Dada - Spezialausgabe

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A D A D 13. Ausgabe

November 2011

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masseneinwanderung stoppen .... seite 07 das bist du ................................. seite 21

Eroeffnungs- Manifest, 1. Dada-Abend Zuerich, 14. Juli 1916 Dada ist eine neue Kunstrichtung. Das kann man daran erkennen, dass bisher niemand etwas davon wusste und morgen ganz Zuerich davon reden wird. Dada stammt aus dem Lexikon. Es ist furchtbar einfach. Im Franzoesischen bedeutets Steckenpferd. Im Deutschen: Addio, steigt mir bitte den Ruecken runter, auf Wiedersehen ein ander Mal! Im Rumaenischen: 'Ja wahrhaftig, Sie haben Recht, so ist es. Jawohl, wirklich. Machen wir'. Und so weiter. Ein internationales Wort. Nur ein Wort und das Wort als Bewegung. Es ist einfach

furchtbar. Wenn man eine Kunstrichtung daraus macht, muss das bedeuten, man will Komplikationen wegnehmen. (...)

ff. SEITE10 seite 24 dieperspektive presentiert: s o i r é e t h è â t r e im cabaret voltaire am 18. november


INHALT 13. Ausgabe, November 2011

editorial ..................................................... das duell ................................................... staatsaufgabe nr.1 ..................................... das problem staenderat ............................. masseneinwanderung stoppen .................. occupy wallstreet, occupy paradeplatz ......... morgens um 7.15 uhr .................................. hippiekacke ................................................

seite 03 seite 04 seite 05 seite 06 seite 07 seite 08 seite 09 seite 09

n e b A a d a D nifest, 1.

Ma s g n u 1916 n f i l f u J . 4 Eroe 1 , h Zueric 0 seite 1

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n o i t A r e PA r 17

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16 hase 2 ........................................................ das unbehagen in der kultur ....................... das bist du ................................................. serinus kneiparia ........................................ einladung soirée thèâtre ...........................

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seite 18 seite 19 seite 21 seite 23 seite 24

redaktion ....................................................... dieperspektive, s.j.a, c.z,m.p, bremgartnerstr. 66, 8003 zürich text ............................................................................................................................ c.z. | p.w. | m.s. | s.a.j. d.j. | f.m. | m.b.| k.k. | l.l.| o.b. | a.h.b. illustration/bild ............................................................................................................... m.k | d.r. | e.a. | g.s. cover .................................................................................................................................................... m.k. layout ............................................................................................................................................. per rjard lektorat ................................................................................................................ mara bieler & daniela bär webdesign .......................................................................................................... timo beeler | timobeeler.ch redaktionsmitarbeiter................................................................................. jonas ritscher & konstantin furrer druck ..................................................................................................... zds zeitungsdruck schaffhausen ag auflage ............................................................................................................................................... 4000 artikel einsenden .................................................................................................. artikel@dieperspektive.ch werbung .......................................................................................................... conradin@dieperspektive.ch abo ......................................................................................................................... abo@dieperspektive.ch leserbriefe ..................................................................................................... leserbriefe@dieperspektive.ch thema der nächsten ausgabe ................................................................................................... copy & paste gönnerkonto ................................................................................ pc 87-85011-6, vermerk: gern geschehen redaktionsschluss ......................................................................... mittwoch 16. november 2011, 23.55 uhr

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EDITORIAL 13. Ausgabe, November 2011

Liebe Leserinnen, liebe Leser Für diese Ausgabe haben wir uns was ganz Spezielles ausgedacht: Du da, dada da. Das soll offensichtlich ein dadaistisches Thema sein. Und ehrlich gesagt bin ich so froh wie selten zuvor, dass den Inhalt unserer Zeitung die lieben Leserinnen und Leser liefern. Denn ich verstehe Dada nicht. Und noch weniger kann ich dadaisieren – also selber Dada machen. Es ist zweifellos lustig, dass im Cabaret Voltaire über dem Cheminée eine tote Katze hängt. Und es ist auch amüsant, wenn Dada-Künstler wie Hugo Ball Gedichte mit wirren Buchstabenformationen beginnen:

„jolifanto bambla o falli bambla“.

Aber echt, wie soll ich das verstehen? Was sagt mir die tote Katze? Ich bin mir fast sicher, dass Dada mehr will als unterhalten. Nicht nur unser aktuelles Layout ist dadaistisch. Auch die Themenseiten sind es. Das zeugt – OberDada sei dank – davon, dass unsere Schreiberlinge und Zeichner Dada besser verstehen als ich. Und das ist gut so. Denn unsere Zeitung soll nicht nur unterhalten. Aber Unterhaltung gehört dazu. Darum pilgern wir alle am 18. November ins Cabaret Voltai r e und lauschen den sechs besten Artikeln des letzten Jahres. Das ist unterhaltsam und auf einem erstaunlich guten Niveau. Die Autoren M a r co Büsch, Apa chenk ö n i g H u n t i n’ B e e r, P. M . W., M a r i a n n a L anz, David Howald und S i l v a n K ä m p f e n lesen ihre Artikel vor und kämpfen um den Titel des „Artikel des Jahres“. Und es ist wichtig, dass du dabei bist. Denn du, das Publikum, wählt den Artikel. Wir haben Stimmkarten und sonstige tolle Sachen für euch vorbereitet. In diesem Sinne: Auf zur toten Katze. Erweisen wir ihr am 18. November ab 18:30 Uhr die letzte Ehre. Übrigens: Alle nominierten Artikel findet ihr auf unserer Homepage. Nicht dada, sondern schön übersichtlich.

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„Märchenhafte, einzigartige Schmuckstücke, handgefertigt aus Halbedelsteinen, Edelmetallen und ausgesuchten Materialien. Liebevolle Accessoires für immer und überall. Ein kleines Stückchen Luxus, dass sich jedes Portmonee leisten kann.“

Ein Gedicht von K u r t S c h w i t t e r s auf den Weg: Vier Maurer saßen einst auf einem Dach. Da sprach der erste: "Ach!" Der zweite: "Wie ists möglich dann?" Der dritte: "Daß das Dach halten kann!!!" Der vierte: "Ist doch kein Träger dran!!!!!!" Und mit einem Krach Brach das Dach.

P.S.: Der Blablameter.de ist schon sehr lässig. Dieses Edito hat einen Wert von 0.13. Simon A. Jacoby Redaktor

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HINTERGRUND 13. Ausgabe, November 2011

