Roger Köppel - April 11

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7. Ausgabe April 2011

05 Wahldampfschifffahrt.

Verwechselt der Apachenkรถnig politische Listen mit Popsongs?

08 Der Kluge reist im Zuge. Warum nur dumme ein Billett kaufen.

13 Kรถppel schuldet mir 15 Franken. Taxifahrerin schreibt rote Zahlen.


Inhalt

2 7. Ausgabe, April 2011

EDITORIAL DER POPULIST.

SEITE 03

HINTERGRUND ANSICHTEN EINES BIERTRINKERS. WAHLDAMPFSCHIFFFAHRT. ÜBERFORDERT DAS POLITSYSTEM DIE HEUTIGE GESELLSCHAFT? DER KLUGE REIST OHNE BILLET IM ZUGE. DIE KRANKHEIT DER WETTBEWERBE.

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ROSCHÉ KÖPPEL oder: http://dieperspektive.ch/images/m_images/sdfkjsdf.png SEITE 11 SEITE 12 SEITE 13

DAS PORTRAIT. ROSCHÉ SCHULDET MIR 15 STUTZ. DIE WELTWOCHE IRRT.

KULTUR ENTSCHULDIGET SIE VIEL MAL. EASY RIDER DER DEMOKRATIE. WIEN-WESTBAHNHOF! GEISTERSTADT UNTER UNS.

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KULTUR FETTE ZEITEN? MAGERE JAHRE! - EIN LESERBRIEF AUF WIEDERSEHEN.

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IMPRESSUM REDAKTION

DIEPERSPEKTIVE, SIMON JACOBY, CONRADIN ZELLWEGER, MANUEL PERRIARD, BREMGARTNERSTRASSE 66, 8003 ZÜRICH M.B. | A.H.B. | G.O. | D.L.| S.A.J.| A.| M.H.| H.S.| T.H. & J.M.| B.K.| M.B.| V.H.| P.W.

TEXT

G.S. | V.I. | L.G. | W.H.D.

ILLUSTRATION / BILD

CRISTIAN ANDERSEN

COVER

PER RJARD

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MARA BIELER & DANIELA BÄR

LEKTORAT

TIMO BEELER | timobeeler.ch

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ZDS ZEITUNGSDRUCK SCHAFFHAUSEN AG

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LESERBRIEFE

DA SEH ICH ROT / SCHWARZ

THEMA DER NÄCHSTEN AUSGABE

PC 87-85011-6, VERMERK: GERN GESCHEHEN

GÖNNERKONTO

FREITAG 15. APRIL, 2011, 23.55 UHR

REDAKTIONSSCHLUSS

Realisierung dieser Ausgabe mit freundlicher Unterstützung der Karl Meyer Stiftung


Editorial

3 7. Ausgabe, April 2011

Der Populist Welche Titel mehr Presseförderung bekommen sollten. Roger Köppel im Fokus. Nachdem in der letzten Ausgabe an dieser Stelle potentere Presseförderung verlangt wurde, werden jetzt die Anforderungen skizziert, die eine Publikation einhalten muss, um von der Presseförderung profitieren zu können. Selbstverständlich sollen nicht anforderungslos Unmengen an Steuergeldern in die Presseförderung gepumpt werden. Die Anforderungen müssen so geregelt sein, dass die Pressevielfalt gefördert wird. In diesem Sinne sollen innovative Publikationen mit einem ansprechenden Niveau unterstützt werden, nicht jedoch die herkömmlichen Medienhäuser. Oft stehen neuartige Zeitungen in der Schnittmenge von Kultur und Medien. Solche Zeitungen sind meist sogenannte meritorische Güter; das heisst, sie sind gesellschaftlich erwünscht, der Werbemarkt entwickelt ihnen gegenüber aber nur eine geringe Nachfrage, die nicht zum Überleben reicht. Ähnlich wie bei den Radiokonzessionen kann eine Stelle für Presseförderung die Gelder an Anforderungen und gewisse inhaltliche Standards knüpfen. Der Chefredaktor und Verleger der pointierten Weltwoche ist das Thema dieser Ausgabe von dieperspektive. Dass Roger Köppel selber zu der vorliegenden Ausgabe von dieperspektive keinen Beitrag leisten

wollte, ist übrigens keine reine Behauptung, sondern nachweislich richtig. Im Stile eines charakterfesten Mannes ignorierte er meine Anfragen geflissentlich. Roger Köppel bringt sich gerne in Stellung gegen seine ideologischen Gegner. Mit populistischen Aussagen bringt der scharf rechts schreibende Journalist seine moderaten Zuhörer in Wallung. Aus verschiedentlichen Zitaten wurden zwei herausgefiltert: „Unser Leben wird ausgemacht durch den Druck, produktiv sein zu müssen.“ Oder: „Die Kraft einer Demokratie bemisst sich an der Fähigkeit der Bürger, sich dem intellektuellen Zeitgeist zu verweigern.“ Mit solchen und ähnlichen völlig realitätsfremden Statements versucht Köppel seine neoliberale und staatsfeindliche Weltanschauung in seiner Weltwoche zu verbreiten.

Simon A. Jacoby Redaktor

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Hintergrund

4 7. Ausgabe, April 2011

{Text} Marco Büsch

Ansichten eines Biertrinkers. Letztens stand ich an einer Haltestelle. Auf der Bank sass ein Mann, der sein Bier trank, und die Welt war in Ordnung. Dann kam ein weiterer Mann zur Haltestelle, und während er am Biertrinker vorbeiging, nahm er schwarze Lederhandschuhe aus der Tasche und zog sie sich an. Das ist eigentlich nicht so weltbewegend, zumindest meiner Ansicht nach. Der Biertrinker sah das aber anders und fing an, laut zu reklamieren, so etwas habe er noch nicht gesehen, das sei der Höhepunkt der Unhöflichkeit. Es kamen noch weitere Sätze, welche ich akustisch nicht verstehen konnte, weil er in seinen Bart nuschelte, aber dann plötzlich wurde er wieder sehr laut, das gehe doch nicht, einfach so schwarze Lederhandschuhe vor einer anderen Person anzuziehen! Der Handschuhträger war ein bisschen irritiert (und damit war er nicht allein) und versuchte, den Biertrinker zu ignorieren. Es funktionierte nicht, und so nannte er den wütenden Sitztrinker einen „Alki“. Also bitte, einen Alki! Sorry, aber wieso sollte der jetzt ein Alki sein? Nur weil er um zehn Uhr morgens mit einem Prix Garantie-Bier an einer Haltestelle rumhockt und bei Temperaturen von nahezu null Grad nur einen dreckigen Strickpullover trägt.

Das ist wirklich diskriminierend! Diese Handschuhträger nehmen sich einfach zu viel heraus in der heutigen Zeit, dachte ich so vor mich hin. Der Handschühler gab dann aber nach und stellte sich auf die andere Seite der Haltestelle. Die Szene beruhigte sich wieder. Eigentlich wollte ich den Biertrinker trotzdem noch fragen, was es denn mit diesen Handschuhen auf sich habe, leider entzog er mir jegliche Gesprächsgrundlage, indem er nach einer Zigarette verlangte, welche ich ihm als Nichtraucher (kein militanter) nicht geben konnte. Und so wurde ich zurückgelassen mit der Unwissenheit bezüglich des Anziehens von Handschuhen vor einer anderen Person. Das war und ist mir etwas unangenehm, ich getraue mich nämlich seither nicht mehr, meine Handschuhe überhaupt noch aus meiner Jackentasche zu ziehen, und es ist zurzeit saumässig kalt! Der Sommer soll endlich Einzug halten. Ansonsten wäre ich auch mit einer Erklärung zufrieden, bitte nur ungeniert melden! Wenn ich es mir aber genauer überlege, wäre mir der Sommerbeginn definitiv noch viel lieber. •

