handle es sich um ein Hobby oder gar eine Leidenschaft. Und noch etwas: Die Diskussion über Nachhaltigkeit hat in Wohlstandsländern diesen Gejammer-Ton. Das Grundübel ist Affluenza, der moderne Lebensstil des Überflusses und die verordnete Therapie lautet: Mass halten, verzichten, entschleunigen, down-sizen und so weiter und so fort. Alles wahnsinnig freudlose Verhaltensanweisungen. Hinzu kommt die Pflicht zum ominpräsenten kritischen Denken, welche vor allem etwas bewirkt: Dass wir uns nicht mehr freuen können. Die einst so erstrebenswerte Welt des Savoir-Vivre ist heute ein Minenfeld, ständig heult die Sirene: Foie Gras zu Weihnachten, im Sommer im Jacuzzi sprudeln, das Einweggeschirr für die Geburtstagsparty, die Habano und der japanische Suntory-Single-Malt after dinner - die Genussentgleisungen der Baby-Boomer Generation sind die aktuellen Weltsorgen der Gutmenschen.

Die Schattenseiten haben Hochkonjunktur: Petflaschen und Aludosen sind gut, weil rezyklierbar, aber genauso stehen sie für einen weltweiten Getränkehandel grotesken Ausmasses. Fast food mit regionalen Zutaten ist super und dennoch klebt an ihm der Nachgeschmack einer globalen Verpflegungsindustrie. Doch genug des Trübsals! Wie kriegen wir das wieder hin mit der Freude, dem Genuss ohne Sünde, dem Leben aus der Lätta-Werbung? Indem wir das Lamento mit Optimismus und Innovation kontern. Die Freude am Genuss, die Freude am Reisen, die Freude am Konsum… sie alle sind vereinbar mit einer bewusst-kritischen Lebenshaltung, solange wir die Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeit als Gelegenheit für Fortschritt nutzen. Hedonismus sollte auf Heureka treffen! Und natürlich sagt es wieder mal niemand besser als unser ever so quotable Barack Obama in seiner letztjährigen Rede zur Lage der Nation: »Opportunity is who we are». Sandro Murchini, 33, Berufsschullehrer in Ausbildung und Velokurier im Ruhestand, gibt sein Geld lieber für einen Pullover als für Heizkosten aus. Haustiere hat er keine.

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Die beste Methode gegen Schlafstรถrungen

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LAURIN BUSER

Die beste Methode gegen Schlafstörungen

Die beste Methode gegen Schlafstörungen. Text

Laurin Buser Isabella Furler

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ch zippe an meinem Beruhigungstee, den ich für 5.70 CHF kurz vor dem Boarding gekauft habe, nehme einen Zug von meiner E-Zigarette mit Mürre-Aroma und geniesse meine zusätzliche Beinfreiheit. Endlich schlafen! Ich lasse die Sichtblenden runter (Europa sieht nachts von oben doch eh überall gleich aus), lege mir mein Nackenkissen zurecht, Ohropax rein, Schlafmaske über die Augen – und es kann losgehn. Aus der Ferne höre ich noch die beruhigenden Sicherheitshinweise von Didier. (Von MO bis DO ist er jeweils Chef de cabine, ab Freitag übernimmt dann die liebe Sonja. Ich bin mit beiden per Du. Die ganze Menschheit ist mit Didier und Sonja per du, ob man nun will oder nicht.) Ich döse langsam weg, der müde Körper freut sich über die summende Geräuschkulisse und mit dem Hochfahren der Triebwerke spüre ich gerade noch, wie sich mein Atem senkt und sich meine tiefsten Schnarchgeräusche in den Rhythmus des Geratters legen. Naja, und dann schlafe ich drei, vier Stunden durch. Da kriegt mich dann auch keiner wach. Klar, als starker Schnarcher kann man in diesem Fall von purem Egoismus reden, aber was soll ich sagen? Ich kann mich nun mal nur beim Fliegen richtig entspannen. Und ich stecke Didier und Sonja genug Trinkgeld zu, als dass die irgendwas unternehmen würden, wenn sich mal wieder jemand beschwert. Seit ich meine Wohnung aufgegeben habe und meine Nächte im Luftraum über Osteuropa verbringe, sind meine Schlafstörungen endlich weg. Ich habe alles probiert: die krassesten Schlafmittel, diverse Therapieformen, saunieren, Globulis, ätherische Ölwickel, Sport... Alles! Aber nichts hat sosehr geholfen, wie der sanfte Schlaf in 3000 Meter Höhe. Klar, zu Beginn ging das ins Geld. Aber mit guter Planung und den Vielfliegerlounges in Zürich und wahlweise Kiew oder Helsinki ist man in manchem Monat tatsächlich deutlich unter der üblichen Wohnungsmiete! Und ich bin ja nicht obdachlos. In meinem Büro habe ich alles, was ich sonst so brauche: Badezimmer, Mikrowelle, Kaffeemaschine und einen kleinen Kühlschrank. Auch die Utensilien sind nun billiger: Ein Nackenkissen ist ja mit dem Verkauf meines Bettes und den wegfallenden Waschkosten für die Bettwäsche fast hundertfach amortisiert. Natürlich, der einstündige Aufenthalt vor 35