Das Duell #3 {Text} * Conradin Zellweger und Peter Werder

Conradin Zellweger

Peter Werder

Im Jahre 1916 spielten sich zwei bemerkenswerte Ereignisse in der Zwinglistadt ab. Erstens: Es begann eine Serie von heftigen Krawallen aufgrund sozialer Spannungen, ausgelöst durch die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen des Ersten Weltkrieges auf die Schweiz. Zweitens: Ein geselliger Haufen um Hugo Ball & Co. begründete im Cabaret Voltaire den Dadaismus. Die Protestkunst schlechthin, welche unbestrittene Einflüsse bis in die Gegenwartskunst hat. Die sozialen Probleme spiegelten sich im Dadaismus wider. Missstände in der Gesellschaft fanden eine neue Ausdrucksform in der Kunst. Dadaismus erschuf revolutionäre künstlerische Elemente wie die Publikumsbeschimpfung und Unsinntexte. Keine Frage, die dadaistische Kunst ist Geschmackssache, so wie alle Kunstrichtungen. Viel wichtiger als die Ästhetik scheint mir jedoch beim Dadaismus die soziale Funktion zu sein. Die Kunst etablierte sich als ein Ventil, um auf soziale Missstände aufmerksam zu machen. Dada war eine Protestkunst. Eine sogenannte Antikunst, die sich gegen die festgefahrenen Konventionen der damaligen Kunst stellte. Aber das war nicht das einzige Festgefahrene, gegen das sich der Dadaismus wehrte. Nein, Dada war auch gegen politische Werte, gegen die bürgerlichen Werte. Nun, geschätzter Herr Werder, wir befinden uns im Jahre 2011, fast hundert Jahre nach der Geburtsstunde von Dada. Europa ist in einer Krise. Die Schweiz, wie auch damals schon, befindet sich dabei in halbwegs komfortabler Lage. Und was erleben wir? Jugendliche und auch Erwachsene gehen auf die Strasse und liefern sich Schlachten mit der Polizei. Gehen in Stadien und prügeln sich gegenseitig windelweich. Die Gründe dafür mögen vielfältig sein. Ist es nun die Wohlstandsverwahrlosung oder der Protest gegen die Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft oder einfach die Frustration der Eurokrise? Entscheidend ist, dass ein offensichtlich nötiges Überdruckventil unserer Gesellschaft versagt. Abstriche im kulturellen und sozialen Sektor sind da sicherlich keine Lösung. Auch die Forderung des bürgerlichen Lagers, die Gelder für das Cabaret Voltaire zu streichen, ist ein Schuss nach hinten. Zumal uns das Geburtshaus des Dadaismus wie ein Denkmal daran erinnert, dass Zürcherinnen und Zürcher vor knapp hundert Jahren mit weit grösseren Schwierigkeiten umgegangen sind und dabei Kunstgeschichte geschrieben haben. Oder wie Richard Hülsenbeck sagte: „Dada siegt!“

Dadaistische Aktionskunst vom Staat finanziert – Arp, Ball und der von Ihnen zitierte Hülsenbeck würden sich im Grabe umdrehen. Protestkunst, die sich von denen füttern lässt, gegen die sie revoltiert? Ein Mäzen unterstützt jemanden, ohne dafür eine Gegenleistung zu erwarten. Er tut dies, weil er gut findet, was der andere tut. Das ist eine noble Geste. Solange das Privatpersonen, Stiftungen oder Unternehmen machen, geben sie Geld aus, das ihnen gehört. Tut es der Staat, setzt er – im Namen des Volkes – Steuergelder dafür ein. Da kann man nicht mehr einfach davon ausgehen, dass es toleriert wird, wenn Hirschhorns Figuren über Blocher-Bildchen pinkeln und in Abstimmungsurnen kotzen. De gustibus non est disputandum – zahlen es aber alle, ist ein gewisser Konsens notwendig. Hirschhorn und die Pro Helvetia missachteten 2004 diesen Konsens. Die Grenze verläuft unter anderem da, wo Entscheidungsträger, die am Staats-Mäzenentum-Hebel sitzen, persönlich angegriffen werden. Das sind nun mal auch rechte Politiker. Ein Mäzen ist für den Künstler da, er lässt ihn machen, aber ich glaube nicht, dass er sich auf den Kopf pinkeln lässt. Jetzt müssen wir unterscheiden. Wenn Sie die Aktivitäten des Cabaret Voltaire etwas genauer ansehen, werden Sie feststellen: Das Cabaret Voltaire ist einerseits ein bisschen Museum (Sie vergleichen es mit einem Denkmal), und das soll man mit Staatsgeldern durchaus unterstützen. Das kann man unter Rahmenbedingung subsumieren, Denkmalpflege, von mir aus unter TourismusStandort und so weiter. Das Cabaret Voltaire ist andererseits auch Protestkunst und Dada geblieben. Es belebt die Szene mit Projekten, die einmalig und richtig dada sind (Kompliment an Direktor Philipp Meier). Dada erfindet sich im Cabaret Voltaire immer wieder neu. Dada lebt! Die Protestkunst ist nicht glaubwürdig, wenn sie sich von denen finanzieren lässt, die sie kritisiert. Da tätscht es auch dem grosszügigsten Mäzen irgendwann den Nuggi raus. Und dabei geht es eben nicht um die ach so intellektuelle Frage nach guter oder schlechter Kunst. Da geht es einfach darum, wo die Grenze der Mehrheit, wo der Konsens liegt. Das ist ein demokratischer Entscheid. Und eine Protestkunst soll alles andere als mehrheitsfähig (oder eben: demokratisch legitimiert) sein. Es geht um künstlerische Freiheit. Lässt sich Dada vom Staat finanzieren, ist Dada nicht mehr frei. Mehr noch: Dada ist nicht mehr glaubwürdig, nicht mehr alleine überlebensfähig. Dada ist Protest. Also: Staatsgelder fürs Dada-Museum sind ok, Staatsgelder für Dada nicht. Denn Dada muss dem Staat auf den Kopf pinkeln können.

* Conradin Zellweger, 23, Student in Publizistik & Kommunikation, Redaktor dieperspektive, aus

PS: Ach, all die Gewaltbereiten an den illegalen Parties und im Fussballstadion: Wohl eher ein psychologisches als ein soziales Phänomen. Höchst unintelligent, uninspiriert, flach und nicht nachhaltig. Überflüssig und nervig. Wollen wir das nicht einfach der Polizei überlassen? PPS: „Occupy Paradeplatz“ – was war da schon wieder die genaue Forderung?

Zürich * Dr. Peter Werder ist bürgerlicher Politiker, Dozent an der Universität Zürich und leitet die Kommunikation eines Konzerns im Gesundheitswesen

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POLITKOLUMNE 13. Ausgabe, November 2011

Staatsaufgabe Nr.1 {Text} * Mario Senn

Landesverteidigung ist die erste und edelste Aufgabe des Staates. In der Prioritätenliste liegt sie weit vor dem Sozialstaat, dem Bau von Verkehrsinfrastrukturen, der Kulturförderung oder der Universitätsfinanzierung. Dieser Anspruch lässt sich aus mehreren Dimensionen beleuchten. Einerseits stand zu Beginn der Staatenbildung das gemeinsame Bedürfnis nach Schutz im Vordergrund. Gegen Bezahlung – und meist auch einer gewissen Form der Unterwerfung – erhielt man in der Burg des lokalen Adligen Schutz in Notsituationen. Ähnlich in den „freien“ Gebieten wie der alten Eidgenossenschaft: Staatliche Strukturen dienten primär der Abwehr äusserer Feinde. Andererseits lässt sich diese bevorzugte Stellung auch ökonomisch begründen. Landesverteidigung ist ein klassisches Beispiel für ein „öffentliches Gut“, welches von Privaten nur ungenügend (gesamtwirtschaftlich also zu einer Ineffizienz führend) hergestellt würde. Ein öffentliches Gut zeichnet sich dadurch aus, dass niemand von seinem Konsum ausgeschlossen werden (Nicht-Ausschliessbarkeit) und zur gleichen Zeit von mehr als einem Individuum konsumiert werden kann (Nicht-Rivalität). Beide Eigenschaften fördern das Trittbrettfahren, welches bei rein privater Bereitstellung zu einer Unterversorgung führt. Sicherheit erfüllt diese Eigenschaften: Beispielsweise profitieren von der präventiven Wirkung der Landesverteidigung dienenden Institutionen alle sich in der Schweiz aufhaltenden Personen. Ein Staat konstituiert sich nach Georg Jellinek durch ein Staatsgebiet, ein Staatsvolk und eine auf diesem Territorium herrschende Staatsgewalt. Zu einem wirksamen Staat gehört deshalb auch die Fähigkeit, sich – sein Staatsvolk, sein Staatsterritorium – gegenüber äusseren Feinden zu verteidigen. Das gilt auch für die Schweiz. Dabei ist jenen beizupflichten, welche zurzeit keinerlei äussere Bedrohung für unser Land sehen. Tatsächlich sind wir momentan von relativ friedlichen Staaten umgeben, die sich höchstens Instrumenten eines Wirtschaftskrieges bedienen. Ob dies so bleiben wird, ist hingegen unklar. Hätte man 1925 die Menschen gefragt, ob Kriege wieder möglich wären und ob eine grosse Armee unterhalten werden solle, hätten die meisten mit „nein“ geantwortet. Wer wagt sich heute mit Prognosen hervor, die die Welt von 2025 vorhersagen? Auch ich werde mich davor hüten. Jedoch ist es naiv zu glauben, Kriege seien für immer ausgeschlossen. Daran erinnern uns nicht nur die Balkankriege der 1990er Jahre in unmittelbarer Nachbarschaft, sondern auch ein anderer Umstand: Erst seit 2008 geniesst unser nördlicher Nachbar Deutschland die mit damals 63 Jahren längste Friedensphase seiner Geschichte! Bis 2008 hielt diesen Rekord eine andere Zeitperiode. Das Deutsche Reich

