Dialektik - Dezember 10

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SEITE12 Aufriss Ein geschriebener Ohrporno.

SEITE17 „Ist Züri drauf, ist Dialektik drin.“ Dialektik in Hülle und Fülle. Nur für dich.


EDITORIAL

03 Äs Cheibä Zügs isches.

HINTERGRUND

04 Die Macht der toten Vögel. 05 Zurück in die Zukunft. 06 Richtig parkieren beim Umzug. 08 Wir Kinder. 09 Die Urgründe der Entwicklung unserer Sprache. 10 10 Dinge die frau auf Partnersuche nicht tun sollte. TEIL I

Impressum Redaktion Simon Jacoby, Conradin Zellweger, Manuel Perriard Bremgartnerstrasse 66 8003 Zürich

Text M.V. | R.L. | D.L.| D.H. | D.T. | C.N. | A.H.B. | K.L. C.I. | I.R.

KULTUR

12 Aufriss 14 Designer‘s Saturday 2010 16 Junge Frische versus alte Konserve.

Illustration/Bild D.T. | S.H. | S.K. | P.W.

Foto K.L. | D.I.

Titelbild Bianca Barandun

Layout

THEMENSEITE 17 - 19 DIALEKTIK

Per Rjard

Lektorat Mara Bieler

Webdesign

KREATIVES 20 Stadtwildnis Die Sicht im Licht. 21 Kalte Ohren. 22 Ein Zürcher Herbst.

Timo Beeler | timobeeler.ch

Druck ZDS Zeitungsdruck Schaffhausen AG

Auflage 4000

Artikel einsenden artikel@dieperspektive.ch

Werbung info@dieperspektive.ch

Gönnerkonto PC 87-85011-6, Vermerk: Gern geschehen

Thema der nächsten Ausgabe Was wäre wenn. Weitere Themen zu folgenden Ausgaben auf dieperspektive.ch

Redaktionsschluss Sonntag 12.12.2010, 12.12 Uhr



Die Macht der toten Vögel. {Text} Michael Vogel

Ein anderer Blick auf die Ölpest im Golf von Mexiko - oder warum sie die eigentliche Katastrophe nur kaschiert.

„Auch wenn wir noch tiefer im Meer bohren und weitere Ölkatastrophen riskieren: Der Moment wird kommen, wo wir ohne diese Ressource leben müssen.“

Als wir im Frühling dieses Jahres unsere wunderbare Natur betrachteten, konnten wir uns wie immer in dieser Jahreszeit an singenden Vögeln, spriessenden Blättern und springenden Fischen erfreuen. Ein anderes Bild beherrschte hingegen Zeitungen und Bildschirme: tote Fische, schwarzes Schilf und Pelikane, die mit Rohöl verklebt um ihr Leben rangen. Die Rede ist von der Explosion der Ölplattform Deepwater Horizon. Zwischen 20. April und 16. Juli 2010 flossen ca. 750 Millionen Tonnen Erdöl ungehindert in den Golf von Mexiko. Dies entspricht einem Würfel mit einer Kantenlänge von fast einem Kilometer. Augenblicklich war klar, dass dies eine Katastrophe epochalen Ausmasses war. Auch der letzte Ökoignorant sah in BP den Feind der entwickelten Zivilisation, der nachhaltigen und naturnahen Menschheit, was selbstredend in einem Aufruf zum Boykott gipfelte. Dieser wurde vom bewussten Autofahrer mit einigen Ausnahmen - man muss ja schliesslich leben - während einer Woche knallhart durchgezogen. Gott sei dank handelte auch die mündige Gemeinschaft der amerikanischen Naturschützer ohne zu zögern. Waschanlagen für Vögel wurden eingerichtet und mit blossen Händen schaufelte man das Öl weg, wobei zufälligerweise ein Kamerateam anwesend war, das einen weinenden Fischer porträtierte. Die USA verbraucht die Menge ausgelaufenen Öls binnen acht Stunden, die Welt binnen zwei. Amerika würde es mit dem im Golf ausgelaufenen Öl also nicht einmal bis zum Mittagsburger schaffen. Währenddessen tun sich die Mikroorganismen im Meer an ihrem reichhaltigen Buffet verschiedenster Kohlenwasserstoffe, die den Hauptanteil des Rohöls ausmachen, gütlich und werden dieses in einigen Jahren ganz zum Verschwinden bringen. Genau so, wie sie es bei vergleichbaren Ölkatastrophen in der Vergangenheit auch schon getan haben. Mittelbis langfristige Folgen für das Ökosystem sind kaum zu erwarten. Und wären nicht enorme Mengen Dispersionsmittel ins Meer gekippt worden, könnte auch der Fischer in zwei Jahren wieder lachen. Denn diese Chemikalie löst zwar die Teppiche auf, verlagert das Öl in die Tiefe und rettet somit einige weitere Pelikane; über ihre Toxizität und Anreicherung in Nahrungsketten ist jedoch weitgehend nichts bekannt. Dies alles führt uns vor allem eines vor Augen: unsere hoffnungslose Abhängigkeit vom schwarzen Gold. Auch wenn wir noch tiefer im Meer bohren und weitere Ölkatastrophen riskieren: Der Moment wird kommen, wo wir ohne diese Ressource leben müssen. Die Vögel werden das Öl überdauern und rasch wieder zur Normalität zurückfinden. Wir vielleicht nicht. Nicht, wenn wir unvorbereitet bleiben. Was die toten Vögel geschafft haben, schafft die Vorstellung einer Zukunft ohne Öl kaum: im Rampenlicht stehen und Aktivismus hervorrufen. •


Zurück in die Zukunft. {Text} Ramona Lackner

„Trotz seiner modernen Vorsilbe ist das Proletariat, wenn es um Produktivität geht, nicht erwähnenswert.“