dem unmittelbaren Rückflug ist jeweils ein unangenehmer Riss aus der Tiefschlafphase, allerdings tut dieses kurze Beinevertreten dem Rücken ziemlich gut. Zudem habe ich gute Kontakte geschlossen und die besten Möglichkeiten für Croissants ausgecheckt. In Kiew beispielsweise gibt es direkt bei Gate 28 einen klitzekleinen Snackstand, an welchem Lena arbeitet. Die Croissants werden immer 15 Minuten vor meiner Ankunft geliefert und sie lächelt jeweils, wenn ich um die Ecke komme und mit Handzeichen zwei Stück bestelle. Ich weiss nicht, ob sie oder der Snackstand Lena heisst. Jedenfalls steht dieser Name auf ihrem T-Shirt. Beim Rückflug komme ich dann nach zwei weiteren Stunden Tiefschlaf in eine angenehme Dösphase, in welcher die Träume und die Wirklichkeit verschmelzen. Dann führe ich seltsame Konversationen mit Sonja, das Flugzeug macht Loopings und manchmal lehne ich meinen schnarchenden Kopf an die Schulter meines Sitznachbars. Die Frage nach meiner persönlichen CO2-Billanz ist tatsächlich eine heikle. Wenn man jeden Tag fliegt, gibt es da natürlich keine Entschuldigung. Ja, ich belaste die Umwelt durchschnittlich hoch. Aber rein nervlich bin ich, zumindest im Arbeitsalltag, viel angenehmer für meine Mitmenschen. Auch im Flugzeug beschwert sich überhaupt nicht jeder. So mancher Sitznachbar hat auch schon seinen Arm um mich gelegt und laut mit mir mitgeschnarcht. Willkommen im 21. Jahrhundert. Laurin Buser, wohnt in Basel. Normalerweise steht er mit seinen Texten auf der Bühne und im Studio. Er ist Slam Poet, Schau-spieler und Rapper. Wer mehr wissen will geht auf laurinbuser.ch. Für dieperspektive schreibt er in jeder Ausgabe aus seinem Leben. Foto: Janick Zebrowski


THEMA

Plastiksackgebühr

Plastiksackgebühr : Supermärkte sollen umweltbewusste Kunden belohnen, nicht umgekehrt Text

Bice Lee Herold Gregor Schenker

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ir wissen, wie katastrophal es um uns steht und was die Menschheit schon alles vermasselt hat und dass es eigentlich für jegliche Rettungsaktion schon viel zu spät ist. Trotzdem habe ich mich entschieden, in den dunklen, kalten Norden zu ziehen, um mehr darüber zu lernen. Jetzt weiss ich: Nebst den Extremen vom «radikaler Aussteiger-Selbstversorger» und dem «Scheiss-egal-eh-zu-spätMegakonsument» hat es ein Mittelfeld für Durchschnittsmenschen wie mich, um Brücken zu bauen.

