Die Beste Zeit Nr.31

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DIE BESTE ZEIT Das Magazin für Lebensart

Ausgabe 31, 2015 - 3,50 Euro

Don Giovanni als netter Kerl Aufführung im Wuppertaler Opernhaus

Grenzgänger Nachruf auf Bernd Köppen

Tansania 19. 10 - 1. 11. 2014 Bericht von Hermann Schulz

Furiose Klangkaskaden Das neue Peter Brötzmann Trio

Erinnerungskultur Wuppertaler Zeitzeugen erinnern sich

Arnulf Rainer Ausstellung im Kunstmuseum Ahlen

Bruce Naumann Ausstellung im Skulpturenpark

Die Grundlagen des guten Tons Steinway & Sons in New York City

Menschenbilder Oskar Schlemmers grandiose Retrospektive

ISSN 18695205

Wuppertal und Bergisches Land

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www.barrenstein.de

„Denn er hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen.“ Psalm 91,11

Erfahrung, Einfühlungsvermögen, Verständnis und Kompetenz. Wir beraten. Wir organisieren. Ob Erd-, Feuer-, See- oder Naturbestattung. Ihre Entscheidung ist uns Verpflichtung. 2

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Editorial Liebe Leserinnen und Leser, und wieder gibt es „Jüdische Kulturtage“ in Wuppertal! Doch Augenblick mal: Was ist das eigentlich – jüdische Kultur? Sind das Filme, Musik, Tänze, Texte, in denen Juden vorkommen oder ein jüdisches Thema verhandelt wird? Geht es da um Religion, spricht man hebräisch? Ist „Alles auf Zucker“ jüdische Kultur? Oder geht es um die Judenverfolgung, um den Holocaust, also um die jüdischen Opfer der deutschen Geschichte? Ist „Schindlers Liste“ jüdische Kultur? Oder ist jüdische Kultur die, die von Juden, von richtigen, echten Juden gemacht ist? Ist ein Jacques Brel-Abend mit Dominique Horwitz, sind die Bilder von Mark Rothko, die Gedichte von Else Lasker-Schüler „jüdische Kultur“? Jetzt gibt es schon zum dritten Mal jüdische Kulturtage in Wuppertal, und immer noch sind diese Fragen nicht beantwortet. Wie schön! Denn so entstand auch in diesem Jahr wieder jene kreative Unruhe, die das Vorbereitungsteam rund um jüdische Gemeinde und Kulturbüro als Segen für seine Arbeit begreift. Wuppertal war schon in der Vergangenheit eine lebendige jüdische Kulturstadt: 2007 zum Beispiel mit der lustigen Ausstellung „Shlock Shop –Jüdischer Kitsch“, 2011 zum Beispiel mit dem unvergesslichen Chorkonzert in der Stadthalle „Jad be Jad“. Selbstredend auch mit der Eröffnung des jüdischen Museums in der Begegnungsstätte. Und nun in diesem Jahr: Über 30 Veranstaltungen werden auf den verschiedenen Bühnen im Tal zu erleben sein – von der Bandfabrik im Osten bis zum Zoo im Westen (jüdische Tiere!), in Opernhaus, Theater und Skulpturenpark und natürlich an den vielen schönen Spielstätten, die unsere Stadt aufzubieten hat – das Café Ada, die CityKirche, Neue Kirche, Thomaskirche, das Begegnungszentrum der Caritas und die Begegnungsstätte Alte Synagoge, das CinemaxX und die Stadthalle. Wir bekommen Besuch aus New York (Musik von Nate Wooley und dem Mivos Quartet), aus Jerusalem (Zeruya Shalev) und aus Berlin (Olga Grjasnowa), das Jüdische Theater Berlin spielt am Engelsgarten, und lusterweckend ist die Aussicht auf eine unterhaltsame Busreise mit Zwischenstops an den Synagogen der Region. Überhaupt das ist der Clou am Ganzen: Die Synagogen öffnen sich, und vor allen anderen natürlich unsere Wuppertaler Synagoge! Wir sind dort eingeladen zu Führungen und Vorträgen und zum Fragenstellen. Dem ist großer Respekt zu zollen, und vor dem Hintergrund des Anschlags im letzten Sommer machen diese Offenheit, diese ausgebreiteten Arme wirklich demütig und dankbar. Mit welcher Begeisterung und Freude, mit welcher Sachkenntnis die Wuppertaler jüdischen Kulturschaffenden das Programm beleben, ist erstaunlich und gewiss auch etwas Besonderes für unsere Stadt. Kein Wunder, dass die Gemeinde oft mit „Kulturgemeinde“ (statt richtigerweise „Kultusgemeinde“) angesprochen wird. Darüber sollte sie sich nicht grämen! Das ganze Programm hier aufzuführen, ist nicht möglich. Zu wenig Platz. Aber gesagt werden muss: Das Ganze ist das Ergebnis einer immer intensiven und engagierten, zuweilen streitlustigen und lautstarken, manchmal auch erheiternden Kooperation zwischen jüdischer Kultusgemeinde, dem Kulturbüro, der Bergischen Musikschule, dem Katholischen Bildungswerk und der Begegnungsstätte Alte Synagoge im Verbund mit verschiedenen ebenfalls sehr konstruktiven Partnern. Genaue Informationen zu den Veranstaltungen vom 25. Februar bis zum 22. März gibt es in einem Programmheft, das in Kürze erscheint und an den üblichen Verteilstellen ausliegen wird. Masal tow! Ulrike Schrader

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TONLEITER

BRITANNIA

ELYSION

CDs zur Konzertreihe im Skulpturenpark Waldfrieden

Werke von Knussen, Watkins, Britten, Woolrich, Birtwistle, Turnage

Kammermusikwerke von Detlev Glanert

Bereits seit 2009 finden im Skulpturenpark Waldfrieden Konzerte mit Kammermusikwerken des 20. und 21. Jahrhunderts im Rahmen der Reihe TONLEITER statt. Die nun vorgelegten CDs wurden von den beteiligten Interpreten exklusiv für die Cragg Foundation eingespielt.

Lebendige, vielseitige Musik britischer Komponisten, deren Werke für eine Verbindung aus Kunstfertigkeit und Zugänglichkeit stehen.

Ersteinspielungen von Kammermusikwerken, insbesondere der im Auftrag der Cragg Foundation entstandenen Komposition „Elysion“.

Erhältlich für je 15 Euro im Skulpturenpark Waldfrieden und über www.skulpturenparkwaldfrieden.de (Onlineshop).

Hirschstraße 12 · 42285 Wuppertal · 0202 47898120

Impressum Die Beste Zeit erscheint in Wuppertal und im Bergischen Land Erscheinungsweise: alle zwei Monate Verlag HP Nacke Wuppertal - Die Beste Zeit Friedrich-Engels-Allee 122, 42285 Wuppertal Telefon 02 02 - 28 10 40, E-Mail: verlag@hpnackekg.de V. i. S. d. P.: HansPeter Nacke Ständige redaktionelle Mitarbeit: Frank Becker, Thomas Hirsch, Matthias Dohmen, Susanne Schäfer, Karl-Heinz Krauskopf Darüber hinaus immer wieder Beiträge von: Marlene Baum, Heiner Bontrup, Antonia Dinnebier, Beate Eickhoff, Fritz Gerwinn, Klaus Göntzsche, Johannes Vesper und weiteren Autoren Erfüllungsort und Gerichtsstand Wuppertal

The art of tool making

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Nachdruck - auch auszugsweise - von Beiträgen innerhalb der gesetzl. Schutzfrist nur mit der ausdrücklichen Genehmigung des Verlages. Gastbeiträge durch Autoren spiegeln nicht immer die Meinung des Verlages und der Herausgeber wider. Für den Inhalt dieser Beiträge zeichnen die jeweiligen Autoren verantwortlich. Kürzungen bzw. Textänderungen, sofern nicht sinnentstellend, liegen im Ermessen der Redaktion. Für unverlangt eingesandte Beiträge kann keine Gewähr übernommen werden. Trotz journalistischer Sorgfalt wird für Verzögerung, Irrtümer oder Unterlassungen keine Haftung übernommen. Bildnachweise/Textquellen sind unter den Beiträgen vermerkt. Titelfoto: Peter Brötzman bei seinem Konzert am 23. November 2014 im Cafe Ada in Wuppertal, Wiesenstraße 6

Foto: Karl-Heinz Krauskopf


Inhalt Ausgabe 31, 7. Jahrgang, Februar 2015 Unter Druck

Neues Kunstwerk, Ingrid Luche

Von der Heydt-Museum von Marion Meyer

Die BBK Druckwerkstatt Wuppertal Bügeln und bügeln lassen

Don Giovanni als netter Kerl Don Giovanni in Wuppertal von Fritz Gerwinn

Seite 8

Seite 12

Seite 14

Seite 20

MKM Museum Küppersmühle Seite 23

Seite 25

Interessantes zum Thema Steuern und Recht Seite 84 von Susanne Schäfer „Bessere Hälften“ von Matthias Dohmen

Seite 85

Kunstmuseum Ahlen Susanne Buckesfeld M. A.

Seite 88

Bewegungen, Lebensgefühle

Bernd Köppen

von Mathias Dohmen Seite 92

Seite 32 Schürzen – eine Be(tracht)ung

Grenzgänger… Seite 35

Zu Sylvie Hauptvogel von Friederike Zelesko

Seite 96

Ein Tag

Erinnerungskultur

von Dorothea Müller Seite 98

Seite 39 Eine Liebeserklärung…

Die Grundlagen des guten Tons

von Erika Flüshöh-Niemann Seite 100

Seite 44

Alice im Wunderland Uraufführung einer Kinderoper von Fritz Gerwinn

Seite 81

Arnulf Rainer

Oskar Schlemmer, Menschenbilder

Steinway & Sons in New York von Stefan Altevogt

Achterbahn zwischen Kulturen von Angelika Zöllner

Yin und Yang

Malerische Grenzauflösungen

60 Jahre nach dem Holocaust von Ulrike Schrader

Seite 80

Paragraphenreiter

Her Songs – My Songs

zwischen Moderne und Jazz von Rainer Widmann

Seite 72

Safeta Obhodias Seite 18

Ein Nachruf von Christoph Irmer

Seite 67

von Karl Otto Mühl

Museum Ludwig Köln

Staatsgalerie Stuttgart von Rainer K. Wick

Der Künstler Barlach Heuer von Karl-Heinz Krauskopf

Seite 17

Andrea Büttner. 2

Opernhaus von Christina Marquardt

Kurzer Bericht von Hermann Schulz

Reine Seele

Relax, enjoy and smile! Stefan Walz – „Nightradio“ von Frank Becker

Seite 62

Sehnsucht sucht!

Bruce Naumann Skulpturenpark Waldfrieden von Anita Haldemann

Doormen in New York City von Stefan Altevogt Tansania 19. 10 - 1. 11. 2014

Furiose Klangkaskaden Peter Brötzmann im Cafe ADA von Rainer Widmann

Seite 60

Seite 6

Neue Kunstbücher Geschichtsbücher, Buchgeschichten Seite 104

Seite 54

Wuppertaler Lesereihen

Kulturnotizen

von Marina Jenkner

Kulturveranstaltungen in der Region Seite 58

Seite 107

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Ingrid Luche Ein neues Kunstwerk für das Von der Heydt-Museum Wuppertal

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Im Rahmen der groß angelegten dezentralen Ausstellungsinitiative „25/25/25“ bringt die Kunststiftung NRW aus Anlass ihres 25-jährigen Bestehens 25 internationale Künstlerinnen und Künstler mit 25 städtischen Museen des Landes zusammen, um die Öffentlichkeit neu für die einzigartige kulturelle Bedeutung der Museen in Nordrhein-Westfalen zu sensibilisieren.

Die Künstlerinnen und Künstler wurden von einer renommierten Expertengruppe ausgewählt und darum gebeten, aus der Begegnung mit der jeweiligen Sammlung ein neues Kunstwerk zu entwickeln, welches das Profil des Museums reflektiert. Dieses „Porträt“ einer jeden Institution geht in den Besitz des jeweiligen Museums über. Zusätzlich ist es für einen gewissen


Zeitraum auf großen Plakatwänden in der Stadt zu sehen sein, um so den Blick der Bürgerinnen und Bürger auf das Museum ihrer Stadt zu lenken. Zu den ausgewählten Museen gehört auch das Von der Heydt-Museum. Die französische Künstlerin Ingrid Luche (geb. 1971) hat für das Museum in

Wuppertal eine Intervention im Eingangsbereich des Museums erarbeitet. Dort, im Erdgeschoss, wo sich Empfang und Museumsshop befinden, öffnet sich im hinteren Teil ein großer Raum, dessen Funktion nicht festgeschrieben ist. Diesen Raum akzentuiert Luche mit einem golden-funkelnden Vorhang als Bühne. Die glänzende textile Oberfläche bündelt

der Inszenierung. Ingrid Luche verzichtete darauf, ein „Werk“ im klassischen Sinne anzufertigen und nimmt sich stattdessen der Ausstattung des Museums an – der Vorhang setzt das Museumsfoyer buchstäblich „in Szene“. Mit „The Gold, The Night & The Noon“ fügt Luche eine geringfügige Verschiebung zwischen Ort und Zeit ein:

das vom Obergeschoss herabfallende Tageslicht und lässt einen Hauch von Disko-Glamour in die sachlich-gediegenen Museumshallen einziehen.

Der glamourös schimmernde Vorhang eines nächtlichen Theaters bringt leuchtenden Glanz in die mittägliche Museumsatmosphäre.

Der künstlerische Eingriff in die Raumsituation und architektonischen Gegebenheiten des Museums – das Ersetzen des bisherigen Vorhanges durch einen neuen – ist eine subtile Geste, die jedoch eine nicht zu übersehende Wirkung erzielt. Dabei ist Luches Reaktion auf den Kontext immer eine Mischung aus persönlichen, sozialen und strukturellen Fragestellungen und Anliegen, die sie in einer Institution vorfindet bzw. dort verhandelt. Mit „The Gold, The Night & The Noon“ setzt sich die Künstlerin mit dem Kontext der repräsentativen Auswahl der Meisterwerke von Emil Nolde, James Ensor, Max Beckmann und Edward Munch, die das Museum zeigt, auseinander. Die Intervention ist ein Wechselspiel von Unterordnung in den gegebenen Kontext und der Dominierung desselbigen durch die Strategie

Am Sonntag, 29. März, 11.30 Uhr, findet ein Künstlergespräch mit Ingrid Luche und Thibaut de Ruyter im Von der Heydt-Museum, Turmhof 8, 42103 Wuppertal, statt. Eintritt frei. Ansonsten ist das Kunstwerk jederzeit während der Öffnungszeiten im Forum des Museums zu besichtigen. Von der Heydt-Museum Turmhof 8, 42103 Wuppertal Telefon 0202 563-6231 Marion Meyer Fotos: Museum Öffnungszeiten: Di – So 11 – 18 Uhr Do bis 20 Uhr www.von-der-heydt-museum.de

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Don Giovanni als netter Kerl Don Giovanni in Wuppertal Musikalische Leitung: Andreas Kowalewitz Inszenierung / Bühne: Thomas Schulte-Michels, Kostüme: Renate Schmitzer, Chor: Jens Bingert Besetzung: Don Giovanni: Josef Wagner Leporello: Hye-Son Sonn, Donna Anna: Tatiana Larina, Donna Elvira: Marianne Fiset Don Ottavio: Emilio Pons, Komtur: Ramaz Chikviladze, Masetto: Damien Pass Zerlina: Ralitsa Ralinova

Die Wuppertaler Bühnen spielen in dieser Saison im Normalfall alle Aufführungen einer Oper nacheinander im Block, im Sinne des Stagione-Prinzips. Beim „Don Giovanni“ wird aber eine Ausnahme gemacht. Die Oper wird 2015, am 5., 6. und 7. Juni wiederaufgenommen. Nicht nur Musiklehrern, die mit ihren Klassen oder Kursen eine Oper besuchen wollen, empfehle ich, sich diese Termine zu merken. Diese Inszenierung ist nach meiner Einschätzung für Schüler und für einen ersten Opernbesuch bestens geeignet.

Beim Eintreten ein ungewohntes Bild: Das Orchester stimmt auf der Hinterbühne, davor eine Art Zirkusarena, keine Kulissen. Wie soll das gehen: Fast konzertant, Standtheater? Das Programmheft klärt auf: Thomas Schulte-Michels, sowohl für Regie als auch für die Bühne verantwortlich, erklärt dort, er sei kein Bühnenbildner, sondern mache Bühnenräume, und der lebendige Mensch sei das Bühnenereignis. Also kein Don Giovanni im Wald, in der Chefetage eines Konzerns oder in der Kirche, wichtig ist nur die Art, wie die Akteure dies auf die Bühne bringen. Deshalb gibt es auch keine spektakulären Theatereffekte: das Duell ist ein Unfall, von Don Giovannis Schloss sieht man nichts, und auch auf das Höllenfeuer am Schluss wartet man vergebens. Trotzdem Riesenbeifall am Schluss, weil die Inszenierung in sich stimmig, ideenreich und bis in die Details ausgearbeitet ist. Zu dieser Reduktion kommt noch eine andere: die Ambivalenz Don Giovannis wird nicht gezeigt, dass er auch ein Widerling, gar ein Verbrecher ist, diese Züge werden eher verdeckt und das Eroberungspotential deutlich

mehr hervorgehoben. Der gesamte Raum der Bühne wird benutzt. Hinter dem Orchester fährt ein Podest u.a. für den Komtur hoch und runter, einige Auftritte erfolgen mitten durchs das Orchester, Don Ottavio bittet die Orchestermitglieder um Hilfe für seine ohnmächtige Verlobte, den Friedhof symbolisieren blaue Kreuze im Orchester. Ganz viel passiert aber direkt an der Rampe, und zwar ganz vorne, und wenn sich das Geschehen nur einen halben Meter vor den ersten Zuschauern abspielt, muss man mit guten Sängerdarstellern gut gearbeitet haben. Und das war ganz offensichtlich der Fall. Den sieben Akteuren, vielen Wuppertaler Opernfreunden noch nicht bekannt, weil sie zum großen Teil bisher eher an mittleren und kleineren Häusern gesungen haben, konnte man nicht nur mit Genuss zuhören, sondern auch zusehen. Gesang und Körpersprache, besonders die Mimik, passten perfekt zusammen. Schade, dass man von ihnen nach der Aufführungsserie nichts mehr hören wird und ihre weitere Entwicklung auch nicht mehr verfolgen kann, es sei

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denn, dass nach dem Abgang Kamiokas ein neuer Opernintendant sich an den einen oder die andere erinnert. Um die Publikumsgunst buhlten die beiden Hauptdarsteller, Josef Wagner als Don Giovanni mit satter und beweglicher Stimme und Hye-Soo Sonn als Leporello, der die komödiantischen Seiten auch musikalisch wunderbar darstellte. Ohne Tadel auch die Sängerinnen: Tatiana Larina als Donna Anna, die bisher nicht gekannte charakterliche Facetten zeigte, etwa wenn sie mit Grablichtern in den Händen tanzt; Marianne Fiset als Donna Elvira, die auf der einen Seite furienhaft schrill sang und agierte, andererseits dem die lyrischen Passagen gekonnt entgegen setzte. Ralitsa Ralinova brachte die Zerlina als selbstbewusste junge Frau über die Rampe; sehr schön, wie sie den ohnehin schon kräftig verprügelten Masetto während ihrer zweiten Arie nach allen Regeln der Kunst zusammenfaltet. Auch dieser, von Damien Pass gesungen, und Ramaz Chikviladze als Komtur ließen keine Wünsche offen. Besonders gefallen hat mit Emilio Pons vor allem wegen seiner äußerst differenziert eingesetzten dynami-

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schen Schattierungen als Don Ottavio (nach der Meinung des Regisseurs ein MarathonMann). Das alles gelang auch deshalb, weil das Wuppertaler Orchester wieder seine hervorragende Qualität zeigte, unter dem sensiblen und sängerfreundlichen Dirigat von Andreas Kowalewitz, der auch die Rezitative am Cembalo spielte. Zu den guten Ideen des Regieteams zählt auch die Kostümierung (Renate Schmitzer): eine Mischung von Zirkuskleidung und Typisierungen der Commedia dell`Arte mit leichter Ironisierung. Alle haben rote Punkte auf den Wangen; die Chormitglieder tragen die gleichen Kostüme wie Zerlins und Masetto. Der Chor hat übrigens nur einen Auftritt im ersten Akt, der ist aber bravourös: Bei Don Giovannis Fest schweben zuerst Luftballons hinter dem Orchester, bevor die Polonaise die Vorderbühne erreicht. Dass dann drei verschiedene Tänze gleichzeitig ablaufen, wird leider nicht verdeutlicht und somit szenisch verschenkt, die Tänze und Versuche der Bauern, höfische Tänze nachzumachen, stiften aber so viel Verwirrung,

dass Zerlina tatsächlich aus dem Blick gerät. Einige Details der Inszenierung: Die alte Frage „Was geschah wirklich in Donna Annas Zimmer?“ wird zumindest angedeutet, denn diese trägt bei ihrem ersten Auftritt unter ihrem Morgenmantel nur zarte Unterwäsche und Strapse. Leporellos Register ist diesmal ein Koffer mit vielen Bildern, mehrfach hinund hergeworfen; die Waffen der Bauern sind lächerlich unbrauchbar; wer links vorne sitzt, bekommt von Leporello einen angebissenen Fasanenschenkel angeboten; die Hitparade des Entstehungsjahrs mit dem Selbstzitat aus dem „Figaro“ in der Schlussszene wird breit und vergnüglich ausgespielt. Besonders gelungen ist aber Don Giovannis Ständchen: die Zofe Elviras ist das Publikum, und Don linke Seite: Ramaz Chikviladze (Komtur), Sebastian Geyer (Don Giovanni), Sinfonieorchester Wuppertal (Sebastian Geyer und Josef Wagner singen abwechselnd den Don Giovanni) unten: Marianne Fiset (Donna Elvira) und Ralitsa Ralinova (Zerlina)


Giovanni verteilt Rosen an die Damen. In der von mir besuchten Aufführung versuchte er zum Vergnügen des Publikums dreimal, einer Schönen auf dem Balkon eine Rose zuzuwerfen. Dreimal vergeblich, aber ein gutes Training für die nächste Aufführung. Überhaupt werden die komödiantischen Elemente betont, und Schulte-Michels lässt die schurkischen Elemente, die Don Giovanni auch eigen sind, hinter die verführerischen und charmanten Elemente zurücktreten, stellt das „Urbild des Sinnen-Libertins“ in den Vordergrund. Deshalb wird er am Schluss lächelnd und Wein trinkend wieder aus dem Untergrund hochgefahren. Alle anderen, vor allem die Damen, scheint das zu freuen, und so widersprechen sie lachend dem moralinsauren Text „Also stirbt, wer Böses tut“, den sie singen müssen. Rätselhaft, warum schon in der zweiten Aufführung trotz positiver Kritiken in der Lokalpresse das Opernhaus halb leer blieb. Ob viele Wuppertaler dem neuen Opernintendanten, dessen vorzeitige Vertragsauflösung inzwischen beschlossene Sache ist, noch seinen Ensemble-Kahlschlag verübeln? Oder war es einfach ungeschickt, den „Don Giovanni“ dreimal an drei aufeinander folgenden Tagen anzusetzen? Schade jedenfalls, denn diese Inszenierung ist als Einstieg für junge Leute bestens geeignet, weil sie kurzweilig und vergnüglich ist und nicht überfordert. Das zeigte mit der heftige Beifall einer Schulklasse in der ersten Reihe. Einige davon werden bestimmt wieder ins Opernhaus kommen, ziemlich sicher die beiden Schülerinnen, denen Don Giovanni bei seinem Ständchen eine Rose schenkte. Und wenn sie wiederkommen, werden sie sicher in anderen Inszenierungen noch Don Giovannis andere Seite kennenlernen. Fritz Gerwinn Fotos: Uwe Stratmann linke Seite: Sebastian Geyer (Don Giovanni) und Hye-Soo Sonn (Leporello) oben: Marianne Fiset (Donna Elvira) und Sebastian Geyer (Don Giovanni) Mitte: Damien Pass (Masetto) und Ralitsa Ralinova (Zerlina) unten: Emilio Pons (Don Ottavio) und Tatiana Larina (Donna Anna)

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Furiose Klangkaskaden Lyrische Soundteppiche – Das neue Peter Brötzmann Trio im Cafe ADA Furios und dynamisch, mit den seit vielen Jahren bekannten schreienden Saxophonsalven zum Auftakt, begleitet von kraftvollen Drumschlägen begann am 23. November letzten Jahres, das Konzert mit Peter Brötzmann im Cafe Ada in Wuppertal, wo er auf Einladung der Jazz AGe Wuppertal sein aktuelles Trio vorstellte.

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Mit dem elegant, virtuos und immer präzise auf den Punkt spielenden englischen Schlagzeuger war Brötzmann schon einmal bei einem Konzert im Skulpturenpark zu erleben. Bei der Herbsttournee hatte der Saxophonkoloss mit Jason Adasiewicz nun noch einen jungen Vibraphonisten aus Chicago dabei, der seine Schlägel mit enormem Tempo über die Metallplatten jagte und Brötzmanns Saxophonausbrüche ebenbürtige Klangkaskaden entgegensetzte. Wenn man dachte, dass die Brötzmannschen Eruptionen keinen Raum für ein solch vergleichsweise „leises“ Instrument wie das Vibraphon lassen, wurde man bei dem Wuppertaler Auftritt des Trios eines besseren belehrt. Allerdings zeigte sich Wuppertals weltberühmter Protagonist der frei improvisierten Musik bei seinem Novemberkonzert auch über weite Strecken von seiner ruhigen, oft richtiggehend lyrischen Seite, wenn er in seine Saxophone, die B-Klarinette und das von ihm schon seit Jahren verwendete Tárogató, ein ungarisches hölzernes Saxofon, bläst.

„Gewaltige Klangkaskaden mündeten in intensive, fein strukturierte, leise Abschnitte und umgekehrt. Gefühlvolles Schlagzeugspiel alternierte mit treibenden Rhythmen. Feine glockenartige Klangteppiche seitens des Vibraphons lösten impulsive, wirbelnde Klangausbrüche ab. So wurden herrliche musikalische Spannungsbögen aufgebaut“, schrieb Hartmut Sassenhausen in der WZ am 24.11.14 über das Konzert, bei dem sich das begeisterte Publikum auch noch eine kurze Zugabe erklatschte. Der im voll besetzten Ada über die Bühne gegangene und begeistert von rund 200 Besuchern bejubelte Auftritt, was das Abschlusskonzert einer Europatournee, die die Drei durch Polen, Österreich, Deutschland und England führte. Von allen Jazzinnovatoren ist Brötzmann derjenige, der am radikalsten mit allen Traditionen gebrochen hat. Das Musikmagazin Rolling Stone hat Peter Brötzmanns „Machine Gun“ Album von 1968 im November 2013 als einziges deutsches Album zu den 100 besten Jazzalben erklärt: „Jeder Ton schreit“, wurde die damals im


Eigenverlag veröffentliche LP kommentiert, die mit Platz 33 sogar im vorderen Drittel der Liste platziert ist und damals beim Erscheinen im SPIEGEL als die bislang „radikalste Jazz-Absage an den Wohlklang“ vorgestellt und kommentiert wurde. Seit den frühen 60ern aktiv, wird Brötzmann, der sowohl 2005 mit dem Wuppertaler Von der Heydt-Kulturpreis, als auch 2011 mit dem Deutschen Jazzpreis für sein Lebenswerk geehrt wurde, nie müde, sich in immer neuen Konstellationen selbst herauszufordern – mal in großer Besetzung wie mit dem Chicago Tentet, mal in kleineren Formationen wie im Duo mit dem britischen Schlagzeuger Steve Noble. Noble ist seit seinen musikalischen Anfängen im Free-JazzPunk-Kollektiv Rip Rig & Panic (mit Neneh Cherry) ein ebenso umtriebiger wie neugieriger Geist, der schon mit einer Vielzahl renommierter englischer Jazz- und Improviationsmusiker über zwei Dutzend Alben eingespielt hat und sich als kongenialer musikalischer Konversationspartner für Brötzmann etablierte. Der aus Chicago stammende Vibraphonist Jason Adasiewicz ist mit seinen 36 Jahren nicht einmal halb so alt wie der inzwischen 73-jährige Brötzmann. Er studierte JazzSchlagzeug am DePaul College in Chicago und spielte in Rockclubs und Big Bands, bevor er Anfang der 2000er Jahre zu der Chicagoer Jazz- und Improvisations-Szene stieß. Vor kurzem ist auch die erste CD dieses aktuellen Brötzmann-Trios veröffentlicht worden, deren Hülle auch das Plakatmotiv des Wuppertaler Konzertes ziert. Rainer Widmann Fotos: Karl-Heinz Krauskopf

CD-Tipps: • Peter Brötzmann, Jason Adasiewicz und Steve Noble haben vor kurzem zusammen mit dem Bassisten John Edwards, die im Cafe OTO in London im August 2013 mit geschnittene CD „Mental Shake“ veröffentlicht; (OTOROKU 010). • Peter Brötzmann/Steve Noble: „I am here where are you“ ist ein im Januar 2013 in Brüssel mitgeschnittener Duoauftritt, veröffentlicht bei Trost-Records Austria; (Trost, TR 122).

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Bruce Naumann Ausstellung im Skulpturenpark bis 8. März 2015

BeschriebeneKombinationen-1 linke Seite: HandPais M1, 1996

Der 1941 in Fort Wayne, USA, geborene Bruce Nauman ist einer der wichtigsten Künstler der Gegenwart. Seit dem Beginn seiner Karriere in den späten 1960erJahren in Los Angeles und New York hat er mit eindringlichen Zeichnungen, Fotografien, Video- und Neonarbeiten, Plastiken und Installationen eine Kunst geschaffen, die nicht nur die Rolle des Künstlers, sondern auch jene des Rezipienten herausfordert. Nauman ging so weit, den Betrachter durch seine Werke mit der „Wucht eines Handkantenschlags“ treffen zu wollen, wie er es selbst formulierte. Er kreiert mit seinen Werken Versuchsanordnungen, die präzise Erfahrungen ermöglichen, etwa mit der Corridor Installation (1970), ein stets schmaler werdender Gang, in dem der Ausstellungsbesucher in die Enge getrieben wird und dies auf einem Videobildschirm selbst beobachten kann.

im Einsatz der Mittel. Seit den 1960erJahren benutzt er immer wieder seinen eigenen Körper als „leicht verfügbares Material“, so etwa 1967 in der 4-teiligen Performance Art Make-Up, die er mit 16-mm-Film dokumentierte. Nacheinander trug er vier Mal zehn Minuten lang sorgfältig eine jeweils andere Farbe auf Gesicht und Oberkörper. Zunächst Weiss, dann Rosa, Grün und Schwarz. Nauman zeigte sich der Kamera, versteckte sich aber dann durch den sehr ruhig, fast meditativ ausgeführten Akt des Schminkens hinter einer Maske. Dennoch artikuliert die Performance nicht nur den Wunsch, sich zu verbergen, sondern auch jenen, die sich wiederholende Verwandlung vom Ich zum Fremden sichtbar zu machen. Nauman entzieht sich durch das Schminken der Bestimmbarkeit seiner Identität und thematisiert damit seine Rolle als Künstler.

Naumans Werk zeichnet sich durch eine grosse technische, formale und mediale Vielfalt aus, stets aber bleibt er sparsam

Der repetitive Charakter dieser Performance-Aufnahmen, wird im Video Lip Sync von 1969 auf die Spitze getrieben:

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Nauman benutzte hier eine portable Videokamera, die damals erst seit kurzer Zeit preiswert zu kaufen und damit für Künstler erschwinglich geworden war. Er stellte sie auf den Kopf und rückte sie nahe an sein Gesicht. Vorher hatte er eine Tonaufnahme gemacht, für die er fast eine Stunde lang die Worte „Lip Sync“ (Abkürzung für Synchronisation) wiederholte. Diese Tonspur hörte er über den Kopfhörer, während er sich filmte und versuchte, das Gehörte möglichst exakt nachzusprechen. Der Betrachter des Videos hört aber nicht die Tonspur des Films, sondern die ursprünglich Tonspur, die meist nicht genau mit den Lippenbewegungen übereinstimmt. Man stelle sich vor, wie anstrengend es gewesen sein muss, die Tonspur und dann die Videoaufnahme von fast 60 Minuten herzustellen. Als Betrachter ist man ebenfalls gefordert: Einerseits strapaziert die endlos scheinende Wiederholung des Videotitels und die ungenaue Synchronisierung die Geduld, ja sie kann gar enervieren, weil nichts Neues passiert. Andererseits kann das Video auch in denn Bann ziehen und, wenn man sich ihm ausliefert, kann sich eine hypnotische Wirkung entfalten. Diese Art des Zusammenspiels eines Selbst-Experiments mit dem eigenen Körper, dessen vielfache Wiederholung während einer längeren Zeitdauer sowie die Synchronisierung mit dem gesprochenen Text steht auch in der Projektion Beschriebene Kombinationen von 2011 im Zentrum. Die beiden Hände des Künstlers, deren Handflächen dem Zuschauer zugewandt sind, zeigen eine Abfolge von 31 Kombinationen, wie sich die vier Finger und der Daumen zusammen oder einzeln strecken lassen. Dazwischen kehrt die Hand jeweils zur Fauststellung zurück. Dieser „Hand-Performance“ liegt eine Tonaufnahme zugrunde, auf der die Beschreibung dieser Handstellungen durch den Künstler zu hören ist. Indem er jeweils die Finger nannte, die gestreckt werden sollten, gab er sich selbst Anweisungen für die Performance. Wie kräftezehrend das ist – sofern man überhaupt über die nötige Fingerfertigkeit verfügt –, ist darin sichtbar, dass Naumanns Finger manchmal zu zittern beginnen. Für die deutschsprachige Version hat der Künstler

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eine neue Tonspur herstellen lassen, die über die Filmaufnahme gelegt wurde: Vier Schauspieler – zwei Frauen und zwei Männer – schauten sich getrennt voneinander die tonlose Filmspur an und mussten in deutscher Sprache die Finger nennen, die jeweils gestreckt wurden, was manchmal nur mit einer Verzögerung gelang. Die vier Tonaufnahmen sind also nicht nur einzeln nicht ganz synchron mit den Fingerbewegungen, sondern die vier gleichzeitig abgespielten Stimmen unterscheiden sich derart, dass sie nur in wenigen Momenten gleichzeitig einen bestimmten Finger bezeichnen oder stumm sind. Wie Lip Sync hat dieses Werk den Charakter einer Etüde, den eines fast zwanghaft ausgeführten Exerzitiums, das sich ganz ruhig abspielt. Beide erinnern an Minimal Music, die zu der Zeit aktuell wurde, als Nauman seine ersten Filmaufnahmen von Performances machte. Die Fingerübungen der neueren Arbeit stellen diesen Bezug zur Musik auch über die Assoziation mit Klavierübungen her. Diese Werke von Nauman vermitteln auf einer anderen Ebene die Erkenntnis, dass Synchronisation oder - pointierter formuliert – Gleichschaltung von körperlichem und sprachlichem Ausdruck nur beschränkt möglich ist, dass sich die Individudalität durchsetzt. Hände sind im Werk von Nauman ein Thema, seit er um 1965 Fingerabdrücke in der Oberfläche seiner ersten Fiberglasskulpturen hinterlassen hat. 1994 hat er bei Gemini eine Serie von acht Radierungen mit dem Titel Fingers and holes gedruckt. Er hatte dafür die eigenen Hände gezeichnet, wie sie Gebärden ausführen, die mehrheitlich unbekannt sind, als wollte er eine geheime Zeichensprache entwerfen. 1996 folgten Bronzeplastiken von Handpaaren, die sich in unterschiedlichster Art berühren oder gar verschränken. Die in weisse Bronze gegossenen Pair of Hands verharren in einer Pose, die aus einem Handballett stammen könnte. Während eine Hand auf einer Fläche verankert ist, schwebt die andere scheinbar schwerelos darüber, zumindest berühren sich die Finger nur leicht. Die Hände wirken lebensnah, weil es Abgüsse sind (am linken Ringfinger ist der Ehering von Nauman sichtbar). Deshalb haben die Schnittflächen bzw.

die Trennung vom restlichen Körper auch etwas Unheimliches und wirken zusätzlich brutal wenn man berücksichtigt, dass es sich um die Hände des Künstlers handelt. Hände sind nach dem Gesicht die Körperteile mit dem grössten Ausdruckspotential. Sie bringen den Charakter eines Menschen fast ebenso gut zum Ausdruck, und sie können durch ihr Gestenvokabular auch kommunizieren. Sie können aber auch Angst auslösen oder Gewalt ausüben, was sie bei früheren Neon- oder Videoarbeiten von Nauman auch oft tun. Die überdimensionierte Hand der mobileähnlichen Plastik, die an der Decke aufgehängt ist (Untitled, 1986) weckt in der Kombination mit kleineren Körperteilen die Assoziation mit Schmerz und Tod. Zwei Beine, zwei Torsi, ein Arm und die übergrosse Hand bilden die verschiedenen Arme eines dreidimensionalen Kreuzes, das an einer Hängevorrichtung befestigt ist. Die Körperfragmente, eigentlich Querschnitte derselben, sind aus Karton ausgeschnitten und behelfsmässig mit Holz, Seil und Heftklammern fixiert. Die abgetrennten Körperteile und die Tatsache, dass das ganze Werk von der Decke hängt, unterstreichen die Brutalität, die implizit zum Ausdruck kommt. Der Standpunkt des Ausstellungsbesuchers, der das Werk aus der Nähe nur von unten sehen kann, dort aber je nach Körpergrösse an die Plastik zu stossen droht, ist wesentlich für die Wirkung. Ohne pädagogisch ausgerichtet zu sein, hat Naumans Kunst eine gesellschaftspolitische Qualität, indem sie den Betrachter nicht nur ästhetische Erlebnisse vermittelt, sondern ihn als Mitglied der Gesellschaft erreicht und bewegt. Mit Werken, die unangenehm und gar verstörend wirken können, stellt er Themen wie Macht und Gewalt, Zwang und Gleichschaltung ebenso ins Zentrum seiner Arbeit wie die Definition von gesellschaftlichen Rollen, etwa die von Täter und Opfer. Anita Haldemann Skulpturenpark Waldfrieden Hirschstraße 12, 42285 Wuppertal Tel. 0202 / 47898120 www.skulpturenpark-waldfrieden.de


Relax, enjoy and smile! Stefan Walz – „Nightradio“ Am vergangenen Freitagabend stellte sich ein Schauspieler der neuen Wuppertaler Bühnen mit einem Solo-Programm als „Visitenkarte“ seinem Publikum vor. Schnell aber wurde deutlich: hier ist ein Multitalent am Werk, ein Mann der das seelenvolle Spiel auf seiner Gibson J-45 und als Sänger den Blues, den Rock und den gehobenen Popsong offensichtlich ebenso im Blut hat und beherrscht wie die Schauspielkunst, mit der er jüngst als Werner in der „Minna von Barnhelm“ und zuvor in der umstrittenen Wuppertaler „Müllerin“-Inszenierung überzeugt hatte: Stefan Walz.

Foto Sebastian Eichhorn

Ein Mann, seine „fette“ Stimme, eine Gitarre und ausgerechnet eine Flasche Radeberger (!) genügten, um, während draußen der Januar-Regen peitschte, die Illusion einer heißen Sommernacht aufzubauen, durch die Radio-DJ Aristoteles Bonaventura seine Hörer mit Songs und Kommentaren begleitet. Es wurde heiß, Stefan Walz war heiß - Wolfman Jack war gestern. Man staunte daß bei den groovenden, bluesigen, rockigen Sounds, die die Temperatur im Saal merkbar in die Höhe trieben, nicht die Brandmelder auslösten, die Sprinkleranlage nicht aktiviert wurde. Songs und Balladen von u.a. Willie Dixon („I Wanna Make Love To You“), Louis Prima (Buona Sera, Signorina“), Carole King/James Taylor („Will You Still Love Me Tomorrow“), Rolling Stones („Melody“) ließen die inklusive Zugabe (mit Stray Cats Rock n Roll) 90 Minuten dieses denkwürdigen Solo-Abends wie im Flug vergehen. Schnell hing das Publikum im ausverkauften Haus an Aristoteles Bonaventuras Lippen, schnippte und wippte – und wollte ihn zum Schluß am liebsten gar

nicht von der Bühne lassen. Kein Wunder bei so phantastischen Interpretationen wie „Makin´Whoopee“ von Donaldson/ Kahn, Rory Gallaghers Guinness-haltigem „Walking Blues“, der ur-schottischen „Rambling Rovers“. Stefan Walz zeigte sich mit Bottleneck, Plug, Slide, Muddy Waters, John Lee Hooker und dem Stones-Hit „You Got To Move“ als Meister des Guitar-Blues. Wandelbar in Stimme, Körpersprache, Stil, Slang und Person schlüpft er in die Haut der präsentierten Künstler, wird zu Muddy Waters, Willie Dixon, John Lee Hooker und all den anderen dieser herrlich heißen Nacht des „Nightradio“ mit Aristoteles Bonaventura. Mit dem zutiefst nachfühlbaren „Constipation Blues“ von Screaming Jay Hawkins, den er im Ausdruck locker übertraf (hier zeigte sich der Schauspieler) schoß Stefan Walz den Vogel ab. Ein brillantes Programm – am 15. Februar, 18.00 Uhr noch einmal zu erleben im Theater am Engelsgarten in Wuppertal. Wenn die Musikindustrie den Künstler bis dahin nicht für sich vereinnahmt hat. Frank Becker

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Andrea Büttner. 2 Ausstellung im Museum Ludwig Köln Bis 15. März 2015 Kuratorin: Julia Friedrich Das Unbeachtete ins Licht zu rücken, darin besteht die Kunst von Andrea Büttner. Schon seit fast zehn Jahren geht die Künstlerin in ihren Videos, Holzschnitten, Fotografien und Objekten religiös und kulturell befrachteten Begriffen wie Armut, Scham und Wohltätigkeit nach.

