Die beste Zeit

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DIE BESTE ZEIT Das Magazin für Lebensart

Ausgabe 21, 2013 - 3,50 Euro

Himmel auf Erden Sammlung Von der Heydt-Museum

Die Bildhauer

der Düsseldorfer Kunstakademie seit 1945

Besuch der alten Dame Premiere im Teo Otto-Theater

Wuppertal hat ein Buch Biografie des Eduard von der Heydt

Wenn die Fahnen flackern… Der Sprachkosmos der Herta Müller

Dichterlesung Text von Friederike Zelesko

Der Stoff aus dem die Träume sind Kostümabteilung der Wuppertaler Bühnen

Wolfgang Tillmans

Dugi Otok Dalmatien nach demKrieg

Ausstellung im K21 Ständehaus Düsseldorf

ISSN 18695205

Wuppertal und Bergisches Land

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Editorial Liebe Leserinnen, liebe Leser, „Es geht zwischendurch immer wieder ein bisschen besser, aber insgesamt und langfristig geht es natürlich nur bergab“. Diese Bemerkung eines Wuppertaler Wirtschaftswissenschaftlers habe ich mir gemerkt, und sie stimmt sicherlich, soweit es unsere Endlichkeit und unsere Ressourcen betrifft. Dem gegenüber stehen andere Aspekte – man sieht, wir können andere Aspekte wählen – wie „Sorge nicht für den morgigen Tag …“, und das ist nicht nur eine religiöse Aussage, sondern auch eine bodenständige, vernünftige und hilfreiche. Wir haben immer nur die Gegenwart, die wir zwar auch nur als Projektion erleben, aber nicht so gespenstisch geträumt wie Vergangenheit und Zukunft. Und wir haben noch etwas: unser Leben. In dieser Zeit erscheint es mir besonders heftig zu knospen und zu blühen, es reckt sich auf. Unabhängig von jeder offiziellen Lesart und von jeder Wirtschaftskrise. Wenn ich über ein paar vergangene Tage blicke, sehe ich Dutzende von mitreißenden Initiativen und bewegenden Augenblicken – Theater, Musik, Geschriebenes und Vorgetragenes, eindringliche Gemälde, Stunden, in denen Menschen in berührenden Augenblicken im gemeinsamen Impuls zusammenkamen; die Trauerfeier für den polternden Menschenfreund und Kämpfer für behinderte Mitmenschen, Peter Hansen von der FÄRBEREI, die Vorstellung der neuen, sympathischen Intendantin, Frank Beckers pfiffige Theaterrezensionen, die von seiner Liebe für die Theaterszene zeugen, Zellers Gedichte in der City-Kirche; und sehr viel davon in der heutigen Nummer der BESTEN ZEIT, in der sich, wie sonst nirgendwo, das Wuppertaler Kulturleben abbildet: Die unübertroffenen kuratorischen Leistungen des Wuppertaler Museums unter Gerhard Finckh, der magische Bereich des Skulpturenparks mit seinen Veranstaltungen, geschaffen von Tony Cragg, die Texte der Wuppertaler Literatinnen Friederike Zelesko und Angelika Zöllner mit ihrer sinnlich-farbigen Lyrik und ihren poetischen Reisebeschreibungen, die facettenreichen Rezensionen des unermüdlichen Heiner Bontrup, die klugen Betrachtungen von Marlene Baum. Ganz wichtig: die gründliche Analyse des Bankiers Eduard von der Heydt durch Eberhard Illner. Wer bisher nur voreilige Meinungen über den Banker kannte, findet hier eine Fülle von aufschlussreichen Tatsachen, gesehen in einer ausgeglichenen Betrachtungsweise. Dies alles, was uns hier in Fülle entgegen tritt, lehrt mich, dass das Leben mehr ist als unsere Ansichten darüber. Was sich hier abbildet, schwingt ein in den Impuls, der zurzeit die Stadt bewegt, nämlich, sich zu bewegen und zu zeigen, dass die Lebenskraft der Bürger, die nicht nur die Schwebebahn bauten, sondern auch einen Ort mächtiger religiöser, aufklärerischer, künstlerischer und sozialer Impulse, sich immer neue Wege sucht; ja, dass eine neue Jugend und hellwache Zuzügler hinzugekommen sind, die unserer Stadt immer wieder ein neues Gesicht geben werden. Die Aufgaben von heute heißen, der Stadt ein lebendiges Theater- und Kulturleben zu erhalten und es zu bejahen. Das Theater wird immer das Herz einer Stadt bleiben. Wacher sind wir geworden für die Einbeziehung von Einwanderern, Behinderten und Senioren. Da ist noch viel zu tun, aber es ist eine stolze Aufgabe, die denen Kraft gibt, die sich ihr widmen. Dies wird geschehen, weil die Menschen leben wollen, genau, wie sie es nach 1945 wollten, als sie inmitten ihrer Trümmerhaufen wieder in die Sonne blinzelten. Ihnen wünsche ich einstweilen viel Vergnügen bei der Lektüre von DIE BESTE ZEIT, es lohnt sich. Ihr Karl Otto Mühl

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Impressum Die Beste Zeit erscheint in Wuppertal und im Bergischen Land Erscheinungsweise: alle zwei Monate Verlag HP Nacke Wuppertal - Die beste Zeit Friedrich-Engels-Allee 122, 42285 Wuppertal Telefon 02 02 - 28 10 40, E-Mail: verlag@hpnackekg.de V. i. S. d. P.: HansPeter Nacke Ständige redaktionelle Mitarbeit: Frank Becker, Thomas Hirsch, Matthias Dohmen, Susanne Schäfer Darüber hinaus immer wieder Beiträge von: Marlene Baum, Heiner Bontrup, Antonia Dinnebiert, Beate Eickhoff, Fritz Gerwinn, Klaus Göntzsche, Johannes Vesper und weiteren Autoren Erfüllungsort und Gerichtsstand Wuppertal

The art of tool making

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Nachdruck - auch auszugsweise - von Beiträgen innerhalb der gesetzl. Schutzfrist nur mit der ausdrücklichen Genehmigung des Verlages. Gastbeiträge durch Autoren spiegeln nicht immer die Meinung des Verlages und der Herausgeber wider. Für den Inhalt dieser Beiträge zeichnen die jeweiligen Autoren verantwortlich. Kürzungen bzw. Textänderungen, sofern nicht sinnentstellend, liegen im Ermessen der Redaktion. Für unverlangt eingesandte Beiträge kann keine Gewähr übernommen werden. Trotz journalistischer Sorgfalt wird für Verzögerung, Irrtümer oder Unterlassungen keine Haftung übernommen. Bildnachweise/Textquellen sind unter den Beiträgen vermerkt. Abbildung Cover, Ausschnitt: Wassily Kandinsky, Riegsee – Dorfkirche, um 1908, Von der Heydt-Museum Wuppertal


Inhalt Ausgabe 21, 5. Jahrgang, Juni 2013 Ausstellung Himmel auf Erden

From Bobby Sox to Stockings

Im Von der Heydt-Museum. Auszug aus der Eröffnungsrede von Dr. Gerhard Finckh Seite 6

„Hairspray“ im Wuppertaler TiC-Theater von Frank Becker

Die Sammlung

Im Garten… arbeiten wie der Vogel singt

Ausstellung Himmel auf Erden von Frank Becker

Seite 8

Seite 10

Der Stoff, aus dem die Träume sind In der Kostümabteilung der Wuppertaler Bühnen, von Marlene Baum

von Marianne Ullmann

in Schloss Lüntenbeck von Stephanie Schäfer Seite 63 Seite 19 Das Leben geht weiter Seite 23

Seite 28

Seite 34

Seite 36

… und die scheidenden Intendanten von Klaus Göntzsche

Wiederbelebung durch Will Baltzer von Joachim Krug

Seite 38

Interessantes zu den Themen Steuern und Recht, von Susanne Schäfer

Seite 71

Seite 73

Seite 76

Neue Kunstbücher Seite 41

Monographien zur Malerei vorgestellt von Thomas Hirsch

Der Besuch der alten Dame

Geschichtsbücher, Buchgeschichten

Premiere im Remscheider Teo Otto-Theater Seite 45 von Frank Becker

vorgestellt von Matthias Dohmen

Dichterlesung

Kulturnotizen

Die Straßen von Damaskus Texte von Friederike Zelesko

Seite 69

Paragraphenreiter

Wolfgang Tillmans Ich mache Bilder, um die Welt zu erkennen Ausstellung im K21 Ständehaus Düsseldorf

Culinaria-Chef Wolfgang vom Hagen von Joachim Krug

Die neue Historische Stadthalle

Klänge aus einer anderen Welt Auftakt der Musikreihe KlangArt im Skulpturenpark, von Heiner Bontrup

Seite 66

Enno der Älteste…

Wenn die Fahnen flackern… Expediton in den Sprachkosmos der Herta Müller, von Heiner Bontrup

In den Abruzzen vier Jahre nach dem Erdbeben, von Angelika Zöllner Unternehmer in Sachen Dienstleistung

Sardinen, Sex und sieben Türen Boulevardkomödie im TiC-Theater, von Frank Becker

Seite 61

Auf Tuchfühlung mit Mode, Stoff und Stil

Die Bildhauer An der Düsseldorfer Kunstakademie tätige Bildhauer seit 1945. K20 Grabbeplatz

Seite 57

Seite 17

Don Quichotte in Wuppertal Oper von Jules Massenet im Wuppertaler Opernhaus, von Fritz Gerwinn

Dalmatien 18 Jahre nach dem Jugoslawischen Krieg, von Heiner Bontrup Haus- und Nutztiere

Sie wuppen das die neue Schauspiel-Intendantin Susanne Abbrederis, von Klaus Göntzsche

Seite 53

Dugi Otok

Wuppertal hat ein Buch Biografie des Eduard von der Heydt von Marlene Baum

Ausstellung Werner Schriefers von Rolf Jessewitsch

Seite 51

Kulturveranstaltungen in der Region

Seite 78

Seite 80

Seite 81

Seite 48

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Die Sammlung - Himmel auf Erden Auszug aus der Eröffnungsrede zur neuen Sammlungspräsentation Dr. Gerhard Finckh

Wenn ich auf unsere großen Ausstellungen angesprochen werde, heißt es meistens: „Sie haben ja großartige Leihgaben aus aller Welt nach Wuppertal geholt – aber – kleine Kunstpause – Sie haben mit Ihrer Sammlung ja auch etwas anzubieten!“ Stimmt, kann ich dazu sagen, meine Damen und Herren, aber ist unsere so wunderbar reiche Sammlung wirklich nur eine Verfügungsmasse, die zu Gegenleihgaben taugt? Was ist unsere Sammlung denn dann, wenn nicht ein Tauschobjekt?

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Ich verstehe unsere Sammlung als das „ästhetische Archiv“ der Stadt Wuppertal. Es gibt hier ein Stadtarchiv, in dem die Urkunden, Akten, Strafzettel, etc., also die Papier gewordene Geschichte und die Geschichten dieser Stadt aufbewahrt werden, es gibt das Historische Zentrum, in dem etwas von dieser Geschichte der Städte an der Wupper erzählt wird, und es gibt natürlich auch die berühmten und auch die weniger bekannten, die herausragenden und die weniger schönen Gebäude, die diese Stadt prägen und von einstigem Glanz zeugen. Aber das, was die Bürger dieser Stadt im Hinblick auf Schönheit


und Bedeutung, auf Ästhetik und Relevanz, gesammelt und zusammengetragen haben, davon befindet sich ein großer Teil in der Sammlung des Von der HeydtMuseums. Diese Sammlung umfasst ungefähr 3000 Gemälde, 500 Skulpturen und Objekte, rund 30.000 Werke auf Papier, dazu kostbare Stoffe, Fotografien und rare kunstgewerbliche Objekte. Und diese Sammlung wächst und wächst. Selbst in diesen Zeiten, in welchen die Stadt Wuppertal finanziell äußerst schlecht gestellt ist, wächst die Sammlung des Von der Heydt-Museums langsam, aber stetig weiter.

Aus der Von der Heydt-Stiftung fließen noch immer Erträge, so dass wir 2012 die Werke von Karl Röhrig kaufen konnten. Die Renate und Eberhard-Robke-Stiftung hat in den vergangenen Jahren u.a. bedeutende Werke von K.H. Hödicke, Joseph Marioni, Per Kirkeby, Tamara K.E., Cornelius Völker, Günter Weseler für das Museum angekauft, und dazu kommen immer wieder auch neue Stiftungen und Schenkungen. Das Ehepaar Ruth und Dr. Wolfgang Heinrich Lohmann hat 2005/06 eine grandiose Graphiksammlung dem Von der HeydtMuseum überlassen, Tony Cragg hat dem Museum sein gesamtes bisheriges graphisches Oeuvre geschenkt, aus dem Nachlass Zempelin haben wir u.a. Werke von E. L. Kirchner und K. O. Götz erhalten und immer wieder gibt es solche Schenkungen. Viele der Persönlichkeiten, die das Museum so unterstützen, wollen ungenannt bleiben. Man kann sagen, unsere Sammlung wächst stetig und so sehr, dass das Museum aus allen Nähten platzt. Schon vor einigen Jahren haben wir deshalb, um unsere viel zu kleinen Depots zu entlasten, den Tresor der ehemaligen Landeszentralbank angemietet, wo ein Teil unserer Schätze jetzt lagert. Aber was, außer sie zu lagern und gelegentlich zu verleihen, tut das Museum denn eigentlich mit diesen Kostbarkeiten? Diese Kunstwerke dürfen doch nicht nur als Tauschobjekt zur Herstellung großer Sonderausstellungen dienen! Zunächst geht es natürlich darum, die Dinge, die wir schon länger haben oder gerade eben erst erhalten, möglichst genau zu bestimmen. Wir wollen wissen, womit wir es zu tun haben. Da meine Mitarbeiter und ich keine Spezialisten für afrikanische oder fernöstliche Kunst sind, bitten wir Experten auf diesen Gebieten um ihre Expertise. Natürlich fragen wir die Experten auch, wie wir diese Objekte am besten lagern, bei welcher Luftfeuchtigkeit, bei welchen Temperaturen, ob man einen Stoff besser klein zusammenfaltet, aufrollt oder einfach flach und vor Licht geschützt liegend aufbewahrt. Unsere Restauratoren überwachen diese Lagerung auf das penibelste und sprechen auch dann, wenn ein Objekt gezeigt oder verliehen werden soll, ein gewichtiges Wort mit. Wir recherchieren in der Literatur (- und wir haben immerhin eine Bibliothek von

100.000 Bänden -) die Zusammenhänge, in welche diese Objekte gehören und versuchen diese Geschichte und Geschichten um die Werke dann an das Publikum zu vermitteln. Wir wollen die Schätze, die wir verwalten, für alle so zugänglich machen, dass Sie die Geschichte oder auch das, was wir so ungenau als „Kunst“ bezeichnen, erfahren können, dass Sie den Sinn und Wert dieser Objekte in vollem Umfang begreifen und sich daran erfreuen und wenn Sie wollen, auch etwas daraus lernen. Wir veröffentlichen daher, soweit möglich, unsere Erkenntnisse in Katalogbeiträgen oder eigenen Publikationen, und wir versuchen auch, unser Wissen z. B. in Vorträgen und Führungen, weiterzugeben. Wir betrachten diese Sammlung also keineswegs als Tauschobjekt, sondern wir versuchen, anhand dieser Kunstwerke erfahrbar zu machen, was – neben den Geschichten, die im Historischen Zentrum, im Stadtarchiv und im gebauten Stadtbild zu finden sind – , in unserer Sammlung an ästhetischen Wahrnehmungen und gleichzeitig an historischer Bedeutung steckt. Die Sammlung des Von der Heydt-Museums ist anders strukturiert als die der Alten Pinakothek in München oder des Louvre in Paris oder des Prado in Madrid, die von höfischen Interessen, von prunkvoller Repräsentanz und vom Geldbeutel der Landesherren und Regierenden zeugen. Die Sammlung des Von der Heydt-Museums ist vielmehr eine Sammlung, die aus dem Bürgertum dieser Stadt hervorgegangen ist, eine durch und durch „bürgerliche Sammlung“, eine Sammlung von Bürgern für Bürger, und wir bemühen uns, dem damit verbundenen Auftrag, diese Sammlung auch erlebbar zu machen, gerecht zu werden.

Von der Heydt-Museum Turmhof 8, 42103 Wuppertal Telefon 0202-563-6231 Öffnungszeiten: Di – So 11 bis 18 Uhr, Do von 11 bis 20 Uhr geöffnet. www.von-der-heydt-museum.de

George Segal, Ruth in der Küche, 1964 © VG Bild-Kunst, 2013

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Die Sammlung Von der Heydt-Museum Wuppertal noch bis 1. September

Christian Schad, Halbakt, 1929 © Christian Schad Stiftung, Aschaffenburg /VG Bild-Kunst, 2013

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„Himmel auf Erden“ ist ein mit Verve und Augenzwinkern - jedoch keineswegs übertrieben - gewählter Titel für die aktuelle Ausstellung mit kostbaren und berückenden Bildern und Skulpturen der Moderne aus dem Bestand des Wuppertaler Von der Heydt-Museums, die am 14. April in den nach der großen Rubens-Ausstellung völlig neu gestalteten Räumen eröffnet wurde. Bis zum 1. September sind im Obergeschoß des Hauses im Elberfelder Zentrum in

reicher Auswahl Meisterwerke der Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts aus der Sammlung des ausgezeichnet sortierten Museums zu sehen. Neben hervorragenden Werken des Expressionismus von unter anderem Franz Marc, August Macke, Wassily Kandinsky, Edvard Munch, Ernst Ludwig Kirchner, Kees van Dongen, Max Beckmann und Otto Dix deckt die Präsentation die ganze Bandbreite moderner Malerei und Skulptur ab. Christian Schads „Halbakt“


Ernst Wilhelm Nay, Chromatische Figuren, 1947 © E. Nay Scheibler, Köln von 1929, Carl Grossbergs „Brücke über die Schwarzbachstraße“ und Franz Radziwills „Wilhelmshaven“ repräsentieren eindrucksvoll die Zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts.

Karl Hartung, Vogelform, 1935

Einen der Schwerpunkte hat die Präsentation in Werken des Informel, des Konstruktivismus und der Farbmalerei. Glanzlichter des 20. Jahrhunderts von Paul Klee, Walter Dexel, Per Kirkeby, Sean Scully und Kuno Gonschior bis Leon Polk Smith, Jan Schoonhoven, Günther Uecker, Karl Otto Götz und Lucio Fontana sind zu sehen. Viel Raum im weiten, lichten Shed-Saal wird zudem auch jüngsten Neuerwerbungen gegeben, zu denen Arbeiten unter anderem von Cornelius Völker, Katharina Schilling, Bettina Pousttchi, Jan Albers, Daniel Lergon oder Brad Downey gehören. Ein

aufregendes Bonbon ist das bewegte Objekt „New Species“ von Günter Weseler, dessen Aufbau der 83-jährige Künstler selbst vorgenommen hat. Auch in letzter Zeit selten gezeigte Stücke aus der reichen Skulpturensammlung des Museums, darunter Arbeiten von Alexander Archipenko (Schreitende), Germaine Richier (Gottesanbeterin), George Segal (Ruth am Küchentisch), Horst Antes (Große mit Vogel), Jacques Lipchitz (Hagar in der Wüste III), Rudolf Belling (Kopf in Mahagoni), Karl Hartung (Vogelform) und Aristide Maillol (Torso Ile de France) wurden aus dem Dunkel der Magazine befreit und großzügig in einem eigenen Raum arrangiert sowie teils in Vitrinen in die Ausstellung integriert. Frank Becker

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Eduard von der Heydt als „Buddha vom Monte Verità“ am Lido di Ascona um 1928


Wuppertal hat ein Buch! „Eduard von der Heydt. Kunstsammler, Bankier, Mäzen“ heißt die erste umfassende Biografie, die Eberhard Illner, Leiter des Historischen Zentrums der Stadt Wuppertal sowie des Stadtarchivs über den umstrittenen Wuppertaler Freiherrn vorgelegt hat.

Eduard von der Heydt und „sein Kaiser“, Zandvoort 1933 (Foto: Erich Salomon) Der Kaiser und seine Familie haben von der Heydt von Doorn aus häufig im MULURU besucht. Von der Heydt war rechtskonservativ und kaisertreu.

Um es vorweg zu nehmen – es ist keine leichte Aufgabe, ein Werk vorzustellen, das eine solche Fülle an Informationen und Bildmaterialien bereithält, – eben deshalb ist es eine unbedingt lesenswerte Bereicherung, ja, man darf sagen: Wuppertal hat ein Buch! „Eduard von der Heydt war weder Held noch Schurke, weder Täter noch Opfer, weder ‚Finanzier des Kaisers’ noch ‚Nazibaron’, eher gewiefter Bankier, generöser Stifter und sicherheitsbedachter Stratege im Foyer der Macht“ heißt es im Vorwort des Herausgebers, der damit an noch immer grassierende Vorurteile und Verurteilungen anknüpft. Bisherige Veröffentlichungen zu von der Heydt konnten seiner Persönlichkeit nicht gerecht werden. Illner schreibt dazu: „(...) ein biografisches Puzzle ergibt noch kein abgewogenes Ganzes.“ Zu dicht sind die politischen, gesellschaftlichen und

persönlichen Ereignisse, zu schillernd die Charakterzüge der Persönlichkeit des Barons. In dem nun vorliegenden Werk beleuchten vier Autoren aus unterschiedlichen Perspektiven dieses überreiche, zuweilen abenteuerliche und von Brüchen und Schicksalsschlägen geprägte Leben. Eduard von der Heydt (1882-1964), Sohn des Wuppertaler Bankiers August von der Heydt und seiner Frau Selma, war promovierter Nationalökonom, Bankier und Kunstsammler mit drei Staatsbürgerschaften und mehreren Domizilen in verschiedenen Ländern. Seine umfassenden Sammlungen hat er nach dem Zweiten Weltkrieg an das Museum Rietberg in Zürich (außereuropäische Kunst), an den Kanton Tessin und an das Von der Heydt-Museum in Wuppertal (europäische Kunst) vermacht. 1952 ernannte ihn die Stadt Wuppertal zu ihrem Ehrenbürger. Der 1950 ausgelobte „Kulturpreis der Stadt Wuppertal“ wurde

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Eduard von der Heydt trifft die afrikanische Oberkriegerin Gumma im Zoologischen Garten Elberfeld, Juli 1897 Das Bild ist anlässlich einer der um die Jahrhundertwende beliebten Völkerschauen entstanden. Auf der Rückseite der Fotografie hat der junge Eduard von der Heydt den Namen und den Rang der Kriegerin festgehalten, was seinen Respekt gegenüber fremden Kulturen bezeugt. Er hat die Stammesangehörigen als Personen und nicht als Ausstellungsobjekte wahrgenommen. zweimal umbenannt, erst 1957 in „Eduard von der Heydt-Kulturpreis“, dann 2007, in „Von der Heydt Kulturpreis der Stadt Wuppertal.“ Der Grund waren anhaltende Diskussionen um Vorwürfe wegen Verstrickungen des Barons während der Zeit des Nationalsozialismus. Trotz einer öffentlichen Veranstaltung, in deren Verlauf wissenschaftlich nachgewiesen werden konnte, dass von der Heydt allenfalls Opportunist war, kam es zur Umbenennung des Preises unter Verzicht auf den Vornamen des Mäzens. Eberhard Illner, der diese Veranstaltung 2006 vorbereitet hat, ließen die offenen Fragen nicht ruhen. Mit dem vorliegenden Buch zieht der Herausgeber „Zwischenbilanz“: Er und sein Team sehen Eduard von der Heydt aus verschiedenen Perspektiven, jedoch stets vor dem Hintergrund der jeweiligen zeitgeschichtlichen Situationen. Zahlreiche sorgfältig recherchierte Quellen und Dokumente, die hier zum ersten Mal vorgestellt werden, ermöglichen dem Leser, sich selbst ein umfassendes Bild zu machen, und zwar, wie Illner ausdrücklich sagt, ohne Stellungnahme der Autoren und „ohne jene Zweifel zu unterschlagen, die aufgrund von Quellenlücken (...) wohl auch in Zukunft bleiben werden.“ Diese Biografie ist auch deshalb ein NeuEduard von der Heydt bereit zum Feldeinsatz, vermutlich August 1914 Von der Heydt war Rittmeiser des UlanenRegimentes in Potsdam und wurde 1915 in Frankreich schwer verwundet. Seine Kameraden und das Kaiserpaar nannten ihn „Barönchen“, vermutlich wegen seiner Körpergröße.

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Eduard von der Heydt vor dem Bild „Stehender weiblicher Akt“ von Maria Blanchard, um 1935 Heike Ising-Alms weist in ihrem Beitrag darauf hin, dass von der Heydt ein Faible für Frauenbildnisse hatte. ansatz, weil die spannende Verkettung von Kunstsammlung und deren Finanzierung während der Zeit des Nationalsozialismus aufgeschlüsselt wird. Dazu heiß es im Beitrag von Michael Wilde: „Die Verbindung von Kunst und Kapital, die Selbstinszenierung als Bankier und Sammler in einer Person, begründeten sein hohes Ansehen in der Kunstwelt, bei Museen, Galerien und in der Wissenschaft.“ Eberhard Illner als Historiker und Archivar und Michael Wilde als Bankdirektor und Nationalökonom besorgen die Biografie und das geschäftliche Wirken des Bankiers von der Heydt vor dem politischen Hintergrund; Heike Ising-Alms, Kuratorin am Historischen Zentrum Wuppertal und Esther Tisa Francini als Provenienzforscherin am Museum Rietberg in Zürich widmen sich der europäischen und der außereuropäischen Kunstsammlung. Mit welchem Teil auch immer man die Lektüre beginnt – man ist unmittelbar gefesselt von der Persönlichkeit Eduard von der Heydts, einem Weltbürger, der ein Grenzgänger war zwischen verschiedenen gesellschaftlichen, politischen, religiösen, philosophischen und künstlerischen Disziplinen, der vier Epochen Zeitgeschichte durchlebt hat, als Bankier mehrfach neu beginnen musste und ein raffiniertes „Firmengeflecht“ entwickelte, um sein Lebenswerk zu verwirklichen: den Aufbau einer Kunstsammlung, die ihresgleichen sucht. Einige wenige Beispiele aus dem Buch mögen dies veranschaulichen. Zum Ethos des Großbürgertums, dem die Familie zugehörte, zitiert Eberhard Illner im ersten Kapitel aus der Gratulation des Vaters August von der Heydt anlässlich des 21. Geburtstages zur Volljährigkeit des Sohnes: „ (...) was ich als Freund von Dir erwarte, was Deine Familie von Dir fordert, an was Deine Ahnen Dich mahnen, weißt Du: Die Pflicht, die Ehre

unseres Namens über alles zu stellen und das Erbteil Deines berühmten Namens unverkürzt Deinen Nachkommen zu hinterlassen, so weit Deine Energie und Dein Mut, Deine Arbeit vermag.“ Für die Generation der patriarchalen Gründer ist bemerkenswert, dass der Vater dem erwachsenen Sohn als „Freund“ gegenübertritt. Bemerkenswert ist auch, worin der Sohn das „Erbteil“ gesehen hat: Es ist, wie Eberhard Illner die Biografie abschließt, ein künstlerisches Vermächtnis für jedermann in Gestalt einer hochkarätigen Kunstsammlung, die von der Heydt durch Bankgeschäfte finanziert und mit allen Mitteln durch die Wirren schlimmster Zeiten zu retten versucht hat. Diese

Sammlung war seine Lebensaufgabe und diente keineswegs nur der Selbstdarstellung. An den Leiter des Berliner Museums für Völkerkunde schreibt er 1926, es sei ihm eine besondere Freude „Ihnen die indischen Skulpturen meiner Sammlung als Leihgaben anvertrauen zu können. Diese Kunstwerke brauchen ein tragfähiges Podium, um möglichst wirken zu können und diese Wirkung scheint mir gerade in Deutschland doch notwendig zu sein. Ich denke dabei nicht nur an die ethnographische, sondern auch an die religiös-wissenschaftliche Weiterbildung des deutschen Volkes, und darum scheint mir, dass diese Kunstwerke bei Ihnen besser aufgehoben sind. Als wie im Haag,

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oder etwa gar in meinen Privaträumen.“ Im dritten Kapitel „Die Stilisierung des Lebens – Eduard von der Heydt und seine Sammlung europäischer Kunst“, liefert Heike Ising-Alms Beispiele dafür, dass er als selbstbewusster Leihgeber recht unbequem sein konnte. An Ludwig Justi, den Leiter der Nationalgalerie Berlin, schreibt er 1927: „Ich bemerkte bei meinem Besuche in Ihrer schönen Galerie, dass einige meiner Ihnen geliehenen Werke nicht aufgehängt sind. (...) Ich wäre Ihnen nun dankbar, wenn Sie dies

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kurz mitteilten und die Bilder, auf die Sie als Leihgabe keinen Wert legen sollten, an meine Adresse nach dem Monte Verità, Ascona, Tessin, senden wollten.“ Ludwig Justi, den Eduard von der Heydt bei der Finanzierung seiner Ankäufe finanziell unterstütze, wurde 1933 des Amtes enthoben. Im selben Jahr begann der Baron, seine Leihgaben aus Deutschland in die Schweiz abzuziehen. Im vierten Kapitel „Ein Füllhorn künstlerischer Schätze – die Sammlung außereuropäischer Kunst“ zitiert Esther

Eduard von der Heydt mit der Direktorin Elzy Leuzinger und dem Züricher Staatspräsidenten Emil Landolt (rechts) beim Rundgang durch die neue AfrikaAbteilung im Museum Rietberg, Oktober 1957 Ab 1933 hat Eduard von der Heydt seine afrikanischen und ozeanischen Leihgaben aus deutschen Museen entfernt.


„Meine Neger“ verweist auf die bedeutende Sammlung außereuropäischer Kunst, die von der Heydt ab 1920 mit Sachverstand und Pioniergeist aufgebaut hat. Die liebevolle Beziehung zu seinen Stücken wird ebenso deutlich wie eine gute Portion Selbstironie, die das Lesen zahlreicher Briefzitate zum Vergnügen macht. Die Formulierung „Machen Sie sich keine Feinde um meine Neger“ bezieht sich auf die von den Nazis als barbarisch diffamierte „Negerkunst“. „(...) ich nehme die ganze Sammlung ohne Weiteres zurück, wenn Sie denken, die Geschichte könnte Ihnen schaden“, zeigt zum einen das Wissen um die persönliche Gefährdung von Max Sauerland, der Jude war und wenig später emigrieren musste. Zugleich verweist diese Formulierung auf das umsichtige diplomatische Lavieren und Taktieren des Barons zur Absicherung der Sammlung vor den Nationalsozialisten und Kriegsverlusten.

Eduard von der Heydt mit der Schriftstellerin, Malerin und Sammlerin Nel Walden auf der Terrasse der Casa Anatta, 1928 Nel Walden war die zweite Frau von Herwarth Walden, dem Galeristen des „Sturm“, mit dem sie von 1912-1924 verheiratet war. Mit von der Heydt steht sie vor einem Khmer-Torso.