Wir leben heute in einer Zeit, die sich durch den Fortschritt auszeichnet. In erster Linie ist es der Fortschritt auf Wissensebene. Alles muss erforscht werden, damit es noch besser gemacht werden kann. Progress ist das Schlagwort unserer Gegenwart, die Vorsilbe Pro diejenige, die den Dingen Bedeutung gibt. Wer produktiv ist, wird hoch eingeschätzt und gehört zu denen, die nützlich sind für die Gesellschaft. Natürlich muss das jeweilige Produkt immer auch einen direkten Bezug zur KnowHow-Ebene haben und von ökonomischem Wert sein. Professionalität ist gefragt. Denn schliesslich ist das Einzige, was dabei zählt, der Profit. Trotz seiner modernen Vorsilbe ist das Proletariat, wenn es um Produktivität geht, nicht erwähnenswert. Wichtig und von ungeheurer Bedeutung sind nur die Gebildeten unter uns, die Profis, die in ihren Labors Protonen durch Maschinen jagen, Probanden für die Entwicklung neuer Theorien missbrauchen, bei Zufallsexperimenten die Probabilitäten berechnen und für die Computerwelt neue Programme herstellen. Das sind die Propheten der Menschheit. Doch nicht nur im Forschungs- und Wirtschaftsbereich, auch in der Gesellschaft macht sich das kleine Wörtchen immer beliebter. Was interessiert, sind die Promis, die Proportionen eines perfekten Modelkörpers und die Menge der Promille, mit welcher Britney Spears letzte Woche ins Spital eingeliefert wurde. Bis jetzt ist unsere Gesellschaft - mit Ausnahme von ein paar Wenigen - diesem Pro sehr bejahend gegenübergetreten. Wir sind also pro Pro. Doch wenn es ein Pro gibt, muss es dann nicht auch ein Kontra geben? Etwas, das sich gegen den Fortschritt richtet, etwas, das sich innerlich dagegen sträubt, bei diesem ständigen ElitenKonkurrenzkampf mitzumachen? Denn was heisst eigentlich Fortschritt? Man schreitet fort. Doch sicherlich nicht fort von den Dingen, denn gerade diese will man ja erforschen und immer wieder neu erschaffen. Das Einzige, was dabei auf der Strecke bleibt, ist das Selbst. Man schreitet fort von sich selbst, man flüchtet sich in eine Zukunft, die rein auf technischem und profitorientiertem Know-How basiert. Mittlerweile geht der Fortschritt auch so rapide vor sich, dass das FortSchreiten richtiggehend als Weglaufen, als fluchtartiges Davonrennen interpretiert werden kann. Irgendwann jedoch wird es einen Kollaps geben, wird diese ganze Maschinerie zusammenbrechen, denn auf dem Weg nach oben an die Spitze hat man vergessen, dass die Luft schnell dünn wird und die Sauerstoffreserven nicht für die Ewigkeit ausreichen. Niemand kann dieses Gehetztwerden zu immer noch grösseren Erfolgen, noch perfekteren Karrierelaufbahnen und noch höheren Geldsummen unbeschadet überstehen. Vielen wird plötzlich mit Schrecken bewusst, dass sie den Kompass zu Hause vergessen haben. Die Mehrheit unserer Gesellschaft stolpert mehr oder weniger orientierungslos durch die Gegend, ohne irgendwo einen Halt zu finden. Die unaufhaltsame Eigendynamik, die die Entwicklung der Moderne angenommen hat, ist ein Rasen zwischen Himmel und Hölle, die kleine Insel zum Auftanken gibt’s nicht. An dieser Stelle zeigen uns die drei Buchstaben noch einmal, dass sie voll und ganz zur heutigen Gesellschaft stehen und ihr auch in schlechten Zeiten treu bleiben: Problematik. Wenn aufgrund von aufgelösten Zusammenhängen in der modernen Welt nirgendwo mehr Halt zu finden ist, ist man automatisch auf sich selbst zurückgeworfen. Hier entscheidet sich, ob man die Chance bzw. die positive Freiheit der Formgebung wahrnimmt oder nicht. Es bietet sich nun die Möglichkeit, sich selbst besser oder neu kennenzulernen und auf diese Weise eine Basis für die Lebenskunst zu legen. Doch so leicht wird es einem nicht gemacht. So notwendig diese Arbeit an sich selbst ist, so schwierig ist es auch, sie wirklich durchzuführen. Paradoxerweise stellt aber gerade unsere pro-ausgerichtete Gegenwart dabei das grosse Hindernis dar. Wo in unserer Gesellschaft ist Asketik - die Grundvoraussetzung für die erfolgreiche Arbeit am Selbst - noch gefragt? Wo muss der moderne Mensch noch mühsam Schritt für Schritt etwas aufbauen, um erfolgreich an ein Ziel zu gelangen? Die Devise ist doch überall, mit minimalem Aufwand alles zu erreichen. Ich wage zu behaupten, dass unsere Gesellschaft zwar auf dem Weg nach oben ist, was das Know-How in allen möglichen erforschbaren Bereichen betrifft, aber in Sachen menschliches Know-How noch ziemlich in den Kinderschuhen steckt. Statt Progress wäre Regression angesagt, um wieder auf den richtigen Kurs zu kommen. Fortschritt sollte durch Rückschritt ersetzt werden, der Vorsilbe Re- gehörig Platz eingeräumt werden. Statt fort zu schreiten sollte man zu sich zurück schreiten, was den Beginn einer Modifikation der Moderne von unten, vom Individuum her, bedeuten würde. Es wäre das Wiedererkennen des eigenen Selbst, eine Wiederherstellung von Sinn, das Wiedererwecken der eigenen inneren Stimme, der Wiederaufbau einer neuen und gesünderen Gesellschaft. Das Re- wäre ein gewaltiger Schritt nach vorne. •


Richtig parkieren beim Umzug. {Text} Davide Loss

«Ist ein Parkplatz vorhanden, so ist dieser nicht nur (…) für das Ein- oder Ausladen von Gütern zu nutzen, sondern es besteht ausserdem die uneingeschränkte Pflicht, die für das ent-sprechende Parkfeld geltenden Bestimmungen einzuhalten»