Portrait Andrea Büttner, 2014 Foto: Heidi Pfohl

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2 – der Titel ist Programm. Der größte Raum des Museums ist in zwei Teile geteilt, einen hellen und einen dunklen. Im dunklen zeigt Andrea Büttner ihre neueste Video-Installation Piano Destructions 2014. Zu sehen ist einerseits historisches Material – Künstler, fast ausschließlich Männer, die Klaviere zerstören –, andererseits eine eigene Performance, in der neun Pianistinnen synchron Stücke von Schumann und Chopin spielen. Einander gegenübergestellt werden zwei Formen des Umgangs mit dem Klavier. Die Konfrontation ermöglicht ein neues Nachdenken über Geschlechterverhältnisse, über die Funktion des Klaviers als Instrument der bürgerlichen Mädchenerziehung, über Performancekunst und das Klavier als ihr klassisches – auf jede erdenkliche Weise malträtiertes oder manipuliertes – Requisit. Für einen Holzschnitt hat Büttner selbst ein Klavier zerlegt und seine Teile als Druckstöcke verwendet. Entstanden ist

ein abstraktes Bild aus monochromen Farbflächen, das die Klavierzerstörung, der es sich verdankt, nur noch erahnen lässt. 2 kann aber auch für das Urteilen im Allgemeinen stehen, das sich zwischen zwei Polen – schön und hässlich, cool und peinlich, wichtig und unwichtig – bewegt. Im Zentrum des hellen Teils der Ausstellung steht Immanuel Kants Kritik der Urteilskraft, die „zwei Teile der Philosophie“, nämlich den theoretischen und den praktischen Teil, „zu einem Ganzen verbinden“ will. Dafür wählt Büttner einen ungewöhnlichen Zugang. Sie fragt sich, auf welche Weise konkrete Bilder mit Kants abstraktem Text korrespondieren: welche Bilder Kant beim Schreiben vor Augen gehabt haben könnte, welche beim Lesen vor Augen treten. Mit Dutzenden von Bildern – historischen und heutigen – gelingt es ihr, Kants Begriffe sinnlich zu machen. In großen Offset-Drucken stellt Büttner „Kants Bilder“ zusammen und ordnet sie den Textstellen zu.


oben: 2, Ausstellungsansicht Museum Ludwig Köln, © Andrea Büttner / VG Bild-Kunst Bonn, 2014, Rheinisches Bildarchiv Köln / Britta Schlier Mitte: Piano Destructions Install2 Installationsansicht / Installation view: Piano Destructions, Walter Phillips Gallery, The Banff Centre, Canada, 2014 unten: Moss, 2010 – 14, digitales Bild aus einer Serie von Fotografien Größe variabel

Zur Ausstellung erscheint im Felix Meiner Verlag eine von Andrea Büttner illustrierte Ausgabe von Kants Kritik der Urteilskraft. Andrea Büttner (*1972 in Stuttgart) hatte Einzelausstellungen 2007 im Badischen Kunstverein Karlsruhe, 2011 in der Londoner Whitechapel Gallery, 2013 im Zollamt des Museum für Moderne Kunst (Frankfurt am Main). Auf der dOCUMENTA (13) zeigte sie ihre Arbeit „Little Sisters. Luna Park“. Sie lebt in Frankfurt am Main und London.

Museum Ludwig Heinrich-Böll-Platz, 50667 Köln Tel. 0221 221 26165, Fax 221 24114 info@museum-ludwig.de www.museum-ludwig.de Öffnungszeiten: Di bis So: 10 – 18 Uhr jeden ersten Do: 10 – 22 Uhr Montags geschlossen Eintrittspreise: Erwachsene: 11 Euro, ermäßigt: 7,50 Euro Familien: 22,00 Euro, Kinder unter 18 Jahre: frei in die ständige Sammlung Gruppen: 8,00 Euro pro Person Tickets online buchen! www.museum-ludwig.de

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Her Songs – My Songs Regina Advento und Band im Opernhaus

Im Herbst des vergangenen Jahres konnte man im Opernhaus Wuppertal ein außergewöhnliches Konzert erleben. Die Brasilianerin Regina Advento, bereits seit den 90er Jahren Mitglied des Tanztheaters Wuppertal Pina Bausch und dort schon immer als gefeierte Protagonistin auf der Bühne zu erleben, lud zu einem Konzert auf der großen Bühne ein. Neben dem außergewöhnlichen Konzertort war jedoch vor allem das ausgewählte Programm dafür verantwortlich, dass der Abend in der Tat einzigartig war: Advento schickte das Publikum auf eine Weltreise quer durch alle Länder und Kontinente. Natürlich ist für eine Brasilianerin südamerikanische Musik dabei ein wichtiger Bestandteil – und doch eben auch nur ein Bestandteil. Denn neben einer breiten Palette zwischen Jazz und Pop gab es asiatische Klänge – Advento sang zum Beispiel ein Lied aus Japan im Originaltext – und sogar den „Barbara Song“ aus der Dreigroschenoper von Bertold Brecht und Kurt Weill.

Das Besondere an dieser Zusammenstellung war aber nicht allein die umspannende Weltreise, sondern das gemeinsame, verbindende Element, das diese Lieder ausmachte. Pina Bausch-Zuschauer erkannten nämlich alle Lieder sofort als Musik aus den verschiedenen Stücken des Tanztheaters. Regina Advento hatte, wie sie selbst erklärte, ihre „Lieblingslieder“ aus den Stücken, die Basis für die Choreographie sind, ausgewählt. Und so überwog natürlich die Melancholie, die Ruhe, die auch immer wieder in den Stücken der Choreographin zu erleben ist. „Lady Multimelancolica“ lautet der Titel eines dieser Lieder – und vielleicht könnte der Titel Programm sein. Dennoch war es kein einseitiger, düsterer Abend, den man da auf der großen Bühne des Opernhauses erleben konnte. Regina Advento konfrontierte die Schwere immer wieder mit fetzigen, rockigen Songs bis hin zu Musik von Beth Gibbons, der Sängerin von Portishead, schnellem Jazz (eine Highspeed-Variante des Billie HolidayKlassikers „Romance In The Dark“) und

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lebhafter, leichter, traditionell-folkloristischer Arrangements. Dass Südamerika und vor allem Brasilien hier eine große Rolle spielten, versteht sich von selbst, schließlich ist die Tänzerin und Sängerin in Wuppertal bereits seit vielen Jahren mit ihren KonzertProgrammen vor allem im Bereich des Bossa Nova ein Begriff. Zusammengefasst wurden die unterschiedlichen Stilistiken und Stimmungen von einer Band, die mit Annette Maye (Klarinette), Christoph Iacono (Klavier), Lars Bügel (Gitarre), Jan Kazda (Bass) und Norbert Krämer (Schlagzeug, Vibraphon) immer auf der Suche nach eigenen Farben und Möglichkeiten der Interpretation hervortrat. Die Solistin stets begleitend, stand ein homogener Band-Klang im Vordergrund, der im Opernhaus eine erstaunliche Fülle annahm und trotz der Verstärkung mit dem Klang des Hauses, das sonst ja rein akustisch durch das Orchester bespielt wird, harmonierte. Die Soli, mit denen sich die Bandmitglieder vorstellten, zeigten dabei ein gutgelauntes und bestens einge-

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spieltes Ensemble, das in immer wieder neuen Arrangement-Konstellationen eine erstaunliche Bandbreite an Klangmöglichkeiten und Charakteren präsentierte. Dazu gab es behutsam eingefügte Videoprojektionen (Kai Fobbe), die die Musik unterstützten und die Lieder in ganz eigene Farben und Bilder tauchten, dabei jedoch nie im Vordergrund standen oder die Musik dominierten. Der Abend wurde so zu einem ästhetisch-harmonischen Gesamtkunstwerk. Berührend waren aber vor allem die kleinen Geschichten und Ankündigungen, mit denen Advento die einzelnen Songs vorstellte und in Beziehung zueinander setzte. Ein Hauch der großen Choreographin schien im Raum zu schweben und ließ Erinnerungen entstehen, die mit Pina Bausch und dem Tanztheater, mit ihren Stücken und Abenden untrennbar verknüpft sind. Der Schmerz über den Verlust war noch immer spürbar und doch gleichzeitig auch eine große Dankbarkeit für das besondere

Geschenk, das Pina mit ihrem künstlerischen Erbe hinterlassen hat. Berührend das Lied „See You“, das Regina Advento nach Pina Bauschs Tod mit Christoph Iacono geschrieben hat und als eine zarte Hommage an die Choreographin auf der Bühne des Opernhauses im Raum stand. Das Publikum im nahezu ausverkauften Parkett des Opernhauses reagierte am Ende des Konzerts spontan mit standing ovations und anhaltendem Applaus, so dass sich Regina Advento und Band mit zwei Zugaben für den Abend bedankten. Fast hatte man den Eindruck, als ob eine gegenseitig erwiderte Wärme zwischen Bühne und Zuschauerraum des Opernhauses schwebe, die für diesen Abend zwischen Erinnerung und Aufbruch, zwischen Melancholie und Freude, zwischen Abschied und Wiedersehen die Luft zum Atmen bedeute. „Sometimes all I need is the air that I breathe and to love you.“ Christina Marquardt Fotos: Karl-Heinz Krauskopf


Malerische Grenzauflösungen Ausstellung Ralph Fleck vom 27. Februar bis 26. April 2015 im MKM Museum Küppersmühle für Moderne Kunst, Duisburg

Ralph Fleck Copán 23/V, 2012 Öl auf Leinwand, 200 x 200 cm Privatsammlung © VG Bild-Kunst Bonn 2014 Foto: Ilse Irmgard Klär

Der in Freiburg lebende Künstler Ralph Fleck (geb. 1951) gehört zu den wichtigen Künstlern im Bereich der zeitgenössischen Malerei. Wie kaum ein anderer bewegt er sich konstant und konsequent auf dem schmalen Grat zwischen realistischer und abstrakter Figuration und schafft damit Seherlebnisse, die oft erst auf den zweiten Blick ihren Kosmos offenbaren. Das Museum Küppersmühle präsentiert erstmals in Deutschland einen retrospektiven Überblick und stellt seine maleri-

schen Auslotungen und Umformungen realer Strukturen und Architekturen wie Alpen- und Seelandschaften, Feldstücke, Stadtlandschaften oder Stillleben vor. Die Grenze zwischen Natur (den natürlichen Formen und Strukturen) und Architektur (den gebauten, ‚künstlichen‘ Formen und Strukturen) scheint in seinen Werken aufgelöst bzw. eine Gleichheit zu bilden; seine malerische Geste reicht vom expressiven Duktus bis zu kontrolliert und bewusst gesetzten Flächen.

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oben: Rastro 17/III, 2013 Öl auf Leinwand, 200 x 200 cm Privatsammlung © VG Bild-Kunst Bonn 2014 Foto: Ilse Irmgard Klär unten: Stadtbild 27/X (Berlin), 2013 Öl auf Leinwand, 240 x 240 cm Sammlung Ströher © VG Bild-Kunst Bonn 2014 Foto: Henning Krause Was zeichnet Ralph Flecks Bildsprache aus? Das konsequente Hinterfragen von (Bild-)Strukturen und Realitätsbegriff? Das Ausloten der Grenzen zwischen gegenständlicher und abstrakter Malerei? Das Fehlen einer echten Abbildfunktion durch die ausschnitthafte – und damit beispielhafte – malerische Konzentration auf strukturell gesetzte Formen und Farben, die zwar immer den Bezug zur Realität behalten – also erkennbar, lesbar sind – aber durch Überhöhung oder Fokussierung abstrakt erscheinen? Alle Bilder haben ihren Ursprung im real Gesehenen: Aus unendlich vielen Fotografien, die Ralph Fleck selbst macht, wählt er im nächsten Schritt die Bildvorlage aus. Schon hier sind also der Blick des Künstlers und seine Auswahl – damit seine Handschrift – essentiell, was er dann mit großer Leidenschaft im malerischen Akt umsetzt. Im Laufe seines bisherigen Schaffens hat Ralph Fleck eine eigene Formensprache entwickelt, in der Reduktion, Addition und Wiederholung, das serielle Moment, eine große Rolle spielen. Die Ausstellung zeichnet den Weg des konsequenten Künstlers nach und zeigt, wie sich die künstlerische Geste und Handschrift als malerische Grenzüberschreitungen darstellen. MKM Museum Küppersmühle für Moderne Kunst Innenhafen Duisburg Philosophenweg 55, 47051 Duisburg Telefon 0203 / 30 19 48 -10/-11 www.museum-kueppersmuehle.de Öffnungszeiten Mi 14-18 Uhr, Do / Fr / Sa / So 11-18 Uhr, feiertags 11-18 Uhr Mo / Di geschlossen

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Menschenbilder Oskar Schlemmers grandiose Retrospektive in der Staatsgalerie Stuttgart

Schwebebahnhof Kluse in WuppertalElberfeld, 1941

Nach einem durch Erbstreitigkeiten und Urheberrechtsprobleme verursachten Dornröschenschlaf von mehreren Jahrzehnten, in denen Ausstellungen und Publikationen rar waren und sogar eine für 2008 geplante große Auktion bei Lempertz in Köln scheiterte, erlebt derzeit einer der bedeutendsten Künstler des 20. Jahrhunderts in der Stuttgarter Staatsgalerie gleichsam eine zweite Geburt: Oskar Schlemmer. Kunstgeschichtlich verbindet sich das Werk des 1888 in Stuttgart geborenen Malers, Plastikers, Bühnenkünstlers und Kunstprofessors untrennbar mit dem 1919 in Weimar von Walter Gropius gegründeten Bauhaus, doch sollte nicht vergessen werden, dass der Künstler seine letzten Schaffensjahre von 1940 bis kurz vor seinem frühen Tod 1943 in Wuppertal verbrachte. Als Bauhauskünstler von den Nationalsozialisten als „entartet“ gebrandmarkt und schon 1933 aus seinem letzten Lehramt an den Berliner Vereinigten Staatsschulen entlassen, fand er kurz nach Kriegsbeginn im „Lacktechnikum“ der Wuppertaler Lackfabrik Dr. Kurt Herberts

eine Anstellung, um die künstlerischen Möglichkeiten des Lacks, eines in der bildenden Kunst des Westens kaum gebräuchlichen Werkstoffs, auszuloten. Neben dieser Tätigkeit bei Herberts schuf er in der ihm verbleibenden freien Zeit eine Reihe eindrucksvoller Wuppertaler Stadtansichten, so etwa eine Ansicht des Schwebebahnhofs Kluse mit dem hoch aufragenden Rathausturm im Hintergrund. In den Monaten von April bis Juli 1942 entstand die berühmte Serie der sog. Fensterbilder. Es handelte sich um Blicke aus seinem Fenster im Haus Döppersberg 24 in die gegenüber liegenden, beleuchteten Wohnungen – strenge Kompositionen mit Personen in Innenräumen, in denen er zu finalen Formulierungen seines zentralen künstlerischen Themas fand, des Themas „Mensch“. Schon 1923, in seiner Zeit am Weimarer Bauhaus, hatte er geschrieben: Es „bleibt ein großes Thema uralt, ewig neu. Gegenstand der Bilder aller Zeiten: der Mensch, die menschliche Figur.“ Die aktuelle, überaus sehenswerte, von

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Fensterbild IX, 1942

Plan mit Figuren, 1919

Ina Conzen kuratierte Ausstellung „Oskar Schlemmer – Visionen einer neuen Welt“ in der Stuttgarter Staatsgalerie dokumentiert die enorme Vielfalt seines künstlerischen Werkes, das sich trotz aller Wandlungen als beeindruckende Einheit präsentiert. In einer Zeit rasch aufeinanderfolgender und zum Teil miteinander konkurrierender Kunstrichtungen – Expressionismus, Dada, Konstruktivismus, Neue Sachlichkeit, Surrealismus – ist es Schlemmer gelungen, ein künstlerisches Œuvre von unverwechselbarer Individualität zu schaffen. Sein Ziel galt der Schaffung eines „allgemeingültigen Typus der Gestalt“, wie es die Schlemmer-Expertin Karin von Maur treffend formuliert hat, der – so paradox dies klingen mag – „zeitgemäß“, also „modern“, und zugleich „zeitlos“ sein sollte. Indem Schlemmer von der Darstellung physiognomischer, psychologischer und sozial-kultureller Differenzierungen absah, hat er als Maler, Plastiker, Zeichner und Graphiker, als Bühnengestalter und Kunstpädagoge ein Leben lang daran gearbeitet, den Menschen in seiner essentiellen Grundform, in seiner Idealität, zu erfassen. Dazu diente ihm nach eigener Aussage „ein zunehmendes Extrahieren von Formen und Farben, die immer mehr von der Kraft der objekti-

ven Natur sich entfernen, um die Kraft, die den Darstellungsmitteln innewohnt, herauszustellen“, ohne sich dabei einem inhaltsleeren Formalismus auszuliefern.

Oskar Schlemmer mit Maske und Metallobjekt, um 1931

Die Stuttgarter Ausstellung zeichnet in großer Bandbreite mit exemplarischen Werken die gesamte künstlerische Entwicklung des Künstlers nach – beginnend mit frühen Arbeiten Schlemmers, etwa Landschaften, die zunächst von seinem Lehrer Adolf Hölzel beeinflusst sind, später dann von Cézanne und dem Kubismus. Seine Figuren und Köpfe aus den Jahren 1913/14 zeigen bereits eine auffällige Tendenz zur Abstraktion und Typisierung, und in den Kriegsjahren gelangen ihm erste prototypische Formulierungen des Themas „Mensch“. In seinem beharrlichen Streben nach „Formvollendung und Ideentiefe“ galt ihm der Mensch als „höchster Gegenstand“. „Plan mit Figuren“ von 1919 zeigt menschliche Figuren in formelhafter Reduzierung – erwähnt sei die typische Violinkontur – und eine strenge, gleichsam tektonische Flächenbindung. Das heißt, die Figuren erscheinen in ein System von Horizontalen und Vertikalen eingespannt, das ihnen auf der Bildfläche Halt und Festigkeit gibt. Ähnliches gilt für die Komposition „Geteilte Jünglingsfigur“ von 1921, die kurz nach der Berufung des Künstlers an das Staatliche Bauhaus in Weimar entstand. Sichtbar

wird hier jener „anthropozentrische Konstruktivismus“ (Karin von Maur), der sich als Synthese aus geometrischer Form und menschlicher Figur darstellt und dessen Programm Schlemmer schon 1915 so formuliert hatte: „Das Quadrat des Brustkastens / Der Kreis des Bauchs / Zylinder des Halses / Zylinder der Arme und Unterschenkel / Kugel der Gelenke an Ellbogen, Knie, Achsel, Knöchel / Kugel des Kopfes, der Augen / Dreieck der Nase / Die Linie, die Herz und Hirn verbindet / Die Linie, die das Gesicht mit dem Gesehenen verbindet / Das Ornament, das sich zwischen Körper und Außenwelt bildet, sein Verhältnis zu ihr versinnbildlicht.“ Blieb bis in die frühen 1920er Jahre die strenge Flächengeometrie ein Hauptmerkmal der Bilder Schlemmers, so zeichnet sich um 1922/23 nicht im Thematischen, wohl aber im Formalen ein grundsätzlicher Wandel ab. An die Stelle einer flächenbetonten Bildstruktur treten nun Räumlichkeit und Körperhaftigkeit. Die Figuren erscheinen plastisch gerundet und befinden sich in perspektivisch gestalteten Räumen. Hauptwerke, die diese Entwicklung belegen, sind „Die Geste, Tänzerin“ von 1922 (in der Ausstellung leider nur durch kleine Skizzen dokumentiert) „Tischgesellschaft“ von 1923 (in Stuttgart eine Aquarellstudie) oder „Ruheraum“ (1925). Obwohl der Raum

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in diesen Bildern perspektivische Tiefe hat, folgt diese Perspektive nicht immer den strengen Regeln der euklidischen Geometrie, so dass oft kein „stimmiges“ Raumkontinuum im Sinne des Systemraumes der Renaissance entsteht, sondern ein „irrealer“, „metaphysischer“ Raum, der an die italienische „pittura metafisica“ eines Giorgio de Chirico erinnert. Enttäuscht, dass sich am frühen Bauhaus die Idee des Gesamtkunstwerks aus Baukunst, Plastik und Malerei und

die proklamierte Einheit von Kunst und Leben, von „freier Kunst“ und „angewandter Gestaltung“ offenbar nicht so schnell wie erhofft in die Tat umsetzen ließ, notierte Schlemmer 1922: „Besinnung auf Kunst. [...] Es bleibt das Metaphysische: die Kunst.“ Häufig bediente sich der Künstler in den 1920er Jahren auch der Devise des Schriftstellers Otto Flake, es gelte, „das ‚Metaphysische zu binden‘, um ihm Körper zu geben und es in verständliche Sprache zu kleiden.“ Und bezugnehmend auf den Romantiker Philipp

Otto Runge, der neben Caspar David Friedrich einer seiner Lieblingskünstler war, prägte er 1925 den Begriff der „metaphysischen Mathematik“ und betonte, dass sein eigentliches künstlerisches Interesse in Richtung „der metaphysischen Räume, der metaphysischen Perspektiven, der metaphysischen Figur“ gehe.

links: Geteilte Jünglingsfigur, 1921

und erinnert sei an die Tatsache, dass er am Bauhaus in Weimar jahrelang die Werkstatt für Bildhauerei geleitet hat), sondern auch Tanzgestalter und Bühnenkünstler. Für ihn galten auf der Bühne die gleichen Prinzipien wie

oben: Tänzerin und andere Motive, 1922

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Schlemmer war nicht nur Schöpfer von Tafelbildern und Wandgestaltungen sowie Plastiker (genannt sei nur seine „Abstrakte Figur“ von 1921/23,


Ruheraum, 1925 in der Bildkünsten Malerei und Plastik, denn nach seiner Überzeugung habe die Bühne dem „metaphysischen Bedürfnis des Menschen“ zu dienen, „indem sie eine Scheinwelt aufrichtet und auf der Basis des Rationalen das Transzendentale schafft.“ Diese metaphysische Funktion sei nur in Gestalt der „Typenbühne“ zu erfüllen, die sich gleichermaßen vom literarischen wie vom politischen Theater zu unterscheiden habe. So fand die Schaffung eines idealisierten Figurentypus in Schlemmers bildnerischem Œuvre im Bereich der Bühne ihr Gegenstück in der entindividualisierenden Typisierung durch Maske und Kostüm. Beide waren anfänglich oft grotesk übersteigert und raumplastisch ausgreifend, wie die in der Stuttgarter Retrospektive effektvoll inszenierten Figurinen zum legendären „Triadischen Ballett“ (1922) zeigen. Später trugen die Darsteller meist einfache Trikots, etwa in den „drei Primärfarben Gelb, Rot und Blau, die den drei Grundtemperamenten sanguinisch – cholerisch – melancholisch entsprachen.“ Die Masken wurden „der Grundform des Gesichts angepaßt, so daß ein universaler Typenkopf entstand.“ Und die Bewegungen der Darsteller im Raum

Paracelsus, Der Gesetzgeber, 1923 folgten einer strengen Tanzgeometrie bzw. – mit einem Begriff des Künstlers – einer „tänzerischen Mathematik“. Doch zurück zur Malerei. Zu den eindrucksvollsten Bildern der Stuttgarter Ausstellung gehört das im Œuvre des Künstlers singuläre Gemälde „Paracelsus, Der Gesetzgeber“ aus dem Jahr 1923. Hier ging es Schlemmer nicht um Porträtähnlichkeit, sondern um die Hommage an ein von ihm hochverehrtes geistiges Idol an der Schwelle zwischen Spätmittelalter und früher Neuzeit, dessen kosmologischem Konzept einer Konkordanz von Mikrokosmos und Makrokosmos den Künstler ebenso beeindruckt hatte wie dessen Dreigliederung des Menschen in einen irdischen, sichtbaren Leib, einen himmlischen, unsichtbaren Lebensgeist und eine göttliche Seele, die die Quelle des Erkennens, der Sittlichkeit und der Seligkeit sei und die den Menschen über die bloß irdischen Bedingungen heraushebe und seine Gottesebenbildlichkeit begründe. Dass das Bild den Untertitel „Der Gesetzgeber“ trägt, ist kein Zufall. Denn bei seiner lebenslangen Suche nach der großen, klaren, gültigen, „objektiven“ Form entschied sich Schlemmer ungeach-

tet aller metaphysischen Neigungen für „Zahl, Maß und Gesetz“ und beharrte auf jener „strengen Regularität“, die schon Philipp Otto Runge eingefordert hatte. „Meine Themen, die menschliche Gestalt im Raum, ihre Funktion in Ruhe und Bewegung in diesem, das Sitzen, Liegen, Gehen, Stehen, sind ebenso einfach, wie sie allgemein gültig sind. Überdies sind sie unerschöpflich.“ Mit diesen Worten des Künstlers lässt sich auch Schlemmers Werk als Wandgestalter beschreiben – von den (heute rekonstruierten) Wandmalereien und -reliefs im ehemaligen Werkstattgebäude des Bauhauses in Weimar über die drei Entwurfsstadien des in Stuttgart breit dokumentierten Essener FolkwangZyklus, teils mit zeittypisch sportlicher Thematik, die Wandgestaltungen im privaten Wohnhaus Rabe in Zwenkau bei Leipzig bis hin zu dem anrührenden späten Wandbild „Familie“ von 1940, das sich ursprünglich im Haus Keller in Stuttgart befand und nun in der Staatsgalerie gezeigt werden kann. Absolutes Highlight der Ausstellung ist die „Bauhaustreppe“ von 1932, ein Schlüsselwerk, das als Leihgabe aus New York nach Stuttgart reisen durfte.

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Figurinen zum Triadischen Ballett, 1922 Schlemmer hatte das Bauhaus, das 1925 nach Dessau umgezogen war, bereits 1929 verlassen, drei Jahre, bevor die inzwischen im Stadtparlament dominierende NSDAP die Schließung dieser progressivsten Kunstschule der Zwischenkriegszeit durchsetzen konnte. Das Bild, das Figuren im lichtdurchfluteten Treppenhaus des Werkstattflügels des von Gropius entworfenen neuen Schulgebäudes zeigt, ist mehr als nur eine persönliche Reminiszenz des Künstlers an seine Zeit am Bauhaus, sondern hat als Symbol der Moderne längst Kultstatus erlangt. Tatsächlich scheint in diesem großformatigen Gemälde die „Vision einer neuen Welt“ (so der Untertitel der Stuttgarter Retrospektive) auf, die von der utopischen Hoffnung auf einen „neuen Menschen“ in einer „neuen“, besseren, humaneren und sozial gerechteren Gesellschaft getragen war. Dass das nicht immer verstanden wurde und dass vor allem der von Schlemmer unablässig durchdeklinierte, überindividuelle Typus der menschlichen Figur Irritationen auslöste, war dem Künstler links: Bauhaustreppe, 1932

selbst bewusst: „So mühe ich mich nun, aus den einfachen mathematischen Körpern und deren Verbindungen den Menschenkörper aufzubauen. Der einfache mathematische Körper ist zugleich Ursprung und Vollendung jeder Körpergestalt. Ich bemühe mich dabei, den immer drohenden Mechanismus, der den Menschen zu einer Maschine machen würde, zu überwinden. [...] Man wendet oft ein, daß meine ‚Menschen‘ keine ‚Gesichter‘ haben, höchstens ‚Puppengesichter‘. Man versteht leider nicht, daß dies Absicht ist, daß dies nicht anders möglich ist. Ehe wir das ‚Antlitz‘ malen können, malen dürfen, müssen wir den Typus erkennen, das Unpersönliche. Das ist wirklich keine ‚Vermassung‘.“ Begleitet wird die grandiose Stuttgarter Schlemmer-Retrospektive von einem exzellenten, bei Hirmer in gewohnter Druck- und Ausstattungsqualität erschienenen, dreihundert Seiten umfassenden Katalogbuch mit reichem Bildmaterial und aufschlussreichen Textbeiträgen von Ina Conzen, Wolf Eiermann, Susanne M. I. Kaufmann, Karin von Maur, Birgit Sonna und

Friederike Zimmermann, die die nach wie vor grundlegende und unverzichtbare Standardliteratur zu Schlemmer von Karin von Maur (Monografie und Werkverzeichnis), Wulf Herzogenrath (Wandgestaltungen) und Dirk Scheper (Bühne) zwar nicht ersetzen, aber durch einige interessante Facetten und neue Akzentuierungen ergänzen und bereichern. Rainer K. Wick

Oskar Schlemmer – Visionen einer neuen Welt Staatsgalerie Stuttgart Konrad-Adenauer-Str. 30-32 70173 Stuttgart bis 6. April 2015 täglich außer montags 10-18 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr Katalogbuch im Hirmer Verlag, München; im Museumsshop 29,90 Euro, im Buchhandel 49,90 Euro alle Abbildungen Staatsgalerie Stuttgart

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Bernd Köppen – Ein Nachruf 4. 9. 1951 – 9. 12. 2014 Bernd Köppen, der am 9. Dezember 2014 verstarb, war nicht nur einer der wichtigsten Musiker Wuppertals in den letzten Jahrzehnten, sondern auch ein Musiker, der am Klavier und mit der Kirchenorgel den musikalischen Ideen des Jazz und Freejazz zu völlig neuem Ausdruck verhalf.

Bernd Köppen, am 4. September 1951 in Wuppertal geboren, stieg in den 1960er Jahren zeitgleich mit Peter Kowald und Peter Brötzmann in die europäische Free-Jazz-Szene ein und trug wesentlich dazu bei, dass die Stadt Wuppertal damals als eines der bedeutendsten Zentren frei improvisierter Musik in Deutschland gelten konnte. J. E. Berendt nannte Köppen in seinem Jazzbuch „einen der wichtigen freien Pianisten Europas“. Für Köppen war es allerdings stets ein Anliegen, über die Idiomatik von Jazz und Freejazz hinauszugehen und die klassische Moderne in sein Spiel ausdrücklich mit einzubeziehen.

Dabei knüpfte er insbesondere an die Tonsprache Olivier Messiaens, Anton Weberns und der zweiten Wiener Schule an. Dies gelang ihm oft auf überraschend unkomplizierte Art und Weise, ohne die Entwicklung komplexer Strukturen zu vernachlässigen. Bernd Köppen war ein Meister der Improvisation, was er schon ab 1969 in Formationen u. a. mit Detlef Schönenberg, Gerd Dudek, Rüdiger Carl und Günter Christmann unter Beweis stellte, aber auch in musikalischen Begegnungen mit Kowald und Brötzmann. Ab 1972 bildete er unter dem Titel „Unit“ verschiedene Musikerformationen, so von 1975 bis 1979 mit dem

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Bassisten Uli Weiche und dem Schlagzeuger Gerhard Illi. 1981 veröffentlichte Köppen sein erstes Solo-Album »Ha(h)neköppen«, mit einem Humor, der typisch für ihn war: „Der Titel ‘Ha(h)neköppen’ ist sowohl eine Verbindung der Namen von Bernd Köppen und des Wuppertaler Malers Gerd Hanebeck, der das Cover gestaltet hat, als auch eine Anspielung auf die Wortparaphrase eines blutrünstigen Volksbrauchs des Hahneköpfens auf den Wuppertaler Südhöhen“, wie es im lesenwerten Artikel zu Bernd Köppen im 2006 erschienen Buch „Sounds like Whoopataal“ (hrsg. 2006 von D. Fränzel, R. Widmann und der Jazz AGe Wuppertal) heißt. Ab Mitte der achtziger Jahre wurde die Orgel für Bernd Köppen von wachsender Bedeutung, dazu kam seit 1995 die Berufung zum Organisten und Kantor an der Neuen Reformierten Kirche in WuppertalElberfeld. Doch bereits vor dem Mauerfall 1989 galt Köppen in der damaligen DDR als „Star“ des westdeutschen Freejazz. Die Zusammenarbeit mit ostdeutschen Musikern vertiefte sich noch insbesondere seit

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1990 im Duo mit dem Posaunisten Günter Heinz, gelegentlich erweitert zum Trio mit Hannes Zerbe. Die Freundschaft, die sich schon ab 1983 mit dem Klarinettisten Theo Jörgensmann anbahnte, führte zum Duo „The European Way“ (LP »Für den letzten Gast«, 1986) und hielt bis zu Köppens frühem Tod. Daraus resultierte u. a. noch 2011 das Album ‘The Story of Professor Unrat’. Neben seinen unermüdlichen musikalischen Aktivitäten ist Bernd Köppen auch als Mitbegründer sowohl der Jazz AGe Wuppertal als auch des Labels „Senti Records“ zu nennen. Bernd Köppen hat sich insbesondere in den letzten Jahren für eine intensive Kooperation zwischen der Peter-KowaldGesellschaft/Ort e. V. und dem Verein „Unerhört“, der Konzerte an der Neuen Kirche Sophienstraße organisiert, eingesetzt. Diese Zusammenarbeit wurde immer mal wieder durch Konzerte im „Ort“ gekrönt, so auch im Duo mit dem Saxophonisten Andreas Bär ab 2006 und mit dem Soloauftritt beim Peter-Kowald-Festival im Mai 2011. Nicht zu vergessen sind auch Köppens Interpretationen klassischer Werke, so der

„Winterreise“ von Franz Schubert. Mit dem Komponisten Manfred Niehaus, dem ehemaligen Leiter der WDR-Jazzredaktion, verband ihn eine langjährige Freundschaft und die Mög-lichkeit der Uraufführung mehrerer Werke von Niehaus. Mit Bernd Köppen verlieren wir einen der wichtigsten Musiker der zeitgenössischen Improvisationsmusik mit herausragender Bedeutung für das Wuppertaler Kulturleben.

Christoph Irmer Fotos: Karl-Heinz Krauskopf


Grenzgänger… … zwischen klassischer Moderne und neuem Jazz Der Pianist, Organist und Komponist Bernd Köppen „Ich habe Musik und Komposition studiert und mich schon sehr früh mit zeitgenössischer Musik befasst; weniger mit Improvisation, sondern mit komponierter zeitgenössischer Musik. Eigentlich bin ich mit dem Gedanken an die Improvisation herangegangen, wie man zeitgenössische Musik auf improvisatorischer Basis machen kann“, beschreibt der musikalische Grenzgänger zwischen klassischer Moderne und neuem Jazz, Bernd Köppen, seine Herangehensweise an die Musik.