Tisa Francini aus einem Schreiben des Barons aus dem Jahre 1933 an den Leiter des Museums für Kunst und Gewerbe Hamburg, Max Sauerland: „ Machen Sie sich keine Feinde um meine Neger; ich nehme die ganze Sammlung ohne Weiteres zurück, wenn Sie denken, diese Geschichte könnte Ihnen schaden.“ Am Beispiel dieser Quelle, auf die Francini nicht weiter eingeht, lässt sich besonders anschaulich zeigen, welche Fülle von Informationen sich beim Lesen des Werkes erschließen:

In seinen verschiedenen Domizilen lebte Eduard von der Heydt mit der Kunst. Nachdem er 1919 in Amsterdam eine Bank eröffnet hatte, ließ er sich ein Jahr später in Zandvoort unmittelbar am Meer einen Gebäudekomplex mit Restaurant, das MULURU, erbauen. Dort platzierte er die Kunstwerke konsequent nach deren ästhetischer Wirkung in Korrespondenz mit der Natur. Heike Ising-Alms zitiert den Fotografen Erich Salomon: „Trotz der Verschiedenheit der dort aufgestellten Stücke überkommt den Beschauer doch das Gefühl, dass jedes Stück nur dort stehen kann, wo es steht, (...) dass hier ein Sammler lebt, dem seine Sammlung der Sinn eines Lebens bedeutet (...).“ Auch dieser Besitz wurde im Krieg zerstört. 1927 ließ sich von der Heydt in Berlin einen Bungalow im damals futuristischen Bauhausstil erbauen, den er mit modernsten Stahlrohrmöbeln von Marcel Breuer ausstattete. Die weiß gestrichenen leeren Räume – für den Zeitgeschmack avantgardistisch – ordneten sich den Kunstwerken vollkommen unter. Auf dem legendären Monte Verità in Ascona, den er 1926 als Vermögensanlage erwarb, errichtete der Baron ein Hotel, das zum Treffpunkt der Kulturelite Europas wurde und bis in die Gästezimmer mit Sammelstücken ausgestattet war. Selbst im Aufzug

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fand sich ein Picasso. Architekt war Emil Fahrenkamp, der den Wuppertalern nicht unbekannt sein dürfte. Die Sammlung ist unter anderem deshalb so einzigartig, weil von der Heydt, was das Kunstverständnis anbetraf, die Nase vorn hatte. Bereits während seiner Amerikaaufenthalte 1905 und 1909 befasste er sich intensiv mit chinesischer Kunst und dem Buddhismus. Er war einer der ersten, der indische Kunstwerke erwarb und konnte häufig, weil er dem allgemeinen Trend voraus war, günstiger kaufen. Kein Wunder, dass zahlreiche Museen Begehrlichkeiten anmeldeten. Er besaß ein untrügliches Gespür für Qualität, kümmerte sich um die Präsentation in den beliehenen Museen, veröffentlichte in kunstwissenschaftlichen Zeitschriften und war allem Neuen gegenüber aufgeschlossen. Heike Ising-Alms stellt in ihrem Beitrag klar, dass Eduard von der Heydt, an die Sammlung seiner Eltern anknüpfend, die Avantgarde seiner Zeit sammelte und damit die Pluralität der Gesellschaft der Weimarer Republik spiegelte. Bezeichnend für die weitgefächerten Interessen des Barons war der Erwerb eines Konvoluts von Fastnachtsmasken aus der Schweiz. Seine Sammlung war Weltkunst, ‚ars una’ in dem Sinne, wie es auch „Der Blaue Reiter“ in seinem Almanach 1912 postuliert hat: Alles kann Kunst sein, es gibt keine Hierarchien. Eduard von der Heydt hat sich übrigens nie von einem Künstler malen lassen. Es gibt lediglich eine Porträtbüste aus Goldbronze von dem Schweizerischen Künstler Otto Charles Benninger von 1953. Im zweiten Kapitel „Der Bankier von der Heydt“, analysiert Michael Wilde die Verflechtung von Politik, Finanzpolitik und Kunstsammlung: 1946 hatte der Baron die auf über 2560 Stücke angewachsene Sammlung auf 69 verschiedene Orte im In- und Ausland verteilt. Das gelang ihm durch eine geschickte Vernetzung seiner zahlreich gegründeten Banken und Firmen und eine gekonnte Leihgabenpolitik, denn seine Kunstwerke waren wegen ihrer herausragenden Qualität von den Museen überaus begehrt. Verglichen mit den Erfolgen des Barons als Kunstsammler, war seine berufliche Laufbahn von zahlreichen Tiefschlägen

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gezeichnet. Der Beginn der erfolgversprechenden Karriere als Bankier in London 1910 endete mit der Liquidierung der Bank und des gesamten dort eingelagerten Vermögens durch die Engländer während des Ersten Weltkrieges. Von der Heydt wäre möglicherweise Diplomat oder Politiker geworden, zumindest gewinnt man den Eindruck, dass er gern Einfluss genommen hätte. Nach seiner schweren Verwundung im Frankreichfeldzug schrieb er aus Den Haag hochqualifizierte Presseberichte für den Auswärtigen Dienst und wurde wegen seiner Ablehnung des totalen U-Bootkrieges 1919 entlassen. Mit der Machtübernahme Hitlers erhoffte sich von der Heydt vielleicht, auf die Reinthronisierung des Kaisers einwirken zu können. 1933 ist er der NSDAP beigetreten, erkannte dies jedoch wenig später als Fehler. 1937, nach Erhalt der Schweizer Staatsbürgerschaft, wurde der Baron als Devisen schiebender Reichsfeind und wegen Kontakten zu Juden von der Partei ausgeschlossen. Mit dem Transfer von Geldern für das Auswärtige Amt über seine Banken in Amsterdamer und Locarno während des Zweiten Weltkrieges hatte sich von der Heydt möglicherweise erneut, wenngleich indirekt und von ihm abgestritten, politisch betätigt, weshalb ihm in der Schweiz der Prozess gemacht wurde. Dieser endete mit einem Freispruch. Um diese komplizierten politischen und persönlichen Verhältnisse aufzuschlüsseln, haben die Autoren weitgehend auf Sekundärliteratur verzichtet und stattdessen akribisch die Archive durchforstet, soweit sie ihnen zugänglich waren. Dabei sind zahlreiche Legenden als solche entlarvt worden, und es entsteht das Bild einer von Vielseitigkeit, Klugheit, Sachverstand und Humor geprägten Persönlichkeit mit gewissen Grauzonen. Diese Facetten spiegeln sich im Buch durch eine Fülle von teilweise bisher unveröffentlichten Fotografien. Gleich im Vorwort sieht man Eduard von der Heydt in weißen Shorts im Schneidersitz als „Buddha vom Monte Verità“. Der Baron wusste sich mittels der Fotografie auf vielfältige und oft ironisch - witzige Weise selbst zu inszenieren, auch zusammen mit seinen Kunstwerken. Dem trägt das Buch auch von der liebevollen

Ausstattung her Rechnung, indem z. B. auf den Vorsatzblättern Mitgliederausweise des Barons von zahlreichen Kunst- und Museumsvereinen sowie Einträge in das Gästebuch des Monte Verità zu sehen sind. Neben dem Gästeverzeichnis findet sich eine Chronik der zeitlich parallelen Ereignisse. Auf umsichtig gestalteten Sonderseiten werden zahlreiche Dokumente und Kunstwerke vorgestellt und kommentiert. Nicht nur für Wuppertaler Bürger ist dieses Buch eine Fundgrube. Authentischer und spannender kann Kulturgeschichte nicht vermittelt werden. Die Autoren liefern auch ein Lehrstück dafür, wie lebendig Wissenschaft dargeboten werden kann. Das Leben Eduard von der Heydts ist ein dichtes, hochdramatisches Stück Zeitgeschichte der ersten Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts, das auch nachdenklich macht: Trotz zahlreicher Quellen und Zeitzeugnisse hat der Baron erfolgreich dafür Sorge getragen, dass seine eigentliche Persönlichkeit im Verborgenen bleibt. Und einmal mehr stellt sich die Frage, wie man selbst unter dem Druck eines verbrecherischen Regimes in ausweglosen Situationen gehandelt hätte, in der Verantwortung für sich selbst und andere, eine Familie und ein Lebenswerk. Marlene Baum Fotos: aus dem vorgestellten Buch Eduard von der Heydt Kunstsammler, Bankier, Mäzen Eberhard Illner (Hrsg.) Michael Wilde, Heike Ising-Alms, Esther Tisa Francini. 280 Seiten mit 210 Abbildungen, davon 40 in Farbe Prestel Verlag München 2013 ISBN 978-3-7913-4204-7 49,95 Euro Angeregt durch die Forschungsergebnisse des Buches finden zwei Ausstellungen statt: Von Buddha bis Picasso. Der Sammler Eduard von der Heydt. Rietberg Museum Zürich (20. 4. 2013 – 18. 8. 2013) und Von der Heydt-Museum Wuppertal (13. 10. 2015 – 28. 2. 2016)


Sie wuppen das Die neue Schauspiel-Intendantin Susanne Abbrederis Regie ist nicht ihr Ding – Theatermachen für Zuschauer

Susanne Abbrederis in Wuppertal Foto: Andreas Fischer

Es gibt im Leben von Journalisten immer wieder Ereignisse, die über den Status des Flüchtigen und Oberflächlichen hinausgehen. Und es gibt sogar Ereignisse, die vergisst man so schnell nicht. Wie dieses: da hockten am frühen Abend des 12. April 2013 etliche Medienvertreter auf den Stühlen im Kronleuchter-Foyer des Wuppertaler Opernhauses und warteten darauf, wer ihnen denn nun als neue Wuppertaler Schauspiel-Intendantin präsentiert werden würde. Ein paar Tage zuvor hatte Oberbürgermeister Peter Jung den damals leicht verwirrten Berichterstattern verkündet, es würde auf jeden Fall eine Frau. Für 17.30 Uhr hatte die Stadt zur Pressekonferenz geladen, doch erst um kurz vor 18 Uhr bogen Peter Jung, der Kultur-Ausschussvorsitzende Rolf Köster und die offensichtlich Auserkorene schnellen Schrittes um die Ecke. Als der Oberbürgermeister den Namen Susanne Abbrederis nannte, wusste damit keine und keiner der Medienvertreter etwas anzufangen. Als Jung von einem „gewinnenden Menschen“ sprach, wurde man sehr aufmerksam und schon die ersten Sätze der Dame bestätigten den Eindruck, den das Kultur-affine, aber – oder deshalb –

nicht unumstrittene und längst auch offen kritisierte Stadtoberhaupt gewonnen hatte. Am Ende hatte sich Susanne Abbrederis gegen 49 andere Bewerber durchgesetzt. Im „Stechen“ dann gegen eine andere Frau, die offenbar jünger war als die 1953 in Bregenz am Bodensee geborene Theaterwissenschaftlerin und Chefdramaturgin am 1889 von Wiener Bürgern gegründeten Volkstheater in der Neustiftgasse. Nach neun Spielzeiten in dem mit Kulturangeboten reich gesegneten Wien nun also Wuppertal. Es war wirklich gewinnend, als sie charmant schilderte, warum sie sich überhaupt bewarb und wie sie Wuppertal während ihrer 13 Spielzeiten in Essen kennenlernte. Es war die Zeit des Wuppertaler Intendanten Holk Feytag, es gab Kontakte zu Pina Bausch und immerhin konnte sich Susanne Abbrederis an das Café du Kongo im Luisenviertel erinnern. Vor allem aber ist Susanne Abbrederis mit der nüchternen Wahrheit der tatsächlich vorhandenen Möglichkeiten von der Donau an die Wupper gelockt worden. Deshalb werden der sechs Jahre am Nationaltheater in Mannheim, fünf Jahre am Staatstheater in Stuttgart und zuvor am Landestheater in

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Tübingen tätigen Absolventin der Universität Wien und des Queens College in New York die Überschriften nach ihrer Berufung in der FAZ („Kleintheater“) oder in der Süddeutschen („Wuppertal kürt seine Spar-Intendantin“) nur marginal getroffen haben. Die Situation ist auch völlig anders als in der Phase der Berufung von Christian von Treskow, dem bis Ende der Spielzeit 2013/2014 tätigen Intendanten. Der vom Wohnsitz in Aachen nach Wuppertal ziehende Regisseur hat damals von vielen Wuppertaler TheaterInteressierten sehr wohl vernommen, das Schauspielhaus würde mit großer Sicherheit geschlossen. Zu den Überbringern dieser Nachricht zählte (auf dem Parkplatz des Schauspielhauses) auch der Verfasser dieses Textes. Was der Oberbürgermeister ihm dann später unter vier Augen gesagt hat, dass wissen nur diese beiden Herren. Aber von Susanne Abbrederis und Christian von Treskow wird in diesem Text später noch die Rede sein. Schaut man auf das Geburtsjahr von Susanne Abbrederis, dann liegen die Motive für gerade diesen Wechsel doch auf der Hand: sie wird Intendantin nach vielen Jahren in Tübingen, Mannheim, Essen, Stuttgart und Wien in sicherlich spannenden Bereichen. Aber eben nie als Intendantin. Sie wird diese neue Rollenspiel zielorientiert übernehmen: „Regie ist nicht mein Ding. Dabei habe ich mich auch schon verhoben,“ berichtete sie und Das imposante Wiener Volkstheater, noch der Arbeitsplatz von Susanne Abbrederis

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bediente Peter Jung mit einem Traumpass: „Da fehlt man ja für andere Arbeiten immer länger“. Und jeder wusste, wen Peter Jung damit meinte: Christian von Treskow, den fähigen, phantasievollen und auch mutigen Regisseur, den sein Vorgänger Gerd Leo Kuck schließlich als Intendanten empfohlen hat. Susanne Abbrederis punktete weiter mächtig auf den Blöcken der Damen und Herren im Rund des Kronleuchter-Foyers: „Die kleine Spielstätte soll ein vitaler, neuer Ort der Stadt werden.“ Und sie ergänzte es perfekt: “Ich neige dazu, für Zuschauer zu arbeiten.“ Wenn ihr das gelingt, würde sich Susanne Abbrederis nicht nur wohltuend, sondern markant von Künstlern vieler Bereiche, aber auch von Journalisten abheben, die bei der Planung ihrer Arbeit vor allem um die Anerkennung von Kollegen und Experten buhlen. Puristen unter sich. Susanne Abbrederis wird am Wiener Volkstheater (immerhin die zweitgrößte Bühne des Landes) ihre Arbeit zu Ende bringen. Dann folgt der Umzug nach Wuppertal. Ohne Familie, einfach so. Macht es auch leichter. Ein bisschen Wien begegnete ihr noch bei einer Kaffepause im Cafe des Barmer Bahnhofs gegenüber dem Opernhaus. Sie wunderte sich, warum dort Bilder, Bücher und CDs des Opernsängers Kurt Rydl zu sehen sind. Sie wurde darüber

aufgeklärt, dass dem weltreisenden Bass und Schwager des Cafe-und Buchhandlungsbetreibers Thomas Leipoldt der Barmer Bahnhof gehört. Was sie amüsierte. Sie hat auch erzählt, was ihr Chef am Volkstheater zur Wuppertaler Bewerbung gesagt hat: „Sie wuppen das…“ Im Grunde befindet sich die „SparIntendantin“ Susanne Abbrederis am „Kleintheater Wuppertal“ in einer komfortablen Lage. Trotz der knappen Kasse und dem Wegfall des großen Schauspielhauses wird man sie aufgrund ihrer gewinnenden Art in dieser oft so knöttrigen Stadt freudig aufnehmen. Immer mit dem bedeutenden Satz des großen Heinrich Böll bei der Eröffnung des Schauspielhauses im Jahre 1966 im Hinterkopf: „Wuppertal schminkt sich nicht.“ Völlig ungeschminkt ging dann am Ende der Präsentation von Susanne Abbrederis eine Szene über die Bühne, mit der niemand vorher rechnete. Die neue Intendantin war noch im Gespräch mit Andreas Boller von der WZ und dem Schreiber dieser Zeilen, als plötzlich Christian von Treskow die Treppe zum KronleuchterFoyer herunterschritt. Ein Ausweichen war ausgeschlossen, aber auch nicht gewollt. So also lernte er seine Nachfolgerin kennen. Man ging sehr nett miteinander um, verabredete sich zu späteren Gesprächen und der interessierte Betrachter wird diesen Moment so schnell nicht vergessen. Möglicherweise Susanne Abbrederis und Christian von Treskow auch nicht. Klaus Göntzsche


Don Quichotte in Wuppertal Premiere am 13. April 2013

Jules Massenet Don Quichotte Heroische Komödie in fünf Akten Dichtung von Henri Caine nach dem Schauspiel Le chevalier de la longue figure Von Jacques le Lorrain nach Miguel de Cervantes Saavedra Musikalische Leitung: Tobias Deutschmann Inszenierung: Jakob Peters-Messer Bühne und Kostüme: Markus Meyer Fotos: Uwe Stratmann Weitere Aufführungen: 2. 6.; 9. 6.; 14. 6.; 20. 6.; 30. 6.

Mitte: Joslyn Rechter vorne: John In Eichen und der Chor der Wuppertaler Bühnen

Die letzte Oper von Jules Massenet wird selten aufgeführt. Das ist schade, denn sie bietet eine interessante Geschichte und herrliche Musik. Dabei war sie bei ihrer Uraufführung 1910 ein rauschender Erfolg. Nicht endenden Beifall und viele Bravo-Rufe gab es jetzt wieder im Wuppertaler Opernhaus, weil alle Beteiligten ihr Bestes gaben: Sängerdarsteller, Chor, Orchester und Regieteam, das sorgfältig und nachvollziehbar gearbeitet hat. Wie Verdi seinen „Falstaff“, schrieb Massenet, reich und berühmt geworden, seinen „Don Quichotte“ 68jährig aus eigenem Antrieb, vielleicht als Quintessenz seines Lebens. In einer Zeit, in der Richard Strauss seine avanciertesten Werke schrieb und Schoenberg sich von der Tonalität ganz verabschiedete, komponiert Massenet (spät)romantisch; harte Dissonanzen fehlen ebenso wie impressionistische Harmonik, gelegentlich wird spanisches Lokalkolorit bemüht. Viele Melodien bleiben im Ohr, Personen, Situationen, Konflikte werden aber in sehr charakteristischer Weise musikalisch dargestellt. Das Vergnügen beim Hören liegt auch daran, dass der

Komponist Leitmotive verwendet, wenn auch viel freier als Wagner. So hören wir z.B. das Ständchen Quichottes an Dulcinée im 1. Akt zum ersten Mal, es wird dort aber ständig durch einen eifersüchtigen Liebhaber Dulcinées unterbrochen. Ohne Unterbrechung und zauberhaft von einer Klarinette gespielt, taucht es als Vorspiel des 3. Aktes wieder auf (hier hätte man den Namen des Klarinettisten durchaus im Programm nennen können, ebenso wie den des Cellisten im wunderbaren Vorspiel zum 5. Akt). Im selben Akt erscheint es dann im Orchester noch einmal, wenn Don Quichotte träumt, kurz vor Ankunft der Räuber. Massenet konnte es sich auch leisten, eine ganz seltene Besetzung zu wählen: Beide Hauptpersonen sind Bässe, Dulcinée ist ein Mezzosopran. Das Wuppertaler Ensemble konnte diese drei Hauptpersonen aus eigenen Kräften besetzten. Die beiden Bässe, John In Eichen als Don Quichotte und Martin Ohu als Sancho Pansa, waren als Sänger und Darsteller hervorragend, Joslyn Rechter als Dulcinée stellte die Schwierigkeiten einer Edelhure in der midlife-crisis,

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links Martin Js. Ohu, rechts John In Eichen

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die als einzige den idealistischen Ritter versteht, aber nicht aus ihrer Haut kann, sängerisch und darstellerisch überzeugend dar. Auch die übrigen Solisten und der Chor sangen und spielten ohne Fehl und Tadel; besonders gut gefallen hat mir der Männerchor im Räuberakt. Ebenso zu loben ist das Orchester unter der Leitung von Tobias Deutschmann. Offensichtlich machte es allen Orchestermitgliedern großes Vergnügen, eine Musik etwas abseits des mainstreams zu spielen, was sich in erhöhter Qualität auszahlte. Das Stück enthält einige unerwartete Wendungen, die von der Regie (Jakob Peters-Messer) „erklärt“ werden müssen. Das gelang ganz hervorragend. Dem Stück vorangestellt ist eine Szene, in der Don Quichotte in einer Badewanne voller Bücher und vollgeschriebenem Papier liegt und liest, während ein passendes Zitat aus dem Roman von Cervantes gesprochen wird und spanische Gitarrenmusik erklingt. Gleichzeitig ist der Blick frei auf das geschickte Bühnenbild (Markus Meyer) mit vielen Türen, durch die die Perspektiven wechseln können und die überraschende Auftrittsmöglichkeiten bieten. Oben hängt eine Uhr, der ein Viertel fehlt (Dali!), rechts oben schützt ein aufgespannter Regenschirm die bescheidene Behausung vor Regen, genau wie im „Armen Poeten“ von Spitzweg. Offensichtlich ist: Alles spielt sich in Don Quichottes Fantasie ab. Dann erst folgt der 1. Akt mit der Huldigung Dulcinées (die, wie oben schon angedeutet, keine dicke und dumme Wirtsmagd ist, sondern eine Edelprostituierte), dem Einzug des Idealistenduos, Abgang Sancho Pansas in die Kneipe (zweimal durch die Drehtür, sehr gut gemacht!) und dem Ständchen Don Quichottes an Dulcinée, der von ihrer Profession nichts ahnt oder nichts wissen will. Interessanterweise lehnt diese den „langen Ritter“ aber nicht vollständig ab, sondern schickt ihn weg: sie könne ihn erst erhören, wenn er ihr das von Räubern geraubte Diadem wiederbrächte. Bevor die beiden Protagonisten von den Windmühlen (von oben kommende Propeller) geschlagen werden, ist ein Lied von Sancho Pansa zu hören, das alle Frauen, egal wie sie aussehen und woher sie kommen, verflucht und sich zu der Behauptung versteigt, alle Ehemänner seien „Heilige“.

v.l.n.r. John In Eichen, Martin Js. Ohu

Chor d.Wuppertaler Bühnen, Boris Leisenheimer, Miljan Milovic, Joslyn Rechter, John In Eichen

Javier Zapata Vera und Joslyn Rechter / Chor der Wuppertaler Bühnen

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v.l.n.r.: Chor der Wuppertaler Bühnen / Annika Boos, Boris Leisenheimer, Miljan Milovic, Joslyn Rechter, Miriam Ritter Dieses Lied ist eine der vielen Anspielungen, die im Stück verborgen sind. Man kann es nämlich durchaus verstehen als ein Gegenstück zur Leporello-Arie in „Don Giovanni“, ebenso wie das Ständchen Don Quichottes eine Anspielung auf das von Don Giovanni ist, genauso voll von Wohlklang, aber doch ganz anders und auf ganz eigene Weise komponiert. Die Wanderungen der beiden in der weiten Ebene werden sehr geschickt dargestellt durch das Laufen Sancho Pansas, dessen Esel nur durch eine Eselsmaske vergegenwärtigt wird, der immer um Don Quichotte auf Rosinante im Kreis herumläuft (Rosinante ist eine Leiter, die sogar gelegentlich gestreichelt wird); dazu kommt eine Bildprojektion mit einem Blick von unten auf Bäume. Von der Regie besonders deutlich gemacht wird im 3. Akt, wie die Phantasie Don Quichottes die Handlung steuert. Die Räuber, die Don Quichotte sucht und die ihn dann überfallen, erscheinen alle auf Papier liegend, als Produkte der schriftstellerischen Fantasie also. Anders als im wirklichen Leben, wo sie den armen Ritter ohne großes Federlesen ermordet hätten, werden sie bei Don Quichottes letztem Gebet weich, geben ihm sogar den Schmuck

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zurück und entzünden um ihn einen Kreis von Kerzen. Sie wirken dabei nicht mehr wie Räuber, sondern wie Mönche oder gar Gralsritter (wieder eine Anspielung). Das Surreale dieser Handlung wird noch betont durch das Naturbild am Anfang des Aktes, eine Meerlandschaft mit Gebirge, in der aber unübersehbar die Uhr und der Regenschirm hängen. Das wirkt wie ein Bild von Dalí! Im 4. Akt findet bei Dulcinée ein Fest statt (der Text des Chores, komplett, auch die Frauen, gleichförmig als Toreros gekleidet, erinnert an „La Traviata“), aber die Dame ist melancholisch und düster gestimmt und denkt, durch Totenköpfe versinnbildlicht, an Alter und Ende. Sie ist ungeheuer beeindruckt, als Don Quichotte ihr das gestohlene Diadem zurückbringt, ebenso die Festgesellschaft, die den langen Ritter schon lächerlich machen wollte. Den Heiratsantrag Don Quichottes lehnt sie aber ab – und das trifft ihn, der den ständigen Spott seiner Umgebung ertragen oder ihn gar nicht gemerkt hat, so tief, dass seine Lebensgeister zu erlöschen beginnen. In diesem Moment ändert sich auch die Projektion: Wo vorher ein prächtiger Ballsaal war, erscheint jetzt plötzlich eine hässliche

Wand mit abblätternder Tapete. Kann es sein, dass sich hier die Fantasie nicht durchsetzen kann, der Einbruch der Wirklichkeit zu brutal ist? Jedenfalls zeigt Don Quichottes Zusammenbruch Wirkung: Bei Dulcinée, die sich erst höhnisch lachend wieder in ihre Festgesellschaft zurückziehen will, schlägt das Lachen urplötzlich in Weinen um, und Sancho Pansa, der bisher zwischen Verachtung und Wohlwollen schwankte, Hauptsache er konnte abends in die Kneipe gehen, verteidigt seinen Meister mit einer flammenden Rede und vergleicht ihn, seinen Idealismus lobend, sogar mit Jesus. Obwohl Don Quichotte dann stirbt, wieder in seinem Zimmer, endet der 5. Akt nicht traurig, sondern eher versöhnlich. Es scheint so, als habe der „irrende Ritter“ in die Fantasiewelt zurückgefunden, aber die Verbindung zur Realität trotzdem nicht verloren. Dulcinée erscheint ihm noch einmal, in der Vorstellung und auf der Bühne sogar tatsächlich, Sancho Pansa bleibt bei ihm, seine Botschaft ist verstanden und wird weitergegeben.

Fritz Gerwinn


Der Stoff, aus dem die Träume sind Ein Besuch in der Kostümabteilung der Wuppertaler Bühnen

Elisabeth von Blumenthal fertigt ihre Schnitte auf alten Plakaten

Vor etwa vierzig Jahren hatte ich das Glück, als Volontärin alle künstlerischtechnischen Abteilungen der Wuppertaler Bühnen durchlaufen zu dürfen. Besonders beeindruckt war ich damals von der Schneiderei! Die Herren in grauen Kitteln, die Damen in bunten Kittelschürzen vor ihren Nähmaschinen – dieser scheinbar trostlose Anblick stand in keinem Verhältnis zu der besonderen Atmosphäre und den wunderbaren Arbeitsergebnissen. In einem Durchgang zwischen Herrenund Damenschneiderei hatte die Putzmacherin ihren Arbeitsplatz, sie fertigte perlenbestickte Diademe für das Corps de Ballett, während meine Nähmaschine und ich unter unendlichen Wolken von weißem Tüll für Tutus verschwanden. Die Schneiderinnen nähten blaue Paspeln auf weiße Röcke, und selbstverständlich war der Oberfaden blau eingefädelt, während die Spule weißes Garn trug. Dieses hohe Berufsethos hat mich ungeheuer beeindruckt! Beeindruckt hat mich auch der Kostümfundus, damals unter dem Dach, in seiner Schall verschluckenden Totenstille, den

Sonnenstrahlen auf leicht vergilbenden Spitzen, Volants, Brokaten und Besätzen – welche Triumphe, Träume und auch Ängste mögen in diese Kleider hineingeatmet worden sein! Und noch etwas habe ich gelernt: Auch, wenn man weiß, mit welchen Tricks die Illusionen auf der Bühne entstehen, der Zauber bleibt erhalten, jedes Mal ist es neu und aufregend. Jahre später war ich ab und an in der Schneiderei, um aus großen Kisten Stoffreste für meine Schüler zu sammeln, Stoffe, die im normalen Leben nie vorkommen, und durch die Kinder zu phantastischen Kunstwerken inspiriert wurden. Heute kehre ich zurück, um noch einmal etwas von dem Zauber zu erleben: Er ist ungebrochen, auch, wenn heutzutage niemand mehr Tutus näht und Kittel trägt, aber man weiß sofort: Hier ist der Ort, an dem Stoffe verarbeitet werden, aus denen die Träume sind. Elisabeth von Blumenthal und Petra Leidner sind Abteilungsleiterinnen der Kostümwerkstätten und damit auch für

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den Etat verantwortlich. „Ich habe den schönsten Beruf der Welt,“ ist das erste, was Elisabeth von Blumenthal sagt, bevor sie das Wesen eines Theaterkostüms und seinen Werdegang vorstellt: Natürlich ist das Arbeitsethos ganz wichtig und selbstverständlich, denn „alle Kostüme werden wie Maßarbeit behandelt, egal, ob es Neuanfertigungen sind, Teile aus dem Fundus oder ein Anzug von C&A. Sowohl die Darsteller als auch das Publikum spüren sofort, ob ein Kleidungsstück mit Liebe und Sorgfalt gearbeitet ist oder nicht. Das Kostüm soll den Schauspieler in seiner Rolle unterstützen, ja, es charakterisiert ihn schon, bevor

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er zu sprechen und zu agieren beginnt. Steckt man jemanden in ein Kostüm, ist er sofort ein anderer.“ Es ist also noch immer wie im Märchen von des Kaisers neuen Kleidern. Frau Droste ist Meisterin und verantwortlich für die Auszubildenden. Auch für sie steht die Freude an der Arbeit an erster Stelle, „an dem, was unsere Hände schaffen. Unser Ziel ist das fertige Kostüm, das seinen Bühnenzweck erfüllt, auch, wenn es uns einmal nicht gefällt. Wir machen Haute Couture ebenso wie Lumpen, wir dürfen uns für nichts zu schade sein, und das ist gerade das Spannende.“ Soeben hat sie diese Gratwanderung geschafft: Ein

Overall soll alt und schmuddelig aussehen und trotzdem so sauber sein, dass der Darsteller sich darin wohl fühlt. Stolz weist sie darauf hin, dass junge Schneiderinnen und Schneider, die an den Wuppertaler Bühnen ausgebildet wurden, an anderen Theatern besonders gefragt sind. Zurück zum Werdegang eines Kostüms von der Figurine bis in den Fundus: Der Weg vom Konzept zur Aufführung ist lang, er kann sich über ein ganzes Jahr erstrecken. Nach intensiven Vorgesprächen mit dem Regisseur und dem Bühnenbildner über das Konzept der Aufführung liefert der Kostümbildner seine Entwürfe, die Figurinen, in der


Kostümabteilung ab. Je nach Anzahl und Art der benötigten Kleidungsstücke heißt es, den Fundus inspizieren, kaufen oder anfertigen. Jedes Kostüm muss historisch korrekt sein, dazu wird sorgfältig recherchiert. So sollen in dem Musical „Evita“ deren Liebhaber Schlafanzüge in den Farben der argentinischen Flagge tragen – sogar mit kleinen Sonnen auf den Brusttaschen! Der Arbeitsaufwand für ein Stück kann gewaltig sein, etwa wenn über 100 Darsteller auf der Bühne stehen mit Chorgästen und Kindern, und jeder verschiedene Kostüme samt Accessoires für mehrere Szenen benötigt.