war von 1555, vom Augsburger Frieden an, bis 1618, ähnlich befriedet wie heute Deutschland. Diese Phase endete 1618 mit dem Ausbruch des 30-jährigen Krieges, der bekanntlich als einer der gewalttätigsten Kriege Europas in die Geschichte eingehen sollte. (Dazu passt, dass noch bis in die 1960er Jahre Umfragen unter Deutschen diesen Krieg noch vor den beiden Weltkriegen zum zerstörerischsten Ereignis der deutschen Geschichte kürten.) Deshalb kann es auch für die Schweiz keine Option sein, auf eine Armee zu verzichten. Sie ist das einzige Sicherheitsorgan, welches in der Lage ist, die Landesverteidigung sicherzustellen. Diese Fähigkeit, sich jederzeit gegen Feinde verteidigen zu können, aufzubauen, ist teuer. Ebenso der nachhaltige Erhalt dieser Fähigkeiten. Die Systeme, auch im Kriegsmaterialbereich, sind wesentlich komplexer geworden. Vorbei sind die Zeiten, als man einfach schnell den Landsturm aufbieten und Hellebarden verteilen konnte. Auch sind die Reaktionszeiten heute wesentlich kürzer. Das alles bedingt eine gut ausgerüstete und ausgebildete Armee. Diesem Grundsatz wurde in den letzten Jahren nicht mehr Rechnung getragen. Auf eine Armee einzig aufgrund der Kostenfrage zu verzichten wäre, wie wenn man seine Brandschutzversicherung aufgrund der vermeintlich zu hohen Prämien künden würde. Ist dieses Risiko bei der Brandschutzversicherung noch kontrollierbar, ist es dies bei der Armee definitiv nicht mehr. Die Fähigkeit, sein Volk und sein Territorium zu verteidigen, gehört untrennbar zum Wesen eines Staates. Wird darauf verzichtet, riskiert man nicht bloss ein Haus, sondern den Staat. Es ist schon erstaunlich, wie vorzüglich linke Politiker, die sonst bei jeder Gelegenheit nach einem starken Staat rufen, diesem bei seiner Kernaufgabe die nötigen Mittel vorenthalten wollen. Es gibt indessen kein Bereich, in dem mehr gespart wurde. Die GSoA-Initiative nach einer Halbierung der Armee wurde, trotz der deutlichen Ablehnung durch das Volk, faktisch längst umgesetzt. Es ist an der Zeit, diese Fehlentscheide rückgängig zu machen.

* Mario Senn ist Volkswirt und liberaler Politiker in Adliswil ZH, er schreibt monatlich zum Thema Politik Antworte Mario Senn auf leserbriefe@dieperspektive.ch

Fitzgerald & Rimini 11. November 2011 im Eisenwerk Frauenfeld

Fitzgerald&Rimini erzählen vom Alltag und vom Wahnsinn. Ihre Geschichten handeln von Schweizer Randgruppen: von Autonomen, Aristokraten, Berner Oberländern, Heilsarmeeoffizieren, Rentnern und drogensüchtigen Gassenmädchen. Mit bissigem Humor und liebevoller Hingabe rückt Fitzgerald die Figuren in den Mittelpunkt des Geschehens und macht sie so zu Helden. Deren Blick auf die Welt entlarvt die Absurditäten des Gewöhnlichen. Sie fechten die Kämpfe aus, vor denen sich die Gesellschaft drückt. Show ab 20.00 Uhr Mehr auf eisenwerk.ch

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6 Das Schweizer Parlament ist in zwei Kammern geteilt: National- und Ständerat. Der Nationalrat hat 200 Mitglieder und bildet die Kantone nach Grösse und Parteistärken ab. Der Ständerat hat exakt die gleichen Kompetenzen wie der Nationalrat, ist mit 46 Mitgliedern deutlich kleiner und sollte die Kantone repräsentieren. Letzteres geschieht mehr schlecht als recht. Die Ständerätinnen und -räte sollten möglichst viele Mehrheiten in ihrem Amt vereinigen können. Da sie in den Kantonen mit dem Mehrheitswahlrecht in ihr Amt gehievt werden, entsteht eine verzerrte Vertretung in Bern. Die Mitteparteien profitieren von diesem Wahlsystem und sind so überproportional im Ständerat vertreten. Jedoch werden nicht nur die Polparteien diskriminiert. Ganze Bevölkerungsschichten sind viel zu schlecht oder gar nicht im Ständerat repräsentiert. Die Frauen sind untervertreten. Die Jungen sind fast gar nicht vertreten. Die Arbeiter sind auch nicht vertreten, da ein grosser Teil des Ständerats traditionell aus Juristen besteht. Nicht einmal der Mittelstand wird angemessen repräsentiert und die lateinische Schweiz wird stark dominiert. Von einer Vertretung des Volkes kann also nicht wirklich die Rede sein. Der Ständerat politisiert damit deutlich am Volk vorbei. Er ist auffallend konservativer und ländlicher als die Schweizer Bürger. Natürlich freut das Parteien wie die CVP, FDP und neuerdings auch die Grünliberalen, die damit ihre unerwünschten Interessen unverhältnismässig stark in den Gesetzgebungsprozess einbringen können. Viel verändern müsste man nicht. Denn die Tatsache, dass auch kleine Kantone mit ihren beiden Sitzen im „Stöckli“ ein Gehör finden, ist eine gute Eigenschaft des schweizerischen Systems – der sogenannte „Schutz von Minderheiten“. Des Rätsels Lösung ist so einfach wie pragmatisch: Einführung des Proporzwahlrechts. Was wir seit 1919 im Nationalrat kennen, würde auch im Ständerat zu einer grösseren Schnittmenge zwischen Volk und Parlamentariern führen.

Die Mitglieder des „Stöckli“ sollten die Kantone in Bundesbern vertreten. Auch nach den Wahlen findet sich ein verzerrtes Bild im Ständerat.

{Text} * Sven A. Johannson

Das Problem Ständerat

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* Sven ist 22 Jahre alt, kommt aus Zürich, studiert Publizistik und Politikwissenschaften und ist aktiv in

Rechts

Mitte

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HINTERGRUND 13. Ausgabe, November 2011


HINTERGRUND 13. Ausgabe, November 2011

Masseneinwanderung stoppen {Text} * Daniela Jovanovic

Wer hat sie noch nicht gesehen: Die schwarzen Schafe, die roten Ratten, die farbigen Hände, die sich um Schweizer Pässe raufen, die Minarette, die bedrohlich von unserer Fahne emporragen oder die dunklen Füsse, die über die selbige trampeln. Die Liste ist lang und wird mit Sicherheit noch länger werden. Doch eines ist klar: Der SVP fallen wohl nicht bei jeder ihrer Kampagnen so schöne Alliterationen wie bei den beiden erstgenannten ein. Ja, sogar die SVP hat ihre Grenzen, leider nur am falschen Ort. An einem Freitagnachmittag rief ich das SBBServicecenter in Brig an, um ein bei der Rechnungsstellung aufgetretenes Missverständnis zu klären. Ich staunte nicht schlecht, als die Dame am anderen Ende der Leitung mir plötzlich in einem gehässigen Ton sagte, der SBB sei gewiss kein Fehler unterlaufen, mein Vater verstehe lediglich sicher kein Deutsch und habe deshalb die Abmachung nicht verstanden. Offenbar schloss sie von meinem ausländischen Nachnamen kurzerhand darauf, meine Eltern könnten kein Deutsch. Das Schöne an der Schweiz ist, dass niemand wegen seiner Meinung eingesperrt, gefoltert oder gar umgebracht wird. Aber trotzdem frage ich mich, ob es nicht zu weit ging, so etwas von einer Mitarbeiterin eines staatlichen Unternehmens zu hören.