Am 4. September 1951 in Wuppertal geboren, ist er einer der wenigen tatsächlich aus Wuppertal stammenden Protagonisten der Wuppertaler Avantgarde-Jazzszene und seine frühen Entwicklungsdaten sind bilderbuchreif. Gegen den erklärten Willen seines Vaters, der nach dem Krieg in Ami-Clubs und Tanzlokalen als Unterhaltungsmusiker an Klavier und Lowrey-Orgel sein Geld verdient, fängt er bereits mit vier Jahren an, auf dem Klavier den Vater zu imitieren. Improvisiert auf den schwarzen Tasten und erfindet verrückteste, pentatonische Melodien. „Ich musste mich regelrecht durchsetzen und habe es dann doch geschafft, bereits mit sechs Jahren ersten Unterricht

zu bekommen. Da war ich improvisatorisch natürlich schon viel weiter als das was man mir beibringen wollte und so kam es, dass ich bereits mit neun im Fugenstil von Bach improvisieren konnte“. Er singt in der Kurrende, Wuppertals renommiertem Knabenchor, bekommt schon mit 13 eine kleine Organistenstelle, wird Jungstudent in der Meisterklasse der Pianistin Liliana Christowa und beginnt ein Studium am Bergischen Landeskonservatorium (heute Musikhochschule Köln, Abteilung Wuppertal) und erhält Kompositionsunterricht bei Professor Ingo Schmitt. Die erste Begegnung mit Jazz erlebt Köppen bei den „Knüppelbrot-Valley-Stompers“, einer Dixieland-Kapelle von Schulkame-

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raden, die einen Pianisten suchen und in der Backstube der elterlichen Bäckerei eines Mitspielers ihre Proben abhalten. Der erste öffentliche Auftritt findet 1965 im Rahmen einer Feierlichkeit in der Stadthalle statt. „Das war zwar eine ganz fetzige Sache, aber für meine weitere Entwicklung letztendlich bedeutungslos und langweilte mich schnell“. Ebenfalls in den 60er Jahren kommt er in Kontakt mit Manfred Galden und Andreas Leep und jammt mit ihnen in der Action Issue Blues-Band. „Die erste Jazz-Platte, die ich mir gekauft habe, das muss etwa 1965 gewesen sein, war `A night at the movies` von Errol Garner. Ein Jahr später kaufte ich eine Liveaufnahme von Thelonious Monk mit Johnny Griffin, die heute zu meinen Lieblingsplatten gehört. Die habe ich aber damals überhaupt nicht verstanden. Ich dachte, was klimpert der sich da für ein Zeug zusammen, der kann ja gar nicht Klavier spielen. Aber Monk ist für mich schon kurze Zeit später – neben Anton Webern aus dem klassischen Bereich – einer der wichtigsten Musiker geworden“. Ebenso richtungsweisend für seine musikalische Entwicklung ist die Begegnung mit Hindemiths 2. Klaviersonate und der starken Motorik ihres ersten Satzes. „Ich habe immer sehr viel mit Ostinatorhythmen gearbeitet.“ Seine erste Jazzformation gründet Bernd Köppen 1969 mit Detlef Schönenberg und dem Bassisten Uli Weiche, der aus der Hagener Band Horizon Cee, einem Trio mit Hans Reichel und Achim Knispel kommt. Die UNIT mit Schönenberg und Weiche wird oft mit Saxophonisten wie Gerd Dudek, Rüdiger Carl, Axel Petry, mit dem Gitarristen Achim Knispel oder dem Posaunisten Günter Christmann zum Quartett erweitert. 1972 spielt Köppen mit seiner UNIT in der von Dieter Fränzel organisierten Reihe „Jazz im Opernhaus“ in Wuppertal, bei der auch das Peter Kowald Quintett und das Peter Brötzmann Trio zu hören sind. In der ersten Hälfte der 70er Jahre stellt er unterschiedlichste UNIT-Formationen von Duo bis Oktett zusammen, bei denen u.a. Hans Reichel als Violinist, der Schlagzeuger Fred Braceful und der Saxophonist Ove Volquartz mitwirken. Bereits 1969 gibt es auch erste musikalische Begegnungen mit Peter Brötzmann und Peter Kowald. Die langlebigste UNIT bestand von 1975 bis 79 mit Uli Weiche und dem Schweizer Schlagzeuger Gerhard Illi, sowie in der

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Endphase des Trios mit Dietrich Rauschtenberger. Danach gründet Köppen gemeinsam mit Radu Malfatti, Wilfried Eichhorn und Uli Weiche die Formation EVIDENCE, die eine kurze Übergangsphase zu einer Neuorientierung für Bernd Köppens Arbeit darstellt. – „Als sich das Unit-Trio auflöste gab es für mich ein Besinnungsjahr, in dem ich viel spazieren gegangen bin und genauso viel gearbeitet, geübt und komponiert habe“, das Ergebnis war „Ha(h)neköppen“, die erste Solo-Piano LP, bei einem Jazz Age Konzert 1981 in der Musikhochschule Wuppertal mitgeschnitten und auf dem von Köppen und Rainer Widmann gegründeten Label SENTI-Records veröffentlicht. „Ha(h)neköppen war die erste Arbeit, die wirklich projektbezogen war, und ich habe danach nur noch projektbezogen gearbeitet“. Der Titel „Ha(h)neköppen“ ist sowohl eine Verbindung der Namen von Bernd Köppen und des Wuppertaler Malers Gerd Hanebeck, der das Coverbild gestaltet hat, als auch eine Anspielung auf die Wortparaphrase eines blutrünstigen Volksbrauchs des Hähneköpfens auf den Wuppertaler Südhöhen und könnte auch als metaphorische Erklärung der Musik verstanden werden: Man hört beim Stück „Hommage á Bartók“ Mussorgskis Hühner gackern. Schon seit seinen Studienjahren spielt Köppen auch immer wieder auf Kirchenorgeln. So war es konsequent, dass er für eines seiner Projekte eine Woche mit dem Trompeter und Flügelhornisten Heinz Becker ein Programm einstudiert, das am 4. Januar 1984 in der Pfarrkirche HalternFlaesheim aufgenommen und auf der mit ausgefallener Hüllengestaltung von Gerd Hanebeck in Form eines aufklappbaren Triptychon aufwändig gestalteten LP „Tanz der Altarfiguren“ veröffentlicht und auf SENTI-Records dokumentiert ist. Mit den Ensembles „The Europaen Way“ und „Structures“ entwickelt Köppen Anfang der 90er Jahre ein neues variables Gruppenkonzept. Es gibt dabei Begegnungen mit Pinguin Moschner, Manfred Schoof, Ernst Reijseger, Han Bennink, später auch mit Claudio Puntin, Melvin Poore, Frank Köllges, Frank Gratkoswki und auch Projekte mit dem Posaunisten Günter Heinz, mit der Pianistin Iréne Schweizer und mit Karoly Binder. Die Verbindung zu dem rumänischen Pianisten Karoly Binder ist auf der SENTI-Records CD „Diagonal-

musik“ 1991 dokumentiert. Ferner gibt es Platteneinspielungen mit dem langjährigen Partner Theo Jörgensmann, mit dem Köppen in unterschiedlichen Formationen zusammengearbeitet hat und 1986 die LP „Für den letzten Gast“ veröffentlicht. Eine zweite Piano-Solo LP entsteht 1987. Unter dem Titel „Thanks To...“ spielt Köppen Stücke von Duke Ellington und Thelonious Monk in eigener Interpretation im Rahmen der Konzertreihe „Musikstadt Wuppertal“. Die Aufzeichnung des Konzertes, am 4. September 1987 (Köppens Geburtstag) in


der Wuppertaler Immanuelskirche, wurde ebenfalls auf SENTI-Records veröffentlicht. 1996 entsteht für das Wuppertaler AHO Label „The Suffering of the Working Class“, eine Trioaufnahme mit Kent Carter Bass und Bill Elgart am Schlagzeug. 2006 veröffentlichte Köppen mit seinem langjährigen Duopartner Andreas Bär, die CD „Wide Rooms – The art oft the duo“, 2008 folgte „Movie Mentals“, ein Livemitschitt des Köppen-Bär-Duos aus dem Rex Theater Wuppertal. 2011 wurde bei einem Konzert im Rahmen der Jubiläumsveranstal-

tung „15 Jahre unERHÖRT „The Story of Professor Unrat mitgeschnitten und als DuoCD Köppen – Jörgensmann veröffentlicht. Anlässlich des 80. Geburtstages seines langjährigen Freundes und Wegbegleiters Manfred Niehaus spielte er ebenfalls gemeinsam mit Theo Jörgensmann die 2013 veröffentlichte CD „Vater Rhein – Mutter raus“ ein. Mit dem im Februar 2013 verstorbenen Komponisten und ehemaligen Leiter der WDR-Jazzredaktion, Manfred Niehaus verband Bernd Köppen seit 1984 eine enge Freundschaft und er hat mehrere Werke von ihm uraufgeführt

und Rundfunkproduktionen mit der Musik von Niehaus produziert. Auch die Musik zu dem prämierten Kurzfilm „Das Puppenhaus“ des Wuppertaler Fotographen und Filmemachers KH. W. Steckelings stammt aus der Feder von Bernd Köppen. Eine weitere live im Lutherstift im Oktober 2011 eingespielte Solo-CD von Bernd Köppen, wurde 2012 unter dem Titel „Märchenerzählungen – Von einem der auszog das Fürchten zu lernen“ auf SENTI veröffentlicht. In den 70er und 80er Jahren spielt Köppen in den meisten west- und osteuropäischen

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Ländern, sowie auf allen wichtigen Jazzfestivals von Moers, Leverkusen, Leipzig, Berlin bis zum Festival für Neue Musik in Dresden, aber auch in Budapest und Wroclaw. „Wichtig war für mich auch der Auftritt beim Festival für Zeitgenössische Kunst 1994 in Stavanger in Norwegen sowie im gleichen Jahr eine Tournee durch Nord-Japan, die mich zu Teilen meiner letzten Solo CD „Landscapes“ inspiriert hat“. Als Organist geht er im Trio mit Günter Heinz und Hannes Zerbe auch mit dem Kreuzweg-Programm auf Konzertreise. Ende September 2004 spielt er in Russland im Südural auf Einladung der dortigen Philharmonie auf dem ersten „Jazz and Pipe-Orgel Festival“. Bernd Köppen war neben seiner Arbeit als Musiker seit vielen Jahren als Dozent tätig und unterhielt in Wuppertal ein eigenes Studio für vorberufliche Fach- und Laienausbildung. Auch Tom Tykwer, inzwischen als Filmregisseur weltbekannt, bekommt in jungen Jahren von Bernd Köppen seine musikalische Ausbildung. „Tom war eigentlich sehr faul, weil er schon mit 14 immer nächtelang im Kino rumhing und dort Filme vorführte. Der hat aber in den 5 Jahren, die er bei mir Klavierunterricht hatte, alles,

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was er mitnehmen konnte, aufgesogen. Er hat später einmal gesagt, dass er alles, was er im Bereich Musik kann und weiß, mir zu verdanken hätte“. Sein musikalisches Talent hat Bernd Köppen auch an seine Tochter Franziska Köppen weitergegeben, die als Sängerin zwischen Pop und Jazz eine vielversprechende Begabung zum Vorschein bringt. 1995 wird Bernd Köppen ein Vertrag als Kirchenmusiker in der Neuen Reformierten Kirche Sophienstraße - einer der großen City-Kirchen in Wuppertal – angeboten, den er unter der Bedingung annimmt, dass er neben dem Orgelspiel auch eine Konzertreihe mit „unerhörter Musik“ durchführen kann. Musik, die in der Form relativ selten im Konzertsaal zu hören ist. Dabei sollen Improvisationen, Zeitgenössische Musik und auch alle anderen Arten von spannenden, innovativen, ungewöhnlichen Konzerten im Programm Platz finden. Unter der künstlerischen Leitung von Bernd Köppen, finden seitdem 12 – 15 Konzerte pro Jahr statt, die von dem von Köppen initiierten Verein „Unerhört“ organisiert werden. „Anfang September 2004 habe ich unter dem Titel „Prières“ ein neues Soloprogramm aufgeführt, wo den Improvisationen

Sonaten von Domenico Scarlatti vorausgestellt werden. In den vielen Jahren, wo ich Musik mache, habe ich immer auch viel Kammermusik gemacht, mit der Geigerin Johanna Watzke alle sechs Bach-Sonaten im Konzert gespielt und mit dem Sänger Jochen Bauer die Winterreise von Franz Schubert aufgeführt. Im Gegensatz zu den Anfangszeiten des Free-Jazz wo es eher als Ballast verstanden wurde, richtig gut spielen zu können, habe ich mich zu einem sehr traditionsbewussten Musiker entwickelt, der einerseits die europäische Tradition nicht verleugnet, angefangen bei Barock-Pianisten oder noch viel früher, bis hin zur Zeitgenössischen Musik. Meine Jazzkarriere mit Gruppen lässt sich im Grunde an den Bassisten festmachen. 10 Jahre Uli Weiche, dann ein paar Jahre Jay Oliver, der leider sehr früh verstorben ist und dann Kent Carter. Bassisten waren für mich immer wichtig. Dabei habe ich niemals mit anderen Leuten deren Musik gespielt, sondern habe mir immer Leute gesucht, mit denen ich meine musikalischen Vorstellungen realisieren konnte“. So kommt es nicht von ungefähr, dass der Jazzkritiker Joachim-Ernst Berendt Mitte der 80er Jahre Bernd Köppen zu den wichtigen freien Pianisten Europas zählt. „Bernd Köppen ist der erste in der Wuppertaler Free-Jazz-Szene, der den traditionsbewussten Zweig der freien Musik so kompetent vertritt und beweist, dass die Freiheiten nicht nur da groß sind, wo man die Grenzen negiert, sondern auch und vielleicht erst recht dort, wo man mit ihnen spielt“, schreibt Dirk H. Fröse in den Linernotes zur ersten Schallplattenveröffentlichung 1981. „Im Grunde genommen kann dies alles sein, von der Gregorianik bis zur seriellen Musik und dem Blues“ fügt Bernd Köppen hinzu. Am Dienstag, 9. Dezember 2014 ist Bernd Köppen im Alter von 63 Jahren verstorben. Grundlage für diesen Text war ein vom Autor für das Wuppertaler Jazzbuch verfasster Beitrag, der geringfügig geändert und aktualisiert wurde. Die Zitate von Bernd Köppen entstammen einem am 21. September 2004 geführten Gespräch mit Dirk Peters und Rainer Widmann und wurden erstmals 2006 im von E.Dieter Fränzel und Rainer Widmann im Klartext-Verlag herausgegebenen Buch "sounds like whoopataal“ veröffentlicht.

Rainer Widmann Fotos: Karl-Heinz Krauskopf


Erinnerungskultur 60 Jahre nach dem Holocaust – Wuppertaler Zeitzeugen erinnern sich

„Erinnerung ist keine gemütliche, badewasserlaue Angelegenheit, sondern ist eigentlich immer ein Graus, eine Zumutung und eine einzige Kränkung der Eigenständigkeit.” (Ruth Klüger)

Die tätowierte Auschwitz-Nummer von Jacques Altmann

Mit den vielen Gedenkjahren der letzten und der nächsten Jahre, die an Zäsuren und Epochen bildende Ereignisse erinnern, jonglieren wir im weiten Feld der so genannten „Erinnerungskultur“. Nicht unbedingt schlüssig, dafür aber fast automatisch ist damit in der Regel die Erinnerung an die Katastrophengeschichte des 20. Jahrhunderts gemeint. Viele Akteure sind da zu finden: Politiker und Politikerinnen vollführen symbolische Akte in Appellen und Kranzniederlegungen, Filmproduktionen füllen die Kinos, Zeitungen entfachen geschichtspolitische Debatten, Bildungsministerien erweitern Lehrpläne, das Fernsehen zeigt Dokusoaps, Memoiren besetzen die Bestsellerlisten, Gedenkstätten schießen aus dem Boden und machen Programm, Dissertationen und andere wissenschaftliche Literatur loten die verborgensten Lücken der Zeitgeschichte aus, Foren laden zum Streit über Deutungshoheiten und Rezeptionsgeschichten ein. Das alles und noch mehr ist Erinnerungskultur.

Und dann die Zeitzeugen. Schon vor bald 30 Jahren forderte der Dichter Hans Sahl (1902-1993) in einem wunderschönen Gedicht sein Publikum auf, ihn auszufragen nach der Vergangenheit und seinen „Zettelkasten“ zu plündern, weil er einer der Letzten sei, die davon berichten könnten. Heute aber hat man großes Glück, wenn man überhaupt noch einem Zeugen der Geschichte begegnet. Worin aber besteht dieses Glück? Ein Zeitzeuge ist schließlich kein Historiker, und es ist nicht schwer festzustellen, dass Zeitzeugen sich oftmals irren. Zeitzeugen sind (nur) eine historische Quelle von vielen. Ein Zeitzeuge ist nicht objektiv (wie auch?) – davon kann jeder Richter ein Lied singen. Ein Zeitzeuge deutet seine Erlebnisse selbst, im Spiegel dessen, was er in späteren Jahren gelernt und erfahren hat. Nicht nur die Opfer sind Zeitzeugen, sondern alle Menschen, die aus eigenem Erleben die Vergangenheit repräsentieren, d. h. auch Täter sind Zeitzeugen, und auch die Uroma im Altersheim. Zeitzeugen sind

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vielleicht auch traumatisiert, verschweigen bewusst oder unbewusst Dinge, um sich zu schützen, oder sie sind zutiefst verunsichert, oder sie haben sich mit einer harten Schale der Routine versorgt, wenn sie ihre Geschichte immer wieder erzählen müssen oder wollen. Zeitzeugen sind nicht immer Pädagogen, dafür aber meistens Moralisten. Ein Zeitzeuge darf und kann keinen Lehrer ersetzen, und er sollte nicht dazu dienen, einen schwachen Geschichtsunterricht aufzumöbeln. Worin nun besteht das Glück, einem „Zeitzeugen“ zu begegnen, wenn die Nachteile so auf der Hand zu liegen scheinen? Mit „Zeitzeugen“ sind meistens Menschen gemeint, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt worden sind, die gelitten und das alles überlebt haben. Menschen, die ausgerottet werden sollten, weil sie unangepasst waren oder Gegner des Regimes. Gemeint sind also in der Regel Opfer oder Gegner des Dritten Reichs. Ihnen zu begegnen bedeutet, ihnen zuzuhören, wenn sie über ihre persönliche Geschichte in der Zeit, die uns hier interessiert, erlebt haben. Die persönliche Begegnung mit diesen Menschen stellt eine Nähe her, die für jedes andere Vermittlungsmedium unmöglich ist. Sie schafft eine Beziehung, ermöglicht einen Austausch in Worten. Zeitzeugen sind berührbar und sie berühren uns. Und das ist vermutlich das Glück einer solchen Begegnung. Im Gedenkjahr 2015, 70 Jahre nach dem Ende des Krieges, seien an dieser Stelle einige dieser Menschen gewürdigt, die dem Namen der Begegnungsstätte Alte Synagoge seine eigentliche Berechtigung geben. Es sind nur einige wenige von denen, die in den letzten zwanzig Jahren in die Stadt ihrer Kindheit nach Wuppertal kommen konnten und uns vertrauensvoll aus ihrem Leben erzählt haben, das die meisten von ihnen nur haben retten können, weil sie ausgewandert sind. Hilde Kahn-Reach wurde 1917 in Prag geboren und kam erst nach dem Krieg mit ihrer Familie nach Elberfeld. Ihr Vater, der Rechtsanwalt Hans Goldschmidt, stammte aus dem Bergischen. Goldschmidts wohnten in der Viktoriastraße 85, aber die schöne Gegend ersetzte der kulturbeflissenen Mutter nicht das künstlerische Milieu,

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Hilde Goldschmidt, Elberfeld, 1930er Jahre

Hilde Kahn-Rech, geb. Goldschmidt, in ihrem Garten in Santa Monica, mit dem Straßenschild „Genügsamkeitstraße“, das sie bei einem Besuch in Wuppertal in den 1950er Jahren im Gebüsch gefunden hat, als sie nach Resten der Synagoge suchte

das sie von Prag gewohnt war. Immerhin gelang es ihr, einen Kreis ambitionierter Elberfelder zu gründen, in dem sie private Liederabende veranstalten und Kunstausstellungen diskutieren konnte. Der Vater besaß eine umfangreiche Bibliothek und spielte in einer Laiengruppe Theater. Im Wuppertaler jüdischen Museum ist ein Theaterdegen ausgestellt, der durch eine öffentliche Versteigerung „jüdischen Eigentums“ in den Besitz eines Schulbuben geraten ist – für diesen damals sicherlich ein schönes Spielzeug! Für uns eine beunruhigende Frage...

Schülers, ging in die USA und fand dort ihren Traumjob: Sie wurde die Sekretärin des Schriftstellers Thomas Mann. „Ich tippte den Doktor Faustus“ war das Motto, als sie 1997 aus Santa Monica in Wuppertal zu Gast war, unter anderem in der Universität vor sehr neugierigen Germanisten. Hilde Kahn-Reach starb 1999 zu Hause in Kalifornien.

Marianne Faßbender und ihr Bruder Hans, Barmen, ca. 1935

Marianne Strassman, geb. Faßbender, Palo Alto 2008

Hilde wollte, wie ihr Vater, Jura studieren und Anwältin werden, aber die Nazis durchkreuzten ihre Pläne. Sie musste Deutschland verlassen, ging zunächst nach England, heiratete dort Dr. Heinz Kahn, den Rechtsanwalt Else Lasker-

Marianne Strassman, geb. Faßbender wuchs in der Breite Straße 8 (heute Tannenbergstraße) auf. 1936 zog die Familie nach Köln um, und im dortigen Israelitischen Asyl begann die 17-jährige Marianne 1939 mit einer


Ausbildung zur Krankenschwester. Das war ihr großes Glück, denn als sie und ihre Eltern im Oktober 1941 mit dem ersten Transport von Kölner Juden deportiert wurde, gehörte sie als Fachkraft zur so genannten „Sanitätsabteilung“. Im Getto von Lodz starb ihr Vater – genau an ihrem zwanzigsten Geburtstag. Marianne und ihre Mutter wurden im Zuge der „Liquidation“ des Gettos nach Auschwitz deportiert, wo ihre Mutter vermutlich sofort ermordet wurde. Vor dem Heranrücken der Roten Armee kam Marianne auf einen so genannten „Todesmarsch“ und am Ende nach Bergen-Belsen. Halb tot erlebte sie die Befreiung des Lagers durch die Engländer. Ihre Erinnerung an diese Zeit hat sie möglichst verdrängt – lediglich ein einfaches, geblümtes Sommerkleid, jahrzehntelang im hintersten Winkel des Kleiderschranks versteckt, hat sie als Zeichen aufbewahrt. Marianne Strassman lebt in Kalifornien.

und Schwester bei einer hilfsbereiten Frau, die aber die Nerven verlor, als sie 1944 Drohbriefe erhielt. Dr. Feldheim und seine Tochter entschieden sich, der Frau nicht länger zur Last zu fallen, und weil sie keine Alternative sahen, nahmen sich beide in den Wiesen am Kölner Ring durch Gift das Leben. Helga Samson überlebte die Besatzung und erfuhr erst sehr viel später von diesem bestürzenden Ende ihres Vaters und ihrer Schwester. Sie starb 2005 in Amsterdam.

Helga Feldheim, in ihrer Schulklasse, ohne Zöpfe, Barmen Ende 1935

Helga Samson, geb. Feldheim, Wuppertal 2000

Eva Wolfson, geb. Goldmann, New York 1999

Helga Samson war die Tochter des jüdischen Arztes Dr. Hans Feldheim und seiner katholischen Ehefrau Anna. 1935 musste der Vater seine Praxis in Barmen aufgeben, weil er nicht mehr genügend Patienten hatte, denn er durfte nur noch Juden behandeln. Der mittlerweile verwitwete Arzt zog mit der älteren Tochter Anna nach Köln, um dort im jüdischen Krankenhaus zu arbeiten. Helga wanderte nach Amsterdam aus und ging in den Untergrund, als die Deutschen Holland besetzten. In Köln versteckten sich Vater

im Hafen verpasst hatten, weil sie sich nach dem Überfall der Deutschen am 10. Mai 1940 an die Ausgangssperre gehalten hatten, „typisch deutsch“ (so Eva Wolfson). Sie blieben in Amsterdam, wurden entdeckt und verhaftet und in das Lager Bergen-Belsen verschleppt. Dort starben sie kurz hintereinander an Typhus, wenige Tage vor der Befreiung. Eva Goldmann wanderte später von England in die USA aus, wo sie ihre Ausbildung beendete, ein Studium absolvierte, eine Familie gründete und als

Jacques Altmann ist schon mehrmals aus Paris nach Wuppertal zu Besuch gekommen. Geboren wurde er 1923, und seine Eltern gaben ihm den Namen Adolf, nicht wissend, was noch kommen würde. Die kleine Familie lebte in der Paradestraße, wo Sucher Altmann eine Schneiderei betrieb; Altmanns waren so genannte „Ostjuden“, die nicht selten diesen Beruf ausübten. Als Adolf vier Jahre alt war, zog die Familie nach Dortmund um. Unmittelbar nach der Machtübernahme durch die Natio-

Eva Wolfson ist im Mai 2014 im Alter von neunzig Jahren in New York City gestorben. Sie war die einzige Tochter des Fabrikanten Sally Goldmann und seiner Frau Herta, die in der Turnstraße in Barmen wohnten. Eva war vierzehn Jahre alt, als ihre Eltern sie auf einen so genannten Kindertransport nach England schickten. Der Plan war, dass die Eltern nach Kuba auswandern und Eva später nachholen. Erst nach dem Krieg erfuhr Eva, dass ihre Eltern das Schiff

Eva Goldmann, Barmen, ca. 1938 Sozialarbeiterin in New York arbeitete. Sie hat erst im Jahr 1999 wieder angefangen, deutsch zu sprechen.

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nalsozialisten geriet der Vater in den Verdacht, Kommunist zu sein, wurde gewarnt und von einem couragierten Polizeibeamten an die französische Grenze gebracht. Die Familie ließ sich in der Nähe von Paris nieder. Nach der Besetzung Frankreichs durch die

Renate (Renie) Inow, die heute in London lebt, ist die jüngste Tochter von Beatrice und Maximilian Inow, der im Schwebebahnhof Döppersberg eine Handlung für Geschenkartikel und Japanwaren führte. Dieses Geschäft wurde allerdings in der Nacht zum 10. Novem-

Familie Altmann, Dortmund 1930er Jahre

Renate und ihr Bruder Alfred Inow, London 17. 12. 1942

Deutschen wurde die Lage wieder schwierig. Als Adolf, ein passionierter Boxer, sich auf eine Schlägerei mit

ber 1938 total zerstört, die Fensterscheiben zerschlagen, die Ware aus den Regalen

Jacques Altmann, Wuppertal 2009 Nazis einließ, begann seine Odyssee durch Gefängnisse und Verstecke und zugleich seine Tätigkeit als Saboteur und Aktivist des Widerstands. Am Ende aber wurde er enttarnt, verhaftet und über das Lager Drancy nach Auschwitz verschleppt. Das war im März 1943. Schon im November 1942 war dort seine gesamte Familie, die Eltern und vier jüngere Brüder, ermordet worden. Adolf nahm nun den Namen seines jüngsten Bruders, Jacques, an. Renate Inow, London 2010

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geworfen und auf dem Boden und der Straße zerstreut. Das Schlimmste aber war, dass Renies Bruder Alfred verhaftet und in das Polizeigefängnis in der von der Heydts-Gasse (früher hinter dem heutigen Kaufhof-Gebäude) eingesperrt wurde. Unter den rund 100 jüdischen Männern, die in dieser Nacht aus ihren Wohnungen und auf der Straße verhaftet worden waren, war er der Jüngste. Völlig verschreckt und in Panik versuchten die Inows, Ausreisepapiere für ihren Sohn zu besorgen, um ihn aus der Haft zu bekommen – bis kurz vor Weihnachten waren die Wuppertaler Juden im Lager Dachau gefangen. Den Eltern gelang es tatsächlich, zunächst Alfred nach England zu schicken, dann, im Mai 1939 auch die neunjährige Renie. Kaum etwas ist berührender als die Postkarte, die die Eltern und die Kleine am Bahnhof in Köln zum Abschied schrieben: Eine Träne der Mutter hat die Tinte verschmiert. Das war das letzte Mal, dass Renie ihre Eltern sah, die im Oktober 1941 in das Getto Lodz deportiert wurden. Das konnte das


Herbert Cohnen mit seinen Eltern und dem Chevrolet im Harz, August 1930 Kind natürlich nicht wissen, und doch schmerzt es Renie Inow bis heute, dass sie sich damals nach dem Abschied von den Eltern nicht noch einmal umgedreht und gewunken hat. Der Vater von Herbert Cohnen handelte „in Cigarren“. Die Familie wohnte zunächst in der Herzogstraße, dann in der Völklingerstraße, aber mit den nationalsozialistischen Judengesetzen war es vorbei mit der freien Wohnungswahl: Die Partei begann, jüdische Familien in so genannten „Judenhäusern“ zu konzentrieren. Die Familie Cohnen, die sich mit der „arischen“ Nachbarschaft in der Völklinger Straße

1942 nach Theresienstadt deportiert worden und deshalb gab es freie Wohnungen. So erlebten die Cohnens die Bombardierung Elberfelds im Juni 1943 in diesem Haus, das weitgehend unzerstört blieb – bis auf die Fensterscheiben. Am Morgen danach ging der Vater Alex zur Schreibwarenhandlung Ihne in der Sophienstraße, um für die Verdunklung schwarzes Papier zu kaufen. Doch in seiner Verstörung hatte er die falsche Jacke angezogen – die ohne Stern. Ein Nachbar sah ihn so und zeigte ihn an. Noch auf der Straße wurde Alex Cohnen verhaftet, im Polizeipräsdium festgehalten und nach Auschwitz verbracht, wo man tödliche medizinische Versuche mit ihm anstellte. Alex Cohnen starb daran im Mai 1946. Sein Sohn Herbert lebt heute 91-jährig in einem Altersheim in Barmen. Die Schwestern Margot Andreasen und Ruth Berger sind die Töchter des Kaufmanns Alex Berger, der ein Bettengeschäft in der Erholungstraße hatte. Um Ostern 1938 starb seine Frau Henriette an einer Darmverschlingung, weil kein Krankenhaus

Herbert Cohnen, Wuppertal 2014

Margot und Ruth Berger, Elberfeld ca. 1925

sehr gut verstanden hatte, musste zunächst in die Borkumer Straße 24 umziehen; das Haus gehörte dem Kaufmann Simson Marcks, und es wohnten dort noch die Ehepaare Cäcilie und Paul Mehler sowie Frieda und Jakob Meyer. Alle waren Juden. Nun noch Familie Cohnen: die Eltern Grete und Alex, die Söhne Herbert und Albert. Im September mussten sie erneut umziehen, und zwar in das ehemalige jüdische Altersheim in der „Straße der SA“ (heute die Friedrich-Ebert-Straße 73). Alle Bewohner dieses „Judenhauses“ waren im Sommer

sie aufnehmen wollte, um die lebensrettende Notoperation durchzuführen. Der Witwer lebte nun mit seinen beiden Töchtern und seiner Schwiegermutter, die sich in aufopferungsvoller Weise, gemeinsam mit der katholischen Haushaltshilfe, um alles kümmerte. Das war nötig, weil Alex Berger zu den jüdischen Männern gehörte, die im November 1938 verhaftet und rund zwei Monate im Konzentrationslager Dachau festgehalten wurden, bis die Familien eine Auswanderung organisiert hatten. Nach seiner Rückkehr verkaufte Alex Berger allen eben entbehrlichen Hausrat, um Geld für

die Auswanderung seiner Mädchen zu haben. Tatsächlich konnten Margot und Ruth auf einen Kindertransport nach England kommen und waren damit in Sicherheit – immer in der Hoffnung, dass der Vater und die Oma nachkommen würden. Das gelang nicht: Alex Berger wurde, wie auch das Ehepaar Inow und viele weitere Wuppertaler Juden, mit dem ersten Juden-Transport im Oktober 1941 in das Getto Lodz deportiert, seine Schwiegermutter Josefine Moll im Juli 1942 nach Theresienstadt. Erst vor wenigen Jahren hat die Historikerin Hilde Jakobs herausgefunden, dass Alex Berger im Getto noch ein zweites Mal geheiratet hat, und sie nimmt an, dass das eine Zweckehe war, um die Frau vor der Ermordung zu schützen. Doch wie tröstlich war für Margot, Ruth und die Enkelin der Gedanke, dass er vielleicht in dieser schlimmsten Zeit noch Liebe und Glück erfahren haben könnte! Ruth Berger lebt in Kastrup bei Kopenhagen, Margot Andreasen ist dort 2010 gestorben. Ulrike Schrader

Margot Andreasen, geb. Berger, und Ruth Berger, Kastrup 2009

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Die Grundlagen des guten Tons Steinway & Sons in New York City

Steinway & Sons: Konzertflügel stehen zur Auswahl bereit.

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Am Klavierspielen, so wird Johann Sebastian Bach zitiert, sei nichts Bemerkenswertes. Es sollten nur die richtigen Tasten zur richtigen Zeit getroffen werden. Man wird diese Bemerkung wohl nicht wörtlich nehmen können. Zum einen sprach Bach vermutlich nicht vom Klavier eines Bartolomeo Cristofori, sondern eher von einem Cembalo, denn – wie der andere Name des Klaviers sagt – kann man die Tasten eines Pianoforte mit mehr oder weniger Schwung treffen, also leise oder laute Töne erzeugen und entsprechend hätte dann Bach „richtige Taste zur richtigen Zeit mit richtigem Schwung“ sagen müssen. Zum anderen – und darum soll es im Folgenden vor allem gehen – liegt zwischen dem Treffen der Tasten auf der Klaviatur und dem Schwingen der Saiten eine Klaviermechanik aus vielen kleinen Einzelteilen, das „Spielwerk“ mit Details, in denen der Teufel begraben liegt, wenn der erzeugte Ton nicht überzeugt – und an die man überhaupt nicht denken mag, wenn ein Klaviervirtuose auf einer der Konzertbühnen dieser Welt so wunderbar

Mozart, Beethoven oder Brahms erklingen lässt. Sie sitzen dabei in der überwältigenden Anzahl der Fälle an einem Konzertflügel der Firma Steinway & Sons, an einem Steinway D 274, also einem Flügel der D-Reihe mit einer Gesamtlänge von 274 Zentimetern, oder imperialen neun Fuß. Ein „Concert Grand“ wiegt so um die 450 Kilogramm. Dieser Steinway kann in Hamburg oder in Astoria, im New Yorker Stadtteil Queens gebaut worden sein. Äußerlich zu unterscheiden ist dies leicht durch die Vorliebe der Hamburger für eine Rundung im Abschluss des Klaviaturgehäuses und durch den hochglänzenden Polyesterlack. In Queens baut man seit 1911 regelmäßig mit scharfer Kante und bietet Hochglanz erst neuerdings als Option an. Ansonsten sitzen die Aimards, Argerichs und Brendels dieser Welt überall an vergleichbaren Instrumenten, selbst wenn der jeweilige Hersteller des Flügels ausnahmsweise mal Baldwin, Bechstein, Bösendorfer, Fazioli, Schimmel, Ibach oder gar Yamaha heißen sollte.


Das Flaggschiff der Steinway-Flotte: Der D 274

Klaviaturen aus dem Bergischen Land: Tasten der Firma Kluge

Vom Tastendruck zum Ton: Steinwaymechniken mit Hämmern und Hammerstielen von Renner

Grob gesprochen besteht ein Flügel aus der namensgebend geschwungenen Zarge, einer darin liegenden gusseisernen Platte zur Aufnahme der Saitenspannungen von über 20 Tonnen, den Saiten, dem darunter liegenden Resonanzboden zur Verstärkung des Tons, so dass der Flügel auch in Konzerthallen mit mehreren Tausend Zuhörern brauchbar ist, dem Stimmstock, dem Spielwerk und einer Klaviatur – sofern ein Steinway – der Firma Kluge Klaviaturen GmbH aus dem Morsbachtal in Remscheid. Diese, seit 1999 zur SteinwayGruppe gehörende Firma liefert die 36 oft noch aus Ebenholz gefertigten schwarzen Tasten und die 52 heute nicht mehr mit Elfenbein beschichteten weißen Tasten der siebeneindrittel Oktaven vom Subkontra A bis zum fünfgestrichenen C aller von Steinway & Sons hergestellten Instrumente. Die im Landkreis Böblingen bei Stuttgart angesiedelte Firma Louis Renner GmbH & Co. KG liefert alle Spielwerke für die Fertigung von Steinway & Sons in Hamburg und in Teilen mittlerweile auch für die Herstellung in Queens. Renner gilt mit einer Firmengeschichte von über 125 Jahren weltweit als Marktführer für Spielwerke und der Begriff „Renner-Mechanik“ wird ähnlich synonym für Klavier- und Flügelmechanik gebraucht, wie Steinway für Konzertflügel. Ein solcher Konzertflügel entsteht bei Steinway in Queens seit 1880 auf einer seinerzeit von C. F. Theodore Steinway zum Patent angemeldeten Umformpresse, auf der bis zu 18 Lagen zuerst einzeln eingeleimter Ahornbretter zu einer Zarge in Form gebogen zu werden. Die Bretter stammen aus dem eigenen Sägewerk, in dem Ahornstämme aus den nordöstlichen Bundesstaaten der USA und aus Kanada zu wenigen Millimeter starken Brettern aufgesägt und die für den Klavierbau unbrauchbare Teile aussortiert werden. Der Kern des Stammes kommt gleich in den Ausschuss, denn das deutlich hellere Holz der äußeren, saftführenden und langfaserigen Schichten muss es schon sein. Je weißer, desto besser, selbst wenn die allermeißten Flügel dann doch schwarz lackiert werden. Doch ist auch vom Weißen nicht alles verwendbar, denn Ahorn wird gerne und oft wegen seines Safts angebohrt, den man dann über Wochen zu Sirup kocht und über

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Hier entsteht die Flügelform: Fertigung einer Zarge für das Modell M im Pressenraum

Handarbeit: Das „Buch“ entsteht

Momente vor dem kommenden Zeitdruck: Das eingeleimte „Buch“ auf dem Weg zur Presse

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Pfannkuchen gießt. Das – und natürlich Äste – kostet Steinway mitunter die Hälfte des Holzes, doch nur das Allerbeste kann zu Flügeln umgeformt werden, die ihre Form und Spannung dann auch halten. Das eigene Holzlager bevorratet neben dem Ahorn für Zargen und Rasten und Zucker-Ahorn für den Stimmstock vor allem noch dünne Bretter der Sitka-Fichte für den Resonanzboden und Zucker-Kiefer für die Stege auf dem Resonanzboden. Ein eigenes Holzlager muss sich Steinway vor allem aus Gründen der Versorgungssicherheit zu erträglichen Preisen leisten, denn Möbelbauer und Produzenten von Holzfußböden fegen je nach Entwicklung des Verbrauchergeschmacks mitunter den Markt leer und treiben die Preise entsprechend nach oben. Das Aufsägen der Stämme, die Auswahl und Zuschnitt der geeigneten Teile, dann eine langsame und gleichmäßige Trocknung und schließlich die sorgfältige Kombination der einzelnen Lagen zu einem sogenannten „Buch„, dies alles braucht seine Zeit. Kommt das „Buch„ dann aber in den Pressenraum, muss es deutlich schneller gehen. Der verwendete Leim beginnt nach etwa 20 Minuten mit der Aushärtung; bis dahin muss die Form stehen. Die einzelnen „Seiten des Buchs„ wandern durch die Einleimmaschine, werden rasch aufeinander gelegt und in Choreografie zahlreicher Hände zur Presse getragen, in Position gebracht und schließlich – mittlerweile mit Hilfe pneumatisch zu verschließender Schraubzwingen – in Flügelform gepresst. Wenn alles gut läuft, ist nach 10 – 12 Minuten die Form entstanden. Je schneller, desto besser, heißt es im Pressenraum, wo vor allem die großen Zargen des Modells D dann manchmal noch ein paar Tage verbleiben. Anschließend geht es für zwei Monate ins Trockenlager, wo sie bei konstanter Temperatur sehr sachte auf das gewünschte Maß trocknen. Wäre der Flügelschwung der Zargen nicht so auffällig, könnte man das Lager mit dem einer Möbelfabrik verwechseln. Der wirklich erste Schritt auf dem Weg vom Möbel zu einem Musikinstrument ist für den heranwachsenden Konzertflügel dann nach einem Vierteljahr das Einleimen des Resonanzbodens, bei Stein-


In der Schreinerei: Ausstrebungen geben den Zargen weitere Stabilität

Gusseisen aus Ohio: Rahmen für die Modelle B (links) und O (rechts)

Rahmen (heute auch grau lackiert zu haben) und Zarge: sie warten auf den Zusammenbau

way New York besser bekannt unter „Part No. 81„. Welchen Charakter der Klang des Flügels haben wird, ob das Instrument in seinem Leben jemals von den großen Pianisten dieser Welt gespielt werden wird, darüber entscheidet nicht zuletzt Nr. 81. Ausgangsmaterial ist das Holz der Sitka-Fichte, das heutzutage vor allem aus den Küstenstreifen Alaskas und British Columbias nach Queens kommt. Weil der für Resonanzböden geeignete Anteil einer solchen Fichte allerdings unter 10% liegt, fliegt der Holzeinkäufer von Steinway zur Auswahl geeigneter Stücke nach Seattle oder Vancouver. Auch sorgfältigste Auswahl bei höchsten Qualiätsansprüchen kann nicht verhindern, dass keine zwei Steinway Flügel gleich klingen. Solange der Klang aber sehr gut bis hervorragend ist, bereitet das Steinway & Sons kein Kopfzerbrechen. Bis dahin ist es aber noch ein Stück. Nach einem längeren Trocknungsprozess sortiert die für die Herstellung der Resonanzböden zuständige Abteilung noch einmal rund die Hälfte des Rohmaterials aus. Nur Stücke, die wirklich astrein und nicht zu schnell gewachsen sind – erkennbar an der höheren Dichte der Jahresringe – finden Verwendung. Quer zu den Fasern werden auf die Unterseite ein gutes Dutzend Stege aus Zucker-Kiefer aufgeleimt, diese mit dem den Ton der Saiten abnehmenden, geschwungenen Steg auf der Oberseite verschraubt, und schließlich in den Flügel eingeleimt. Man könnte, sollte freilich nicht, das Instrument nun als kostspielige Trommel nutzen. Von einer Trommel zum Saiteninstrument wird der Steinway durch den Einbau des Stimmstocks und eines die Saiten tragenden Rahmens bzw. der Platte. Diese ist zwar golden lackiert, aber dem Werkstoffkundler ebenso als gusseisern bekannt wie alte Nähmaschinengestelle. Die Rahmen werden mittlerweile nicht mehr in Queens gegossen, sondern in einer Eisengießerei in Ohio, die zwar zum Steinway-Konzern gehört, aber auch für andere Klavier- und Flügelbauer produziert. Mit Platte, Stimmstock, montierten und gestimmten Saiten ließe sich dem werdenden Steinway wie einer Harfe bereits eine erkennbare Melodie entlocken oder man könnte ihn mit Klöppeln wie ein Hackbrett bespielen. Zu einem Tasteninstrument – und so sind Flügel und Klaviere

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Klaviatur und Mechanik: ihre Präzision und Komplexität sind beeindruckend klassifiziert – wird ein Steinway schließlich durch den Einbau von Hammer- und Dämpfungsmechanik und Klaviatur. Letztere ist vergleichsweise einfach konstruiert und besteht im Prinzip aus insgesamt 88 jeweils etwa 40 Zentimeter langen Wippen. Deren eines Ende wird vom Pianisten betätigt und deren anderes Ende hebt den Dämpfer über den jeweils anzuschlagenden Saiten und den Hammerfänger. Über die ein Stück vorher angebrachte Pilote löst die Taste zudem den Hammermechanismus aus. Mit Blei werden die Tasten auf die bei Steinway mit 47 Gramm angestrebte Niederdruckschwere austariert, mit Filzen und kleinen Unterlegscheiben aus Papieren und Pappen unterschiedlicher Dicken die Höhen der Wippen und die untere und obere Lage der Tasten einjustiert und schließlich die Pilote soweit aus- oder eingeschraubt, dass sie an der Hammermechanik anliegt. Das ist es dann auch schon, beschäftigt aber selbst den routinierten Klavierbauer gerne mal einen Tag oder zwei, bis alles einigermaßen eingestellt ist. Der Hammermechanismus – oder genauer gesagt die Repetitionsmechanik – eines

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Flügels ist ein wenig komplizierter und entsprechend arbeitsintensiver. Dabei hat sie im Prinzip einen überschaubaren Arbeitsauftrag, nämlich den Hammer mehr oder weniger schwungvoll gegen die Saiten zu schleudern und dafür zu sorgen, dass der Pianist einen Ton in rascher Folge wiederholt anspielen kann, möglichst ohne dabei die Taste wieder in ihre Ruheposition zurückwippen zu lassen. Repetition eben, und dies unterscheidet den Flügel vom gewöhnlichen Klavier, das aus Platzgründen Mechaniken mit „single action“ verwendet. Die „double action“-Mechanik (sie ist genauer gesagt eine „multiple action“) wurde vor fast 200 Jahren von Sébastien Érard ersonnen und im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts auf ein von C.F. Theodore Steinway patentiertes Gestell aus drei Messingrohren so befestigt, dass es in Hammermechaniken wenigstens ein paar stabile und vergleichsweise luftfeuchtigkeits- und temperaturbeständige Bezugspunkte gibt. Der überwiegende Rest – Holz, Filz, Leder, Textil – reagiert deutlich sensibler auf klimatische Bedingungen. Als artgerechte Haltung gelten bei Klavieren und Flügeln

alle Zustände zwischen 18 und 24 Grad Celsius und zwischen 40% und 70% relativer Luftfeuchtigkeit. Das ist durchaus lebensnah und lässt viel Raum innerhalb dessen eine Hammermechanik gut funktioniert. Und weil das Beste gerade gut genug ist, braucht es für den Einbau und die erste Grobeinstellung einer Hammermechanik in einen Flügel bei Steinway zwei bis drei Tage, selbst wenn die Mechaniken aus der schwäbisch-peniblen Fertigung der Firma Renner stammen. Ist alles soweit montiert, geht es mit einer Stimmung von zunächst nur 430 Hertz und noch ohne Dämpfer auf die Rumpelstrecke, ein schalldicht isolierter Raum, in dem über eine Nockenwelle und 88 Hebel alle 88 Tasten über ein paar Stunden hinweg jeweils über 20.000 mal angeschlagen werden. Was sich bis dahin nicht losgerappelt hat, gilt als fest. Dann darf der Flügel zur Stimmung auf die heute üblichen 440 Hertz und zu einer letzten und nun sehr sorgfältigen Einstellung vor der Auslieferung. Was dabei viel Zeit, Ruhe und Erfahrung in Anspruch nimmt, sind dann vor allem Positionierung und Einstellung der Härte der


Geduldige Handarbeit am guten Ton: Wally, weit jenseits der 65, ist ein absoluter Spezialist