Wie viel Freiheit die Gewandmeisterinnen im Detail haben, hängt von den jeweiligen Kostümbildnern ab – Elisabeth von Blumenthal empfindet es immer als „Beglückung, für einen besonderen Kostümbildner arbeiten zu dürfen.“ Das ergänzt sich mit einer Bemerkung der Schneidermeisterin Frau Droste: „Es macht Freude, jemandem in die Hand zu arbeiten.“ Spannend wird es bei der ersten Hauptprobe, wenn die Darsteller zum ersten Mal im Originalkostüm auftreten. Zuweilen gibt es dann Probleme: Der Regisseur hatte neue Einfälle, es fehlt z.B. eine Tasche für ein Requisit, oder ein

Schauspieler hat während der Proben zuoder abgenommen. Alle Kostüme sind ohnehin für den Fall von Umbesetzungen auf leichte Änderbarkeit gefertigt. Oder es soll plötzlich Blut fließen. Weiß man das vorher, so kann man entsprechend leicht waschbare Stoffe wählen und Tests mit verschiedenen Qualitäten von Theaterblut machen, „wenn nicht, stöhnt die Reinigungsfirma, die morgens Kostüme abholt und abends gesäubert wieder abliefert. Oder der weiße Anzugskragen ist nach jeder Vorstellung voller Makeup, und die Handschminke hinterlässt Spuren auf der Hose – da können dann abnehmbare Revers oder Handschuhe helfen.“

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Nach der Première gibt die Schneiderei die Verantwortung für das Kostüm ab. Nun sind die Ankleiderinnen gefragt, ohne die gar nichts geht, wie Frau von Blumenthal sagt. Sie sorgen nicht nur während der Vorstellung dafür, dass jedes Kostüm an seinem Platz hängt und gewaschen, gebügelt und ausgebessert wird. Sie helfen den Darstellern beim Umkleiden, was ja manches Mal sehr schnell gehen muss, und achten darauf, dass der Schauspieler tatsächlich das richtige Kostüm für die richtige Szene trägt, denn der hat am Abend in erster Linie seine Rolle im Kopf. Ist das Stück abgespielt, werden die Kostüme aussortiert, repariert und gereinigt und wandern schließlich in den Fundus, um dort auf ihren nächsten Auftritt zu warten. Nun kann der Kreislauf von vorn beginnen. „Der Fundus ist unsere Schatzkammer, denn ohne ihn sind große Produktionen unmöglich. Davon leben und arbeiten wir. Viele Kostümbildner lassen sich dort inspirieren, denn schließlich schlummert hier die kreativ Arbeit von Jahrzehnten.“ Petra Leidner, ebenfalls Abteilungsleiterin der Kostümschneiderei, nimmt sich besonders der Kostüme für das Tanztheater Pina Bausch an. Tutus gibt es nur noch in Ausnahmefällen; in zahlreichen Stücken treten die Tänzerinnen in den schönsten und ausgefallensten Abendkleidern auf, mit denen die meist schlichten Herrenkostüme harmonieren. Auch Frau Leidner ist von ihrer Tätigkeit begeistert; besonders liebt sie die „wunderbare Arbeit von Marion Cito“, die seit 1980 als Kostümbildnerin von Pina Bausch tätig ist. Marion Cito kauft die Stoffe auf Vorrat, häufig während der auswärtigen Gastspiele, aber auch in Wuppertal. Sie fertigt keine Figurinen, sondern das Kostüm wird der Tänzerin buchstäblich auf den Leib geschneidert. Sie muss sich darin wohl fühlen und vollkommene Bewegungsfreiheit haben. Die Stoffe sind farblich mit dem Hautton der Tänzerin abgestimmt und werden auf ihrem Körper drapiert. Das ist die hohe Schule der Schneiderei, denn solche Kleider sind meistens schräg geschnitten, damit der Stoff besonders Die Gewandmeisterinnen Elisabeth von Blumenthal (links) und Petra Leidner

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schön fließt und sich den Körperbewegungen anpassen kann. Die Probeschnitte werden mit Futterstoffen gefertigt. „Diese Genauigkeit in den kleinsten Nuancen macht die Zusammenarbeit so erfüllend. Es kommt auf jedes Detail an, ein kleiner Vorschlag von Marion Cito, eine winzige Korrektur, und plötzlich ist das Kleid richtig“, sagt Petra Leidner. Die Kleider sollen nicht nur die Schönheit der Trägerin zur Geltung bringen, sondern sie sind während der Vorstellungen im wahrsten Sinne des Wortes ständigen Zerreißproben ausgesetzt und müssen häufig geflickt werden. „Erst wenn es gar nicht mehr ging, wurde eins nachgearbeitet. Pina Bausch hat das sofort gesehen, und wir mussten die Kleider genau so zerrupft und zipfelig nachschneidern.“ Auch das ist Berufethos: „Es war das größte Kompliment, wenn Frau Bausch nicht bemerkte, dass ein Kleid nachgearbeitet war.“ Bei „Vollmond“ , einem Stück, in dem das Wasser Teil der Choreografie ist, werden die Kostüme doppelt gefertigt, die „Wasserkostüme“ sind aus Kunststoffen, die gleichen Gewänder für die trockene Bühne aus kostbarer Seide. Auch die Herren tragen für die Wassserszenen unempfindlichere Stoffe, die leicht trocknen. Man hat sogar einen Wäschetrockner für die Schuhe angeschafft, und hinter der Bühne warten eine Bügelanlage und ein Fön. Zu den Gastspielen begleiten das Tanztheater immer zwei Schneiderinnen. Mit im Gepäck sind eine Nähmaschine und ein großer Sack mit Stoffresten – nichts wird weggeworfen, denn auch unterwegs kann es Umbesetzungen und Pannen geben. Das Rauschen und Rascheln dieser Kostüme, das im wahrsten Sinne des Wortes stoffliche Eigenleben, das sie entwickeln, wenn sie gleichsam mitspielen, ihre erlesene Farbigkeit, ihre Eleganz, ihre Raffinesse, ihre Komik, die vom Körper und vom Ausdruck ihrer Trägerinnen untrennbar sind, bleiben Teil der unvergesslichen Erinnerungen, die wir aus den Pina-BauschAbenden mitnehmen dürfen. Marlene Baum

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Die Bildhauer Kunstakademie Düsseldorf, 1945 bis heute bis zum 28. Juli 2013 K20 Grabbeplatz Kuratoren: Tony Cragg, Siegfried Gohr, Robert Fleck sowie Marion Ackermann und Maria Müller-Schareck

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Von den an der Düsseldorfer Kunstakademie tätigen Bildhauerinnen und Bildhauern gehen seit 1945 entscheidende Impulse von großer Strahlkraft aus. Professoren wie Ewald Mataré, Joseph Beuys, Erwin Heerich, Norbert Kricke, Irmin Kamp, Klaus Rinke, Fritz Schwegler, Rita McBride, Hubert Kiecol oder Katharina Fritsch prägten und prägen die fruchtbaren Auseinandersetzungen innerhalb der Akademie über ihre Klassen hinaus. Und sie tragen – wie auch viele ehemalige Studenten – wesentlich zur Entwicklung der Bildhauerei der vergangenen knapp 70 Jahre bei. Der Bildhauer Tony Cragg, seit vielen Jahren Professor und seit 2009 auch Rektor der Akademie, gab den Anstoß für diese außergewöhnliche Überblicksausstellung aus der Innensicht der Kunsthochschule. Die ausgewählten ca. 130 Werke von 53

Künstlerinnen und Künstlern machen ein ebenso überraschendes wie beeindruckendes Panorama international anerkannter, moderner und zeitgenössischer Skulptur sichtbar. Lange Vertrautes korrespondiert mit unbekannten Werken und solchen, die es wieder zu entdecken gilt. Zahlreiche der in den drei Ausstellungshallen des K20 zu sehenden Arbeiten sind im direkten Kontext der Akademie entstanden. Den Neubeginn der Bildhauerei an der Akademie nach 1945 markiert das Werk Ewald Matarés, in dessen bildnerischem Schaffen Menschen- und Tierdarstellung vorherrschen. Matarés Einfluss auf seinen Schüler Joseph Beuys ist – über formale Auffassungen im frühen Werk – auch in der Suche nach Ganzheitlichkeit nachweisbar. Erwin Heerich, ebenfalls Schüler von Mataré, geht mit seinem Gestaltungskon-


zept, das zunächst in den am Kubus orientierten Kartonplastiken, später in seinen Bauten erprobt wird, einen ganz anderen Weg. Joseph Beuys, aber auch Dieter Roth und Nam June Paik, sind Teil der Fluxusbewegung, die sich in den 1960er-Jahren auch in Düsseldorf mit ihren Aktionen, Konzerten und Perfomances etabliert. Dieter Roths Werke, die durch ihr Material wie Schokolade, Wurst oder Milch dem Verfall preisgegeben sind, entwickeln den barocken Vanitas-Gedanken weiter. Nam June Paik analysiert bereits in den 1970er-Jahren kritisch die Rolle des TV als Massenmedium. Seit etwa 1960 bricht Norbert Kricke mit der herkömmlichen Bildhauerei und setzt seine abstrakten Skulpturen aus dünnen Stahlrohren in direkte Beziehung zum Raum, als „ungreifbare Augenkunst“

(Kricke). Nicht weniger radikal ist der Ansatz der 1958 gegründeten Gruppe ZERO: Licht und Schatten, reflektierendes Metall, Motoren oder Nägel sind die Mittel, die Heinz Mack, Otto Piene und Günther Uecker für ihre Kunst nutzen. Im direkten Austausch mit ZERO entstehen auch die Spiegelobjekte von Christian Megert. Zu den Hauptvertretern der Arte Povera gehört Jannis Kounellis, der mit seinen einfachen Materialien Natur, Technik und Kultur, Vergangenes und Fortschritt thematisiert. Auch Reiner Ruthenbeck, der bei Beuys studierte, nutzt Alltagsmaterialien, die er in spannungsreichen und manchmal spielerisch anmutenden Installationen zusammenführt. Die Maler Markus Lüpertz, Jörg Immendorff und A.R. Penck „übersetzten“ ihre bildnerischen Verfahren in die Dreidimensionalität, wobei ihre kraftvoll

aus dem Holz geschlagenen Figuren farbig gefasst sind. Luise Kimme hat vor vielen Jahren die Insel Tobago zu ihrer Wahlheimat erkoren. Dort entstanden ihre von der Kultur und den Erzählungen der Karibik geprägten Holzskulpturen voller Bewegung und Lebendigkeit. Tony Craggs großes Thema ist die Materie, die in immer neuen, hochkomplexen Formen in Erscheinung tritt. Seine Skulpturen aus Holz, Bronze oder Gips evozieren Erinnerungen an die Natur oder Harald Klingelhöller, 38 Teile in Form von 19 Zeichen für Tisch und 25 Buchstaben der Worte „Einmal im Leben“, 1981/1983, Karton, 120 x 450 x 200 cm, Mudam Luxembourg/Collection Musée d'Art Moderne Grand-Duc Jean, Luxembourg,© Künstler Foto: Aurélien Mole, © Kunstsamml. NRW

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Installationsansicht „Die Bildhauer. Kunstakademie Düsseldorf, 1945 bis heute“ links: Anthony Cragg, Ferryman, 2001 rechts: Richard Deacon, What could make me feel that way, 1993 Foto: Achim Kukulies, © Kunstsammlung NRW, Künstler, VG Bild-Kunst, Bonn

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Gegenständliches und zeugen zugleich von einem vielschichtigen Prozess der Transformation. Momente des Grotesken prägen die Skulpturen von Thomas Schütte, dessen Menschenbilder fernab jedes Schönheitsideals an Karikaturen erinnern. Aus der Welt ferner Erinnerungen – bis zurück in die Jahre der Kindheit – schöpfen Martin Honert und Katharina Fritsch die Motive ihrer Werke. Während Honert Erlebtes darstellt und dabei mit der Maßstäblichkeit spielt, versucht Fritsch mit ihren oftmals übergroßen Figuren Stimmungen oder Traumbilder zu evozieren. Den direkten Bezug zu jeder dinglichen Wirklichkeit negiert Richard Deacon, dessen Arbeiten aus Holz, Glas, Metall, Papier und Kunstharz zu freien Assoziationen einladen; Rita McBride untersucht die gesellschaftliche Bedeutung von Architektur, Kunst und Design. Bogomir Eckers seltsame Geräte aus scheinbar vertrauten Alltagsgegenständen kehren das Verhältnis von Mensch und dienender Maschine um, stellen Perfektion und Fortschritt in Frage. Hintergründiger Humor und Lust an der Provokation kennzeichnen die Arbeiten Gereon Krebbers, der seine Skulpturen aus den erstaunlichsten Materialien wie Klebeband, Zahncreme, Holz, Mayonnaise, Kunstharz, Zucker, Gelatine, Kleiderbügel oder Glas entwickelt. Bisweilen erinnern sie an alltägliche Gegenstände, mitunter spielen sie auf die Formen des Minimalismus an oder wuchern in den Raum, in verblüffender Weise auf den Ort reagierend. Unansehnliche Abfälle sind Grundlage der Serie der „Trashstones“, an denen Wilhelm Mundt seit über 20 Jahren arbeitet. Die Zusammenballung von Haushaltmüll und Atelierabfällen bleibt nur in den unregelmäßigen Ausbeulungen der wie Findlinge wirkenden Skulpturen sichtbar, ihre glänzend polierte Haut spricht eine andere Sprache. Mundts Strategie, aus Arbeitsresten Kunst zu machen, kann als Kommentar zu Produktionskreisläufen und Recycling gewertet werden. Bewusst knüpft Paloma Varga Weisz an kunstgeschichtliche Motive an; auch Sagen, Märchen und sogar medizinische Fachliteratur dienen ihr als Inspiration. So entstehen auf den ersten Blick vertraute Figuren, die sich bei näherem Hinsehen als Fabelwesen, Tiermenschen oder Mannfrauen entpup-

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pen. In der jüngeren Generation gehört sie zu den wenigen Künstlern, die sich mit der Holzbildhauerei befassen. Mit ihren geschnitzten und oftmals farbig gefassten Skulpturen wählt sie eine handwerklich geprägte Arbeitsweise, wie sie die klassische Bildhauerei Jahrhunderte lang prägte. Mit Die Bildhauer. Kunstakademie Düsseldorf, 1945 bis heute ist erstmals eine Ausstellung in enger Kooperation zwischen der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen und der benachbarten Kunstakademie entstanden. Tony Cragg wurde dabei nicht nur von den Professoren Siegfried Gohr und Robert Fleck unterstützt, sondern vor allem vom Team des Museums. Gezeigt wird die Schau in drei Ausstellungshallen von K20: In dem chronologisch angelegten Rundgang, der in der Klee-Halle beginnend über die KonradHenkel-Galerie zur Grabbe-Halle (ca. 2.400 qm) führt, ist der Bogen von den historischen Positionen der Nachkriegsjahre bis in die unmittelbare Gegenwart gespannt. Eine Vortragsreihe, Künstlergespräche, Exkursionen, ein Dokumentarfilm sowie die Ausstellung „Dingfest“ mit Skulpturen zum Anfassen und Begreifen im Labor von K20 vertiefen die Eindrücke und erläutern Zusammenhänge. Die Ausstellung wird großzügig von der Kunststiftung NRW unterstützt. Sponsoren der Ausstellung: NationalBank AG, Essen, und Hogan Lovells International LLP Stiftung Kunstsammlung NRW Grabbeplatz 5, 40213 Düsseldorf K20 Grabbeplatz K21 Ständehaus Tel. 0211.83 81-730 Öffnungszeiten: dienstags bis freitags 10.00-18.00 Uhr samstags, sonntags, feiertags 11.00-18.00 Uhr, montags geschlossen www.kunstsammlung.de

Installationsansicht „Die Bildhauer. Kunstakademie Düsseldorf, 1945 bis heute“, 2013, Foto: Achim Kukulies, © Kunstsammlung NRW, Künstler

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Sardinen, Sex und sieben Türen Boulevardkomödie im TiC-Theater

Belinda Blair (Sabine Henke) strahlt Zuversicht aus: „Gibt es etwas Schöneres als Hauptproben?“ Doch sie liegt schief – es ist bereits die Generalprobe für den Schwank „Nackte Tatsachen“, die vor den Augen des verzweifelten Regisseurs Lloyd Dallas (charismatisch: Andreas Mucke) und seiner hilflosen Assistentin Poppy Norton-Taylor (bewußt blaß, still leidend, mit hängendem Rocksaum: Margarete Rosenbohm) einem grandiosen Scheitern entgegentaumelt. Keiner der drittklassigen Darsteller beherrscht seine Rolle, letzte Änderungswünsche fegt Lloyd brachial oder mit Psychologie beiseite. Die Tournee durch die englische Provinz muß auf und über die Bühne. Das Publikum im intimen TiC-Theater in Wuppertal-Cronenberg darf von dieser Generalprobe bis zur letzten turbulenten Vorstellung dabei sein, wenn auch stets nur im ersten Akt. Die Story… Deshalb kennt man bald auch die Story fast zum Mitsprechen und weiß dadurch die Nuancen zu schätzen. Ein ländliches Anwesen: Haushälterin Mrs. Clackett (Dotty Otley: Martina Anhang mit robuster Gleich-

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mut), die das Haus für den Eigentümer und Steuerflüchtling, den Theater-Autor Philip Brent (Frederick Fellowes: Alexander Bangen, sensibel, mit bei allem Klamauk dezenter Komik) und dessen Frau Flavia (Belinda Blair: Sabine Henke, mit solider Übersicht und herrlich bieder) in Schuß hält, will es sich bei einem Teller Sardinen (darauf muß man erst mal kommen) vor dem Fernseher bequem machen, um sich die Beerdigung von dem ... Dingsda... anzusehen. Die völlig sinnlos erscheinenden Dosenfische werden der geniale Running Gag. Weil er Brent in Spanien und Mrs. Clackett im Feierabend wähnt, will der Makler-Gehilfe Roger Tramplemain (Garry Lejeune: Christian Schulz, in zweifelnd nervöser Unbeholfenheit) die sturmfreie Bude mit der schnuckeligen Vicki (Brooke Ashton; Hannah Klein, als doofes Blondchen und in Dessous eine Offenbarung) für ein Schäferstündchen nutzen. Leer glaubt auch ein ehrpusseliger Einbrecher (Selsdon Mowbray: Hartwig Kolbe, mit trockenem Humor einer, der mehr versteht, als die anderen glauben) das Haus. Und die Brents kommen heimlich nach Hause, um im eigenen Bett ihren Hochzeitstag zu feiern.


Natürlich treffen alle in den unmöglichsten Konstellationen aufeinander. …und ihre Elemente Techniker und Mädchen für alles Tim Allgood (Alexander Klein, von hinreißender Müdigkeit), der seit 48 Stunden nicht geschlafen hat, klemmende Türen richten muß und auch noch für den zeitweise verschwundenen Selsdon Selsdon in der Rolle als Einbrecher einspringen soll, schläft quasi im Stehen und rundet die Truppe, die das völlig überdrehte Stück Screwball umsetzen soll, eine Farce im Geiste Eugène Labiches und Dario Fos, in dem auch Bettlaken, Pappkartons, ein klebender Brief und - ja, Sardinen eine Rolle spielen. Dazu Eifersüchteleien, hochkochende Gefühle, viele Mißverständnisse, noch einmal Sardinen, immer wieder Sardinen, ein Scheich mit Scheichin, etliche falsch adressierte Blumensträuße sowie ein Telefon und – ja, Sardinen. Von den hoch motivierten Schauspielern wird in dem atemberaubend rasanten, höchst turbulenten und intelligenten Stück in Iljas Enkaschews pfiffigem Bühnenbild (7 Türen, ein Vorhang, ein Fenster zum Einbrechen und ein ohne Drehbühne brillant gelöstes „Backstage“) viel verlangt. Sie geben es und noch mehr. Interna Die Handlung parallel zum Stück: Der übersensible Garry hat ein Verhältnis mit der wesentlich älteren Dotty. Frederick kann keine Gewalt ertragen, bekommt davon sofort Nasenbluten. Belinda ist betulich und sucht den Ausgleich – aber nur bis zu einer gewissen Grenze. SeIsdon ist nicht so recht durchschaubar, wird als Alkoholiker verdächtigt, ist aber nicht ein einziges Mal betrunken. Aber dafür Dotty bei der Dernière. Regisseur Lloyd hat was mit Brooke, die in tumber Ahnungslosigkeit und mit leerem Blick viel blonden Sex versprüht. Und er hatte auch was mit Poppy, die, wir erfahren es im ungünstigsten Moment wie es sich gehört, ein Kind von ihm erwartet. Stumme und stürmische Turbulenzen, eine im wortlosen Ringen von Hand zu Hand gehende Feueraxt, Whisky-Flaschen, Blumensträuße und Sardinenteller halten die Zwerchfelle in Bewegung. Hannah Klein ist eine Entdeckung. Zuckersüß und strohdoof schmeißt ihre Brooke als talentfreies Dummchen Szene um Szene, weil sie zwar

kurvenreich, aber talentfrei keinen Plan hat und gelegentlich auch mal ihre Kontaktlinsen verliert. Als schließlich aber alles aus dem Leim geht, zieht sie als einzige unbeirrt textsicher ihren Streifen durch – köstlich. Theater auf dem Theater Theater auf dem Theater ist stets eine Delikatesse, Boulevard ein allzu oft unterschätztes Genre. Boulevard über Boulevard ist ein geradezu abenteuerliches Unternehmen. Michael Frayns Farce „Der nackte Wahnsinn“ gehört zum Schwierigsten, was die Branche zu bieten hat, aber auch zum Besten, ein Sprachkunstwerk und ein Meisterwerk an Präzision - wenn es gelingt. Thomas Gimbel setzt Frayns Meisterwerk, das vor 27 und vor sechs Jahren an den

Wuppertaler Bühnen (hier war Gimbel von 1991-1998 Ensemblemitglied) volle Häuser feiern konnte und vor 13 Jahren mit der Wuppertaler Theatertruppe „neue WuTh“ (der Thomas Gimbel auch einmal angehörte) einen Sensationserfolg hatte, mit leicht erscheinender, sicherer Hand so um, wie Frayn es sich wohl gedacht hat. Das Ergebnis überzeugt von der ersten Sardine bis zum letzten Einbrecher. Lassen Sie sich im TiC für zweieinhalb Stunden bestens unterhalten. Frank Becker Fotos Martin Mazur Weitere Informationen: www.tic-theater.de

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Wenn die Fahnen flackern, rutscht Eine Expedition in den Sprachkosmos der Herta Müller

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„Ihr Werk, dessen Kraft sich aus dem Schrecken speist, ist zugleich reich an Schönheit und für den Leser ein großes Glück“, schreibt Volker Weidermann in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung über das Werk Herta Müllers. Der Schrecken beginnt für die Schriftstellerin spätestens 1967, als Nicolae Ceaus¸escu Staatspräsident Rumäniens wird und unter seiner Führung das Land zu einer der grausigsten Diktaturen unter den Vasallenstaaten Moskaus mutiert. Herta Müller ist da gerade 14 Jahre alt. Der Spitzeldienst der Machthaber, firmierend unter dem euphemistischen Titel Securitate, verbreitet Angst und Schrecken. Der Ceaus¸escu-Klan beutet das eigene Volk aus; viele Rumänen leben in bitterer Armut. Herta Müllers Großvater hatte seine Erfahrungen am Ende des II. Weltkrieges in einem Satz zusammengefasst: „Wenn die Fahnen flackern, rutscht der Verstand in die Trompete.“ Ein Satz, der sich nun unter dem Ceaus¸escu-Regime auf fatale Weise zu wiederholen scheint und sich tief in das Bewusstsein Herta Müllers

einbrennt. Die Trompete zu blasen, hat sie sich stets geweigert. Das erste Mal verweigerte sie sich 1979, als die Securitate sie zu Spitzeldiensten zwingen will. Herta Müller verliert daraufhin ihren Beruf als Übersetzerin in einer Maschinenfabrik. Sie empfindet die Lage in dem totalitären Regime als bedrohlich. Aber „auf die Angst vor dem Tode“ reagierte sie „mit einem Durst nach Leben“, sagt sie 2009 in ihrer Stockholmer Dankesrede anlässlich der Verleihung des Literaturnobelpreises. Daher werde die Freiheit umso größer, „je mehr Wörter wir uns nehmen können“. Das Schreiben, die kartographische Vermessung der Innenwelten von Bewusst- und Unterbewusstsein werden zu Orten des inneren Widerstands, zu jenen Räumen, an denen die eigene Würde und Freiheit in den Zeiten der Diktatur bewahrt werden können: Literatur als (Über-)Lebensmittel. Und sie schließt sich als einzige Frau einer literarischen Vereinigung von Rumänendeutschen an; unter ihnen der Lyriker


der Verstand in die Trompete sind die Gedichte Herta Müllers – wie auch ihre Prosa – nicht hermetisch; der Leser kann durch den ganz eigenen, unverwechselbaren Rhythmus und Duktus der Verse eintauchen in die Fülle der Sprachbilder und sich selbst (s)einen eigenen oder auch kollektiven Reim darauf machen: wie bei den vier Zeilen oben, in denen das Lied – trotz der lauernden Bedrohung durch das Messer – sich sein Glück holt – „woher es kann“. Dass Herta Müller die Gedichte nicht nur niederschreibt, sondern aus Worten, Buchstaben, Bildern, die sie in Zeitungen und Zeitschriften findet, zusammenfügt, macht den Prozess poetischer Transformation der Wirklichkeit umso sinnfälliger. Ihre Dichtungen sind zugleich sehr real und voller Magie. Oskar Pastior, der 2006 posthum den Georg-Büchner-Preis erhielt und Ernest Wichner, heute Leiter des Literaturhauses Berlin, von dem Herta Müller sagt, „dass wohl kaum jemand mein Werk so gut kennt wie er.“ Doch ihre Gedichte und Romane sind nicht nur Ausdruck eines Kampfes um Freiheit und Würde, sie sind vor allem Sprachkunstwerke. In ihrem Gedichtband „Im Haarknoten wohnt eine Dame“ sind die Personen und Dinge des alltäglichen Lebens, was sie sind: Der Friseur ist ein Friseur, das Akkordeon ein Akkordeon und das Messer ein Messer. Im Sinnraum des Gedichtes aber werden die Dinge zu Chiffren, zu mehrdeutigen Zeichen, die ihre Bedeutungen erst im Kontext erfahren: Wenn der Friseur Akkordeon spielt Liegt noch das Messer auf dem Tisch und jedes Lied nimmt sich ein Glück woher es kann. […] Der lyrische Kosmos der Herta Müller ist reich bevölkert von solchen Dingsymbolen, die wohl der Lebenswelt der Dichterin als Mädchen und junger Frau entspringen und die für sie eine ganz persönliche magische Bedeutung haben. Über die Dinge der Außenwelt hat sie keine Macht; sie sind, was und wie sie sind. Der Trick der Freiheit aber besteht darin, den Dingen und Verhältnissen die Bedeutungen zu geben, die unsere Innenwelt ihnen zuweist. Daher

Damit ist zugleich aber auch das poetische Programm, die verstörende und betörende sprachliche Schönheit der Dichtungen Herta Müllers, in einer ersten vorsichtigen Annäherung beschrieben. Eine Schönheit, die sich bereits in ihrem ersten Prosaband „Niederungen“ findet. Dort beschreibt sie unter anderem die Schönheit des Landes, aber auch das Bedrückende ihrer Kindheit und Jugend, die Dummheit und das Dumpfe in den „Niederungen“ der Provinz, die Verlogenheiten und Lebenslügen ihrer Siebenbürger Landsmänner und -frauen, die den Wechsel von der faschistischen in die kommunistische Diktatur scheinbar problemlos in ihre Biographien integrieren konnten. Die rumänische Zensur greift stark in den Text ein, streicht missliebige Passagen, und dennoch empfinden viele Rumänendeutsche das Buch als Nestbeschmutzung; als eine „Apotheose des Hässlichen und Abstoßenden“, wie die westdeutsche Ausgabe des „Donauschwaben“ 1984 in einer von Hass erfüllten Besprechung titelt. Wer ideologisch sieht, ist eben blind für wahre Schönheit oder auch: die Schönheit der Wahrheit. In ihrem jüngsten Roman „Atemschaukel“ schildert Herta Müller das Schicksal des fiktiven siebzehnjährigen Siebenbürger Sachsen Leopold Auberg, der im Januar 1945 in ein ukrainisches Arbeitslager deportiert wird. „Es ist ein erschütternder Roman, [...] ein verstörendes Meisterwerk, mutig und sprachschöpferisch, ein

Versuch, aus dem Inneren der Hölle zu sprechen, einer ganz eigenen, bildstarken Sprache, die dort Worte finden muss, wo die herkömmlichen versagen, das Grauen nicht zu fassen vermögen“, schreibt Karl-Markus Gauss in der Süddeutschen Zeitung. Dabei sind Sprache und Konstruktion des Romans nicht zuletzt ein Ergebnis der genauen Recherchen Herta Müllers. Ab 2001 zeichnete sie die Erinnerungen von Betroffenen auf. Und sie begleitet ihren frühen literarischen Wegbegleiter Oskar Pastior (1927 – 2006) auf einer Reise in das Lager, in dem der Schriftsteller fünf Jahre lang als Zwangsarbeiter der UdSSR lebte. Eigentlich sollte es ihr gemeinsames Buch werden. Die Schrecken des Lagerlebens werden in einer Sprache geschildert, die wirklichkeitsnah und -gesättigt ist und sich zugleich wie ein hauchfeines lyrisches Gewebe über die Erinnerungen des IchErzählers legt. Herta Müller gelingt das Kunststück der Verdichtung von Realistik und ihrer poetischen Transformation, in der die Dinge sind, was sie sind, und sie dennoch ihre eigene Magie für den IchErzähler entfalten, eine Magie, in der die Kraft zum Überleben steckt. Ein Erzählund vielleicht auch ein Lebensmodell, das für den Leser – wie Weidermann sagt – „ein großes Glück“ ist. Heiner Bontrup

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Klänge aus einer anderen, besseren Welt Das Duo Anja Lechner und François Couturier verzaubert zum Start der Musikreihe KlangArt den Skulpturenpark

„Wenn Gram an dem Herzen nagt, wenn trübe Laune unsere einsamen Stunden vergiftet, wenn uns Welt und Geschäfte anekeln, wenn tausend Lasten unsre Seelen drücken und unsre Reizbarkeit unter Arbeiten des Berufs zu ersticken droht, so empfängt uns die Bühne – in dieser künstlichen Welt träumen wir die wirkliche hinweg, wir werden uns selbst wiedergegeben, unsere Empfindung erwacht, heilsame Leidenschaften erschüttern unsere schlummernde Natur.“ So beschreibt Friedrich Schiller vor fast 230 Jahren seinen Traum vom Theater. Doch ebenso wie das Theater, ja vielleicht mehr noch als dieses, vermag Musik uns in solch glückliche Gefilde zu entrücken. Leider sind diese Momente im Meer des musikalischen Mainstreams selten zu finden.