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JETZT ERST RECHT !

Wie dem auch sei, die Hetzkampagnen der SVP erreichen sehr viele Menschen. Kein Wunder, ihre Kampagnen sind immer sehr emotionsgeladen. Und dort, wo die Gefühle anfangen, endet der Verstand. Ohne Frage haben Migrantinnen und Migranten in der Schweiz ein schlechtes Image, sei es als Kriminelle, Scheininvalide oder Raser. Aber was ist mit den Gebildeten unter ihnen? Sobald ein Migrant eine gewisse Bildung vorweisen kann, seinen Beruf in der Schweiz ausüben darf und gut integriert ist, gilt er bei den Einheimischen oft gar nicht mehr als Ausländer. Doch dies ist ein Fehler. Wie sonst kann man das Image der Ausländer verbessern, wenn man immer nur diejenigen herausfiltert, die negativ auffallen, und nur über diesen Teil spricht? Fakt ist, dass ohne Migranten die Schweizer Wirtschaft nicht funktionieren würde. Das hat neuerdings sogar die FDP erkannt, weshalb sie sich jetzt auch von der Masseneinwanderungsinitiative distanziert.

ma: Rund 40‘000 ausländische Arbeitskräfte sind gemäss Zahlen der Unia in Gemüsebetrieben in der Schweiz angestellt. Dass es in der SVP viele Unternehmer gibt, die gegen eine sogenannte Masseneinwanderung wettern, selber aber viele Ausländer beschäftigen, dürfte nicht erstaunen. Beispielsweise beschäftigt SVP-Politiker und Gemüsebauer Ernst Schibli in seinem Betrieb viele Portugiesen, die für Tiefstlöhne arbeiten (zwischen 2‘300 und 2‘700 Franken netto), gleichzeitig politisiert er aber gegen die „Masseneinwanderung“, von der er selber profitiert. Wichtig erscheint mir hervorzuheben, dass Ausländer nicht nur die unteren Schichten der hiesigen Bevölkerung abdecken. Wie bereits erwähnt, findet man viele Migranten in der Forschung, in der Pflege, aber auch im Bildungswesen, vor allem an Universitäten, als Professoren oder als Studierende.

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Werfen wir aber einen Blick auf konkrete Begebenheiten: Die Gewerkschaft Unia hat im Rahmen ihrer Kampagne „Ohne uns – keine Schweiz“ einige interessante Zahlen veröffentlicht. Gemäss dieser Publikation zahlen die Migrantinnen und Migranten mehr in Sozialwerke wie die AHV ein (26.7%) als sie daraus beziehen (17.9%). Weiter heisst es, die Schweiz sei geschichtlich gesehen ein armes Auswanderungsland gewesen, bevor es durch Einwanderungsströme seinen heutigen Wohlstand erreichte. Ohne Migrantinnen und Migranten wäre die Schweiz nur halb so innovativ in der Forschung, wenn man bedenkt, dass rund 60% aller Forscherinnen und Forscher keinen Schweizer Pass haben. Die Pflege wäre nicht das, was sie heute ist, da auch hier 40% des Personals keinen roten Pass besitzt. In Schweizer Schokoladefabriken würde ohne ausländische Arbeitskräfte, deren Anteil sich auf 60% beläuft, keine Schoggi hergestellt werden. Auch das Schweizer Gemüse ist ein The-

Ein Teil dieser Studierenden ist direkt oder indirekt durch die „Masseneinwanderung“ aus dem Balkan in den neunziger Jahren in die Schweiz gekommen. Sie bilden sich weiter, um vielleicht einmal in Wirtschaft, Gesundheitswesen oder Forschung führende Positionen einzunehmen und so unser Land voranzutreiben. Man darf nie vergessen, dass wir schliesslich alle Menschen sind. Dies verbindet uns. Es gibt gute Menschen, schlechte Menschen, kriminelle Menschen, anständige Menschen, ehrliche Menschen und unehrliche Menschen. Aber allem voran ist man zuerst Mensch. Erst dann, meinetwegen an zweiter Stelle, falls man es als wichtig erachtet, nach Nationalitäten zu unterscheiden, Afrikaner, Araber, Albaner, Engländer, Italiener, Portugiese oder Rumäne. Eigentlich könnte ich stolz darauf sein, der SVP genau das Gegenteil von ihren geläufigen Vorurteilen zu beweisen. Ich bin es aber nicht. Warum? Weil meine Nationalität Mensch ist.

* Daniela Jovanovic hat serbische und bulgarische Wurzeln, wurde in der Schweiz geboren und auch eingebürgert. Sie studiert Wirtschaft, Politologie und Soziologie an der Uni Bern.

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HINTERGRUND 13. Ausgabe, November 2011

Occupy Wallstreet, Occupy Paradeplatz {Text} Fionn Meier

Die Leute sind empört – zu Recht. Doch was kann man ändern?

kontrolliert wird. Dieser Prozess hat sich nämlich in den letzten dreissig Jahren mit dem Aufkommen der elektronischen Zahlungsmittel drastisch verändert, ohne dass dies von den Politikern und der Öffentlichkeit bemerkt wurde. Gemäss der Schweizer Verfassung darf nur die Nationalbank die gesetzlichen Zahlungsmittel Münzen und Noten ausgeben. Mit dem Auf-

Über 1500 Leute haben über Facebook ihre Teilnahme an der Kundgebung vom Samstag, 15. Oktober angekündigt. Angefangen hat die Protestaktion vor einigen Wochen in der Wallstreet. Nicht gegen die Regierung richtete sie ihren Unmut, sondern gegen das ANZEIGE Wirtschaftssystem und gegen die Banken. Deshalb ist man auch in der Wallstreet, dort, wo sich die grösste Börse der Welt befindet. Die Leute, darunter auch viele akademisch Gebildete, berichten von Verlust von Arbeit und Wohnung, von fehlenden Krankenversicherungen und von Perspektivenlosigkeit. Früher wäre man mit diesen Problemen vor die Regierung gegangen und hätte dort bessere Bedingungen gefordert. Heute sind die Leute jedoch auf der Wallstreet und zeigen auf die Banken, auf den Kapitalismus und auf die Wirtschaft! Dies muss man zuerst richtig verdauen. Wären dies nicht Forderungen an die Politik? Vieles deutet darauf hin, dass in Amerika, aber immer mehr auch bei uns in der Schweiz, die Politik von der Wirtschaft unterwandert wird. Nicht mehr politische * Schmales Budget, volles Programm. Ideale, sondern marktwirtschaft Mit der KulturLegi erhalten Sie 30–70% Rabatt auf liche Interessen bestimmen die Politik. Dies haben auch die Leu Kultur, Sport, Bildung und Gesundheit. te in Amerika bemerkt und richten ihren Protest daher nicht gegen die Politiker, sondern direkt gegen die Wirtschaft, die faktisch www.kulturlegi.ch/zuerich die Politik bestimmt. Wo man früher in der Politik über Ideale stritt, versuchen heute Lobbyisten Gesetze durchzubringen, 111017_Inserat Perspektive.indd kommen 1 des digitalen Zahlungsverkehrs wurde die den Gewinn ihrer Branche maximieren. jedoch der Anteil von Münzen und Noten an Weiter ist die Tatsache interessant, dass die der gesamten Geldmenge immer kleiner. Heute Proteste im Quartier der Banken stattfinden. beträgt er in der Schweiz etwa noch zehn ProSind denn die Banken Schuld an den fehlenden zent, Tendenz sinkend. Das restliche Geld wird Arbeitsplätzen, an der wachsenden Einkomheute von den Banken geschöpft, indem sie mensschere und an der Gewinnsucht der UnKredite vergeben. Dies bedeutet, dass 90 Proternehmen, die ihre Lobbyisten in den Senat zent unseres Geldes durch die Banken in Umschicken? lauf gebracht wurde. Jeder kennt das SprichWeitere Überlegungen legen nahe, dass auch wort „Geld regiert die Welt“, nun sollte man hier die Leute auf der Wallstreet richtig liegen. sich aber Fragen, wer denn das Geld regiert. Um dies zu verstehen, ist es wesentlich zu beIn unserem heutigen Finanzsystem sind dies greifen, wie heute Geld entsteht und wie dieses