Überschaubar: Die wichtigsten Werkzeuge eines Klaviertechnikers

Arbeit an den Hammerköpfchen: der Filz bekommt den letzten Schliff

Hammerköpfe. Sie müssen die bis zu drei Saiten eines Tons gleichmäßig und in dem jeweils gewünschten Winkel treffen. Dazu kann man etwa den Hammerstiel mit einer kleinen Alkoholflamme verformbar machen und dann in gewünschte Position biegen, oder man legt kleine Papierstückchen in die Aufnahmen der Hammerstiele, um eine minimal abweichende Neigung zu erzeugen. Die Hammerköpfe sollten für den jeweiligen Ton so hart sein, dass über den gesamten Tonumfang hinweg ein gleichmäßiger Toncharakter entsteht. Diese Arbeit heißt im Volksmund Intonation, benötigt neben einer Art Zaponlack und Sandpapier zum Härten und Formen der Hämmer nur noch ein paar Nadeln zum entgegengesetzten Aufweichen der Hammeroberfläche. Einstellung und Intonation sind Künste, die jeder Klavierstimmer bzw. -techniker in den Grundlagen beherrscht. Wenn es aber eher in Richtung Magie gehen soll, also Auswahl und Positionierung des einen winzigen Papierschnipsels, der den Unterschied macht, dann werden einige wenige Spezialisten auch rund um den ganzen Erdball geflogen. Wann dies gewünscht wird, dazu später mehr. Sucht man sich bei Steinway in Queens einen neuen Flügel aus, wird man neuerdings in den Dirk Dickten Selection Room gebeten, benannt nach dem 1958 in Wuppertal geborenen und 2012 in New York verstorbenen „Master Technician„ der Firma. In der von ihm und seither von Mark Dillon geleiteten Abteilung bekommen die Instrumente ihren letzten musikalischen Schliff. Nachdem schließlich dem Aspekt des Flügels als Luxusmöbel mit viel Liebe und noch mehr Politur den hohen Standards bei Steinway entsprechend Rechnung getragen wurde, ist nach elf Monaten der Flügel dann verkaufsbereit. Der Hersteller garantiert eine ebenso gleichmäßige wie leichte Spielbarkeit, wie auch die penible Einhaltung des Firmenmottos „to build the best piano possible„. Was hingegen nicht treffgenau garantiert werden kann, ist der jeweils mitunter sehr eigene Klang des Instruments und hier ist dann der New Yorker Steinway-Kunde im Dirk Dickten Selection Room selbst gefragt und letztendlich dafür verantwortlich, wie sehr er sein Klavier liebt. Die andere Hälfte des Firmenmottos lautet „and sell it at the lowest price

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Bitte wählen Sie selbst: Der Dirk Dickten Selection Room

Kein Speed Dating: Die Auswahl unter exzellenten Instrumenten kann etwas länger dauern

Steinway auf der Bühne: Auch Jazzmusiker wie der 2012 gestorbene Dave Brubeck lieben den D

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consistent with quality„ und ist zumindest für einen D 274 nicht ohne weiteres nachzuvollziehen. Er kostet inzwischen, je nach Ausstattung, so ab 160.000 Dollar, der Hamburger D kostet entsprechend 160.000 Euro und ist allein schon darum nicht für jedermann gedacht. Der hörbar andere Grund ist die Lautstärke eines D, die bei Bedarf für die Royal Albert Hall in London reichen muss, in der mehr als 5.000 Zuhörer Platz finden; und wegen der deutlich reicheren Klangfarbe auf Grund der gegenüber kleineren Flügeln längeren Saiten und des deutlich größeren Resonanzraums. Ein D ist als Konzertflügel gebaut, also vor allem in Konzertsälen zu finden. Darüber hinaus auch in Wohnungen von Konzertpianisten, die mit geschlossenem Deckel und manchen anderen Tricks die für Wohnzimmer eigentlich überdimensionierte Lautstärke des Instruments im Zaume halten. Sie benötigen den größeren Klangreichtum eines D bereits gegenüber dem „nur„ um gut 60 Zentimeter kürzeren Modell B und natürlich auch das schwerere Spielgefühl in der täglichen Situation des Übens. Ansonsten wären die vielen Facetten eines gelungenen Auftritts mit einem D eher günstigen Unfällen als künstlerischer Kontrolle geschuldet. Klar, es gibt auch Prahlschnallen. Zu D-Preisen hat Steinway bislang etwas über 4% der gesamten Produktion verkauft, also vielleicht 28.000 der insgesamt gut 620.000 in New York und Hamburg hergestellten Flügel. Die meisten dieser Konzertflügel finden sich in den vielleicht 5.000 Konzertsälen dieser Welt. Hunderte von ihnen befinden sich in den Fundi von Instrumentenverleihern, von denen der weltweit vielleicht bekannteste und nur eine Marke im Angebot habende den Namen Steinway führt. Das Raunen darüber hört auf den Namen „Steinway-Banks„. Wird ein D in eine der Steinway-Banken eingegliedert, bekommt er ein zusätzliches Brandzeichen zur Seriennummer, ein C für Concert, gefolgt von einem D für das Modell, gefolgt von einem Bindestrich und einer zwei- bis dreistelligen Nummer. Daran erkennen die Klaviervirtuosen ihre Lieblinge bzw. bestellen sie nach dieser Nummer immer und immer wieder. So oft, dass es heißen kann: „CD-18 war Rachmaninoffs liebster Konzertflügel, der von Horowitz CD-503.„


Franz Mohr: Urvater der Techniker-Virtuosen mit Schwelmer Vergangenheit. Zu Klavier-Virtuosen hat das Haus Steinway historisch bedingt ein besonderes Verhältnis, denn der Aufstieg und das Verdrängen von Chickering, des eigentlich dominanten Klavierbauers in den USA des 19. Jahrhunderts, hat ebensoviel mit der Innovationskraft eines C.F. Theodore Steinway zu tun, wie mit der Geschäftstüchtigkeit seines 12 Jahre älteren Bruders William. Der mogelte zum einen 1876 ein brandneues und klanglich deutlich der Konkurrenz überlegenes Modell der Firma auf die Weltausstellung in Philadelphia und verpflichtete zum anderen in den 1890er Jahren mit Ignacy Jan Paderewski einen Weltmeister der Tasten als ersten „Steinway Artist„ für Konzertreisen durch die USA und erzeugte damit einen enormen Verkaufsschub für die eigenen Produkte. Vertraglich wurde seinerzeit als Gegenleistung für die Exklusivrechte am Namen des Virtuosen in den USA und einer möglichst lobenden Beschreibung der Steinways durch ihn festgehalten, dass neben Mindestgage und Übernahme aller Spesen die Firma Steinway für die

Erfüllung jeglicher Wünsche hinsichtlich Spielbarkeit und Klang des Instruments sorgen würde. Heute ist Steinway kein Konzertveranstalter mehr, listet aber mehr als 1.600 Steinway Artists, davon 106, teilweise schon zu Lebzeiten, als sogenannte „Immortals„. Solche Unsterblichen reden ungern über Geld, bekommen aber je nach Grad ihrer Unsterblichkeit für einen Auftritt etwa im Stern Auditorium der Carnegie Hall vielleicht 50.000 Dollar, vielleicht auch mehr. Sie dürften den durchaus brauchbaren Steinway D benutzen, der ohnehin auf der Bühne steht, doch gehen sie wahrscheinlich eher zur örtlichen Filiale der Steinway-Bank oder zu ProPiano, um sich einen Konzertflügel auszuleihen, der ihren Vorstellungen von der Ausgestaltung des Auftritts noch mehr entgegenkommt. Man kennt sich, wie gesagt. Welcher auch finanzielle Aufwand da betrieben wird, zeigt eine dritte Altenative: Manche Unsterbliche – wie der späte Horowitz und jüngst Mitsuko Uchida – bringen ihren eigenen Flügel mit. Ob Bühneninstrument, Leihflügel oder Eigentum, die

Virtuosen brauchen in jedem Fall den einen Techniker/Stimmer/Intonierer ihres Vertrauens und vertrauten dabei zunächst auf Cheftechniker der Flügel-Hersteller in der Nachfolge von Franz Mohr. Mohr, der Urvater der Techniker-Virtuosen bei Steinway, begann seinen beruflichen Werdegang in den 1950er Jahren übrigens bei Rud. Ibach Söhne in Schwelm. Die Techniker-Virtuosen hießen Tali Mahanor und heißen Ronald F. Coners bei Steinway New York und Stefan Knüpfer bei Steinway Hamburg. Mittlerweile verpflichten die unsterblichsten Klavier-Virtuosen auf eigene Kosten auch freiberufliche „Magier„ vom Schlage eines Georges Amman, ein Schweizer, dem man im deutschen Sprachraum nachkalauert, er sei eine richtige „Stimmungskanone„. Ihn lädt Steinway & Sons in regelmäßigen Abständen ins Werk nach Hamburg ein, damit er seine Kenntnisse und Erfahrungen aus den Höhenreigionen der Kunst an die dortigen Kollegen weitergibt. Die Bezeichnung Magier soll dabei sowohl andeuten, dass es Nicht-Eingeweihten oft

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Benoit Delbecq: Improvisationen am Steinway D bei Inbetween 2006 in Münster völlig schleierhaft bleibt, wie ein Techniker-Virtuose sein Werk verrichtet, obwohl er sich aus einem sehr überschaubaren Werkzeugkasten bedient. Zum anderen ist der Techniker-Virtuose dem Zaubermeister einer gelungenen Klavieraufführung ein vermutlich gleichwertiger Partner. Der Zaubermeister muss als Pianist mit vielen Eigenarten des Klaviers leben, von denen zwei die vielleicht bemerkenswertesten oder zumindest diejenigen sind, bei denen der Techniker-Virtuose hilfreich ist. Zum einen verliert der Pianist mit dem Anschlag erst einmal für einen Moment lang die Kontrolle über den Ton. Er wirft gewissermaßen einen Ball gegen Saiten und hat erst wieder Kontrolle über den Ball, wenn er wieder gefangen ist. Das geht mit einem Flügel dank der Repetitionsmechanik schneller als bei einem Klavier, doch kann auch der beste Pianist der Welt seinen Ton nie so unmittelbar erzeugen, wie er es selbst als blutiger Anfänger mit Bogen und Geige könnte. Die zweite Eigenart folgt aus der ersten, denn ein Anschlag der Saite auf einem Klavier oder Flügel bedeutet, dass

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der einzelne Ton immer ein Decrescendo ist, also mit seiner jeweils maximalen Lautstärke beginnt und selbst bei voll getretenem rechten Pedal früher oder später verklungen ist. Das kann von Vorteil sein oder nicht. Wie man mit einem möglichen Nachteil in der Klavierliteratur umgeht, lässt sich zum Beispiel im dritten Satz der Sonate Nr. 31 As-Dur op. 110 von Beethoven hören. Hier kann der Pianist das dem Klavier innewohnende Decrescendo durch Tonwiederholungen so überwinden, dass ein Anschwellen scheinbar eines Tons, ein Crescendo entsteht. Das gelingt umso besser, je besser der Pianist in der Lage ist, den wiederholten Anschlag zu „verheimlichen„. Diese Vorstellung des Komponisten muss natürlich auch das Konzertpublikum gewinnen können und dazu braucht der Klavier-Virtuose die Unterstützung eines Techniker-Virtuosen für eine größtmögliche Kontrolle über einen beinahe chaotisch erscheinenden Illusionsapparat names Steinway. Glen Gould sah das bekanntlich dezidiert anders. Aber auch er brauchte die Hilfe eines Techniker-Virtuosen, weil er

wollte, dass der von ihm gespielte Steinway D wie ein Flügel der Firma Chickering klingt. Keine einfache Aufgabe, munkelt man. Jedoch brauchte sich sein Techniker dafür nicht groß um die Einstellung der drei Pedale zu kümmern, ein Thema vieler noch ungeschriebener, musikwissenschaftlicher Bachelor-Arbeiten. „Der Ton atmet nicht“ oder besser noch „der Ton atmet irgendwie nicht richtig„, so was in der Art hören die TechnikerVirtuosen in ihren beruflichen Alltagen, werkeln dann Stunden vor sich hin, hören weitere, ähnlich präzise Steuerbefehle, und werkeln fort. In der Regel noch vor Einlassbeginn ist dann aber aus einem ohnehin schon exzellenten Konzertflügel endlich wieder das eine und einzigartige Instrument geworden, mit dem der Interpret die Beethoven-Sonate auch bis in die allerletzten Feinheiten hörbar machen kann. Auf der anderen Seite sind erfahrene Techniker auch ein Segen für den künstlerischen Nachwuchs am Klavier, denn sie wissen: „Wenn Du ein Klavier-Konzert von Rachmaninoff spielen willst, brauchst


Du ein Instrument, das ‘schreien’ kann, wenn das Orchester ins forte fortissimo geht.„ Sie meinen damit, dass der Flügel für ein Klavierkonzert nicht nur Lautstärke braucht, sondern auch eine sehr brilliante Intonation und entsprechende Klangfarbe. So ein nahezu „übersteuerter„ Flügel ist freilich für Kammermusik weniger geeignet. Bestimmte Genres, bestimmte Werke brauchen bestimmte Klaviere. Klaviervirtuosen wie Richard Goode, André Watts, Martha Argerich oder Pierre-Laurent Aimard mögen zeitweilige Vorlieben für bestimmte Gattungen oder Epochen haben, doch sind sie gleichermaßen in Klavierkonzerten, Recitals und mittlerweile auch in der Kammermusik zuhause. Die gefragten Techniker-Virtuosen kennen die spezifischen Vorlieben der Allermeisten von ihnen und den jeweils bevorzugten Grad der Individualisierung. Horowitz soll mit einer derart leichtgängigen Tastatur gespielt haben, dass Freunde etwas handfesterer Einstellungen auf einem „Horowitz-Flügel„ in den ersten Momenten der Begegnung vermutlich Krach produziert hätten. Eine Ausnahme unter den Klavier-Virtuosen ist bzw. war in den USA der polnische Pianist Krystian Zimerman, 1975 Preisträger im internationalen Chopin Wettbewerb und selber ein ausgezeichneter Klaviertechniker. Zimerman konzertierte gerne mit einer eigenen Tastatur und eigenem Spielwerk. Er tat dies auch in den USA, solange, bis übereifriger Zoll gelegentlich seiner Einreise die für ihn fremde Apparatur für einen Haufen Kokain oder eine Massenvernichtungswaffe hielt und vorsichtshalber schredderte. Dies und die Präsidentschaft von George W. Bush belastete Zimermans Verhältnis zum Land so nachhaltig, dass er seit 2009 nicht mehr dort aufgetreten ist. Er ist auch kein Steinway Artist. Damit kann die Firma noch leben, denn sie beherrscht 90% des Marktes für Konzertflügel. Doch die Konkurrenz schläft bekanntlich nie und kommt grob gesprochen aus zwei Richtungen. Der Extremfall der einen Richtung ist die eines „noch pingeliger, noch exklusiver, noch größer, noch teurer, nur auf Bestellung„. Der italienische Hersteller Fazioli bietet mit seinem Top-Modell F308 zwar keinen Ferrari, doch einen noch fünfzehn Zentimeter längeren Flügel als den Steinway D für weit nördlich von 200.000 Euro an

und lässt dafür auch wirklich jedes Bauteil nur bei Vollmond mit den Füßen aus dem Vollen feilen. Sein direktes Konkurrenzmodel zum D 274 ist der F278 und die vier Zentimeter Längenunterschied schlagen sich in einem Preisunterschied von 10.000 Dollar nieder, pro Zentimeter. Die andere Seite ist eher von betriebswirtschaftlichen Überlegungen und Verwendung moderner Materialien getrieben, was einen angesichts der sehr traditionellen Fertigungsprozesse und Werkstoffe nicht wirklich wundert. Die prominenteren Namen des „advanced manufacturing„ im Klavierbau sind vielleicht Yamaha und Kawai. Beide Hersteller bieten ebenfalls direkte Konkurrenzmodelle zum Steinway D an. Yamaha setzt bei seinem Top-Modell CFX auf das Attribut der weitgehenden Fertigung durch erfahrendste Hände, während Kawai die „revolutionary Millennium III ABS-Carbon Action„ seines Neunfüßers betont. In den Preisen ihrer Spitzenmodelle drücken Hersteller von Konzertflügeln ihren jeweiligen „Wert„ aus, das hohe Maß an Produktionssorgfalt und die Verwendung nur der allerbesten Materialien. Daher sollten Konzertflügel besser nicht über den Preis verkauft werden. Auf betriebswirtschaftlich solideren Boden kommt man bei den Herstellern im „Massengeschäft„, also bei den Modellen, die – wie bei Steinway der sieben Fuß bzw. 211 Zentimeter lange B – das Gros der Flügelproduktion ausmachen und für die die Virtuosen an den Spitzenmodellen wirksame Werbefiguren sind. Fazioli stützt sich auf Namen wie Angela Hewitt, Louis Lortie, Nikolai Demidenko oder Herbie Hancock, Yamaha soll angeblich einigen seiner „Unsterblichen„ Geld zahlen oder geldwerte Vorteile gewähren und dass Steinway Artists alle ehrenamtlich tätig sind, klingt angesichts des Marktanteils der Firma im Spitzensegment plausibel. Nicht einmal eine populäre Talk Show mit Lang Lang an einem Kawai mit „revolutionary Millennium III ABSCarbon Action„ könnte vermutlich an den Marktverhältnissen etwas ändern, zumal jedes Kind weiß, dass Lang Lang bei seinem nächsten Konzert dann doch wieder an einem Steinway sitzen wird. Es hat allerdings in der Firmengeschichte auch immer wieder Momente gegeben, in der es Spitz auf Knopf stand. Zuletzt – und man erinnert sich in Queens nur sehr ungerne

daran – hätte eine bei Steinway New York aufkeimende Liebe für ein neuartiges und für Bratpfannenbeschichtungen durchaus nützliches Material beinahe die gute Ehe zwischen Klavierhersteller und Klaviervirtuosen zerrüttet. Die Rede ist von Teflon. Die Buchse, in der die Taste auf dem Wippenstift sitzt, war bis 1962 durchgängig mit Textil ausgekleidet, das stärker auf Feuchtigkeits- und Temperaturschwankungen reagiert, als man es sich vom Standpunkt eines Klavierbauers wünscht. Das ließ den Wippvorgang gelegentlich etwas schwergängiger werden. Die 1962 zum Patent angemeldete Lösung des Problems hieß „Permafree Bushing Assembly„, war eine Teflonbuchse und der gut gemeinte Versuch, hier mit Raumfahrtmaterialien etwas gegen die wechselnden Gemütszustände des Instruments tun zu können. Gut gemeint ist manchmal das genaue Gegenteil von Gut und die Geschichte von Steinways Teflon-Debakel wurde zu einem Musterbeispiel dieses Zusammenhangs: In den Übergangsjahreszeiten litten die von 1963 bis 1982 mit Teflonbuchsen ausgestatteten Klaviaturen unter einem unkontrollierbaren Klicken, was zwar nur der Härte von Teflon und der von Holz verschiedenen Wärmeausdehnung geschuldet war, aber in der Praxis unendlich nervte. Von Franz Mohr heißt es, er habe bald heimlich alle Teflonbuchsen der in New York an Virtuosen verliehenen Flügel wieder durch traditionelle Buchsen ersetzt, um die Künstler nicht alle nach HamburgSteinways rufen hören zu müssen. Dort hatte man sich dem Modernisierungsdrang erfolgreich widersetzt und war dem Firmenmotto weiterhin gefolgt, „to build the best piano possible“. Stefan Altevogt Fotos: Karl-Heinz Krauskopf

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Alice im Wunderland Uraufführung einer Kinderoper in Wuppertal Kinderoper von Andreas N. Tarkmann (Musik) und Jörg Schade (Text) nach dem gleichnamigen Buch von Lewis Caroll Musikalische Leitung: Ralf Soiron, Inszenierung Corinna Jarosch, Ausstattung: Marc Löhrer, Kostüme: Rike Zöllner, Chor: Jens Bingert, Alice: Mine Yücel/Ralitsa Ralinova, Erzähler: Carsten Bülow, Raupe: Jan Szurgot, Hutmacher: Andreas Beinhauer, Schlafmaus: Carla Hussong, Märzhase/König: Markus Murke, Kaninchen: Sean Bree, Königin: Banu Schult, Grinsekatze, Gärtner, Onkel und Tanten, Hofstaat: Opernchor der Wuppertaler Bühnen Premiere 15. 12. 2014, 12 Uhr

linke Seite: Banu Schult, Sean Breen, Opernchor unten: Markus Murke, Banu Schult, Mine Yücel

Ungewöhnliche Zeit für eine Oper: 12 Uhr mittags, und ein ungewöhnliches Publikum: Kinder vor allem aus Grundschulen, die stehend gerade die Höhe der Sitze erreichten. Der Grund: die Uraufführung einer Auftragskomposition der Wuppertaler Bühnen, die Kinderoper „Alice im Wunderland“ in Anwesenheit des bewährten Autorenteams Andreas N. Tarkmann (Musik) und Jörg Schade (Text). Diese Kinderoper sollte eigentlich erst im Sommer aufgeführt werden, wurde aber zeitlich vorgezogen, so dass der Komponist wohl etwas in Stress gekommen sein musste. Vor der Aufführung fielen die gespannten und besorgten Mienen der begleitenden LehrerInnen auf, die auf gutes Benehmen ihrer mit Essen und Getränken voll versorgten Kinder hofften. In der Pause waren sie dann spürbar lockerer und erleichterter, denn die jungen Zuschauer verfolgten gebannt das Geschehen, waren bemerkenswert leise, weil vom Stück gepackt, spendeten reichlich Beifall und wollten am Schluss sogar eine Zugabe haben. Dass sie zum ersten Mal in der

Oper waren, merkte man daran, dass sie in der Pause einfach sitzen blieben und dann nur sehr zögerlich den Raum verließen. Auch eine Lehrerin verfehlte ihre Vorbildfunktion, weil sie schon während der Vorführung unbedingt von ihrem Smartphone postete und sogar anrief. Dass die Kinder sich so positiv verhielten, lag natürlich zuerst einmal am Stück selber: Der Autor hatte entscheidende Szenen aus dem Roman von Lewis Carroll ausgewählt, so das für Alice langweilige Familienfest, Begegnungen mit Raupe, Katze, Märzhase, Kartenmännern und der bösen Herzkönigin. Lautstarkes Vergnügen verursachte das immer wieder nur kurz mit unterschiedlichen Fahrzeugen und Geräten über die Bühne flitzende Kaninchen, bevor es dann doch mit einem längeren Auftritt belohnt wurde. Außerdem hatte Schade sehr geschickt einen Erzähler eingefügt, der die Handlung weiterführt und kommentiert, aber andererseits auch Alices Begleiter ist und im zweiten Teil mehr oder weniger in die Handlung eingesogen wird, obwohl er ständig das Gegenteil behauptet. So wird

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oben: Opernchor, Mine Yücel Mitte: Jan Szurgot, Mine Yücel, Opernchor unten: Sean Breen

in anspruchsvoller, aber kindgerechter Weise die Doppelbödigkeit der Ursprungsgeschichte in der Oper spürbar. Die Musik passt dazu sehr gut: Kein Pop-Mainstream, sondern erweiterte Tonalität mit differenzierter Melodik, von sechs Instrumentalisten der Wuppertaler Musikhochschule, deren Namen man im Programm durchaus hätte nennen können, engagiert und routiniert gespielt, unter Leitung von Rolf Soiron. Die Musik provoziert an vielen Stellen Bewegungsimpulse, die die Regie dann nur noch aufnehmen muss. Besonders viele Aufgaben hatten Schlaginstrumente, auffällig war auch der Einsatz des Cembalos: wenn es die Sänger begleitete, fühlte man sich manchmal ansatzweise an richtige Opernrezitative erinnert. Die nachsingbaren Hits kommen aber erst im zweiten Teil, Knüller war meiner Ansicht nach der Teestunden-Tango mit oft wiederholtem Kehrreim. Die Sopranpartie der Alice schien relativ hoch gesetzt, wurde von der jungen Sängerin Mine Yücel aber bravourös gemeistert, mit sehr hoher Wortverständlichkeit. Auch die übrigen Solisten, offenbar nur für diese Produktion engagiert und deshalb in Wuppertal (noch) nicht bekannt, ließen keine Wünsche offen und verbanden professionellen Gesang mit kindgerechtem und ausdrucksvollem Spiel, oft ganz nah an der Rampe direkt vor den ersten Zuschauern. Und in diesem Stück kann der Opernchor (Leitung Jens Bingert) wirklich zeigen, was er kann, denn dessen Mitglieder spielen wechselnde wichtige Rollen. Sie singen und spielen nicht nur Alices Onkel und Tanten und den Hofstaat, sondern treten auch immer wieder solistisch hervor, und drei von ihnen begeistert das Publikum mit einem herrlichen Katzenterzett. Regie (Corinna Jarosch) und Bühnenbild (Marc Löhrer) setzten die Vorlage gut nachvollziehbar und farbenreich um, stellten mit einfachen Mitteln viel Spannung her, ohne die kleinen Zuschauer

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Mine Yücel, Carsten Bülow, Opernchor

zu überfordern. Gut gelang auch der Einsatz von Video-Sequenzen; besonders der lange Fall Alices ins Kaninchenloch und somit in die andere, surreale Welt bereitete den Zuschauern deutlich hörbares Vergnügen. Das war offensichtlich das richtige Rezept, denn Kinder blieben in der mehr als anderhalbstündigen Aufführung immer bei der Sache. Dazu leisteten auch die fantasievollen Kostüme (Rike Zöllner) einen ganz erheblichen Beitrag. Am Schluss viel Beifall, die nicht erfüllbare Forderung nach Zugabe, fröhliches Gewusel und erleichterte LehrerInnen: der Ausflug ins Opernhaus hat sich gelohnt! Fritz Gerwinn Fotos: Uwe Stratmann

Saitenspiel:Meisterwerke in der Historischen Stadthalle Wuppertal So. 01.03.2015, 18.00 Uhr

Beethoven hoch 3 Ludwig van Beethoven: Sonate für Klavier und Violoncello F-Dur op. 5/1 Sonate für Klavier und Violine F-Dur op. 24 „Frühlingssonate“ Klaviertrio B-Dur op. 97 „Erzherzog-Trio“

Klára Würtz, Klavier Kristóf Baráti, Violine István Várdai, Violoncello

VVK: KulturKarte Tel. 02 02 .563 76 66 Veranstalter: Historische Stadthalle Wuppertal GmbH

Die Konzertreihe „Saitenspiel“ wird ermöglicht mit freundlicher Unterstützung von Detlef Muthmann www.saitenspiele.eu

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Wuppertaler Lesereihen Die Wuppertaler Literaturszene rund um den Verband deutscher Schriftsteller (VS) und die Autorengemeinschaft „Literatur im Tal“ hat eine Vielzahl von literarischen Veranstaltungen zu bieten, darunter auch mehrere Lesereihen wie die Werkstattlesungen im Literaturhaus, die Autorenlesungen zu den Büchermärkten in der Pauluskirche, Literatur auf dem Cronenberg im Fotostudio Hensel, Lesungen in Kooperation mit der Friedrich-SpeeAkademie und viele mehr. Einige davon sollen in dieser und den nächsten Ausgaben vorgestellt werden.

1. Werkstattlesungen des VS im Literaturhaus Alle zwei Monate, in der Regel am ersten Montag im Monat, lädt der Verband deutscher Schriftsteller (VS) in das Literaturhaus Wuppertal zur Werkstattlesung ein. Doch was ist das, eine Werkstattlesung? Man nehme: Drei Wuppertaler Autoren und einen Moderator, lasse die Autoren jeweils 20 Minuten aus unveröffentlichten, in Arbeit befindlichen Werken lesen und lade anschließend das Publikum ein über das Gehörte zu diskutieren. Ein Konzept, das aufgeht. Weil es zum einen dem Publikum die seltene Möglichkeit gibt, Einblicke in die Arbeit von Schriftstellern zu bekommen, zum anderen den Autoren die Gelegenheit gibt, noch während der Arbeit am Werk Reaktionen und Meinungen der späteren Leser einzufangen. Ein wechselseitiges Geben und Nehmen also. Die Geschichte der Werkstattlesungen begann mit einer Idee von Hermann Schulz Anfang 2009. Er wollte Autoren die Möglichkeit geben „sich mit ihren Works-in-progress der Kritik [zu stellen], erproben, was sie schon geschrieben haben und haben damit die Chance, die Weichen neu zu stellen.“ Für die allgemeinen Leser sah er den Vorteil: „Sie nehmen am Prozess des Entstehens teil, lernen die Werkstatt-Arbeit von Autoren kennen, können sich einbringen mit ihrer Kritik.“ Gemeinsam mit Karl Otto Mühl, Christiane Gibiec und Wolf Christian von Wedel-Parlow konnte Hermann Schulz das Bücher-Jojo in der Friedrich-Ebert-Straße als Veranstaltungsort gewinnen. Dort fand am 11. Februar 2009 die Lesung „Aus der Werkstatt“ mit Safeta Obhodjas, Karl Otto Mühl und Wolf Christian von Wedel-Parlow statt. Eine zweite Lesung folgte am 17. März 2009 mit Hermann Schulz und Christiane Gibiec – Schulz las damals ein Stück aus seinem fünf Jahre später erschienenen Roman „Die Nacht von Dar Es Salaam“, Gibiec aus dem gleichfalls erst fünf Jahre später erschienenen Roman „Else blau“. Damit endeten die Werkstattlesungen im Bücher-Jojo, weil das Geschäft leider aufgegeben wurde.

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Im Jahr 2013 hatte Karl Otto Mühl die Idee einer Veranstaltung, „bei der unsere Leute nicht nur von der Publikumsgunst abhängig sein würden, sondern zumindest vor solidarischen Kollegen lesen könnten – aber es ist nichts dagegen einzuwenden, wenn diese Lesungen Öffentlichkeit haben würden“. So wurden die Werkstattlesungen neu belebt. Diesmal im Literaturhaus an der Friedrich-Engels-Alle mit regelmäßigen zweimonatlichen Terminen, mit Moderation und als Kooperation zwischen dem Verband deutscher Schriftsteller und dem Literaturhaus Wuppertal e.V.. Letzteres hatte seinerseits bereits gute Erfahrungen mit Werkstattberichten und Lesungen aus unveröffentlichten und unfertigen Manuskripten Wuppertaler Autoren gemacht.


Den Anfang wagten am 19. August 2013 Arnim Juhre, Ruth Velser und Stefan Mettler. Michael Zeller, der die Veranstaltung moderierte, äußerte damals gegenüber der Westdeutschen Zeitung: „Wir wollen ein Angebot schaffen, das die Menschen darüber informiert, was in Wuppertal literarisch geboten wird. Die Literatur in Wuppertal fristet noch ein bescheidenes Dasein.“

Literarisches Schaffen gegeben. Und werden es weiterhin tun – mit sechs neuen Werkstattlesungen im Jahr 2015.

Seitdem hat sich die Reihe der Werkstattlesungen im Literaturhaus etabliert. Drei völlig unterschiedliche Autoren mit unterschiedlichen Texten zu hören ist immer spannend, ebenso wie die spontanen Gespräche mit dem Publikum, die nicht planbar sind. Eine Veranstaltung für Lesende ebenso wie für Schreibende. Das „Who is who“ der Wuppertaler Literaturszene und auch ein paar neuere Gesichter haben hier Einblicke in ihr

Abbildung: Die achte Werkstattlesung am 6. Oktober 2014 zur VS-Vorstandsübergabe von Wolf Christian von Wedel-Parlow, Hermann Schulz und Karl Otto Mühl an Marina Jenkner und Jürgen Kasten. (Fotocollage: Jeanna Bossi)

Marina Jenkner Foto Jeanna Bossi In der nächsten Ausgabe lesen Sie über die Autorenlesungen zu den Büchermärkten in der Pauluskirche.

Die Werkstattlesungen 2015 Jeweils Montag, 19.30 Uhr, im Literaturhaus Wuppertal, Friedrich-Engels-Allee 83 2. 2. 2015 Michael Zeller, Christian Oelemann, Marina Jenkner Moderation: Matthias Rürup 13. 4. 2015 Dieter Jandt, Sibyl Quinke, Jost Baum Moderation: Dorothea Müller 8. 6. 2015 Dorothea Müller, Günther Wülfrath, Angelika Zöllner Moderation: Hermann Schulz 3. 8. 2015 Friederike Zelesko, Arnim Juhre, Falk Andreas Funke Moderation: Michael Zeller 5. 10. 2015 Safeta Obhodjas, Christiane Gibiec, Ingrid Stracke Moderation: Jürgen Kasten 7. 12. 2015 Torsten Krug, Wolf Christian von Wedel-Parlow, Stefan Mettler Moderation: Anne Linsel

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Unter Druck Die BBK Druckwerkstatt Wuppertal

Blick in die BBK-Druckwerkstatt

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Wichlinghausen. Unregelmäßig gruppieren sich historische Fabrikgebäude um einen Hof. Das „Atelierhaus Königsberger Höfe“, Wiescher Straße 11 – 13 gehört zu diesem Ensemble. Hell und großzügig präsentiert sich im dritten Stock die Druckwerkstatt des BBK Bergisch Land. Mit viel Druck arbeiten hier die Künstlerinnen und Künstler. „Unter Druck“ meint hier den hohen Andruck, den es oftmals braucht, um von einem Druckstock mittels einer Presse oder auch manuell eine Grafik auf Papier oder andere Materialien abzudrucken. Die Werkstatt für traditionelle Druckgrafik, die mit Unterstützung des Kulturbüros der Stadt Wuppertal eingerichtet wurde, wird von den Mitgliedern des Künstlerverbands organisiert und ihren Mitgliedern zur Verfügung gestellt. Zur Ausstattung gehören neben Lithographie- und Radierpressen Arbeitsplätze für Holz- und Linoldruck. Künstler/ Innen realisieren eigene Projekte im Bereich Lithographie, Holzschnitt,

Linolschnitt, Stempeldruck, Radierung, Monotypie und experimentelle Drucktechniken. Die Werkstatt bietet eine wunderbare Möglichkeit, die alten handwerklichen Kulturtechniken des Druckens zu bewahren und gleichzeitig für eigene Projekte in neuer Form zu nutzen. Die sinnliche Erfahrung im Umgang mit Papier, Farbe und Geräten ist eine große Bereicherung im künstlerischen Ausdruck und braucht Genauigkeit, Geduld und Erfahrung. Die Werkstatt stellt Druckpressen bereit, die nicht jedem/r Künstler/in privat zur Verfügung stehen und bietet die Möglichkeit, das Refugium des eigenen Ateliers zu verlassen und den kollegialen Austausch in den beruflichen Erfahrungen zu pflegen. Somit wird die Druckwerkstatt zur Plattform für Kontakte, für Gespräche, für künstlerische Auseinandersetzung und das gemeinsame Finden inhaltlicher Positionen.


Zurzeit arbeitet hier eine Gruppe von dreizehn Künstlerinnen und Künstler an eigenen und gemeinsamen Themen. Bereits zum dritten Mal ist die Gruppe mit der Ausstellungsreihe „Tradition und Experiment“ in die Öffentlichkeit getreten und hat ihre Druckgrafiken an verschiedenen Orten der Region gezeigt. Vor drei Jahren hat sie im Museum Haus Martfeld in Schwelm ausgestellt und im November 2014 wurde in der KunstStation des Bürgerbahnhofs Vohwinkel die dritte Edition der Ausstellungsreihe gezeigt.