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Umso schöner, wenn uns solche Zeiten geschenkt werden, wie beim Auftaktkonzert zur Musikreihe KlangArt im Skulpturenpark Waldfrieden. Die Cellistin Anja Lechner und der Pianist François Couturier entführten das Publikum auf eine Reise, die einen weiten musikalischen Bogen vom Okzident zum Orient spannte. Sie präsentierten Stücke von Georges I. Gurdjieff, Frederic Mompou und Anouar Brahem, aber auch eigene Kompositionen Couturiers. So unterschiedlich diese Komponisten sind, so eint sie doch ihr Bestreben zum inneren Kern des musikalischen Ausdrucks vorzudringen: Der Katalane Mompou etwa ließ sich vom französischen Impressionismus inspirieren, ebenso aber auch von den Klängen der Natur und der mystischen Dichtung San Juan de la Cruz’, der im Gefängnis sein Cántico espiritual, seine spirituellen Gesänge schrieb. Der griechischarmenische Philosoph, geistige Lehrer und Komponist Gurdjieff komponierte

Musik unter dem Einfluss seiner Reisen durch den Kaukasus und Kleinasien, indem er althergebrachtes Gedankengut aus den unterschiedlichen Religionen und Weltanschauungen in seinen Adaptionen weltlicher Musik und sakraler Tänze einfließen ließ. Anouar Brahem ist ein Meister der tunesischen Oud, dessen musikalische Ideen sich sowohl aus westlichen und östlichen Quellen schöpfen. Selbst Grenzgänger zwischen musikalischen Kulturen, setzen sich Anja Lechner und François Couturier mit Komponisten auseinander, die ihrerseits einen Brückenschlag zwischen musikalischen und weltanschaulichen Kulturen versucht haben und die ihr Bestreben eint, Musik als Ausdruck spiritueller Erfahrung zu verstehen und zu gestalten. Das alles ist in den Interpretationen von Lechner und Couturier zu hören. Und doch: Charakteristisch für die Spielweise des Duos ist, dass sie den Kompositio-

nen dieser doch so sehr verschiedenen Tonkünstler eine ganz eigene unverwechselbare Färbung verleihen und einen inneren Zusammenhang zwischen den Stücken erkennen lassen. Dazu gehört, dass sie die Zuhörer ausgiebig in die jeweilige musikalische Welt eintauchen lassen, die Themen und Motive der Stücke ausführlich vorstellen, um sie dann improvisierend weiter zu entwickeln. Ihre Musik schwingt dabei zwischen den Polen arabesker Rhythmik und impressionistisch oder gar seriell inspirierter europäischer Kunstmusik. Dabei bewegen sie sich zwar zumeist innerhalb der Grenzen der Tonalität und führen dennoch das musikalische Ausgangsmaterial zu ganz neuen Ufern musikalischen Ausdrucks. Dabei nehmen sie das Publikum mit, das an einen Ort geführt wird, der ihm zugleich vertraut und doch fremd vorkommt. Denn der Ort, an den wir geführt werden, ist wohl zuletzt unser eigenes Selbst: Anja Lechner und François Couturier lassen

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uns in ihrer Musik uns selbst begegnen. Eine wunderbare Erfahrung, für die sich das Publikum am Ende des Konzertes mit sehr lang anhaltendem, sehr ernsthaftem Applaus bedanken wird. Doch es gibt noch ganz andere überraschende Begegnungen im Pavillon des Skulpturenparks. Denn dort treffen Natur, Musik und bildende Kunst aufeinander und spielen – vielleicht ungewollt, aber doch sehr berückend – miteinander: Gegen Ende des Konzertes taucht das letzte Abendlicht den gläsernen Pavillon in ein strahlendes warmes Licht, setzt den an Insekten erinnernden BronzeSkulpturen des belgischen Bildhauers Jan Fabre Spitzlichter auf und taucht sie in ein magisch anmutendes Licht. Es mag Zufall sein oder Zauber: Aber in diesem Moment hört der geneigte Zuhörer in

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den tiefen Tönen des Cellos eine unterirdische Armee von Käfern marschieren und summen. Doch dass wir uns aus dem Weltgetöse und -getriebe „hinwegträumen“ können an diesem Abend, das verdankt sich vor allem der Inspiration und der Spielkunst der beiden Musiker. Wenn Anja Lechner auf ihrem Instrument hingehauchte Flageolett-Töne spielt, die sich sanft von der Begleitung auf dem Flügel lösen, wenn François Couturier auf den Tasten seines Instruments in seiner Eigenkomposition „Papillons De La Nuit“ mit höchster Leichtigkeit Falter als Mobiles mediterraner Heiterkeit tanzen und schweben lässt, dann sind das Klänge aus einer anderen, besseren Welt.

Weitere KlangArt-Konzerte 2013 im Skulpturenpark Waldfrieden

Heiner Bontrup Fotos: Karl-Heinz Krauskopf

www.skulpturenpark-waldfrieden/ klangart.de

Samstag, 15. Juni Christian Muthspiel 4 Feat. Steve Swallow Sonntag, 16. Juni Butterscotch Samstag, 20. Juli Avishai Cohen Quartet Sonntag,21. Juli Acoustic Africa Women’s Voices Samstag, 17. August Elina Duni Quartet Sonntag, 18. August Nguyên lê Quintet


Wolfgang Tillmans bis zum 7. Juli 2013 im K21 Ständehaus Düsseldorf Kuratorin: Dr. Isabelle Malz Einen umfangreichen Überblick über das gesamte Werk des Fotografen Wolfgang Tillmans präsentiert die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf. Zu sehen ist vom 2. März bis zum 7. Juli 2013 eine Auswahl von Arbeiten dieses außergewöhnlichen Grenzgängers der Fotografie aus den vergangenen 25 Jahren. Der Künstler hat die Ausstellung präzise für die Ausstellungsräume im kompletten weitläufigen Untergeschoss des K21 als Gesamtinstallation eingerichtet. Erstmals zeigt Tillmans dabei auch bisher nie zu sehende frühe zeichnerische und andere Arbeiten aus den späten 1980er Jahren.

Wolfgang Tillmans (geb. 1968/Remscheid) hat als einer der wichtigsten Künstler seiner Generation das Medium Fotografie um entscheidende Aspekte weiterentwickelt und damit als Kunstform neu definiert. Die Arbeiten des in Berlin und London lebenden Fotografen sind weltweit in bedeutenden Sammlungen vertreten und werden vielfach in internationalen Ausstellungen gezeigt. Seine künstlerische Arbeit vereint in einer von spannungsvollen Brüchen geprägten Mischung abstrakte Bilder und Fotografien mit den unterschiedlichsten Sujets: Sie reichen von ganz persönlichen oder häuslichen Motiven bis zu politischen Themen, von entfernten Orten auf der ganzen Welt bis zu Aufnahmen des Sternenhimmels. „Ich mache Bilder, um die Welt zu erkennen“, betont Tillmans. Die frühesten Arbeiten, Fotokopien von

Zeitungsbildern und eigene Fotografien, gehen zurück auf Experimente mit einem der ersten digitalen Schwarzweiß-Fotokopiergeräte. Bilder und Fotosequenzen seiner Freunde und von jungen Leuten aus der Popkultur und Clubszene – veröffentlicht in verschiedenen Zeitschriften wie i-D und Spex – machten ihn Anfang der 1990er Jahre einer größeren Öffentlichkeit bekannt. Als erster nicht aus Großbritannien stammender Künstler und Fotograf erhielt Wolfgang Tillmans im Jahr 2000 den renommierten britischen Turner Preis. Zur Bandbreite der künstlerischen Arbeit gehören bei Wolfgang Tillmans neben Porträts, Interieurs, Landschaften, astronomischen Himmelsaufnahmen und Stillleben auch seine in der Dunkelkammer ohne Kameralinse entstandenen

Wolfgang Tillmans, Icestorm, 2001, Courtesy Galerie Buchholz, Köln/Berlin Foto: © Wolfgang Tillmans, © Kunstsammlung NRW

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abstrakten Bilder, Videoarbeiten und die sogenannten Truth Study Centre Tables. Wie große Collagen präsentieren diese Tischinstallationen Fotografien, Fotokopien, Zeitungsartikel und ausgewählte Materialien zu gesellschaftspolitischen und naturwissenschaftlichen Themen und verstärken die in den Bildern angesprochenen Themenkomplexe resonanzartig. Den Weg der Abstraktion geht Tillmans mit den von zarten Farbschlieren überzogenen teils großen Formaten der Freischwimmer ebenso wie mit seinen paper-drops, den Aufnahmen gerollter Papiere in Seitenansicht. Die hier anklingende Plastizität wird in der Serie Lighter ganz real: Das gefalzte Fotopapier – präsentiert in flachen Plexiglaskästen – wird zum abstrakten Relief. Mit seinen zuletzt auf Reisen um die Welt erstmals digital aufgenommenen Neue Welt-Bildern, die gerade in Buchform erschienen sind, erweitert Tillmans sein vielschichtiges Werk um eine neue Dimension. Er macht deutlich, dass es ihm neben einem (material-)ästhetischen Aspekt immer auch um ein grundsätzliches Interesse an gesellschaftspolitischen Themen wie Handel, Warenverkehr, ökonomische Strukturen und hypermoderne Architekturen als Ausdruck dieser neuen Entwicklung geht. Im Zentrum des Schaffens von Wolfgang Tillmans steht die Frage nach dem Bild und die Auseinandersetzung damit, wie Bedeutung auf einem Stück Papier entsteht. Alle Arbeiten der Ausstellung sind analoge Bilder. Dies bedeutet, dass sie als Abbilder von Wirklichkeit nicht am Computer manipuliert, sondern zunächst durch Licht auf einer lichtempfindlichen Oberfläche, einem Film oder Sensor entstanden sind. Der Künstler bearbeitet seine Bilder anschließend jedoch auf ganz unterschiedliche Arten, sei es in der Form von Fotokopien, durch digitales oder klassisch analoges Drucken, aber auch mit fotochemischen Prozessen oder durch manuelle Verformungen. Mit seinen Arbeiten hat Tillmans nicht nur eine neue Bildsprache der Fotografie gefunden, sondern gleichzeitig eine unverkennbar eigene Präsentationsform Installationsansicht, K21 Ständehaus, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen Foto: A. Kukulies, © Kunstsammlung NRW

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geschaffen, die seine Ausstellungen zu ortspezifischen Gesamtinstallationen werden lassen. Die Ausstellungspraxis, bei der gerahmte neben ungerahmten Fotografien, C-Prints neben Fotokopien, Tintenstrahl- und Laserdrucke unterschiedlichsten Formats – zum Teil direkt an die Wand fixiert – zu komplexen wie auch streng linearen Wandinstallationen angeordnet werden, ist für viele nachfolgende Künstler stilprägend geworden. Dies gilt ebenso für seinen unkonventionellen Umgang mit der Fotografie, die er fortlaufend auf neue Bildmöglichkeiten und Variationen im Umgang mit dem Medium, dem Material und der Technik hin befragt und in Ausstellungen, Künstlerbüchern sowie Zeitschriften gleichermaßen präsentiert. Die Ausstellung wurde vom Moderna Museet in Stockholm in Kooperation mit der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen organisiert. In Düsseldorf unterstützt die Stiftung Kunst, Kultur und Soziales der SpardaBank West die Ausstellung. Stiftung Kunstsammlung NRW Grabbeplatz 5, 40213 Düsseldorf K20 Grabbeplatz K21 Ständehaus Tel. 0211.83 81-730 Öffnungszeiten: dienstags bis freitags 10.00-18.00 Uhr samstags, sonntags, feiertags 11.00-18.00 Uhr montags geschlossen www.kunstsammlung.de

Abb. oben: spores, 2012, Courtesy Galerie Buchholz, Köln/Berlin Abb. links: Headlight (b), 2012, Courtesy Galerie Buchholz, Köln/Berlin beide Fotos: © Wolfgang Tillmans © Kunstsammlung NRW

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Der Besuch der alten Dame „Klara, sag, daß das alles nur ein Spaß, ein grausamer Spaß ist!“ Sybille Fabian inszeniert Dürrenmatts „Der Besuch der alten Dame“ Inszenierung: Sybille Fabian Bühne: Herbert Neubecker Kostüm: Sybille Fabian / Frauke Menzinger Dramaturgie: Oliver Held Fotos: Uwe Stratmann Besetzung: Claire Zachanassian / An Kuohn Butler / Boby Hendrik Vogt Der Blinde, Koby / Julia Wolff Alfred Ill / Harald Schwaiger Seine Frau Mathilde / Juliane Pempelfort Seine Tochter Ottilie / Hanna Werth Der Bürgermeister: / Markus Haase Der Pfarrer / Heisam Abbas Der Lehrer / Marco Wohlwend Der Polizist / Thomas Braus Zugführer, Pfändungbeamter, Turner, Bahnvorstand, Geschäftsführer, Arzt / Silvia Munzón López Güllener, Chor, Musiker, Polizeistaat, Die Dicklippigen, Die Debilen, Berater / Ensemble

An Kuohn, Harald Schwaiger

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Da bleiben Fragen offen Schon zu Beginn bleiben viele Fragen offen, als ganze zehn Minuten lang eigentlich nichts passiert, außer daß sich unter dröhnendem Maschinengeräusch Gestalten durch einen Gazevorhang winden. Theaterprovokation dieser Machart ist überholt. Das hat Sybille Fabian wohl nicht verstanden, als sie Friedrich Dürrenmatts „Der Besuch der alten Dame“ für das Wuppertaler Schauspiel inszenierte und am Samstag als Premiere in Remscheid vor vollem Haus auf die Bühne brachte. Offen bleibt – ganz am Rande – auch die Frage, wieso zwar der Wuppertaler Oberbürgermeister Peter Jung (zuverlässig wie stets) samt Familie zur Premiere erschien, die Remscheider Oberbürgermeisterin (uninteressiert wie immer) bei diesem kultur- und regionalpolitisch hochkarätigen Termin durch Abwesenheit glänzte und auch kein anderer Offizieller der Stadt Remscheid sich sehen ließ. Ein Affront. Die Stadt Güllen ist bankrott. Die Stadt, jeder einzelne Bürger ist verschuldet. Vieles ist bereits gepfändet, die Einwohner und Administrativen einschließlich der Polizei (Thomas Braus) stehen im kurzen Hemd da, dem Bürgermeister (Markus Haase) ist von seiner Würde nichts als der Kummerbund geblieben, dem Pfaffen (Heisam Abbas) nur der einfachste Rock. Ihre Bewegungsfreiheit ist auf ein geringes Schrittmaß begrenzt. Nicht einmal wichtige Züge halten mehr in Güllen. Geld muß her. Dringend. Wie aber die Pleite abwenden? Da kommt den Güllener Honoratioren, die sich Ort und Einfluß teilen, ihre einstige Schulkameradin Klara Wäscher (An Kuohn) recht, die sich durch die Ehe mit einem armenischen Mogul zur Milliardärin hochgeerbt hat und nun Claire Zachanassian heißt. Sie hat ihren Besuch und Hilfe angekündigt – und ausgerechnet Alfred Ill (Harald Schwaiger) fällt die Aufgabe zu, Claire zu umgarnen. Dafür soll er den Posten des für die Pleite verantwortlichen Bürgermeisters bekommen. Foto oben: v.l.n.r. Thomas Braus, Marco Wohlwend, Heisam Abbas Mitte: Harald Schwaiger unten: v.l.n.r. Thomas Braus, Silvia Munzón López, Markus Haase, Heisam Abbas,Marco Wohlwend, Juliane Pempelfort, Hanna Werth / Schaukel: An Kuohn

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Tanz ums goldene Kalb Harsch und zynisch jedoch macht Claire, die von Anbeginn Güllen mit der Macht ihres Geldes und zerstörerischer Stimmfrequenz in Schach hält, dem Wahn ein Ende. Sie nennt ihren Preis: den Tod Alfred Ills, der sie vor Jahrzehnten geschwängert, verlassen, durch Meineid zur Hure gemacht und den Tod des gemeinsamen Kindes verschuldet hat. Dafür bietet sie Güllen 1 Milliarde Euro (bei der Uraufführung 1956 war es noch 1 Million so inflationär hat sich die Welt entwickelt). Die lautstarke Empörung der Güllener sowie die scheinbar konsequente Ablehnung des unmoralischen Angebots wandelt sich subkutan, eine durch die Verbesserung der Garderobe sichtbar gemachte Veränderung, die auch Alfred Ill nicht entgeht. Der Tanz ums goldene Kalb hat längst begonnen. Claire wird nicht nachgeben, zu groß ist der Haß, aus dem heraus sie ihre „Gerechtigkeit“ brutal einfordert – und bekommen wird. Starke Bilder, schroffe Striche Friedrich Dürrenmatt hat den Konflikt zwischen Geld und Moral, Schuld und Vergebung, Heuchelei und Aufrichtigkeit als moralische „tragische Komödie“ auf eine Spitze getrieben, bei der das Gelächter gallebitter ist. In Sybille Fabians dröhnender Inszenierung hat Gelächter im Stakkato kakophoner Klang-Kollagen, gepreßter, zerhackter, verzögerter Sprache keine Chance. Im wuchtigen Bühnenbild von Herbert Neubecker, einem sich auf einen Erdhaufen zu verjüngenden, neonbeleuchteten Säulengang in Speer-Architektur, wird die zigmal geliftete, fast nur noch aus Ersatzteilen bestehende „alte Dame“ mit operativ eingefrorenem Grinsen zur grotesken Nebenfigur eines Dramas, in dem die Chargen zu beängstigenden Exempeln bürgerlicher Verlogenheit aufsteigen. Die Karikaturen, die Sybille Fabian hier mit schroffen Strichen zeichnet, gehen unter die Haut, ins Mark. Ein Haufen Arschkriecher. Thomas Braus als nach unten tretender Polizist, Markus Haase als an seinem Stuhl klebender salbadernder Bürgermeister, Marco Wohlwend als verlogener Humanist und vor allem Heisam Abbas in seiner körperlich gelebten Rolle des bigotten Pfarrers geben dem Stück den schauspielerischen Glanz, der der Inszenierung ansonsten abgeht. Silvia Munzón López zeigt in vielen kleinen Rollen (herrlich: ihr Pfändungsbe-

v.l.n.r. Heisam Abbas, Harald Schwaiger, An Kuohn amter) Wandlungsfähigkeit, und Juliane Pempelfort holt aus Mathilde, der farblos inszenierten Ehefrau Alfred Ills doch noch Farbe heraus. Was inhaltlich in qualvoll künstlich gedehnten zweieinviertel Stunden dadurch bisweilen langweilig auf die Bühne gebracht wurde, hätte in einer gerafften Aufführung eventuell überzeugen können. Sybille Fabian hat ihren bisherigen, teils auch kontrovers diskutierten Arbeiten für die Wuppertaler Bühnen (Kafka: „Der Prozeß“, Wedekind: „Lulu“, Molnar: „Liliom“) mit der ihr eigenen wuchtigen Bildsprache eine neuerlich das Bild vom bürgerlichen Theater umstürzende Inszenierung hinzugefügt. Das kam nicht bei allen Zuschauern der Premiere gut an, viele, sehr viele verließen die Aufführung vor der Zeit.

ausharrenden Zuschauer noch im Ohr haben, als er nach zweieinviertel quälenden Stunden ohne Pause den Saal des Teo Otto Theaters in Remscheid verließ. Man muß Sybille Fabians „Besuch der alten Dame“ nicht mögen, aber man sollte ihn vielleicht doch gesehen haben. Wenn auch nur als abschreckendes Beispiel für mißverstandenes Theater. Premiere war am Samstag, 6. April 2013, 19.30 Uhr als Gastspiel der Wuppertaler Bühnen vor nahezu ausverkauftem Haus im Remscheider Teo Otto Theater. Die Kooperation der Theater endet nach dieser Spielzeit durch Aufkündigung seitens Remscheid. Die Wuppertaler Premiere war am 17. Mai im Opernhaus. Frank Becker

Ein grausamer Spaß „Klara, sag, daß das alles nur ein Spaß, ein grausamer Spaß ist!“ Diesen verzweifelten Satz Alfred Ills mochte mancher der tapfer

www.wuppertaler-buehnen.de

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Dichterlesung Friederike Zelesko geboren in Böheimkirchen, Niederösterreich. Sprachstudium in London, Übersetzerin. War Regierungsangestellte an der Bergischen Universität Wuppertal. Schreibt Lyrik und Prosa und ist Mitglied im Verband Deutscher Schriftsteller und der Künstlerinnengemeinschaft GEDOK. Beiträge in Literaturzeitschriften, Anthologien, im Funk und einer Kolumne der Frankfurter Rundschau. Zuletzt in der Anthologie: Fern vom Lärm der Welt, Tag+Nacht Verlag, Köln.

Foto: Claudia Schüller

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Und es begab sich, dass der Turm, der Fingerzeig der Stadtkirche, in der Abendsonne errötete. Draußen verpackten silberne Altweibersommerfäden das Bild einer heiligen Stadt und es herrschte ein mildes Licht. Drinnen, in der Kirche, herrschte die Stimme des Dichters. Er las die Geschichte „Das Rätsel“ aus seinem Werk: „Das Buch Maria Magdalena“. Der Dichter ließ mit kraftvoller Stimme Worte durch die Kirche wehen. Nur jedes zweite Wort stieg in die Höhe zu den Zuhörern und Anhängern, die unten keinen Platz mehr fanden, so wie ich, und deshalb auf der Galerie saßen. Obwohl die Zuhörer und Anhänger des Dichters von der Galerie eine gute Sicht auf den Altarraum hatten, wo er vor dem Mikrofon saß, ging ein falsches Echo durch den Kirchenraum. Das Echo verzerrte die Worte bevor sie oben ankamen. Der Dichter konnte nichts dafür, dass sich seine Stimme auf dem langen Weg nach oben im Lautknäuel verwirrte. Die oberen Lautsprecher waren verstummt. Sie konnten auch nicht repariert werden, denn unten wusste man nichts. Niemand oben hatte den Mut, die Lesung aus dem heiligen Buch Maria Magdalena zu unterbrechen und zu

rufen: Wir verstehen nichts. Wir wollen die ganze Wahrheit über diese Frau aus Magdala hören, die mutig hinaustrat aus dem Haus der Patriarchen und an die Freiheit und Liebe glaubte. Die Rechtecke der Kirchenbänke waren bis auf den letzten Platz besetzt. Von oben sahen sie aus wie zwei Flickenteppiche, bunt durchwirkt mit Noppen, die sich als Köpfe der Zuhörer und Anhänger entpuppten. Der Mittelgang, die Seitengänge, auch der Gang, der die letzten Bankreihen waagrecht durchschnitt, waren frei, und ich wäre am liebsten ganz vorne, von mir aus auf dem kühlen Steinboden der Kirche gesessen, um das Wort meines Dichters zu hören. Aber dazu war es jetzt zu spät. Die Zeit schritt unaufhaltsam voran. Wer zu spät kommt, oder zu spät geboren wird, den bestraft das Leben. Ich fühlte mich wirklich bestraft, denn ich war mit der Bahn von weither angereist, um ihm zu begegnen. Er, von dem ich schon so viel gelesen und gehört hatte, und der der Verfasser des Buches der Bücher war. Eine große Menschenmenge war gekommen und ich erkämpfte mir einen Platz auf der Galerie. Und nun hörte ich nichts. Ich legte meine Hand


hinter mein Ohr, formte es zu einem Trichter. So ein Trichter funktioniert bei schwerhörigen Menschen schon seit alters her. Nichts zu machen. Auch da verstand ich nur jedes dritte Wort. Magdala … kostbares Salböl … folgte ihm … auf den Knien liegend … emporgehoben … als erste den auferstandenen Herrn gesehen…Verkünderin der frohen Botschaft... Apostelin… Vorsteherin… Urgemeinde … Sonnenaufgang... überirdisch... Statt eines Sonnenaufgangs floss der glühende Widerschein des Sonnenuntergangs irdisch in das Kirchenschiff. Kein Schiff ohne Wendeltreppen. Die einzige Wendeltreppe, die sich in diesem Schiff hinaufschraubte, war die Treppe zur Hochkanzel. Eine Predigtkanzel in schwindelerregender Höhe von fünf Metern mit einem Geländer aus metallisch glänzendem Glas, das auch den Kanzelplatz in einer schönen, weichen Rundung umfasste. Die Kanzel wirkte zurückgenommen. Nicht sie, sondern das gesprochene Wort sollte die Aufmerksamkeit erwecken. Das gesprochene Wort einer Frau und nicht das der heiligen Nachfolger des Herrn, die alles verdrehten und sich an die patriarchalische Macht klammerten, sollte gehört werden. Wie um dies zu unterstreichen, entdeckte ich Schriftzüge auf der matten Glasscheibe des Treppengeländers. Manche konnte ich entziffern, manche waren mir fremd. Nicht mein Ohr, sondern mein Auge war jetzt das Sinnesorgan, das umständehalber und fast verzweifelt auf Entdeckungsreise ging. Dies hier ist eine offene Kirche, stand groß gleich am Eingang und lud mich ein, auf der Suche nach einem stillen Platz im hektischen Treiben der heiligen Stadt über die Diffamierung und Herabsetzung des weiblichen Geschlechts durch die Nachfolger des Herrn nachzudenken, der den Frauen während seines unauslöschlich niedergeschriebenen Erdendaseins den Platz einräumte, der ihnen vorher verwehrt war. In diesem großen, mit hellem Holz gestalteten Kirchenraum lässt sich Selbstbewusstsein von Frauen in der Stille üben. Vielleicht ist dies aber auch ein Fehler und das Selbstbewusstsein der Frauen, auch meines, müsste lauter schreien. Meine Aufmerksamkeit bahnte sich wieder den Weg zur Kanzel. Ich glaubte ganz unten hebräische oder aramäische Schriftzüge zu erkennen, die ich nicht lesen konnte. So kamen die Übersetzer der Heiligen Schrift mit ins Spiel. Auch sie konnten nichts dafür, dass sich die Geschichte von der Frau aus Magdala

von der Wahrheit immer weiter entfernte, wie im Gesellschaftsspiel Stille Post, über viele Treppen und Hürden hinweg, von Sprachen, wie aramäisch, koptisch, griechisch, syrisch, lateinisch und schließlich deutsch. Deutsch war meine Muttersprache, der ich vertraute, und ich glaubte einfach nicht, dass ein Wort, das nicht in die Zeit der Reformation passen wollte, einer Willkür zum Opfer fallen könnte. Die Turmspitze der Kirche zitterte erregt. Der Abendwind berührte zärtlich die von der untergehenden Sonne rosig gefärbte Haut der Kirchenfenster. Ihre Glut versank tief im Schoß der Dächer der heiligen Stadt, unter denen Gläubige ihr Abendbrot brachen. Die Reihen der Zuhörer und Anhänger der Lesung aus dem Buch der Maria Magdalena bebten ebenfalls vor Erregung. Gerade wurden sie an ein barockes Bild erinnert. Ich verstand nur den Namen des niederländischen Malers und das Bild erschien sofort vor meinen Augen. Der Maler zeigte die Frau zu Füßen des Herrn, so wie sich Braut und Bräutigam nach einer heiligen Hochzeit begegneten, fast nackt und in großer Schönheit. Die Hüfte des Herrn umschlang das purpurne Tuch der Könige. Die Frau, in weißes Linnen gehüllt, offenbarte ihre Unschuld. Züchtig kreuzte sie ihre Arme über ihre Nacktheit und bändigte gleichzeitig die Fülle ihres Haars. Durch einen Spalt von Zeigefinger und Mittelfinger der linken Hand lugte wie zufällig eine rosige Brust hervor. Die Zeit schritt unaufhaltsam voran. Sie zählte keine reuigen Sünder, sondern Menschen, die guten Willens sind. Der Herr vergibt für alle Zeit, denn die Liebe ist die größte Macht. So sprach der Dichter und sein letztes Wort stieg auf die Kanzel und erreichte endlich den Platz auf der Galerie, wo ich saß. Die frohe Botschaft der Frau aus Magdala war mächtig geworden. Auch nach der Lesung aus dem Buch Maria Magdalena kam ich nicht in die Nähe des Dichters. Zu lange brauchte ich für den Abstieg von oben. Er war bereits umringt von den namhaften Vätern der heiligen Stadt. Sie schüttelten lange seine Hände. Im Foyer der Kirche, das in seinem hellen Holzton warm leuchtete, wurde Wein gereicht und salziges Brot und auf dem Büchertisch lag das Werk des Dichters. An diesem Abend wurde es zum Vorzugspreis angeboten und wer nicht in Eile war, konnte es sich signieren lassen.