Ein Umzug steht an, überall stehen Bananenschachteln herum. Die Kisten müssen mit dem Auto ins neue Zuhause transportiert werden. Wie soll man diese möglichst einfach und ohne grosse Verkehrsbehinderung verladen? Das fragte sich der Vater eines Kollegen. Er entschloss sich, das Auto möglichst nah am Hauseingang in der blauen Zone zu parkieren, um die Kisten (58 x 35 x 41 cm) direkt ins Auto laden zu können. Vom Estrich bis zum Hauseingang hatte der Mann 80 Treppenstufen zu neh-men, also 160 Stufen pro Ladevorgang. Rund zehnmal brachte er Kisten vom Estrich ins Auto, musste also insgesamt 1‘600 Stufen bewältigen. Rechnet man mit 3 Sekunden pro Stufe, kommt man damit auf 4‘800 Sekunden, also rund 80 Minuten. So lange brauchte der Mann tatsächlich. Und das war sein Pech, denn die erlaubte Parkzeit be-trägt in der blauen Zone nur 60 Minuten. Die Beamtin V. des Verkehrskontrolldienstes der Stadtpolizei Zürich liess das nicht auf sich sitzen und stellte dem Mann eine Ordnungsbusse we-gen Überschreitens der Parkzeit aus. Der Mann erklärte der Beamtin, er habe Güterumschlag getätigt, was gemäss Artikel 19 Absatz 1 der Verkehrsregelnverordnung nicht als Parkieren zu qualifizieren sei. Sie solle sich über ihr Funkgerät bei der Zentrale erkundigen. Die Beamtin kam dieser Bitte jedoch nicht nach und hielt an der Ordnungsbusse fest. Weil der Mann die Busse nicht bezahlte, wurde er beim Stadtrichteramt Zürich verzeigt. Nach durchgeführter Untersuchung fand am Bezirksgericht Zürich die Hauptverhandlung statt, in der ihn sein Sohn tatkräftig unterstützte. Der Mann verteidigte sich tapfer gegen den Vorwurf, die Parkzeit überschritten zu haben. Das Aufstellen von Parkverbotstafeln mittels Spezialbewilli-gung hätte den gesamten Verkehr behindert und wäre schlicht unverhältnismässig gewesen. Da er Güterumschlag getätigt habe, gelte die Privilegierung auch bezüglich der Parkzeit. Sein Sohn wies darauf hin, dass es gegen Treu und Glauben verstosse, wenn die Polizeibeamtin die Aus-kunft per Funk verweigere. Den Einzelrichter überzeugte diese Argumentation nicht, worauf er den Mann der einfachen Verletzung der Verkehrsregeln schuldig sprach und mit einer Busse von 40 Franken bestrafte. Dazu kamen 300 Franken Gerichtskosten und 582 Franken Untersuchungskosten. Der Mann liess nicht locker und zog den Fall ans Obergericht des Kantons Zürich weiter. Er ar-gumentierte erneut, Güterumschlag betrieben zu haben, was rechtlich nicht als Parkieren zu qua-lifizieren sei; er könne sich deshalb gar nicht der Überschreitung der Parkzeit schuldig gemacht haben. Das Obergericht führte aus, dass sich der Mann auch bei Tätigen von Güterumschlag in-nerhalb eines Parkfelds an die Parkzeitbeschränkung hätte halten müssen. Hätte er beim fragli-chen Einladen der Kisten sein Auto hingegen auf ein Halteverbot gestellt, wäre er nach Auffas-sung des Obergerichts wegen der Privilegierung des Güterumschlags ohne Busse davongekom-men. Als zusätzliche Komplikation kommt hinzu, dass man sein Auto auch für den Güterum-schlag nur dann auf ein Halteverbot stellen darf, wenn es in der Nähe keinen anderen Parkplatz gibt: «Ist ein Parkplatz vorhanden, so ist dieser nicht nur (…) für das Ein- oder Ausladen von Gütern zu nutzen, sondern es besteht ausserdem die uneingeschränkte Pflicht, die für das ent-sprechende Parkfeld geltenden Bestimmungen einzuhalten», schrieb das Obergericht. Als letzten praktischen Tipp für den nächsten Umzug gab das Gericht dem Mann noch mit auf den Weg, er hätte nach Ablauf der Parkzeit doch einfach mit seinem Auto ein bisschen herumfahren können, um dann erneut in der blauen Zone zu parkieren: ganz legal. Das Obergericht brummte dem Mann weitere 1‘000 Franken Gerichtskosten auf.


Weil dieser die Auslegung des Obergerichts für paradox erachtete, zog er den Fall mutig ans Bundesgericht weiter. Ich hatte die Ehre, die 16-seitige Beschwerdeschrift für den Mann zu ver-fassen. Wieder argumentierten wir unter anderem, der Mann habe Güterumschlag betrieben. Die Auslegung des Obergerichts, wonach der Mann ausserhalb eines Parkfelds, nicht jedoch inner-halb eines solchen, hätte Güterumschlag betreiben dürfen, verstosse gegen Bundesrecht. Einige Tage später flatterte beim Mann eine Verfügung des Bundesgerichts ins Haus, er habe 4‘000 Franken als Gerichtskostenvorschuss einzuzahlen, was der Mann umgehend tat. Zu unserer allergrössten Überraschung hiess das Bundesgericht zwei Monate später unsere Beschwerde gut. Das Heruntertragen und anschliessende Befestigen der Kisten sei als Güterumschlag zu qualifi-zieren. Die vom Obergericht angeführten Verhaltensanweisungen an den Beschwerdeführer (Einholen einer Spezialbewilligung bei der Polizei oder Wiedereingliederung in den Verkehr und anschliessendes Suchen eines neuen Parkfelds in der blauen Zone) seien wenig hilfreich. Wo freie Parkfelder vorhanden seien, müssten sie zum Güterumschlag benützt werden. Dabei sei eine allfällige Parkgebühr zu bezahlen oder die Parkscheibe einzustellen. Die zulässige Parkzeit dürfe indes so lange überschritten werden, als es für den Güterumschlag unumgänglich sei. Das einstimmig gefällte Urteil des Bundesgerichts ruft damit die Zürcher Strafbehörden zur Vernunft. Ein Riesenerfolg! Die 4‘000 Franken erhielt der Mann postwendend zurück. Infolge des bundesgerichtlichen Urteils wurde der Mann vom Obergericht nun tatsächlich von Schuld und Strafe freigesprochen und erhielt eine Umtriebsentschädigung zugesprochen. Sämtli-che Kosten wurden auf die Staatskasse genommen. Dem tapferen Mann sei an dieser Stelle herz-lich gratuliert! Nach dieser Odyssee quer durch die Instanzen ist nun sonnenklar, wie man beim Umziehen parkieren muss, oder etwa doch nicht? • Urteil des Bundesgerichts 6B_212/2010 vom 27. Mai 2010 – BGE-Publikation


Wir Kinder. {Text} David Howald

„Bald werde ich froh sein, wieder ein paar Kerzen in der Ferne zu erspähen um zu wissen, dass du über deinem Wesen und über einem Schlachtplan brütest.“