Historische Lithografiepresse in der Wiescher Straße unten: Gelagerte Litho-Steine (links) und Schleifen eines Lithografie-Steines

Bei dieser Präsentation wurde zum Thema Zeit gearbeitet und selbst gewählte Texte mittels diverser Techniken in einen grafischen Druck umgesetzt. „Mit diesem Projekt möchten wir dazu beitragen, die Kunst, insbesondere die Druckgrafik im Tal lebendig zu halten und ihr eine besondere Qualitätsnote hinzufügen“. Zum ersten Mal wurden die Grafiken nicht nur ausgestellt sondern auch in

einem Kunstkalender für 2015 von der Druckwerkstatt des BBK herausgegeben. An diesem Projekt beteiligten sich: Sarah Doerr, Ulrike Hagemeier, Barbara Held, Ulla Holtschneider, Petra Mohr, Doris Oberschachtsiek, Stephan Preuss, Boris von Reibnitz, Ulla Riedel, Ulla Schenkel, Tati Strombach-Becher, Stephan Werbeck und Teresa Wojciechowska. Die erfolgreiche Veröffentlichung des Kunstkalenders „Die Zeit“, der schon nach kurzer Zeit vergriffen war, hat die Gruppe motiviert die Reihe „Tradition und Experiment“ weiterzuführen und gezeigt, dass das Projekt Druckwerkstatt auf dem richtigen Weg ist. „Unser Anliegen ist es, für druckgrafische Arbeiten von Wuppertaler Künstlern Interesse zu wecken und der Öffentlichkeit als einen wichtigen kulturellen Faktor zu präsentieren“. Die Druckgrafiker/innen der BBK Druckwerkstatt

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Bügeln und bügeln lassen Doormen in New York City

Als Tom Wolfe 1987 seinen Helden Sherman McCoy durch das „Fegefeuer der Eitelkeiten“ schickte, arbeiteten die Herren des Universums zumeist noch an Wall Street und lebten in Palästen an den teuren Avenues der Upper East Side. Genauer gesagt: es waren und sind auch heute noch Palastkomplexe, das heißt große, vielstöckige Gebäude mit sich oft über mehrere Etagen erstreckenden Einzelpalästen. Ganz oben das Penthouse für den wohlhabendsten Fürsten einer „Co-Op“ genannten Eigentümergemeinschaft. Das klingt zwar – auch in voller Länge „Housing Cooperative“ – nach Havanna, ist aber ziemlich genau das Gegenteil. Die Herrinnen und Herren des Universums besitzen Anteilsscheine an Rechten und Pflichten der gesamten Immobilie, zu den Rechten gehört der Nießbrauch von Flächen innerhalb des Gebäudes zu Zwecken der Residenz, und beinahe alle Entscheidungen trifft das „Co-Op Board“, kurz auch „Board“. Außenstehende wundern sich oft über eine Konstruktion, in denen sich ebenso wohlhabende wie macht- und selbstbewusste Menschen Entscheidungs-

prozessen außerhalb ihrer Kontrolle unterwerfen. Angefangen bei der Frage, ob sie mit all ihren Millionen überhaupt in die Eigentümergemeinschaft aufgenommen werden, über Entscheidungen, ob und an wen vermietet werden darf, bis hin zu pingelig kontrollierten Vorschriften, etwa dass 80% der Wohnfläche mit Teppichen ausgelegt sein müssen: Alles entscheidet das Board. Über Trittschalldämmung hinaus bieten Boards von „Co-Ops“ vor allem entlang der bevorzugten Avenues den lange Zeit sehr hoch eingeschätzten Vorteil, konservativ zu sein. Man achtet sehr auf Wahrung der Form und Form der Währung. Neureichen Emporkömmlingen bleibt die Welt der „Co-Ops“ auf Park oder Fifth Avenue als aristokratische Sphäre verschlossen und nach außen zeigt man diese Aura durch uniformierte Doormen. Der Begriff ist traditionell nur in seiner männlichen Form gemeint gewesen. Mittlerweile sind aber knapp 2,5% der „Doormen” Frauen, ohne dass das aber auf die Bezeichnung durchgeschlagen hätte. Wie es „male Nurses” gibt, also männliche Krankenschwestern, kennt das Amerikani-

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sche bislang nur „Doorman” und „female Doorman”. Ihrer Funktion nach eher Türöffner, Taxirufer und Schirmhalter, erinnert ein Doorman mit seinen polierten Messingknöpfen, weißen Handschuhen und ggf. einem Hut aus längst vergangenen Zeiten an die Schweizer Garde oder Schlosswachen vor Buckingham Palace. Mittlerweile macht sich der allgemeine Gentrifizierungsprozess in Manhattan auch insofern bemerkbar, als an den vormals noch kostengünstigeren Avenues der Upper East Side und sogar auf der Upper West Side die Co-Ops deutlich teurer und die Bewohner entsprechend anspruchsvoller geworden sind. Die „White Glove Line“ – eine inoffizielle Linie im Stadtplan, jenseits derer die Doormen weiße Handschuhe und eine so ernste Miene tragen, dass keiner der Bewohner mehr auf den Gedanken kommt, sie bei einem Sieg der Mets über die Yankees mit einem „High Five“ zu grüßen – die Linie hat im Osten den East River erreicht, im Norden die 125th Street und im Westen Amsterdam Avenue. Als

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Auslieferungsfahrer der Firma W. H. Christian & Sons hätte man diese Entwicklung über die Jahrzehnte hinweg verfolgen können. Seit den „Roaring Twenties“ werden Doormen-Uniformen durch die Nachfahren dänischer Einwanderer in Greenpoint, Brooklyn in Façon gehalten, denn ein Doorman in Manhatten bügelt allenfalls die New York Times. Auch bei Christian & Sons sind zwar viele der Bügelbretter inzwischen durch eine vollautomatisierte Dampfstraße ersetzt worden, aber wenn es um zu ersetzende Messingknöpfe und Stickereien heraldischer Embleme von Co-Ops geht, herrscht noch Handarbeit und Liebe zum Detail. Handschuhe zu reinigen, lohnt sich allerdings nicht mehr. Sie werden bei Bedarf durch neue ersetzt und liegen bei der Auslieferung oben auf. Über Traditionen und Veränderungen des Stils der Uniformen im Karton weiß der Verkaufsleiter bei Christian & Sons sehr gut Bescheid. Er kennt die Vorliebe für die Mischung aus Soldat und Oberkellner auf den richtigen Seiten der White Glove Line in Uptown Manhatten ebenso wie die

neuen Trends bei den derzeit vor allem im Westen der Stadt wie Pilze aus dem Boden schießenden „Condo-Buildings“ und „Luxury Rental Buildings“. Letzteres erklärt sich von selbst. Condos, ausgeschriebene Condominiums, sind das, was man sich in Deutschland unter Eigentumswohnungen vorstellt. CondoBuildings entstehen nach dem immer gleichen Muster: Eine Firma kauft ein Grundstück in einer bevorzugten Wohngegend, sichert sich die Rechte, möglichst hoch bauen zu dürfen und stapelt dann Wohnungen bis zur genehmigten Traufkante. Das Penthouse kommt dann obendrauf und schließlich werden die Einheiten an wirklich jeden verkauft, der in der Lage ist, einen entsprechenden Scheck zu schreiben. Das darf dann auch neues Geld, ergaunertes Geld oder Geld aus dem Ausland sein, insofern ist dieser Teil des Immobilienmarkts ein guter Landeplatz für Vermögen weltweit und gemeinsam mit den Luxury Rentals ist er meritokratisch. Diese neueren Funktionseliten orientieren sich im Stil eher an Steve Jobs als an


Nelson Rockefeller, Kaiser Wilhelm II oder Ludwig XIV. Entsprechend schlicht und vorzugsweise in Grautönen sind die Doormen gekleidet. Sie sind im Schnitt deutlich jünger als ihre Co-Op-Kollegen Uptown und anders als diese mehrheitlich nicht Mitglieder der „Service Employees International Union,“ der Gewerkschaft, die in ihrer „Local 32BJ“ genannten Verzweigung über 30.000 Doormen in gut 3.300 Wohngebäuden von New York vertritt. Die Gewerkschaft verhandelt Gehälter und allgemeine Arbeitsbedingungen, reguliert den Zugang zum Beruf und kümmert sich um die Einhaltung gewerblicher Tätigkeitsstandards. Die Entscheidung ob Gewerkschaft oder nicht liegt freilich nicht bei den Doormen, sondern bei den jeweiligen Arbeitgebern. Der zur Zeit gültige Tarifvertrag wurde im April 2014 verhandelt und hat das durchschnittliche Jahreseinkommen eines Doorman in Manhattan auf über 44.000 Dollar steigen lassen. Berufliche Standards hin oder her – für die Verwaltungsfirmen der neuen Condo- und Luxury Rental Buildings sind

dies schlicht zu hohe Kosten. Darum sind die allermeisten der Doormen in den luxeriösen Neubauten „non union“. Sie tragen keine Hüte, nur noch selten Krawatten und sie haben alle diesen Knopf im Ohr, der sie ein wenig wie Mitglieder des Secret Service ausschauen lässt. Berufserfahrung zu vermitteln und ein Mindestniveau der Berufsausübung zu gewährleisten, ist neben den Lohnverhandlungen traditionell eine der zentralen gewerkschaftlichen Aufgaben. Dieses Niveau können die Doormen mit Knopf im Ohr möglicherweise nicht auf Anhieb erreichen, darum wird ein kleinerer Teil der im Vergleich zur Zahlung von Tariflöhnen gesparten Kosten in Anlernphase und Weiterbildung investiert. Zu erwerben sind solche Weiterbildungsangebote von freischaffenden, ehemaligen Doormen, die freilich nicht mehr in der Gewerkschaft sind. Ein größerer Teil der Ausgaben investieren Verwaltungsfirmen allerdings in Legal Departments, also Rechtsabteilungen. Sie sind so was wie die Co-Op Boards der Condo Buildings und ein wichtiger Grund, warum es

kaum Berichterstattung zu den neuesten Mitgliedern im Stadtbild des Manhattaner Westens gibt, schon gar keine Bildberichterstattung. „We would have to run it by our legal department”, heißt es unisono auf Anfragen nach Auskünften oder Fotos, was auf deutsch bedeutet: „Fuggetaboutit!” Innerhalb des durch die Rechtsabteilung gesicherten Bereichs geht es streng um Funktion. Wenn der zentrale Computer im Gebäude etwa an einem normalen Arbeitstag das Abstellen der Dusche in Apartment 32B registriert, bekommt der Doorman 20 Minuten später automatisch die Anweisung, schon mal nach einem Taxi Ausschau zu halten, denn der Bewohner von 32B braucht regelmäßig 25 Minuten nach dem Abstellen seiner Dusche unten ein Taxi vor dem Ausgang. Einen alten Mann mit Zylinderhut, der dann erst zur Ecke eilt, um ein Taxi heran zu winken, braucht der Meritokrat aus 32B nicht. Der Computer weiß nach einigen Monaten auch, ob ein Bewohner die Antwort auf seine Frage in kürzest möglicher oder eher in etwas verblümterer Form bevorzugt,

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Kenntnisse also, die man traditionell mit „Berufserfahrung“ umschreiben würde. Wie gut diese und entsprechend der Service ist, bzw. wie oft der Computer bei der Einschätzung von Bedürfnissen richtig liegt, merken die Doormen im Anlauf auf die Festtage zum Jahresende. Dann gibt es den „Seasonal Tip“, also ein als Weihnachts- oder Jahresgratifikation gemeintes Trinkgeld – beiderseits der White Glove Line in Uptown und in den vielen Neubauten in Chelsea, Tribeca, Dumbo oder Long Island City. Trinkgeld ist dabei allerdings ein manchmal irreführender Begriff, denn es kann sich um durchaus stattliche Summen handeln, die sowohl persönlich gegeben, als auch in ihrer Höhe vertraulich gehandelt werden. Allerdings: Bei Einkommensunterschieden zwischen Schenkern und Beschenkten nördlich von Faktor 10 sind in Summe als Seasonal Tip große vierstellige und sogar kleine fünfstellige Dollarbeträge überliefert. Anders ausgedrückt: Wer für seine Wohnung entweder mehrere Millionen hat zahlen können oder eine Viertelmillion Jahresmiete aufbringt,

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wird seinem liebsten Doorman gerne zehn große Scheine in einen Umschlag packen; je nach Stil auch 50 Noten zu je 20 Dollar. Ist man gleich mehreren Hausbewohnern der liebste Doorman, kann sich daher in vielen Gegenden Manhattans das tarifliche Jahreseinkommen nennenswert und steuerfrei erhöhen. Drei, vier Meilen außerhalb von Manhattan müssen solche Zahlen wie Märchen erscheinen. Etwa in der Bronx, in die sich Sherman McCoy durch falsches Einspuren auf dem Bruckner Expressway verfuhr und wir wissen, welches Ende das nahm. Die Bronx ist allerdings nicht nur die berüchtigte South Bronx brennender Häuser, sondern sie besitzt auch gute bis sehr gute Viertel, etwa entlang des Grand Concourse, der Champs-Élysées der Bronx. Hier gibt es zahlreiche, zu Zeiten des Art Deco und mit bislang nie richtig in Erfüllung gegangenen Hoffnungen auf eine glänzende Zukunft errichtete Palastkomplexe. Das Hauspersonal wird in den allermeisten dieser Gebäude zwar ebenfalls von Local 32BJ organisiert, sie sind in vie-

len Fällen ihrer Struktur nach Co-Ops wie ihre entfernten Verwandten an der nicht breiteren Park Avenue in Manhattan, auch ihre Doormen stecken in etwas schlichter gehaltenen Uniformen, doch die Gebäude stehen nicht auf der Kundenliste von Christian & Sons. Also hält Horacio Echevers, einer der Doormen für die Bewohner von 110 Wohnungen in 860 Grand Concourse, seine dunkelblaue Uniform selber in Ordnung. Vielleicht die Hälfte der Bewohner, so schätzt er, überreiche ihm irgendwann zwischen Thanksgiving und Silvester einen Briefumschlag mit einer der Jahreszeit entsprechenden Karte. Gelegentlich seien ein oder zwei 20-Dollar-Scheine enthalten und ein Jahr mit insgesamt über 500 Dollar an Seasonal Tips sei ein sehr gutes Jahr. In seinem früheren Beruf als Taxifahrer hätte er da deutlich mehr bekommen, doch er schätze seine neue Tätigkeit als ebenso deutlich weniger anstrengend. Zudem wohne er nur ein paar Stationen mit der U-Bahn von der Arbeit entfernt, eine Situation, die man als Doorman in Manhattan bei den horrenden Mieten nicht finden könnte. In 1188 Grand Concourse kümmert sich Doorman Pedro Fonseca ebenfalls selbst um den tadellosen Zustand seiner Arbeitsbekleidung. Auch er grüßt täglich die Bewohner von mehr als 100 Wohnungen, nimmt für sie Pakete entgegen, hält im Bedarfsfall die Tür auf und winkt ein Taxi heran. Früher habe die Gentrifizierung, also die Verdrängung ärmerer Bewohner durch wohlhabendere, nicht nur Vorteile gebracht. Viele unter den Neuen seien nicht mehr mit den Regeln der Trinkgeldvergabe vertraut oder sie bevorzugten gegenüber Cash gelegentlich äußerst fragwürdige Sachgeschenke. Immerhin: Auf der Liste der beliebten Geschenke für Doormen folgten seiner Einschätzung nach in der Bronx derzeit gleich hinter Wein und Whiskey weiße, bügelfreie Oberhemden für den Dienst. Stefan Altevogt Fotos: Karl-Heinz Krauskopf


Tansania 19. 10 - 1. 11. 2014 Kurzer Bericht von Hermann Schulz

Hermann Schulz leitete von 1969 bis 2001 den Wuppertaler Peter Hammer Verlag. Seitdem arbeitet er als freier Schriftsteller.

Der Einladung nach Tansania war ich trotz langem Zögern (Zeitaufwand, Gesundheit) aus zwei Gründen gefolgt: Ein Workshop zum Thema „Kinder- und Jugendliteratur“ wurde erwartet und ich würde die Möglichkeit haben, für ein neues Buch auf der Insel Ukerewe zu recherchieren. Außerdem lag dem Vorsitzenden des Freundeskreis Bagamoyo, Rudolf Blauth, sehr an meiner Reise. „Du bist Autor von Kinderbüchern, Du hast Erfahrungen als Verleger, Du kennst Afrika!“ In Dar es Salaam hatte mir das GoetheInstitut ein Zimmer im 5-Sterne-Hotel „Livingstone“ reserviert; aber die SterneKennzeichnung besagt in Afrika nicht viel. In dem Haus ging es mir aber gut, denn es liegt in Down-Town der Stadt, der Hafen ist zu Fuß in 25 Minuten zu erreichen. Man muss sich allerdings, ob zu Fuß oder im Auto, schnell auf die Hauptstraßen retten, weil die Seitenstraßen nicht asphaltiert sind, voller Schlaglöcher und total zugeparkt. An Warnungen,

nicht im Dunkel durch die Seitenstraßen zu gehen, fehlte es nicht. Gefährliche Situationen habe ich auch nachts nicht erlebt. Die Zurufe „Papa, wie geht’s?“ oder „Mzee, noch unterwegs?“ waren immer freundlich gemeint. Hier begegneten mir kaum Weiße. In der Nähe finde ich zunächst kein Restaurant, in das ich ohne Sorge um meinen Magen gehen möchte, und kaufe mir am Straßenrand ein paar Bananen. Air-Condition im Zimmer funktioniert nicht; mir reicht der Fan. Den Tag nach meiner Ankunft habe ich für einen Ausflug nach Sansibar genutzt; die (arabische geprägte) Altstadt (StoneTown) ist schon sehenswert, allerdings muss man Kontrollen über sich ergehen lassen, die einem nicht ganz verständlich sind. Mit meinem Herzschrittmacher war das ein bisschen problematisch. Man kann sich als Weißer in der Stadt keinen Schritt allein bewegen, man entkommt den Führern nicht! Die vielen europäischen, chinesischen und japanischen Touristen, vor allem die vielen jungen

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blonden Mädchen, machten in der brütenden Hitze schnell einen nervös-aufgelösten Eindruck, wenn sie hinter den Führern in Wallegewändern her latschen. Ich hatte von der Besichtigung (Sklavenkeller, Kirchen, Markt) nach drei Stunden genug und habe mich in ein Café gesetzt, mit Meerblick. Glücklicherweise hatte ich ein Buch dabei. Die Chefin vom Goethe-Institut, die erfahrene Afrika-Expertin Eleonore Sylla, war sehr aufgeschlossen und nett. Wir besuchten den eindrucksvollen klugen Chef der Nationalbibliothek, Dr. Mcharazo, und die Räume, wo dann mein Workshop zum Thema Kinder- und Jugendliteratur stattfinden sollte. In der Nationalbibliothek fand meine erste Lesung statt: zweisprachig aus „Wenn dich ein Löwe nach der Uhrzeit fragt“. Rund 60 Kinder waren aus verschiedenen Schulen ausgewählt worden. Nkwabi Nghangasamala, mein alter Freund seit 1998 aus Bagamoyo, las den Kisuahili-Part. Er ist ein geborener Unterhalter und machte aus dem ordentlichen Text einen sehr guten, so dass die Kinder begeistert waren! Mit Nkwabi hatte ich schon den Abend vorher verbracht; wir konnten unsere Dinge bereden und ich ihm einen Fußball und eine Fußballpumpe (Preis einer westfälischen Schule beim Vorlesewettbewerb) und rund 100 Kugelschreiber für die Schulen in B. übergeben. Die Kugelschreiber sammelt seit Jahren mein früherer Schulkamerad Heinz Weigand vom Niederrhein und schickt sie mir „für die Mädels und Jungs da unten“. Die 25 Teilnehmer des Workshops waren klug ausgewählt: Autorinnen und Autoren, Verleger, Bibliothekare; offensichtlich waren einige Muslime dabei, was man bei den Frauen (und die Teilnehmer waren meist Frauen!) aber nur an den Kopftüchern ausmachen konnte. Ich hatte einige Materialien in Englisch mitgebracht und acht eigene Vorträge über die Entwicklung von Kinderbüchern und den Markt in Europa vorbereitet; dazu ein Vortrag über meine Erfahrungen bei Workshops in südlichen Kontinenten. Ich trug sie in Englisch vor, da der Übersetzer verreisen musste; auch die sehr wichtigen Diskussionen liefen in Englisch. Da war mir mein Part ein bisschen peinlich, weil mein Englisch nicht (mehr) so toll ist. Aber es ging gut, weil Afrikaner gütige und freundliche Menschen sind.

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Nach den drei Tagen kamen vier Resolutionen zustande, die von den Teilnehmern ausgearbeitet worden waren und wirklich Hand und Fuß hatten. Diese Texte gehen jetzt an Organisationen und Parteien, Bibliotheken und Lehrerverbände. Es war eine tolle Truppe! Goethe bezahlte den Teilnehmern Fahrtkosten und Verpflegung für die Tage. Die Verlegerin von „Soma“, Demere Kitunga, sicherte sich sogleich die Tansania-Rechte für „Die schlaue Mama Sambona“; sie will das Bilderbuch zweisprachig (Kisuahili-Englisch) herausbringen. Honorare wird da niemand erwarten können, aber das ist in Ordnung so. Dar es Salaam hatte mich genervt. Die Stadt platzt aus allen Nähten, überall Baustellen und halbfertige Neubauten, zu viel Verkehr (mit ordentlichen vorwiegend japanischen Autos, keine Schrottkisten wie früher!) auf zu wenigen guten Straßen. Um ein ordentliches Restaurant zu finden, muss man schon weit fahren in die Außenbezirke. Auf dem Weg zum Hauptmarkt Mwenge mit dem Taxi stand ich eine Stunde im Stau; kein reines Vergnügen. Aber ohne Taxi ist man einfach verloren. Auf dem Markt fand ich kaum wie bei früheren Besuchen schöne Handarbeiten; tausende Giraffen und Nashörner als Ebenholz, wie man sie an jedem Flughafen kriegt. (Alles andere, Töpfe, Geschirr, Haushaltsgeräte u.s.w. kommt aus China.) Ich kaufte ein paar Textilien aus tansanischer Produktion und eine hübsche Zuckerdose. Ich war ich froh, die harte Stadt verlassen zu können und flog mit Fast-Jet an den Victoriasee, nach Mwanza. Täglich fünf bis sieben Flüge in großen Maschinen, das ist neu! Auch Mwanza ist enorm gewachsen und für mich, der sie vor 12 Jahren zuletzt gesehen hat, nicht wiederzuerkennen. Die beiden Priesterfreunde Alex Mugonya (Bedeutung seines Namens: der Bestrafer des Königs!) und Cyprian Tirumanywa (Keiner weiß die Stunde des Todes) holten mich am Flughafen ab und brachten mich in ein Viersterne-Hotel (G&G). Alex, inzwischen 80, konnte nur noch mühsam am Stock gehen; Cyprian schien kaum gealtert und ist immer noch eine elegante Erscheinung. Er machte aber, wie früher schon, einen depressiven Eindruck, denn als Priester hatte ihn die Kirche von jeher kaltgestellt und als Literat fehlen ihm Aufträge. (Er hat Hemingway ins Kisuahili übersetzt) Beide freuten sich, mit mir auf ihre Heimatinsel Ukerewe

fahren zu können; beide sind Wakerewe. Sie wohnen in Mwanza als Pensionäre im Haus des Bischofs, nannten ihre Unterkunft nicht ohne Grund ihr „Guantánamo“, dem sie endlich für drei Tage entfliehen konnten. Am Morgen vor der Abreise nach Ukerewe nagelten mich zwei Männer der Staatssicherheit im Hotel fest: sie wollten meine Papiere sehen und fragten nach dem Grund der Reise, wer mich eingeladen hätte, welche Kontaktpersonen usw. Sie behaupteten, das alles schon zu wissen, auch dass ich in Tansania geboren sei. Sie insistierten aber, in meinem Pass sei ja kein Stempel der deutschen Behörden über die Ausreise (aus Deutschland); ich hätte also gar nicht in Tansania einreisen dürfen. Wo denn meine anderen Pässe seien, hier sähen sie ja nur das Visum für Tansania … Und jetzt? fragte ich. Sie redeten weiter, bis sie mir schließlich nach einer Stunde die Papiere zurück gaben. Das war wohl nur das übliche Manöver, um ihre Kunden zu verunsichern. Wir nahmen am Nachmittag die Fähre nach Ukerewe. Dann begann auf der Insel eine andere Welt. Schon der Anblick der Küstenregion war der Blick in ein Paradies, wie ich es von früher kannte! Wunderbare Buchten, Mengen von Wasservögeln und Störchen. Ich hatte den Wunsch, fünf historische Orte zu sehen: Hamuyebe (Neuwied), die beiden Königsorte Bukindo Nkokoro und Bukindo (weiter nördlich), Bulamba und Kagunguli. Die beiden Freunde hatten mir erzählt, dass Andreas (Andrew) Msonge (mein alter Bekannter aus anderen Projekten) inzwischen der Priester von Nansio (der Hauptstadt der Insel) sei; also luden wir ihn am Abend zum Essen ins Hotel Bima ein. Da floss reichlich kaltes Bier wie an jedem gemeinsamen Abend, was ich hier nicht vertiefen will. Angemerkt sei aber, dass die beiden pensionierten Priester monatlich eine jämmerliche Rente von kaum 20 Dollar bekommen … Andrew kam mit Vergnügen zum Essen; Priester verdienen in Tansania elend wenig. Er ist ein sehr zurückhaltender, sanfter Typ, sozial engagiert und wir freuten uns, dass wir uns wiederzusahen. Er bot uns an, uns den Wagen der Gemeinde plus Fahrer zur Verfügung zu stellen. Ich hatte nur eine Tankfüllung und ein Trinkgeld für den Fahrer zu tragen. Am nächsten Morgen um 9 Uhr fuhren wir mit dem uralten Pick-Up von Toyota los.

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Die Besuche der genannten Orte brauchte ich für das Buch, an dem ich gerade schreibe; es wird ein Kinderroman. Man weiß ja nie genau, was man sucht, findet aber in Afrika immer überraschende Dinge, an die man kaum gedacht hat. In Kagunguli besuchten wir die Witwe von Sosthenes Kakwaya; er war vor einigen Monaten gestorben. Sein Grab, direkt vor der Haustür, war noch geschmückt mit Papierund Plastikblumen. Die Dame des Hauses, die Witwe, war ganz aufgelöst vor Überraschung und Freude, mich wiederzusehen, hatte ich doch den ersten Besuch bei ihnen (sie waren Nachbarn des verstorbenen Schriftstellers Aniceti Kitereza) mit meinem Sohn Sebastian 1990 gemacht. Kinder und Nachbarn liefen zusammen und wir zogen im Trupp zum Friedhof zum Grab von Kitereza. Das Grab ist inzwischen ziemlich verkommen und eingefallen; ich verabredete mit Alex, es neu gestalten zu lassen (dieses Mal ohne meinen Namenszug als Financier!). Er wird eine Plakette anbringen: „Von seinen deutschen Freunden“. Auf der Weiterfahrt hielten wir immer wieder an Gehöften, wo Freunde meiner beiden Priester lebten, um sie zu begrüßen. Überall Armut, aber weniger Elend als bei früheren Besuchen vor 25 und 12 Jahren. Elektrisches Licht ist fast allgemein vorhanden; ich sah kaum jemanden in zerrissenen Klamotten aus Altkleidersammlungen. Diese für mich ungeplanten Begegnungen waren für mich beinahe eindrücklicher als die der historischen Orte, zeigten sie mir doch die wunderbare Lebenskultur der Landbevölkerung. Wo wir auch anhielten: Die Bewohner brachten Stühle ins Freie und wir saßen schwatzend im Schatten zwischen Blumen und Hühnerausläufen. Der Besuch beim Schloss Bukindo war dann eine Überraschung: Das Dach ist ausgebessert, die Wände frisch gestrichen, die Räume in Stand gesetzt, die Königstrommeln stehen in einem eigenen Raum, der für Besucher offen ist. Der jetzige König (Mama Sambona lebt leider nicht mehr), der in Wien lebt und bei einer internationalen Organisation arbeitet, hat allerdings nicht vor, aus dem Schloss ein Museum zu machen, wie Alex vorgeschlagen hatte. Wenn der König auf Ukerewe ist, lebt er im Schloss mit seiner Familie. In der unteren Etage wohnt eine Familie mit vielen Kindern, die für Ordnung sorgt. Auf dem

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sauber gefegten Hof Hühner und Enten wie überall hier auf dem Land. Gleich hinter den schützenden Bäumen begannen die wohlbestellten Felder. Auf der Fahrt wieder Erstaunen, wie wunderbar und klug sie angelegt sind, fette Kühe und Ziegen auf den Weiden, und zahlreiche Kinder. Auch Hamuyebe bot eine Überraschung für mich. Vor zwanzig Jahren haben Sebastian und ich noch die restlichen Gemäuer der Hafenanlage der Deutschen fotografiert (und dem Archiv der Stadt Neuwied zur Verfügung gestellt). Die Deutschen planten einen großen Hafen; das Schiff „Graf Götzen“, heute „Liemba“ sollte hier ihren Standort haben. Das Ding wurde dann allerdings zum Tanganjika-See gebracht und dort 1912 zusammengebaut; es fährt bis heute. (Nebenbei erfuhr ich, dass eine deutsche Interessengruppe das Schiff zurückkaufen möchte, um es, da historisch wichtig, nach Deutschland zu bringen. Man hat den Tansaniern angeboten, ein neues Schiff dafür zu spenden. Tansania aber verlangt zwei neue Schiffe als Gegenleistung!) Die Gebäude „Neuwied“ (nach dem Grafen zu Wied, der sich gegen den Sklavenhandel engagiert hatte) wurden seinerzeit, noch vor dem 1. Weltkrieg um 1913 herum, an einen irischen Missionar verpachtet, der allerdings mehr Händler als Missionar war und die Räume mit Waren vollstopfte. Als er von einer Reise in den Kongo nicht zurückkehrte, hat König Rukonge die Räume geplündert und dann in Brand gesteckt. Dafür (und wegen anderer Unbotmäßigkeiten) haben

ihn die Deutschen eingebuchtet; er ist im Gefängnis in Mwanza gestorben (siehe mein Buch „Dem König klaut man nicht das Affenfell.“) Mein Freund Alex ist einer der Enkel Rukonges; also ein Muhinda, ein Prinz! Ebenso wie Kitereza ein Prinz war. Das Gelände der früheren Hafenanlage ist heute durch Betonpfeiler abgesteckt. Hier soll ein Museum entstehen, aber niemand konnte mir sagen, was in diesem Museum gezeigt werden soll. Die alten Mauerreste sind verschwunden … Die stundenlange Fahrt auf Feldwegen im Wagen ohne Stoßdämpfer war ein wirklicher Härtetest für ältere Herren. Die letzte beschwerliche Fahrt zu einem riesigen Stein, sicher 30 Meter hoch, der Kerewe heißt und der Insel den Namen gegeben hat, hätte ich mir gern erspart. Wir besuchten am nächsten Morgen auch die Landspitze am Rugesi-Kanal. Vor 14 Jahren trafen dort Sebastians Freund Ingo und ich nur Dschungel und Sümpfe, heute steht da ein blühendes Dorf. Eine Fähre verkehrt täglich. Hier soll, erfuhr ich, von den Chinesen eine Brücke zum Festland gebaut werden. Als wir uns in Mwanza am letzten Abend verabschiedeten, musste ich versprechen, im nächsten Jahr mit allen meinen Kindern und Enkeln zu kommen. Ob das gelingt, ist im Augenblick noch offen. Zum Abschiedsabend kam noch ein anderer Priester, der Guantánamo satt hatte, aus dem Bischofshaus: Pater Walimu. Mein Sohn kennt ihn von früher besser als ich. Er, wie auch

alle anderen, fragten immer wieder nach seinem Ergehen und ich freute mich, ihnen die zahlreichen SMS meines Sohnes zeigen zu können, mit denen Sebastian meine Reise begleitet hat. Am Morgen des 30. Oktober flog ich zurück nach Dar es Salaam. Am Abend des gleichen Tages wurde ich zur Lesung aus dem Buch „Die Nacht von Dar es Salaam“ in das Haus des Kulturattachés der Deutschen Botschaft abgeholt. Toll, wie unsere Diplomaten leben! Es gab ein großartiges Buffet und es kamen rund 100 Deutsche und einige deutschsprachige Tansanier. Die Tageshitze war abgeklungen, die Lesung fand im erleuchteten Garten statt. Keine Moskitos, nur von Fern leise Geräusche des Verkehrs. Das war für mich ein historischer Moment, an diesem Ort aus dem Buch mit diesem Titel zu lesen; am Ort, wo ich das Land vor 76 Jahren, fast auf den Tag genau, erstmals verlassen habe! Die rund 15 Exemplare des Buches, die ich mitgebracht hatte, waren im Nu verkauft. Gegen Schilling. Aber die wechselte mir der Hausherr freundlich in Euro. Die Besucher waren dem Autor durchaus zugeneigt. Aber wohl nicht alle: Eine ältere (oder älter wirkende) Frau stellte mir ihren afrikanischen Mann vor, der sie um sicher 25 cm überragte, bekannte sich als Missionarin aus Neukirchen (der Missionsgesellschaft meines Vaters), und fragte mich fordernd: „Glauben Sie denn überhaupt noch an Gott?“ Ich sagte ihr, auf eine solche Frage würde ich jemanden nicht antworten, den ich nicht kenne, außerdem vermute ich, dass ihr meine Antwort vielleicht nicht besonders gefallen würde. (Damit spielte ich auf die mir sattsam bekannte Neukirchner Frömmigkeit an, die näher bei strengen Fundamentalisten anzusiedeln ist als bei dem, was mir wichtig ist). – Näheres wollte die Dame nicht wissen, drehte sich abrupt um und ging davon. Ich landete am 1. November morgens in Düsseldorf, wohlbehalten. Meine Tochter Katrina holte mich ab. Hermann Schulz

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Sehnsucht sucht! Der Künstler Barlach Heuer In einem ländlichen Paradies am Rande der kleinen Stadt Elmshorn, nördlich von Hamburg, wächst er auf, Barlach Heuer. Wohl behütet von Eltern, die große Kunstliebhaber und tiefe Verehrer des Bildhauers Ernst Barlach sind, erfährt der kleine, im November 1930 geborene Blondschopf schon sehr früh eine behutsame Bahnung seiner künstlerischen Fähigkeiten.

links: Foto Familienarchiv unten: Eine Zitrone, 1950, 24,5 x 32,5 cm

Der nach seinem Paten Ernst Barlach benannte zweite Sohn des Gymnasiallehrers Alfred Heuer und seiner Frau Johanna Maria bewegt sich in einem vom Kunstgeschmack der Eltern (Ernst Barlach, Paula Modersohn-Becker, Gerhard Marcks, Emil Nolde, Christian Rohlfs, um nur einige zu nennen) geprägten Umfeld. Still ist er, der heranwachsende Junge. Seine Eindrücke nimmt er auf, ohne darüber zu reden. Dieses In-sich-gekehrt-sein bringt ihm oft Bemerkungen wie „Trotzkopf, Dickkopf oder Eigenbrödler“ ein. Ausdruck seiner Gefühle ermöglichen ihm die Aquarellfarben der beiden Blechmalkästen die ihm und seinem älteren Bruder Eckbert eines Tages geschenkt werden. Umgeben von einer vielfältigen Kunstsammlung aus Bildern, Plastiken und Kunstgewerbearbeiten des den Expressionismus verehrenden Vaters, greifen die beiden ungleichen Brüder zum Pinsel und entfalten ihre eigene schöpferische Kraft. Unterstützt von ihrer Mutter, einer ehemaligen Kunstge-

werbeschülerin, pinseln sie, schaffen Farben, komponieren Form- und Farbzusammenstellungen, zeichnen und formen. So entwickelt Barlach ein gutes Gespür für das kreative Bild. Dieser Kreativität gibt der Vater mit geschenkten Werkzeugen neue Nahrung. Hammer, Zange, Messer und Nägel werden geschickt eingesetzt, um Gegenstände wie Löffel, Buchständer, leuchtend bemalte Figuren, Schalen oder Borkenschiffe entstehen zu lassen. Eine alte Hobelbank, ebenfalls ein Geschenk des Vaters, lassen die Augen des stillen Jungen leuchten. Die Zeit des Nationalsozialismus erlebt Barlach in Form der idiotischen Hitlerjugend als dunkel, öde, ihn seelisch zermürbend. Der Krieg, die folgende Unterernährung und Krankheit werden für den schmächtigen Jungen zur physischen Last, zur ungemeinen Qual. Es kommt noch schlimmer: der die „entartete“ Kunst und die Künstler unterstützende Vater wird eines Tages von der „guten“ Nachbarin denunziert, vorgeladen und

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oben: 1937, Besuch bei Patenonkel Ernst Barlach in Güstow. Vorn Barlach und Eckbert, dahinter Alfred Heuer, Ernst Barlach (1870 - 1938), Bernhard Böhmer und der Hund Boll. Foto: Johanna Maria Heuer. unten links: 1958, Valencia, Ausstellung im Sala Mateu unten rechts: 1951, Hamburg: die erste Studentenbude gemeinsam mit Bruder Eckbert. Foto: Familienarchiv wegen seiner „regimefeindlichen Äußerungen“ von der Gestapo „vorläufig begnadigt, bis zum siegreichen Kriegsende“. Mit dem ersehnten Nazi-Ende erfährt die Familie endlich ihre Befreiung. Und doch, Barlach ist von den Lehrern am Gymnasium nicht zu begeistern. Er verlässt die Schule ohne Abschluss, um eine Tischlerlehre zu beginnen. Auch hier trifft es ihn erneut und härter als zuvor: er erkrankt an Kinderlähmung mit einem langen Aufenthalt im Krankenhaus. Es folgt eine intensive, von seinem ungebrochenen Willen geprägte Zeit der Eigentherapie, die schließlich zu seiner vollständigen Rekonvaleszenz führt. Und : die Prüfung als Tischlergeselle besteht Barlach Heuer mit besten Noten. Als junger Mann wird er in die Clique seines Bruders aufgenommen und erlebt ausgelassene Oberstufenschülerinnen und –schüler. Er genießt ihre Feten, ihren Spaß, und das für ihn unbeschwert gelöste Miteinander. Barlach lebt auf, redet auf einmal, wird umgänglich und öffnet sich der Mitmenschlichkeit. Durch seinen Bruder Eckbert lernt er in der Nachkriegszeit die in Hamburg wieder aufblühende Kunstszene kennen und trifft u. a. auf Herbert Mhe (1891 – 1952). Der Graphiker und Bildhauer gibt dem begabten Tischlergesellen kleinere Aufträge. In der Landeskunstschule Lerchenfeld steht er dem, mit seinem Vater befreundeten Gerhard Marcks (1889-1981) Modell, tischlert dies und das, zeichnet, malt und modelliert in den Kunstklassen. Ausstellungs- und Museumsbesuche prägen ihn zudem und werden Grundlagen für einen sich präzise entwickelnden Kunstsachverstand. Der Tod des verehrten Vaters veränderte das Leben der fünfköpfigen Familie grundlegend. Die Mutter zieht mit dem kleinen Bruder Gottfried nach Plön während Barlach und Bruder

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Winter 1939, Barlach mit seinem Patenonkel Emil Nolde (1867 - 1956) im Botanischen Garten, Hamburg. Foto: Johanna Maria Heuer

Eckbert Elmshorn ebenfalls verlassen, um gemeinsam in Hamburg eine Bude zu beziehen. Auch wenn sie, aus Mangel an Geld, ein karges Leben führen müssen, taucht Barlach erwartungsvoll in das Kunstleben der Großstadt ein. Bildende Kunst, Begegnungen mit ihren Repräsentanten, Theater und Literatur nehmen ihn in ihren Bann. Eine kleine Episode aus dieser Zeit verdeutlicht, dass Barlach Heuer nicht nur „seine Kunstlektionen“ gelernt hat, sondern auch einen untrüglichen Instinkt besitzt. Eine Eigenschaft, die ihm in Zukunft noch oft helfen soll. Der Besuch der im Krieg stark zerstörten gotischen Marienkirche in Lübeck wird auf einer Fahrt zur Mutter nach Plön zum „Muss“, weil alle Welt die dort soeben entdeckten und freigelegten mittelalterli-

chen Wandmalereien bestaunt. Unerlaubt steigt Barlach mit seinem Bruder hoch auf das Baugerüst und betrachtet prüfend die prachtvoll leuchtenden Farben und Linienführungen der vermeintlich mittelalterlichen Ausmalungen. Sein Ergebnis: „Da stimmt was nicht!“ wird tags darauf offiziell bestätigt und zur Sensation: Lothar Malskat, ein Lübecker Maler hatte, im Auftrag des mit der Restaurierung beauftragten Dietrich Fey, Heiligenfresken im Stil der Zeit um 1300 nach eigenen „Entwürfen“ ergänzt. Einer der größten Kunstfälscher-Skandale der Nachkriegszeit war aufgedeckt. In den Semesterferien 1952 schleust Eckbert seinen „kleinen“ Bruder in eine Gruppe deutscher Studenten ein, die an einer

internationalen Studienreise nach Dänemark teilnehmen. Ziel sind Ausgrabungen einer Wikinger-Garnison im Hochmoor. Dieser Sommer in Dänemark wird auch bestimmt von „der Liebe auf den ersten Blick“. Barlach lernt die französische Lehrerin Laurence kennen. Der „Liebe auf den ersten Blick“ folgt bald der Umzug in die Weltstadt Paris wo er seine Laurence, die elegante SpanischLehrerin, heiratet und er den Erfolg als Künstler sucht. Zwei Söhne werden bald geboren, Stefan und Tomas Heuer. Auf engstem Raum lebt und arbeitet die kleine Familie zusammen. Barlach malt und zeichnet unentwegt. Seinen ersten Erfolg kann er 1959 verbuchen. Auf dem Kunstfestival in Fécamp (Region Haute-Normandie) wird sein Bild „Paleo“ mit dem 1. Preis für Malerei ausgezeichnet. Trotz vieler Ideen, großem Geschick, intensiven Schaffens und der in dieser Zeit von ihm entwickelten Drucktechnik mit der er „Monotypien“ in Kleinstauflagen herstellt, halten sich die gewünschten Kunstverkäufe in engen Grenzen. Handwerk und eben auch seine Kunst haben doch nicht den von ihm erhofften goldenen Boden. Das wird der kleinen Familie Heuer täglich aufs Neue bewusst. Seine Familie ausschließlich von Kunst zu ernähren, ist zu dieser Zeit undenkbar. Der regelmäßige Verdienst seiner Frau, ihm auch „bester Kamerad“ bei der Umsetzung seiner künstlerischen Ideen, bewahrt die vierköpfige Familie vor Schlimmerem. Immer suchend und sich für alles was Kunst im weitesten Sinne betrifft, interessierend, durchstreift Barlach Heuer regelmäßig die Pariser Flohmärkte und Auktionshäuser . Dabei lernt er, der in seiner frühen Jugend so Introvertierte, viele Menschen kennen, Künstlerpersönlichkeiten, Museumsfachleute oder fanatische Sammler. Sie alle mögen, ja schätzen ihn, diesen Blonden, nicht nur durch seine Größe, sondern auch durch seinen harten Akzent auffallenden Deutschen. Das Sammeln wird zu seinem zweiten Standbein, später zu einer großen Leidenschaft. Der Instinkt, dass die Zeit des wiederzubelebenden Jugendstils, später auch des Art Déco gekommen sei, bewahrheitet sich und trägt bald Früchte. Die Erfahrung, das Gespür für hohe Quali-

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oben: Barlach, Eric Louet und Antoine Leperlier. Foto: Stefan Heuer unten: Barlach und Eric Louet, Direktor des „Musée du Verre“, Paris, 2013 tät und die Gabe, eine Fälschung schnell zu entlarven, ermöglichen ihm Käufe begehrter Jugendstil-Vasen, -Schalen, und –Kelche, deren Weitergabe an solvente Kunden seine Lebenssituation langsam bessert. Es geht aufwärts. Seine 100%ige Zuverlässigkeit ist dabei von unschätzbarem Wert: er hält sich immer an gemachte Vereinbarungen und zahlt pünktlich. Auch seine eigenen Kunstwerke finden zunehmend Käufer. Seine Ausstellungen – vor allem in Frankreich und Deutschland – werden beachtet und bringen auch hier die erhofften Verkäufe. Seiner Familie kann er endlich – fern vom lauten Weltstadtlärm – beschauliche Sommerferien in einer kleinen Holzhütte an der, von der Sonne verwöhnten Atlantikküste (Montalivet), ermöglichen. Auch hier ist er – dank seiner Kontaktfreudigkeit - bald ein gefragter Helfer in Handwerksangelegenheiten und Kunstfragen. Gemeinsam mit dem Pariser Maler und Innenarchitekten, seinen Freund Robert Venter organisiert er bei den jährlich, während der Sommerferien im Kulturzentrum des Centre Helios Marin stattfindenden, von Künstlerinnen und Künstlern aus vielen Ländern Europas beschickten Ausstellungen. Im Laufe der Jahre wird Barlach Heuer zum Jugendstilexperten. Man holt seinen Rat gerne ein, erfragt seine Meinung. Tausende Kunstobjekte gehen durch seine Hände. Er vermittelt Glas, Keramik, Plastiken bis hin zu ganzen Inneneinrichtungen. Die sich dadurch entwickelnden Beziehungen pflegt Barlach auch heute noch durch eine rege Schreibtätigkeit. Weit über hundert Briefe verschickt er so jährlich. Barlach vernachlässigt neben dieser zeitintensiven Vermittlungstätigkeit seine eigenen Interessen nicht. Er arbeitet sowohl unvermindert intensiv am Druckstock als auch stetig am Ausbau einer exklusiven Sammlung von Jugendstil- und Art Déco-Gläsern. Bei letzterem stehen ihm die beiden Antiquitätenhändler Laurence und Jean-Pierre Serre zur Seite. Die drei haben – über Jahre - eine große Aufgabe verwirklicht und die gesammelten Traumschöpfungen der ungerechtfertigter Weise lange kaum beachteten Glaskünstler

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oben: Widderschädel, 1949, 28 x 37 cm unten: Der tote Hund, 1949, 43 x 58 cm Charles Schneider (1881-1953) und dessen Sohn Robert-Henri Schneider (1917-2000) wieder ins Licht der Öffentlichkeit gerückt und eine der weltweit bedeutendsten Schneider-Kollektionen geschaffen. 2012 können sie der Öffentlichkeit einen einzigartigen Katalog über diese Manufaktur vorstellen (Schneider, Les enfants d´une Oeuvre) der durch die kongenialen Fotografien von Sohn Tomas Heuer (Künstler, Musiker, Schauspieler) zu einem außergewöhnlichen Bildband geworden ist. Als krönender Abschluss dieser fast ein halbes Leben währenden, weltweiten Suche - Sehnsuch sucht! - nach verborgenen SchneiderStücken, werden die Schneider-Gläser seit 2012 einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Eine Wanderausstellung beginnt 2012 im Musée de la Faience (Sarregeumines,

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oben: Stilleben, 1954, 32,5 x 47,5 cm links: Plakat nach Obenauf, 1960, Lithografie mit Holzschnitt, 65 x 50 cm Frankreich), geht anschließend in das Musée du Verre (Conches, Frankreich), weiter nach Schweden in „The Glass Factory“ (Boda), daraufhin in das Röhsska Museet Göteborg), anschließend in das finnische Glasmuseum Suomen Lasimuseo (Riihimaki), und wird im Januar 2015 im Industriemuseum, Glashütte Gernheim (Petershagen) zu sehen sein. Der Erfolg einer unbeirrten Sammelleidenschaft und die Liebe zu „seinem“ Glas haben Barlach Heuer endlich die ersehnte Erfüllung gebracht. Als Dank für seine akribische Arbeit und der damit verbundenen Verdienste um die französische Kultur ernennt ihn die französische Ministerin für Kultur und Kommunikation, Mme. Aurélie Filippetti im November 2013 zum Chevalier. Er wird in einer Feierstunde im Senat mit dem „Chevalier de l´Ordre des Arts et des Lettres“ ausgezeichnet. Die Druckgrafiken – in den ersten Jahren seiner Schaffenszeit im Alleingang entstanden –

erarbeitet Barlach Heuer jetzt in Werkgemeinschaften. Anfangs sind es seine kreativ tätigen Söhne (Fotografie, Graphik, Text) und sein jüngerer Bruder Gottfried (Psychoanalytiker, Zeichner, Kunstphotograph und Schriftsteller), die die Holz- und Linolschnitte gestalten und von Barlach im aufwendigen Mehrfachdruck zur Reife entwickeln lassen. In den folgenden Jahren gewinnt Barlach viele KünstlerkollegenInnen als Partner. Sie schaffen gemeinsam wunderbare Bildwerke, gleichwohl Dokumente vorübergehender, schöpferischer Bindungen. Barlachs Lebenswerk hat mit dem Ende 2014 veröffentlichen dritten Katalog „Sehnsucht sucht!“ seinen vorläufigen Abschluss gefunden und schließt den Kreis der 1980 und 2000 erschienen Druckgrafikkataloge „Farbdruck“ und „Augen Blick“(beide Edition Verlag Galerie Brockstedt). Barlach Heuer darf auf ein erfülltes Leben zurückblicken, ein Leben reich an Begegnungen mit Menschen die ihn schätzen lernten und bewundern; eine erfüllte Suche nach Sehnsucht! Karl-Heinz Krauskopf

Sehnsucht sucht Barlach Heuer Farbdrucke III Texte von Eckbert Heuer und Dr. Klaus Hachmann 208 Seiten, 31 x 22,5 cm Fadenheftung, Softcover Verlag HP Nacke Wuppertal 35. – Euro, ISBN: 978-3-942043-49-6

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Reine Seele Vor ein paar Tagen habe ich einen Maler besucht. Er ist ungefähr so alt wie ich es bin und wohnt seit 80 Jahren in dem Haus, in das ich nun eintrat. Bis vor einigen Jahren hat er mit seiner Mutter zusammengelebt, die mit Neunundneunzig starb. Ich weiß, dass er zehn Jahre lang eine Freundin hatte, die dann starb.