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Friederike Zelesko

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Die Straßen von Damaskus Das arabische Auge sieht mich an. Mit jedem Lidschlag zeigt es mir eine Moschee, ein Mosaik, eine Einlegearbeit, ein Haus mit Innenhof, in seiner Mitte einen plätschernden Brunnen. Die Muezzine in Damaskus rufen fünfmal am Tag zum Gebet und das Auge schließt sich für kurze Zeit, besinnt sich, um erneut den Blick auf eine der ältesten bewohnten Stadt der Welt zu richten. Das Gefäß aus Perlmutt, aus dem ich täglich trinke, schimmert wie ein Versprechen. Der Innenhof legt sich schützend um mich. Der Brunnen entwirft Formen und Farben. Sie bereiten mich vor auf die orientalische Begegnung. Eines der sieben Tore von Damaskus, das Tor Bab Kissan, erinnert an Saulus. Wie Schuppen fiel die Blindheit von seinen Augen. Er wurde sehend. Ich bin trunken von Licht und Farbe dieser Stadt. Ein typisches vornehmes Damaszener Haus: Es liegt mitten in einem Hain von Palmen, Zedern und Eukalyptusbäumen, im Rawda Stadtteil der Ärzte- und Anwaltspraxen. Direkt am Fuß des Hausberges Qassiun, an dem die Gebäude der danebenliegenden Viertel hochklettern wie Ziegen. Hier steht die Zeit still. Ich höre keine Schreie der Melonenverkäufer oder Gemüsehändler, die noch mit zweirädrigen Karren durch die Straßen ziehen, höre nicht das metallene Klicken der aneinander stoßenden Gasflaschen auf den flinken, ständig hupenden Transportern oder den Ruf des Trinkwasserverkäufers, wie er täglich im Stadtteil Jaramana zu hören ist, wo ich vorübergehend wohne. Im Rawda Viertel kommt das Trinkwasser aus einer Quelle des Flusses Barada. Es ist klar und gekühlt so erfrischend wie verdünnter Granatapfelsaft. Hinter den dicken Mauern des Hauses reichen die Türen bis zur Decke. Durch architektonisch klug entworfene Luftschächte weht ständig Kühle. Im Empfangsraum sind die Sofas und Stühle mit weißen Tüchern abgedeckt. Ein Zeichen eines längeren Unbewohntseins. Im Midan Viertel nebenan, wo eine rege Geschäftstätigkeit herrscht, wo der Geruch des frisch gerösteten Kaffees in den Ritzen der Häuser nistet, laden die vielen nebeneinander lie-

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genden Läden in den Straßen zum Kaufen ein. Doch hier ist es still und ruht sich gut abseits der Hitze der Mittagsglut. Alte Ventilatoren erzeugen zusätzliche Kühle. Ihr Surren verscheucht die Stille. Das alte Haus ächzt vor Vergangenheit. Das Haus erzählt Geschichten aus einer Damaszener Kindheit. Fast so wie Rafik Schami in seinem Buch „Der Fliegenmelker“: „Und wenn es uns im Sommer heiß wurde, so bat er Großmutter höflich, sie möge frischen Wind machen. Großmutter klopfte an die Wand und ein alter Propeller an der Decke zauberte geräuschvoll eine frische Brise hervor. Großvater lehnte sich mit geschlossenen Augen zurück. Göttlich, flüsterte er genussvoll und schlief ein“. An der Wand des Empfangsraumes hängt eine Kalligraphie. Die Worte tönen bildhaft verschlungen, ähnlich dem Laut der Marktschreier oder dem Murmeln der Männerrunden in den Suqs, die auf Plastikstühlen vor den Geschäften sitzen und süßen Tee schlürfen. Der Kaffee ist ebenfalls süß und sehr schwarz. Der Kardamomgeschmack liegt noch lange auf der Zunge. Meine Zunge tut sich schwer mit der arabischen Sprache. Der Gruß marhaba im Teehaus Noufara hat bereits lange vor mir Platz genommen. Wenn die traditionelle Wasserpfeife bereitet wird, die Kohle glüht und Tabakrauch durch das reinigende Wasser in die Lunge strömt, werden unzählige Worte gewechselt. Manchmal schwimmen Eiswürfel oder eine Zitronenschale im Wasser. Sie geben dem Raucher zusätzlichen Genuss. Wenn das Schweigen sich mit dem würzigen, kühlen Rauch verzieht, ist wieder das Reden angebracht. Es herrschte in reges Kommen und Gehen. Männer mit weißen, arabischen Gewändern, verschleierte Frauen, Frauen mit oder ohne Kopftuch, mit dunkel geschminkten Augen, die ihre Schönheit unterstreichen, werden zuvorkommend von den Kellnern und einem Abu Nara bedient, dem Vater des Feuers. In einem Gefäß schwenkt er die glühende Kohle. Immer wieder legt er mit einer Zange frische Glut in die Tabakbehälter, streift die Asche mit einer schnellen Bewegung einfach auf den Boden. Während er die Zange mit dem Daumen, Zeigefin-

ger und Mittelfinger hält, spreizt er den Ringfinger und kleinen Finger, so wie die sandfarbene Damaszener Taube ihre Flügel. Sie baut auf dem Fenstersims meines Schlafzimmers im Haus in Jaramana ihr Nest. Mit ihrem gebogenen Schnabel legt sie vorsichtig Halm auf Halm. Ein paar Tage später liegen Eier im Nest. Auch in der brütenden Mittagshitze sitzen Taube und Täuberich abwechselnd im Nest. Das Schlüpfen der Jungen und ihr Flüggewerden erlebe ich noch, bevor ich Damaskus verlasse. Eine Taube entfernt sich nie mehr als sieben Steinwürfe von einer Oase, denn sie muss täglich trinken, sagte der alte Taxifahrer, der mich ins Zentrum gefahren hatte. Damaskus ist übervoll mit vogelgelben Taxis, die ständig hupen. Sie steuern mit untrüglichem Gespür für einen Abstand von ein paar Millimetern durch den mörderischen Verkehr. Auch bei einer Temperatur von fast vierzig Grad schwitzen die Fahrer nicht. Ihre Gebetsketten hängen vom Rückspiegel oder baumeln vom Lenkrad. Unter dem Lenkrad gibt es eine Abstellplatte für das Teeglas, das sie bei einem Blitzaufenthalt am Straßenrand beim Teehändler schnell auffüllen. Sie kennen sich alle, die die Straße bevölkern, von ihr leben. Der schon von weitem ausbalancierte Strahl aus der Teekanne in der Hand des eifrigen Händlers kommt dem Taxi entgegen. Der Taxifahrer wirft zugleich ein fünfundzwanzig Lirastück mit hohem Bogen in die Büchse. Es ist wie ein Spiel, das schon lange geübt wurde. Das Straßenchaos hat Methode und folgt dem Gesetz der Bedürfnisse. Dieses Gesetz ist unergründlich und man muss hier leben um es zu verstehen. Die Palmen nicken unbeugsam von den alten in die neuen Tage. Friederike Zelesko


From Bobby Sox to Stockings Patrick Stanke inszeniert „Hairspray“ im Wuppertaler TiC-Theater Inszenierung: Patrick Stanke Musikalische Leitung: Stefan Hüfner Choreographie: Dana Großmann Ausstattung: Kerstin Faber Maske: Heike Kehrwisch Chortraining: Jana Konietzki Besetzung: (Vorstellung am 17. 5. 2013): Kristina Molzberger (Tracy Turnblad) / Kristof Stößel (Edna) / D. Schulz (Motormouth) / Robert Pflanze (Corny Collins; Wilbur) / Jennifer Pahlke (‚Penny Pingleton) / Isabelle Rotter (Velma; Prudy) / Christopher Geiß (Link Larkin) / Sophie Schwerter (Amber) / Tarik Dafi (Seaweed) / Kerstin Trand (Inez)

v. l. Sophie Schwerter, Dimitri Wassiliadis, Isabelle Rotter

Seit Mitte April hat das Wuppertaler TiCTheater ein neues Zugpferd im Programm, das herrlich bunte, amüsant kitschige und köstlich klischeereiche Musical „Hairspray“ von Mark O´Donnell & Thomas Meehan mit der mitreißenden Musik von Marc Shaiman. Von Patrick Stanke (der auch schon „Hair“ im TiC zu einem Dauerbrenner gemacht hatte) perfekt besetzt, ideenreich und punktgenau inszeniert und von Dana Großmann kongenial choreographiert, präsentiert sich auf der Bühne des Ateliers Unterkirchen ein zweieinhalb Stunden ohne Längen blendend unterhaltendes Spektakel im Zeitkolorit der frühen 60er Jahre im amerikanischen Baltimore. Die Geschichte Die Geschichte: 1962, Baltimore ist noch stockkonservativ, die braven Bürger von Vorurteilen geprägt. Schwarze, Unterschicht und Einwanderer haben es schwer. Traum aller Mädchen von Baltimore und vor allem der Patterson Park High School ist, einmal in der Corny Collins Show des regionalen TV-Senders zu tanzen und an der Seite des angeschwärmten Pop-Sängers Link Larkin (überzeugend: Christopher

Geiß) zu stehen. Dessen augenblickliche Favoritin ist Amber, Teenage Queen der Patterson High, blond, schlank, hübsch und verdammt zickig (brillant Sophie Schwerter in einer schwierigsten Rollen des Stücks). Da hat wohl ein übergewichtiges Pummelchen wir Tracy Turnblad (perfekt und für die Rolle wie „gebacken“: Kristina Molzberger) keine Chance. Doch weil sie Selbstbewußsein und Chuzpe hat, nimmt sie den Kampf gegen die Intimfeindin und das Establishment auf, um zu beweisen, daß alle gleich sind und die selben Chancen verdienen, zur „Miss Teenage Hairspray“ 1962 gekürt zu werden. Diese Krone nämlich ist mit dem Abschneiden beim Tanzwettbewerb verbunden. An Tracys Seite ihre Freundin Penny Pingleton (zauberhaft und für mich neben Sophie Schwerter heimlicher Star der Inszenierung: Jennifer Pahlke), der von ihr angeschwärmte Seaweed (Tarik Dafi) und seine Adoptivschwester Inez (Kerstin Trand). Songs und Charaktere Aber auch andere, recht kuriose Charaktere bevölkern die Szene. Da sind Tracys Eltern Edna (handfest: Kristof Stößel)

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und Wilbur (Robert Pflanze), liebenswert bodenständig, doch für das Wohl der Tochter auch kampfbereit, Seaweeds Adoptiv-Mutter/Vater Motormouth (D. Schulz) und der Showmaster Corny Collins (sympathisch und charismatisch: Robert Pflanze). Mit viel Musik, echten, deutsch gesungenen Ohrwürmern („Good Morning Baltimore“, „Mama, ich bin nicht mehr klein“, „The Madison“, „It Takes Two“, „Breit, Blond und Beautiful“, „Ohne Dich“, „Niemand stoppt den Beat“) und im Geiste der 60er hervorragend mit Twist und Madison, Blues choreographiert ist „Hairspray“ in dieser (und vermutlich auch in anderer TiC-Besetzung) ein einziges Vergnügen für Ohren und Augen. Letzteres betrifft auch die phantastische Kostüm-Ausstattung (Bobby Sox, High School Blousons, Pennys und Tracys Karo-Röcke, Links schmale Krawatten und Revers, Ambers Petticoat und wundervolles Blumenkleid) und die Frisuren, mit denen Kerstin Faber und Heike Kehrwisch Zeit- und Lokalkolorit vom toupierten Scheitel und der Schmalztolle bis zu den spitzen Schuhen und den wenigen Versatzstücken auf der Bühne akkurat auf den Punkt gebracht haben. Im Übrigen wird durch Projektionen wirksam der Hintergrund gezeichnet und manch aufwendiger Umbau gespart. So bleiben Schwung und Tempo erhalten.

Spitzen-Leistungen Die durchaus großartige Leistung der professionell geleiteten Laiendarsteller ist bewundernswert, sie zeigen größtenteils fast durchweg untadelig Profi-Qualitäten: Unerhörtes Gesangstalent, voluminöse Stimme und ihre positive Rolle – das Publikum steht geschlossen hinter ihr – machen es der begabten Kristina Molzberger leicht, die Sympathien auf sich zu ziehen. Sophie Schwerter versteht es hingegen mit schauspielerischer Raffinesse, aus der negativ besetzten Rolle der Amber dramatisches Kapital zu schlagen, das zickig dumme Blondchen glaubhaft zu machen. Jennifer Pahlke hält ihre sympathische Penny bis zum Showdown und dem Wechsel von den Söckchen zu Seidenstrümpfen dezent im Hintergrund (man ahnt jedoch schon früh ihre Entwicklung und denkt stets an Frankie Avalons „When A Girl Changes From Bobby Sox To Stockings“), Christopher Geiß, ein Typ zwischen Johnny Tillotson („Poetry In Motion“) und Jimmy Clanton („Venus In Blue Jeans“) angelegt, verkörpert nachvollziehbar den trotz Teenager-Schwärmereien unsicheren Jungen, der sich zwischen Karriere und Überzeugung hin- und hergerissen sieht, Isabelle Rotter nimmt man die Über-Mutter Ambers ab und Robert Pflanze glaubt man seinen Corny Collins, den engagierten TV-Moderator der 60er gern. Sympathie ernten am Ende natürlich alle

Christof Stößel

Kristina Molzberger

der bis in die gesprayten Hair-Spitzen motivierten Darsteller. Ein Riesenvergnügen und nicht warm genug zu empfehlen. Rechtzeitige Kartenbestellungen empfehlen sich dringend. Frank Becker Fotos Martin Mazur

Weitere Info: www.tic-theater.de http://www.youtube.com/ watch?v=FOyVYr-ZQz8 Bobby Sox http://www.youtube.com/ watch?v=PvQPsSN1pd0 Venus http://www.youtube.com/watch?v=Oy_ ArpznZUs Poetry

Jennifer Pahlke, Tarik Dafi


Im Garten… arbeiten wie der Vogel singt Ausstellung Werner Schriefers im Kunstmuseum Solingen 26. April – 2. Juni 2013

Werner Schriefers erhielt unmittelbar nach Kriegsende keine Farben zugeteilt, weil er während des Nationalsozialismus kein Mitglied der Reichskammer der Bildenden Künste war. Sein erstes Bild von 1945 ist deshalb auch mit sehr reduzierter Palette entstanden. Zu sehen ist es in einer Ausstellung im Kunstmuseum Solingen. Werner Schriefers wusste nach 1945 die wiedergewonnene Freiheit aber engagiert künstlerisch zu nutzen. Er machte erste Erfahrungen im „Studio für neue Malerei“ von Heinz Rasch am Döppersberg in Wuppertal – Elberfeld.

Hier, direkt über der Wupper, hatten zuvor Künstler im Verborgenen gearbeitet. Dieses „Asyl“ nutzen die als „entartet“ geltenden Maler und Bauhaus-Meister Oskar Schlemmer, Willy Baumeister und Georg Muche. In diesem Atelier entstanden die „Fenster-Bilder“ von Oskar Schlemmer und hier experimentierten Schlemmer und Baumeister für den Farben-Fabrikanten Dr. Kurt Herberts. In diesem „Studio für neue Malerei“ fand 1949 die erste Hinterglasmalerei-Ausstellung von Werner Schriefers statt. Hinzu kam die Bauhaus-Lehre: Schriefers studierte ab 1946 an der Textilinge-

Werner Schriefers Regenwetter, 1945, Öl auf Leinwand 32,5 x 30 cm Alle Fotos: Thomas Schriefers

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nieurschule in Krefeld (heute Hochschule Niederrhein) Gestaltung und Malerei bei dem ehemaligen Bauhaus-Meister Georg Muche und wurde 1948 dort dessen Assistent. Schriefers wurde Mitglied der „Künstlergruppe 45“ in Krefeld. Erste Hinterglasbilder entstanden: Diese Bildtechnik hatte Heinrich Campendonk von der Künstlerinitiative „Der Blaue Reiter“ aus München / Murnau in die Region Niederrhein gebracht. Bis in die 1990er Jahre widmete sich Werner Schriefers immer

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wieder dieser Technik und entwickelte sie dabei weiter, vor allem in dem 1969 – 1972 entstandenen „Smog – Zyklus“. Aber bereits in den späten 1940er Jahren fasste Schriefers den Mut, sich zunehmend von der gegenständlichen Darstellung zu lösen – in einer Zeit, in der das geflügelte Wort für moderne Kunst immer noch das Verdikt „entartet“ war. Karl Otto Götz erzählt in seiner Biografie, dass man die jungen Künstler damals bis zum Beginn der fünfziger Jahre „mit ihrer abstrakten Kunst herausgeschmissen hat“.

Nach einem nur zweijährigen Studium wurde er 1949 von Jupp Ernst, der mit Georg Muche befreundet war, an die Werkkunstschule Wuppertal (heute Fachbereich Design, Bergische Universität Wuppertal) geholt – als Leiter des neu eingerichteten Fachbereichs Gestaltungslehre in der Folge der Vorkurse des Bauhauses. Werner Schriefers malt seine Bilder auf dem Weg von der Gegenständlichkeit zur Abstraktion. Die Natur ist ihm dabei stets Vorbild. Er stellt in Krefeld


Werner Schriefers Drei Bäume, 1949, Öl auf Leinwand, 30 x 61 cm

und in Wuppertal aus, ab den frühen 1950er Jahren auch in der dortigen legendären „Galerie Parnass“ von Rudolf Jährling, der auch durch den Architekten Heinz Rasch für Kunst interessiert worden war. 1965 wurde Werner Schriefers als Direktor an die Kölner Werkschulen berufen. 1986 stiftete er seine DesignSammlung an die Bergische UniversitätGesamthochschule Wuppertal, 1990 wurde er Vorsitzender des Deutschen Werkbundes NRW.

In all diesen Jahren entwickelte er seine Malerei zur Abstraktion. Er nutzte das Material Farbe, um in seinen Bildern die Empfindungen für Natur und Musik umzusetzen. Die Ausstellung zeigt dazu eine Reihe großformatiger Gemälde der Jahre 1980 bis 1999. Er erklärte: „Meine Malerei ist bestimmt durch den immer wieder gleichen Vorgang einer Empfindung und ist damit Ausdruck einer Empfindung. Jede Empfindung lässt sich kombinieren mit einer anderen, und so entsteht dann das

Inhaltliche. Das Bild soll offenbaren und gleichzeitig, wie ich sagte, gut gemacht sein. Ich bin Maler und pflege die Malerei im Sinne einer Aktion und einer Technik, die Schönheit erzeugt.“ Auf die Frage, was er Betrachtern seiner Bilder raten würde, die behaupten, sie verstünden seine abstrakt anmutenden Bilder nicht, antwortete er: „Ich wünschte, dass die Menschen alle viel offener und sinnlicher sein möchten, so dass sie sich genauso an den Bildern erfreuen können wie an einer Pflanze, deren Art

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und Abstammung sie nicht bestimmen können, ein Bild ob seiner Schönheit zu begreifen.“ Die Ausstellung präsentiert Werner Schriefers ausschließlich als Maler. Es werden 95 Bilder der Zeit 1946 bis 1999 gezeigt. Kataloge dazu bietet der Museumsshop an. Rolf Jessewitsch Kunstmuseum Solingen Wuppertaler Straße 160, 42653 Solingen, Tel. 02 12 / 25 81 40 Öffnungszeiten: Di - So 10 - 17 Uhr www.kunstmuseum-solingen.de

oben: Werner Schriefers, In den Gärten, 1947, Öl auf Leinwand, 74 x 100 cm

unten: Werner Schriefers, Erinnerung an ein Dorf, 1950, Öl auf Pappe, 38 x 51 cm

Tagesnotiz Karl Otto Mühl sandte uns diesen schönen Satz von Pastor Eckehard Fröhmelt: Die wahren Helden halten sich meist nicht für solche. Jede gute Mutter ist eine unerkannte Heldin, ein arabisches Sprichwort sagt: „Gott kann nicht überall sein, darum schuf er die Mütter.“

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Dugi Otok – Glückliche Insel hinter der Zeit

Auf halbem Weg zwischen Kirche und Hafen dieses Ortes finde ich das Zeugnis einer Epoche, die erst vor 18 Jahren mit dem Ende des Jugoslawischen Krieges und der Unabhängigkeit Kroatiens zu Ende gegangen ist. In einem kleinen Park mit Palmen und bunten Blumenbeeten steht eine überlebensgroße bronzene Skulptur: ein Kampfroboter, auf dessen Stirn der Sowjetstern gebrandmarkt ist, ein Kopf ohne menschliches Antlitz, die Augen starr wie ein Hai. Und unter der Hose zeichnen sich Hoden von unwahrscheinlicher Größe ab: Ein Traumbild kommunistischer Potenz. Aber eben nur ein Traumbild. Hier, in diese heitere mittelmeerische Welt, scheint sich das antifaschistische Denkmal nicht fügen zu wollen: Relikt einer Vergangenheit, die kein halbes Jahrhundert Bestand hatte und mit dem Jugoslawischen Krieg zu Ende

ging: eine kurze Episode nur in diesem Ort, den es bereits seit acht Jahrhunderten gibt. Und doch muss dieses unglückliche Ehrenmal bedeutungsvoll sein für die Menschen von Soline: eine Oase des Bedeutungsvollen, eine Erinnerung an eine Zeit, als Soline und Dugi Otok für wenige Jahre aus dem Windschatten der Geschichte traten. Denn im Süden der Insel, unterhalb der riesigen Bucht Telascica, erstreckt sich das Archipel der Kornaten, ein Gebiet aus zahllosen Inseln und Inselchen: Ein Paradies für Partisanen, die gegen Faschismus und Fremdherrschaft, gegen die verhassten Truppen Mussolinis kämpften. Hierher konnten sie sich nach ihren Attacken jederzeit zurückziehen – unauffindbar in diesem Labyrinth von Eilanden, deren versteckten Riffe nur die einheimischen Fischer kennen.

Soline ist nicht gottverlassen, aber ein Ort am Rande der globalisierten Welt. Das Dorf liegt im Nordwesten der Insel Dugi Otok, einer 50 Kilometer langgestreckten Insel, anderthalb Fährstunden von Zadar, der früheren Hauptstadt Dalmatiens, entfernt. Es ist später Nachmittag, die Gluthitze in diesem Sommer läßt ein wenig nach und das Licht beginnt sich kupfern einzufärben. Vom Quai des kleinen Fischerhafens springen die Kinder und Jugendlichen des Dorfes. Unermüdlich. Immer wieder springen sie, klettern aus dem Wasser, springen und so in einem fort. Als gäbe es nichts Schöneres auf der Welt. Alle Lust will Ewigkeit, sagt Nietzsche und die Zeit steht still in diesem Augenblick in Soline.

Die Steilküste von Telascica

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Vielleicht waren es die Erfolge im antifaschistischen Kampf, die über die Sorgen der Zeit, hinwegtrösteten: über das langsame Ausbluten des Dorfes, später über die Trauer um den Tod der Verwandten im jugoslawischen Krieg, über das Erstarren des Sozialismus im Ismus, schließlich über die Schließung der Sardinenfabrik im 40 Kilometer entfernten Sali und damit den Wegfall der letzten Arbeitsplätze. Bozava Noch ist Bozava wie Soline eine Welt der Vergangenheit. Die Töchter und Söhne der Nostalgie können hierher fahren auf der Suche nach einer imaginären Kindheit, die hier noch wirklich ist: Die Gassen des Dorfes sind zu schmal für Autos. Die elektrischen Leitungen sind über Land verlegt und der Strom wird über gläserne und porzellanene Verteiler in die Häuser geleitet. In dem wohnzimmergroßen Markt des Ortes steht Zelja Milin, eine hagere, resolute Dame im ewig blauen Kittel hinter der Kasse. Sie packt die Waren in Tüten. Nach wenigen Tagen kennt sie jeden Ankömmling und kein Einkauf vergeht, in dem wir uns nicht über das Wetter, die wechselnden Winde und die ebenso wechselnden Wahrscheinlichkeiten austauschen, ob in den kommenden Tagen Fleisch zu erwarten ist. Während die Windvorhersagen eine hohe Wahrscheinlichkeit haben, sind die Ankündigungen der Fleischlieferungen ein Roulettespiel, abhängig von den undurchschaubaren Gesetzen des kroatischen Zeitund Logistik-Managements. Es ist eine Welt, in der noch nicht alles und jedes jederzeit

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verfügbar ist. Es gibt keine Bankautomaten; beim Zahlen wandern Scheine und Münzen von Hand zu Hand. Die Rückseite der Zwei-Kuna-Münze ziert ein Thunfisch. Doch Fisch kann man damit in Bozava nicht kaufen. Denn die Menschen in Bozava sind Selbstversorger und Alleskönner. Sie bauen ihre Häuser selbst, machen ihren Wein und Schnaps selbst und sie fischen selbst, wenn bei Dugi Otok die rote Sonne im Meer versinkt. Bozava, umgeben von Kiefernwäldern, Agaven und Tamarisken, mit seinen bunt leuchtenden Häusern, die einst die Tristesse des sozialistischen Alltags türkis und mintgrün, pompejirot und pfirsichfarben überstrahlten, öffnet sich der Zukunft: Und die heißt Tourismus. Schon ankern neben dem alten Fischerhafen Yachten aus ganz Europa. Auf der einen Seite der Bucht liegt bereits seit längerer Zeit eine Hotelanlage und auf der gegenüberliegenden Seite wachsen am Hang Apartments. Fast jedes Haus wirbt mit einem Hinweisschild Sobe, Zimmer. Und doch gehört am Abend, wenn die Sonne untergegangen ist, der Dorfplatz den Alten und Kindern. Mädchen halten Katzen-Babys im Arm und die Jungs aus Bozava spielen mit ihren Altersgenossen aus Italien, Ungarn oder Deutschland Fußball. Für halbe Stunden des Glücks sind sie Diego Armando Maradona oder Zinedine Zidane oder Lionel Messi. Biserka Biserka stammt aus Bozava und arbeitet als Deutschlehrerin an einer Schule in Zagreb. Doch in den Sommerferien verbringt sie die

Zeit in Bozava, wo sie geboren wurde und wo ihre Eltern leben. Biserka spricht - was für viele Menschen hier ein Tabu ist - über den Krieg, von dem sie sagt, dass sie ihn bis heute eigentlich nicht begreifen kann. Die Serben, erzählt sie, sind nicht nach Dugi Otok gekommen. Zadar aber haben sie mit Mörsern und Granaten beschossen und aus der Luft bombardiert. Als es in der Stadt auf dem Festland mit den Bombardements losging, hatten die Menschen auf Dugi Otok Angst. Sie suchten die Häuser mit den stabilsten Kellern und versammelten sich in der Kirche. Der Pfarrer sagte ihnen, wann Angriffe bevorstehen und dass sie dann in die ausgesuchten Keller gehen sollten. Sie gingen. Immer wieder. Aber der Krieg ging an ihnen vorbei. Dugi Otok blieb im Windschatten der Geschichte. Doch die Spuren der Angst sind in die Seelen eingeschrieben. Wer den Krieg nicht erlebt hat, kann ihn sich nicht vorstellen, sagt Biserka. Als es in Zadar hieß, dass die Stadt bombardiert würde, nahmen die Eltern ihre eigenen Kinder als lebendige Schutzschilde. Die Kinder wurden nicht evakuiert. Ein Irrtum, zynisch fast wie die Angriffe auf eine wehrlose Stadt selbst. Die Logik des Krieges kennt die Gebote der Menschlichkeit nicht. Das zu wissen, wäre ein Gebot der Menschlichkeit gewesen. Doch Menschlichkeit ist stets das erste Opfer des Krieges. Das hatten die Bewohner der schönen Stadt Zadar vergessen, die anderthalb Jahre ohne Wasser und Licht war. Vor allem für die schwangeren Frauen und die jungen Mütter mit ihren Babys war es eine schlimme Zeit, erinnert sich Biserka.


Biserka erzählt über den Krieg. Sie weiß, dass Erzählen ein Weg ist, die Verletzungen des Krieges zu lindern. Kommt, lasst uns reden, denn wer redet, ist nicht tot, hatte einst Gottfried Benn in einem Gedicht geschrieben. Biserka erzählt: Mein Sohn war Soldat bei der kroatischen Armee. Während des Krieges zeigte er keine Angst. Keine Zeit dazu. Immer nur beschäftigt, das Notwendige zu tun. Danach zu müde, um nachzudenken. Über das, was er im Krieg erlebt hat, hat er - anders als seine Mutter - nie gesprochen. Jetzt besuchen ihn in den scheinbar freien Stunden seines Lebens ohne Arbeit und ohne Familie die Gespenster der Vergangenheit und des Krieges. Mein Sohn leidet unter Depressionen und hat lange Zeit keinen Anschluss an das Leben nach dem Krieg gefunden. Was Biserka erzählt, erinnert an das Schicksal der US-amerikanischen Vietnam-Veteranen, die nach ihrer Reise ins Herz der Finsternis nicht zurückfinden konnten in das, was man ein normales Leben nennt. So viele Kriege -: Und doch sind die Gesetze der Seele universell. Arbeitslosigkeit und Traumatisierung durch den Krieg, das ist ein Schicksal, das Biserkas Sohn mit vielen Kroatinnen und Kroaten teilt. Dabei hatte er unmittelbar nach dem Krieg schon eine Arbeit gefunden; doch die Armee köderte ihn mit ungewissen Versprechungen, die sie später nicht halten kann oder will. Er sollte arbeiten, eine Familie gründen, dann hätte sein Leben einen Sinn, sagt Biserka, dann wüsste er, wofür er lebt. Und es sind wie immer die einfachen Wahrheiten, die stimmen und die doch so schwer zu leben sind. Und Sport treiben sollte er, sich die Ängste und Erinnerungen aus dem Leibe schwitzen. Biserka ist eine Frau voller Hoffnungen. Jetzt hat ihr Sohn einen Job auf der Insel. Im Tourismus. Und langsam schon, sagt Biserka, geht es ihm besser. Und die Töchter und Söhne der Nostalgie müssen Bozava auf ihrer Landkarte als Ort der Vergangenheit ausstreichen und ihm eine Zukunft wünschen. Doch jede Zukunft wird irgendwann einmal Vergangenheit sein. Ina Am schönsten ist Bozava im Juni, sagt Ina, die ich in einer Hafenbar kennen lerne. Weil dann, angelockt vom Duft von Oleander, Jasmin und Bougainville das Dorf voller Schmetterlinge ist. Lebendige Mobiles der Heiterkeit aus Zitronenfaltern, Pfauenaugen und Bläulingen. Für einen flüchtigen

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Moment sehe ich Bozava, während Ina von der schönsten Zeit des Jahres erzählt, im Bilde des Glücks. Und inmitten dieses schönen Moments fällt mir ein Aperçu Gottfried Benns ein: Der Consensius omnium ist mir nicht einmal einen Kohlweißling wert, wie er über jedem Bauernhof schwebt. Nun schweben sie bei uns aber nicht mehr, die Kohlweißlinge, und jeder Schmetterling, wie sie es in meiner Kindheit noch zu Hunderten gab, rührt mich. Und so wird der Kohlweißling ein halbes Jahrhundert später – in den deutschen Zeiten sozialer Kälte – wertvoll wie auch der Consensius omnium, den der antidemokratische Benn zu Unrecht verachtete. Ina hat Philosophie in Zadar studiert, das an der dalmatinischen Küste, nur anderthalb Fährstunden von Dugi Otok entfernt liegt. Zu Beginn ihres Studiums lag der Schwerpunkt noch auf Analytischer Philosophie. Nur ein Professor, HeideggerSchüler, lehrte Ontologie. Nach dem Ende des jugoslawischen Krieges begann der junge kroatische Staat mit der Neuorientierung der Universitäten. Die Christdemokraten hatten die ersten parlamentarischen Wahlen gewonnen. Fünfzig Jahre zwangsverordneter Sozialismus hatte ein Sinnvakuum hinterlassen. Und das konnte, ähnlich wie in Deutschland nach 1945, die Kirche am schnellsten füllen. Die Macht der Tradition. Dementsprechend vollzog sich auch in der philosophischen Fakultät in Zadar ein Paradigmawechsel. Der Lehrplan wurde traditionell ausgerichtet: Griechische Philosophie, Scholastik, Ontologie und Existentialismus. Ausgerechnet der Professor, der beim Urvater der Existenzphilosophie, bei Heidegger, studiert hatte und in den Zeiten des Sozialismus seine philosophischen Wurzeln nicht verraten hatte, wurde der Lehrauftrag

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entzogen. Das hatte einen einfachen Grund: Er war Serbe. Ina bedauert es, dass er gehen musste. Weil sie es falsch und ungerecht findet. Und obwohl sie Heidegger nicht mag. Sie mag Philosophien, which are in strong contact with life. Ina ist eine emanzipierte, kluge und schöne Frau und sie ist – wie viele Philosophinnen und Philosophen auf der ganzen Welt – arbeitslos. Philosophie produziert keine Artefakte und reine Ideen kann man schwer verkaufen und so wartet Ina in diesem Sommer auf eine entscheidende Wende in ihrem Leben. Der Busfahrer von Dugi Otok Man muss sich den Busfahrer von Dugi Otok als einen glücklichen Menschen vorstellen: ein moderner Sysiphos. Sein Berg ist der Fahrplan, der sich nach der Fähre richtet, die nur zweimal zwischen der Insel und Zadar verkehrt und die Reisenden mit ihren zumeist klimatisierten Automobilen ausspuckt. So ist der altersschwache und überhitzte Bus fast immer leer. Die Insulaner haben eigene Autos und wer keines hat, ist meist alt und bleibt am Ort. Selten habe ich mehr als zwei Personen in dem Bus gesehen und gut könnte es sein, dass der Busfahrer von Dugi Otok sich die Sinnfrage stellt. Ebenso gut könnte es aber auch sein, dass er genau das nicht tut, dass er absieht von allen Fragen der Effizienz und einfach die Panoramaaussicht von der schönsten Inselstraße der Welt, wie er sagt, genießt. Es könnte sein, dass ihn der Anblick der Buchten von Veli Rat und Soline, auf die er aus der Höhe schwebend zufährt, zu einem Menschen macht, der sich im Olymp wähnt. Es könnte aber auch sein, dass der Blick auf die vielen Inseln, die zwischen Dugi

Otok und dem Festland liegen, lediglich zu einem zufriedenen und freundlichen Menschen machen, der das wechselnde Licht liebt, das die wechselnden Winde bringen: Die Klarheit und Transparenz des Maestral, der vom Meer her weht und der die Inseln in plastischer Klarheit hervortreten lässt und den Yugo, den warmen Wind, der vom Süden her weht und die Wellen aufpeitscht, der Gewitter und Wetterwechsel ankündigt und die Eilande in einen impressionistischen Dunst taucht, in dem sie miteinander zu verschweben scheinen. Es könnte sein, dass der Busfahrer von Dugi Otok süchtig ist nach diesem Naturschauspiel, denn in den Fahrpausen, während der Fährverkehr ruht, sah ich ihn stets mit seiner Frau vor seinem winzigen Haus sitzen, den Blick auf Meer und Inselwelt gerichtet. Als unsere Hausherren nach ihrem eigenen Urlaub auf der Insel heim nach Zadar mussten, fand ich unsere Hauskatze, der wir den Namen Kazimir gegeben hatten, vor dem als Ersatzteillager genutzten alten Bus wieder, der neben dem Haus des Busfahrers abgestellt war. Ich fuhr langsam vorbei und war froh, dass es Kazimir noch gab. Der Busfahrer beobachtete uns, lächelte und grüßte uns freundlich. Wann immer wie ihn auf unseren Fahrten trafen, trat dieses freundliche Lächeln auf sein Gesicht, das Ausdruck eines geheimen Wissens war. Und indem ich die Insel verlasse, entlasse ich den Busfahrer aus dem mythischen und philosophischen Klischee und denke ihn mir einfach als einen freundlichen und herzensguten Menschen, den ich gerne wieder sehen möchte.