Wie Kinder haben wir uns die Gesichter zerkratzt. Um jeden Fakt und Nicht-Fakt gestritten. Um jeden Grad Anteil an einer nur uns bewussten Beziehungstorte in unserer ganz eigenen Sprache in unserer ganz eigenen Welt. Immer wieder haben wir gefeiert. Wiedervereinigung. Eine weitere Kerze in den Zuckerguss genagelt und angezündet, um uns im Schein des durch Vernunft und Zuneigung wiedererlangten Liebesglücks erneut den Rest zu geben. Kaum war ein Stück Torte - mit dem vergeblichen Versuch, es zu geniessen - heruntergewürgt, schon flogen die Krümel wieder aus unseren erbosten Maulwinkeln im Gegenverkehr durch die Luft. Ineinander verzahnt. Aneinander geheftet durch schöne Erinnerungen, Zeiten der Leichtigkeit, des Verliebtseins und der Geborgenheit. Aneinander geschweisst. Siamesisch und verzweifelt. Bis es zu eng wurde und alle Kerzen auf der Torte Feuer fingen. An Feuer fehlte es nie. Ein Spektakel an Schuldzuweisungen und Verweigerung: Schmollzustände, giftige Worte, emotionale Würgegriffe, Desillusion, Kapriolen zur Selbsterhaltung, Angst und Zweifel, saures Lächeln, Endzeithumor, Finten, Barrikaden, Eingeständnisse, wutentbrannte Crescendos der Vergebung, Nächte der Enthaltung, Annäherungsversuche, drahtige und verunsicherte Berührungen; Dornengestrüpp statt Rosenkrieg. Bis uns nur noch zu fragen blieb: 1. Ist Frieden in dieser Form der Zweisamkeit eine Illusion? Natürlich ist sie das. Aber für diese Art von Frieden sind wir definitiv noch zu jung. Also kreieren wir das nächste Schlachtfeld, backen die nächste Torte und treffen uns zum Love-Showdown. 2. Wollen wir das sein? Dieses unmögliche, sich selbst zerfleischende Konstrukt, dieses permanent hungrige, nie zufriedene Biest? Kann man in diesem konfusen Gefühlsknäuel überhaupt noch irgendwo klar die Liebe festmachen? Klar denken. Klar wissen, für was und für wen man all das auf sich nimmt und täglich den Preis zahlt. Ist dieser Tausch emotional noch rentabel? Emotional rentabel. Was für schreckliche Worte. An welchem Ende werde ich hier denn ausgespuckt? Stehen nicht solch ein Gedanke, solche Worte eben genau dafür, dass etwas schief gelaufen ist? Die immer wiederkehrenden und wiederzukäuenden Kapitel und Episoden unseres Ringens stumpfen uns ab, und so pendelt man sich auf einen Standpunkt ein. Versteckt sich in einem wertvollen Schützengraben mit dem Herz des Gegenübers als Geisel zur Seite. Es wird von der Angewohnheit zur Sucht, dem Anderen nicht mehr recht zu geben. Ist es erst einmal soweit, kommt man schwer davon los. Die Wunde reisst ständig aufs Neue auf. Das Fahrwasser ist zu verschmutzt und zu tief. Am liebsten würde man den Reset-Button drücken. Aber oh wie stark wäre man womöglich, würde man diese Krise - und Krise bedeutet ja nichts als Veränderung - gemeinsam bewältigen. Sich auf die alten Stärken besinnen und gleichzeitig emporsteigen auf ein ganz neues Level. Strahlend könnte man dem Untergang entfliehen. Aber ist nicht die Angst, die Liebe könnte zu gering sein, in Anbetracht eines solchen Kraftaktes zu gross? Man müsste sich seiner Sache sicher sein. Denn ein weiterer Krieg dieser Sorte würde das ganz persönliche Land und seinen fruchtbaren Boden nachhaltig schädigen. Wer weiss, wie lange diesem Boden kein gesundes Gras mehr entspringen und wie lange kein Vertrauen mehr aufkeimen könnte. Man müsste sich wirklich sicher sein. So wird es Nacht und ich liege unter meinen Stand- oder soll ich sagen Stützpunkt in meinem Schützengraben. Schon eine ganze Weile fliegt keine Leuchtrakete mehr. Nur noch Schwaden und der Geruch von Schiesspulver in der abgekühlten Luft. Bald werde ich froh sein, wieder ein paar Kerzen in der Ferne zu erspähen um zu wissen, dass du über deinem Wesen und über einem Schlachtplan brütest. Denn diese Torte war bitter und sättigend, aber bald auch schon wieder belustigend und süss. •


Die Urgründe der Entwicklung unserer Sprache. {Text & Colart} David Thamm

Das Verlangen danach, Gefühle zu teilen, persönliche Hintergründe und Erfahrungen seines Geistes weiterzugeben, wie auch die Imitation von Taten der uns umgebenden Familie oder anderweitigen Erzieher sind angeborene Intentionen des sozialen Ichs. Mit diesem Hang zur Nächstenliebe erschufen wir ein bislang einzigartiges und vernünftiges Kommunikationsgebilde der Menschheit. Unsere grammatisierte Sprache zeigt, dass es umso mehr zu erreichen, entdecken und erschaffen gibt, wenn wir uns besser verstehen und gegenseitige Interaktionen nicht bloss mit Gesten und Geräuschen vollziehen. Individuelle Erwartungen bezüglich Kooperation und die Schaffung von Sprachkonventionen für ein angenehmes Zusammenleben eröffneten dem Einzelnen die Wege, um stetig neue Bereiche des altruistischen Seins zu erschliessen. Genauso, wie Bestätigung und Wertschätzung die Persönlichkeit stärken. Dieses Bedürfnis, sich kund zu tun oder dem Nächsten interessiert zu lauschen, kreierte die wertvolle und prächtige Art unserer späteren Kommunikation. Noch heute sind dabei ikonische Gesten von grosser Wichtigkeit; man denke beispielsweise daran, wie der Barkeeper in einer lauten Bar gestisch dazu aufgefordert wird, das leergetrunkene Glas aufzufüllen. Diese unsere Kommunikation ist einmalig und sucht bei anderen Lebewesen ihresgleichen. Wir entwickelten im Gegensatz zu den Tieren (also auch zu den intelligenteren Gattungen wie den Affen oder Krähen) ein Zusammengehörigkeitsgefühl, welches über gemeinsame Jagdtätigkeiten und Abhängigkeitsverhältnisse hinausgeht. Die heutige Zivilisation mit ihren - mehr oder minder - moralischen Werten, den Gesetzen und Traditionen in so vielen Bereichen verdanken wir der Entwicklung menschlicher Idiomen. Das Eruieren und Erörtern geteilter Intentionen mit unseren Nächsten und der ausgesprochene Gerechtigkeitssinn des Menschen waren und sind weiterhin die zentralen Elemente für jede stabile Beziehung. Dies gilt sowohl für privat initialisierte als auch für geschäftlich ambitionierte Projekte. Drei essentielle mutualistische Faktoren waren für sprachliche Verständigung bereits veranlagt: 1. Imperatives Auffordern, das Fördern gemeinsamer Tätigkeit und eine äusserst aufmerksame Bereitschaft, anderen zu helfen und sich aufeinander einzustellen. (Im Unterschied etwa zum Affen, der Bananen auf dem Weg verliert und dessen Artgenosse oder Familienmitglied dies zwar sieht, aber nicht auf den Gedanken käme, den Kollegen auf den Verlust aufmerksam zu machen.) 2. Die informierende Äusserung über die ersichtlichen Dinge in der Umgebung. 3. Das Teilen von Emotionen und Gefühlen. (Im Gegensatz zu den Tieren, die sie nur zeigen.) Natürlich wollten wir bald auch über grössere Distanzen hinweg etwas erklären oder dem Gegenüber - wenn vom Ausflug zurück - erzählen, was in der Ferne erlebt worden war. Dies gelang zuerst durch abgestimmte Gesten und mit später konventionalisierten Ausdrücken. Es kam der Perspektivenwechsel hinzu, der uns infolge kultureller und regionaler Unterschiede half, im Gestalten und im Verständnis von Wörtern und zusammenhängenden Sätzen tiefgründiger und versierter zusammen zu agieren. Diese - hier nur ansatzweise dargelegten - fundierten und uralten Triebkräfte bestätigen, dass das menschliche Wesen die hoch entwickelte Kommunikationstechnik allein aufgrund des sozialen und gutmütigen Sinns in den Seelen erreichte. Das wiederum zeigt, wie wir eigentlich geschaltet sind: Schlechtes ist einfach noch nicht ganz gut genug…! Demzufolge scheinen die Ursachen dafür, dass wir uns heutzutage ziemlich konkret und effektiv äussern können, eine allgemein gültige Lebensweise auszudrücken: Die Willenskraft ist uns angeboren und zeichnet uns als Individuen mit (mal mehr oder eben manchmal weniger) prosozialem Charakter aus. • Buchempfehlung zum Artikel Buchtitel : Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation Autor : Michael Tomasello Verlag : Suhrkamp / 2010