die Banken. Wie stark der Einfluss der Banken heute geworden ist, wird klar, wenn man beachtet, wie die Demokratie durch Finanzinstitute ausgehöhlt wird. Früher beschränkte sich dies auf Entwicklungsländer, die vom Internationalen Währungsfond diktierte Reformprogramme durchführen mussten, um Kredite zu bekommen. Heute passiert dasselbe mit Griechenland und weiteren Europäischen Staaten, die sich dem Druck der Finanzinstitute beugen müssen, um nicht Bankrott zu gehen. Die Demokratie steht der Macht des Geldes hilflos gegenüber. Wo birgt sich nun aber der Hoffnungsschimmer für eine bessere Zukunft? Auch auf der liberalen Seite ist man zur Einsicht gelangt, dass der Finanzsektor nicht sich selber überlassen werden kann und stärkere Regulierungen braucht. Regulierungen beheben jedoch nicht die Wurzel des Problems, sondern versuchen nur die Schmerzen, welche durch das System verursacht werden, zu lindern. Die Wurzel des Problems liegt in der Schöpfung des Geldes durch die Banken. Hierfür gibt es einen einfachen und eleganten Lösungsansatz: Die Vollgeldreform, auch bekannt unter dem Namen „100%-Geld“. Diese Reform sieht vor, die Gesetzeslücke, die sich mit dem Aufkommen der digitalen Zahlungsmittel ergeben hat, wieder zu schliessen, indem die Nationalbank neben den Münzen und den Noten auch zur alleinigen Ausgabe von digitalem Geld ermächtigt wird. Den Banken würde somit die Lizenz zur Geldschöpfung entzogen und sie müssten sich wieder auf die Be17.10.2011 treuung10:35:22 und Vermittlung von Geld beschränken, ohne selber Geld herzustellen. Dies würde die Macht der Banken massiv einschränken und somit sicher einige der heutigen Probleme lösen, wenn auch nicht alle. Die Banken wären zum Beispiel nicht mehr systemrelevant und könnten daher nicht mehr so viel Druck auf die Politik ausüben. Die Demokratie würde gestärkt und könnte wieder für sozialere und gerechtere Rahmenbedingen sorgen. Man würde mit seinem Unmut nicht mehr auf die Wallstreet, sondern vor das Weisse Haus gehen.

Dabei sein, auch mit wenig Geld.

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KULTUR 13. Ausgabe, November 2011

Morgens um 7.15 Uhr {Text} * Marco Büsch

Letzten Freitag musste ich um 7.15 Uhr auf mein Tram, was für meine Verhältnisse ziemlich früh ist. Obwohl das eigentlich für jedermanns Verhältnisse ziemlich früh sein sollte. Jedenfalls bin ich extra ganz hinten eingestiegen, weil ich später auch wieder hinten aussteigen musste – ziemlich clever also, fand ich, zumindest beim Einsteigen. Ungefähr fünf Minuten später hatte sich allerdings meine Meinung diesbezüglich um 180 Grad gedreht und ich wünschte, einen Waggon weiter vorne eingestiegen zu sein. Aber unwissend wie ich war, setzte ich mich auf einen dieser Einzelsitze und wollte gerade ein bisschen vor mich hindösen, als ganz hinten im Tram jemand zu singen anfing. Eigentlich war es mehr ein Geschrei und Gebrüll: Abwechslungsweise wurden die Wörter «FCZ», «Züri», «Olé», und «Schiri Hueresohn» willkürlich aneinandergereiht und laut hinausposaunt. Manchmal wurde auch eines der Wörter bis zu zwanzigmal hintereinander geschrien. Und das um 7.15 Uhr in der Früh. Aber natürlich habe ich da kein Büro aufgemacht, ich meine, das ist Zürich, lil’ big city, da ist es normal, wenn schon frühmorgens irgendwelche Leute im Tram umherbrüllen. Das macht ja auch dieses Städtische aus, es gibt einem dieses Grossstadt-Gefühl. Überdies bin ich ein Anhänger des FC Zürich und dies selbstredend auch um 7.15 Uhr morgens. Ich fühlte mich also nicht bemüssigt, mich mühselig umzudrehen, um zu schauen, von wem diese Ruhestörung kam. Als der junge Mann (er hörte sich wie ein junger Mann an) dann aber im Eifer des Gefechts plötzlich «FCZ Hueresohn» oder «Züri Hueresohn» schrie, musste ich mich dann trotzdem leicht verärgert nach ihm umdrehen. So geht das ja nun wirklich nicht! Alles hat seine Grenzen. Besonders frühmorgens um 7.15 Uhr, wobei es mittlerweile schon 7.25 Uhr war. So wollte ich also dieser Person mindestens ein paar böse Blicke zuwerfen und drehte mich um. Ich weiss nicht genau, welchen Terminus ich zum genaueren Beschrieb der Person verwenden darf und welchen nicht, das ändert ja ständig. Jedenfalls war der junge Mann geistig zurückgeblieben. Er hatte das Downsyndrom. Trisomie-21 (Wikipedia sei Dank!). Nun kam mir mein Verhalten natürlich peinlich vor. Ich

Hippiekacke 2.0 {Text} * Sven A. Johansson

Vor gut zwei Jahren sorgte das Video „Hippiekacke“ in der wahren Hauptstadt der Schweiz für Furore. Seit damals hat sich einiges verändert. Der Szeni – oder Hippie – aus Zürich erkannte sich im Film von Ian Constable sofort wieder. Nennen wir den Szeni Hans. Das Jahr 2009: Der Hans geht also im Hive gogen tanzen, er trinkt vor dem Xenix ein Bier, er fährt mit dem Rennvelo ins Atelier, er hat ein iPhone, er stärkt sich nach einer langen Ausgangsnacht mit Frühstück im Kafi Schnaps, um anschliessend an der Uni ein wenig zu fachsimpeln mit seinen Kollegen aus dem Studium der Publizistik. Die Zeiten haben sich ein wenig verändert. Wir schreiben das Jahr 2011: Der Hans trägt heute einen schönen Schnauzer. Und er geht nicht mehr ins Hive, sondern in den Thai-Thai Club oder ins Gonzo. Im Hive hat’s ihm inzwischen zu viele Gymischüler und Agglo-Menschen. Aber auch der Thai-Thai Club und das Gonzo dürften bald wieder vorbei sein. Rennvelo fährt der Hans immer noch. Und auch spielt er immer noch Boule – oder so was Ähnliches – vor dem Xenix. Aber er trinkt da nicht mehr sein Bier, nein, der Hans trinkt jetzt Aperol Spritz. Das kitzelt so schön auf der Zunge. Vor zwei Jahren ging der Hans in Südamerika „go rääisä“. Die Indios haben scheinbar an Attraktivität eingebüsst. Wer heute noch nach Ecuador geht, ist schon fast ein bisschen retro. Heute geht der Hans lieber nach Asien – genauer gesagt nach Thailand, Vietnam oder Indonesien. Da kauft er sich dann ein gefälschtes iPhone, weil in der Schweiz inzwischen jeder Hans und jede Hänsin ein originales iPhone hat. Das ist nicht mehr hip. Das mit dem Kafi Schnaps ist zwar nicht ganz vorbei, aber auch da hat’s Hans inzwischen zu viele normale Städter. Neue Lokale wie das „Dini Mueter“ oder das „Sisu“ sind jetzt der Renner. Ist ja auch klar, da ist es viel gemütlicher. Diese Liste könnte unendlich lang weiter geführt werden. Das Problem des heutigen Szenis ist, dass er sich sehr schnell weiterentwickelt – muss er auch, weil alle paar Tage eine neue Bar aufmacht, die sofort in Beschlag genommen werden muss. Zum Schluss noch etwas über das logische Loch im Leben des Szenis: Der Hans möchte in kein Schema passen. Die maximale Individualität also. Doch diese maximale Individualität wird tausendfach kopiert. Obwohl es unzählige Szenis gibt, möchte Hans nicht als solcher bezeichnet werden, denn mit der Zuordnung zu den Szenis wird seine Individualität aufgehoben und der Hans gehört wieder zu den Anderen. Alles umsonst. * Sven A. Johansson, 22, aus Zürich, studiert Publizistik und Politikwissenschaften und ist aktiv in der Politik.