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Hintergrund

5 7. Ausgabe, April 2011

{Text} Apachenkönig Huntin’ Beer

Wahldampfschifffahrt. Es ist soweit! Köpfe, Plakate, Versprechen. Der Wahlkampf steht vor der Tür. Die Parteien rüsten sich. Man muss genügend heisse Luft ablassen. Aber wer behält den Überblick in diesem dichten Nebel voller leerer Versprechen? Ich nicht. Aber wählen tu ich trotzdem. Streichen, panaschieren, kopulieren. Tolle Sache, dieses Proporzwählen. Majorzwählen ist aber einfacher. Egal. Eine Liste! Ui! Das ist genau mein Ding. Listen machen alles einfacher! Es gibt schwarze Listen, rote Listen, blaue Listen, Listen mit Nummern, Schindlers Listen oder Listen to your heart und und und viele viele mehr. Also ich werde Liste (...) wählen, weil ich diese Liste und wofür sie stehen soll, bzw. die

betreffende Partei, recht gut finde. Aber eigentlich ist es doch eher so, dass ich die anderen Listen einfach weniger gut finde. Wie zum Beispiel diese Liste (...). Ich streiche sozusagen Liste um Liste im Ausschlussverfahren (Eliminierung ist auch ein Wahlverfahren, das aber normalerweise vor allem in Diktaturen en vogue ist) von meiner Liste und habe am Schluss die Liste, die noch auf meiner Liste steht. Boah ey! Is das einfach! Denkste! Von wegen... Ich dampfe auf meiner Wahl-Titanic durch den Nebel der Wahlversprechen und Parteiprogramme. Hoppla! Der Eisberg der Täuschung baut sich plötzlich bedrohlich vor meinem Bug auf. Verdammt! Hart Backbord! Hart Backbord! Puh... Das war knapp. Und wieder Volldampf voraus! Es ist nicht mehr

weit nach Port Truth. Aber oh Schreck! Was ist das denn? Der Eisberg der Täuschung hat mich angeschmiert! Oh nein! So eine Drecksau! Rumms... Zu spät. Ich sinke als Kapitän meiner Wahl-Titanic auf den Grund des Meeres der Demokratie. Ein riiiiiiiesiger Schiffsfriedhof, sag ich euch. Dort unten wimmelt es nur so von gekenterten Wahl-Titanicen. Ganz schön gruslig. Als einziger Kapitän, Passagier sowie Überlebender meiner Wahlfahrt beschliesse ich mit meiner kommenden Wahl-Titanic einen neuen Kurs. Mit neuen Listen! Die Listen to your heart! There’s nothing else you can do! Danke, Roxette. In Liebe und Ahoi

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6 7. Ausgabe, April 2011

Hintergrund

{Text} Graf zu Orsini {Illustration} Gian Steiner http://www.gians-faerberei.ch

Überfordert das Politsystem die heutige Gesellschaft? In den letzten zwei Abstimmungsrunden hat das schweizerische Volk zwei heikle Entscheidungen getroffen. Beide Male haben sich anschliessend einige tausend Leute auf dem Helvetiaplatz versammelt und ihren Unmut darüber kundgetan. Neben klirrendem Fensterglas hörte man Anti-SVP-Gesänge. Dass an der Urne Verfassungsreferenden und Volksinitiativen auf Zustimmung stossen, die viele Menschen aus Wut auf die Strasse treiben, stimmt nachdenklich. Ein Land mit vielen direktdemokratischen Werkzeugen und einer repräsentativen Legislative schafft es nicht, langfristige und pragmatische Lösungen zu generieren, also mit gemässigter Geschwindigkeit und weitsichtigem Kurs nach vorne zu fahren, um alle Menschen in unserer Gesellschaft mit ins Boot zu holen oder ihnen wenigstens den Aufsprung zu ermöglichen. In der Politsendung Arena vom 4. März 2011 diskutierten Interessensvertreter und Fachleute über das Thema: „Droht eine Flüchtlingswelle?“ Angesichts der prekären Lage in vielen nordafrikanischen Staaten solch einen Titel zu verwenden, ist erstens geschmacklos und bringt zweitens eine klare Haltung zum Vorschein. Neben der auf eigene Vorteile bedachten Perspektive weist die Botschaft der Sendungsüberschrift in eine Konversationsrichtung, welche der eine Flügel des schweizerischen Parteiengefildes seit langem als unantastbar betrachtet, weshalb er keine überzeugenden Argumentationslinien hervorbringt. Dieser Seitenhieb sollte ernst genommen werden und anspornen. Schatten der Vergangenheit. Die Schweizer Bevölkerung überzeugte in ihrer Geschichte mit solidarischen und tugendhaften Anstrengungen, obwohl diese mit Vorsicht und Zurückhaltung dargeboten wurden. Dies ist heute noch zu spüren. Tag für Tag ist es erfreulich zu sehen, wie selbstverständlich die gegenseitige Unterstützung in diesem Land erfolgt, wie dieses schöne Land gemeinsam weitergebracht wird. Nicht alles war und ist so ro-

sig. Die Schweiz kann auf keine makellose Vergangenheit zurückschauen. Trotzdem wurden etliche schwierige Momente überstanden und es wurde immer wieder versucht, reflektierte Problemlösungsmechanismen, welche allen Gesellschaftsteilen zugänglich sind, zu installieren.

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Mehr Informationen auf http://mehr-demokratie.ch/

Schaut man in unsere Nachbarländer, nördlich und südlich, sehen wir das Politsystem von Koalition und Opposition. Die Regierungsparteien verleihen zwar ihren Anliegen vermehrt durchschlagende Wirkung, doch versuchen sie, unter Einbezug möglichst vieler Einwände, pragmatische Problemlösungspakete zu schnüren. Die dadurch erreichte breite Abstützung in der Gesellschaft rückt aber in den Hintergrund. Denn die Bevölkerung interessiert sich kaum mehr für Sachpolitik, sondern nur oberflächlich für Skandale und Privatleben ihrer Politpersönlichkeiten. Der Bürger ist zum Voyeur der PolitHigh-Society geworden, statt Willensbilder und Entscheidungsträger zu sein. Das schweizerische Politsystem ist von einer Vielparteienlandschaft geprägt. Verschie-

dene politische Meinungen finden unter der Kuppel Lösungen, welche durch die breitgefächerte Bevölkerung getragen werden sollen. Das Volk schaut dabei gelassen zu, in der Gewissheit, dass das letzte Wort im notwendigen Referendumsfall bei ihm liegt. Die Schweizerinnen und Schweizer wollen ihre staatsbürgerlichen Verpflichtungen ernst nehmen und dieser grossen Verantwortung des politischen Systems gerecht werden. Aber tragen die Stimmbürger in diesem Land überhaupt die Verantwortung für die Abstimmungsergebnisse? Nein. Verfehlungen des Stimmvolkes treffen unmittelbar den Staat selbst. Mittelbar muss die Bevölkerung mit den Auswirkungen des Abstimmungsausgangs leben, trägt also nur indirekt die Konsequenzen. Die Schweiz glaubt daran, dass ihr höchstes Organ, das keine Verantwortung zu übernehmen hat, gewillt ist, Entscheide zu treffen, die im Lichte der Solidarität allen ein rechtsgleiches und freies Leben ermöglicht. Daraus wird ersichtlich, dass es von Vorteil wäre, wenn unsere Politiker selbst in der Lage wären, weitsichtige Übereinkünfte zu treffen. Würde dies nicht gelingen, sollten sie mindestens objektiv über die Vorlage informieren und die Tragweite des zu treffenden Entscheids aufzeigen. Erfolg als messbare Grösse. Die dafür wichtigen Wahlen, welche diesen Herbst wieder stattfinden, sollen dem Parlament die politische Kontur verleihen, welche bei der parlamentarischen Lösungssuche entsprechende Meinungsstandpunkte akzentuiert. Nach welchen Kriterien wird denn gewählt? Nördlich der Schweiz ist den Leuten wichtiger, dass ein Glamour-Politiker referiert, als einer mit unabdingbaren Charaktereigenschaften wie Vertrauenswürdigkeit, Ehrlichkeit, Anstand und Respekt. Südlich sind die Menschen von einem Machtbeherrscher fasziniert und hinterfragen dessen Auswirkungen und Signale gar nicht erst oder nehmen es resigniert hin. Die Mehrheit der Bevölkerungen der europäischen Länder verkennt die Werte des tugendhaften Bürgertums,

redaktionsschluss maiausgabe: 15. april, 23.55 uhr. thema: da seh ich ROT / SCHWARZ. erscheint am 1.mai am tag der arbeit!