10 Dinge die frau auf Partnersuche nicht tun sollte.

TEIL I.

{Text} Cornelia Noti

„Doch Vorsicht: trotz anfänglichem Spassfaktor fühlt sich frau früher oder später leicht überflüssig.“

Singlefrauen kennen dieses Gefühl. Vor allem, wenn sie über einen gewissen Zeitraum single sind. Ganz selbstverständlich wird frau auf den Partner angesprochen, und wenn sie erwähnt, keinen zu haben, mit einem ungläubigen „Warum nicht?!?“ angeschaut. Frau wird mit Partner zu Feiern eingeladen und Fertiggerichte sind für eine Person fast immer zu gross. Einmal als Single geoutet, wird frau entweder wie leicht zu habendes Frischfleisch behandelt oder es wird versucht, sie mit jedem Mann zu verkuppeln, der zufällig in der Nähe ist. Deshalb ist es nicht verwunderlich, wenn frau von diesem Zustand die Nase voll hat und sich bemüht, ihn zu ändern. Doch dabei macht frau leicht schwerwiegende Fehler… 1. Ein Profil auf einer Singleplattform eröffnen. Hört sich verlockend einfach, wenn auch ein wenig verzweifelt an. Ist aber trotzdem nicht wirklich empfehlenswert. Es sei denn, frau interessiert sich tatsächlich für Talismann67, schmusekater oder bengel_72, die allesamt charmant, intelligent, witzig, treu und wie für dich geschaffen sind. Auch wenn die Suche die Kriterien „25 - 32 Jahre, Bern, ledig“ beinhaltet, werden sich jede Menge 40- bis 50-jährige Zürcher melden, zu deren Traumfrau du mit nur einem Klick mutieren kannst. Auch die Bilder, welche gewisse potentielle Flirtpartner ihrem Profil anfügen, lassen böse Gedanken aufkommen, und die Verwunderung über die hohe Singlezahl schwindet. Sogar wenn die Einleitung mit vielen Erfolgsgeschichten gespickt ist und eigene Freunde beteuern, so viele tolle Menschen kennengelernt zu haben, ist dies leider nicht der Normalfall. 2. Zwischen Sonntag und Mittwoch ausgehen. Tatsächlich wird einer Frau unter dreissig an diesen Wochentagen mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Was ja auf Partnersuche an sich nicht das Schlechteste ist. Doch bei genauerem Hinsehen wird sehr schnell klar, weshalb. Denn welche Männer können zwischen Sonntag und Mittwoch morgens um zwei Uhr noch unterwegs sein und frau bewundern? Genau: Dauerausgeher, bei denen frau davon ausgehen kann, dass sie diese Gewohnheit mit oder ohne Partnerin pflegen, Arbeitslose, die den ganzen Tag nichts Besseres zu tun haben, als sich aufs nächste Ausgehen vorzubereiten, verantwortungslose Arbeitnehmer, die sowieso jeden Tag mit der Kündigung rechnen oder mittellose Studenten. Jede dieser Gruppen hat durchaus ihre Daseinsberechtigung, doch ob frau wirklich hier nach dem richtigen Partner suchen möchte? 3. Mit Pärchen rumhängen. Es kann passieren, dass frau früher oder später in die bedauernswerte Position gerät, in der alle ihre guten Freundinnen einen festen Partner haben. Sie werden dann häuslicher und laden zu Nachtessen, Homeparties und geselligen Spielen ein. Doch Vorsicht: Trotz anfänglichem Spassfaktor fühlt sich frau früher oder später leicht überflüssig. Selbst wenn sich dieses Gefühl nicht einstellen sollte, wird frau an Pärchenanlässen ganz sicher nicht ihren Zukünftigen kennen lernen. Es sei denn, frau möchte ihre Freundinnen loswerden und angelt sich einen Noch-Partner. 4. Sich bei jeder Begegnung mit einem männlichen Wesen fragen, ob der wohl zu haben wäre. Ein naheliegendes Phänomen und oft nicht zu hundert Prozent vermeidbar. Dennoch muss frau sich bemühen, dieses Verhalten auf ein absolutes Minimum zu beschränken. Denn auf Dauer wird es a) frustrierend und langweilig, b) extrem anstrengend, weil frau sich dauernd versucht, von ihrer besten Seite zu zeigen und c) kann frau sich nicht mehr auf den Spass, den sie eigentlich haben könnte, konzentrieren. Dabei sieht frau doch genau dann, wenn sie am meisten Spass hat, am


besten aus. Das „wie wäre der wohl“ Verhalten ist also nicht nur anstrengend, sondern zu allem Überfluss auch noch kontraproduktiv. 5. Auf Kuppelversuche von Freunden eingehen. Jeder findet seine Freunde nett und keiner behauptet von ihnen, sie seien hässlich. Und wenn frau bei der Beschreibung „Er ist kein Schönling, aber total lieb“ bereits dankend ablehnt, ist sie entweder total oberflächlich oder überanspruchsvoll. In dieser Situation kann frau nur verlieren. Selbst wenn sie sich mit besagtem Nicht-Schönling trifft und erst danach dankend ablehnt, werden es die Freunde nicht verstehen können, da die beiden doch so gut zusammengepasst hätten. Deshalb ist es die sicherste Methode, grundsätzlich nicht auf Kuppelversuche von Freunden mit Freunden einzugehen, ausser die Freunde veranstalten eine Party, bei welchem der potentielle Zukünftige auch anwesend sein wird. Wenn dann, wie zu erwarten ist, alles schief geht, hatte frau wenigstens eine Party mit kostenlosen Getränken. • Fortsetzung in der Januarausgabe!