Karl Otto Mühl Karl Otto Mühl wurde am 16. 2. 1923 in Nürnberg geboren. 1929 folgte der Umzug der Familie nach Wuppertal. Dort Ausbildung zum Industriekaufmann. 1941 Militär, 1942 Kriegsdienst in Afrika, Gefangenschaft in Ägypten, Südafrika, USA, England. Im Februar 1947 Rückkehr nach Wuppertal, wo er sich der Künstlergruppe »Der Turm« anschließt, der auch Paul Pörtner angehört. Erste Kurzgeschichten werden 1947/48 veröffentlicht. Am Carl-Duisberg-Gymnasium holt er 1948 das Abitur nach, danach Werbe- und Verkaufsleiter in Maschinen- und Metallwarenfabriken. Erst in der Mitte der 60er Jahre gelingt es ihm wieder, kontinuierlich zu schreiben. Zwischen 1964 und 1969 entsteht der Roman »Siebenschläfer« (veröffentlicht 1975), mit den Theaterstücken »Rheinpromenade«, »Kur in Bad Wiessee«, »Die Reise der alten Männer« gelingt ihm der Durchbruch. Seitdem veröffentlichte Karl Otto Mühl dreizehn Theaterstücke, zahlreiche Fernsehfilme, Hörspiele und Romane. Die Stadt Wuppertal verlieh ihm 1975 den Eduard von der Heydt-Preis.

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Das größte Zimmer ist sein Atelier, in dem zwei Staffeleien stehen. Zwei Bilder sind in Arbeit. Ich weiß aber nicht, ob er noch viel malt. Nebenan gibt es nur noch den „Funktionsraum“, wie er ihn nennt. Darin stehen ein Bett, ein Ablagetischchen, eine Anrichte mit einem Elektrokocher und ein Kleiderschrank. Es gibt noch die Toilette mit einer Badewanne – sonst sehe ich nichts. Der Grund für diese Art, zu wohnen, ist hauptsächlich Armut – er lebt von der sogenannten Grundsicherung -, es ist aber auch seine Verweigerung des komfortablen Einrichtens. Er ist – es gibt ja diesen Buchtitel – der „unbehauste Mensch“. Der Mensch, der weiß und zeigt, dass wir kein Zuhause haben, dass wir bereit sein müssen, ins Nichts zu springen oder, wenn wir glauben, auf eine Wohnung im Hause unseres Vaters zu hoffen. Unbehaust war auch sein Freund Peter, Sozialarbeiter, der immer für seine Schützlinge da war. Er war vom Morgen bis zum Abend für sie unterwegs, gründete in jahrelangem Bemühen gegen größte Widerstände für sie ein Heim mit Therapie- und Veranstaltungsräumen, mit Café und Kleinkunstbühne um dann abends müde in seine stille Dachwohnung heimzukehren. Aber – wie auf einer schweigenden, halbdunklen Bühne brandete jählings Musik auf, Trompeten und Trommeln, unter der gleißenden Sonne von Frankreich fuhren die beiden Unbehausten in Peters Auto in die Jahresferien, standen stumm vor Kathedralen und Schlössern, besänftigten sich am Abend an Wirthaustischen vor den Gasthäusern mit fettem Rotwein, vergaßen die bohrende

Frage, ob sie nun Könige oder arme Schelme waren und versuchten vergeblich, zu vergessen, dass keine zärtliche Frau neben ihnen saß oder je geblieben wäre. Und sie wussten, dass sie zu den Unbehausten gehörten. Jeder von dieser Sorte weiß es. Peter ist gestorben, und nun starb noch ein zweiter Freund, den er während der Krankheit täglich besuchte. Als es so weit zu sein schien, flüsterte der Freund: Geh raus. Ich mag keine Abschiede. Los, geh raus.“ Bei diesem Bericht kamen meinem Malerfreund die Tränen. Bei meinem heutigen Besuch jedoch behausten wir einander. Wir gingen in die Eckwirtschaft, wo ich ihn zum Mittagessen einlud. Trotz vergangenem Schlaganfall habe ihm der Arzt zwei bis drei Gläser Bier täglich erlaubt, sagte er fröhlich. Wir stießen an und plauderten über die Zeit vor fünfzig Jahren, wo wir mit meinem ersten VW-Käfer an der Wochenenden mit Freund und Freundin selig durch das Oberbergische schaukelten; der Maler neben mir, der Mann, der in den letzten fünfzig Jahren nie ein böses Wort über andere und die Welt gesagt hat. Karl Otto Mühl


Achterbahn zwischen Kulturen

Ein Portrait zu Safeta Obhodias Foto: Angelika Zöllner

Auf die Autorin Safeta Obhodjas bin ich schon vor Jahren im Kollegenkreis des deutschen Schriftstellerverbandes (VS) aufmerksam geworden, sodass ich ihr eines Tages ein Portrait vorschlug. Die bosnische Schriftstellerin wurde 1951 in Pale, nahe Sarajevo, in einer muslimischen Familie geboren. Safeta Obhodjas heiratete, wie die meisten bosnischen Frauen, sehr jung, studierte trotzdem Journalismus, arbeitete im Büro und hatte vor allem zwei Kinder zu erziehen. Ende der Siebziger-Jahre publizierte sie ihre ersten Erzählungen und Hörspiele. Sie zählte zu den damals noch seltenen Prosaautorinnen. Schreibende Frauen waren in den Achtzigern, wenn überhaupt, eher als Journalistinnen oder Lyrikerinnen bekannt. Trotz der Anforderungen des Alltags publizierte sie ab 1980 einige Hörspiele (Radio Sarajewo, Zagreb, Belgrad) und 1987 einen ersten, bereits bemerkenswerten Band mit Erzählungen: „Die Frau und das Geheimnis“ (Žena i tajna, Verlag V. Maslesa, Sarajevo). 1992 kam Safeta Obhodjas durch die Wirren des bosnischen Krieges sowie auf Grund von erheblichen Problemen mit den serbischen Nationalisten mit ihrer Familie nach Wuppertal. Die Autorin lernte in Deutschland bald die Landessprache und schreibt heute zweisprachig. Genossen hat sie, dass sich ihr hier eine Bücherwelt eröffnete, die in Bosnien nicht zugänglich oder nicht übersetzt war. Safeta Obhodjas gehört zu den Menschen, die es nicht leicht haben, weil sie ihrer Zeit oft um Längen voraus sind. Als junge Ehefrau hatte sie es schwer, sich mit Bücherlesen in der Familie zu behaupten. Dass die junge Frau zu schreiben begann, sich auch durch die Kinder nicht von ihrem Vorhaben abbringen ließ, sorgte für erhebliche Verwirrung im traditionellen Umfeld. Geholfen haben ihr zunächst meist Männer. Schließlich saßen sie in den wesentlichen Posten. Doch ist es umso erstaunlicher, da Safeta Obhodjas von Anfang an die Rolle der doch ‚modernen Frau‘ in ihrem Land angriff. Sie schildert in ihren ersten Geschichten ‚die ganze Zerrissenheit zwischen Moderne und Tradition in einer patriarchalischen Gesellschaft‘, wie es auf ihrer Homepage heißt. Sie versucht, Missstände in der Gesellschaft - Unterdrückung der Frauen, Auseinandersetzungen

zwischen den Völkern… - aufzudecken, die vom kommunistischen Regime stets vertuscht wurden. In den Achtziger-Jahren war es für eine Frau in Ex-Jugoslawien nicht leicht, eine schriftstellerische Laufbahn aufzubauen. In den Kulturkreisen sah man sie allenfalls als Muse, in jedem Fall als sexuelle Gefährtin. Wollte eine Frau auch nur halbwegs Karriere machen, musste sie öfter entscheiden, ob sie den Weg über das Bett wählt, verzichtet oder den Kampf gegen das Patriarchat aufnimmt. Es war durchaus gewünscht, dass auch Frauen Geld verdienen. Karriere aber blieb in den Augen der Großfamilie gefährlich und sollte traditionsbewusst den Männern überlassen bleiben. Die männliche Vorherrschaft, sagt Obhodjas, hatten Töchter oft schon deshalb zu respektieren, da ihre Mütter nicht wollten, dass sie es leichter haben als sie. Die Schriftstellerin geht davon aus, dass auch heute noch viele Männer Ex-Jugoslawiens ihre Frau schlagen oder zumindest Schläge androhen. Sie sehen sich genötigt, ihre Frau in Gehorsamsgrenzen zu halten, da sie das Gesicht des Patriarchs, der sich durchsetzen soll, zu wahren haben. Frauenfragen wurden durchaus interessanter zu der Zeit, als Obhodjas in den Achtzigern zu publizieren begann. Etwa drei, vier Jahre vor dem Krieg jedoch setzten sich Themen nationalen Heldentums erneut durch. Rechte für Frauen wurden wieder für lange kein Thema. Hinzu kam, dass Frauen im Krieg vorrangig ihre Männer zu unterstützen hatten. 1996 erschien im deutschen Melina Verlag die Übersetzung von Safeta Obhodjas ersten Prosageschichten (erweiterte Auflage) unter dem variierten Namen: Das Geheimnis – die Frau. Wir erfahren Geschichten bosnischer Frauen, die von komplikationsreichen Beziehungen in der Liebe oder am Arbeitsplatz berichten. Liebe, Gewalt und auch das Scheitern sind immer wieder Kernthemen. Keine Frau, die verzweifelt, scheint in den Erzählungen schwach. Im Gegenteil, das Durchhalten und/oder das Wagen neuer Wege im Dickicht der Verstrickungen will Safeta Obhodjas anhand einzelner Frauenschicksale den traditionsbefangenen Frauen vorführen, um ihnen Mut zu machen für eine freie Entscheidung. „Unsere Frauen sind Weltmeiste-

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rinnen im Warten. Sie warten auf ihre Männer und Söhne, die gerne ihre Nächte in einer Schenke durchzechen aber auch oft im Gefängnis sitzen“, sagt die Autorin. In der Geschichte „die Frau und das Geheimnis“ wartet eine Frau auf ihren Mann, den sie verraten hat. Er muss ins Gefängnis, hat er doch damals ihren Freund ermordet. Sie besucht ihn, er aber empfängt sie nicht. Wieder wartet sie, dass sie alles erklären kann, ‚gefesselt an diese Schwelle‘. ‚Wieder hat mich Osman nicht empfangen wollen! Wie üblich, bin ich zu seinem Haus zurückgegangen… ich kann mich einfach nicht losreißen von den starken Bindungen, die mich dort festhalten. Jedes Mal, wenn ich aus dem Gefängnis kam, in dem er seine Sünde abbüßt, habe ich es versucht. Vergebens. Als ob ich an seine Schwelle gefesselt wäre…‘ Die letzte Geschichte der Sammlung, ‚der Abgrund‘ – entstanden 1990 – weist schon auf die bevorstehende Katastrophe in Bosnien hin.

In Deutschland Von 1997 bis 2000 erhielt Safeta Obhodjas drei renommierte, deutsche Arbeitsstipendien von: dem Ministerium für Familie, Kinder, Jugend Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen, dem Stuttgarter Schriftstellerhaus und dem Künstlerdorf Schöppingen, Sie wird zunehmend bekannter, auch durch Theater- und Hörstücke (u. a. Ketten reißen nie von selbst, ein fiktiver Dialog mit Helene Stöcker, Wuppertaler Frauenrechtlerin und Pazifistin). Ein großes Aufgabengebiet für Obhodjas wird in Deutschland bald die Jugendarbeit. Sie initiiert Inszenierungen mit Schulklas-

sen, die die Integration in Deutschland thematisieren (u. a. die Wahrheit hat kurze Beine, ein Theaterprojekt mit der Schauspielerin Caroline Keufen, neuerdings auch Zusammenarbeit mit Soraya Sala), finanziell unterstützt durch die Jackstädt-Stiftung Wuppertal und vom Landesprojekt ‚Kunst und Schule‘. Seit ihrem Aufenthalt in Deutschland, ab 1992, sind von Safeta Obhodjas sieben Bücher auf Deutsch erschienen. U. a. Scheherazade im Winterland, Frauen aus der Karawane Sinais und zuletzt der Jugendroman Mert, ein Deutschtürke im Abseits. Das bisher erfolgreichste Buch Obhodjas erschien 2013 in dritter Auflage. Legenden und Staub, eine gemeinsame Bucharbeit von ihr und dem assyrischen Christen aus dem Irak, Sargon Boulus (1944-2007) wurde erneut verlegt, da es aktueller denn je wird in Zeiten der Unruhe und Kämpfe in den arabischen Ländern – vor allem aber in der Notwendigkeit, sich innerhalb der Kulturen mit Verständnis und Freundschaft zu begegnen. Der Iraker Autor Sargon Boulus und die bosnische Autorin Safeta Obhodjas sind Grenzgänger und wagen ‚die Wege des Herzens‘. Sie entdecken bei ihrer Begegnung in Schöppingen (Arbeitsstipendium), dass sie sich nicht nur englisch, sondern auch ‚mit einem bescheidenen Vokabular arabischer, türkischer und persischer Herkunft‘ unterhalten können. Die slawische Sprache hat noch manches Wort gemeinsam. Sie unterhalten sich über Wochen, sie, die muslimische, noch nicht lang getrennt lebende Ehefrau, die auf 15 engen Kilometern zwischen Pale und Sarajewo hin und her eilte und er,

der heimatlos gebliebene Reisende, der von Kultur zu Kultur zog, eines Tages sogar das gelobte Land Amerika samt seiner Privatbibliothek wieder verließ, um mit einem One-Way-Ticket nach Europa zu fliegen. Boulus hatte die Wandlung der Stimmung gegen Muslime nach dem 11. September 2001 nicht ertragen können, schon gar nicht den Krieg gegen den Irak. Er hatte in den USA die bedeutendsten Werke der literarischen und philosophischen Welt von Orient und Okzident zusammengetragen und versuchte nun, mit neuer Schwerelosigkeit, einen Neuanfang. Das Werk der beiden fasziniert Leser aller Generationen und Angehörige unterschiedlicher Religionen/Kulturen, sogar Atheisten. Die ‚Philosophie einer neuen Welt‘ könnte es fast heißen, denn in vorbildhafter Weise erobern sich beide Autoren ein gemeinsames Terrain, wie wir alle es angesichts der Gegenwartsprobleme zwischen vielen neuen Migranten und ihren Kulturen erüben müssen. Ein gewisses Problem hat Safeta Obhodjas bis heute mit ihren vorausschauenden Texten bei Verlagen. Man wünscht zurzeit Berichte über muslimische Frauen, die unterdrückt werden. Dazu gehört die Entstehung des Jugendromans Mert, ein Deutsch-Türke im Abseits. Hier will sie hervorheben, wie auch junge Männer leiden, weil sie sich nicht in Freiheit eine Partnerin, eine Zukunft wählen dürfen. Bei der Vorarbeit zum Roman macht Safeta Obhodjas die Erfahrung, dass auch in Deutschland mitunter noch sehr rückläufig hinsichtlich Gleichberechtigung gedacht wird. In Duisburg liest sie Eintrittskarten zu einem deutsch-türkischen

Kultur, Information und Unterhaltung im Internet Täglich neu – mit großem Archiv Literatur – Musik – Bühne – Film – Feuilleton – Museen – Comic – Fotografie – Reise

Unabhängig, werbefrei und ohne Maulkorb www.musenblaetter.de

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Fußballspiel. Da heißt es, der Eintritt betrage für ‚Frauen, Kinder und Behinderte‘ 6 Euro. Für ‚Erwachsene‘ gilt ein höherer Preis. Wann endlich gilt eine Frau als ‚erwachsen‘? Mittlerweile genießt Safeta Obhodjas als Autorin wachsendes Ansehen. In den USA kaufte die Yale-Universität mit hohem Lob mehrere Bücher von ihr. In jüngster Zeit erhielt sie finanzielle Unterstützung für zwei Groß-Projekte. Das über zwei Jahre dauernde Thema ‚Lange Schatten unserer Mütter‘, erarbeitet mit der Fotografin Petra Göbel (unterstützt vom Ministerium für Familie, Kinder, Jugendliche, Kultur und Sport des Landes NRW ) hat im Jahr 2014 in Essen, im Forum für Kunst und Architektur im Rahmen einer ersten Ausstellung bereits begonnen. Die Autorin hat sich in ihren Werken oft mit dem Mutter-Tochter-Verhältnis in den zugewanderten oder kulturell gemischten Familien auseinandergesetzt. Foto: Jörn Neumann

Aus dem individuellen Interesse der beiden Künstlerinnen bezüglich dieser Problematik entstand die Idee zu dem gemeinsamen Projekt. Die Texte der Autorin basieren auf Interviews mit mehreren jungen, gebildeten Frauen und deren Müttern, die täglich viele Grenzen zwischen den Kulturen überwinden müssen. Texte und Fotos werden gemeinsam gezeigt in Ausstellungen, in welchen sich ein Stück künstlerisch überarbeiteter Realität unserer Gesellschaft widerspiegelt. Im Mai wird die nächste Ausstellung an der Wuppertaler Universität gezeigt werden. Gleichzeitig entstand ein Theaterstück der Autorin. Ausgangspunkt sind dokumentierte Geschichten von Frauen, die hier in unterschiedlichen Kulturen leben und sich gegen ‚lange Schatten‘, auch mit erheblicher Unterstützung ihrer Mütter gegen die Tradition durchgesetzt haben und Bildung erwerben dürfen. Von dem Zwiespalt berichtet eine albanische Sozialpädagogin: ‚Die Ausbildung…hat meine Mutter unterstützt, ohne zu gewahren, dass die Bücher mir eine…Welt eröffneten, in der auch Mädchen Freiheit genießen…Ich

lebte wie in einem…Gefängnis, in dem meine Mutter die Rolle der Wächterin übernommen hatte‘. Für 2015 ist ein weiteres Theaterprojekt geplant, angeregt von der Gedok Wuppertal und unterstützt durch die JackstädtStiftung. Es geht um eine Hommage an die Exil-Autorinnen Marina Zwetajewa, Irmgard Keun und eine unbekannte Autorin. Safeta Obhodjas sagt zu ihrem Projekt: ,Um ihr Leben zu retten, floh Irmgard Keun vor den deutschen Nationalsozialisten ins Exil, Marina Zwetajewa verließ ihre Heimat wegen des roten Terrors in Russland und die unbekannte Autorin suchte in Deutschland eine Rettung vor den Nationalisten auf dem Balkan. Durch die Schicksale dieser drei Exilautorinnen versuche ich die damalige und die heutige Zeit zu vergleichen. Viele Menschen bleiben stets auf der Flucht.‘ Angelika Zöllner

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Paragraphenreiter Kann ich mit Humor Steuern sparen?

Aber sicher ! Wie überhaupt alles im Leben besser funktioniert, wenn man es mit Humor angeht. Bereits anno 1987 versuchte „D´r Buur us dem Vürjebirg“, seines Zeichens Büttenredner in Köln, Finanzamt, Finanzgericht und Bundesfinanzhof davon zu überzeugen, dass er mit den Einkünften aus seinen Auftritten nicht der Gewerbesteuer unterliege.

Susanne Schäfer, Steuerberaterin Geschäftsführerin der Rinke Treuhand GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft/ Steuerberatungsgesellschaft

Dies tat er vermutlich nicht nur aus finanziellen Gründen. Zugegeben, die Gewerbesteuer, die ein Gewerbetreibender im Gegensatz zu einem freiberuflich tätigen Künstler zu entrichten hat, ist unerfreulich. Geradezu UNERTRÄGLICH ist es für einen Kölschen Jecken dagegen, wenn ihm die Finanzbehörden „eine eigenschöpferische Leistung, in der seine Anschauungsweise und Gestaltungskraft zum Ausdruck kommt, und die über eine hinreichende Beherrschung der Technik hinaus grundsätzlich eine gewisse künstlerische Gestaltungshöhe erreicht“ abspricht. Eine solche erbringt nur ein freiberuflich tätiger Künstler und ein solcher war „D´r Buur us dem Vürjebirg“ laut Finanzamt und Finanzgericht Köln eben nicht – eine Auffassung, die der Bundesfinanzhof (aber was kann man von einem in München ansässigen Gericht schon erwarten?) im Jahr 1988 bestätigt hat. Das ging zu weit! Keine „gewisse künstlerische Gestaltungshöhe“? Keine Kreativität, kein Einfallsreichtum, kein Genie? Es gab nur eine Erklärung für dieses Urteil: auch die mit dem Verfahren befassten Kölner Finanzrichter des Jahres 1987 mussten Zugereiste gewesen sein! Im Sinne dieser einzig möglichen Begründung zog 2002 „D´r Mann met dem Hötche“ erneut vor das Finanzgericht Köln, um seine Gestaltungshöhe zu beweisen. Er unterlag. Und was taten die Finanzämter von Köln bis Mainz und Düsseldorf? Sie setzten für die Mitglieder des Bundes der Büttenredner nicht nur Gewerbe-

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steuermessbeträge fest, nein, sie antworteten in ihren Entscheidungen gegen die Einsprüche der nunmehr Steuerpflichtigen auch mit Aussagen wie „schablonenhafte Wiederholung“, „die Büttenrede als Massenware“ und „im Niveau stark abgesunken.“ Die Büttenredner waren empört und ratlos. Bis auf „Dat Botterblömche“. Es bewies Kreativität, Einfallsreichtum, je geradezu Genie und zog vor das Düsseldorfer Finanzgericht. Und im Gegensatz zu den Kölnern, wurden die Düsseldorfer Finanzrichter den in sie gesetzten Erwartungen gerecht. Sie befragten „Dat Botterblömche“ ausführlich. Sie ließen sich von ihm eine Auswahl an Redemanuskripten vorlegen. Zu guter Letzt schritten sie zur „Augenscheinseinnahme mittels Videoaufzeichnung“. Und dann endlich kamen sie zum einzig angemessenen Ergebnis: „Dat Botterblömche“ (und mit ihm der Rest aller Düsseldorfer Büttenredner) erbringt „eine eigenschöpferische Leistung mit künstlerischer Gestaltungshöhe. (Die Kölner streiten übrigens immer noch.)


Yin und Yang „Bessere Hälften“ stellt unser Autor vor. Komplementär in diesem Fall: HP Nacke, Kenner und Förderer der Künste, ehemaliger Betreiber der Galerie Epikur und Inhaber einer Druckerei.

Psychoanalyse, Republikanischer Club, zwei Töchter, lesen, stricken, Gartenarbeit, ein Faible für Kunst: ein paar Schlaglichter, um skizzenhaft auf einen Menschen einzugehen, der vor neun Jahren Berlin der Beziehung wegen verließ und nach Wuppertal kam. Und aus dem Badischen stammt. Im Jahr 1945, das für die einen Niederlage war und für die anderen die Befreiung (bevor der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker diese beiden Deutungen bewusst nebeneinanderstellte), 1945 also erblickte Iris C. Rau geb. Fürst im milden Klima Freiburgs erstmals die Welt. Mit 11 kam sie ins Internat, weil der Vater ans Bundesverwaltungsgericht in Westberlin berufen worden war. Das Gymnasium brach sie kurz vor dem Abitur ab. Keineswegs freiwillig. Sie war schwanger und trotz Heirat wurde es ihr, in den prüden mittsechziger Jahren, verwehrt, das damals noch reine Mädchengymnasium weiter zu besuchen. Der Vater des Kindes war Arzt, Internist, in psychoanalytischer Weiterbildung.

Zwei Töchter hat sie aus dieser Ehe, von ihnen wiederum vier Enkel. Und immer noch den Nachnamen. Zuerst der Kinder wegen, dann aus Gewohnheit, wobei ihr Mann und Johannes Rau – die Frage wird ihr immer wieder gestellt – nur über tausend Ecken verwandt waren. So viel dazu. Es brodelte in Berlin West Mitte und Ende der 60er Jahre. Iris Rau erinnert sich lebhaft an den Republikanischen Club in der Wielandstraße, einen Treffpunkt für Widerständige, Linke, Sektierer und Weltverbesserer. Sie selbst war von Jean Paul Sartre, Simone de Beauvoir und Albert Camus begeistert. Das Thema Freiheit war schon damals ihr Lebensthema und sollte es bleiben. Befreiung der Massen oder Befreiung des Individuums? Die rothaarige Iris Rau setzt auf die Befreiung des Selbst, teilt mit den Verfechtern der sozialen Befreiung vielleicht noch das allgemeine Ziel, jedoch nicht ihre Wege. Zu ihrer Einstellung passt es dann, dass sie gemeinsam mit Gisela

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Ammon einen psychoanalytischen Kindergarten begründete. Wohlgemerkt, keinen antiautoritären, wie es in Mode war, aber einen Tick zu viel Laissez-faire gab es auch in dieser Initiative, wie sie heute sagt. 10 Jahre später als ursprünglich vorgesehen, machte sie dann das Abitur, studierte, noch vom Ehemann beeinflusst, zwei Semester Medizin, wechselt dann zur Psychologie. Nach dem Diplom vier Jahre Arbeit in einer psychiatrischen Klinik, dann in mehrjähriger Abendweiterbildung, Ausbildung zur Psychoanalytikerin und eigene Praxis. In diese Zeit fällt auch eine enge Freundschaft mit Nanuk und Klaus Weiffenbach, einem Mitbegründer der Schaubühne am Halleschen Ufer, später am Lehniner Platz. Auch ein Stammtisch in der alten „Hundekehle“, an dem sich Mitglieder aus Kunst, Wissenschaft und Kultur trafen, zu denen unter anderen auch Götz George und Manfred Krug mit Ehefrau Ottilie gehörten. Sie ist Ende 50, als sie den gleichaltrigen HP Nacke kennenlernt. Der Funke springt in einer Galerie über, in der sie erstmals zusammentreffen. Mit einer Freundin ist sie unterwegs, spontan ohne lange vorherige Verabredung, wie es bei ihr üblich war. War sie damals oder ist sie heute Nackes bessere Hälfte? Mit diesem Bild kann sie wenig anfangen, eher mit zwei Kreisen, die eine gemeinsame Schnittmenge bilden, oder mit dem chinesischen Bild von Yin und Yang. Oder aus der Sichtweise des Psychoanalytikers C. G. Jung: Animus und Anima. Gleichwertig, aber anders. Was sind ihre Hobbys? Früher ging sie gerne segeln, in Berlin auf dem Wannsee, aber auch zu Törns im Mittelmeer und der Karibik. Sie hat einen Segelschein: „Auch das war ein Stück Freiheit.“ Im Winter alpines Skifahren. Heute liest sie gern Krimis aus Skandinavien, die Liebe zum Kochen ist eine Neuentdeckung, ebenso die zur Gartenarbeit. Schon immer geliebt hat sie die Kommunikation beim Essen mit dem Partner, der Familie, Freunden und Kollegen, zu Hause oder im Restaurant. Ferner Theater, Musik von Klassik bis Rock, von Bach und Mozart bis Eros Ramazotti (allerdings keinen Free Jazz, den Nacke mag) und das Tanzen (die Begeisterung für Letzteres hält sich beim Partner in

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Grenzen). Was sie beide genießen, sind Spaziergänge durch die Natur, vor allem am Wasser. Entweder entlang von Düssel, Ruhr, Wupper und Rhein oder auf Borkum, wo sie eine Ferienwohnung besitzen, die als Refugium dient. Ihr Tibet- Terrier Lela immer mit dabei. Vier Jahre, kurz nachdem sie zu HP Nacke ins Tal der Wupper gezogen war und sich hier in einer Praxisgemeinschaft niedergelassen hatte, also 2009/2010, kam es knüppeldick: Seine Mutter und ihre

Eltern starben, und er gab nach einem Herzinfarkt die Galerie auf. Man konzentriert sich mehr auf das für wirklich wichtig Erachtete. Wie arbeitet eine neofreudianische Psychoanalytikerin, für die die Couch ein Relikt aus vergangener Zeit ist? Sie schlägt den Weg ein, über die Herausforderung des Unbewussten und die Gefühle der Patienten an deren Widerstände und Blockaden, an deren destruktive und selbst- und beziehungsschädigenden Mechanismen heranzukommen, um sie


im therapeutischen Setting bewusst zu machen. So arbeiten sich Therapeut und Patient an unbewusste und verdrängte Gefühle und traumatisierende Erinnerungen heran, die so wiedererlebt und damit aufgearbeitet werden können, so dass es am Ende, so Iris Rau, zu einer Versöhnung mit den verinnerlichten Imagines kommen kann und damit zur inneren Freiheit. „Oft ist eine psychische Nachentwicklung und Nachreifung der Persönlichkeit damit verbunden.“ In der Regel ist da dann die Reihenfolge: Trauer, Wut, Schmerz, Liebe und innere Aussöhnung. Damit verschwinden dann auch die Symptome, derentwegen der Patient ja kam: psychosomatische Symptome, Angstsymptomatik, Zwänge, Depressionen, Charakterstörungen, Beziehungsstörungen. Schon Freud sagte: „Wo Es ist, soll Ich werden.“ Margarete Mitscherlich (1917-2012), die bis ins hohe Alter gearbeitet hat, ist Iris Rau schon lange ein Vorbild. „Man wird nicht schlechter im Lauf der Jahre, der

Überblick wird größer und die Konzentration auf das Wesentliche nimmt zu.“ Sie selbst arbeitet, trotz Erreichen des Rentenalters, weiter im „Neurotal“, einer Praxis mit Psychiatern, Neurologen und Psychotherapeuten. „In Berlin hatte ich eine Einzelpraxis. Es ist ein absoluter Gewinn für mich, hier direkt mit kompetenten, netten Kollegen und sympathischen Arzthelferinnen zusammen zu arbeiten und mich austauschen zu können.“ Nach dem Tod der Eltern ist sie in deren Haus auf ihr Poesiealbum aus Kindertagen gestoßen. Ihre Mutter schrieb damals in das kleine Buch, sie, Iris Fürst, solle im Leben lernen, die Fehler der Mitmenschen zu ertragen, „bist du doch auch vom Tadel nicht frei“. Und weiter: „Lerne geduldig sein, lerne verzeihen, lerne die Liebe, sie hilft Dir dabei …“ „Mir wurde erst da bewusst, wie sehr mich die Werte, die meine Eltern mir mit auf den Weg gaben, prägten. Geduld und Verzeihen gehörten in meiner Jugend nicht gerade zu meinen Stärken.“ Hier schließt sich für

sie der Kreis des Lebens: von Jugend und Alter. Goethes Gedicht „Prometheus“, der sich trotzig gegen die Götter auflehnt, ist für sie Symbol für ihre eigene Jugend und die ihrer Generation. Hermann Hesses Poem „Stufen“ mit seiner berühmten Zeile „und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“ eine Beschreibung der Lebensphasen. „Jede neue Phase, jeder Neuanfang bedeutet auch Abschied und Veränderung“. Sie liebt Gedichte. Auch greift sie selbst manchmal zur Feder, wenn sie sehr berührt ist. So auch in den Tagen, als sie dem Kunstkenner Nacke näher kam: „Und immer wieder entsteht auf den Trümmern vergangener Lieben ein neues Haus. Sehnsuchtsumweht nach der einen, unendlichen Liebe, die, sich stets erneuernd, niemals vergeht.“ Matthias Dohmen Fotos: Bina Noss

Sparkassen-Finanzgruppe

„Wunderbar, dass unsere Sparkasse einer der größten Kulturförderer Wuppertals ist.“

Die Stadtsparkasse Wuppertal unterstützt Soziales, Kultur und Sport in Wuppertal mit rund 5 Mio. € pro Jahr. Wir sind uns als Marktführer unserer Verantwortung für die Menschen und Unternehmen in unserer Stadt bewusst und stellen uns dieser Herausforderung. Mit unserem Engagement unterstreichen wir, dass es mehr ist als eine Werbeaussage, wenn wir sagen: Wenn’s um Geld geht – Sparkasse

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Arnulf Rainer Malerei, Arbeiten auf Papier Kunstmuseum Ahlen 15. Februar – 26. April 2015

linke Seite: Grabes Furcht, 1973, Tusche, Ölkreide, Öl auf Photo, 61 x 47,5 cm © Studio Arnulf Rainer unten: Ohne Titel, 1957, Ölkreide, Tusche / Papier, 50 x 70 cm © Studio Arnulf Rainer

Arnulf Rainer ist einer der bedeutendsten österreichischen Künstler der Gegenwart. Das Kunstmuseum Ahlen freut sich, aus Anlass seines 85. Geburtstages eine retrospektive Ausstellung mit Malerei und Arbeiten auf Papier zu präsentieren. Damit ist das Kunstmuseum Ahlen neben dem Frieder Burda Museum in Baden-Baden die einzige Institution in Deutschland, die im kommenden Frühjahr eine umfassende Ausstellung zum Lebenswerk Arnulf Rainers eröffnet. In enger Zusammenarbeit mit der Familie des Künstlers sowie in Kooperation mit dem Arnulf Rainer-Museum in Baden bei Wien wird mit rund 100 Exponaten die überraschende Vielfältigkeit und Aktualität dieser künstlerischen Ausnahmeposition dargestellt. Frühe, nur selten gezeigte Grafiken der unmittelbaren Nachkriegszeit zeugen von der anfänglichen Auseinandersetzung Arnulf Rainers mit dem Surrealismus. In den ersten tachistischen, stark reduzierten Zeichnungen aus den 1950er Jahren ist

das Streben nach einer radikalen Bildauffassung bereits spürbar. In dieser Zeit pflegte Rainer enge Verbindungen zu den Künstlern der Düsseldorfer ZERO-Gruppe, ging aber bald schon eigene Wege. Die Ausstellung untersucht die damals entwickelte Strategie des Übermalens von ihren Anfängen bis in die Gegenwart. In ihrer provozierenden Vehemenz begründeten die farbgewaltigen Gemälde und Zeichnungen das internationale Renommee des Künstlers. Der Überblick umfasst zudem neben den fotografischen Selbsterkundun-gen der 1970er Jahre auch Arbeiten aus dem kaum bekannten „Hiroshimazyklus“ (1982), eines der wenigen Beispiele für die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Atomkrieg überhaupt, und reicht bis zu den späteren Überarbeitungen berühmter Ge-mälde der Kunstgeschichte. Mit den aktuellen „Teneriffa Kreuzen“ (2009) wird zudem die Relevanz des Kreuzmotives im Werk von Arnulf Rainer bis heute offenbar sowie sein immer noch erstaunlich kraftvoller Duktus.

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Im Werk von Arnulf Rainer sind sowohl expressive als auch konstruktive Bildauffassungen vereint; darin ist sein künstlerischer Ansatz mit der Programmatik des Kunstmuse-ums Ahlen eng verbunden, wo dies von Beginn an die beiden wesentlichen Blickwinkel der Kunstbetrachtung sind. Wenig bekannt sind Rainers Verbindungen zu den Künstlern der Düsseldorfer ZEROGruppe wie Otto Piene, Heinz Mack und Günther Uecker und seine Beteiligungen an gemeinsamen Ausstellungen. Im Kunstmuseum Ahlen, das u.a. Werke von Heinz Mack und Adolf Luther präsentiert und in seinem Bestand hat, werden so die künstlerischen Verbindungen der ZERO-Gruppe auch über die Grenzen Deutschlands hinaus offenbar. Aus der damaligen gemeinsamen Basis entwickelte Rainer indes völlig eigenständige, radikale Ausdrucksmittel und künstlerische Verfahren. Arnulf Rainer zählt seit den 1960er Jahren neben Gerhard Richter, Sigmar Polke und Georg Baselitz, Maria Lassnig, Louise Bourgeois und Bruce Nauman oder Yves Klein weltweit zu den einflussreichsten Künstlern der Nachkriegszeit. Werke von Arnulf Rainer wurden im Guggenheim Museum New York, im Stedelijk Museum in Amsterdam, in der Tate Modern in London oder im Centre Pompidou in Paris gezeigt, auf der documenta in Kassel, in den Pinakotheken in München und in der Albertina Wien. Arnulf Rainer ist für sein Schaffen mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden. Unterstützt und möglich gemacht wird die Ausstellung unter Mitwirkung von Dr. Andreas Dombret, Bad Homburg v. d. H. Die Ausstellung wird gefördert von

oben rechts: Ohne Titel, 2009, Leimfarbe auf Leinwand auf Holz, 82 x 59 cm © Studio Arnulf Rainer linke Seite: Teneriffa Kreuz, 2009, Acryl auf Papier, 59,4 x 42 cm © Studio Arnulf Rainer

der Sparkasse Münsterland Ost und der Theodor F. Leifeld-Stiftung. Es erscheint ein Katalog mit zahlreichen Abbildungen und Texten von Burkhard Leismann, Andreas Dombret, Martina Padberg, Sandra del Pilar und Susanne Buckesfeld. Ein abwechslungsreiches Rahmenprogramm begleitet die Ausstellung. So findet am 20. 3. um 19 Uhr ein Solo-Konzert mit dem Wuppertaler Free Jazz-Musiker Peter Brötzmann statt.

Kunstmuseum Ahlen Museumsplatz 1 / Weststraße 98 59227 Ahlen Telefon: 0 23 82 / 91 83 0 Fax: 0 23 82 / 91 83 83 www.kunstmuseum-ahlen.de

Susanne Buckesfeld M. A. Fotos: Robert Zahonicky, © VG Bildkunst, Bonn 2015

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Bewegungen, Lebensgefühle Der Große Saal im 1. Stock des Nachbarschaftsheims am Platz der Republik 24 – 26. Probe für das Tanztheaterstück „Stimmen aus der Stille“. 27 Personen befinden sich auf der Tanzfläche, der so genannten unteren Bühne, die mit Flatterband von der oberen Bühne abgetrennt ist. Einige bewegen sich zur Musik, andere ziehen sich um, reden miteinander oder rufen auf dem Smartphone ihre Mails ab. Frauen und Männer, geschätzt zwischen 50 und 80.