Hintergrund

7 7. Ausgabe, April 2011

trägt ihnen keine Sorge mehr und wird so von Mitverantwortlichen zu Konsumenten des Systems. Obwohl in einer Meritokratie lebend, scheint die Leistung keinen Wert mehr zu haben. Der Erfolg stellt die messbare und kompetitive Grösse dar. In Deutschland entscheidet der Bundestag, das Volk hat keine Mitspracherechte. Beim Rücktritt des Verteidigungsministers und auch beim Bau eines Bahnhofs im Südwesten des Landes spürte man ein Aufbäumen der Angehörigen des Volkes gegen die Obrigkeit und die intellektuelle Elite. Jene Menschen brauchen die Sicherheit, dass ihre Interessen durch den von ihnen alle vier Jahre gewählten Abgeordneten tatsächlich vertreten und durchgesetzt werden, weil ihre Einflussnahme auf die Politik darauf beschränkt ist. In der Schweiz geben wir den Politikern bei jeder Wahl die Chance, für nachhaltige Kompromisse zu sorgen, also ein unabhängiges und freies Mandat. Die Politisierenden in der Landeshauptstadt sind ein Gremium, in dem alle Mitglieder gemeinsam dafür verantwortlich sind, dass weise und langfristig anhaltende Ziele definiert und verfolgt werden. Sie sind Vertreter der schweizerischen Gesellschaft und nicht Hörige ihrer Partei oder Verpflichtete ihrer Wählerschaft. Dieses demokratische Verständnis unseres Politsystems sollte unbedingt in die Köpfe unserer Abgeordneten zurückkehren. Auch wenn sie sich einmal nicht einigen können oder der gewählte Schritt Betroffenen zu weit gehen sollte, dann startet das schweizerische Volk eine Initiative oder trifft den grundsätzlichen Endentscheid. Dabei soll sich wieder jede Stimmbürgerin und jeder Stimmbürger bewusst werden, dass er für die Allgemeinheit eine Leistung zu erbringen hat und sich für dieses Land einsetzen muss, um eine tugendhafte Staatsbürgerin oder ein tugendhafter Staatsbürger zu sein. Einen Staat aufzubauen oder zu erhalten, ist eine Lebenseinstellung. Ist es nicht der Sinn des Lebens, Bäume zu pflanzen, auch wenn man nie in deren Schatten gehen wird? •

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Hintergrund

8 7. Ausgabe, April 2011

{Text} Davide Loss

Der Kluge reist ohne Billett im Zuge. Nicht nur Züge können entgleisen, sondern auch Gerichtsurteile. So ist dies letztens am Bundesgericht geschehen, als dieses mit einer halsbrecherischen Auslegung den Schwarzfahrern Tür und Tor geöffnet hat. Wer ohne Billett im Zug fährt, bleibt neuerdings straflos. Art. 57 Abs. 1 lit. a des Personenbeförderungsgesetzes hält fest, dass mit einer Busse von bis zu 10'000 Franken bestraft wird, wer ohne gültigen Fahrausweis ein Fahrzeug auf einer Strecke benützt, auf der sie oder er den Fahrausweis selbst hätte entwerten müssen. Damit will der Gesetzgeber den Verkehrsbetrieben die Möglichkeit einräumen, renitente Schwarzfahrer zur Rechenschaft zu ziehen, wenn sie den Zuschlag nicht bezahlen. Es liegt auf der Hand, dass der Gesetzgeber mit der Strecke, auf der man das Billet selber entwerten muss, die Strecken mit Selbstkontrolle meinte. Auf diesen müssen die Reisenden das Billett vor Fahrtantritt selber kaufen. Doch für das Bundesgericht kommt es bei der Frage, ob sich jemand des Fahrens ohne gültigen Fahrausweis strafbar gemacht hat, nicht mehr auf die Strecke, sondern auf das Billett an. Hat also der Reisende eine Mehrfahrtenkarte gekauft und nicht entwertet, so macht er sich strafbar, nicht

aber, wenn er kein Billett gekauft hat. Denn nach der Meinung des Bundesgerichts fährt jemand, der gar kein Billett gekauft hat, nicht auf einer Strecke, auf der sie oder er ein Billett selber hätte entwerten müssen. Dabei wird der Fokus auf den Umstand gerichtet, dass ein Einzelbillett bereits mit einem Gültigkeitsvermerk aus dem Automaten kommt und daher nicht zusätzlich abgestempelt, also entwertet werden muss. In den Worten des Bundesgerichts: « Il ne s’agit donc pas d’un billet que le voyageur doit […] lui-même valider. ». Damit öffnet das Bundesgericht Tür und Tor für Schwarzfahrer. Bezahlt ein Schwarzfahrer den Zuschlag nicht und ist dieser auf dem Zivilweg nicht einzufordern, müssen sich die Verkehrsbetriebe zukünftig mit einem Verlustschein begnügen. Zum Glück hatte der Bundesrat die unglückliche Formulierung von Art. 57 Abs. 1 lit. a des Personenbeförderungsgesetzes bereits vor dem Bundesgerichtsurteil erkannt und eine Revision in die Wege geleitet, sodass dieser unglückliche Zustand schon bald behoben sein wird. • Urteil des Bundesgerichts 6B_844/2010 vom 31. August 2010 – BGE-Publikation

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Hintergrund

9 7. Ausgabe, April 2011

{Text} Simon A. Jacoby

Die Krankheit der Wettbewerbe. Nicht nur im Kanton Zürich werden effiziente und schlanke Verwaltungen und Bürokratien gefordert. Ein kritischer Blick auf den Aufschwung der neoliberaliberalen Ideen. Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit – unser Leben wird dominiert von ökonomischen Kriterien. Jeder Bereich wird ausgemessen und beurteilt von zahlreichen Indikatoren und Kennzahlen. Nicht nur im Kanton Zürich wird dieser Trend von bürgerlichen Parteien forciert und damit der Druck auf die öffentlichen Verwaltungen und Bürokratien aufrecht erhalten. Als Resultat davon werden künstliche Wettbewerbe eingerichtet. Was ist's Wert? Effiziente Verwaltungen sind durchaus zum Wohle aller. „Ein Marktwettbewerb sollte automatisch dafür sorgen, dass nur solche Dinge produziert werden, die am meisten Nutzen stiften“ (Mathias Binswanger). Doch oft kommt bei diesen inszenierten Wettbewerben gigantischer Unsinn heraus. Nicht der Wettbewerb, sondern das Resultat und die Leistung – also Arbeit pro Zeiteinheit – sollten im Vordergrund stehen. Gemäss Binswanger wird die Beamtenbürokratie von der Wettbewerbsbürokratie abgelöst. Auch Tony Judt hinterfragt den Nutzen dieser Prinzipien kritisch. Der Historiker bemängelt, dass wir heute zwar wissen, was et-

was kostet, doch nicht, was es wert ist. Auch in Zürich wissen wir nur, was uns die Verwaltung kostet; es liegt in der Natur der Sache, dass der Output einer Bürokratie nur schwerlich zu messen ist. Mit dem sogenannten Globalbudget soll mithilfe von Leistungszielen direkt Einfluss auf die Verwaltung genommen werden. Zum Teil ist dies durchaus wünschenswert; es besteht jedoch das Risiko, dass die Schraube immer enger angezogen wird. Somit wird immer mehr Leistung – also Arbeit pro Zeiteinheit – gefordert, ohne mehr Ressourcen – im diesem Fall Zeit und damit Geld – zur Verfügung zu stellen. Die Verarmung der Gesellschaft. Die Ökonomisierung führt zu einer unsäglichen Verarmung. Die Reichen werden immer reicher und die Armen immer ärmer. Arbeitslosigkeit, vernachlässigte Schulen und Wohnungslose sind Kennzeichen der Verarmung der Gesellschaft. Zweifelslos ist die Schweiz von der öffentlichen und privaten Verarmung nicht so stark betroffen wie andere Staaten. Dennoch zeigt sich deutlich, dass Arme arm bleiben. Materielle Benachteiligung bedeutet für die Betroffenen „schlechtere Gesundheit, geringere Bildungschancen, und die üblichen Krisensymptome“ (T. Judt). Diese Problemfelder verstärken sich, je grösser die Schere zwischen Armen und Reichen auseinander geht.