Illustration & Grafik:

www.adriankeller.ch

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Aufriss. {Text} Apachenkönig Huntin‘ Beer

Nutten, Strassen und Böcke. Ein geschriebener Ohrporno, ein Gleichnis. Weil wirtschaftliches Denken cool ist und Baustellen lärmen.

„Die Presslufthammer tackern wie Rocco Siffredi zu seinen Glanzzeiten. Schnell! Hart! Gnadenlos…“

Zürich ist bekannt für seine grosse Auswahl an Liebesdiensten. Wäre ja schlimm, wenn man nicht alle Hurenböcke fachgerecht versorgen würde. Wer will, streicht leger der Sihl entlang; dem Connaisseur bieten sich frivole Etablissements an, um sich am Faden durchziehen zu lassen. Das kurbelt die Wirtschaft an und macht auch noch Spass. Toll. Das muss unserer demokratischen Regierungsdiktatur auch durch den Kopf gegangen sein. AUFREISSEN! WIRTSCHAFT ANKURBELN! Vielleicht sitzt in der Stadtregierung auch der eine oder andere Connaisseur, der sich für einen super Aufreisser hält und seine Erfahrungen einbringen konnte. Komm Baby, lass uns kurbeln! Es wurde gekurbelt. Und wie! Die Stadt wurde aufgerissen. Dort eine Strasse, hier ein Gehsteig! Neue Schienen brauchen wir! Ein riesiges Rambazamba… Und es kurbelt und kurbelt und kurbelt immer noch. Sobald die Löcher gestopft sind, kann man neue aufreissen. Ein Beispiel: Wenn ein engagierter Hurenbock beständig zu Werke geht, müssen wir den Import von Lustfleischware erheblich steigern. Die dazu wieder instand gesetzten Strassen können gleich wieder von dicken und dünnen leichten Mädchen in Beschlag genommen werden, welche stillos auf Stilettos die Strassen durchlöchern. Folglich muss man die Strassen wieder aufreissen und flicken, damit die Damen weiterhin aufgerissen werden können. Dieser Verschleiss führt wieder zu neuer Importware. WOW! Das ist ja so was wie ein Wirtschaftskreislauf! Unsere Hengste und Stuten in der Regierung müssen sich ähnliche Gedanken gemacht haben. Alles schön und gut, könnte man meinen. Aber… jetzt kommt’s! Die Presslufthammer tackern wie Rocco Siffredi zu seinen Glanzzeiten. Schnell! Hart! Gnadenlos! Sie lassen die Erde beben, bis unsere Ohrmuschis ertauben. Malträtiert und geschändet suchen sie die Ruhe. Die liebevolle, zarte Ruhe. Sie fliehen, halten sich bedeckt. Doch unbarmherzig dringt das Tackern weiter in sie ein. TACKTACKTACKTACKTACKTACK. Aber der weisse Retter naht! Flockig tanzend wird er vom Himmel steigen. Er wird die Strassen in unschuldiges Weiss umfärben, den heissen Teer abkühlen. Er wird uns befreien! Danke, Winter. •


Ruf Lanz

Da isst jeder gern vegetarisch. www.hiltl.ch


Designer‘s Saturday 2010 {Text & Foto} Karin Linxweiler

Spannend, wie verschieden die Erlebniswelten der Aussteller am 13. Designer’s Saturday am 6. und 7. November in Langenthal inszeniert sind. An den sechs Ausstellungsstandorten in den Werkhallen der fünf Gastgeberfirmen création baumann, Girsberger, Glas Trösch, Ruckstuhl und Hector Egger Holzbau sowie Mühlehof zeigen rund 70 Aussteller in stimmungsvollem Produktionsumfeld ihre Innovationskraft und Designkompetenz. Es ist dunkel, es dampft, klingt, bewegt, spiegelt, brodelt, rattert, erhellt, schillert, dreht, umhüllt in Farbtunnels, oder ist auch einfach nur in schöner Stille präsent. Was insgesamt auffällt: Es gibt wieder mehr verspielte Poesie.

„Erstaunlich, dass eine ZukunftsSchmiede für Schweizer Design so eine Präsentationschance derart ambitionslos an sich vorbeiziehen lässt.“