Das Plastiksäckli-Dilemma ist ein Paradebeispiel für Entscheidungsschwierigkeiten bei nachhaltigem Verhalten. Wie um alles in der Welt soll man sich denn richtig entscheiden, wenn nur schon die Entscheidung «Papiersack oder Plastiksack» eine mehrtätige Recherche benötigt? Dann lieber gleich zurück zum Habitus und Griff zum weissen Raschelsack. Unsere Konsumgüter sind so verstrickt in einem verworrenen Konstrukt aus Globalisierung, Politik, Macht, Lobbyismus und Schuldzuweisung, dass die Frage « nachhaltig oder nicht?» in vielen Fällen unglaublich komplex ist. Was die Säckli-Frage betrifft, wäre es ressourcentechnisch gesehen das Beste gar kein Säckli zu nehmen. Aber anstatt den Konsumenten mit einer SäckliGebühr vom Kauf abzuhalten oder gar zu bestrafen, könnte er für vorbildliches Wiederverwenden (oder Nicht-verwenden) belohnt werden. Und zwar nicht mit Geld, sondern mit Zeit. Liebe Supermärkte, wie wäre es mit einer Express-Kasse für vorbildliche Konsumenten ohne Plastiksäcke um den Umweltbewussten mehr Zeit zu schenken? Bice Lee Herold studiert Creative Sustainability an der Aalto Universität in Helsinki.

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THEMA

Bekenntnisse einer Foodwasterin

Bekenntnisse einer Foodwasterin Mein Job als Hilfskraft im Supermarkt hat mich je länger je mehr dazu gebracht, an der Gesellschaft und an unserem System zu zweifeln. Die Nachhaltigkeit ist dabei nur ein Aspekt von vielen, der dem ganzen Irrsinn ein Gesicht gibt. Text

Nadine Meier

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s macht mich krank, wenn ich massenhaft Esswaren wegwerfe, weil es für den Supermarkt lukrativer ist, die Waren abzuschreiben und zu entsorgen, anstatt sie noch jemandem abzugeben, der es sich nicht leisten kann, den Luxus «Essen» zu besitzen. Es kommt dabei nicht darauf an, ob es frische Pouletschenkel, SushiBoxen, Salate oder Sandwiches sind. Bei jedem dumpfen Aufprall in den grünen Lebensmittelabfallsack frage ich mich, wie krank unsere Gesellschaft ist und an welchem Punkt wir genau versagt haben, dass wir an diesem Punkt stehen. Nebst dem grundsätzlichen Unverständnis für die systematische Entsorgung von Essen habe ich auch noch nie verstanden, was es beispielsweise für einen Sinn macht, eine Stunde vor Ladenschluss noch warme Brotlaibe vom Ofen in Papierverpackungen zu stecken und ein Brot neben dem anderen schön im Gestell anzuordnen. Alles, um sie dann, kurz nach dem der letzte Kunde den Laden verlassen hat, schnell wieder aus den Papieren zu reissen und in Kisten zu legen, bereit für den Lastwagen, welcher am nächsten Tag den «Müll» abholt. (Von der unnötigen Abfallproduktion wegen der Brotverpackungen reden wir hier nicht einmal). Auch wenn im besten Fall daraus noch Paniermehl wird oder den Schweinen verfuttert wird – das Problem ist nicht gelöst. Ich habe von verschiedenen Erklärungsansätzen gehört, um dieses Phänomen zu rechtfertigen. Trotzdem finde ich diese Erklärungen mangelhaft. Beispielsweise gibt es die Theorie, dass die Supermärkte einen Vertrag eingehen, bei dem sie sich 37