Soirée Philo

im Le Pain Quotidien am Römerhof, Zürich

Dienstag 12. April Start 19.15 Uhr (Türe 19.00 Uhr)

Idealismus & Realpolitik als Lösung? Es wäre verquer zu glauben, dass diese Kluft von der Politik in absehbarer Zukunft geschlossen würde. Da sich Arme weit weniger an der Politik beteiligen, ist es einfacher und politisch nicht riskant, die Gesetzgebung an ihnen vorbei zu führen und sie somit zu bestrafen. Die Gesellschaft – und damit auch die Wirtschaft und Politik – sollte sich wieder an den Werten orientieren, die wir in den letzten dreissig Jahren über Bord warfen. Die Gesellschaft soll wieder offener den Ideologien begegnen, die eine heile Welt zeichnen. Ideologien können und müssen nicht direkt umgesetzt werden. Die Schnittstelle zwischen Idealismus und Realpolitik könnte eine verlockende Alternative zum ständigen und omnipräsenten Wettbewerb darstellen. „Kann es immer nur ein ewiges Hin und Her zwischen dysfunktionaler Marktwirtschaft und verteufeltem Sozialismus geben?“ (T. Judt). •

Mathias Binswanger ist Volkswirt und Professor an der Universität St. Gallen. Tony Judt war ein britischer Historiker.

Dr. Iso Camartin zum Thema Braucht der Mensch ein Gewissen? – Und wenn ja, wozu? In der Soirée Philo stellt er die Gewissensfrage. Wer braucht es? Wer ganz besonders? Wann und wozu? Ist es angeboren oder kann man es verlernen?? Ist das Gewissen der Kern der sittlichen Identität des Menschen? Die innere Stimme, welche die eigenen Taten "auf Herz und Nieren" prüft? Also das Organ der moralischen Selbstfindung? –Was aber, wenn unser Gewissen fremdbestimmt, manipulierbar, gar abschaffbar wäre? www.kion.ch

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Ruf Lanz

Da isst jeder gern vegetarisch. www.hiltl.ch


EIGENTLICH ROGER J. (JÜRG) KÖPPEL geb. 21.März 1965 in Zürich

ROGER

ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K.

• R.K. •

KOPPEL KOPPEL

ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K.

ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K.

ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K. ROGER K.


Rosché K.

12 7. Ausgabe, April 2011

{Text} Anonym

Die Weltwoche irrt. Staatliche Unternehmen haben in der Weltwoche bekanntlich einen schweren Stand. In einer kürzlich erschienenen Ausgabe schlägt die scharfzüngige Wochenzeitung einen Schlingerkurs ein. In einer vergangenen Ausgabe (Nr. 8/ 2011) nimmt die Weltwoche einmal mehr staatliche Betriebe ins Visier. Zum Dauergast SRG gesellen sich in dieser Ausgabe die Post und die SBB. Zugegeben, der Artikel „Wenn der Pöstler im Garten jätet“ irritiert. Kritisiert werden darin die Aktivitäten der Staatsbetriebe (die Post werde zum Shoppingcenter, die SBB vermiete zu unrecht und zu teuer den Boden ihrer Liegenschaften). Sie sollen nicht am Wettbewerb teilnehmen, weil der Marktdruck fehle. Sollen die SBB nun in ihren grossen Bahnhöfen die zu Recht teuren Liegenschaften zu Spottpreisen verscherbeln? Sollen also die Bodenpreise begrenzt werden? Genau das fordert die SP und Roger Köppel und seine

Freunde kritisieren in der selben Ausgabe dieses Vorgehen. Entweder staatliche Regulation oder freier Markt. Scheinbar kann die Weltwoche bei Staatsbetrieben mit keinem leben. Konsequenterweise fordern die Neoliberalen im Schlusssatz des Artikels die vollständige Privatisierung dieser Betriebe. Doch seien wir ehrlich, niemand möchte private Bahngesellschaften und Postbetriebe. Insbesondere bei der Bahn endet das entweder in einem Monopol oder so wie in England. Und da gibt es inzwischen so viele private Anbieter, dass für eine einstündige Zugfahrt mehrere überteuerte Fahrscheine gekauft werden müssen. Inkonsequent und durchschaubar. Der Autor (Alex Reichmuth) des Artikels „Wenn der Pöstler im Garten jätet“ wurde mit dieser Kritik konfrontiert und lieferte eine aufschlussreiche Antwort. Es sei nicht Aufgabe des Staates, Unternehmen zu führen, lässt Reichmuth verlauten.

Schlagzeilen, Skandale, Sensationen.

Wie Medien und Journalisten heute agieren. von Kurt W. Zimmermann Orell Füssli Verlag, Zürich 2011 244 Seiten, gebunden

Wenn der Markt die Leistungen nicht von alleine sicherstellt, so soll das der Staat übernehmen (service public). In diesem Punkt hat die Weltwoche recht. Die staatsnahen Betriebe Post, SBB und SRG sollen ihre Tätigkeitsfelder nicht dauernd in Gebiete ausweiten, in welchen Private genauso gut arbeiten. Die Weltwoche verlangt also staatliche Regulation der staatlichen Betriebe. Das sind überraschende und neue Töne. Die scharf rechts politisierende Zeitung verrät sich hier in zwei Punkten. Erstens, weil sie grundsätzlich und immer gegen jede Form von Regulierung ist und dem Markt derart vertraut, wie der Papst dem lieben Gott. Zweitens: Die erwähnten Staatsbetriebe machen jährlich Schlagzeilen mit den benötigten Subventionen. Die Weltwoche schiesst jeweils scharf. Wenn die Post, die SBB und die SRG unternehmerisch aktiv werden, um diese Subventionen zu verkleinern, schiesst die Weltwoche wieder scharf. Reichmuths Argumentation ist inkonsequent und nicht durchschaubar. Die Weltwoche scheint grundsätzlich dagegen zu sein. •

Die Medienbranche hat eine der schwersten Krisen ihrer Geschichte hinter sich. Aber die Modelle für die Zukunft sind noch nicht gefunden. Rund um Presse, TV und Internet gibt es darum ökonomische Schlachten genauso wie Glaubenskriege. Auch die Journalisten kommen in diesem Umfeld vermehrt in die Kritik und müssen eine neue Rolle suchen. Kurt W. Zimmermann zeigt, was sich heute hinter den Kulissen der Medienbranche abspielt und wie Journalisten in der neuen Situation agieren.

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••• ... distanziert sich von sämtlichen Artikeln, Bildern und unwahren Behauptungen in diesem linken, hetzerischen und wahrscheinlich vom Bund subventionierten Blatt.

Die Weltwoche erscheint wöchentlich. Wie soll man sich denn da eine eigene Meinung bilden?


Rosché K.

13 7. Ausgabe, April 2011

{Text} Marlon Höss

Herr Köppel schuldet mir 15 Franken. Und so kam es denn, als ich neben dem Studium etwas Geld mit Taxifahren verdiente, dass ich von der Zentrale den Auftrag bekam, zum Sitz der Weltwoche zu fahren und Herrn Köppel abzuholen. Ehrlich gesagt, ich war gespannt. Die Weltwoche lese ich schon länger nicht mehr, muss jedoch zugeben, dass ich eine kurze Zeit lang ein Fan von Herrn Köppel war. Irgendwie hatte er etwas, wie er in der „Arena“ des Schweizer Fernsehens so selbstbewusst zwischen den Politikern stand und gewandt in eleganter Zweideutigkeit so manches heikle Thema anschnitt. Das war, bevor die Weltwoche sich auf die Seite der SVP schlug. Dann fing die Weltwoche an zu langweilen. Mit Darstellungen des Lebens des

{Illustration} Vincenzo Iorio

heiligen Christoph Blocher, mit Dauertorpedierung der Deutschen in der Schweiz und mit abstruser Geschichtsklitterungen durch stellvertretende Chefredaktoren. Der Journalismus des Herrn Köppel war somit auch schnell durchschaut, er lautet: „Nimm dich derjenigen Themen an, mit denen du die grössten Kontroversen erzeugst.“ Als würde man alle journalistischen Lehrbücher in einem Satz destillieren – und auf die Pauke hauend im Stakkato wiederholen. “Klischeethemen: Deutschland & SVP“ Während ich also im Taxi wartete, überlegte ich schon, wie ich Herrn Köppel in ein

interessantes Gespräch verwickeln könnte. Klischeethemen Deutsche und SVP? Zu billig. Zu sehr Lehrbuch. Teure Autos? Sicher nicht. Einfach mal nichts zu sagen, schien mir die beste Idee. Ich war gespannt. Mein Taxameter lief. Herr Köppel kam nicht. Und ich wartete. Bis ich Herrn Köppel sah, er mich aber schlichtweg ignorierte. Nur um dann um die Ecke zu huschen und in ein Taxi der Konkurrenz zu springen. Sapperlott. Ich stoppte mein Taxameter bei 15 Franken. Herr Köppel wollte sich das Geld für das Taxi sparen, das er hätte zahlen müssen, weil er zu spät kam. Er schuldet mir 15 Franken. Und ein gutes Gespräch. •


14 7. Ausgabe, April 2011

{Illustration} Gian Steiner http://www.gians-faerberei.ch

RoschĂŠ K.