packte also meinen bösen Blick wieder ein, setzte mich wieder gerade hin und genoss für die letzten zehn Minuten der Fahrt das frühmorgendliche Südkurven-Feeling. Und auch niemand sonst machte einen Pieps und alle taten so, als wäre alles wie immer. Stumm wanderten wir auf dem schmalen Grad zwischen Toleranz und Ignoranz. Bis ich dann aussteigen musste. Doch genau für solch bizarre Momente liebe ich Zürich über alles. Auch um 7.15 Uhr morgens im Tram. * Marco Büsch Politologiestudent aus Zürich. Ist 21 Jahre alt, Serienjunkie, Filmfan und Hobbyrapper

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DADA 13. Ausgabe, November 2011

a AD

(...) Dada Psychologie, Dada Literatur, Dada Bourgeoisie und ihr, verehrteste Dichter, die ihr immer mit Worten, nie aber das Wort selber gedichtet habt. Dada Weltkrieg und kein Ende, Dada Revolution und kein Anfang. Dada ihr Freunde und Auchdichter, allerwerteste Evangelisten. Dada Tzara, Dada Huelsenbeck, Dada m'dada, Dada mhm' dada, Dada Hue, Dada Tza. Wie erlangt man die ewige Seligkeit? Indem man Dada sagt. Wie wird man beruehmt? Indem man Dada sagt. Mit edlem Gestus und mit feinem Anstand. Bis zum Irrsinn. Bis zur Bewusstlosigkeit. Wie kann man alles Aalige und Journalige, alles Nette und Adrette, alles Vermoralisierte, Vertierte, Gezierte abtun? Indem man Dada sagt. Dada ist die Weltseele, Dada ist der Clou. Dada ist die beste Lilienmilchseife der Welt. Dada Herr Rubiner, Dada Herr Korrodi. Dada Herr Anastasius Lilienstein. Das heisst auf Deutsch: Die Gastfreundschaft der Schweiz ist ueber alles zu schaetzen, und im Aesthetischen kommt's auf die Norm an. Ich lese Verse, die nichts weniger vorhaben als: auf die Sprache zu verzichten. Dada Johann Fuchsgang Goethe. Dada Stendhal. Dada Buddha, Dalai Lama, Dada m'dada, Dada m'dada, Dada mhm' dada. Auf die Verbindung kommt es an, und dass sie vorher ein bisschen unterbrochen wird. Ich will keine Worte, die andere erfunden haben. Alle Worte haben andre erfunden. Ich will meinen eigenen Unfug, und Vokale und Konsonanten dazu, die ihm entsprechen. Wenn eine Schwingung sieben Ellen lang ist, will ich fueglich Worte dazu, die sieben Ellen lang sind. Die Worte des Herrn Schulze haben nur zwei ein halb Zentimeter. Da kann man nun so recht sehen, wie die artikulierte Sprache entsteht. Ich lasse die Laute ganz einfach fallen. Worte tauchen auf, Schultern von Worten; Beine, Arme, Haende von Worten. Au, oi, u. Man soll nicht zuviel Worte aufkommen lassen. Ein Vers ist die Gelegenheit, moeglichst ohne worte und ohne diese Sprache auszukommen. Diese vermaledeite Sprache, an der Schmutz klebt wie von Maklerhaenden, die die Muenzen abgegriffen haben. Das Wort will ich haben, wo es aufhoert und wo es anfaengt. Jede Sache hat ihr Wort; da ist das Wort selber zur Sache geworden. Warum kann der Baum nicht Pluplusch heissen, und Pluplubasch, wenn es geregnet hat? Und warum muss er ueberhaupt etwas heissen? Muessen wir denn ueberall unseren Mund dran haengen? Das Wort, das Wort, das Weh gerade an diesem Ort, das Wort, meine Herren, ist eine öffentliche Angelegenheit ersten Ranges.

Ball, Hugo. Eroeffnungs-Manifest, 1.Dada-Abend 14. Juli 1916

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DADA 13. Ausgabe, November 2011

a {Collage} Max Kabisz

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DADA 13. Ausgabe, November 2011

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DADA 13. Ausgabe, November 2011

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DADA 13. Ausgabe, November 2011

3 Texte {Text} * Kamil Kostka

Das Transatlantische Gesamtmodell der rekonstruktiven Vergangenheit (1/3) Durch die globalen Mechanismen der makroanalytischen Strukturveränderungen kann von einer durchstrukturierten Verteilungsangst mit zunehmender Veranlagung zur Multiplikation ausgegangen werden. Diese Veränderungen führen nicht nur zu höheren Gesamtkosten auf lokaler Ebene, sondern auch zu diversen Disputen im grenzregionalen Subsystem der neuen Agglomeration. Dadurch wird natürlich der Wunsch nach grösseren Ausgaben in der subversiven Risikogesellschaft immer grösser und rekonvaleszenter. Man darf jedoch nicht vergessen, dass auch die unteren Schichten intrasubjektiv davon betroffen werden. Wodurch man wieder beim Ausgangsproblem des transatlantischen Weltbildes wäre, welches meiner Meinung nach nur durch exzessives Coca-Cola-Trinken aufgehalten werden kann. Passiert dies nicht, muss von einem grösseren Risiko der Division ausgegangen werden, und das wollen wir ja nicht, oder?

Da (2/3) Ist man da, wenn Dario da ist? Oder ist Dalai Lama da gewesen? Wollen wir das überhaupt? Hin und da vielleicht ja schon? Oder wollen wir damit nichts zu tun haben? Darum will ich, dass du da hingehst!

Das Schmerzmobil (3/3) Pilibum Pilibim Pilibum. Schmikt i ginz i bitzeli nich di giggi! Drim siggi mir, mich diis nicht. Schmilibum Schmilibim Schmilibum. Schmikt i ginz i bitzeli nich di giggi! Mulibuli Schmuli Pulli. Nichts wird wieder ganz. Nur mein grosser Schmiggelpiggel. Drum setz dich hin und wart jetzt drauf, ich bau dir jetzt ein grosses Schmiggelpiggelwiggeltriggel.