Noch geht es ungeordnet zu, bis Claudio liMura, promovierter Übersetzer, mehrfach in die Hände klatscht und den Anwesenden bedeutet: Gleich fangen wir an. Jetzt wird es ernst. Wenn auch noch ohne Requisiten und Kostüme, aber mit dem ganzen Engagement, das nötig ist, damit aus der ungeordneten Bewegung ein zusammenhängendes stringentes Ganzes entsteht. „Wir starten! Eins – zwei – drei!“ Plötzlich entsteht Struktur im Chaos. An einer Querwand des Saals stehen vier Tische, an denen die Regie und die Musik sitzen und von wo aus liMura seine Anweisungen gibt, wenn er sich nicht selbst auf die Tanzfläche begibt, um einzelne Bilder vorzutanzen. Neun Paare bewegen sich in einer Reihe von links hinten nach rechts vorne, und auf der oberen Bühne gehen neun Frauen in Position. 35 Seiten ist die Choreographie lang: Eintragungen jeweils zu Bild und Thema, daneben die Namen der Frauen und der Männer, die in der Teilszene zum Einsatz kommen, sowie die Bemerkungen zu den

Kostümen. Beispiel: Kindheit als Traum. Auf der unteren Bühne tanzen (Kostüm: buntes Kleid) Birgit, Anni, Diane, Andrea, Friederike, Sabine, Claudia, Angelika und Brigitte sowie Peter, Bernhard, Andreas, Burkhard, Johannes und Karsten auf der unteren großen und Reinhold auf der oberen Bühne. Die einzelnen Bilder werden mit der Stoppuhr gemessen und ergeben insgesamt eine Spieldauer von eineinhalb Stunden. Passt. „Stimmen aus der Stille“ ist bereits das zweite Stück des 2012 von liMura aus der Taufe gehobenen Tanzcompanie. „Fragmente“ hieß das erste, das ein breites Presseecho hervorgerufen hat. Anregungen bekam der Initiator und Choreograph von – wie könnte es in Wuppertal auch anders sein – Pina Bausch, die im Jahr 2000 mit ihrem „Kontakthof mit Damen und Herren ab 65“ einen ihrer ganz großen Welterfolge auf die Bühne brachte. Es war ein Experiment „wohl auch deshalb“, sagt liMura heute, „weil die Senioren-Version des Tanzes um Endlichkeit, Leiblichkeit und Schicksalhaftigkeit des menschlichen

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Kontakthofs die ursprüngliche Inszenierung eben nicht alt, sondern jung aussehen ließ“. Damit „begann auch die Idee des Tanztheaters der Älteren“. Viele Monate wird Woche für Woche geübt, geprobt, verworfen, neu sortiert und wieder geübt, geprobt, verworfen, neu einstudiert. Für die künstlerische Leitung, Inszenierung, Choreographie, Dramaturgie, Musikauswahl und das Bühnenbild (nach Motiven von Christian von Grumbkow) ist liMura verantwortlich. Daneben sind die Positionen Assistenz, Kostüme, Tontechnik, Lichtdesign, Bühnenassistenz, Fotos und Video zu besetzen. Und die Kasse, die wie bei fast allen freien künstlerischen Ensembles klamm ist. Um so erfreulicher, dass die Stadtsparkasse, die Jackstädt-Stiftung, das Evangelische Erwachsenenbildungswerk Nordrhein, das Land NRW und die Stadt zu den Sponsoren zählen.

Die künstlerischen Impulse von Menschen diesseits und jenseits der Grenze zwischen Arbeitsleben und Ruhestand bewertet liMura so: „Die Leute kommen, um etwas zu verändern. Sie sind jetzt in einem Alter, wo sie sagen: Jetzt möchte ich mich neu entdecken.“ Die Tanzcompanie, die im Internet unter www.seniorentanztheater.com zu finden ist (die Erweiterung com ist wichtig, weil man ansonsten bei einer künstlerischen Gruppe im Ruhrgebiet landet), so argumentiert er, bringt „fast zweitausend Lebensjahre Erfahrung auf die Bühne – für eine Reise, die wir gemeinsam erleben, eine Reise ins Innere“. Eine Reise, bei der es um Gefühle geht, die ihren tänzerischen Ausdruck erst dann endgültig finden, wenn die Proben zu Ende gegangen sind und die Aufführungen begonnen haben: Uraufführung war Ende November in der „börse“, weitere Vorstellungen sind im „Haus der

Diane Dau-Peckhaus, Andrea Seidel

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Jugend“ für den 23. Januar 2015 und im Stadttheater Solingen für den 11. Juni gebucht (weitere mögliche Aufführungen auf der Homepage der Companie unter dem Reiter Termine). Begeistert werden und andere anstecken: Nach diesem Verfahren funktioniert auch das Wuppertaler Seniorentanztheater. Mit jedem Tänzerin und jedem Tänzer probiert Claudio liMura dessen persönliches Thema heraus: „Oft ist es eine einzelne Bewegung, eine Geste, eine Berührung, die ein Lebensgefühl besonders stark zum Ausdruck bringt.“ Er sammelt diese Bewegungen und arbeitet sie mit den Mitgliedern des Ensembles aus. Er sieht das Seniorentanztheater als „eine Antwort auf den demographischen Wandel“. Man wolle Perspektiven finden für ein „aktives und kreatives Altern, für eine Verständigung der Generationen und

Anny Stalzer


Kulturen“. Es sollen sich Menschen angesprochen fühlen, die Kultur „bislang eher konsumiert“ haben. Claudio liMura: „Die Damen und Herren in meiner Companie müssen sich verstanden und angenommen wissen. Keiner wird allein gelassen.“ Und: „Was ich will, ist ein Tanztheater der gereiften Gefühle, das die Herzen bewegt.“ Die Herzen der Zuschauer und – das ist der Anfang von allem – die Herzen der Darstellerinnen und Darsteller. Ihre persönlichen Gefühle haben zahlreiche Frauen und Männer, die bei den „Stimmen aus der Stille“ auf der Bühne dabei sind, in Statements beschrieben, die sich im Programmheft wiederfinden. Dort erklären sie, warum sie wöchentlich zu gemeinsamen Proben zusammenkommen und in der Endphase der Erarbeitung eine Reihe von Sonder- und Einzelproben auf sich nehmen und so manche Zeit an den Wochenenden opfern.

So schreibt Beate Grebe: „Kindheit, Freude, Schwere des Lebens, Melancholie, Rücksicht und Verstehen, auf einmal hat alles eine Bedeutung.“ Das Leben sei „beschwingter geworden durch unseren tänzerischen Ausdruck“. Dabei wird auch den Nichtprofessionellen auf den Brettern, die die Welt bedeuten (Schiller, 1803), nichts geschenkt, jeder Schritt, jeder Gesichtsausdruck ist das Ergebnis harter Arbeit. Noch einmal Beate Grebe: „Ich benötigte Mut, musste lernen, Angst zu überwinden, um Gefühle zuzulassen und diese über Musik mit Mimik und Gestik zu einem Tanz zu formen.“ Es gab Niederlagen, denen kleine, später größere Erfolge folgten: „Wir alle, die bei Claudio liMura tanzen, wurden mutiger!“ Das Ergebnis der Arbeit, ist der Impresario überzeugt, verdient eine professionelle Spielstätte wie Oper oder neue Spielstätte.

Tatsache ist: Wenn man sich die Zusammensetzung von liMuras Truppe ansieht, muss man konstatieren, dass Frauen wohl eher aus sich herausgehen als Männer. Einer, der mitmacht, hat einen Appell verfasst: „Wir brauchen Männer!“ Bernhard Dehler, schon von der Körpergröße die Mitspieler überragend, ruft dazu auf, abseits des Üblichen und Eingefahrenen „einmal in eine neue Rolle zu schlüpfen“. Selbst wenn es „zunächst ungewohnt ist, der eigenen Kreativität öffentlich und tänzerisch Ausdruck zu verleihen“, sei die Resonanz seitens der Mittänzerinnen und Mittänzer „Bestätigung und Ansporn zugleich“. Dehlers Appell: „Trau dich und hebe diesen Schatz in dir, empfiehlt einer, der ein absolut technisch strukturiertes Berufsleben abgeschlossen hat und Frauen bei Standardtänzen als Versager zur Verzweiflung treibt.“ Vorhang hoch! Matthias Dohmen

Beate Grebe

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Schürzen – eine Be(tracht)ung Zu Sylvie Hauptvogel – Schürzenreigen 2

Friederike Zelesko - Foto: Axel Wyen Geboren in Böheimkirchen, Niederösterreich. Sprachstudium in London, Übersetzerin. Arbeitete als Regierungsangestellte an der Bergischen Universität Wuppertal im Fachbereich Physik. Schreibt Lyrik und Prosa und ist Mitglied im Verband Deutscher Schriftsteller und der Künstlerinnengemeinschaft GEDOK. Beiträge in Literaturzeitschriften, Anthologien, im Funk und in einer Kolumne der Frankfurter Rundschau. Letzte Veröffentlichungen: Im Dezember 2011 erschien der Lyrikband „Von den Tafelfreuden“ im Wuppertaler NordPark-Verlag, im September 2012 die Erzählung „Überfahrt“ in der Anthologie „Wohin das Herz dich trägt: Meer“, hrsg. von Liane Dirks im Herder Verlag, Freiburg. Redakteurin der Bergischen Literaturzeitschrift KARUSSELL.

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1 Zuerst waren sie lang, bedeckten das Bein bis zu den Schuhen, dann wurden sie immer kürzer, zeigten das Knie. Später waren sie so kurz, dass man sie als sogenannte Vorbinder oder Vorstecker verwendete, um das gute Kleid am Herd vor den Kochspritzern zu schützen. Meine Mutter nähte sie im Handarbeitsunterricht in der Schule. Aus bunt bedruckten Baumwollstoffen. Zuletzt wurden zwei im Farbton passende u-förmige Taschen angenäht, die sich nach oben mit einer Zackenlitze oder einer Kantenpaspel öffneten und Spitzentaschentücher oder andere Utensilien enthielten. Hausfrauen waren in den Tagen meiner Mutter vielseitig und die Mode verlangte von ihnen Fingerfertigkeiten. Besonders das Binden der Bänder von Halbschürzen, die um die Taille, die beileibe nicht immer eine Wespentaille war, das Kleidungsstück hielten, war eine Kunst. Eine kunstvoll gebundene Schleife einer sorgsam genähten Schürze aus Baumwolle oder Seide signalisierte Geschicklichkeit, Schönheitssinn, ja sogar den jeweiligen Zustand einer Trägerin bei Festen, denn je nachdem ob die Schleife rechts oder links zu einer Blume gezupft wurde, wusste man, ob das Herz der Trägerin schon gebunden oder noch frei war. Rechts bedeutete gebunden und links ungebunden, sodass immer mit der Richtigen angebandelt werden konnte. 2 Hausfrauen auf dem Lande, wie meine Mutter, besaßen eine große Zahl von Schürzen, die sie je nach Tätigkeit und sozialer Situation wechselten. Dieses Ritual zog sich durch die Länder Europas und man wusste, woher eine Trägerin stammte, denn die sogenannten Halbschürzen der Trachten wurden nach Landessitte aufwändig bestickt oder verziert, wie auch das Dirndlkleid selbst und die Blusen mit ihren Ausschnitten, in denen sich der Brustansatz der jeweiligen Trägerin je nach Temperament unterschiedlich formte. Hausfrauen, die etwas auf sich hielten, wie meine Mutter, besaßen eine Nähmaschine. Der Nähmaschinenkörper war schwarz lackiert und mit goldenen Ranken verziert. Darunter, im schön geschwungenen ebenfalls schwarzen Guß-

eisengestell stand der Name SINGER in durchbrochenen Buchstaben wie gestickt. Der Name war es, der sofort auffiel, bevor die Füße das Pedal traten und die Maschine durch reine Hausfrauenfußkraft schnurrte und surrte. Isaac Merritt Singer machte mit seiner Erfindung vor der Jahrhundertwende der Hausfrauenwelt ein großes Geschenk. Im Schlafzimmer, gleich neben dem Ankleidemöbel mit dem dreiteiligen Spiegel, stand unsere SINGER Nähmaschine, auf der meine Mutter in den langen Wintermonaten Schürzen nähte. Ich sah ihr zu, sah ihr Spiegelbild doppelt oder dreifach, je nachdem wie ich den Spiegel bewegte. Ich sah, wie der Stoff sich unter dem Nähmaschinenfuß in die Naht zwängte, sich danach in Wellen zusammenschob und am Ende des Nähmaschinentisches sanft und geduldig zu Boden glitt. Ich hörte wie die Schere in regelmäßigen Abständen den Faden durchschnitt und auf der Nähmaschine nach dem Ablegen laut und metallisch klickte. Das Surren hörte für eine Weile auf, wenn meine Mutter den Faden durchschnitt. Immer wieder zog sie die beiden Schubladen auf und zu, die auf der Unterseite der hölzernen Nähmaschinenplatte angebracht waren, holte Zwirnspulen, Litzen, Spitzen und Bänder heraus, die nach Lavendel rochen. Eine Schublade war voller Knöpfe in allen Größen und Farben. Hosenknöpfe, weiße Zwirnknöpfe für die Bettwäsche, kleine Hemdknöpfe aus Perlmutt, Hirschhornknöpfe, Trachtenknöpfe, mit Stoff überzogene Mantelknöpfe, die man auf ihrer Öse kreiseln lassen konnte. Knöpfe mit vier Löchern oder zwei. Die großen Knöpfe mit zwei Löchern eigneten sich für ein Spiel mit einem Wollfaden. Dieser wurde durch die Löcher gezogen und zusammengeknotet, der Knopf in die Mitte geschoben und der so verdoppelte Faden ganz schnell gedreht. Zog man an beiden Enden nach dem Drehen, wurde der Wollfaden elastisch. Wenn ich daran zog, dehnte er sich wie Gummi. Der Knopf wirbelte um seine Mitte und schnurrte ein Lied. Zwirnspulen zum Spielen gab es, wenn die Spule im Schiffchen leer war. Dann spulte die Mutter eine neue Zwirnspule ab und lenkte den Faden mit dem


Zeigefinger so, dass der Faden schnell auf die Schiffchenspule übersprang, indem sie die Mechanik der Nähmaschine kurz unterbrach und das Pedal ins Leere trat. Dann wurde das volle Schiffchen wieder unter dem Nähfuß eingerastet bis es klickte. Nachdem sie den Faden unter dem Nähfuß hochgezogen, die Mechanik wieder eingestellt hatte, konnte meine Mutter mit dem Nähen fortfahren. Spä-

ter gab es ein sogenanntes Nähfußprogramm. Vieles ging von da an schneller von der Hand, sah so perfekt aus wie in der Konfektion. Ob Kräuseln, Applizieren oder Biesen nähen, ob Säumen, Quilten oder Kordonieren; es gab immer den richtigen Nähfuß für jede Idee. 3 Spätestens nach dem Einzug der Waschmaschine wurde die Halbschürze im

Haushalt abgeschafft. Als Befreiungsschlag für die Hausfrau. Die Schürze liegt in einem Schrankwinkel und wird von einer Künstlerin unter der Betrachtung von Anno Dazumal hervorgeholt, damit aus dem Halben wieder etwas Ganzes entsteht.

Friederike Zelesko

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Ein Tag Sie saßen sich beim Frühstück stumm gegenüber, wie immer. Er bemühte sich, kleine, vorsichtige Schlucke nehmend, den heißen Kaffee geräuschlos zu trinken. Eigentlich hätte er noch gerne eine dritte Scheibe Toast gegessen. Eben, als er aufgestanden war, um den Rest Leberwurst aus dem Kühlschrank zu holen, hatte sie ihn angesehen, die Lippen zusammen gepresst. Gesagt hatte sie nichts. Sie sagte selten etwas. Schaute ihn nur an, die Augenbrauen leicht in die Höhe gezogen, die Luft langsam durch die Nase einziehend. Er kannte diesen Blick und das Geräusch des Einatmens, das ihm keine Möglichkeit der Erwiderung gab.

Dorothea Müller

lebt und arbeitet in Wuppertal. Mitglied im Verband Deutscher Schriftsteller (VS), Arbeitsgebiete: Lyrik, Prosa, Theaterszenen, Texte für Kinder und mit Kindern (Kinderschreibwerkstatt, Buchprojekt: „Ich und du“, interkulturelles Kinderbuch, 2003). Buchveröffentlichungen: „Netz über dem Abgrund“, „Als der Supermarkt noch Tante Emma hieß“. Weitere Veröffentlichungen in Zeitungen, Zeitschriften, Anthologien, Rundfunk (WDR).

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Es wäre ihm lieber gewesen, wenn sie morgens liegen geblieben wäre. Vor drei Jahren, als sie den Kleinen bekommen hatte und in der Klinik lag, hatte er die Morgenmahlzeiten sehr genossen. Die Tasse Nescafe` in der einen Hand, in der anderen die kalte Frikadelle vom Abend vorher, bequem im Schlafanzug und die Morgenzeitung auf dem Küchentisch. Stillos, wie sie es genannt hätte. Er hatte sich nicht darauf konzentrieren müssen, die Aufschnittgabel zurück zu legen, um nicht versehentlich damit weiter zu essen. Ihr passierte so etwas nie. Er hätte sich wohler gefühlt, wenn sie wenigstens einmal unfrisiert oder mit falsch zugeknöpften Bademantel erschienen wäre. Sie wäre ihm dann näher gewesen. Aber das war undenkbar. Sie war perfekt. Obwohl ihm das Unbehagen bereitete, fühlte er auch etwas wie Bewunderung. Sie hielt den Haushalt in Ordnung, hatte Geschmack, nähte ihre Garderobe selbst und was das Kind anbelangte, so konnte er sich keine bessere Mutter für seinen Sohn wünschen. Wenn sie mit dem Kleinen sprach, bekam ihre Stimme einen dunkleren Klang, und manchmal, in den Nächten, wünschte er sich, sie würde mit dieser Stimme zu ihm sprechen. Oder er stellt sich vor, wie ihr Gesicht weich wurde, wie beim Spiel mit dem Kind. Manchmal war er versucht die Nachttischlampe anzuknipsen, um zu sehen, ob es so war. Er hatte diesem Impuls noch nie nachgegeben. Sorgfältig faltete er seine Serviette zusammen, legte sie neben den Teller und stand

auf. Sie erhob sich ebenfalls und ging hinter ihm her in den Flur. Sie reichte ihm die Aktentasche, nachdem er seinen Mantel angezogen hatte. Er bedankte sich, küsste sie flüchtig auf die Stirn und ging zur Arbeit, wie jeden Tag. Das Kind schlief noch. Sie räumte den Frühstückstisch ab, stellte das Geschirr in die Spülmaschine und begann, das Bad in Ordnung zu bringen. Der Spiegel war voller Seifenspritzer, der Toilettendeckel wieder nicht herunter geklappt, das Badetuch lag zusammen geknüllt auf dem Wäschekorb. Sie hasste es, wenn die Dinge nicht an dem für sie bestimmten Platz lagen. Jede Unordnung war ihr unerträglich und bereitetet ihr fast körperliches Unbehagen. Es konnte passieren. dass sie nachts noch einmal aufstand, um die Blumen zu gießen, weil sie nicht mehr sicher war, dass sie tagsüber daran gedacht hatte. Sie hörte die Stimme des Briefträgers im Treppenhaus. Als er bei ihr schellte, war sie versucht es zu überhören. Doch aus Furcht, er könnte den Kleinen durch erneutes Klingeln aufwecken, nahm sie schnell einige Münzen aus ihrer Geldbörse und öffnete die Tür einen Spalt weit, um das wohl erwartete Weihnachtstrinkgeld zu geben. Umständlich kramte der Postbote in seiner Tasche, fischte aus ihrer Tiefe zwei Karten und wünschte ihr lachend einen guten Morgen. Eine Welle von Tabakdunst und Alkohol schlug ihr entgegen. Übelkeit stieg in ihr hoch. Ihre Hände begannen zu zittern und die Münzen fielen klirrend auf den steinernen Boden. Sie riss die Karten an sich und schlug die Tür zu. Hörte hinter der Sicherheit der geschlossenen Tür seine erstaunten Ausruf. Er trommelte gegen die Tür, besorgt fragend, ob ihr etwas fehle. Zitternd lehnte sie an der Flurwand. Doch bevor die Angst sie ganz eingeholt hatte, hörte sie das Kind rufen. Schlafwarme Arme legten sich um ihren Hals, sie nahm vertrauten Duft wahr und spürte, wie ihr Atem ruhiger wurde. Gegen Mittag begann es zu schneien. Über seine Akte gebeugt, versuchte er sich den Anschein von Geschäftigkeit zu geben. Es


fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren. Aus dem Nebenraum klang Gelächter. Der Chef hatte zu einem kleinen Umtrunk eingeladen. Er würde auch hinübergehen müssen. Er zog die Hand zurück, die schon auf dem Telefonhörer gelegen hatte. „Es schneit“, hätte er sagen wollen, doch er wusste nicht, was er an ihr „Ja“ hätte anhängen sollen. Sie hatte sicher längst selbst bemerkt, dass es schneite, trotzdem hätte er es ihr gerne gesagt. Er dachte daran, dass er erst vor wenigen Tagen bemerkt hatte, dass die Bäume im Winter Knospen trugen. Er hatte das nie gewusst, es eher zufällig bemerkt und war überrascht gewesen. Stimmengemurmel von nebenan erinnerte ihn daran, dass man ihn wohl erwartete. Eigentlich saß er gern bei den Kollegen und hörte ihren Gesprächen zu. Doch es gab immer einen Moment, in dem er meinte, sie sähen ihn alle an und erwarteten eine Antwort von ihm. Er hatte dann das Gefühl, dass er etwas preisgeben müsse von sich. Vielleicht hätte eine Bemerkung über das Wetter genügt. Aber er war sich nicht sicher. Er ging zum Fenster, wischte mit der Hand über die beschlagene Scheibe und sah hinaus. Wegen des dichten Schneetreibens war es unmöglich, mit dem Kind den gewohnten

Nachmittagsspaziergang zu machen. Sie holte ihr Nähzeug und setzte sich ins Wohnzimmer. Vorgestern hatte sie ein neues Hemd für ihn gekauft. Die Ärmel waren zu lang. Sie passten nie und sie hatte sich daran gewöhnt, sie zu kürzen, bevor sie ihm ein neues Hemd gab. Er schien ungewöhnlich kurze Arme zu haben, obwohl man es so nicht sah. Nur wegen der Hemden war es ihr aufgefallen. Ihr Vater hatte lange Arme gehabt, starke Arme. Damit hatte er sie hoch gehoben, damals. Sie auf das Pony gesetzt. Sie hatte sich gefürchtet. Er hatte gelacht und sie hatte ihre Angst verborgen und sich im Kreis herumführen lassen, fünf Runden lang. Später dann die andere Angst, die sie vergessen zu haben glaubte. Die Hände, die nach ihr griffen, der Geruch seines Atems. Die zerbrochene Blumenvase auf dem Boden, deren Wasser den Teppich dunkel gefärbt hatte. Nelken, sagte sie halblaut, es waren Nelken - und das Kind, das ins Zimmer gekommen war, sah sie fragend an und lächelte. Es hatte aufgehört zu schneien. An der Haltestelle zögerte er einen Moment und beschloss dann, zu Fuß nach Hause zu gehen. Er fühlte sich ein wenig benommen. Ein, zwei Gläser hatte er mittrinken müssen, obwohl es ihm nicht sonderlich

schmeckte. Aber er hätte schlecht ablehnen können. Als er in seine Straße einbog, sah er das erleuchtete Wohnzimmerfenster. Er stellte sich vor, wie sie im Sessel sitzen würde, über ein Nähzeug gebeugt oder mit dem Kind auf dem Schoß. Sie hatte ihn nicht kommen hören. Das Kind saß auf ihrem Schoss, genau so, wie er es sich gedacht hatte. Voller Freude beugte er sich hinunter um sie und den Kleinen zu umarmen. Es ging alles so schnell und geschah so überraschend, dass er sekundenlang zu keiner Reaktion fähig war. Er hörte sie schreien. Sie riss das Kind an sich und hielt die Schere wie eine Waffe in der Hand. Ihr Gesicht war fremd und voller Entsetzen. Obwohl er nichts verstand, nichts verstehen konnte, sah er etwas darin, was er kannte. Behutsam löste er die Schere aus ihren verkrampften Fingern, setzte das Kind auf den Boden und umarmte sie. Schweigend wiegte er sie wie ein Kind hin und her, und nachher, als sie endlich weinte, wusste er, dass er sie einmal fragen müsste, ob sie es wisse. Das mit den Knospen. Im Winter. Dorothea Müller

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Eine Liebeserklärung… …an meine befreundete, mir um Jahre vorauseilende Alterskohorte (Den Begriff „Alterskohorte“ entnehme ich dem Buch „Altern wie ein Gentleman“ von Sven Kuntze)

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Liebeserklärung? Zugegeben, in meinem heute ebenfalls fortgeschrittenen Alter bin ich etwas ungeübt darin. Aber dennoch! Ich spüre eine so tiefe bewundernde Zuneigung und schätze mich überaus glücklich und reich beschenkt, einer mir um Jahre vorauseilenden Alterskohorte folgen zu dürfen, zu der auch Karl Otto Mühl gehört. Er feiert in diesem Jahr seinen 92. Geburtstag, und erstaunt durch seine ungebrochene Vitalität. „Eilend“ ist in diesem Zusammenhang sicher ein wenig kurios, denn das mögen manche körperliche Beschwerden verhindern. Ja, gerade deswegen, empfinde ich Liebe und Respekt, weil man spürt, dass meine um ca. 10 Jahre älteren Freundinnen und Freunde, Bekannten und Geschwister in ihrem hohen Alter, die noch geschenkte Zeit mit mannigfaltigen Aktivitäten füllen und mit viel Heiterkeit und Freude jedem neuen Tag begegnen. Da ist z. B. Hanni H., 92-jährig! Sie besucht jeden Morgen bei Wind und Wetter ihr geliebtes Pferd auf dem Reiterhof. Eine Schulfreundin dieser Hanni stellt sich noch jeden Morgen auf den Kopf und übt sich im Yoga. Lore K. spielt noch gerne Schach. Die Alten turnen, singen, fahren Rad, gärtnern,

wandern, saunieren, kochen und putzen. Fast alle beherrschen ihren Computer. Sie schreiben Lebenserinnerungen, betreiben Familiengeschichte. Karl Otto Mühl, im 92. Lebensjahr, ist ein ungebrochener Geschichtenschreiber und seine Aphorismen, sind ein wahrer Schatz von Altersweisheiten. Er erfreut bei Lesungen seine Zuhörer, liest in Schulen oder gibt Hilfen bei einer Schreibwerkstatt. Meine mir im Alter vorauseilenden Geschwister betätigen sich als Zeitzeugen in Schulen, sie organisieren Reisen und sind spannende Gesprächspartner hinsichtlich aller zeitgemäßen gesellschaftlichen Themen. Meinen älteren Weggefährten, die mich auf den unterschiedlichsten Stufen mit ins Leben hoben, höre ich gerne zu, wenn sie von ihrer Kindheit erzählen. In der Weimarer Republik geboren, ein weitgehend ungeliebtes Staatsgebilde, waren ihre Eltern geprägt von den Wirren der Nachkriegszeit und den gesellschaftlichen Umbrüchen. Ob aus Arbeiter-oder-Beamtenfamilien, kleinbürgerlich oder großbürgerlich, auch aus Fabrikanten-Häusern stammend, wuchsen sie in sich neu entwickelnde, ungesicherte Wertesysteme hinein. Die einen verloren ihr


Vermögen, die anderen ihre Arbeit. Die einen schmetterten die Internationale, die anderen brüllten nationalistisches Gedankengut heraus. Als Relikt der Monarchie gedachten viele noch Kaisers Geburtstag oder feierten den Sedanstag am 1. September. Meine liebe Freundin Lore K. schreibt auf Barmer Platt in ihren Lebenserinnerungen: „Sedan woar wat loss! Füerwerk un so! Et Lörken durften wat länger op de Stroate. Un wenn et nach Hus koam, gow et Prumentarte un et roch nach eingemachten Prumen or Birnen. Wer wusst denn noch, dat dat die Schlacht von Sedan war, … de Blagen gewiß nicht!“ Auf jeden Fall zogen sie schwarz-weiß- rote Fähnchen schwenkend begeistert los und sangen: Es blasen die Trompeten …!“ Ob meine Freunde nun aus kaisertreuen, konservativen Familien, angepasst, autoritätsgläubig, nationalistisch aufwuchsen oder der Lebenshintergrund eher gewerkschaftlich, sozialistisch, auch christlich geprägt war, ihre Kindheit erlebten sie dennoch in vielerlei Hinsicht ähnlich. Sicher gab es soziale Unterschiede. In den Villen der „Reichen“ aufzuwachsen an den grünen Hängen des Tals mit Dienstpersonal und genügend Raum für jeden, es war für Heranwachsende bestimmt existenziell leichter. Denn in einem fünfstöckigen Mietshaus mit vielen kinderreichen Familien in beschränktem Wohnraum, die Toiletten auf halber Treppe, war es vielleicht kurzweiliger, aber auch einengender und für ein wachsendes Selbstwertgefühl nicht unbedingt förderlich. Aber so meine ich, wo auch immer sie aufwuchsen, der puritanische Geist der letzten Jahrhunderte schwebte noch über allen. Preußische Tugenden wie Pflicht und Ordnung, Disziplin, Gehorsam und Sparsamkeit, das Wissen um die Mühen des Lebens waren der Tenor, der in irgendeiner Weise, wenn auch brüchig geworden, die Kinderseelen begleitete. Es gab die Sonntags-und die Alltagskleidung, den Sonntagsbraten und den ekligen Grießbrei am Abend. „Was auf den Tisch kommt wird gegessen.“ Die Butter wurde noch ranzig und die Mich sauer. Lehrer saßen auf erhöhten Podesten an ihren Pulten. Es schien, als wenn sie von hieraus mit gestrengem Blick die Fäden des Gehorsams in den Händen hielten. Auch der Rohrstock gehörte dazu, der vielen Schülern schreckliche Leidenszeiten bescherten. Zuhause gab´s dann noch zusätzlich eine Abreibung. Unterricht in absoluter Stille! Nur der leise Krietschton war

zu hören, wenn die Schreibfeder am Hozfederhalter, vorher in die Tintenfässchen im Pult getaucht, beim Auf und Ab des Schreibens Kratzgeräusche erzeugte. Die Kinder dieser Zeit erlebten die Waschtage am Montag, alle 4 Wochen, unten im besonderen Waschkeller. Der Kessel war sonntags abends schon vorgeheizt, darin die eingeweichte Wäsche in IMI-Lauge. Ein Eintopf war vorgekocht. Kinder hatten sich an diesem Tag besonders unauffällig zu verhalten. Feuchte Schwaden zogen durch’s Haus, die Mutter fiel abends todmüde ins Bett. An ihrer Hand gingen die Kleinen manchen Morgen in den nahegelegenen Tante-EmmaLaden. Herrliche Gerüche stiegen ihnen in die Nase. Bottiche mit Sauerkraut und Heringen standen vor der Tür. Für fünf Pfennig gab es eine Tüte Bonbons, rote Himbeerbonbons ! Hier bei den Geschäften ereignete sich am Martinstag ein besonderer Kinderspass. Lörchen, meine alte Freundin, berichtet auf Barmer Platt, wie sich das am Sedansberg abspielte. „De Blagen gingen an de Geschäfte vorbie, wenn et duster wor, un songen: Mäten is en goden Mann… .“ Un wenn nix kom „Gitzhals- Kniesbühl!!“ Un weil dat Grapschen den Blagen sovöll Spaßß makten, gingen se mit Säckses loß. Vielleicht hatten awer ok bloß de Geschäftslütt eahren Spaßß, wenn se dat Tüg op de Stroate schmieten on de Kenger seck dröm balchten. Vör de vörnehmen Hüser song me: Ein feste Burg ist unser Gott…, dat goaw mehr. En de Mietshäuser gingen de Kenger nich, do wor nix tu holen.“ Überhaupt – wenn meine liebenswerte Vorhut von ihren Spielen und Rumtollereien mit vielen Nachbarskindern auf der Straße, in Gärten und auf Wiesen erzählen, dann leuchten auch erinnernd die Augen von uns Nachgeborenen: Verstecken, Völkerball, Springseilchen, Pröbchen mit tennisgroßen Bällen (Kopf, Brust, Knie). Ja, sie kletterten angstfrei auf hohe Bäume und suchten sich Inseln der Stille in Baumkronen, oder selbstgebauten Baumbuden. An Bächen kühlten sie den sommerheißen Körper, ließen dort gebastelte Schiffchen schwimmen und lernten dabei die physikalischen Gesetze der Fließgeschwindigkeit kennen. Die Wortgewaltigkeit der Eltern reichte dort nicht hin. Gerade jetzt im Alter, wo man jeden Tag als Geschenk empfinden sollte, spüre ich durch ihre Erzählungen und Lebensbeschreibungen, wie stark ihre Seelen von diesen Kindheitseindrücken geprägt sind, obwohl die Städte im Laufe der vielen Jahre in diese Paradiese hin-

eingewachsen sind. Wir alle trugen dazu bei. durch Häuserbau, Straßenbau und dem Bau der Einkaufszentren. Doch es gibt sie noch: Mit dem Flieder-und Lindenduft, dem süßlichen Geruch der blühenden Holundersträucher, die leuchtenden Weißdornhecken und die majestätisch blühenden Kastanienbäume. Weiße Knallerbsen zertreten und das „Huch“ beim leichten Stipps am „Kräutchen-RührMich-Nicht-an“! Damals, selbstverständliche Kinderfreuden ! Vogelgezwitscher im Frühling und Sommer überall, das Spatzenvölkchen mischt sich frech auf Hof und Straße in die Spiele ein, Lerchen tirilierten noch über Feldern und Wiesen, und die Stare teilten sich die Plätze mit den kleinen menschlichen Gefährten. Es ist interessant, meinen verehrten Alten zuzuhören oder in ihren Lebensberichten zu lesen, wenn sie von der Zeit erzählen, als sie fast zehn Jahre alt waren. Ich blättere in den Biografien und Berichten von Carola Stern, Inge Jens, Karl-Otto Mühl, Hellmuth Schmidt, Karl Ibach und Christa Wolff. Besonders gerne aber vertiefe ich mich in die Lebensbeschreibungen meiner alten Freundinnen Lore K. und der Lübecker Florentine N. Auch meine beiden ältesten Geschwister haben viel zu erzählen, die historische Bedeutung ihrer Aussagen hat einen hohen Stellenwert für nachfolgende Generation. Die Machtergreifung Hitlers am 30. 1. 1933! Die Kinder dieser Zeit erleben sich damals zwischen Gefühlen von Uninteressiertheit, Staunen und Begeisterung. Sie bemerken alle eine große Unruhe, die in der Luft liegt. Die Erwachsenen schwadronieren erregt. „Die Welt war erfüllt von der neuen Macht, von Schlagzeilen, Organisationen, Transparenten, Marschkolonnen, Soldaten und Eintopfessen beim Winterhilfswerk“, so hat es KarlOtto Mühl in Erinnerung. Aus ihrem Buch „Doppellleben“ von Carola Stern, damals auf Usedom Erika Assmus, entnehme ich die aufgeladene Stimmung an diesem Tag und in dieser Zeit. „Wir hörten es in den Nachrichten um 13 Uhr. Ich rannte sofort los, um es Onkel Hans zu sagen“. So sprudelte diese Neuigkeit in der ganzen Nachbarschaft aus ihr heraus. „Onkel Hans sin Führer is nun dran“. Sie konnte es kaum abwarten “zum Dienst“ zu kommen. Lore K. beschreibt diesen Tag sehr anschaulich: „Ich sehe mich im Garten von Bekannten spielen. Plötzlich wurden alle Fenster aufgerissen. Man wollte sich das Neuste mitteilen, denn die Leute hatten nur

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ten Mitmacher, die an die Wiederauferstehung einer Großmacht Deutschland glauben; die, die als 17/18jährige eingezogen wurden, die, die 15/16jährig noch 1944 das Vaterland verteidigen wollten, die stillen Verweigerer, die unnachgiebige Widerständler, die Pimpfe, Jungmädel, Führerinnen und Mannschaftsführer. Lore Klein arbeitet als Volontärs-Cutterin bei der UFA in Berlin, lernt dort Marika Rökk, Grete Weiser, Hans Albers kennen, bearbeitete kriegswichtige Filme mit, die der moralischen Unterstützung und dem Durchhaltevermögen an der Heimatfront dienen sollten. Verwundet körperlich und seelisch, den Gräuelen der Schlachtfelder entkommen, Gefangenschaften überlebt, den Schrecklichkeiten der Bombenangriffe in die Augen geschaut, den Dienst an verwundeten Soldaten in Erinnerung, den Ost-und Westwall mit gebaut, in Munitionsfabriken gearbeitet, in Armenküchen geholfen, Kindern und Alten beigestanden, Flucht und Vertreibung und der Verlust geliebter Menschen, all diese Erlebnisse blieben unvergessliche Lektionen für ihr Leben. Florentine N. führt mir ergreifend vor Augen, wie sie als 20-Jährige den 1. Bombenangriff Deutschlands auf Lübeck am Palmsonntag, den 28.3.1942 erlebte. „Funkenregen tanzten wilde Tänze durch die Straßen, flogen dann weit in den dunklen Himmel hinauf und zündeten, wo immer sie konnten, um schließlich eine Ruhestätte zu finden. Klirrend prasselten die Fenster auf das Pflaster, Ziegel polterten von einem Stockwerk ins andere, und unersättlich fraßen die Flammen alles, alles, was ihnen entgegenstand.“ Ich selber habe mich immer gefragt, warum

das Foto meiner brennenden Heimatstadt Königsberg im damaligen Ostpreußen, so wie ich es im September 1944 als 9-Jährige beim Abschied erlebte und sah, keine bleibende Gemütserregung in mir auslöst. Durch die Berichte von Florentine erhellt sich mir dieses Phänomen. „Hier kam es einzig auf das Handeln und den Gesichtsausdruck des Nächsten an, auch wenn beides nicht mehr von überlegendem Bewusstsein und erlerntem Tun bestimmt war. Jeder folgte seinen urwüchsigen Instinkten. …“ Gefühle waren einfach hinderlich, dem auch wir Kinder uns anpassten. Für diese Generation war bestimmend Durchhaltevermögen, Einsatzbereitschaft. Viele wuchsen über sich hinaus und dachten nicht mehr an ihr eigenes Wohlergehen“, so meine liebe alte Freundin. Sie erzählt weiter von der Zerstörung des wunderbaren alten Lübecker Domes: „Als der Morgen graute, brannte auch der Dom. Unwirklich und strahlenlos, wie eine tiefrote Kugel, erhob sich die Sonne. Erbarmungslos schob sie den Schleier der Dunkelheit zur Seite und rief wie jeden Morgen zu neuer Aktivität. Inmitten der unglaubliche Zerstörung mussten wir uns … wieder aufraffen, mussten uns an den banalen Bedürfnissen unseres Körpers erinnern, weil uns hungerte und fror und mussten das Leben wieder lieben, weil es uns neu geschenkt war.“ An welchem Ort oder Platz meine Freunde auch weilten, sie waren instinktiv zum Überleben gezwungen. Wir Jüngeren durften uns Tierkindern gleich noch ängstlich unter den Fittichen der Mütter und Älteren verstecken. Diese Erfahrung, dass in Notzeiten Menschen unglaubliche Kräfte zu wachsen, haben sie sich bis ins hohe Alter bewahrt. 8. 5. 1945! Die Waffen schweigen! Gespenstische Stille! Leere! Kein Tiefflieger mehr auf Flüchtlingstrecks, keine Bombenangriffe,

Knospe, Spaten und d Feines – für die kommende mende Gartensaison

Stilblüte

21. und 22. März 2015 Schloss Lüntenbeck

Eintritt: 4 €, Kinder bis 12 Jahre frei | Kombiticket ÖPNV: 6 €, erhältlich über www.wuppertal-live.de Öffnungszeiten: 11 bis 18 Uhr | Anfahrt und Parken: www.schloss-luentenbeck.de

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Foto © iStock, Josef Muellek

zum Teil Radios. Erst später, mit Beginn der Propagandavermittlung wurden die sogenannten Volksempfänger für 25 Reichsmark eingeführt. … Die Menschen stellten auf höchste Lautstärke ein und riefen sich, in den Fenstern liegend, begeisterte Worte zu. Von Hindenburg war die Rede, er sprach im Radio und gab damit für viele, die noch Bedenken hatten, die Beruhigung, dass alles gut sei. Natürlich, wenn sogar er, der Reichsmarschall für Hitler stimmte! Er hatte ein großes Ansehen im Volk und wurde liebevoll ´der alte Papa Hindenburg ´genannt. Er war die beste Legitimation, die Hitler sich wünschen konnte.“ „In den darauffolgenden Jahren wuchsen wir Kinder in den Staat hinein, der zunächst nur Erfolge erzielte und dessen Propaganda wir nicht durchschauen konnten. Nach dem Motto: Keiner soll hungern und frieren, verschwand die Arbeitslosigkeit, es gab Kartoffeln und Kohlen für die Ärmsten“, so berichtet Lore K. weiter. „Junge Männer wurden zur Urbarmachung und zum Straßenbau in den Arbeitsdienst eingezogen. Sie kamen von der Straße, wie man sagte. Die Krawalle und Unruhen hörten auf. Dafür gab es geordnete Umzüge, ganze Betriebe marschierten z. B. am 1. Mai, Arbeitgeber und Arbeitnehmer – vereint hinter der Fahne, die jetzt ein Hakenkreuz trug. Wir säumten die Straßen und jubelten.“ Bald nach dem Krieg erfuhren, vor allem die Wuppertaler, das gleichzeitig der Nazi-Terror gegen Sozialdemokraten, Kommunisten und viele andere linke Organisationen einsetzte. Das erste KZ in der Kemna an der Wupper bei Beyenburg wurde eingerichtet. Alle Facetten der Einstellungen, und dem daraus folgenden Handeln, zu diesem Staat spiegeln sich in den Berichten: Die begeister-


kein Ducken mehr vor nicht einzuschätzende Gefahren, Entspannung! Aber was kommt nun? Jetzt, dröhnend rollen die Panzer der Sieger in die Städte ein. Häuser und Wohnungen werden beschlagnahmt. Die Familien müssen sich mit Kellerwohnungen zufrieden geben, drängeln sich zu Fünft oder noch mehr Menschen in kleinen Zimmern zusammen. Auch hier waren die Fähigkeiten der jungen Erwachsenen in besonderer Weise gefragt. Übersetzungsdienste, die Organisation von Lebensmitteln, Verantwortung übernehmen für ihre Mütter, für Großmütter und jüngere Geschwister. Wieder eisernes Durchhalten! „Aber“, so meine Freundin Lore, „diese nach außen gerichtete Stärke und Selbstsicherheit verbarg die Ängste und Unsicherheiten, die Überwindungen und Ansprüche an sich selbst.“ Ich bewundere meine alte Weggenossin seit über 45 Jahren, welchen Mut sie in entscheidenden Situationen auch in ihrem späteren Leben aufbrachte. Als junge Schülerin weigerte sie sich, trotz aller Ängste und zitterndem Herzen, einen Hymnus auf Hitler von Baldur von Schirach, dem obersten Führer der Nazi-Jugend, abzuschreiben: …Und seine Seele an die Sterne strich, und er doch Mensch blieb, so wie du und ich. „Das lerne ich nicht,“ teilte sie ihrem Lehrer mit, „erlassen sie mir das.“ Ihre Begründung lautete, dies sei für sie eine gottgleiche Verherrlichung. Der Lehrer gab ihr keine Antwort, er hatte als Katholik wohl selber Probleme mit dem Regime. Nach dem Zusammenbruch sah die Zukunft für diese Jugend nur finster und dunkel aus. Niemand wusste, wie es weitergeht. Und doch! Der Lebenskampf musste und durfte nun unter friedlichen Bedingungen aufgenommen werden. Die individuellen Freiheitsgefühle, die nur in besonderen Situationen aufgeleuchtet hatten, waren eingeschlossen im Inneren. Viele hatten Schwierigkeiten, diese Panzer in sich aufzubrechen. Florentine erzählt, dass alle nicht geahnt haben, wie sehr sie durch die Propaganda beeinflusst waren, wie unfrei sie innerlich waren, obwohl auch sie zuvor sich geweigert hatte Jungmädelführerin zu werden. Meine Schwester wollte im Sportunterricht nicht glauben, dass sie frei entscheiden durfte, wie sie über ein ausgelegtes Seil springt. Manchmal unter großen Gefahren beim Tauschen, Verkaufen, Schwarzmarkt-Aktivitäten, Klauen, Organisieren von Lebensmitteln und Heizmaterial, mussten die damaligen jungen Menschen beginnen, eigene neue Lebenskonzepte zu entwickeln.