Heiner Bontrup Fotos: Heiner Bontrup


Haus- und Nutztiere Als ich sie das erste Mal besuchte, schwammen zwischen Küche und Esszimmer Zierfische in einem Aquarium. Durch die Kaffeemaschine führte eine Ameisenstraße und im Badezimmer beobachteten Silberfische mein Tun. Im Wohnzimmer sprach der Papagei mit der Stimme meiner Schwester. Auf der Fensterbank lag die Katze. Es war ein Tag, an dem man die erste Frühlingssonne spürte. Meine Schwester war noch nicht lange verheiratet. Ihre Ehe hatte sich wie ein Naturereignis um sie gelegt. Wenn jetzt noch draußen die Obstbäume blühten und Bienen zur Befruchtung einflögen, ganz zu schweigen von den Mückenlarven, die im Gartenteich ausschlüpften, wäre ihr Tag mit Tieren ausgefüllt gewesen.

Es ging ihr erstaunlich gut. Sie freute sich auf den Frühling mit all den Insekten und auf den Sommer mit Maden in den Herzkirschen. Ihr Mann, jetzt mein Schwager, kniete im Wohnzimmer auf dem Teppich und sammelte die leeren Hülsen des Papageienfutters auf. Meine Schwester war dabei, die Kaffeemaschine in den Müll zu werfen, da die Ameisen einen Kurzschluss verursacht hatten. Sie legte jetzt eine Zuckerspur durch den Flur nach draußen. Die Katze leckte sich die Pfoten. Vor dem Fenster sah ich den ersten Zitronenfalter in diesem Jahr. Mein neuer Schwager pfiff ein Lied. Als ich ins Wohnzimmer ging, sah ich, dass es der Papagei war. Im Badezimmer waren die Silberfische genau so irritiert wie ich.

Marianne Ullmann geb. 1951 in Senden, lebt in Schwerte und auch gern in Finnland. Studium Germanistik in Wuppertal. Übers. finn. Lyrik. Veröffentl. in Lit.-Zeitschriften und Anthologien, u. a. zum Würth Literatur-Preis (1998) und Jugend Literaturpreis Landwirtschaftlicher Verlag Münster (2007). Zuletzt in „Karussell“ und „Versnetze_fünf“ (2012). Mitglied der GEDOK Wuppertal

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Meine Schwester fütterte die Fische. Die saugten mit ihren Mäulern die Futterplättchen von der Wasseroberfläche ab. „Sie wissen genau, wann ihre Zeit ist“, sagte meine Schwester. „Harald ist für den Papagei zuständig. Ich für die Fische. Dass du keine Tiere magst, ist schon merkwürdig.“ „Ich mag sie eben nicht“, sagte ich. „Merkt ihr denn nicht, wie viel Zeit sie euch kosten?“ „Kosten, kosten! Wir machen das gerne.“ Meine Schwester sah gar nicht auf. Das Füttern der Fische erforderte ihre ganze Konzentration. „Was für eine Logik. Im Bad hab ich eine Silberfischvernichtungsdose gesehen, und hier fütterst du die Ameisen mit Zucker.“ Dass die beiden nicht sahen, in welchen Widersprüchen sie lebten, empörte mich. „Das sind verschiedene Kategorien“, sagte meine Schwester ruhig. „Das heißt also, die die als Schädlinge deklariert sind, werden getötet? Und die Nutztiere überlistet man?“ „Ja“, sagte sie und blickte das erste Mal auf. Mochte sein, dass sie sogar lächelte. Sie sollte nicht meinen, dass ich meinen Mund hielt. „Und was ist mit der Katze, die Vögel fängt? Eine Katze ist zu nichts nutze.“ „Eine Katze ist ein Haustier.“ „Und Vögel sind Gartentiere.“ „Dafür haben wir einen Papagei.“ „Ihr macht euch das Leben passend.“ „Warum bist du eigentlich gekommen?“ Sie stand immer noch hinter dem Aquarium und hatte die Hände in die Seiten gestemmt. So kannte ich sie. Resolut und siegessicher. Auch ich wusste, worum es ging. Ich nahm kein Blatt mehr vor den Mund. „Um zu sehen, wie ihr lebt.“ „Und wie leben wir?“ „Du bist eingesponnen von einer Tierwelt, die dich bannt, ja, das bist du“, sagte ich. „Du entlarvst dich selbst. Du bist eine Einzelgängerin.“ Jetzt hatte sie Fahrt aufgenommen. Sie konnte verletzend sein. „Ich geh jetzt“, sagte ich. Sich der Diskussion zu entziehen, mochte sie nicht. Das machte ihr Schuldgefühle Sie würde gleich um Entschuldigung bitten. „Warte, trink erst einen Tee. Und dann. Dann muss ich dir noch etwas zeigen.“

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„Was?“ Ich hatte keine großen Erwartungen. Ich hatte schon genug gesehen. „Warte. Wir haben einen … einen kleinen Hund. Acht Wochen alt. Nebenan. Harald! Holst du bitte mal den Hund!“ Ich nahm meine Jacke, die ich über den Stuhl gehängt hatte. „Keine Zeit“, murmelte ich, und schob einen Arm in die Strickweste. Meine Schwester stand auf. Jetzt erst sah ich es. Sie war schwanger. „Ich wusste gar nicht, dass du ...“ „Ja, darum wollte ich dich fragen.“ „Was fragen?“ Ich blieb mit der linken Hand im Ärmelsaum stecken und hörte, wie sich die Naht ganz auftrennte. Das fehlte noch. Die Jacke würde ich die nächsten Monate nicht benutzen können. „Ob du ihn nehmen kannst. Nicht für lange, nur bis ich wieder aus dem Krankenhaus zurück bin“, sagte meine Schwester. Sie redete unentwegt weiter. „Wen?“, fragte ich vorsichtshalber. „Den Hund.“ „Kommt gar nicht in Frage! Einen Hund? Keine Zeit. Unmöglich!“ Ich stieß jetzt heftig durch das Ärmelloch. Der Saum hing mir bis zu den Fingerspitzen. Ich ließ meine Schultern hängen und setzte mich wieder. Ich hatte es zuerst nicht bemerkt. Es zerrte etwas an meiner Jacke, schrammte spitz über meinen Handrücken. Hundezähne. Das fing ja gut an. Schwarz war er und fiel dauernd hin. Die Beine waren offensichtlich zu kurz. Der Schwanz eingeklemmt. Er konnte noch nicht wedeln. Und jetzt lief eine gelbe Linie direkt auf mich zu. „Er ist noch nicht stubenrein“, sagte meine Schwester. „Das kann man mit mir nicht machen. Wie seid ihr denn an diesen Krüppel gekommen?“ „Aus dem Tierheim.“ „Dann bringt ihn zurück.“ „Die haben noch sechs weitere. Einen ganzen Wurf.“ Jetzt verschwand er in meiner Hosentasche, zerrte ein Taschentuch heraus und zerkaute es mit viel Schaum. Seine Ohren standen hoch, hielten aber nicht lange, dann klappten sie nach vorne. Ein armes Geschöpf mit vielen Behinderungen. „Dass so etwas geboren wird. Er ist ja

noch gar nicht fertig. Ich versteh die Natur nicht.“ „Da hast du Recht“, sagte meine Schwester. „Er braucht dringend Hilfe.“ Mein neuer Schwager kam herein und meinte, der Hund sei ein guter Spielkamerad für den Papagei. Das fand ich nun gar nicht. Was hatte dieser Vierbeiner schon gegen den Hakenschnabel des bunten Ungeheuers für Überlebenschancen? Außerdem konnte der Papagei fliegen und war dem Hund dadurch überlegen. „Ich nehme ihn mit“, hörte ich mich sagen. Auf dem Heimweg im Auto saß der Hund auf dem Beifahrersitz. Er konnte wieder die Ohren nicht halten. Als ich bremsen musste, fiel er in den Fußraum. Seitdem ist ein Jahr vergangen. Meine Schwester habe ich nicht mehr gesehen. Sie schreibt mir öfter, schickt mir Bilder von dem Baby und fragt nach dem Hund. Ich könnte ihr auch ein Foto schicken, aber dann sähe sie, dass ich das mit den Ohren noch nicht hingekriegt habe. Außerdem war der Hund immer noch ein Winzling. Er würde niemals in einem Haushalt mit Baby, Papagei, Katze und Zierfischen überleben können. (Die Ameisen hielt ich inzwischen für ausgewandert.) Der Hund war ein Einzelgänger. Er ging mit mir ins Büro. Dort schlief er unter dem Schreibtisch. Nach Feierabend aß er mit mir zusammen beim Italiener. Wie sollte ich das meiner Schwester erzählen? Marianne Ullmann


Auf Tuchfühlung mit Mode, Stoff und Stil Schloss Lüntenbeck im Textilrausch

Der Herr mit dem bunten Regenschirm dreht lächelnd eine elegante Pirouette, vom amüsierten Applaus des Publikums begleitet. Nur durch Zufall hat er den Laufsteg gekreuzt, der eigentlich der Modenschau beim Textilmarkt „Tuchfühlung“ in Schloss Lüntenbeck vorbehalten ist. Bei der Veranstaltung von Vater- bis Muttertag präsentierten die Models selbst bei Nieselregen mit bester Laune Mode und mehr: Die gezeigten Strickoberteile von Sabine Hofius etwa werden ausschließlich in Deutschland entwickelt und gefertigt, Qualität die man sieht, fühlt und entsprechend auch viele Jahre tragen kann. Die Besucher wissen das zu schätzen und so war der Stand immer gut besucht. Auch die anderen auf diesem Markt vertretenen Kollektionen zeichneten sich neben der individuellen Gestaltung durch gehobene handwerkliche Fertigung aus. Zumeist waren es Einzelstücke oder kleine Serien, die hier ihre Liebhaber fanden. Die Designerinnen waren selbst am Stand oder auf dem Laufsteg im Einsatz, ihre Stilrichtungen sehr ausgefallen. Unter-

schiedliche Frauentypen stöberten nach dem passenden Outfit und nahmen sich Zeit zum Probieren und Beraten. Und, siehe da, die filigrane und transparente Kleidung, die Isabella´s Art bei einer Tango-Modenschau vorführte, dürfen nicht nur feenhafte Wesen tragen. Spätestens am Ende verließen die Besucher die Veranstaltung auf eigene Weise bestens gekleidet. Wer als Wuppertaler die Kollektionen von Anita Karthaus oder Nicola Tigges begutachtete, konnte über die Anerkennung der Modellqualität hinaus einen gewissen Lokalstolz nicht verhehlen. Stilistisch verschieden bieten die beide doch Entwürfe mit starker Persönlichkeit. Auf ebenso hohem Niveau spielt die Schmuckkollektion der Langerfelder Goldschmiedin Fiona Fischer. Sun Moon Stars Batik bietet dagegen pfiffig bunte Shirts und Leggins. Die Oelberger Taschenmanufaktur haucht dem ausgedienten Bodenbelag des Tanztheaters ein neues Leben als Tasche ein. Die hier präsentierte Kreativität der Designer machte Spaß und spornte an.

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Da juckte es in den Fingern, auch selbst tätig zu werden, und das überaus treue Publikum griff gezielt beim angebotenen „Zubehör“ zu. Stoffe, Garne, Knöpfe wer den Weg zur „Tuchfühlung“ gefunden hatte, tauchte in eine Vielfalt ein, die das Selbergestalten zu einem Fest werden lässt. Nicht wenige Besucher waren gezielt angereist, um die richtigen Zutaten zu ergattern, nach denen man weit und breit suchen kann. Die Frage nach richtigem Material oder technischen Kniffen der Verarbeitung ließ sich unterhaltsam mit den kompetenten Ausstellern erörtern. Tipps zu passenden Schnitten, Farben oder Vorgehensweisen wurden großzügig mitgeliefert. Leinen, Wolle, Baumwolle, Seide, und anderen Naturmaterialien haben Hochkonjunktur. Mal eher derb, mal durchscheinend. Nach dem Tüpfelchen auf dem i durfte man in Knopfkisten suchen, aus denen glänzend goldene und natürlich matte Stücke in Farben und Formen aller Art das Handarbeitsherz anlachten. Auch wer in die Fänger der „Bänderhexe“ geriet, begann angesichts der vielfältigen Auswahl intensiv nach Einsatzmöglichkeiten fahnden. Das Staunen über die gewebten Eintrittskarten zur Tuchfühlung setzte sich beim Hersteller, der Wuppertaler Bandweberei Kafka fort, die am Stand ihre entzückenden Bänder und Etiketten zeigte. Vor Ort lässt sich die große Auswahl kleiner Meisterwerke einfach am besten begutachten. Das eine oder andere Exemplar fand noch ein Plätzchen in der Handtasche. Lieber stricken statt nähen? Dann konnte man an den Ständen mit malerisch präsentierten Garnsträngen nicht vorbeigehen. Der Griff in flauschige Wollknäule und dicke Stränge Seidengarn animierten dazu, die Strick- oder Häkelnadeln auszupacken. Anfängern und erfahrenen Handarbeiterinnen gaben die freundlichen Damen der Sockenmanufaktur neben der nötigen Ausrüstung auch gute Hinweise mit auf den Weg. - Wie man hört, entdeckt auch die Männerwelt gerade die hohe Kunst der Nadelarbeit. Man darf gespannt sein, welche bestrickenden Innovationen die Herren dem typischen Frauenhobby bescheren werden. - Beim Stickzubehör herrschte keine Eile, eher handwerkliche Ruhe und Gelassenheit. Ob man mal versuchen sollte, mit Kreuz-

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Gymnasiums mit eigenen ModeIdeen. Dass sich über unsere Kleidung viel sagen lässt, zeigte die Gruppe Elffeast, die his-

stichen ein Bild zu malen? Als Anregung konnte man am Stand mit alten Aussteuerstoffen bestickte Leinentücher erste-

hen. Wer die zeitüberdauernden Produkte aus Flachs oder Baumwolle in Augenschein nahm, war schon mitten drin im Thema Nachhaltigkeit. Bei der „Tuchfühlung“ findet man keine Wegwerfprodukte, sondern sogar Produkte aus Weggeworfenem. Nicht nur der schon erwähnte Tanzboden, auch ausrangierte Feuerwehrschläuche sind in ihrem zweiten Leben als bedruckte Tasche äußerst dekorativ. „Ausrangiert und Wiedergeboren“, so bezeichnet „Plup“ seine vielseitigen Produkte mit Geschichte. Kunstvoll werden z.B. Taschen aus Ösen von Getränkedosen gefertigt, alte Hemden zu individueller Kindermode umgearbeitet. Hier verlängert Design Lebenszyklen. So auch bei den Ketten aus alten böhmischen Glasperlen. Keine monochromen, glatten Oberflächen, sondern variierende Patina, Ablagerungen und Farbeinschlüsse, die ihre eigene Geschichte der letzten Jahrzehnte erzählen. Ruhrgebietskultur verkörpern die „Pottlappen“: Blaukariertes transformiert die Tradition alter Grubentücher in praktische Helfer für die heutige Küche. Eine kultige Spezialität, kaum kleinzukriegen. - Man merkte den Ausstellern

der „Tuchfühlung“ die Liebe zu ihrer Ware an. Aus hochwertigen Materialien und anspruchsvollem Design entwickeln sie Produkte mit „Seele“. Entsprechend persönlich wurde das Thema Filz unterschiedlich interpretiert. Neben strengen, fast kantigen Modellen standen eher verspielte umschmeichelnde Varianten. Beim Anblick eines roten Filzkleides stellte sich die Frage nach der Grenze zwischen Design und Kunst. Materialqualität kombiniert mit handwerklichem Können zeigten auch Teppiche, Wandbehänge, Kissen und Decken. Frohlocken bei derjenigen, die ihr Zuhause auf hohem Niveau gestalten möchten: Dezent oder orientalisch üppig? - Den nachdenklichen Gesichtern stand die Frage nach dem passenden dekorativen Glanz für die „Hütte“ ins Gesicht geschrieben. Nachwuchsförderung durfte bei einem solchen Event natürlich nicht fehlen, und so nähten die kleinen Gäste mit den freundlichen Betreuerinnen der Grundschule Nützenberg fleißig Enten, Bären und andere bunte Tiere. An den täglichen Modenschauen beteiligten sich neben Modelabels auch Schüler des Dörpfeld-

torische Kostüme aus 10 Jahrhunderten über den Laufsteg führte und tanzend darbot. Technisch Interessierten stand Herr Vaupel mit seinem Bandwebstuhl Rede und Antwort. Einige kulinarische Angebote ergänzten den Besuch. Köstlichkeiten von „Pilkens im Schloss“ und Käsespezialitäten wurden auf dem Hof dargeboten, am Teich verzauberte ein kleines Café. Die „Tuchfühlung“ ist noch immer ein Geheimtipp gegenüber überlaufenen Stadtfesten. Es zeichnete die Veranstalung auch in diesem Jahr wieder Gelassenheit aus. Die besondere Stimmung entsteht durch das Zusammentreffen des interessierten Publikums und der qualitätsvollen Aussteller in der freundlich entspannten Atmosphäre des Lüntenbecker Schlosshofes. „Qualität tut gut“, war an einem Stand zu lesen, und das darf man auch über die Veranstaltung „Tuchfühlung“ sagen. Stephanie Schäfer

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Das Leben geht weiter L‘Aquila im April 2013.

Ricostruiamo

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Vier Jahre sind zügig vergangen. Doch kaum hat sich etwas geändert nach dem folgenschweren Erdbeben 2009, nachts um 03.32 Uhr in den Abruzzen. Zweimal sind wir anschließend dort gewesen, vergleichen Häuser- und Trümmeransichten, unsere Fotos, sprechen mit Überlebenden, Anwohnern, den Hütern wertvoller Gebäude und alter Kirchen. Manche sind Freunde mittlerweile. Bestätigen, das meiste bleibt, wie es war – die ‚zona rossa‘ von L‘Aquila, der Hauptstadt der Abruzzen, bleibt ein Ort, an deren Absperrungen Anwohner ihr Leid auf Papieren anheften und die sie bis heute nicht betreten dürfen. Kaum wird sie, obgleich in zentraler Stadtmitte, zu ihrem Ärger im Fernsehen gezeigt. Ebenso wenig die weiterhin schweigenden, unbelebten Häuserviertel. 80 % der Häuser, lesen wir in einer ortsansässigen Zeitung, seien nicht einmal auf ihre noch gültige Statik überprüft. Norditaliener, die ich über ein Fotoforum kenne, schreiben mir erschüttert, dass solche Bilder wie die meinen im Fernsehen nicht mehr gezeigt würden. Gutgläubig sei

man davon ausgegangen, dass viele Rekonstruktionen erfolgt seien. Offensichtlich hätten ärmere Menschen aus den Dörfern, den Hirtenlandschaften der Abruzzen, landesweit kaum eine ‚Lobby‘. Für die notwendigen Rekonstruktionen und Restaurationen fehlt das Geld - wird auch 2013 erklärt, noch immer. Dorfund Stadtbewohner sprechen uns an. Sie hätten Angst. Viele betreten noch Wohnungen, in die sie eigentlich nicht mehr dürfen, oder verhandeln um einen 10-Minutenzugang in Bewachtes, Abgesperrtes, um die eine oder andere kleine Habe zu retten. Orte wie Assisi, sagen sie zornig, wurden nach dem verheerenden Erdbeben (1997) mit immensen Staatsund Kirchenmitteln wieder aufgebaut. Die berühmte Basilica San Francesco erstrahlt wieder, dank zeitgenössischer Computertechnik sorgfältig und mit enormem Aufwand restauriert. Wir haben uns beeindruckt vor Ort überzeugen können. Collemaggio hingegen, Basilika der Santa Maria in L‘Aquila – immerhin Wahrzeichen der Hauptstadt der Abruz-


L'Aquila - telefonino das Leben geht weiter

L'Aquila-Abruzzen nach dem Erdbeben

L'Aquila - rote Zone

zen – befindet sich im gleichen desolaten Zustand wie vor zwei Jahren. Innenmauern der Kirche aus dem 13. Jahrhundert werden noch immer von mächtigen Gerüsten festgehalten; lediglich auf einer der abgebrochenen Säulen liegt neuerdings ein Heiliger aus Stein zum Bestaunen. Im Dorf Castelnuovo haben wir wochenlange Wohnwagen-Ferien verbracht. Die Menschen dort nennen uns mittlerweile ‚amici‘. Der wunderhübsche Ort, man ahnt es noch, wurde zu 95 % zerstört. Nachzulesen noch in der abruzzesischen, nicht der deutschen Zeitung. Ebenso zerstört wie das hässlichere Onna, nur Kilometer entfernt, das häufig im deutschen TV gezeigt wurde. Vielleicht, weil Onnas Anwohner die Vorwarnungen, die Leichtbeben missachteten und sich nachts wieder in ihre Häuser zurückschlichen. Vielleicht auch, weil Frau Merkel und schließlich sogar Signore Berlusconi dorthin reisten. Berlusconi, der anfangs locker von einem ‚CampingWochenende‘ gesprochen hatte. Das Campen der Anwohner auf ‚unserer Dorfwiese‘ hat schließlich sieben Monate gedauert. Ca. 300 Personen ohne Obdach, Menschen, die sich in Armut und Hitze im Sommer stritten. Der Regierungschef erschien hier ebenso wenig wie andere Politiker aus Rom. Die großen Blauzelte schauen noch immer stumm aus Fotos an Wänden. Bei einer Demonstration von L’Aquilanern in Rom, erzählt man flüsternd, habe die Polizei in die Menge geschlagen. Und dies, obwohl sogar der Bürgermeister dabei war. Das Erdbeben wurde anfangs mit 6,4 bewertet (entsprechende Berichte, die auch wir gelesen haben, scheinen überwiegend im Net verschwunden). Bald wurde es auf 5,8 zurückgestuft. Der Versicherungen wegen, sagen die Abruzzesen wütend. Unser (männlicher) Vermieter heißt Gabriele. Freiwillig hat er diese 300 Menschen auf seiner Wiese beherbergt. Die meisten seiner Familienmitglieder haben ihre Häuser verloren. Seit 2009 leben sie provisorisch in den hingestellten Fertig- Holzhäusern der Regierung. Im Sommer ist es in der Hitze kaum auszuhalten. Mittags fährt man zu einem verschwiegenen, kühlen See, den es auf keiner Landkarte gibt. Im Winter

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reist man lieber nach Mailand oder in andere Orte, wenn man dort noch Verwandte oder – im Einzelfall - sogar eine Wohnung hat. Abschließen mit landesüblichen Sicherheitsvorkehrungen ist bei den Holzhäusern nicht möglich; Diebe und Plünderer werden gefürchtet. Gabriele, vom handwerklichen Arbeiten unter freiem Himmel kräftig und braungebrannt, ist 58 Jahre alt. Das dichte, graue Haar trägt er praktisch in einem Schopf zusammengebunden. Ein wahrer Erzengel scheint er für viele zu sein, obgleich er kaum die Kirche besucht. Die Nähe zum Vatikan – ca. eine Autostunde entfernt – hat eines Tages mächtig sein Weltbild erschüttert. Da war er extra nach Rom angereist, um sich eine Statuette zu kaufen – von seinem Namenspatron, dem Verkündigungsengel. Meist kennt man diesen ja nur gemalt. Er wanderte von Shop zu Shop, um sich schließlich im Vatikan zu erkundigen: „Gibt es keine Statuette von Gabriel? Nur vom Drachenkämpfer? Dem Michael?...“ Einer der Frommen soll ihn gütig angesehen haben. Schließlich erklärte man ihm zur Lage: „Gabriel ist später ja auch dem Mohammed erschienen….“ So geschah es demnach, dass der Erzen-

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gel Gabriel aus der Mode kam. Aber der besondere Brunnen in L’Aquila besitzt 99 Mäuler, die einmal Wasser spuckten – 99 ist auch eine heilige Zahl im Islam, erklärt Gabriele zähneknirschend und streicht sich eine vorwitzige Haarsträhne zurück. Rom und die Abruzzesen mögen sich nicht wirklich, warum auch immer. „Dabei gilt der Verkündigungsengel mit einem Sanctuarium sogar als Heiliger der Abruzzen…“ Auch der alte Bruno, Gabrieles Vater, hatte mit 83 Jahren flexibel zu lernen, sich eng in einer Holzhütte einzurichten. Seine Frau, krank und ein bisschen dement, wird liebevoll von ihm behütet. 61 Lebensjahre ist er schließlich verheiratet. Stolz erzählt er uns vom Bergbau – als er und seine Frau neun Jahre in Belgien lebten - seine ‚Madame‘ mit dem Direktor und dem ersten Ingenieur tanzte - sie für alle wohlschmeckende Pizza buk, die damals noch kaum einer kannte. Bruno nimmt uns an einem Tag im Auto mit, das er noch selbständig lenkt. Über 30 Kilometer nach L‘Aquila, um Geld bei der Bank abzuheben. Auf einem Hügel prangen wieder BerlusconiHäuser. Dort wohnt und praktiziert der ‚dottore‘ in Holzwänden in gewohnter Weise. Auf dem Rückweg biegen wir in

einen schmalen, unbefestigten Weg ab – wie ein Müllplatz, denken wir. Was mag Bruno dort abgeben – oder holen? Nein, der Alte führt uns in eine Kleinstbude sein ganz spezielles Lebensmittelgeschäft. Dort gibt es die besten Salsiccia (Wurst) von L’Aquila, sagt er und zeigt uns vorzügliche Käsesorten. Bewaffnet mit viel zu viel Wurst und verschiedenem Pecorini (Schafskäse) aus dem nahen Gebirge machen wir uns auf den Heimweg. Nie hätten wir als Touristen diesen Laden gefunden. In L‘Aquila gibt es Neuerungen am Domplatz. Holzbuden ermöglichen, dass das Leben weitergeht. Häkelarbeiten verzieren Wände und erinnern an die Alte, über Neunzigjährige, die mit Häkeln das Erdbeben überlebte. Häkeln scheint zum Motto geworden. Dieses Jahr steigen zum Jahrestag 309 Luftballons in die Luft für die Opfer von L‘Aquila, darunter viele junge Menschen aus einem Studentenheim. Ob wenigstens die ‚palloncini‘ (Luftballons) vom Staat finanziert wurden… Angelika Zöllner

Das „goldene“ Gerüst


Ein Unternehmer in Sachen Dienstleistung Culinaria-Chef Wolfgang vom Hagen

Wolfgang vom Hagen

Eine feste Größe in der Wuppertaler Gastronomieszene ist der Mehrheitsgesellschafter der Culinaria Betriebsgesellschaft Wolfgang vom Hagen. Seit fast 20 Jahren leitet er die Wolfgang vom Hagen Unternehmensgruppe, zu der eine Hotelgesellschaft mit dem Mercure-Hotel am Düsseldorfer Medienhafen, die Medeor Seniorenresidenzen, eine Consulting-Firma und die Culinaria GmbH in Wuppertal gehören. Die Culinaria wurde von Wolfgang vom Hagen 1995 gemeinsam mit Michael Oberleiter, damals einer der besten deutschen Küchenchefs, gegründet. Zur Culinaria gehören heute die Gastronomie in der Historischen Stadthalle, die Gastronomie in der Sparkasse und seit 2011 die Brasserie in der Oper. Vom Hagen versteht sich als „Unternehmer in Sachen Dienstleistung“, wie der umtriebige 76jährige Geschäftsmann sein Berufscredo beschreibt. Seine Unternehmensphilosophie „Alles für den Gast“ macht deutlich , dass es in seinen Betrieben immer darum geht, den Gästen eine erstklassige Küchenqualität zu bieten, verbunden mit sympathischem, freundli-

chem und kompetentem Service in einer angenehmen Atmosphäre. Dabei weiß er genau, dass ein solches Ziel nur mit qualifizierten Mitarbeitern zu erreichen ist, Mitarbeiter, die sich selbst wohlfühlen, weil sie eingebettet sind in eine Unternehmenskultur, die auf Vertrauen, Offenheit, Glaubwürdigkeit und Wertschätzung beruht. Seine ersten Meriten in der Gastronomie verdiente sich vom Hagen nach Gymnasium, Handelsschule, Servicepraktikum in England und der Ausbildung zum Hotelkaufmann in Zürich und im elterlichen Restaurant, dem Landhaus Felderbachtal. Prägend für seine weitere beruflichen Laufbahn war das Jahr 1962, als er das Mövenpick-Unternehmen in der Schweiz kennen lernte. Damals begegnete er auch dem Mövenpick-Gründer Ueli Prager. Zweieinhalb Jahre arbeitete vom Hagen ab 1965 im Züricher Mövenpick- Restaurant „Dreikönig“, wo er 240 Mitarbeiter unter sich hatte. Die familiären Verhältnisse erforderten

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Christina Rau und Wolfgang vom Hagen

Er gründete die heute noch bestehende Wolfgang vom Hagen Management Consulting GmbH. Ziel und Zweck dieser Gesellschaft sind Hotelentwicklung und -management, die Sanierung von Hotels und Betrieben der Gastronomie sowie Qualitätsmanagement und Kundenservice. Zwischen 1995 und 2001 hatte vom Hagen die Aktienmehrheit der Krefelder Hotel AG inne, die das Parkhotel Krefelder Hof betrieb. Nachdem diese AG kurz vor der Insolvenz stand, übernahm vom Hagen eine klassische Sanierungsaufgabe für dieses Haus, die er erfolgreich abschließen konnte. Seit 2001 ist der Krefelder Hof ein Hotelbetrieb der Dorint AG. Zwischen 2000 und 2005 war vom Hagen Pächter des Mariott Hotels im Düsseldorfer Medienhafen, das heute russischen Investoren gehört, die es selbst betreiben.

Wolfgang vom Hagen mit Professor Dr. Lambert T. Koch, dem Rektor der Uni Wuppertal

Dem Nachwuchs seiner Branche empfiehlt vom Hagen, so wie er international tätig zu sein. Schon als 20jähriger wagte er in den 50er-Jahren, sich einem Servicepraktikum in England zu unterziehen, zum Beispiel im Londoner Savoy-Hotel. Durch Kochlehre im Siechen-Diessner- Restaurant in Wuppertal und als Restaurateur im elterlichen Landhaus Felderbachtal verlor er aber nie den Bezug zur heimatlichen Basis. Neben seinen Lehr- und Berufsjahren im In- und Ausland absolvierte er ein Betriebswirtschaftsstudium an der Hotelfachschule in Lausanne, das er mit der Diplomnote Eins abschloss, arbeitete zwischen 1961 und 1963 im Grandhotel Dolder in Zürich, im Hotel de Crillon in Paris und im Hotel Richemond in Genf, alle drei Hotels Häuser der Luxushotellerie.

es, 1967 in den elterlichen Betrieb, dem Landhaus Felderbachtal, zurückzukommen. Neben diesem Engagement gründete er 1968 die Wolfgang vom Hagen Gastronomie, zu der bis 1972 fünf Restaurants in Wuppertal, Mülheim/ Ruhr und Bonn gehörten. Inzwischen hatte sich Mövenpick in Deutschland engagiert, was Ueli Prager veranlasste, vom Hagen zu Mövenpick zurückzuholen und ihn zum Regionaldirektor für NRW, Niedersachsen und Hamburg zu ernennen. Gleichzeitig beteiligte sich Mövenpick an der Wolfgang vom Hagen Gastronomie, so dass er auch weiterhin

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für seine eigenen Restaurants, unter anderen dem Landhaus Felderbachtal und der Taverne Aramis in Barmen, mitverantwortlich zeichnete. Sein Engagement bei Mövenpick beendete er 1993 als Direktionspräsident. Ueli Prager hatte 1991 seine Mövenpickanteile an den Bankier August von Fink verkauft. Mit der strategischen Neuorientierung des Hauptaktionärs konnte sich vom Hagen nicht identifizieren, verließ daraufhin Mövenpick und machte sich erneut selbstständig.