Seifenblasen, aus Kesseln gezogen, entschweben schimmernd in den eher dunklen Raum. Was hier in der alten Mühle in Langenthal die Blicke der Besucher verzückt, ist weit mehr als ein Kinderspiel. Elegant werden nicht einfach runde, sondern verschiedene geometrische Grundformen im Raum choreographiert, die letztlich die Basis hoher Designkunst ausmachen - es sei denn, das Ganze platzt. Die Inszenierung von Design als Konzeption gefällt dem Publikum genauso wie den Fachleuten - beide Kategorien wählen das greutmann bolzern designstudio noch am gleichen Wochenende zum Sieger des D’S Award 2010. Der Leuchtenhersteller Licht und Raum verführt mit kleinen Blechbooten, die ihre Bahnen durchs Wasser ziehen. Was auf den ersten Blick nach kindlichem Vergnügen aussieht, hat auch hier Designer-Konzept: Die eher strengen Formen und schlichten Linien der Hängeleuchten werden in ihrer Reflektion im Wasser durch das immer wieder neu entstehende Wellenspiel spielerisch aufgebrochen. Dieser Effekt überträgt sich auf das Verhalten am Stand: Das Eis ist gebrochen, die Besucher finden’s witzig, und schon fliesst ein lockeres Gespräch mit potentiellen Kunden. Design schafft hier ein passendes Umfeld, um eine stimmige Begegnung zu evozieren. Jegliche Sinne werden auch vom Design Preis Schweiz in seiner Location bei Ruckstuhl in Langenthal City angesprochen. Der grosse, hohe Raum mit vielen Fenstern lässt die tanzenden Strahlen der Herbstsonne herein. Auch akustisch ist der Raum durch fröhliches Stimmengewirr erhellt. Zur freundlichen Atmosphäre trägt sicher bei, dass hier feiner Tee ausgeschenkt wird, und zwar in diesen modernen, doppelwandigen Teegläsern, die den Tee warm halten und die Hände nicht verbrennen. Klar, dass sich dem von so viel Design umgebenen Besucher alle Sinne schärfen, so dass auch die Gläser und Teekannen in ihrem funktionalen und formschönen Design gewürdigt werden. Der Aussteller zieht diese Perspektive noch eine Ebene weiter. Wie eine Wolke hängen unzählige Teebeutel von der Decke bis fast zum Boden und nehmen die ganze Raummitte ein. Fantastisch, wie hier mit einfachsten Mitteln im Alltag unscheinbar gewordenes funktionales Design unserer kommoden Konsumwelt wieder augenscheinlich ins Zentrum des Bewusstseins gebracht wird. Als umfassendes Sinnerlebnis hat etwa auch der Textil-Hersteller création baumann seinen Auftritt inszeniert. Durch einen schmalen, hohen Tunnel aus lauter Stoffbändern geführt, erlebt der Besucher die Wirkung von Klang und Farbwelt so intensiv, dass sie körperlich erfahrbar werden. Körperlich-sinnliches Erleben ist auch Thema bei Duravit, der erstmals ausstellt und seine moderne Sauna mit der Bedeutung von Reinigung in unseren Urkulturen darstellt. Um hervorzuheben, wie wichtig beim Bade- und Sauna-Ritual eben auch der gleichzeitige Ausblick in die Natur ist, werden die Färbkessel der vorgegebenen Location sehr gelungen als Träger von Landschaftsbildern und als dampfendes Sprudelbad einbezogen.


So gibt es noch einige weitere begeisternde Präsentationen, wie etwa von atelier oï, Aqua Creations, Creaplant, Dietiker, Forbo Giubiasco, Foscarini, Girsberger, Keramik Laufen, Marburger Tapetenfabrik, Regent Lighting oder - in kleiner, stiller Poesie - wie von Stahlblau. Doch nicht alle Aussteller investieren gleich viel Gestaltungskraft, um Firma, Produkt, Prozess oder Präsentation designgerecht zu vermitteln oder gar einen Ausblick auf nahe Designtrends zu bieten. Nichts an Inszenierung der Sinnerfahrung oder gestalterischer Lenkung der Betrachterblicke zeigt die Hochschule Luzern, Design & Kunst, Produktdesign. Die Textildesign-Studentinnen setzen ihre limitierte Souvenir-Kollektion, entwickelt für den Shop des Schweizer Pavillons an der Weltausstellung 2010 in Shanghai, unfassbar einfallslos auf eine nackte, schräge Fläche. Erstaunlich, dass eine Zukunfts-Schmiede für Schweizer Design so eine Präsentationschance derart ambitionslos an sich vorbeiziehen lässt. Wenigstens ein paar Textil-Bänder spannen. Irgendwie. Um die Produkte herum. Oder so. Etwa wie der Blickfang, der ganz simpel die verschiedenen und von der Location her verzettelten Produkte-Inseln verbindet. Ganz anders haben sich die Hochschulklassen von Aarau, Zürich und Basel engagiert. Die Aarauer Studenten des Institut Industrial Design der FHNW zeigen ihre Stühle umrahmt von einer dreidimensionalen Steinskulptur. Die Bögen, die sich wie Tentakeln einer Krake über die ausgestellten Produkte spannen, sind durch erstmalige Anwendung eines neuen Computer-Programms des Bereichs Architektur und Digitale Fabrikation der ETH Zürich berechnet und geschnitten worden. Bedeutung und Material sind etwas erdrückend für die ausgestellten Möbel, insbesondere auch, weil die Inszenierung sehr dunkel gehalten ist. Das machen aber Studenten wieder wett, die sich munter für Fragen anbieten, wie sie es auch mit grossen weissen Fragezeichen auf schwarzen T-Shirts witzig vermitteln. Insgesamt also eine runde Sache, wie die verschiedenen Sinne und Anliegen der Konsumenten angesprochen werden. Auch die Basler FHNW Klasse für Innenarchitektur und Szenographie hat sich etwas Gutes einfallen lassen und zeigt, wie ein schlichtes Thema mit einfachen Mitteln zum Erlebnis umgesetzt werden kann. Dabei richtet sie ihre Designkraft nicht auf ein Produkt, sondern gleich auf den gesamten Herstellungsprozess. Zu Schlangenbögen gestapelte Holzharrassen umrahmen die Mosterei, in welcher der Besucher an frischen Äpfeln und am Saftprozess vorbeischlendert. Spätestens bei der Flaschenabfüllung läuft ihm gluschtig das Wasser im Mund zusammen und erfreut nimmt er ein Fläschli frischen Mosts entgegen. •


Junge Frische versus alte Konserve. {Text} Cécile Imhof {Foto} Dominic Illi

„Wenn nach diesem literarischen Wettkampf also eines klar wird, ist es die erfreuliche Tatsache, dass unsere alten Literaturkönige alles andere als mottenbeladene Greise sind.“

Die altbekannte Generationendichotomie Jung versus Alt beschäftigt nicht mehr nur wissenschaftliche Disziplinen wie die Psychologie oder die Soziologie, sondern hält seit März 2010 auch Einzug in die schweizerische Sprachkulturszene des Poetry Slam. Am 22. Oktober konkurrierten nun schon zum zweiten Mal junge Schnellredner und alte Schweizer Schriftstellergrössen auf den ehrwürdigen Brettern der Zürcher Pfauenbühne. Ganz nach dem Prinzip „Vier gewinnt“ traten vier zeitgenössische Slam-Dichter aus der Schweiz und Deutschland gegen vier der populärsten Schweizer Autoren des letzten Jahrhunderts, von grandiosen Schauspielern verkörpert, an. Für ein vor Pointen fast überquellendes, informatikorientiertes Highlight sorgte der Jungpoet Simon Libsig aus Baden, während die Berliner Performance-Poetin Peh eine Hommage an das Singledasein der heutigen Frau ablieferte. Micha Ebeling, der alte Hase der Berliner Lesebühnen, schmetterte eine mit unvergleichlichen rhetorischen Kunststücken versehene Parodie des deutschen Rappers Bushido hin. Im gegnerischen Lager brillierte vor allem einer: Daniel Buser als auferstandener Ludwig Hohl, der seinem Alter Ego in Sachen neurotischer Neigung und melancholischer Tiefsinnigkeit in nichts nachstand. Max Frisch im Körper von René Schnoz nahm uns mit auf eine Reise durch seine alles anzweifelnden Fragebögen, auf die bis heute niemand wirklich treffende Antworten gefunden hat. Wenn nach diesem literarischen Wettkampf also eines klar wird, ist es die erfreuliche Tatsache, dass unsere alten Literaturkönige alles andere als mottenbeladene Greise sind. Durch den Vergleich mit den jungen Spoken-Word-Dichtern lebt ihre wohlgeformte Sprachkunst abermals auf, stellt dabei die heutige Dichtung des Poetry Slam aber keinesfalls in den Schatten, denn sie ist schlicht anders. Jung und Alt repräsentiert nun mal den Klassiker aller Dichotomien. Doch die Faszination dieses Gegensatzpaares liegt genau darin, dass die Differenz zwischen den beiden Grössen unüberwindbar ist, wodurch beide Extreme in ihrer Art einzigartig und wertvoll bleiben. Somit verwundert es auch nicht, dass das Publikum letztlich den zeitgenössischen Poetry Slam Giganten Ebeling und den speziell für diesen Anlass auferstandenen Schweizer Schriftsteller Frisch zu gemeinsamen Siegern kürte. •