verpflichten, bis zum Ladenschluss, frisches warmes Brot anzubieten. Falls dieser Forderung nicht nachgekommen wird, kann der Mieter dem Ladenbesitzer den Vertrag kündigen, da er sich nicht an die Abmachungen hält. Vermutlich ist der Geschäftsführer mit seinem nächsthöheren Chef die gleiche Verpflichtung eingegangen und hat Angst, seinen Job zu verlieren, wenn der Ranghöhere eines Abends unangemeldet vor dem leeren Brotregal steht. Bei der Obst/Gemüse-Abteilung und den Take-Away-Produkten herrscht genau das gleiche Prinzip. Es werden beispielsweise zwei Stunden vor Ladenschluss noch massenhaft Poulets zubereitet und schön angeordnet im Wärmeschrank präsentiert. Diese warten dann vergeblich auf Käufer, obwohl jedem bewusst sein muss, dass eine solche Anzahl Poulets bis zum Ladenschluss sicherlich nie verkauft werden können. Alles für die Ästhetik des Regals, denn Produkte, welche in vollen Regalen liegen, verkaufen sich besser. Essen gezielt als Dekoration und Kaufanimation einzusetzen – das ist die Dekadenz des 21. Jahrhunderts. Wenn man bedenkt, wie viele hundert Franken jede Woche in der Form von fri-


Bekenntnisse einer Foodwasterin

schem Fleisch in den Abfall geworfen wird, sind die bisherigen Beispiele noch harmlos. Wir bringen massenhaft Tiere um, um sie an einem von der Nahrungsmittelindustrie willkürlich festgelegtem Ablaufdatum respektlos in einen Abfallbehälter zu werfen. Die 50%-Aufkleber sind dabei lediglich ein kläglicher Versuch, die Abfallmenge ein wenig zu minimieren und dem Kunden sein schlechtes Gewissen zu entlasten. Denn auch bei einem umsatzstarken Tag wird es nie möglich sein, alle Produkte vor Ladenschluss verkaufen zu können. Dazu kommen die strengen Richtlinien, welche auch bei der Verwendung dieser Kleber nicht fehlen dürfen. Zum Beispiel gibt es für jede Produktgruppe einen bestimmten Zeitpunkt, ab wann sie für die Hälfte verkauft werden dürfen. Auch wenn es eine Stunde vor Ladenschluss kaum jemanden gibt, der spontan 20 Schwedentorten oder 45 Doppelpack Berliner einkauft, werden diese Vorschriften partout nicht angepasst. Der gesunde Menschenverstand ist in solch einer Institution leider nicht gefragt. Der Mitarbeiter hat Nadine Meier auszuführen, was von oben kommt, am besten ohne zu viele unangenehme Fragen zu stellen oder zu viel Eigeninitiative zu zeigen. Nebst den internen Abläufen, welche aus Sicht der Nachhaltigkeit unbefriedigend sind, muss man auch ein Auge auf den durchschnittlichen Supermarkt-Kunden werfen. Auch dort wäre sehr viel Aufklärungsarbeit gefragt und Verbesserungspotential vorhanden. Das PlastiksackProblem ist dabei der Klassiker. Weshalb braucht es für jedes einzelne Produkt aus der Gemüse/Früchte-Abteilung ein Plastiksäckli? Ich hätte auf diese Frage gerne eine Antwort, denn seit ich in diesem Job dieses Verhalten beobachte, frage ich mich, was der Grund dafür ist. Ich bin mir nicht sicher, ob es die Ignoranz oder das Routineverhalten des Menschen ist, oder ob es einfach am fehlenden Wissen liegt. Was auch immer es ist, es muss geändert werden, denn es ist eine einfache und wirksame Massnahme, seinen Beitrag im Alltag zu leisten, um die Ressourcenverschwendung einzudämmen. (Es ist nämlich durchaus möglich, mehrere Produkte in denselben Plastiksack zu stecken, nachdem man alle Produkte einzeln abgewogen hat. Was die Kassiererin schlussendlich benötigt, sind die Strichcode-Kleber der Waage. Egal ob dafür zehn oder -in einem guten Fall- lediglich drei Säcke verwendet wurden). Auch das Plastiksack-Problem nach dem Einkauf könnte umgangen werden. Weshalb müssen die gekauften Produkte (oft bereits im Plastiksack, da Produkte aus der Gemüse/Früchte-Abteilung) nochmals in einen Plastiksack verpackt werden? Bei vie-

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Wütend auf das System, enttäuscht von der Gesellschaft, enttäuscht darüber, ein Teil davon zu sein und wenig bis nichts bewirken zu können.