Von 1963 an war er als Hoteldirektor im Hessischen Hof in Frankfurt tätig. In Übersee absolvierte er eine mehrmonatige Management-Ausbildung an der AMA, American Management Association, in New York. Heute engagiert sich vom Hagen auch im Bereich Pflegeheime und Seniorenresidenzen. Der Hotelier ist auch ehrenamtlich aktiv. So war er im Präsidium der IKK Wuppertal vertreten, außerdem ist er Mitglied im Lions Club Bergisch Land. Joachim Krug


Enno der Älteste… … und die scheidenden Intendanten

Johannes Weigand, Enno Schaarwächter, Christian von Treskow und Kulturdezernent Matthias Nocke (v. l.) präsentieren den neuen Spielplan.

Die beiden Herren saßen fröhlich lächelnd auf der kleinen Bühne im KronleuchterFoyer des Wuppertaler Opernhauses und präsentierten den Medienvertretern die Spielpläne ihrer letzten Saison. Nun sind Vergleiche zwischen Intendanten von Opern- und Schauspielspielhäusern (oder den durch Schließungen wie in Wuppertal bedingten Ausweichquartieren an Stadttheatern) mit Fußballtrainern schon aus Gagengründen im Grunde unanständig. Aber irgendwie sind es trotzdem Durchreisende in Sachen Kultur und Sport. Es bleiben meist die Journalisten. Oder die Verwaltungschefs, wie im Falle Wuppertal der 60-jährige Enno Schaarwächter, den Dezernent Matthias Nocke als „Doyen“ (Ältester) der Runde auf dem Podest bezeichnete. Dirk Hesse und der neue künstlerische Leiter Professor Lutz Förster vertraten das international und auch hierzulande unverändert gefeierte Tanztheater in Memoriam Pina Bausch. „Enno der Älteste“ dozierte gewohnt sanft über die solide Planung, das hochausgelastete Opernhaus, einem wunderschönen Spielplan und der finanzielle Rahmen kam auch vor. Schaarwächter wacht mit Geschick und seinem dichtgeknüpftem Wuppertal-Netzwerk seit Jahren über das immer knapper gewordene Budget. Wobei über die Grenzen des

Wuppertales nicht vergessen werden sollte, dass es in Deutschland immer noch mit großem Abstand die meisten Opernhäuser weltweit gibt. Wer das nicht glauben mag, dem sei die im Juli 2011 erschienene, sehr lesenswerte Lektüre „Walküre in Detmold“ angeraten. Der Autor Ralph Bollmann hat dabei 84 Häuser in 80 Städten besucht und das spannend nacherzählt. Natürlich war Bollmann auch in Wuppertal. Und in Deutschland werden von den Kommunen ca. 5.000 Orchestermusiker, 3.000 Chorsänger und 1.300 Solisten beschäftigt. Es kommt bei der Beurteilung wie immer auf die Betrachtungsweise an. Der seit vier Jahren als Intendant in Wuppertal tätige Christian von Treskow wird in seiner letzten Wuppertaler Intendanten-Runde „Maria Stuart“ von Schiller (damals noch ohne „von“) inszenieren. Seinen Abschied wird er mit der Premiere von William Shakespeares „Viel Lärm um nichts“ am 26. April 2014 im Opernhaus begehen. O-Ton von Treskow: „Das wird dann meine letzte Inszenierung in dieser Stadt sein.“ Auf Nachfrage eines nicht zum Inner-Circle zählenden Anwesenden, ob er Wuppertal und seine Spielstätten der Kultur danach als vermintes Gebiet betrachte und jegliche Tätigkeiten ausschloss, hat der 44-jährige dann doch schelmisch verneint.

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Für seinen Opern-Kollegen Johannes Weigand (46) endet mit der Spielzeit 2013/2014 eine Wuppertal-Ära, die bereits im Jahre 2001 begann. Das hat im Vergleich zum Fußball fast Rehagelähnliche Dimensionen. Der gebürtige Heidelberger wird seine finale Spielzeit mit „Der Fledermaus“ von Johann Strauss am 27. September 2013 beginnen und selbst die Regie dieses Klassikers führen. Man wird gespannt sein, wer diesmal den Zellenschließer „Frosch“ gibt. Das war in grauer Vorzeit (exakt 1972/73) in Wuppertal schon einmal der mittlerweile 82-jährige Kabarettist Ernst Hilbich, Ehemann der Schauspielerin Lotti Krekel. Arno Assmann hat damals inszeniert, es war ein grandioser Erfolg. Die Rolle des „Frosch“ ist schon von vielen Größen der Zunft gespielt worden. Eine Aufzählung von Namen kann nur lückenhaft sein: Heinz Erhardt, André Heller, Jürgen von Manger, Josef Meinrad, Willy Millowitsch, Otto Schenk und Karl Valentin. Auch der Wuppertaler „Frosch“ der Weigand-Inszenierung wird sicher etwas Besonderes. Zu den Premieren zählt aber auch die Uraufführung „Der Universum-Stulp“ von Stephan Winkler. Die Vorlage dazu stammt vom Wuppertaler Autor Eugen Egner. Premiere ist am Freitag, den 21.Februar 2014. Schließlich spielt das Weigand-Team in der Börse, im Haus der Jugend in Barmen, und Kollege von Treskow hat das Carl FuhlrottGymnasium, die mit wunderbarer Akustik gesegnete, bundesweit begehrte Barmer Immanuelskirche, und in der Alten Schmiede der Knipex-Werke auf Cronenbergs Höhen werden Doppelaxel und Pirouetten in „Der Torero oder Liebe im Akkord“ zu bestaunen sein. Man darf also gespannt sein, ob Elena Fink an einer eingesprungen Waagepirouette mit hohem C und Note

5,9 arbeitet. 35 Mal wird das Tanztheater in Wuppertal zu sehen sein. 54 Gastspiele sind geplant, davon allein 24 in Frankreich, acht in London und zwölf in Asien. Mehr geht nicht. Die beiden Intendanten haben die Herausforderungen mit wenig Geld, kleinem Ensemble, besonderer Logistik und einem oftmals skurrilen Publikum mutig angepackt. Einen neuen Job nach dem Ende in Wuppertal haben die beiden Herren übrigens noch nicht. Haben sie jedenfalls (auch lächelnd) auf Nachfrage bei der bereits erwähnten Pressekonferenz gesagt. Zitieren wir zum Ende dieses Textes den großen Schauspieler und leidenschaftlichen Zeitungsleser Ulrich Matthes aus einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ vom 21.April 2013: „Theater ist eine flüchtige Kunst. Das ist sein Reiz.“ Kein Widerspruch. Klaus Göntzsche

Premiere 2013/2014 – Schauspiel Opernhaus Sa., 19. 10. 2013 // Maria Stuart Friedrich Schiller Fr., 6. 12. 2013 // Die drei Räuber (für alle ab 6 Jahren) – Tomi Ungerer Fr., 21. 2. 2014 // JR (Uraufführung) William Gaddis Sa., 20. 4. 2014 // Le Pas d' acier – Schritt in die Zukunft – Sergej Prokofjew Tanzprojekt mit Jugendlichen aus Wuppertal Sa, 26. 4. 2014 // Viel Lärmen um Nichts William Shakespeare Die Börse Januar 2014 // Oh ist das Morrissey Anne Lepper Werkauftrag des Stückemarkts des Berliner Theatertreffens 2013

Premiere 2013/2014 – Jugendtheaterclub und Integrative Theatergruppe Haus der Jugend (Barmen) Fr., 4. 4. 2014 // Der rote Baum // Jugendtheaterclub – Shaun Tan Do., 22. 5. 2014 // Die zertanzten Schuhe // Integratives Theaterprojekt Gebrüder Grimm Premiere 2013/14 – büro für zeit + raum Ort und Zeitpunkt der Produktion werden noch bekannt gegeben // Früher war alles besser. Früher war alles aus Holz. (Arbeitstitel, Uraufführung) Premiere 2013/2014 – Musiktheater Opernhaus Fr., 27. 9. 2013 // Die Fledermaus Johann Strauss Sohn Sa., 5. 10. 2013 // Evita Tim Rice & Andrew Lloyd Webber Fr., 7. 2. 2014 // Der Universums-Stulp (Welt-Uraufführung) – Stephan Winkler So., 23. 3. 2014 // Alcina Georg Friedrich Händel Sa., 14. 6. 2014 // König Roger (Król Roger) Karol Szymanowski Carl-Fuhlrott-Gymnasium Oktober 2013 // Die Irrfahrten des Odysseus Dimitri Terzakis Laterna Magica-Performance Immanuelskirche Sa., 2. 11. 2013 // Die ägyptische Maria Ottorino Respighi Knipex-Werk – Alte Schmiede So., 19. 1. 2014 // Der Torero oder Liebe im Akkord // Adolphe Adam

Kultur, Information und Unterhaltung im Internet Täglich neu – mit großem Archiv Literatur – Musik – Bühne – Film – Feuilleton – Museen – Comic – Fotografie – Reise

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Die neue Historische Stadthalle „Wiederbelebung“ durch Will Baltzer

Am 8. Dezember 1995 war es soweit: Wuppertals architektonischer Juwel, die Historische Stadthalle, zeigte sich nach vierjähriger Bauzeit innen und außen in neuem Glanz, und auch nach bald 20 Jahren, die seit der Renovierung vergangen sind, ist seine Strahlkraft noch immer beeindruckend. . Begründer dieser „Wiederbelebung“ ist der seit vielen Jahren in Wuppertal lebende Architekt, Professor Will Baltzer, zusammen mit einem Team seiner Mitarbeiter. „Die Revitalisierung der Wuppertaler Stadthalle ist ein Beispiel für eine Symbiose von Alt und Neu, von tradierter Architektur der Jahrhundertwende und einem modernen Zentrum vielfältigen urbanen Geschehens in der Hightech-Zeit des ausgehenden 20. Jahrhunderts“, schrieb Baltzer selbst in „Die Stadthalle“, einem Kompendium, das bereits im Jahr der Wiedereröffnung 1995 erschienen ist (Herausgeber: Joachim Frielingsdorf und Jost Hartwig) .

Baltzer hatte eine arbeitsreiche Zeit als Architekt hinter sich. 1932 in Tübingen geboren, aber in Wuppertal aufgewachsen, studierte Will Baltzer Architektur an der TH in Stuttgart und an der TU in Berlin. Nach dem Abschluss seines Studiums 1960 war er zunächst bis 1963 Assistent an der Technischen Universität in Stuttgart, ehe er 1964 einen Lehrauftrag an der Kingston School of Art (GB) annahm. Mitte 1965 wurde er freischaffender Architekt in Wuppertal, wo er auch seinen Wohnsitz nahm. Gleichzeitig war er bis 1997 Professor an der Fachhochschule in Münster. Schwerpunkt seines Lehrauftrags war, das Fach „Entwerfen“. Als Architekt realisierte er besonders Großprojekte wie das Zweckverbandskrankenhaus in Schwelm, das Städtische Krankenhaus in Friedrichshafen, das Schulzentrum in Wuppertal-Vohwinkel, aber auch verschiedene Kirchenzentren und die Else-Lasker-Schüler- Gesamtschule in Elberfeld, wo er auch für die Erweiterung um Mensa und Bibliothek verantwortlich war. Wie bei der Renovierung der Wuppertaler Stadthalle, also im Bereich Umbau und Restaurierung denkmalgeschützter Bauten, arbeitete er oft mit seiner Frau, der Innenarchitektin Cris Baltzer, zusammen. Bereits zwischen 1980 und 1982 hatte die Stadt Wuppertal die Wandelhalle durch die Fachfirma Ochsenfarth aus Paderborn restaurieren lassen. Fünf Jahre später erhielt Baltzer den Auftrag, für das gesamte Stadthallen- Projekt Voruntersuchungen durchzuführen sowie einen Vorentwurf und eine Zielplanung zu erstellen. Drei Jahre lang dauerten dann die planerischen und restauratorischen Voruntersuchungen. Bereits 1989 fasste der Rat der Stadt Wuppertal den entsprechenden Grundsatzbeschluss. Nachdem im November 1991 der Stadthallenbetrieb eingestellt worden war, begannen im Januar des Folgejahres die eigentlichen Bauarbeiten. Es erfolgte die Beauftragung einer französischen Spezialfirma für die Maler- und Stuckarbeiten. Alle Maßnahmen wurden im Dezember 1995 abgeschlossen. „In diesen Tagen entdeckten die Wuppertaler, dass ihre Stadthalle“ (Christo verhüllte gleichzeitig in Berlin den Reichstag) „jenem monumentalen

Reichstagsgebäude ähnlich sieht (…) Belegt werden kann, dass Paul Wallot, der Architekt und Erbauer des Berliner Reichstags, Jurymitglied des Architektenwettbewerbs zum Stadthallenneubau Ende des 19. Jahrhunderts war“ (S.11 „Die Stadthalle“ von Joachim Frielingsdorf und Jost Hartwig). Bei der Restaurierung der Stadthalle, die wie der Reichstag 1900 im Neo-Renaissance- Stil gebaut worden war, hatten für Baltzer in den 1990er Jahren drei Aspekte Priorität: Verbesserung und Erweiterung der angestrebten Funktionen, die Sanierung der Bausubstanz und die restaurierende Wiederherstellung der Innenräume sowie die Verbesserung des Hallenumfelds. Im einzelnen vergrößerte Baltzers Planung die bisherige Foyerzone um die ursprünglich offenen Gartenhalle durch großflächige Verglasung, ermöglichte eine multifunktionale und gleichzeitige Nutzung aller Säle sowie den Einbau einer Sauer- Orgel im neugestalteten Bühnenbereich des Großen Saals. Höhenverstellbare Bühnenpodeste lassen eine Mehrzwecknutzung des Saals beispielsweise für Konzerte oder Kongresse und Bankette zu. In die historische Bausubstanz wurden behutsam modernste Technik bei der Be-und Entlüftung sowie Elektrotechnik einschließlich Beleuchtung integriert. Oberstes Ziel der Außensanierung und Restaurierung im Inneren war, die ursprünglichen Qualitäten der Halle wieder herzustellen und zu optimieren, wobei sich sämtliche Maßnahmen an den Vorgaben der Denkmalpflege orientierten. Vor dem Eingang zur Halle entstand durch Verengung der vorbeiführenden Bahnhofstraße ein weiträumig gepflasterter Vorplatz. Der Halleneingang erhielt einen behindertengerechten Zugang zu allen Ebenen des Gebäudes. Aus seinen Erfahrungen mit einem schlüssigen historischen Konzept ging Baltzers entschiedenes Engagement hervor, „die Historische Stadthalle für die heutigen Benutzer und die nachwachsende Generation zu einem Ort der Identifikation mit den Werten der Tradition werden zu lassen.“ Sämtliche Funktionen, die zum Betrieb eines Vielzweckbauwerks

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Die neue Historische Stadthalle, AuĂ&#x;enansicht und Blick ins Innere

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nötig sind, wurden ohne Anbau, wie ihn viele Experten gefordert hatten, bewerkstelligt. Nicht ohne Stolz versichert der Architekt, dass in dem ursprünglich vorhandenen Gebäude genügend Platz für alle Notwendigkeiten einer Multifunktionshalle vorhanden war. 2009 sprach Will Baltzer in Heinz Theo Jüchters Buch „Die Historische Stadthalle Wuppertal“ ausführlich über das Umbauprojekt als einer „Renaissance der Renaissance“. Joachim Krug Fotos: Baltzer und Partner/ Joachim Krug unten: das ehemalige Restaurant

Historische Aufnahmen aus der Stadthalle

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Paragraphenreiter Kann ich auch als Privatmann mit Kunst Steuern sparen?

Susanne Schäfer, Steuerberaterin Geschäftsführerin der Rinke Treuhand GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft/ Steuerberatungsgesellschaft

Im Jahr 2007 erwarb ein Trödelmarktbesucher mit offensichtlichem Sinn für schöne Dinge auf einem Trödelmarkt eine weiße Keramikschale für drei Dollar. Da die Schale sehr dünnwandig war, benutzte er sie nicht, sondern stellte sie lediglich in ein Regal. Gerade die Feinheit des Materials beschäftigte ihn aber auch weiterhin und er ließ den Flohmarktfund zu Anfang des Jahres 2013 von einem Sachverständigen für chinesische Kunst schätzen. Am 13. März 2013 wurde die Schale von Sotheby’s versteigert – der Zuschlag erfolgte bei 2,23 Millionen Dollar. Im Jahr 1967 betrug der Kunstmarktpreis für ein Bild von Gerhard Richter rund 5.000 DM. Im Jahr 12.10.2012 wurde ein Bild von Gerhard Richter von Sotheby’s versteigert – der Zuschlag erfolgte bei 26,4 Millionen Euro. Seufz ! Hätte ich rechtzeitig in Keramikschalen oder Gerhard Richter investiert, hätte ich einen Gewinn von 2.229.997 Dollar oder 26.397.444 Euro machen können. Und das Beste: auch noch vollkommen steuerfrei! Der Verkauf von privaten Wertgegenständen wie antiker chinesischer Keramik und Ölbildern ist nämlich nur dann als sogenanntes „privates Veräußerungsgeschäft“ einkommensteuerpflichtig, wenn zwischen deren Anschaffung und Veräußerung weniger als ein Jahr vergangen ist. Im geschickten Ankauf der Werke von vielversprechenden jungen Künstlern (oder verkannter Trödelware), deren

„Am liebsten auf der Bühne, und wer weiß wo sonst noch, sind mir Sätze, die man auch tanzen könnte.“

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mindestens 12-monatige Aufbewahrung (gern auch über der Wohnzimmercouch oder im Geschirrschrank) und lukrativen späteren Verkauf (Sotheby’s scheint hier eine hervorragende Adresse zu sein) besteht also eine der wenigen noch legalen Möglichkeiten, in Deutschland für Gewinne keine Einkommensteuer zahlen zu müssen. Allerdings auch nur dann, wenn ich den An- und Verkauf nicht „gewerblich“ betreibe, d. h. nicht mit der von vornherein feststehenden „Absicht, Gewinn zu erzielen“, nicht „unter Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr“ und nicht „nachhaltig“. Aber was heißt das? Ohne die „Absicht, Gewinn zu erzielen“ heißt, dass ich auf dem Gebiet der Kunstkennerschaft eigentlich nur ein bisschen dilettieren darf. Wenn ich etwas kaufe, dann in erster Linie, weil es mir gefällt und nicht weil ich mit einer großartigen Wertsteigerung rechne. Die sollte allenfalls ein netter Nebeneffekt sein. Nicht „unter Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr“ heißt, dass ich nicht aktiv eine Vielzahl potentieller Käufer umwerbe. Und nicht „nachhaltig“ ist einfach die amtliche Umschreibung von „nicht zu oft“. Wie viele Keramikschalen und Bilder ich verkaufen darf, bevor ich als gewerblicher Kunsthändler betrachtet werde, steht dabei nicht genau fest. Ehrlich gesagt würde mir ein einziger Gerhard Richter aber auch reichen. www.rinke.eu

„Das Leben ist sportlich: Der, den du überholst, sitzt dir danach im Nacken.“

Zugelaufene Sprüche

„Mit guten Absichten überschminkt die Seele ihre Pickel“

2013 Verlag HP Nacke Wuppertal 80 Seiten, 9.00 Euro ISBN: 978-3-942043-90-8

„Das wäre ein wunderbares Leben gewesen, sagte der Neunzigjährige, wenn man vorher gewusst hätte, dass alles gut geht.“


Das Verbrechen ist überall Auch im idyllischen Hückeswagen – weiß der Krimi von Jürgen Kasten „Grüße aus dem Jenseits“

Gibt es im lieblichen Bergischen Land, etwa auch im idyllischen Städtchen Hückeswagen Korruption, Verbrechen, sogar Mord? „Das Böse ist immer und überall“ wissen wir nicht zuletzt durch die Erste Allgemeine Verunsicherung. Und natürlich schlummert auch unter dem Grasgrün unserer Bergischen Heimat das Böse in Gestalt von bestechlichen Verwaltungsbeamten und Politikern, solchen, die sie zynisch korrumpieren, deren Handlangern, die auch vor einem Mord nicht zurückschrecken, Trittbrettfahrern, die ihr eigenes verbrecherisches Süppchen auf diesem schwelenden Feuer kochen und Erpressern, die als kriminelle Parasiten blutiges Geld aus den Übeltaten anderer saugen. Das weiß literarisch ein hochkarätiger Fachmann zu unterstreichen: Jürgen Kasten, über viele Jahre Chef der Mordkommission und der Ermittlungsstelle für Umweltverbrechen bei der Wuppertaler Kripo. Der ausgewiesene Kenner der Materie hat seine Erfahrungen mit allen Facetten des Verbrechens zu einem spannenden Kriminalroman umgemünzt, dessen raffiniert aufgebaute Handlung er mit dem Mittelpunkt Hückeswagen u.a. in Remscheid, Wuppertal, Solingen und Showdown in Basel angesiedelt hat. „Natürlich“, lässt der Autor seine Leser mit Augenzwinkern wissen, „ist alles, was ich in diesem Roman erzähle, reine Fiktion. Solche Figuren, wie den Hückeswagener Bauunternehmer van Houten, der politische Entscheidungsträger besticht und Dokumente ebenso wie Bilanzen fälscht, skrupellose Handlanger wie Oliver Meiners, Lokal-Politiker und Verwaltungsbeamte, die sich in Bordelle einladen lassen und damit erpreßbar werden, schmierige Rechtsverdreher wie van Houtens Intimus Dr. Garbsen gibt es im Bergischen Land selbstverständlich nicht.“ Weiß doch aber jeder, dass es eben genau so ist. Das hervorragend recherchierte Buch, das Weg und Steg kennt und nennt, läßt durchaus glaubhaft Parallelen zur regionalen Politik und Bauwirtschaft erkennen. Sein Personal aus Widerlin-

gen und Sympathieträgern, schönen Frauen und Alltagshelden ist durch die Nähe zur Realität präzise gezeichnet, ob es der Ex-Bulle als Detektiv ist, ob es die einst hoffnungsvollen Studienabbrecher als gewissenlose Verbrecher oder die Duzfreunde in Bauamt und Bauwirtschaft sind. Auch die Szenenbilder, um mit einem Begriff des Films zu sprechen, sind griffig, von der Observation eines Schließfachs bis zur Obduktion des Mordopfers in der Pathologie. Jürgen Kasten weiß eben, wovon er spricht. Was mit einem grausigen Mord in Wuppertal und rätselhaften Erpresserbriefen beginnt, ein Fall, den der massige Wuppertaler Kriminalhauptkommissar Faber gemeinsam mit der zauberhaften Staatsanwältin Patrizia von Schuchnitz zu klären hat, entwickelt sich zu einem raffinierten, weite Kreise ziehenden Geflecht im Dunst der Bergischen Baumafia. Jürgen Kasten – „Grüße aus dem Jenseits“ Bergischer Verlag, 2012 285 Seiten, Broschur, 9,90 Euro.

Weitere Informationen: www.bergischerverlag.de.

Frank Becker

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Neue Kunstbücher Monographien zur Malerei vorgestellt von Thomas Hirsch Die Malerei ist – zum Glück – nicht kaputt zu kriegen. Bei allen Ausweitungen in den Raum und aller faktischen Konzentration auf die reprografische oder virtuelle Oberfläche, mit denen die Kunst ihre Gegenwart reflektiert, behauptet sich die Malerei auch weiterhin. Über die Jahrhunderte hat sie Wandlungen von der reinen Funktionszuweisung in der Frühzeit über die Vermittlung des christlichen Glaubens in der Renaissance vollzogen, sie diente Kirchenfürsten und Feldherren, erreichte im Ständeportrait eine hohe gesellschaftliche Anerkennung und eine weitere Personalisierung des Künstlers, ehe sie als Metier mit freier Motivwahl gänzlich autonom wurde. Die Scheidung von der Werkstatt und den Schülern führt (ungeachtet des künstlerischen Mediums) zur Frage nach der Werkgenese und sie äußert sich in heutiger Zeit in der Monographie, die eine Abfolge der Schaffensphasen bereithält und Urheberschaften klärt oder aufwirft ... Lange wurden dem Caravaggisten Orazio Gentileschi Gemälde zugeschrieben, die von seiner Tochter Artemisia stammen; erst im 20. Jahrhundert wird ihr Beitrag für die Kunst des Barock aufgearbeitet. Artemisia Gentileschi (1593 – um 1651) gehört zu den bedeutenden Künstlerinnen in Zeiten, in denen nur sehr wenige Frauen den Beruf des Künstlers ergriffen. Ihr Leben steht unter dem Schatten der Vergewaltigung durch ihren Lehrer, dem

D. Lutz, Artemisia Gentileschi, Leben und Werk, 128 S. mit ca. 110 Farbabb., geb. mit Schutzumschlag, 28,5 x 25 cm, Belser, 39,95 Euro

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anschließenden Prozess und der Abreise aus Rom nach Florenz; später hält sie sich, als Künstlerin hochangesehen, wieder in Rom und Neapel auf. Sie malt Porträts, Stillleben, Historienbilder und biblische Stoffe. Leitmotivisch durchziehen Frauengestalten ihr Werk. Die Malerei ist souverän, dynamisch in der Wendung der Körper. Gesicht und Kleidung werden durch Licht und Schatten modelliert. Dramatisch sind oft die Posen, unterstützt noch durch die Komposition im Bildraum, den die Figuren massiv besetzen … Das zeigt nun die gute geschriebene, feuilletonistische Monographie von Dagmar Lutz, die vom Leben dieser bemerkenswerten Malerin ausgeht. Natürlich ist es hilfreich, vergleichende Bilder etwa von Orazio Gentileschi oder Caravaggio zu integrieren, allerdings ist dies mitunter infolge der allzu komplexen Grafik verwirrend. Insgesamt aber entsteht ein fundierter Einblick in das Werk der Artemisia Gentileschi. In vielerlei lässt sich dieses Buch mit der aktuellen Monographie zur Malerei von John Everett Millais vergleichen. Der (leider nur englische) Text von Jason Rosenfeld ist jedoch ausführlicher, das Buch ist grafisch viel klarer, wenngleich eine reine Bildstrecke gutgetan hätte. John Everett Millais (1829-1896), der als damals jüngster Student in die Schule der Royal Academy aufgenommen wurde, gründet 1848 mit William Hunt und Dante Gabriel Rosetti die Gemeinschaft der Präfraffaeliten. Millais wendet sich jedoch bald vom lieblichem Impetus ab. Seine Sache ist die

J. Rosenfeld, John Everett Millais, engl., 256 S. mit 190 farb. Abb., geb. mit Schutzumschlag, 29 x 25 cm, Phaidon, 49,95 Euro

Wirklichkeitsschilderung mit hoher atmosphärischer Verdichtung mittels einer brillanten Farbigkeit, dazu entstehen Genreund Landschaftsdarstellungen; vor allem mit letzterem wird er später gepriesen. Jason Rosenfelds Verdienst ist es unter anderem, die Bedeutung der Natur im gesamten Werk herauszuarbeiten, und das Verdienst des Buches ist es, John Everett Millais überhaupt in einer respektablen Einzeldarstellung zu würdigen. Aber wie unterschiedlich doch Werkübersichten ausfallen! So wie das Buch zu Millais dem erzählerischen Charakter seiner Bilder entspricht, so ist das so viel andere Buch zu Hans Hofmann punktgenau für dessen Kunst. Auch Hans Hofmann ist zu entdecken, jedenfalls in Europa. Das klingt paradox, schließlich hat Hofmann (18801966) die ersten 53 Jahre seines Lebens in Deutschland verbracht, hier malen gelernt, seine eigene Kunst dann aber eingestellt, um Malschulen zu gründen. Über den Kunstunterricht kam er mit Amerika in Kontakt, wurde als Lehrer eingeladen und erhielt die Möglichkeit, als er von den ersten Untaten der Nationalsozialisten hörte, zu bleiben und amerikanischer Staatsbürger zu werden. Er gründete Schulen in New York und Provincetown und setzte wieder mit der Malerei ein. Hofmann etablierte sich als einer der bedeutenden Maler des abstrakten Expressionismus. Neben den Franzosen beeindruckte ihn Kandinsky nachhaltig, er erreicht mit seiner abstrakten, aus dem Gestus gewonnen Farbmalerei

Hans Hofmann, Magnum Opus, Hrsg. B. Buhlmann, dt./engl., 164 S. mit 65 farb. Abb., Leinen, geb. mit Schutzumschlag, 29 x 30 cm, Hatje Cantz, 39,80 Euro


ein Schweben im Raum. Berühmt wird er mit seinen Setzungen von monochromen Rechtecken im Bild, teils in verschiedenen Größen in Überlappung – daraus entwickelte er das „push and pull“-Prinzip in der Fokussierung der Farbflächen, mit dem er sich auch der Farbfeld-Malerei zuordnen lässt … Was hier reichlich theoretisch wirkt, hebt sich in der Malerei sinnlich auf und wird nun durch die Monographie im Verlag Hatje Cantz vermittelt. Ein mustergültiges Buch: Es beinhaltet profunde Essays aus deutscher wie auch amerikanischer Perspektive und es stellt großzügig die Malerei in ihrer Farbigkeit vor und zeigt, warum wir unbedingt mehr von Hans Hoffmann wissen sollten.

kann ... Irgendwann nach seinem Tod aber war Fritz Köthe vergessen. Vielleicht weil sich kein rechter Galerist seines Werkes annahm, vielleicht auch, weil keine angemessene Publikation über ihn verfügbar war. Nun also gibt es mit Thomas Levy einen Galeristen in Hamburg, der auch gleich ein Buch herausgegeben hat. Die Enttäuschung ist groß: Die Bilder erschlagen sich in ihrer Fülle; zudem zeigt die Hälfte des Kataloges das Frühwerk mit zum Teil unwichtigen Studien. Wie schade! Dass der Kerber Verlag eigentlich ganz andere Bücher publiziert, belegt die Monographie Egocinema von Gustav Kluge. Der 1947 geborene, in Hamburg studierte und in Karlsruhe an der Kunstakademie lehrende

Fritz Köthe, dt./engl., 120 S. mit 112 farb. Abb und DVD, Hardcover, 24 x 16,5 cm, Kerber Verlag, 29,90 Euro

Gustav Kluge, Egocinema, Hrsg. R. Spieler, 200 S., 336 farb. Abb., geb. mit Schutzumschlag, 30 x 23 cm, Kerber Verl., 39,80 Euro

Ein weiterer Maler der Avantgarde ist Fritz Köthe. Fritz Köthe (1916-2005) gehört zu den wichtigsten deutschen Malern im Kontext der Pop Art. Anfang der 1960er Jahre findet Köthe zu den für ihn typischen Motiven, die er sozusagen auf der Straße findet und die seinen Realismus vorgeben. Er malt Plakat-Abrisse anhand der Klischees aus den Lifestyle-Illustrierten: Er zeigt, als Ausriss vereinzelt und mitunter verdoppelt, Augen, Fußballer, Rennwagen, Zigaretten zwischen Lippen und er verstärkt die Attraktion durch Lichteffekte – das wirkt in der Nüchternheit, mit der Köthe Knautschungen und Risse malt, ebenso virtuos wie die Malerei doch zur Masche erstarrt, auch wenn sie zeitkritisch gelesen werden

Künstler zählt längst zu den bedeutenden figurativen Malern in Deutschland. In seinem frühen Werk wird die Figur in massive Gespinste aus Farben eingebunden, die sein zentrales Thema verdeutlichen: das Gefangen-Sein des Geistes im physischen Körper. Kluges oft düstere Bilder besitzen etwas Bedrängendes, sind augenblicklich existenziell und reflektieren häufig zeitgeschichtliche und gesellschaftliche Zusammenhänge. Daneben entstehen seit einem Jahrzehnt Porträts, die Persönlichkeiten des Kunstbetriebes in ihrem Wesen vorstellen. Die Dimensionen dieses Werkes vermittelt nun die Monographie exemplarisch und detailliert. Eine Demonstration für die Aktualität und Notwendigkeit des Mediums Malerei !