* Kamil Kostka, Student Politologie/Publizistik

{Illustration} * Daniela Raffl

* Daniela Karin Raffl, freiberufliche Illustratorin, 27 Jahre jung, Österreicherin und seit 4 Monaten in Zürich, Absolventin Grafikdesign und Medien- Filmstudium vergangenen Sommer in Wien beendet

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DADA 13. Ausgabe, November 2011

Seifenblasen {Text} * Leon Ludwig

Ich hätte nie gedacht, dass mich einmal eine Seife zum Schreiben inspirieren würde. Aber nichts gegen Seifen, ich meine, schliesslich sind sie die Saubermänner der Nation, sorgen dafür, dass es unseren Händen gut geht und haben uns durch ihre regelmässige Verwendung vor der scheinbar unaufhaltbaren Vogelgrippe bewahrt. Trotzdem, solch einen Denkanstoss hätte ich nie erwartet. Als ich neulich in der Stadt unterwegs war, lief ich per Zufall an einem Body Shop vorbei. Da fiel mir ein, dass ich doch für meine WG eine etwas elaboriertere Seife kaufen könnte. Die gute alte Kernseife der Migros erfüllte zwar stets wacker ihre Pflicht, doch mir stand der Sinn nach etwas Neuem, das zur Abwechslung mal einen definierbaren Duft auf den Händen hinterlässt. Im Laden waren zwei hübsche Verkäuferinnen zugegen und ich wurde natürlich sofort von einer in Beschlag genommen. Ich erklärte ihr meinen simplen Wunsch und war dann doch etwas überrascht, dass sie dort nur drei Flüssigseifen zur Auswahl hatten: Mandel, Rose und Hanf. Ich zögerte, da mich nichts aus dieser massiven Auswahl wirklich ansprach. Die junge Verkäuferin nahm ihre Pflicht sofort wahr: „Ich mache Ihnen gerne den Seifenspender auf, damit Sie den Duft riechen können. Welche wollen Sie probieren? Die rosa Seife wird es ja wohl nicht sein.“ D d war es. Dieser letzte Satz sollte mir noch zu denken geben. Ich roch zuerst an der Mandelseife und wurde sofort von dem übertrieben chemischen Duft abgeschreckt. Jetzt blieb für mich eigentlich nur noch die Hanf-Version übrig. Leider war ich auch von dieser nicht sonderlich begeistert. (Der Duft weckte bei mir irgendwie schlechte Erinnerungen.) Was sollte ich nun tun? Ich hätte gerne die Rosenseife probiert, aber die „wird es ja wohl nicht sein“. Ich brachte es nicht über mich, eine peinliche Situation heraufzubeschwören, indem ich die letzte Seife doch probierte. Ich konnte den freundlichen Blick der Verkäuferin unmöglich in ein verwundertes Stirnrunzeln verwandeln. Ich überzeugte mich selber davon, dass es mit dem Hanf-Aroma schon gehen würde und kaufte die dumme Seife. Was genau ist da passiert? Habe ich mich der Suggestion einer Verkäuferin gefügt, nur um ihr nicht zu widersprechen? Ja, ist ja schon gut, aber darum geht’s mir nicht. Es geht darum, dass diese Dame mir wieder mal gezeigt hat, wie sehr unsere gesellschaftlichen Vorstellungen konstruiert sind. Ich darf also keine Rosenseife kaufen? Und warum? Weil ich ein Mann bin? Aha, Männer mögen keine Rosen und die

a, a

Farbe Rosa vermutlich schon gar nicht. Das macht überhaupt keinen Sinn. Es gibt keinen logischen Grund, weshalb ein Mann den Duft von Rosen nicht genauso gern haben kann wie eine Frau. Es sei denn, ihm wurde sein Leben lang von allen Seiten eingetrichtert, dass er so empfinden solle. Wie oft höre ich Aussagen wie „das macht eine Frau doch nicht“ und „natürlich magst du Autos, du bist ja ein Mann“. All diese Ansichten beruhen auf etablierten gesellschaftlichen Konstruktionen und scheinen für uns dennoch normal, da wir alle gleichermassen sozialisiert wurden. Weshalb haben wir solche Konstrukte in unser alltägliches Leben implementiert? Ich bin zwar kein Psychologe, aber ich denke, dass wir es hier mit einem menschlichen Grundbedürfnis zu tun haben. Das Leben und die Welt sind komplex und wir Menschen müssen darin klarkommen. Da macht es Sinn, dass sich alle an gewisse Mechanismen und Konventionen halten, damit man nicht ständig ge- und überfordert ist. Wenn allen Individuen dieses Bedürfnis nach Einfachheit gemein ist, wenn auch nur unterbewusst, wird sich dies zwangsläufig auch manifestieren. Es mag seine Zeit brauchen, bis sich solche Konventionen und Vorstellungen in einer Gesellschaft etabliert haben, aber sie sind dafür umso stärker verankert. Bleibt nur noch die Frage, weshalb Frauen diejenigen sind, die Röcke tragen und sich regelmässig schminken. Warum nicht die Männer oder gar beide? Ich weiss, diese Frage klingt intuitiv absurd, aber nur, weil wir nichts anderes kennen. Meine Vermutung: Bis zu einem gewissen Grad hat hier der Zufall regiert. Würde eine allmächtige Instanz jedes Gedächtnis entleeren und sämtliche Artefakte entfernen, die auf unsere Werturteile und Lebensansichten verweisen (Magazine, Bücher, Bilder etc.), dann würden die Menschen mit der Zeit natürlich von alleine wieder neue Vorstellungen und Praktiken in der neu entstehenden Gesellschaft verankern. Es würden sich jedoch völlig neue Ansichten und Konstrukte etablieren. Frauen würden nicht zwingend Röcke tragen und die Schminke neu erfinden. Der Zufall würde über die neuen Praktiken bestimmen, genau so, wie er es schon mal bei uns getan hat, wobei zugegebenermassen nicht bei sämtlichen Konstrukten. Es muss das Werk des Zufalls sein, denn ansonsten könnten wir ohne Argumente, die sich wiederum auf Konstrukte stützen, ganz logisch erklären, weshalb es so unmännlich ist, eine Rosenseife zu kaufen.

* Leon Ludwig, 21, Publizistik-Student im 3. Semester

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DADA 13. Ausgabe, November 2011

{Collage} Max Kabisz dito seite 12

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DADA 13. Ausgabe, November 2011

{Druck} Eric Andersen ericandersen.ch

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KREATIVES 13. Ausgabe, November 2011

Hase 2 {Illustration} * Gian Steiner

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K

KUNST- & KULTURKOLUMNE 13. Ausgabe, November 2011

Das Unbehagen in der {Text} Dr. oec. HSG Olivia Bosshard

Vor über 80 Jahren erschien „Das Unbehagen in der Kultur“, eine seinerzeit vielbeachtete und einflussreiche Kulturkritik von Sigmund Freud. Ein gewisses „Unbehagen in der Kultur“ ist wohl auch heute nicht von der Hand zu weisen, ein Blick auf den Paradeplatz am Wochenende des 15. Oktobers genügt. Dieses Unbehagen geht nicht von den Kulturschaffenden aus – und es richtet sich schon gar nicht gegen den Kulturbetrieb, sondern es scheint den weitgefassten Kulturbegriff zu betreffen. Nach Freud „die Regelung der Beziehungen der Menschen untereinander“. Oder heute „die Gesamtheit der einzigartigen geistigen, materiellen, intellektuellen und emotionalen Aspekte, die eine Gesellschaft oder eine soziale Gruppe kennzeichnen. Dies schliesst nicht nur Kunst und Literatur ein, sondern auch Lebensformen, die Grundrechte des Menschen, Wertsysteme, Traditionen und Glaubensrichtungen“, so die Kultur-Definition des BAK (Bundesamt für Kultur).