RoschĂŠ K.

15 7. Ausgabe, April 2011

{Idee & Druck} Lilian Gadola

redaktionsschluss maiausgabe: 15. april, 23.55 uhr. thema: da seh ich ROT / SCHWARZ. erscheint am 1.mai am tag der arbeit!


Kultur

16 7. Ausgabe, April 2011

{Text} Hans Seger

Entschuldiget Sie viel mal. Sind wir Schweizer nicht ein Paradebeispiel für höfliche Menschen? Haben Sie schon mal versucht, in der Migros oder dem Coop diese dreieckigen Stäbe, welche die Einkäufe auf dem Kassenband voneinander trennen, nicht hinter die von Ihnen geposchtete Ware zu legen, wenn noch jemand hinter Ihnen kommt? Wohl kaum. Einerseits verbietet uns dies unsere eingeprägte Höflichkeit, andererseits würde die anständige Person hinter Ihnen warten, bis sie das ganze Kassenband für sich alleine hat. Sonst gibt’s noch ein Durcheinander mit den Rüebli und dem Käse, und das will ja wohl wirklich niemand. Lieber das schwere Drahtchörbli noch ein bisschen länger tragen als ein Chaos zu riskieren, aus welchem man sich mit vielen umständlichen Worten wieder raus erklären müsste. Ruhig zu warten, ist da viel gemütlicher. Das ewige Piepsen der Kasse und die Cumulusund Superpunktefrage wirken mittlerweile so vertraut. Ausserdem mag man den ungläubigen Gesichtsausdruck der Kassiererin, die kaum glauben kann, dass man keine dieser Karten besitzt. Also auf keinen Fall die Konzentration für den bevorstehenden Einkaufshöhepunkt mit unnötigem Geschwätz über Warenzugehörigkeiten verderben. Sich lieber vorbereiten auf den unvermeidbaren, sich nähernden Satz: „Danke,

das wünsch ich Ihne au.“ Spannend wird’s aber auch in folgender Situation. Jemand mit nur einem Sandwich und Katzenfutter, sichtlich im Schuss, steht hinter einer Dame mit dem Monatseinkauf für ihre unzähligen Goofen, weshalb ein regelrechter Berg aus dem Einkaufswägeli ragt. Sagt der Eilige etwas? Kaum. Zur Schweizer Höflichkeit gehört diese Geduld. Nicht so die Dame. Wenn sie den Eiligen bemerkt hat, hat sie keine andere Wahl als zu fragen: „Wänd si füre? Si händ ja nur es Sändwitsch und Whiskas.“ – Sache erledigt. Hat sie ihn jedoch nicht bemerkt, liegt es am Eiligen, auf sich aufmerksam zu machen. Nur, wie macht man das so ganz höflich? Ein schwieriges Unterfangen, welches viel Fingerspitzengefühl verlangt. Ein No-Go ist die „max. 5 Artikel“-Kasse. Glauben Sie mir. Versuchen Sie nie, aber auch gar nie, die „max. 5 Artikel“-Kasse mit mehr als fünf Artikeln zu benutzen. Um es vorwegzunehmen: Es funktioniert. Aber dieser Stress! Diese Blicke! Zuerst versuchte ich, die ca. zehn Artikel so in der Hand zu halten, dass sie nach weniger aussehen. Die Kaugummis schön unter den Fischstäbli verstecken. Und den Zopf in den Coop-Sack einwickeln. Gerade als ich mich fragte, ob diese Coop-Säcke überhaupt als Ar-

Lauter Festival

mit Ian Constable, Summit und dem DJ Team Bonaparte, Jack Pryce & The Kids are Terrorists

Sonntag 10. April 2011 ab 16:00 Uhr Stall 6, Gessnerallee 8

tikel gelten, fiel mir das Redbull-Imitat runter. Spätestens jetzt bemerkte jeder in der Schlange, dass ich definitiv mehr als fünf Artikel trug. Niemand sagte was, aber die mahnenden, tadelnden, ja fast beleidigten Blicke machten mich als Vorbildschweizer regelrecht fertig. Ein Horror für jeden schweizerischen Einkäufer ist auch die neue Migros im Zürcher Hauptbahnhof. Diese Kassenanordnung! Wer soll da noch den Durchblick haben, wer wo ansteht? Da gibt es ja immer drei Kassen hintereinander! Da geht sämtliche Höflichkeit und Ordnung den Bach runter. Dieses Umhergelaufe vor den Kassen. Soll man jetzt vor dem Kassenbereich anstehen? Direkt vor einer Kasse? Gar nicht? Da lob ich mir das altbewährte Kassensystem! Mehrere Schlangen nebeneinander, die scheinbar kürzeste wird anhand von verschiedenen Parametern eruiert und dann wird angestanden. Um die letzten Zweifel (nicht die Chips!) aus dem Weg zu räumen, gibt’s ja dann diese schweizerischen dreieckigen Stäbe, die wir höflich für den nächsten Einkäufer aufs Band legen. Nicht unordentlich schräg, aber auch nicht ganz gerade, sonst werden Sie von der Lichtschranke nicht erkannt, das Band stoppt nicht und es entsteht ein Durcheinander. •

Das LAUTER FESTIVAL serviert nationale und internationale Topacts auf dem Silbertablett und zwar gratis! Bereits die dritte Ausführung ist es, die dieses Jahr zum ersten Mal im Stall6 über die Bühne geht. Neben BLACK BOX REVELATION (B) treten nationale und lokale Grössen auf, unter anderen werden LES YEUX SANS VISAGE aus Luzern ihren energisch gespielten Post-Punk auf die Festivalcrowd loslassen. Stark ist auch die Stadt Zürich vertreten, zum Beispiel durch IAN CONSTABLE oder die jungen SUMMIT mit ihrem unvergleichlichen Babyflipper Programm. Nach knapp acht Stunden live Konzerten wird fast bis zur Explosion des Böggs das Tanzbein an der offiziellen BONAPARTE Afterparty geschwungen. Die Schallwellen werden von BONAPARTE selbst erzeugt, unterstützt von den Zürcher DJ Platzherren JACK PRYCE sowie THE KIDS ARE TERRORISTS.

redaktionsschluss maiausgabe: 15. april, 23.55 uhr. thema: da seh ich ROT / SCHWARZ. erscheint am 1.mai am tag der arbeit!


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18 7. Ausgabe, April 2011

Kultur

{Text} Thom Held & Jürg Minsch {Bild} Weiss-heiten Design

Easy Rider der Demokratie.