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len Menschen ist noch genug Stauraum in Taschen oder Rucksäcken vorhanden. Die zweite Alternative wäre, eine wiederverwendbare Tasche mit sich zu führen, um auch bei Spontaneinkäufen gerüstet zu sein und damit das Plastiksäckli umgehen zu können. Doch – das bin ich mir bewusst – ist bereits zu viel Wunschdenken meinerseits. Aber wenn dann der Bund diese Plastiktüten abschafft, wird vermutlich das Chaos ausbrechen, da der Kunde (noch) nicht bereit dafür ist, auch seinen Teil mitzudenken, wenn er einkaufen geht. Es ist diese Machtlosigkeit gegenüber Situationen und Tatsachen wie den jetzt geschilderten, die mich krank machen und die mich schlussendlich meinen Arbeitsort frustriert verlassen lassen. Wütend auf das System, enttäuscht von der Gesellschaft, enttäuscht darüber, ein Teil davon zu sein und wenig bis nichts bewirken zu können. Damit ich allerdings nicht die Mitleidsschiene fahre und realistisch bleibe: Ja, auch ich bin schon einmal mit EasyJet geflogen oder musste schon einen Plastiksack verwenden, wenn auch widerwillig. Ich will kein Moralapostel sein, doch es macht für mich bereits einen grossen Unterschied, ob man sich seinem Handeln bewusst ist, oder nicht. Denn wie man weiss, ist die Einsicht oft der erste Schritt zur Besserung. Schlussendlich ist deshalb alles, was mir zu tun bleibt, dass Bewusstsein zu fördern. Stetig zu versuchen, mich selbst und mein Umfeld zu ermutigen, unsere Verhaltensweisen zu beobachten und zu überdenken. Wenn möglich, unsere Handlungen auf ein nachhaltigeres Konsumieren auszurichten und umzustellen, an den gesunden Menschenverstand appellieren. Alles was ich tun kann ist, mich und meine Umwelt, meinen (Arbeits-)Alltag zu studieren, Schwächen zu erkennen, dadurch Alternativen zu entwickeln und neue Wege zu suchen, mit gutem Beispiel voranzugehen. Nadine Meier, 24, studiert an der ZHdK.


LESERBRIEF

Lieber Herr Nochholt, bitte verlassen sie uns nicht!

Liebe Perspektive, Während Ihr Titelblatt zur Gentrifizierung die Zeitschrift regelrecht aufgewertet hat, ist jenes zum Thema Scheitern in seiner Selbstreflexivität leider bei Weitem nicht so gescheit wie erhofft; es dient weder der Unterhaltung noch der Erhaltung natürlicher Werte! Wollen Sie Ihre nach Erhalt der letzten Perspektive unverhohlen verhalten reagierende Leserschaft wieder abholen, ist keine Zeit für Erholung – sonst ist die Mindesthaltbarkeit Ihres Magazins halt schon bald erreicht. Hoffentlich werden sich meine Befürchtungen im Nachhinein als haltlos herausstellen – und Sie das nächste Deckblatt nachhaltiger gestalten.

Zeichnen sie zum Beispiel eine Hundehalterin, die per Anhalter durch die Nachrichtenlandschaft reist oder eine Haltestelle für nachbarschaftliche Fahrgemeinschaften. Das hätte Nachhall! Noch halte ich zu Ihnen, aber es besteht klarer Nachholbedarf. Das möchte ich Ihnen vorhalten. Halten Sie die Ohren steif! Ihr Norbert Nochholt

GIBS OIS! Wir freuen uns über Lob und Beleidigungen. leserbriefe@dieperspektive.ch 39


Mi 4.März 12.00 Uhr

Gemeinderat, zu Tisch!

PRO GR

Beim Mittagessen im Karl lässt es sich ausgezeichnet streiten: Über Aktuelles, Politisches, Brennendes. Aber auch über Handfestes, Philosophisches und Persönliches. Einmal im Monat haben Zürcherinnen und Zürcher die Gelegenheit, im Restaurant Karl gemeinsam mit Gemeinderätinnen und Gemeinderäten zu essen und zu diskutieren.