NEU Die zweite Ausgabe Karussell ist erschienen Erzählung | Lyrik | Essay Jörg Aufenanger, Barbara Commandeur, Lavinia Korte, Stefan Mettler, Karl Otto Mühl, André Poloczek, Dietrich Rauschtenberger, Dorothea Renckhoff, Karla Schneider, Michael Zeller

Karussell | Bergische Zeitschrift für Literatur

Nr. 2/2012 – 92 Seiten, 7.– Euro – ab sofort im Buchhandel Herausgeber: Verband Deutscher Schriftsteller (VS), Region Bergisch Land und die Autorengemeinschaft Literatur im Tal mit freundlicher Unterstützung durch Kulturbüro der Stadt Wuppertal Verlag HP Nacke Wuppertal ISBN 978 - 3 - 942043 - 91 - 5

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Geschichtsbücher, Buchgeschichten Vorgestellt von Matthias Dohmen

Pirat und Apotheker. Die Story über Rob und Ben erinnert an „Max und Moritz“ und stammt aus der Feder von Robert Louis Stevenson. Robin zieht es aufs Meer, wo er als Pirat reich wird. Sein Freund Ben bevorzugt eine bürgerliche Karriere, wird Apotheker und verkauft Leitungswasser gegen echtes Gold. Seiner Geldgier verdankt die Mutter eines kleinen Mädchens den frühen Tod. Als nun die alten Kameraden ihr Leben vergleichen, empört sich der Raubritter über seinen alten Kumpanen und erschlägt ihn in einer biblischen Zornesaufwallung. Mit wunderschönen oft ganzseitigen Bildern hat Henning Wagenbreth Stevensons Ballade von 1882 illustriert. Der international bekannte Zeichner gründete 1989 mit Freunden die Berliner Künstlergruppe „PGH Glühende Zukunft“ (www.wagenbreth.de). Der von ihm auch übersetzte „Pirat“ schaffte es auf die „Hotlist der unabhängigen Verlage“ und errang den „MelusineHuss-Preis“ des deutschen Buchhandels. Robert Louis Stevenson, Der Pirat und der Apotheker. Eine lehrreiche Geschichte, illustriert von Henning Wagenbreth, Wuppertal: Peter Hammer 2012. 40 S., 26,00 Euro

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Gewagt und gewonnen. Das schier Unmögliche unternommen und zu Ende geführt: Auf über eineinhalbtausend Seiten unterbreitet der in Wipperfürth geborene Historiker Jürgen Osterhammel das Panorama des vorvorigen Jahrhunderts, in dem er den „frühen Spuren“ der Globalisierung nachgeht, wozu auch die Konstituierung der Kritik der noch kolonial geprägten Weltordnung gehören: der Arbeiter-, der Frauen-, der Friedens- und der (neudeutsch formuliert) Dritte-Welt-Bewegung. Rezensenten von der FAZ bis zur „Tageszeitung“ haben die Souveränität hervorgehoben, mit der der Inhaber des Lehrstuhls für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Konstanz die Forschungsergebnisse anderer Historiker auf den Punkt bringt und in sein Panorama einfügt. Vor- und Nachwort sowie umfangreiche Register ermöglichen vielfältige Zugänge zu dem Opus. Da ist es schon fast tröstlich, dass man jemanden vergeblich sucht, der ebenfalls zu diesem „langen Jahrhundert“ Maßgebliches beigetragen hat wie der Sozialist Moses Hess (auch Heß geschrieben).

SPD und Pershing II. Wieder ein Rahmenthema im AfS, das es in sich hat: 25 Autoren befassen sich in Einzelaufsätzen mit dem „Wandel des Politischen: Die Bundesrepublik Deutschland während der 1980er Jahre“. Themen sind Finanzen, Telekommunikation, Aids und neue soziale Bewegungen, der private Rundfunk und das Aufkommen der Grünen sowie der Nachrüstungsstreit in der SPD, für die Sozialdemokratie eine Kontroverse „zwischen Staat und Straße“. Jan Hansen erinnert daran, dass Willy Brandt die Nordsüdproblematik in eine erbittert geführte Diskussion einführte, die die Republik umgekrempelt hat. Ein Plakat der Jungsozialisten aus dem Jahr 1983 zeigt einen hilflosen, einen mageren Schatten werfenden Menschen im Angesicht der drohenden Raketen aus Ost und West, der SS 20 und der Pershings (S. 535). Sammelrezensionen des mit 1732 Gramm schwergewichtigen Bandes gelten dem rheinischen Kapitalismus, der Psychoanalyse- und der Völkerrechtsgeschichte beziehungsweise dem „neuen Menschen in der Sowjetunion“. Kurzum: Mit seinen rund 300 (teilweise übers Internet verfügbaren) Buchbesprechungen ein kolossales Werk.

Jürgen Osterhammel, Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, München: Beck 2013. 1568 S., 24,00 Euro

Archiv für Sozialgeschichte. Bd. 52 (2012), Bonn: J. H. W. Dietz 2012. 913 S., 68,00 Euro


Kulturnotizen GEDOK Wuppertal Veranstaltungen Sonntag, 9. Juni 2013, 18:00 Uhr CityKirche Elberfeld, Kirchplatz „Nuit d’Étoiles“ Ein GEDOK-Liederabend mit romantischen, französischen Liedern von Claude Debussy, Maurice Ravel, Gabriel Fauré, Henry Duparc, Eric Satie u. a. Miriam Sabba, Sopran – Michel Hänschke, Klavier (a.G.) Dienstag, 11. Juni 2013, 19:00 Uhr; Evang. Bibelwerk, Rudolfstraße 135, 42285 Wuppertal Buchvorstellung „Töchter der Schrift – Literarische Blicke auf biblische Frauen“ Im Dialog präsentieren die Lektorinnen Dr. Jutta Höfel und Marianne Ullmann die thematischen Konzepte der beiden Publikationen und referieren die einzelnen Beiträge. Dienstag, 9. Juli 2013, 16:00 Uhr Sommerfest für Künstlerinnen und Kunstförderer im Weissen Haus Westfalenweg 211, 42111 Wuppertal, Telefon: 0202/754270 Vorankündigung Montag, 2. September 2013, 18 Uhr GEDOK Wuppertal e. V.-Jahreshauptversammlung 2013 Uta Majmudar „50 Jahre Manu Factum“ Ausstellung der NRW-Staatspreisträger Glas, 22. 6. bis Oktober 2013, Glasmuseum Hentrich, Ehrenhof 4 – 5, Düsseldorf

Uta Majmudar, Fossil, 30 x 20cm GEDOK Gemeinschaft der Künstlerinnen und Kunstförderer e.V., Gruppe Wuppertal www.gedok-wuppertal.de · gedok-wuppertal@t-online.de

Kreativ50plus Großes Spektrum an Sommerangeboten Kreativ50plus bietet Theater, Kunst, Fotografie, autobiografisches Schreiben, Apple und Heilpflanzen. Im Rahmen der Reihe Kunst im Dialog haben Sie Gelegenheit, sich aktiv mit dem künstlerischen Werdegang von bekannten sowie weniger bekannten Künstler/innen zu beschäftigen. Diesmal geht es um zwei Frauen: Die österreicherische Malerin Maria Lassnig (* 8. September 1919), die über ein faszinierendes Spätwerk verfügt und die immer noch arbeitet. In Dialog gesetzt wird sie mit der in Deutschland

weitgehend unbekannten AboriginesKünstlerin Emily Kame Kngwarreye (* 1910 – † 1996), die erst mit 77 Jahren anfing zu malen, es aber noch bis auf die Biennale nach Venedig schaffte. Beide mussten sich ihren Weg hart erkämpfen. Was hat diese Künstlerinnen auf ihren jeweils eigenen Weg gebracht? Dem Motto Bewegung folgen die diesjährigen Theatertage. Die Teilnehmer können in Begleitung der Dortmunder Choreografin Barbara Cleff „Eigenes in der Bewegung“ in einem Workshop zum Tanztheater einsetzen. Die Wirkung von Bewegungen und Gesten im Schauspiel kann im Seminar „Gut bewegt ist halb gewonnen“ erprobt werden. Für künftige Hobbyfotografen bietet die Akademie Remscheid ein Einsteigerseminar in die Digitalfotografie. Einige Wochen später können Fortgeschrittene das Sommerwetter nutzen, um sich der Architekturfotografie zu widmen. Außerdem finden Seminare zum autobiografischen Schreiben und zu den Möglichkeiten des Applecomputers statt. Und wer sich von Heilpflanzen überraschen lassen möchte,

kann diese bei einem geführten sommerlichen Spaziergang kennen lernen. Weitere Informationen erhalten Sie unter: www.kreativ50plus.de Veranstaltungen Juni/Juli 2013 Darüber könnte ich ein Buch schreiben 10. Juni, 15 Uhr – 14. Juni, 12 Uhr Fotografieren statt knipsen; für Einsteiger in die Digitalfotografie 17. Juni, 15 Uhr -19. Juni, 12 Uhr Die Bühne stürmen – gut vorbereitet ist halb inszeniert! 17. Juni, 15 Uhr - 21. Juni, 12 Uhr Theatertage Bewegung Eigenes in der Bewegung – Tanztheater 24. Juni, 15 Uhr – 26. Juni, 18 Uhr Theatertage Bewegung Gut bewegt ist halb gewonnen 24. Juni, 15 Uhr – 26. Juni, 18 Uhr Apple Spezial 21. Juni, 15 Uhr – 23. Juni, 12 Uhr Kunst im Dialog: Kunsttheorie mal anders 6. Juli, 10 - 18 Uhr Ein Tag mit Heilpflanzen im Sommer 6. Juli, 10 - 18 Uhr Herzstücke unter der Lupe: Schreibworkshop 10. Juli, 15 Uhr – 12.07., 12 Uhr Fotografie und Architektur 15. Juli, 15 Uhr – 19.07, 12 Uhr Weitere Informationen erhalten Sie unter: www.kreativ50plus.de in der Reihe RATdigital ist die Textsammlung „Kulturpolitik als Mentalitätspolitik?“ von Max Fuchs erschienen. Das Buch umfasst die Themenbereiche „Kultur und Gesellschaft“, „Kulturpolitik und ihre Grundlagen“ und „kulturelle Bildung und Teilhabe“. Es kann kostenfrei heruntergeladen werden: www.akademieremscheid.de/fileadmin/ user_upload/3-01_Kulturpaedagogik/ Fuchs_2013_Kulturpolitik_als_Mentalitaetspolitik.pdf Müllers Marionettentheater Ritter Suppengrün und das süße Geheimnis nach dem gleichnamigen Kinderbuch von Klara Schneider Mit Süßigkeiten kennt sich Prinzessin Caramella aus dem Puddingland gut aus.

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Kulturnotizen Zum Leid ihres Vaters verliebt sie sich in seinen größten Feind, in Ritter Suppengrün. Und weil sie ebenso stur ist wie ihr Vater heiratet sie den Gemüsebaron und bekommt mit ihm vier Kinder. Alle diese kleinen Suppengrüns essen gerne Zwiebeln und Knoblauch, Tomaten und Bohnen, nur die kleinste Tochter Mürbchen mag all das Gemüse nicht. Eines Tages bittet sie ihre Mutter, zum Opa nach Puddingland reisen zu dürfen…. Musik von Ludwig van Beethoven

Die Bremer Stadtmusikanten Theatermärchen von Fritz Fey Der Esel wird fortgejagt, der Hund soll erschlagen werden, die Katze ertränkt und den Hahn will man aufessen! Und das alles nur, weil die vier alt geworden sind. Glücklicherweise aber hat der Esel eine gute Idee: alle vier Tiere wollen versuchen, Bremer Stadtmusikanten zu werden. Bei so klugen Stadtmusikanten haben selbst die Räuber im Wald nichts zu lachen...

Sonntag, 16. Juni > 18 Uhr > open air > Butterscotch & Trio > Beat-Box meets Jazz Butterscotch Vocals, Beatbox, Gitarre, Piano Veranstaltungen im Juli Samstag, 20. Juli > 19 Uhr > open air > Avishai Cohen Quartett > Plugged Avishai Cohen E-Bass, Kontrabass, Gesang Eli Degibri Saxofon, Nitai Hershkovits Klavier, Keyboard, Ofri Nehemya Schlagzeug Avishai Cohen ist nicht nur ein phänomenaler Bassist, er ist auch ein starker Komponist, der in seiner Musik die Klangfarben und Rhythmen des Nahen Ostens mit westlichem Jazz zusammenbringt. Sonntag, 21. Juli > 19 Uhr > open air > Acoustic Africa > Women’s Voices

Aufführungstermine: 2., 8., 16. und 22. 6. jeweils um 16.00 Uhr und am 20. 6. um 11.00 Uhr

im Skulpturenpark Waldfrieden, Wuppertal

Veranstaltungen im Juni Samstag, 15. Juni > 19 Uhr > open air > Christian Muthspiel 4 feat. Steve Swallow Sea ven Teares A tribute to John Dowland Christian Muthspiel Posaune, Piano, Komposition, Matthieu Michel Trompete,

Butterscotch

Der Froschkönig Theatermärchen nach den Gebrüdern Grimm von Günther Weißenborn Wer möchte schon einen Frosch küssen? Die Prinzessin will es eigentlich auch nicht, aber schließlich küsst sie ihn doch, um das aufdringliche Glibbertier endlich los zu werden. Nach dem Kuss wartet auf sie die allerschönste Überraschung!

Aufführungstermine: 28. 7. um 16.00 Uhr, 4. und 11. 8. um 16.00 Uhr, 7. 8. um 11.00 Uhr

Aufführungstermine: 30. 6., 7., 14. und 21. 7. jeweils 16.00 Uhr 4. 7. um 10 und 15.00 Uhr, 18. 7. 11 Uhr.

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Flügelhorn, Franck Tortiller Vibrafon, Steve Swallow E-Bass

Dobet Gnahoré Gesang, Percussion, Manou Gallo Gesang, E-Bass, Kareyce Fotso Gesang, Gitarre, Aly Keïta Balafon, Zourmana Diarra Gitarre, Boris Tschango Schlagzeug Drei Stimmen, drei Frauen von der Elfenbeinküste und aus Kamerun mit ganz verschiedenen künstlerischen Einflüssen. Sie singen Lieder auf Zulu, Malinke, Wolof, Bete und Lingala. Es eint sie der Rhythmus und die Klangwelt des afrikanischen Kontinents. www.skulpturenpark-waldfrieden.de

15. 6. 19:30 Uhr //// Opernhaus Premiere mit öffentlicher Premierenfeier Ein Sommernachtstraum von William Shakespeare Deutsch von Frank Günther


20. Juli 19:30 Uhr //// Opernhaus Ein Tanzprojekt mit Jugendlichen aus Wuppertal – Choreographie von Josef Eder Das Projekt fördert die (körperliche) Bewusstwerdung, die spielerische Interaktion und die Balance zwischen dem Bedürfnis, sich selbst auszudrücken, und dem Vermögen, die Anderen in ihrem Ausdrucksverlangen wahrzunehmen und zu respektieren. Gemeinsam mit dem erfahrenen Choreographen entstehen so beeindruckende Tanztheatervorstellungen. Juni/Juli /// Oberbarmen ¡Ay Gitano! Ein Musik und Theaterprojekt Eine künstlerische Auseinandersetzung (auch) mit der romantisierenden Bild- und Musikwelt der Roma

Konzerte Juni/Juli 2013 2. 6. 2013 | 11:00 Uhr Stadthalle, Großer Saal 9. Sinfoniekonzert 3. 6. 2013 | 20:00 Uhr Stadthalle, Großer Saal 9. Sinfoniekonzert 13. 6. 2013 | 10:00 Uhr Stadthalle, Großer Saal 4. Schulkonzert Best of American classical music 23. 6. 2013 | 11:00 Uhr Stadthalle, Großer Saal 4. Familienkonzert Orchesterolympiade 24. 6. 2013 | 20:00 Uhr Stadthalle, Mendelssohn Saal 5. Kammerkonzert Nachholtermin aus 2011/12 30. 6. 2013 | 11:00 Uhr Stadthalle, Großer Saal 10. Sinfoniekonzert 1. 7. 2013 | 20:00 Uhr Stadthalle, Großer Saal 10. Sinfoniekonzert 12. 7. 2013 | 20:00 Uhr Laurentiusplatz, Open Air Stummfilm & Live-Musik 13. 7. 2013 | 20:00 Uhr Laurentiusplatz, Open-Air Open-Air Gala

Gobi-Quartett Samstag, 8. Juni > 19 Uhr > Pavillon Badamkhorol Samdandamba Gesang Saadet Turköz Gesang Gunda Gottschalk Viola Peter Jacquemyn Kontrabass Die beiden Sängerinnen, Baadma und Saadet, haben ähnliche Wurzeln. Saadet Tüköz ist türkisch-kasachischer Herkunft, Badamkhorol Samdandamba kommt aus der Mongolei. Beide Künstlerinnen verbindet eine Musiktradition, in der das Musizieren in ummittelbarer Beziehung zu den umgebenden Landschaften steht. Als diesjähriger Artist-in-Residence der Peter Kowald Gesellschaft verbindet Saadet

Türköz diese musikalische Praxis mit der Tradition des Jazz. In der Zusammenarbeit mit Gunda Gottschalk und Peter Jacquemyn im "Gobi-Quartett" belegen die Musikerinnen einmal mehr, dass die Sprache der Improvisation Menschen verschiedenster Herkunft miteinander verbinden kann. Vor und nach dem Konzert besteht die Gelegenheit, die von Tony Cragg für die Peter Kowald Gesellschaft gefertigten Druckgrafiken „Waldzimmer“ einzusehen und zu erwerben. Eine Veranstaltung der Peter Kowald Gesellschaft / ort e.V.

Bass (USA/Köln) Info unter john.goldsby.de Freitag, 21. Juni 2013 | 20:00 Butterscotch – »Konzert« Sonntag, 30. Juni 2013 | 15:00 Schubert-Zyklus im Alten Pfandhaus »Kennst Du das Land? Franz Schubert und Italien« Natalie Mol – Sopran | Hartmut Schulz Bariton | Margita Linde – Klavier

Hartmut Schulz Wenige Gedichte stehen so sehr für die deutsche Sehnsucht nach Italien wie Goethes „Kennst Du das Land, wo die Zitronen blüh‘n?“, das Lied der Mignon aus seinem Romanfragment „Wilhelm Meisters theatralische Sendung“. Zahlreiche Komponisten haben den Text vertont, mit die berühmteste Fassung stammt von Franz Schubert. Dieses Lied und die anderen Wilhelm-Meister-Lieder Schuberts bilden das Zentrum dieses sommerlichen SchubertLiederkonzerts. Mehr Info: www.schubert-zyklus.de Samstag, 6. Juli 2013 | 20:00 Friedel & Friends – »Konzert« Friedel Kroschewski Git/Voc | Michaela Senger Voc | Mickie Stickdorn Schlagzeug | Holger Trull Bass | Jho Kaufmann Keyboards | Susanne Schulz Violine | Willem Schulz Cello | Johannes Pappert Sax weitere Info: www.friedel-friends.de Skulpturenpark Waldfrieden Cragg Foundation, Wuppertal

Konzerte im Alten Pfandhaus Köln Donnerstag, 20. Juni 2013 | 20:00 John Goldsby Quartett »The New York - Miami Connection« Gary Campbell - Saxophone (USA/ Miami) | Rob Schneiderman - Piano (USA/New York) | Hans Dekker Drums (NL/Köln) | John Goldsby -

William Tucker – Skulpturen 29. Juni bis 1. September 2013 William Tucker gehörte in den 1970er Jahren zu dem Kreis englischer Bildhauer, die 1965 in London als „New Generation“ in der gleichnamigen Ausstellung in der Whitechapel Art Gallery vorgestellt

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Kulturnotizen Galerie Kunstkomplex Adele Mills – Hostage Mixed Media Paintings 7. Juni - 31. Juli

William Tucker – Foto: privat

Hausaltar, 2011, Mischtechnik, 130 x 180 cm heroisch oder quälend als Arbeiterinnen, Raumpflegerinnen, Verkäuferinnen und viele andere mehr vorgestellt werden, sondern um Frauen voller Würde und Anmut, die stolz auf ihre Tätigkeiten verweisen.

Vishnu + Victory, Foto: Buchmann wurden und entscheidende Impulse für die Entwicklung der abstrakten Skulptur und die Erweiterung des Skulpturenbegriffes lieferten. Er gilt heute als einer der wichtigsten Vertreter der abstrakten Bildhauerei, dessen Schaffen mit zahlreichen internationalen Preisen geehrt wurde. Die Cragg Foundation präsentiert im Skulpturenpark Waldfrieden aktuelle Skulpturen, die einen Bezug zur menschlichen Figur haben, in ihrer Form aber nicht direkt zu entschlüsseln und zu benennen sind. Die Werke eröffnen ein weites Feld möglicher Assoziationen und erlangen so eine eindringliche Physis. Skulpturenpark Waldfrieden Hirschstraße 12, 42285 Wuppertal 02 02 / 4 78 98 12-0 Öffnungszeiten: März - November : Di – So von 10 bis 18 Uhr, Dezember Februar: Fr – So von 10 bis 17 Uhr An allen Feiertagen geöffnet www.skulpturenpark-waldfrieden.de Heine-Kunst-Kiosk Trabajadoras del Mundo Arbeiterinnen der Welt Die in Bielefeld lebende, international tätige, argentinische Künstlerin Cecilia Herrero - Laffin stellt im Heine-Kunst-Kiosk Skulpturen und Objekte aus. Bei den Arbeiten von Cecilia Herrero-Laffin handelt es sich nicht agitprop-ähnliche Frauengestalten, die

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Die Ausstellung ist bis zum 30. Juni 2013 zu besichtigen – nach telefonischer Vereinbarung: 0202/475098 und 02191/73162 www.herrero-arte.com/index.html

Artemide präsentiert IN-EI ISSEY MIYAKE Konzeption und Technologie der neuartigen Leuchten für Artemide gehen dabei auf das im Jahre 2010 vom Miyake Design Studio Reality Lab.) entwickelte Projekt „132 5. ISSEY MIYAKE“ zurück. Dieses Projekt bezeichnet eines auf 3D-Geometrie basierenden Mathematikprogramms zur Herstellung von Kleidung. Das Ergebnis ist ein Kleidungsstück aus einem Stück Stoff, das sowohl flach gefaltet werden kann – als auch dreidimensionale Formen annehmen kann. Der Kern des Projekts ist ein vollkommen aus recycelten Materialien hergestelltes Gewebe, das das Licht auf sehr interessante Weise streut. Es handelt sich um eine Faser, die durch die Verarbeitung von PETFlaschen gewonnen wird. Die Flaschen werden dafür mittels einer innovativen Technik verarbeitet, die den Energieverbrauch und die CO2-Emissionen im Vergleich zur Produktion neuer Materialien um bis zu 40 % reduziert. Artemide belebt diese nachhaltigen Artefakte anschließend mit neuester LED-Technologie. Die Leuchtenkollektion IN-EI ISSEY MIYAKE umfasst Steh-, Tisch- und Pendelleuchten.

Frank Marschang e.K., Karlstrasse 37, 42105 Wuppertal Tel 0202-24 43 440, www.lichtbogen-wuppertal.de Di – Fr 10 –18 Uhr und 14 –18.30 Uhr, Sa 11–16 Uhr

Galerie Kunstkomplex, Hofaue 54, Eing. Wesendonkstr. 12, Öffnungszeiten: di – fr 12 – 19h, sa+so unregelmäßig oder nach Vereinbarung – www.kunstkomplex.net


Termine Literaturhaus Wuppertal e.V. 4. 6. 2013 – 19:30 Uhr Jörg Aufenanger: „Bin ich nun ein Trümmerkind...“ Der in Berlin lebende Autor Jörg Aufenanger erzählt in 63 Miniaturen von seiner Nachkriegskindheit im Wuppertaler Zooviertel. Dort hat er bis zu seinem zehnten Lebensjahr gelebt. 5. 6. 2013 – 18:29 Uhr „Kunsthochdrei“: zum 200. Geburtstag von Richard Wagner Dr. Gerhard Finckh spricht über Richard Wagner in der Bildenden Kunst. Musik von Richard Wagner spielen Stefanie Krahnenfeld, Sopran, und Jan Ehnes, Klavier. Ingeborg Wolff liest von Thomas Mann: „Reden zu Richard Wagner“. 11. 6. 2013 – 19:30 Uhr Gabriele Sander liest aus „Gold und Silber. Gedichte“ In der neuen Gedichtanthologie der Literaturwissenschaftlerin Gabriele Sander findet sich eine lyrische Schatztruhe, die den ganzen Reichtum des Doppelthemas Gold und Silber in der deutschen Literatur aufschließt. 25. 6. 2013 – 19:30 Uhr Hermann Schulz: „Mandela & Nelson. Das Rückspiel“ Nach seinem Buch „Mandela & Nelson. Das Länderspiel“ hat der Wuppertaler Autor Hermann Schulz jetzt zum Rückspiel eingeladen. Er liest an diesem Abend im Literaturhaus aus dem zweiten Band von „Mandela & Nelson“. 28. 6. 2013 – 19:30 Uhr Hans Nieswandt: Lesung Der bekannte DJ, Musikproduzent und Buchautor Hans Nieswandt liest an diesem Abend im Literaturhaus aus seinen Texten. Eine Kooperationsveranstaltung mit der Bergischen Universität Wuppertal. www.literaturhaus Wuppertal.de K1 Art-Cafe Im Zentrum von Wichlinghausen, in einem alten Fachwerkhaus, nicht weit vom Wichlinghauser

Markt entfernt, hat seit dem 1. Nov. 2007 in der Oststraße 12 das K1 Art-Café sein Domizil. Neben kulinarischen Angeboten ist Kunst und Kultur das zweite Standbein des neuen Unternehmens. die Idee entstand, Kunstwerken und Künstlern einen öffentlichen Raum zu bieten, wo den Menschen auf entspannte Weise Betrachtung und Auseinandersetzung mit den Kunstwerken ermöglicht wird. Was man in herkömmlichen Galerien kurzzeitig durch eine Vernissage erreicht, wird im Art-Café K1 permanent geboten. Noch bis 9. Juli 2013 Dagmar Mühl-Friebel Keramik-Objekte Marek Wojciechowski Fotografien

Am Samstag, den 8. Juni 2013, findet eine Lesung mit dem Schriftsteller Karl Otto Mühl im K1 statt; ein heiterer Abend mit Geschichten zum Thema „Aus dem Hinterhalt“. Bitte Reservierung unter Tel., 0202 - 260 41 24 da nur begrenzt Plätze vorhanden sind. Einlass 18:00, Beginn 20:00 Uhr. Der Eintritt ist frei! Kontakthof Wuppertal Der Kontakthof ist ein neuer und besonderer Ort im Herzen von Wuppertal, der seine Gäste zum Verweilen, Lachen, Nachdenken wie auch Träumen anregen will. In einem einzigartigen und stilvollen Ambiente wird hier der Café-Besuche zu einer wahren Entdeckungsreise. Gleichermaßen ist der Kontakthof ein Ort der Kultur und Kommunikation und eine Schnittstelle zwischen Künstlern und Publikum. Unser Programm hält dabei vom Theater-, Kabarett- und Kleinkunstprogramm über stilvolle Chanson-Abende und akustischer Live-Musik bis hin zu leidenschaftlichen Talkrunden und berührenden Lesungen eine große Bandbreite bereit, die wirklich für jeden Geschmack etwas zu

bieten hat. Hierbei setzt der Kontakthof auf Gastspiele etablierter Künstler wie auch bewusst und insbesondere auf die Einbindung lokaler Kulturschaffender. Der Kontakthof ist daher auch als ein klares und starkes Bekenntnis zu Wuppertal, seinen Menschen und seiner kulturellen Vielfalt zu verstehen. Er möchte aktiv einem allgegenwärtigen Negativtrend entgegenwirken und gemeinsam mit vielen engagierten und kreativen Menschen Impulse setzen. Samstag, 8. Juni, 20:00 Uhr Weltmusik Salao – Spanisches Flair im Tal Swing Flamenco Latin Pop Mittwoch, 12. Juni, 20.00 Uhr Literatur, Lesung, Hörspiel Michael Baute – Der Hobbit Eine Fortsetzungslesung in sieben Teilen Weitere Termine: 19. u. 26. 6. 20.00 Uhr Sonntag, 16. Juni, 19.30 Uhr Singer, Songwriter, Chanson Christian Surrey [Akustik#Schlacht Wpt] Möge die Schlacht der Töne & Wörter beginnen! Weiterer Termin Sonntag, 21. 7. 19.30 Uhr Samstag, 22. Juni, 20:00 Uhr Rock Stanke ohne Strom Das KontakthofWohnzimmerkonzert www.kontakthof-wuppertal.de

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Kulturnotizen ort – Peter Kowald Gesellschaft Am 21. April wäre Peter Kowald 69 Jahre alt geworden. Mit seiner Energie, seiner Neugier und Kreativität war Peter Kowald Ideengeber, Motor, Seele des ortProjektes. Doch hervorgebracht wurde der ort von allen, die sich bereit erklärten, ihn mit Leben zu füllen: ein organischkünstlerisch-musikalisches Gebilde, eine „soziale Plastik“. Termine Juni 2013 – Artist in Residence Saadet Türköz – Stimme

Sie singt Wiegenlieder, Liebes- und Klagelieder, Heimat- und Heimwehlieder – kasachische, aserbaidschanische, anatolische oder aus der Schwarzmeer-Region stammende Volkslieder. Und sie singt diese

Lieder pur; so pur, dass man das Persönliche und Eigene in der Annäherung an das Fremde spürt. – www.saadet.ch 4. Juni 2013 Eröffnungskonzert AiR – Türköz//Lovens//Oberg 8. Juni 2013 GOBI-Quartett Türköz//Samdandamba//Gottschalk// Jacquemyn 5. Juli 2013 Konzert Blemishes Lumley//Hein//Herzog//Wandt 13. Juli Konzert Duo Kontrasax www.kowald-ort.com

Museum Ludwig Köln Meisterwerke der Moderne. Die Sammlung Haubrich ab 4. August 2012

Leo-Theater Thorsten Hamer als Heinz Erhardt in: Ach Egon Eine Komödie von Heinz Erhardt

Ausstellungsansicht

Premiere Freitag, 14.06.2013, 20 Uhr Inszenierung: Stephan Bleck Öhder Straße 19 A, Tel. 0202 87 07 29 64 www.leo-theater.de

Die Sammlung gilt als eine der besten des Expressionismus in Europa, berücksichtigt aber auch Neue Sachlichkeit und andere Tendenzen der Klassischen Moderne. In der Vorbereitung der Ausstellung und des Katalogs wurden drei bemalte Gemälde-Rückseiten wiederentdeckt, von denen zwei, Ernst-Ludwig Kirchners Fränzi in Wiesen und Alexej von Jawlenskys Variation, noch nie ausgestellt worden sind. Die Neupräsentation wird diese Doppelbilder besonders herausstellen. www.museum-ludwig.de Sparkassen-Finanzgruppe

„Wunderbar, dass unsere Sparkasse einer der größten Kulturförderer Wuppertals ist.“

Die Stadtsparkasse Wuppertal unterstützt Soziales, Kultur und Sport in Wuppertal mit rund 5 Mio. € pro Jahr. Wir sind uns als Marktführer unserer Verantwortung für die Menschen und Unternehmen in unserer Stadt bewusst und stellen uns dieser Herausforderung. Mit unserem Engagement unterstreichen wir, dass es mehr ist als eine Werbeaussage, wenn wir sagen: Wenn’s um Geld geht – Sparkasse

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