Man sagt, Demokratie sei nicht visionär. Erst recht heute, bei diesem lösungsfernen Parteien-Schaugezänk. Lieber wegzäppen als diesem «Politainment» weiter zuhören. Schon gar nicht einmischen. Nur: Kann man Demokratie wegzäppen? Man kann, aber zu welchem Preis! Andernorts wird dieser Tage um Elementares des Menschseins gekämpft: um freie Meinungsäusserung, um Mitsprache bei der Gestaltung von Gegenwart und Zukunft. Und in unseren Breitengraden drängt’s immer mehr Menschen zum «Cocooning». Ob Geschäft, Familie oder Partyszene, immer mehr dreht es sich primär darum, das kleine individuelle System zu optimieren. War’s das? Ist der Punkt erreicht, an dem die Demokratie an individuellen und parteilichen Interessen aufläuft? Demokratie als Selbstbedienungsrestaurant ohne Nachschub, trockengelegt durch Abermillionen von individuellen Anzapfstellen. Hat unsere Gesellschaftsordnung ihre Klimax erreicht, fängt sie nun an zu zerbröseln, ohne dass sie sich zu erneuern weiss? Selbsterneuerung Immer mehr Menschen, auch gebildete und vor allem solche mit einigen Lebensjahrzehnten auf dem Buckel, tragen dieses Gefühl in sich. Ob ausgesprochen oder unausgesprochen, es dominiert die Desillusionierung. Sie klagen über den Niedergang der Demokratie, reden von deren Tod. Der Glaube an die selbstreinigende Kraft der Demokratie ist versiegt. Irgendwie. Einfach so. Einfach so? Selbstverständlich nicht. Demokratisch sein bedeutet, sich ständig zu erneuern. Eines der aktuellen Defizite ist exakt dieser Mangel an Erneuerungskraft, ein weiteres jenes an Erneuerungswillen. Links wie rechts, in der Stadt und auf dem Land. Wegzäppen statt denken und das Wort ergreifen erneuert nicht die Demokratie, sondern untergräbt sie. Ist selbst Teil des Problems, das man beklagt. Erneuern würde heute unter anderem heissen, die Bürgerinnen und Bürgern verstärkt zu befähigen, sich auch zu komplexen Themen eine aus Zusammenhängen abgeleitete, eigenständige Meinung zu bilden, sich zu Wort zu melden, sich einzumischen. Und nicht einfach zu warten, bis man gefragt wird. Nein, den Schmetterlingen gleich aus eigener Kraft den Kokon durchbrechen und losfliegen, ins Abenteuer Leben, ins Abenteuer Demokratie. Im Mittelpunkt steht die Selbstbefähigung hin zu Citoyens und Citoyennes des 21. Jahrhunderts. Neue Wege, neue Methoden und neue Institutionen sind dazu nötig, und vor allem der Wille dazu. Was es braucht, sind keine weiteren Member-Clubs. Keine weiteren

redaktionsschluss maiausgabe: 15. april, 23.55 uhr. thema: da seh ich ROT / SCHWARZ. erscheint am 1.mai am tag der arbeit!


Kultur

Underground-Szenen, wo man unter Seinesgleichen bleibt. Auch keine weiteren Black-BoxThink-Tanks. Demokratie von heute braucht Think-Tanks DER Öffentlichkeit. Die Denk-Allmend Ein solcher hat letztes Jahr seinen Anfang gemacht: «Die Denk-Allmend». Ein Auftaktprojekt ist ebenfalls lanciert: «Die DenkAllmend Flugplatz Dübendorf». Dabei geht’s darum, in einer breiteren Öffentlichkeit als bislang über einen wichtigen Zukunftsort nachzudenken: Was soll nach dem sich abzeichnenden Abzug der Schweizer Armee mit einem riesigen Areal, das der Eidgenossenschaft gehört, geschehen? Was wollen denn die Eidgenossinnen und Eidgenossen? Wollen sie überhaupt etwas? Kann dieses Wollen wachsen, wenn man darüber öffentlich nachdenkt und darüber diskutiert? Kann sich dieses anwachsende und lernende Wollen politisch Gehör verschaffen? Ist unse-

re Demokratie noch Resonanzraum für neue Ideen, für Ideen jenseits enger wirtschaftlicher und politischer Verwertungsinteressen? Bis Ende 2012 läuft dieses erste «Denk-Allmend»Projekt. Und bis zum 3. Juni 2011 können im Rahmen eines Ideenwettbewerbs noch Ideen für eine neue grosse Zukunft des Flugplatzes Dübendorf eingereicht werden. Wer eng denkt, fliegt raus! Neben Preisgeldern winken vor allem auch die Möglichkeiten, sich einzubringen: als Ideengeber, als mitdiskutierende Bürgerinnen an den Folgeveranstaltungen, wo’s darum geht, mögliche demokratische Wege zu etwas Einmaligem, zu etwas werthaltig Grossem öffentlich zu entwerfen. Demokratie als Selbstversuch. Easy Rider Wie jedes Demokratieprojekt benötigt der Zukunftsentwurf zum Flugplatz Dübendorf vor allem eines und von dem möglichst viele: «Easy Rider der Demokratie». Dies bedeutet:

19 7. Ausgabe, April 2011

«Die Denk-Allmend für den Flugplatz Dübendorf ist KEIN Protestprojekt. Wir wollen uns NICHT einnehmen lassen, von Zukunftsangst, von Wut und Empörung über die rasch sich verändernde Welt. Im Gegenteil! Wir stehen mitten im Leben, selbstbewusst und zweifelnd, teilen die Sorge ums Gleichgewicht, und wagen es gerade deswegen, die Zukunft mitzudenken und mitzugestalten. Beschwingt. Kraftvoll. Lustvoll. Als mündige Bürger und Bürgerinnen steht es uns frei, unvoreingenommen zu denken und uns neue Meinungen zu bilden. Über den Weg grosser, vielleicht befreiender Ideen.» Wer also wagt die Kombination von Freiheitsliebe und Demokratie? Wer wagt es, sich als «Easy Rider der Demokratie» einzubringen? •

Mehr Informationen: www.denkallmend.ch

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am Helvetiaplatz, Tel. 044 242 04 11, www.xenix.ch


Kultur

20 7. Ausgabe, April 2011

{Text} Benedikt Kukacka

Wien Westbahnhof! Eine Zeit lang führte mich mein Arbeitsweg am Gleis 1 des Zürcher Hauptbahnhofs vorbei. Meine Tage begannen damals erst um Viertel vor neun, so dass ich häufig den abfahrenden Zug der ÖBB nach WIEN WESTBAHNHOF sah. Abfahrt 8:40, Ankunft 16:44. Acht Stunden und vier Minuten pures Fahrvergnügen. Welch nostalgisch anmutende Erinnerung an Zeiten, in denen solche Strecken – wenn überhaupt – nur mit dem Zug bewältigt werden konnten. Heute steigt man zu Taxipreisen ins Flugzeug und zwei Stunden später wieder aus. Und dabei denkt man immer: „Mann, was hab ich da jetzt alles gespart, wie viel Zeit und Unannehmlichkeiten! Toll gemacht!“ Wobei: Haben Sie schon mal ihren Zug verpasst, weil am Security Check eine Schlange war? Vor längerer Zeit bin ich diese Strecke auch einmal mit dem Zug gefahren. ZÜRICH – WIEN WESTBAHNHOF. Nachtzug. Liegeabteil. Ganz so sehr wollte ich die Fahrt dann auch nicht geniessen, wer schaut schon acht Stunden lang aus dem Fenster. Weil damals ein Teil der Strecke nicht befahrbar war, kam man mit einem kleinen Schlenker in den Genuss von 17, statt der üblichen 12 Stunden Fahrt. Ohne Aufpreis. Das Liegeabteil besteht aus zwei gegenüberliegenden Sitzbänken, auf der während der Fahrt gemütlich vier Personen Platz haben. Zum Schlafen werden die darüberliegenden Bänke heruntergeklappt, so dass man in – den Raumverhältnissen gerecht werdender – zu-

sammengekrümmter Haltung auf gut 1.78 m Platz zum Schlafen hat. Wer grösser ist, so wie ich etwa 1.86 m, der hat entweder Pech gehabt oder lässt die Beine aus dem Bett hängen. Das tat ich so lange, bis der obere Abteilnachbar mit einem beherzten Sprung aus dem oberen Stockbett beim eben genannten Bein die Maximaldehnung testete. Spätestens dann war an Schlaf nicht mehr zu denken und das Ärgernis der zu kleinen Liegefläche machte den Schmerzen im Bein Platz. Dass an Schlaf nicht zu denken war, war unter anderem auch der fürsorglichen Ader des Zugschaffners zu verdanken. Nachdem er alle Fahrkarten im Zug mit seiner Knipszange entwertet hatte – ich bin sicher, er hätte ein ETicket auf dem Handy ohne viel Federlesens auf die gleiche Art entwertet – kam er in regelmässigen Abständen durch den Zug und verkündete lautstark mit ungarischem Akzent: „Bar ist gaaanze Nacht geöffnet… keine Speeerrstunde… jaaaaa…..gaaaanze Nacht!“ Ein Buch unterm Arm und mit dem Gedanken an ein eiskaltes Bier vor dem Schlafengehen machte ich mich auf den Weg in die Bar. Dort angekommen wurde mir schmerzlich bewusst, dass „der Österreicher“ sich bis dato noch nicht hatte durchringen können, einem gesetzlichen Rauchverbot in öffentlichen Räumen die Ehre zu geben. Die Bar glich mehr einer heruntergekommenen Spelunke. Das vorhandene Personal bestand aus dem – mittlerweile schon etwas angeheiterten – Zugschaffner und einer