Sehr herzlich geehrte Leserschaft {Text & Linolschnitt} dieperspektive

Die Themenseite ist eines der Herzstücke von dieperspektive. Normalerweise werden nur die besten der guten Beiträge auf den Themenseiten abgedruckt. Diesmal ist alles ein Bisschen anders…

In der allerersten Dezemberausgabe von dieperspektive erlaubt sich die erlauchte Redaktion, sämtliche Beiträge zu publizieren. Auf den folgenden Seiten finden die lieben Lesenden also ausnahmslos alle Artikel, Fotos und Illustrationen, die ihr uns zum Thema „ist Züri drauf, ist Dialektik drin“ gesteckt habt. Eines schönen Nachmittags fanden sich die Redaktoren zu einer Sitzung, um das Thema zu bestimmen: von Dialektit, über Züri, nach Mani Matter bis zur Bio-Werbung („Ist die Knospe drauf, ist Bio drin“) wurde alles gebrainstormed. Das Resultat liest sich leicht und versteht sich schwer. Ohne Frage, es ist ein Risiko alle Beiträge zu veröffentlichen. Ihr habt es selber in den Fingern, mit welchen Leckereien dieperspektive bestückt wird. In diesem Sinne wünscht euch die Redaktion viel Vergnügen.




Stadtwildnis. {Illustration} Stefanie Hess (kwerbeet.ch)

Philosophieunterricht über Wahrheit und Dichtung Das Denken schweift in eine andere Richtung Zu Leben, Tod und Einsamkeit Eine Suche allein oder im Geleit Uns bleibt stets zu wenig Zeit.

Die Sicht im Licht. {Text} Isabelle Baudet

Ende des Forschens, Ruhe des Seins Nur in den dunklen Welten des Scheins Gnade, Vergebung durch andere Mächte Das Befolgen aller geschriebenen Rechte Bringt uns nicht durch finstre Nächte Weist uns nicht den Weg ans Licht An dem, wie wir erhoffen, alle Angst zerbricht Nach dem wir alle aufwärts streben Glauben, alles herzugeben Für dieses Ziel, das vollendete Leben. Was nächtelang uns schreckt und quält Lebensnotwendig ist und fehlt Sind Fragen, Augen, Menschen und Gesichter Seelen sind die wahren Lichter Das Einzigartige im Lebenstrichter In dem doch alles einem Ende zugeht Auf allem nur noch „abgelaufen“ steht. Die Zeit rennt und niemand weiss, wohin Wir suchen ständig nach dem Sinn. Wir brauchen Leben, Menschen, Energien Einen Schlussstrich unter den Alleingang ziehen Nicht mehr in schöne Träume zu entfliehen In der Einbahnstrasse zu wenden Einer fremden Seele Grüsse zu senden Die eigenen Wünsche und Antworten zu finden Braucht Mut, Begeisterung und Wille Mach einen Ton aus deiner Stille!


Kalte Ohren. {Illustration} Samuel Kaufmann


Ein Zürcher Herbst. {Illustration} Peti Wiskemann

Peti Wiskemann stellt Zeichnungen aus dieser Serie in der Ausstellung «Bildwelten_4» im Kunstraum r57 aus. 34 Kunstschaffende zeigen ihre Werke auf 18 Quadratmeter. Mittwoch 1. Dezember bis Samstag 18. Dezember 2010 www.r57.ch


smokefred.com

Rauchen ist tรถdlich. Fumer tue. Il fumo uccide


texte|illustrationen|bilder|comics

GESUCHT! sucht junge, alte, grosse kleine, jung gebliebene alte, kreative, mutige verrückte und humorvolle texterInnen illustratoren|ILLUSTRATORINNEN zeichner-INN E N , f o t o g r a f e n & i n n e n undODER meinungsmacher_innen um die monatszeitung dieperspektive mitzugestalten und sich fetten RESPEKT zu verschaffen!

Für euch haben wir uns was ganz Spezielles ausgedacht. «dieperspektive» ist die innovativste Neuerung in der Zeitungslandschaft der letzten Jahre. Als erste Zeitung sind die Leser zugleich die Journalisten. Die Idee ist so einfach, wie effektiv. Die Lesenden schreiben, die Redaktoren publizieren. Diese Zeitung bietet all jenen eine Plattform, die ein grosses Mitteilungsbedürfnis und ein Schreib- oder Kunsttalent besitzen; und das – läck Bobby – jeden Monat aufs Neue! Da jeder Leser zugleich Autor sein kann, entsteht ein noch nie dagewesener Dialog, der zu kritischem Konsum von Information und Medien führen wird. Doch das ist noch nicht alles: Mit dem Abonnement wird dir «dieperspektive» nachhause geschickt. Mitmachen ist ganz einfach: Beitrag herstellen, einsenden, fertig. Wird der Beitrag publiziert, wird der Autor oder die Autorin entlöhnt. Nie war Zeitungsmachen so einfach. Abonniert, Beiträge eingesendet und geschmöckert wird im Internet auf dieperspektive.ch Jetzt abonnieren in drei einfachen Schritten: 1. Talon ausfüllen, 2. in ein Couvert stecken und 3. zur Post höselen. Einsenden an: dieperspektive, c|o Simon Jacoby, Bremgartnerstrasse 66, 8003 Zürich NAME

Fette Props für die geile Idee!

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Wie wärs mit ein bitzeli mehr Tiefgang?

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