Zurück auf den Paradeplatz - neben materiellen und emotionalen Diskrepanzen hätte der Paradeplatz gerade im Moment einiges an Kunst und Kultur zu bieten. Die Galerie Gmurzynska (Paradeplatz Nr. 2) zeigt eine sehenswerte Ausstellung von Marco Perego und ist durchaus am Samstagnachmittag geöffnet. Nur ein paar Meter weiter an der Bärengasse gastiert die Kunsthalle Zürich mit einer Retrospektive des Libanesen Walid Raad im Museum Bärengasse und lädt zu interkulturellen Gedanken ein. Und direkt gegenüber hat die Ernst Hohl-Kulturstiftung mit dem Haus Appenzell ein "KulturSchaufenster" für das Appenzellerland und das Toggenburg mitten in Zürich geschaffen. Aber keine dieser Kulturstätten am Paradeplatz hat grossen Zulauf an diesem kalten Samstag. Die über 1000 versammelten Menschen sind hier, um Unbehagen zu äussern, begleitet übrigens von zahlreichen kulturellen Darbietungen von Bodenmalerei bis Chorgesang. Sie äussern ihr Unbehagen in einer Kultur, in der geistig-

ultur

intellektuelle, philosophische, künstlerische und soziale Leitvorstellungen der Kultur weit zurückzubleiben drohen hinter den materiellen und nutzengetriebenen Aspekten unserer Kultur. Besonders auf dem Paradeplatz. Während zu hoffen bleibt, dass in diesem Kulturdilemma baldmöglichst ein Ausweg gefunden wird, bereitet an diesem Samstagnachmittag völlig unverhofft eine andere interkulturelle Darbietung ein wärmendes Wohlgefühl. Nur 100 Meter weiter steht eine Gruppe von Menschen ebenfalls in der Kälte und hört fast andächtig einem rumänischen Strassen-Trio zu, das auf der Zürcher Bahnhofstrasse mit den Klängen von Bach aus der Air Suite Nr. 3 für einträchtiges kulturelles Behagen sorgt.

* Dr. oec. HSG Olivia Bosshard ist Leiterin der Zürcher Veranstaltungsplattform KION, sie schreibt monatlich zu den Themen Kunst & Kultur Antworte Olivia Bosshard auf leserbriefe@dieperspektive.ch

* Gian Steiner kritzelt, schmiert und belichtet für sein Leben gern, in seiner Freizeit fröhnt er dem Studententum. (mailangian@bluewin.ch | www.gians-faerberei.ch)

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20.10.2011

10:24 Uhr

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Ruf Lanz

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UMFRAGE 13. Ausgabe, November 2011

DAS BIST DU In eigener Sache – d i e p e r s p e k t i v e führte eine Leserbefragung durch. Die Auswertung gibt das Bild des durchschnittlichen Lesers. Also von dir. Wir werfen alle Leserinnen und Leser in einen Topf und ziehen dann zufällig dich raus. Du bist zu 53 Prozent weiblich (bei der Frage nach dem Geschlecht haben doch tatsächlich drei Personen „ich weiss nicht“ angekreuzt). Du bist schön und ungefähr 22 Jahre alt, hast das Gymi abgeschlossen oder bist bereits fertig mit dem Studium. Also gut gebildet. Obwohl du noch sehr jung bist, hast du 1114 Franken für deine szenigen Hobbys zur Verfügung. Dieses Geld gibst du gerne aus. Denn du magst den Konsum. Zum Beispiel das unschlagbar günstige Abo von dieperspektive, die du übrigens über Freunde kennen gelernt hast. Neben dem Konsumieren nimmst du dir drei Stunden pro Woche Zeit, um Zeitungen und Zeitschriften zu lesen. Wir wissen sogar, wo du d i e p e r s p e k t i v e liest. Nämlich zuhause.

Im letzten Jahr hast du entweder alle Ausgaben von dieperspektive gelesen oder deren vier. Da konntest du dich in der Umfrage nicht genau festlegen. Und du bist aus Zürich. Das ist wichtig, weil auch wir aus Zürich sind. Aber zu je 10 Prozent bist du auch aus Bern und Basel. Und als junger Zürcher interessierst du dich natürlich für Kunst, Kultur, Politik, Musik, Literatur und Reisen.

In dieperspektive liest du konsequenterweise auch am liebsten die Rubrik „Kreatives“. Aber auch die anderen Rubriken sprechen dich direkt an. Kein Wunder, du als Leser füllst ja diese Zeitung. Ausführlichere Auswertungen findest du auf unserer Homepage dieperspektive.ch

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STADTKOLUMNE 13. Ausgabe, November 2011

Serinus Kneiparia {Text} Apachenkönig Huntin’Beer

Das Laub nieselt. Der Nebel quillt. Die Vögel zwitschern nach Süden. Hallo Herr Herbst. Hallo Frau Maroni. Hey Alex! Grüazi Weihnachtsguatsli im Vorweihnachtsterror (auch PCT genannt: Pre-Christmas-Terror). Hallo Zimtstern und Brunzli. Gugus mitenand. Platz in der Kneipe zu finden ist... Naja... Wie soll ich sagen... Im Herbst und Winter... Hm... Stell dir einen 500 Kilo schweren Kanarienvogel vor! Er existiert nicht! Und falls doch, dann hat er es ganz schön eng in seinem Käfig. Eine Variante, den Kanarienvogeleffekt zu umschiffen, ist, sich auf dem Klo der jeweiligen Beiz einzunisten. Nimm ein paar Äste und ein bisschen Herbstlaub von der Strasse mit und bau dir ein Nest. Tipp: Wenn kein Laub da ist, tut’s auch Klopapier. Welly, welly, welly, welly, welly, welly, well. Lass dich aber nicht dabei erwischen. Wenn doch, solltest du böse grinsen, die Daumen nach oben recken, rülpsen und sagen: „Welly, welly, welly, welly, welly, welly, well. To what do I owe the extreme pleasure of this surprising visit?” Wie treffend! Ein Zitat! Ein Zitat von Alex! Genau! Der Clockwork Alex! Als ob er das auch schon erlebt hätte... Genial... Nun. Ja, nun solltest du dich gekonnt aufrichten und dich an deinen Nüssen kratzen. Wenn du keine hast, stell sie dir zwischen deinen Beinen vor und tu einfach so. Jetzt schlenderst du Richtung Jukebox und wählst die 9. Sinfonie in d-Moll von Ludwig van B. Episch! Aber immer schön weitergrinsen! Die Sinfonie erwacht! Spürst du sie? Ja, tust du! Sieh dich um. Die Kneipe tobt. Sie berstet! Alle tanzen und zucken. Sie schreien und kreischen: „ALEX, ALEX, ALEX!“ ... Serinus canaria Aber zurück zum Kanarienvogel. Der Kanarienvogel, auch Serinus canaria forma domestica genannt, stammt von den Kanarischen Inseln. Wow! Wer hätte das gedacht! Innerhalb von 500 Jahren, nicht Kilo, hat der Mensch dieses Tier domestiziert. Armes Schwein, dieser Kanarienvogel. Ist das Weibchen brutlustig, beginnt das Nestbauzeremoniell. Der Serinus canaria verwendet zum Nestbau Grashalme, Moos, Tierhaare, Wolle, Federn und vielleicht auch Klopapier. Die Paarung dauert ein bis zwei Sekunden.

TURN OF THE ERA 11. November 2011 Brauerstrasse 126 8004 Zürich

Bruno Stettler und Philipp Hänger zeigen Installationen, Skulpturen und Objekte im Rahmen ihrer Ausstellung «TURN OFF THE ERA» und laden ein zur Eröffnung. Titel: Turn Of The Era Künstler: Bruno Stettler |Philipp Hänger Vernissage: FR 11.11.2011 ab 18 Uhr Countdown um 11.11 Uhr nachts Ausstellung 12.11. bis 25.11.2011 Adresse: Starkart Exhibitions Brauerstrasse 126 8004 Zürich Mehr auf starkart.ch & kion.ch

In Liebe und ahoi

* Apachenkönig Huntin’Beer ist aus Zürich, deshalb schreibt er auch die Stadtkolumne. Antworte dem König auf leserbriefe@dieperspektive.ch

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èâ Th tre GEBURTSTAGSFEIER & PRÄMIERUNG DES ARTIKEL DES JAHRES


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