Diesen Monat fragen wir in die Runde: «Gibt es Ihre Traumwohnung in Zürich schon? Wenn ja, warum wohnen Sie nicht dort?» Im März mit: Joe A. Manser SP Elisabeth Schoch FDP Reto Vogelbacher CVP

KAR Fr 20. März 20.00 Uhr

Podiumsdiskussion: Wie wohnen wir in Zukunft?

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Was wir offenbar wollen sollen: weniger Wohnraum in Anspruch nehmen, weniger Energie verbrauchen, weniger wegwerfen, weniger lange Wege zurücklegen, mehr teilen. Das Versprechen: mehr Sinn, mehr Lebensqualität, weniger Hektik. Der Haken: Das alles scheint vorstellbar, aber nicht greifbar.

Irgendwo harzt’s. Was kann die Politik tun? Was die Wirtschaft? Was die Gesellschaft? Was das Individuum? In diesem Spannungsfeld sitzen sich Persönlichkeiten mit ganz unterschiedlichen Ansätzen auf Karls Podium gegenüber. Auf dem Podium: Fabienne Hoelzel Architektin und Stadtplanerin (ETH Zürich / Fabulous Urban) Marco Salvi Projektleiter bei Avenir Suisse Dozent für Immobilienökonomie (ETH Zürich) Peter Schmid Präsident Wohnbaugenossenschaften Zürich und Genossenschaftsexperte Benedikt Loderer Stadtwanderer Moderation: Olivia Kühni freie Journalistin Im engagierten Publikum sind zudem verschiedene Menschen zugegen, die in ganz unterschiedlichen Wohnsituationen leben und darüber auch etwas zu sagen haben. Eintritt frei

Di 10. März 19.00 Uhr

Stammtisch Crowdfunding: Wohnen und Nachbarschaft

Hier treffen sich kreative und unternehmerische Köpfe, die ein Projekt über eine Crowdfunding-Plattform finanzieren möchten oder dies bereits getan haben. Man gibt sich gegenseitig Tipps, berichtet über Erfahrungen und heckt vielleicht sogar eine Zusammenarbeit aus.

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Mit am Stammtisch: Céline Fallet und Melina Roshard von wemakeit.com. Gäste: Sandra Ryf Nachbarschaftskomitee Lorraine und Verein «Hier baut das Quartier», Bern Lisa Ochsenbein Produktedesignerin und Mitgründerin von «Pumpipumpe»

Di 24. März 19.00 Uhr

Stammtisch des Unerwarteten

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Woher sollen wir wissen, was uns in einigen Wochen interessiert? Der letzte Stammtisch des Monats ist für Unvorhergesehenes vorgesehen. Sei es das aktuellste Weltgeschehen, eine kontrovers diskutierte Buchneuerscheinung, besorgniserregende politische Entwicklungen, ein gesellschaftliches Phänomen, das uns schon länger beschäftigt, oder ein Medienereignis: Am Stammtisch des Unerwarteten kommt es auf den Tisch. Jeden Monat neu, jeden Monat erst kurz vorher geplant, jeden Monat mit anderen Gästen. Das Thema im März erfahren Sie einige Tage vor der Veranstaltung auf www.karldergrosse.ch. Eintritt Frei

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Do 12. März 19.00 Uhr

Der Polit-Slam zu den Kantonsratswahlen Wahlveranstaltungen müssen nicht öde sein. An diesem Abend steigen sie in den Ring: Acht Politiker. Je fünf Minuten Redezeit. Eine Flasche Whisky für den Sieger oder die Siegerin.

Gekämpft wird im klassischen Slam-Format. In einer ersten Runde reden sich die Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer, welche alle für einen Sitz im Kantonsrat kandidieren, um Kopf und Kragen. Möglichst überzeugend präsentieren sie ihre Meinungen zum Thema «Wohnen». Kampfrichter Etrit Hasler wacht streng darüber, dass das Zeitlimit eingehalten wird, und verfügt über das feine Gehör um festzustellen, bei welcher Rede der Applaus und das Gejohle im Publikum am lautesten war.