molligen Bedienung mit gepunkteter Schürze, wirrem Haar und rotem Lippenstift. Statt dem gemütlichen eiskalten Bier bestellte ich ein „Rennpils“ und beobachtete durch die wabernden Zigarettenschwaden die Besucher. Dass die Runden des Zugchefs immer länger und sein Gang immer weicher wurden, lag an den regelmässigen Zwischenstops in der Bar. Hier unterzog er insbesondere seinen selbstgebrannten Fusel – der nicht auf der Karte stand, aber günstiger war als der dort angebotene Schnaps – einer beständigen Qualitätskontrolle. Wer vom Fach ist, weiss: Unter 2 cl macht eine Probe keinen Sinn. Auch die mollige Kellnerin mochte ihm dabei immer attraktiver vorgekommen sein. Als ich die Bar verliess, war er längst über den Status der heimlichen und verstohlenen Blicke hinweg. Am nächsten Morgen weckte uns – wie sollte es anders sein – der Zugschaffner. Man hörte ihn schon schon von Weitem. Mit heiserer Stimme krächzte er: „NÄÄÄÄÄÄCHSTE HALT WIEEEEEN WEEEESTBAHNHOF! WIEN NÄCHSTE HALT!“ Ich stieg aus dem Abteil, sah um die Ecke und da kam er schon. Schiefe Kappe, knallrotes Gesicht und das Hemd aus der Hose hängend. In der linken Hand die Knipszange. Als er näher kam, erkannte ich, dass die rote Farbe im Gesicht nicht vom Schnaps, sondern von einem Lippenstift stammte… Naja, wenigstens einem hat die Zugfahrt ganz gut gefallen. „WIEN WEEESTBAHNHOF… BAR IST GEÖFFNEEET!“ •

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Kultur

21 7. Ausgabe, April 2011

{Text} Monika Bettschen

Geisterstadt unter uns. In Bern gibt es eine Bushaltestelle mit dem Namen Galgenfeld. 2009 stiess man im gleichnamigen Quartier im Rahmen grosser Bauarbeiten für Wohnsiedlungen auf menschliche Skelette. Schnell war klar, dass es sich dabei um Funde von spektakulärem historischem Wert handeln muss. Archäologische Grabungen förderten ein Stück düsterer Geschichte zu Tage: Im Mittelalter befand sich hier eine öffentliche Hinrichtungsstätte. Man fand die Überreste eines Galgens. Und die Leichen von Dieben, Mördern, und der Hexerei Bezichtigten wurden darum herum ebenso achtlos in der Erde verscharrt wie Selbstmörder. Heute entsteht auf diesem geschichtsträchtigen Boden urbaner Wohnraum. Das Stade de Suisse, eine Schule, das Zentrum Paul Klee und die Autobahn sind nicht weit. Die Vorstel-

lung, dass hier vor Jahrhunderten Scharfrichter unerträglich grausame Urteile vollstreckt haben sollen, erscheint wie nicht von dieser Welt, wenn man, mit Einkäufen bepackt, an der Haltestelle Galgenfeld aus dem Bus steigt.Errungenschaften einer modernen Zivilisation, erbaut auf einem ehemaligen Schauplatz der Unmenschlichkeit. Auf einem Nährboden, der getränkt ist mit dem Leid ganzer Epochen, scheint das fast schon eine naheliegende Konsequenz davon zu sein. Vermutlich befinden sich unter den Fundamenten aller unserer Städte solche Stellen. Und genau wie diese Geisterstädte unter uns im Verborgenen liegen, gedeihen auch die menschlichen Abgründe der Lebenden weit unter der

Oberfläche. Auf einem Nährboden, der getränkt ist mit dem Leid ganzer Epochen, scheint das fast schon eine naheliegende Konsequenz davon zu sein. Ein Blick in die Geschichte, ob tief hinunter ins Erdreich oder in die Chroniken hinein, ist ein guter Weg, sich bewusst zu werden, wie dünn der Mantel der Zivilisation doch ist. Denn Ängste und niedere Instinkte ätzen aus den Tiefen des Unterbewusstseins ständig Löcher in dieses feine Gewebe. Und während man nachdenklich Gemüse, Milch und Käse im Kühlschrank verstaut, dämmert einem langsam, wie wichtig es nach wie vor ist und bleibt, Ansätze von Grausamkeit bereits im Keim zu ersticken. Nur schon, damit sich den Menschen in 500 Jahren bei Bauarbeiten nicht ein ähnliches Bild präsentiert wie uns heute. •

Die Lesebühne in Kleinbasel Alpenblick Bar, Klybeckstrasse 29 Basel

Donnerstag 14. April Start 20.30 Uhr (Türe 20.00 Uhr)

Hochkarätige Gäste aus Poetry Slam, Literatur & Kleinkunst tragen im Alpenblick vor. mit dabei: Simon Libsig (Baden) Valerio Moser (Langenthal) u.a. Moderation: Micha de Roo (Basel) und Kilian Ziegler (Trimbach). Platzzahl beschränkt! Reservation (empfohlen): info@bar-alpenblick.ch Eintritt: Fr. 15.00 www.bar-alpenblick.ch

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Kreatives

22 7. Ausgabe, April 2011

{Text} Veronika Henschel

Fette Zeiten? Magere Jahre! Reaktion auf den Artikel "Fette Zeiten kommen auf uns zu." aus der Märzausgabe (Seite 21).

Anfangs mit grossem Interesse, dann mit immer mehr Abscheu habe ich den Artikel "Fette Zeiten kommen auf uns zu" gelesen. Nach dem letzten Wort war ich richtig wütend. Denn schon wieder ist es passiert, dass nur eine Seite einbezogen wurde, schon wieder ist es passiert, dieses Schubladisieren. Natürlich ist mir klar, dass Fettleibigkeit vielleicht nur als Metapher verwendet wurde. Aber manche Themen vertragen es nicht, im übertragenen Sinne benutzt zu werden. Dieses ist definitiv eines davon. Die Autorin redet von Fettleibigkeit, von Fast Food, von Krankenkassen, die bankrott ge-

hen. Sie schreibt über das Bildungssystem und schliesslich über die schönen Schweizer Berge. Doch ich finde, sie hat einen wichtigen Punkt vergessen: Es gibt auch die andere Richtung. Mag sein, dass die Fettleibigkeit zugenommen hat. Aber man sollte niemals den Schlankheitswahn unterschätzen, der uns fest im Griff hat. Schlank ist schön. Klar, die inneren Werte sind wichtig und Kurven sind toll und blablabla, aber schlank ist schön. Punkt. Und weil viele das Gefühl suchen zu genügen, angenommen zu werden, schön zu sein, in der Norm zu liegen, hungern sie. Oder kotzen. Oder beides. Diese

Menschen sollte man niemals vergessen, wenn man über Fettleibigkeit redet. Denn man könnte ganze Bücher füllen über Salate, Krankenkassen, die bankrott gehen (nicht nur Fettleibigkeit ist teuer…), das Bildungssystem (in dem dieses Thema miserabel behandelt wird) und die Schweizer Berge, von denen die "Skelette" der Kranken weggeweht würden. Fette Zeiten kommen auf uns zu? Vielleicht. Aber auch magere Jahre. Und schlussendlich werden wir, eventuell schon im Jahre 2025, nur noch Hungerhaken und Fettklopse auf den Strassen sehen. •

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NATZ Fritz Gräber & Nando Schmidlin Boldernstrasse 16 8708 Männedorf www.nandoschmidlin.ch

WÜRFEL Beim “Würfel” von Natz gibt es keine Anleitung, keinen Weg und auch kein Ziel, nur drei Holzteile. Man kann sich mit ihnen auf eine sehr sinnlose Art beschäftigen, die kein Denken erfordert, dazu aber anregt. Insgesamt sind 1‘344‘752.8 verschiedene Figuren denkbar, welche sich aus den drei Teilen zusammensetzen lassen. Doch keine davon zeigt ein deutliches Bild oder Symbol, es sei denn man will.