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Nur die Drei mit dem höchsten Applaus-Pegel kommen in die zweite Runde; nun ist das Thema völlig frei und auch das Zeitfenster grösser. Die Spannung steigt nochmals. Wer bringt die Flasche Whisky heim zu den Parteikollegen? Liebe Fans, Ihr entscheidet über den Ausgang des Slams, darum: kommt und seid laut! Es treten an: Marc Bourgeois FDP Nina Fehr Düsel SVP Christina Hug Grüne Laura Huonker AL Andrea Meier BDP Urs Siegfried GLP Lucas Tschan SP Reto Vogelbacher CVP Moderation: Etrit Hasler Slam-Pionier, Journalist und Kantonsrat (SG) Eintritt frei

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Di 17. März 19.00 Uhr

Stammtisch Frau und Mann: Zusammenleben

Der Maler Diego Rivera liess zwei Häuser bauen: eines für sich und gleich daneben – verbunden durch eine schmale Brücke – eines für seine Frau Frida Kahlo. Die beiden Häuser erzählen etwas über das Zusammenleben des Künstlerpaars. Am Stammtisch wird diskutiert, welche Rollenmuster und Geschlechter stereotypen im gemeinsamen Wohnen abgebildet werden. Ist die Geschlechterdiskussion nach wie vor eine Kampfarena? Nach drei lebhaften Runden im vergangenen Jahr führen Alma Redzic und Pirmin Meyer die Auseinandersetzung weiter.

ER Eintritt frei

Vorschau April: Fr 17. April 20.00 Uhr

Powerpoint-Karaoke

Bereits nach zwei Durchführungen legendär: Powerpoint-Karaoke bei Karl. Wieder kämpfen sich mutige Menschen durch zufällige Präsentationen aus allen Fachgebieten – vom Autorucksack über das gemeinschaftliche Konsumsteuersystem bis hin zur Zwölftonmusik. Eine absurde Persiflage auf den alltäglichen Powerpoint-Wahnsinn. Durch den Abend führt die Wortdompteuse Nora Zukker. Eintritt frei / Geltungsdrang erwünscht

März , Weiter im April, Mai, Juni…: karldergrosse.ch

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BULLEN —PIXEL— KOLUMNE Nr.2

Die Rolle der Polizisten in unserer Gesellschaft. Nr.2

Schick uns dein Polizistenbild und wir drucken es ab.

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Gib din Sänf däzue!

Du füllst diese Zeitschrift! Bei dieperspektive hast du es in der Hand, was es zu Lesen gibt, welche Themen aufgegriffen und welche Bilder abgedruckt werden. dieperspektive ist eine lesergenerierte Zeitung. Das bedeutet, wenn dich ein Phänomen besonders beschäftigt, du über etwas Spezielles Bescheid weisst, oder einfach gerne Kurzgeschichten schrweibst: Schicks uns an artikel@dieperspektive.ch - egal, wie verrückt es auch sein mag!

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Wie kann ich für dieperspektive schreiben/illustrieren? Sende deinen Beitrag bis zum Redaktionsschluss an artikel@dieperspektive.ch oder lade ihn über die Webseite hoch. Als Dankeschön für eingesendete Beiträge bekommst du ein Halbjahresabonnement. Wird der Beitrag veröffentlicht bekommst du ein Jahresabonnement. Nächster Redaktionsschluss: Donnerstag, 26. März 23:55 Uhr

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Zu welchen Themen kann ich schreiben?

Pro Ausgabe gibt es ein Schwerpunktthema. Dein Beitrag hat erfahrungsgemäss die grössten Chancen, wenn er dieses Thema in irgendeiner Form behandelt. Es werden Jedoch auch Beiträge über andere Themenabgedruckt. Ausgewählt werden die Beiträge übrigens an der öffentlichen Redaktionssitzung. Dazu bist du herzlich eingeladen. Thema der nächsten Ausgabe: WG-GESCHICHTEN

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