ISABEL JAKOB 2011 ILLUSTRATION

ISABEL JAKOB Austrasse 34 8045 Zürich www.isabeljakob.com

BURN BABY BURN Verbrenne, was du vergessen könntest. Burn Baby Burn liefert dir den Stoff und die Zündhölzer dazu! Vielleicht bleibt noch etwas Feuer für eine Zigarette übrig – lass dich von Isabel’s Illustrationen überraschen!


Kreatives

23 7. Ausgabe, April 2011

{Text} Pascal Woodtli

Auf Wiedersehen. Der Rasen war dunkelgrün. Patricia hielt die halbvolle Schachtel Pralinen in der einen Hand und kramte mit der andern in ihrer Tasche, den Autoschlüssel suchend. Sie warf einen Blick auf das gegenüberliegende Anwesen, während sie über den aus Schiefersteinplatten gelegten Weg zur Quartiersstrasse ging. Purpurrote Wolken verzierten den Horizont des satten Abendhimmels, da, wo wahrscheinlich vor wenigen Minuten die Sonne untergegangen war. Es wird bald Herbst, dachte Patricia, als sie sich auf den Beifahrersitz setzte und die Tür des silbernen Wagens zuzog. Den Schlüssel steckte sie in die Zündung, eine Praline in ihren Mund. Sie schaute hoch zum Haus, dessen weiße Fassade das rötliche Licht des Abends dezent wiedergab, und sah, wie sich Lars, vor dem erleuchteten Eingang stehend, von seinen Eltern verabschiedete und nach mehreren Umdrehungen mit abermaligen Abschiedsgesten langsam, aber sicher auf sie zukam. „Soll ich heute auch die Netzstrümpfe anziehen, mein Herr?“ Lars sprach erst, als sie das Quartier verlassen und sich in den Abendverkehr eingereiht hatten: „Ach, Schatz“, sagte er beschwichtigend, „um so was persönlich zu nehmen, bist du doch viel zu klug.“ Sie schaute aus dem Fenster und kaute demonstrativ auf einer weiteren Praline rum. „Patricia, bitte! Niemand konnte wissen, dass sie jetzt eine Diät machen. Deine Eltern sind auch nicht perfekt“, fuhr Lars fort. „Meine Eltern? – Meine Eltern hätten die Pralinen trotzdem angenommen und sich bedankt dafür und sie nicht so schnöde abgelehnt. Ungaren sind nicht so verwöhnt wie ihr hier, und gastfreundlicher sind wir auch. Alles was ich wollte, war deinen Eltern eine kleine Freude bereiten. Aber naja, dann esse ich sie eben ganz alleine“, antwortete Patricia trotzig und schob sich noch eine in den Mund. „Tu das!“, sagte Lars und war froh, dass die Sache damit gegessen war. Sie fuhren dem Fluss entlang und unter mehreren großen Brücken hindurch Richtung Stadtzentrum. Auf dem Trottoir standen zwei Prostituierte, Lars sah sie von weitem. Sie trugen Netzstrümpfe und Miniröcke. Die mit den schwarzen Haaren wackelte mit dem Hintern, die mit den blonden Locken stand rauchend

an eine Straßenlaterne angelehnt. „Ach Gott“, sagte Patricia, „diese Nutten; wie können die nur? Die sind abscheulich. Warum hat die Blonde dich so blöd angestarrt? Hast du ihr etwa zugezwinkert?“ – „Nein, natürlich nicht“, erwiderte Lars, „außerdem glaub ich – so blöd wie es tönt – starrte sie eher dich an und nicht mich.“ Nach kurzem Schweigen beugte sich Patricia zu ihrem Mann, gab ihm einen dicken Kuss auf die Backe und sagte in verführerischem Ton: „Soll ich heute auch die Netzstrümpfe anziehen, mein Herr?“ – „Oh…ja, sehr gern. Du kleine, süße Hure“, antworte Lars und beide lachten, als sie auf die Autobahn fuhren.

„Hier entlang, bitte“, sagte die Frau im weißen Kittel und führte das junge Ehepaar durch den düsteren Korridor, dann rechts in ein kleines, spärlich eingerichtetes Zimmer, in welchem zwei Mädchen auf dem Boden saßen und mit einer Puppe und einem alten Stoffhündchen spielten. Die Mädchen – beide mit strohblonden Locken – ließen sich nicht stören von den unbekannten Besuchern. „Arnika ist sechs und Patricia ist drei“, erklärte die Frau, „ihre Eltern waren aufrichtige Leute aus der Arbeiterschicht; sie starben beim Zugunglück im letzten Mai. Die zwei Mädchen halten seit jeher sehr zueinander. Wir wären froh, wenn sie also beide nehmen könnten.“ – „Das können wir uns nicht leisten“, erwiderte der Mann niedergeschlagen, jedoch bestimmt. „Wir haben vor, im Frühjahr auszuwandern gegen Westen. Ich denke, wir nehmen nur die kleine, wohl oder übel. Was meinst du?“ Seine Frau nickte überfordert. „Na schön – dann sag‘ deiner Schwester auf Wiedersehen, Patricia!“, beorderte die Erzieherin, während sie einige Dinge im Zimmer zusammenklaubte. Arnika weinte lautlos, denn sie war alt genug, um zu wissen, dass dieser Abschied kein Wiedersehen vorsah. Sie gab ihrer kleinen Schwester das Hündchen und die Puppe mit und sagte: „Viszontlátásra, mach’s gut.“ Und die kleine Patricia erwiderte: „Du auch.“ Doch war sie viel zu jung, um zu realisieren, was wirklich geschah, als sie, an der Hand ihrer neuen Mutter aus dem Zimmer gehend, zurück auf Arnika blickte und nicht verstehen konnte, weshalb ihre große Schwester plötzlich so traurig war. •

Fumetto

Internationales Comix-Festival Luzern

Samstag 9. April - Sonntag 17 April

1992 wurde Fumetto mit einem Comic-Wettbewerb ins Leben gerufen. Bald entwickelte sich aus dem regionalen Anlass ein Festival, welches die wichtigsten Comickünstler präsentierte und sich als Zeichnerplattform etablierte. Mittlerweile haben am Wettbewerb, welcher immer noch jährlich ausgeschrieben wird, über 12‘000 Personen aus der ganzen Welt teilgenommen. Dieses Jahr feiert Fumetto – Int. Comix-Festival Luzern sein 20-jähriges Bestehen als eines der wichtigsten Festivals des Mediums Zeichnen. Stargast im Jubiläumsjahr ist der Amerikaner Daniel Clowes. Er ist einer der wichtigsten Comiczeichner der 90er Jahre, der Gründungszeit von Fumetto. Mit seiner Serie «Eightball» zeichnete und schrieb Clowes einen der einflussreichsten Comics der Dekade. www.fumetto.ch

Einweihung des 5. Designomaten Freitag 6. Mai im Z am Park Zurlindenstrasse 275, Zürich Vernissage & Apéro ab 18.00 Uhr

Studenten aus der Grafikklasse der F&F konzipieren und gestalten Objekte zum Thema "Jukebox". Visuelles, textliches und AudioMaterial werden zu den ausgewählten Songtiteln recherchiert, editiert und für das Format der Designbox gestaltet. Die Prototypen werden im Kafi Z zur Eröffnung vom Designomat Nr. 5 ausgestellt. Das Publikum hat die Möglichkeit ihr Lieblings Designobjekt zu wählen. Das Objekt mit den meisten Stimmen erhält den Publikumspreis. Dem gewählten Designer wird die Ehre zuteil, sein Designobjekt für Designomat herzustellen. Neue Designobjekte aus der Folgestaffel werden neu im Brutkasten sein, speziell zu erwähnen ist das Designobjekt von Ben Fluri "Guerilla Gärtner". www.designomat.ch

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Open Hours Tuesday to Saturday 1 p.m. to 9 p.m. Sunday 1 p.m. to 7 p.m.

Burgweg 15, CH 4058 Basel T +41 61 692 20 21 info@liste.ch, www.liste.ch

Opening Reception Monday June 13, 5 p.m. to 10 p.m.

A project in the workshop community Warteck pp

Main Sponsor since 15 years: E.GUTZWILLER & CIE, BANQUIERS, Basel

Foto: Hans-Jörg Walter, Zurich; Grafik: Ute Drewes, Basel

June 14–19, 2011


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