Zukunftspläne mussten entworfen und Wege beschritten werden. War das Nachholen des Abiturs mit 24 Jahren noch sinnvoll und vor allem finanzierbar ? War es nicht sinnvoller eine Lehre zu beginnen? Bei manchen standen Hochzeiten an. Erste Nachkriegskinder wurden geboren. Bei aller Freude über neues Leben, die Lebensbedingungen waren katastrophal! In beengten Wohnverhältnissen, oft kein unmittelbarere Zugang zu Strom und Wasser, im Winter fehlte das Heizmaterial, die Ernährung beschränkte sich auf ein klitschiges Maisbrot und Steckrüben, säckeweise auf Dachböden gelagert. Windeln wurden aus Bettlaken zugeschnitten, Bettchen geliehen oder selber gebaut. Lore erzählt, wie zynisch sie den Besuch des Pfarrers empfand, der ihr zwischen dampfenden Windelkessel und schreienden Kleinkindern zu ihrem jungen Mutterglück gratulierte. Familiensolidarität war überlebenswichtig. All dies konnte nur bewältigt werden, wenn Großeltern, Eltern und Kinder zusammen standen. In den Schulen unterrichteten alte Lehrerinnen und Lehrer in Doppelschicht überfüllte Klassen mit 60 Kindern. Trotz alledem! – Meine liebenswerte Vorhut mit ihrem Aufbruchswillen, ihrer Energie, ihrem neugewonnen Freiheitswillen, ihrer Zielstrebigkeit, ihrer Sehnsucht nach Frieden, ja, und nach Lebensfreude, sie waren die Wegbereiter unseres heutigen Wohlstands und unserer immer noch zu schützenden freiheitlichen Grundrechte. Ihre Lebensschiffe mussten in den folgenden Jahrzehnten viele Kurswechsel vollziehen. Sie leisteten den Wiederaufbau, schafften die Trümmer fort. Später dann waren sie die Eltern oder sogar schon Großeltern der rebellierenden Jugend Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre. Manche blieben ihren konservativen, liberalen Werten verhaftet und rauften sich die adretten Kurzhaarschnitte, wenn sie mit ihren langhaarigen, in lila Latzhosen schluderig gekleideten und mit lautstarker Beatle-Musik beschallten Kinder, konfrontiert wurden. Sexuelle Befreiung mit dieser Offenheit und linke politische Wege, das passte nicht in ihr Weltbild. Einige jedoch, unter dem Motto „Oma geht mit auf ’ne Demo“, reihten sich als Großeltern an der Seite ihrer Enkel 1981 in die Ostermärsche ein. Sie demonstrierten mit Engagement, bunt und laut gegen den Natodoppel-beschluss. Am 10. Oktober 1981 strömten sie friedensbewegt dem Bonner

Hofgarten zu. Mit Plakataufschriften „Liebende aller Länder vereinigt Euch“ oder „Petting statt Pershing“, versuchten sie, die angedrohte Stationierung der Mittelstrecken Raketen zu verhindern. Ein Datum, was diese Generation zu tiefst anrührte und die das Ausmaß des Geschehens wirklich verstehen konnte, war der 9. 11. 1989. Deutschlands Wiedervereinigung! Die Freude war überschwänglich, unbegreiflich, schmerzlich, wehmütig und nun doch voll Hoffnung. Erst jetzt merkten meine alten Freunde, wie sehr der Riss durch ihre Persönlichkeiten ging. Mit all ihrer verschlossenen Sehnsucht nach Heimat, suchten sie ihre Kinderwelten, Gräber und Menschen auf. Es schien, als ob auch ihr gespaltenes Inneres, sich hoffnungsvoll wieder zusammen fügen durfte. Meine Lieben – als vorauseilende Kohorte einer immer älter werdenden Gesellschaft – mögen sie durch ihren Lebenswillen, ihre Fähigkeiten, Alter zu gestalten, für mich, uns und nachfolgende Generationen Vorbilder sein. Sie sind diejenigen, die mir etwas über Durchhaltevermögen, über menschliche Verbundenheit, Friedfertigkeit, über Humor und losgelöste Heiterkeit, Bescheidenheit, Demut und Dankbarkeit erzählen. An dieser Stelle möchte ich aber auch an die alten Menschen denken, die ihre Lebenschancen nicht nutzen konnten. Krank, leidend, oft einsam, enttäuscht vom Leben, sind sie verhaftet in den traumatischen Erlebnissen ihrer verlorenen Jugend. Ich wünsche mir, dass mir meine lieben Alten noch lange erhalten bleiben. Ich wünsche ihnen, dass, so wie es Karl-Otto Mühl so schön beschreibt, auch bei größer werdendem Beschwerden, die Sonne auf sie herab strahlt und sie hält. „Denn fast jeder von uns wird sich einmal zu ihnen (den Leidenden) gesellen müssen. Ich stelle mir Irgendjemand vor, vielleicht mich, in dieser Gestalt des Irgendjemand, der sich mit den Armen auf einen Querbalken des Großen Wagens stützt. – Das ist ein berauschender Gedanke, dieser Irgendjemand zu sein, so lange ich will, aus dieser Erde heraus spazieren zu können und hinunter zu blicken. – Gestützt auf den Querbalken!“ Herzlichen Glückwunsch und einen Dank an meinen liebenswerten, weisen StehcaféFreund!

Erika Flüshöh-Niemann

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Neue Kunstbücher Skulptur mit dem Körper Vier Standardwerke zum Bereich der dreidimensionalen Kunst vorgestellt von Thomas Hirsch Medienkunst ist nicht alles. Gewiss, sie reagiert auf die Immaterialität und das Virtuelle unserer digitalen Techniken, reflektiert die gegenwärtigen Bedingungen der Kommunikation, auch unserer Lebenswelt und von Raum und Zeit, ist als Hinterfragung unserer Gesellschaft auch Teil unserer Kultur. Aber sie ersetzt weder die Sinnlichkeit von Malerei noch die Körperlichkeit von Skulptur, welche realiter an die Schwerkraft erinnert, an räumliches Maß und an unsere Fähigkeit der Bewegung. Hier spielt die figurative Darstellung eine wesentliche Rolle. Nachdem ihre Präsenz zeitweilig von der Hinwendung zu Konzepten, architektonischer Skulptur oder heftiger Malerei überlagert war, ist sie seit den späten

1980er Jahren wieder selbstverständlich im Kunstbetrieb. Die Künstler, die frühzeitig in Erscheinung traten, spielen nach wie vor im Konzert der Großen mit. Dazu gehören Künstler im Umfeld der „Sensation“-Truppe von Saatchi oder Düsseldorfer Künstler wie Katharina Fritsch und Martin Honert und in Amerika Jeff Koons, John Ahearn und der 1953 in Chicago geborene Charles Ray, der heute in Los Angeles lebt. Ray wurde zunächst mit Performances und temporären Skulpturen bekannt, bei denen er seinen Körper von der Gebundenheit der Schwerkraft „löste“, etwa indem er sich über dem Boden zwischen einen schräg

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lehnenden Balken und die Wand schob. Dem Interesse an der Konstitution des Menschen geht er seit 1997 in skulpturalen Ausformulierungen nach. Wichtig ist ihm höchste, mitunter stilisierte Genauigkeit bei gleichzeitig auratischer Künstlichkeit, welche er auch durch den Verzicht auf Buntfarbigkeit (so sind die Figuren aus Fiberglas, Aluminium oder Edelstahl gegossen und zumeist homogen weiß überzogen) oder eine Abweichung von den „lebensgroßen“ Maßen bei Beibehaltung der Proportionen erreicht. Charles Ray bezieht sich auf die Kunstgeschichte ebenso wie auf populäre Medien, die er mitunter nach Quellen durchforstet. Ziel ist, einen bestimmten Ausdruck, eine geistige Verfasstheit anschaulich werden zu lassen, und natürlich wird in der Rezeption auf die antiken Skulpturen verwiesen, so wie auch diese eine Referenz seiner Arbeit sind. Wie er vorgeht, deutet sich bei anderen Sujets an. So hat er einen monumentalen ausgehöhlten Baumstamm, den er gefunden hat, nachschnitzen lassen oder bei einem 50 Jahre alten, teils demolierten Traktor sämtliche Einzelteile auseinander genommen, von verschiedenen Mitarbeitern Abformungen dieser Teile vornehmen lassen und anschließend in Aluminium gegossen wieder zu einem Fahrzeug zusammen gesetzt (2005) – eines seiner Hauptwerke. Ein anderes ist der überlebensgroße nackte Junge, der einen Frosch am Schenkel hält und aufmerksam auf ihn schaut (2009); lange stand diese Skulptur vor der Punta della Dogana in Venedig. Ray schafft Erinnerungsbilder und Vergegenwärtigungen unseres Da-Seins, mit einem hohen konzeptuellen Anteil – mit der Tradition des amerikanischen Hyperrealismus (Duane Hanson, John di Andrea) hat das also nichts zu tun. In Deutschland ist sein Werk (das hierzulande seit der documenta 1992 bekannt ist) noch nicht in einer Einzelausstellung gewürdigt worden; in Schweizer Museen hat er hingegen bereits dreimal ausgestellt, zuletzt im vergangenen Jahr im Kunstmuseum Basel, in Kooperation mit dem Art Institute of Chicago. Dazu ist in deutscher Sprache ein Katalogbuch bei Hatje Cantz erschienen, das sich – wie die Ausstellungen – auf die Zeit von 1997 bis 2014 konzentriert. Es trägt der

Gelassenheit und Klarheit des Werkes Rechnung mit einer „klassischen“ zeitlosen Gediegenheit: einem Design, das man nicht sieht. Dass es sich lohnt, diese Skulpturen minutiös zu umkreisen, mit den Augen abzutasten (und dabei mögliche erzählerische Ebenen zu vernachlässigen) verdeutlicht der Artikel von Michael Fried. Wichtig auch, dass Charles Ray selbst Kurztexte zu den Werken im Abbildungsteil geschrieben hat. Das Buch kann das Gegenüber der Skulptur nicht ersetzen, und doch deutet sich selbst hier schon an, wie sich Charles Ray unserem Körper mit seiner Konstitution und Schwerkraft, seinen Posen und der Versenkung nähert, als gebe es all das zum ersten Mal: als Besonderes schon in seinem Atmen. Charles Ray, Skulpturen 1997-2014, 160 S. mit 69 Farbabbildungen, geb. mit Schutzumschlag, 30 x 23,5 cm, Hatje Cantz, 39,80 Euro

Um den Körper – des Menschen, aber auch des Tieres – geht es auch Berlinde De Bruyckere, die 1964 in Gent geboren wurde, wo sie auch lebt. Aber sie entwickelt ihre Kunst aus einem ganz anderen Kontext heraus. Während die Kunst von Charles Ray etwas Erhabenes trägt, an Idealisierung erinnert und damit eine gewisse Distanz zur irdischen Realität wahrt, scheint sich die Kunst von De Bruyckere geradezu in die Erde zu pressen. Wir sehen immer wieder Hölzer, Pfähle, Haare von Menschen und Tiere und


den Leib: in Verwachsungen, Mutationen, Fragmenten, gehäutet, als Fleisch … es ist bestimmt ein Unterschied, ob man einzelne dieser Werke sieht (wie etwa 2006 in der Kunsthalle Düsseldorf im Dialog mit Martin Honert oder, zuletzt, in „Leiblich“ im Bahnhof Rolandseck) oder diese Skulpturen einen vereinnahmen, wie dies jetzt mit einer wirklich opulenten, mit ihrer Bilderfülle uns geradezu erschlagenden Monographie passiert – das ist natürlich Teil des Buchkonzeptes. Zu sehen sind neben den Skulpturen auch Detailaufnahmen, andere Perspektiven und Zeichnungen. Die Werke von Berlinde De Bruyckere drehen einem bisweilen den Magen um. Dass ihre Körperlichkeit in der Überdehnung und als Fleischstück und mit Wachs, Epoxidharz, Pferdehaut und weiteren Materialien bestimmte Absichten verfolgt, unterstreichen die Aufnah-

men von vergleichendem Fotomaterial aus dem Archiv, das mit Klappseiten den Katalog strukturiert. Es geht um die Darstellung von Gewalt, von Krieg, von Hungersnot, von Macht und Ohnmacht. Die Körper sind geschunden, leidend, in ihrer Erdigkeit wie aus der Vergangenheit und ihrer Präsenz ganz direkt. Vielleicht ist diese Überreizung des Sinnlichen als existenzielle Befragung ein Merkmal einzelgängerischer, vorzüglicher belgischer Kunst? Berlinde De Bruyckere, 304 S., durchg. farbig, geb. mit Schutzumschlag, 30 x 21,5 cm, Hirmer, 69,- Euro

Simone Forti ist Choreografin, Tänzerin, Bildende Künstlerin und Schriftstellerin. Ihre visuellen Beiträge schöpfen aus der Erfahrung mit dem Minimalismus und aus etlichen Kollaborationen mit Gleichgesinnten auf höchstem Niveau. Sie wurde 1935 in Florenz geboren, schon 1939 aber ist ihre Familie nach Los Angeles emigriert, sie selbst zieht 1955 nach San Francisco, wo sie Robert Morris kennenlernt und mit ihm einige Jahre verheiratet ist. In dieser Zeit lernt sie auch Anna Helprin kennen, eine weitere Pionierin des Postmodern Dance. Die folgenden Jahrzehnte sind von Trennungen, Umzügen und Neuansätzen geprägt, in denen die unterschiedlichsten Ausformungen von Kunst entstehen, von reduzierten Objekten aus Sperrholz und Seilen, Forschungen mit Tieren bis hin zu Videos und Hologrammen. Im Mittelpunkt ihrer Arbeit aber steht der Körper, sich selbst bezeichnet sie als Bewegungskünstlerin, und sie versteht den Tanz und die Performance als Basis für Skulptur und die Auseinandersetzung mit dem Körper. Zu ihren Hauptarbeiten zählen die „Dance Constructions“ (1960/61), Fokussierungen ganz gewöhnlicher Bewegungsabläufe, wobei jeder Tänzer eine andere Rolle übernimmt, zum Teil mit Requisiten: „Der Zweck besteht darin, den Körper wahrzunehmen“, wie Simone Forti in einem Interview im Buch zu ihrer Ausstellung im Museum der Moderne Salzburg im vergangenen Jahr gesagt hat. Es ist nicht einfach, Tanz rein anhand von dokumentarischen Fotosequenzen, Bewegungsskizzen und Text zu vermitteln – hier gelingt es. Dazu trägt auch die Vielzahl an Texten bei, die dem sechs Jahrzehnte umspannenden Werk angemessen sind, unter anderem von Robert Morris und Yvonne Rainer. Ein unverzichtbares Buch, um diese wichtige Künstlerin zwischen Tanz und Skulptur kennenzulernen. Simone Forti – Mit dem Körper denken, 304 S., zahlreiche s/w- und Farbabbildungen, Hardcover, 28,5 x 24 cm, Hirmer, 39,90 Euro

teil der jüngsten zeitgenössischen Kunst. Einen grandiosen Überblick über die Skulptur und Objektkunst der letzten Dekade würde ein umfangreiches Buch, das bei Phaidon erschienen ist, liefern – wenn es denn aktuell wäre. Leider handelt es sich bei dem neu auf den Markt gebrachten „Vitamin 3-D. New Perspectives in Sculpture and Installation“ um das Reprint als Broschur der Erstveröffentlichung von 2009. Andererseits ist das Buch mit jeweils zwei bis vier Seiten mit etlichen Abbildungen für jeden der 117 Künstler wirklich gelungen und aussagekräftig, und tatsächlich sind die heutigen Protagonisten vertreten, von Nairy Baghramian bis zur neuen Professorin an der Düsseldorfer Akademie Rebecca Warren; auch Berlinde De Bruyckere gehört zu den im Buch berücksichtigten Künstlern. Und doch: Schade und unnötig, dass die Biographien dieser Ausgabe von 2014 auf dem Stand von 2009 belassen wurden.

Vitamin 3-D – New Perspectives in Sculpture and Installation, 352 S., engl., durchgehend farbig, Klappenbroschur, 29 x 25 cm, Phaidon (unveränderte Neuauflage von 2009), 39,95 Euro

Und wie geht es weiter, also auch nach Charles Ray und nach Berlinde De Buyckere? Die Skulptur mit dem Sujet des Körpers ist selbstverständlicher Bestand-

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Geschichtsbücher, Buchgeschichten Vorgestellt von Matthias Dohmen

Sex und Alltag Was einem im Alltag so passiert, nimmt die im Taunus lebende Journalistin Bettina Weiguny Woche für Woche in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ aufs Korn, ob es nun die vielgelobte Entschleunigung, der Stress mit Handwerkern, der Sex in den Zeiten von Charlotte Roche oder das Betreuungsmanagement mittels des Einsatzes von Großeltern ist. Ihre oft bissigen, aber durchweg für Verständnis überforderter Eltern und Lehrer, Journalisten und Taxifahrer werbenden Kurz-Geschichten gehören zu den drei festen Einrichtungen der FAS, die der Autor dieser Zeilen Sonntag für Sonntag zielgerichtet ansteuert, bevor er sich, nach einem gut belegten Brötchen einigermaßen gestärkt, weitschweifig die Probleme dieser Welt erklären lässt. Einen Bonus gibt es für die Ich-lese-jede-Woche-die-Weiguny-Fans auch, nämlich die hübschen Zeichnungen der Kinder- und Jugendbuchillustratorin Marie Hübner, deren Name leider auf Cover und Titelblatt fehlt. Wie überhaupt ein klitzekleinwenig mehr lektorierende Sorgfalt angebracht gewesen wäre bei fehlenden oder überflüssigen Kommata oder dem „Häubchen“ auf dem U der Crème brûlée, wo doch die Autorin das Stilett der Dampfwalze vorzieht. Bettina Weiguny, Her mit der Million! – Alltagsgeschichten über Boni, Bauklötze und die Balance des Lebens, Frankfurt am Main: Societäts-Medien 2014, 239 S., 17,90 Euro

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Tod und Liebe Konjunktur verzeichnen derzeit Romane, die sich der Geschichte widmen. Aus der Fülle der Titel ragt das Werk von Uwe Schumacher heraus. Es kreist um den Tod des Kölner Erzbischofs Engelbert, der am 7. November 1225 auf der Rückreise von Soest nach Köln in einem Hohlweg des heutigen Gevelsberg überfallen und ermordet wurde. Die schandvolle Tat wurde von seinem Neffen zweiten Grades, dem Grafen Friedrich von Isenberg, in die Wege geleitet, der, wovon die moderne Geschichtswissenschaft und der Autor ausgehen, seinen Großonkel eigentlich nur entführen lassen wollte. Diese Vorgänge verquickt Schumacher gekonnt mit einer Liebesgeschichte des Ennepetalers Fred Hoppe und der Chinesin Leng Phei Siang, die aus der Jetztzeit in das 13. Jahrhundert zurückversetzt wurden und gegen Ende der Handlung wieder – mit einer gewissen selbstverschuldeten Ungenauigkeit – im Heute auftauchen. Das alles wird spannend und mit Humor erzählt. Auch „Elverfeld“ taucht auf S. 184 des Buches auf, das im Anhang Begriffserklärungen, ein Literatur- und Quellenverzeichnis, eine Lageskizze der Isenburg, einen historischen Kurzabriss und eine Ahnentafel derer von Berg enthält. Uwe Schumacher, Das dunkle Geheimnis der Klutert. Roman, Lüdenscheid: Klutert 3 2010, 216 S., 9,95 Euro

DDR und Frankreich Ein wohltuend sachliches Buch über die Wahrnehmung der DDR in Frankreich jenseits des üblichen Stasilandgeschreis. Der langfristigen Hochachtung vor deutschem Geist und deutscher Kultur konnten im Nachbarland nicht einmal die drei verheerenden Kriege substantiell etwas anhaben, gleichwohl die „ständige Furcht vor dem vermeintlich preußisch-militaristischen, aggressiven Deutschland“ den Wunsch nach „einem anderen, einem besseren“ Deutschland gerade nach 1945 bzw. 1949 nährte: „Diesen Wunsch projizierten zunächst vor allem linke Intellektuelle und Wissenschaftler sowie kommunistische und sozialistische Politiker immer stärker auf die DDR.“ Die besten Botschafter eines „anderen Deutschland“, nach dem in Paris, tröstlich zu wissen, auch nach 1989 weiter gefahndet wird, waren Brecht und Seghers sowie in ihrem Gefolge Heiner Müller und Christa Wolf, generell die Deutschen, die in den 1930er-Jahren nach Paris flohen, sich der Resistance anschlossen und nach Befreiung und Niederlage in der Sowjetischen Besatzungszone ihre Heimat fanden. Christian Wenkel, Auf der Suche nach einem „anderen Deutschland“. Das Verhältnis Frankreichs zur DDR im Spannungsfeld von Perzeption und Diplomatie, München: Oldenbourg 2014, 559 S. plus CD-ROM, 79,95 Euro


Kulturnotizen Konzertreihe „Saitenspiel“ Beethoven hoch 3

Von der Heydt-Museum Wuppertal Kunsthalle Barmen

Sonntag, 1. März 2015, 18.00 Uhr Historische Stadthalle Wuppertal Mendelssohn Saal

Vorschau Jan Albers – cOlOny cOlOr 22. 3. – 28. 6. 2015

er an der Peripherie, an den Rändern der Malerei und befragt künstlerische Strategien und tradierte Methoden, um diese zu verändern oder zu verwerfen. Seine Arbeiten entstehen zwischen obsessivem Aktionismus und präziser Planung.

Ludwig van Beethoven Sonate für Klavier und Violoncello F-Dur op. 5/1 Sonate für Klavier und Violine F-Dur op. 24 „Frühlingssonate“ Klaviertrio B-Dur op. 97 „Erzherzog-Trio“ Klára Würtz, Klavier Kristóf Baráti, Violine István Várdai, Violoncello Wenn sich die Konzertreihe „Saitenspiel“ in dieser Saison den „Meisterwerken“ widmet, darf der Name Beethovens natürlich nicht fehlen. Der Bogen spannt sich hier von der ambitionierten ersten Cello-Sonate des 25-Jährigen über die populäre „Frühlingssonate“ für Violine bis hin zum „ErzherzogTrio“ des reifen Komponisten.

Fotos: Klára Würtz, Kristóf Baráti

Klára Würtz zählt zu den wichtigsten Pianisten, die das Musikland Ungarn in den letzten Dekaden hervorgebracht hat. Seit 1985 wird sie in Europa und den USA vor allem als Interpretin der Werke Mozarts und Beethovens sowie der deutschen Romantik geschätzt. Als Musizierpartner bringt sie mit Kristóf Baráti und István Várdai zwei herausragende, mehrfach preisgekrönte junge Virtuosen ihres Heimatlandes mit nach Wuppertal.

Jan Albers, diGGinGdeeP, 2014 Die umfangreiche Einzelausstellung des Düsseldorfer Künstlers Jan Albers (geb. 1971 in Wuppertal) wird sich überwiegend auf aktuelle Werke aus den vergangenen drei Jahren konzentrieren, in denen die Arbeiten mehr und mehr die Fläche verlassen, raumgreifend und dreidimensional werden. Albers gehört zur jüngeren Generation konzeptuell arbeitender Künstler, die jenseits des in regelmäßigen Abständen prognostizierten Endes der Malerei ein kompromissloses Werk entwickelt haben, das der Malerei unerwartet Neues hinzufügt. Bewusst arbeitet

17 Euro | ermäßigt 6 Euro VVK: Kulturkarte Veranstalter: Historische Stadthalle Wuppertal mit freundlicher Unterstützung von Detlef Muthmann www.saitenspiele.eu

Jan Albers, DustyDiamondgEEzEr, 2014

Kunstmuseum Solingen 22. 2. bis 12. 4. 2015 Holger Bär und Peter Schmersal: Malerei Holger Bär und Peter Schmersal vertreten sehr unterschiedliche Positionen figürlicher Malerei. Holger Bär übersetzt Fotos, Kompositionen oder Zahlenreihen mit Hilfe von Computerprogrammen in digitale Malerei. Die Bildideen werden von Computern umgesetzt und folgen dabei einem logischen System. Die Bildsprache von Peter Schmersal ist gekennzeichnet durch einen spontanen und dynamisch kraftvollen Malgestus. Jeder Pinselstrich bleibt sichtbar und offenbart einen schnellen Malprozess. Das Ergebnis ist stets pointiert und akzentuiert Portraits, Akte, Stillleben und Landschaften einzigartig. Abb. oben: Peter Schmersal: Soutine und ich, 2014, Öl auf Leinwand, Foto: P. Schmersal – unten: Atelier Holger Bär, Foto: H. Bär

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Kulturnotizen MKM Museum Küppersmühle für Moderne Kunst, Duisburg Erweiterungsbau für das MKM Das MKM Museum Küppersmühle erhält einen Erweiterungsbau. Das Sammlerehepaar Sylvia und Ulrich Ströher hat mit der Gründung der MKM-Stiftung die notwendigen Voraussetzungen geschaffen und das Schweizer Architektenbüro Herzog & de Meuron mit der Planung beauftragt. Die Stiftung für Kunst und Kultur e.V., die das Museum Küppersmühle nun schon seit 15 Jahren betreibt, freut sich sehr über diese Entwicklung und über das Vertrauen der Familie Ströher, die den Betreibervertrag gleichzeitig um weitere 12 Jahre verlängert hat. „Zukünftig gibt es weitere wichtige Gründe, das MKM in Duisburg zu besuchen, denn die Sammlung von Sylvia und Ulrich Ströher wird durch den Erweiterungsbau in ihrer ganzen Dimension sichtbar. Die Entwicklung der deutschen Kunst nach 1945 mit all ihren Auswirkungen, mit ihren Schlüsselwerken und kunsthistorischen Bezügen wird in besonderer Weise durch die Vergleichsmöglichkeiten der künstlerischen Positionen verdeutlicht“, erläutert MKM-Direktor Walter Smerling. Ein erster Entwurf existiert bereits. Dieser sieht die Realisierung des Erweiterungsbaus mit einer Ausstellungsfläche von ca. 2.600 m2 auf vier oberirdischen Geschossen an der Ostseite des Museums Küppersmühle mit direkter Anbindung zum Stammhaus vor. Die Abbildungen in der Anlage vermitteln einen Eindruck von den Dimensionen des neuen Gebäudes. Dem Baubeginn wird eine etwa einjährige Planungsphase vorausgehen, so dass voraussichtlich im Jahr

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2016 die Bautätigkeiten aufgenommen und der Erweiterungsbau im Jahr 2018 fertiggestellt werden kann. Sobald die Planungen abgeschlossen sind, werden im Rahmen einer Pressekonferenz die Details zum Entwurf der Öffentlichkeit vorgestellt. „Der geplante Erweiterungsbau reiht sich in die Kette der eindrucksvollen historischen Backsteinbauten entlang des Hafenbeckens ein und komplettiert so den bestehenden Museumskomplex. Zugleich definiert der neue Kopfbau den Abschluss der gesamten Gebäudezeile am Hafenbecken. Das neue Projekt ist eine integrierte und ergänzende Architektur. Wir freuen uns, an dem Ort, wo wir vor Jahren bereits einen wichtigen Museumsbau realisierten, aus heutiger Sicht weiterzubauen“, so die Architekten Herzog & de Meuron aus Basel. Die Sammlung Ströher umfasst mit rund 1.500 Werken zentrale Positionen deutscher Kunst von internationalem Rang, ausgehend von den 1950er Jahren bis in die Gegenwart, darunter Georg Baselitz, Peter Brüning, Hanne Darboven, K.O. Götz, Candida Höfer Anselm Kiefer, Markus Lüpertz, A.R. Penck, Gerhard Richter, Emil Schumacher, Bernard Schultze u.v.a. Die erweiterten Räume werden es zukünftig ermöglichen, die Künstler und ihre Werke im großen Zusammenhang zu präsentieren. Die Besucher erhalten somit sowohl Einblicke in die Kunstentwicklung einzelner Künstler als auch Vergleichsmöglichkeiten künstlerischer Produktion. www.museum-kueppersmuehle.de Abb.: Erweiterung MKM Museum Küppersmühle, Duisburg, Modellfoto, © Herzog & de Meuron

Programm Februar / März 2015 Februar 2015 So 1. 2. 2015, 18:00 Uhr // Opernhaus // Nelken // Tanztheater Wuppertal Pina Bausch

Di 3. 2. 2015, 20:00 Uhr // Ankerpunkt // Engelsgartentexte // Zerbrechlich und gefährdet: Kindheit. // Lesung von Friederike Zelesko und Torsten Krug und Bericht über den umstrittenen Elberfelder Autor und Regisseur Eberhard Frowein (1881 - 1964). Moderation: Dorothea Renckhoff Drei ganz unterschiedliche Annäherungen an das Thema Kindheit: Die aus Österreich stammende Friederike Zelesko liest aus ihren ‚Skizzen einer niederösterreichischen Kindheit‘ und beschwört frühe Erinnerungsbilder eines kargen Lebens auf dem Land, mit weit geöffnetem Blick für den Wechsel der Jahreszeiten. Torsten Krug liest aus seinem noch im Entstehen begriffenen Roman ‚Ich warte hier‘, in dem er seine Protagonisten an den Traunsee und damit ebenfalls nach Österreich führt und ungemein einfühlsam und behutsam einen kleinen Jungen vorstellt, der anders und sehr eigen ist. Der in Elberfeld geborene Romancier und Filmregisseur Eberhard Frowein dagegen gilt mit seinem Drehbuch zu Liebeneiners Film ‚Ich klage an‘ als Autor eines nationalsozialistischen Propagandafilms, der 1941 für Euthanasie werben sollte. Do 5. 2. 2015, 17:00 Uhr / City-Kirche Elberfeld // Das literarische Solo // mit Schauspieler Uwe Dreysel Fr 6. 2. 2015, 19:30 Uhr // Opernhaus // Hänsel und Gretel // Engelbert Humperdinck


calproduktion des Carl-Duisberg Gymnasiums, an der Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen 7 - 12, ehemalige CDGler, Lehrer und Eltern in den Bereichen Schauspiel, Tanz, Chor und Orchester unter der Leitung eines 6-köpfigen Lehrerteams beteiligt sind. Sa 14. 2. 2015 19:30 Uhr / Opernhaus / Der Barbier von Sevilla // Gioachino Rossini (1792-1868) // Melodramma buffo in zwei Akten; Libretto von Cesare Sterbini nach dem Schauspiel von Pierre Auguste Caron de Beaumarchais in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Mo 9. 2. 2015, 19:30 Uhr // Opernhaus // Amazing Shadows // Ein faszinierendes Schattentanztheater aus den USA. // AMAZING SHADOWS ist das visuelle Spektakel der Extraklasse für die ganze Familie. Mit Leichtigkeit und doch unglaublicher Präzision kreieren die Künstler nur mit ihren Körpern

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Sa 7. 2. 2015, 18:30 Uhr // Historische Stadthalle // Ball der schönen Künste // Der Ball wird veranstaltet von den Freunden der Wuppertaler Bühnen und des Sinfonieorchesters Wuppertal e. V. und der Konzertgesellschaft Wuppertal e. V.

Weitere Aufführungen: Do 19. 2., Fr 20. 2., Fr 28. 2. 2015, jeweils 19:30 Uhr Fr 13.02.2015 19:30 Uhr / Opernhaus Fame – Das Musical // mit Schülerinnen und Schülern des Carl-Duisberg-Gymnasiums // Das Musical FAME ist die 8. Musi-

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Tiere, Menschen, Maschinen… - ganze Welten erscheinen im Schattenreich. – Mit unglaublicher Geschwindigkeit wechseln die von den Tänzern dargestellte Szenen. Neue Bilder erscheinen teilweise im Minutentakt. Stimmungsvolle Musik und ausdrucksstarke Videoprojektionen sorgen zusätzlich für ein außergewöhnliches Erlebnis. „Das muss man einfach gesehen haben. Weltklasse! Einfach fantastisch!“ – so die Reaktion vieler Besucher nach Showende. Di 10. 2. 2015, 20:00 Uhr // Ankerpunkt // LehrerInnen-Stammtisch // Gesprächsrunde über das Schauspiel Do 12. 2. 2015, 19:30 Uhr // Theater am Engelsgarten // Minna von Barnhelm // Ein Lustspiel in fünf Aufzügen von Gotthold Ephraim Lessing. Neben Geld und Ehre ist das Stück eine der hinreißendsten Liebesgeschichten der deutschen Bühnenliteratur. Und ein grandioses Stück gegen den Krieg.

KULTUR FÖRDERN STANDORT STÄRKEN

// Märchenspiel, Libretto von Adelheid Wette, in deutscher Sprache mit Übertiteln. Humperdinck schrieb ursprünglich nur ein kleines Singspiel für die Kinder seiner Schwester Adelheid Wette und arbeitete Volkslieder wie „Suse, liebe Suse“ oder „Ein Männlein steht im Walde“ ein. Die ganze Familie war von dem Kinderstück so begeistert, dass Humperdinck sich dazu bereit erklärte, eine ganze Oper daraus zu entwickeln – mit Hilfe von allen Familienmitgliedern. Hänsel und Gretel ist somit in jeder Hinsicht ein „Familienstück“. Weitere Aufführung: 8. 2. 2015, 16:00 Uhr / Opernhaus Fr 6. 2. 2015, 19:30 Uhr // Theater am Engelsgarten // Premiere // Supergute Tage // nach dem Roman von Mark Haddon, Bühnenfassung von Simon Stephens, Deutsch von Barbara Christ. // Wellington ist tot. Er liegt auf dem Rasen. Eine Mistgabel ragt aus seinem Körper. Wellington ist der Nachbarhund und ausgerechnet Christopher findet ihn, sieben Minuten nach Mitternacht. Christopher Boone ist fünfzehn Jahre, drei Monate und zwei Tage alt. Er kennt alle Länder und deren Hauptstädte und sämtliche Primzahlen bis 7507. Er mag Puzzles und Polizisten, aber nicht die Farben Gelb und Braun. Rot hingegen liebt er. Und ein superguter Tag ist für ihn, wenn der Schulbus an fünf hintereinander geparkten roten Autos vorbeifährt. // Weitere Aufführungen: 8.2., 18:00 Uhr, 11., 13., 14., 22. 2., jeweils um 19:30 Uhr, 1. 3. 16:00 Uhr.

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Kulturnotizen

Der Barbier von Sevilla ist ein Opernklassiker, der das komödiantische Talent und die stimmliche Virtuosität der Sänger bis aufs Äußerste fordert - und für das Publikum immer wieder spannend und höchst unterhaltsam ist. // Weitere Aufführungen: So 15. 2. 16:00 Uhr, Sa 28. 2., 19:30 Uhr und So 1. 3., 16:00 Uhr So 15. 2. 2015, 18:00 Uhr // Theater am Engelsgarten // Visitenkarte: Stefan Walz // Nightradio // Foto: Sebastian Eichhorn

„Guten Abend meine Damen und Herren, hier ist NIGHTRADIO, wir bringen Sie sicher durch die Nacht!“ Stefan Walz rockt, grooved und swingt, romantisch, fetzig, beschwingt und bluesig. Er singt vom Mond, von der Liebe, von Sehnsucht, Bier, Eifersucht, von Einsamkeit und vom Glück. Er ist eine Radiostation, die in die Nacht sendet. Er nimmt Sie mit auf die Reise, gut gelaunt und mit Herz. Di 24. 2. 2015, 20:00 Uhr // Ankerpunkt Uni-Stammtisch // Gesprächsrunde über Themen und Bedingungen vom Theater Mi 25. 2. 2015, 16:00 Uhr // Theater am Engelsgarten // Club Theater Silber Fr 27. 2. 2015, 19:30 Uhr / Theater am Engelsgarten // Visitenkarte: Uwe Dreysel // Kaffee & Vodka – Ein Liederabend

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Sa 28. 2. 2015, 19:30 Uhr / Theater am Engelsgarten // Die schöne Müllerin // Liederzyklus von Wilhelm Müller und Franz Schubert // Ein Abend für neun SchauspielerInnen // Am Flügel: Christoph Schnackertz März 2015 So 8. 3. 2015, 11:00 Uhr // Opernhaus // Matinée // Parsifal Fr 13. 3. 2015, 17:00 Uhr // Opernhaus // Premiere // Parsifal // Richard Wagner (1813-1883) // Ein Bühnenweihfestspiel in drei Akten; Dichtung von Richard Wagner in deutscher Sprache mit Übertiteln // Weitere Aufführungen: So 15. 3., 16 Uhr, Fr 20. 3., 17:00 Uhr Sa 14. 3. 2015, 21:00 Uhr // Cafè ADA // Nachtfoyer Sa 28. 3. 2015, 19:30 Uhr // Theater am Engelsgarten // Premiere // Die Wupper // von Else Lasker-Schüler // Eine Reise ins Innere der Stadt – ein theatraler Audiowalk begleitet von den Figuren Else LaskerSchülers und ExpertInnen der Stadt und für Stadtgeschichte // Ich bin verliebt in meine Stadt und bin stolz auf ihre Schwebebahn … Immer fliegt mit Tausendgetöse das Bahnschiff durch die Lüfte über das Wasser auf schweren Ringfüßen durch Elberfeld … Ich muss an alles denken und stehe plötzlich wie hingehext vor meinem Elternhaus. // Else Lasker-Schüler // Reist man heute durch die Stadt, so fliegt man noch immer über sie. Man blickt auf die Stadt und in sie hinein. Man sieht und sinnt, hört und vernimmt das lange Schicksal des Flusses und seiner Stadt. Die Wupper nimmt uns auf die Reise in die Welten von Else Lasker-Schüler und sie führt uns von diesem zu jenem Orte in der Stadt: vom Ballraum zur Fabrik, von der Villa hinüber zum Friedhof, vom Zoo hinunter zum Fluss. Unsere Reise ins Innere der Stadt imaginiert ein Stück, das vor der ersten Kriegskatastrophe 1909 entstanden ist. Es schwebt in einer träumerischen Poesie durch die versunkene Stadt und das vergangene Wuppertal. // Stephan Müller Weitere Aufführung: So 29. 3., 18:00 Uhr

Spielplan Februar / März 2015 So 8. 2. 2015, 18:00 Uhr // Historische Stadthalle 2. Orgel-Akzent // Ingeborg Scheerer, Violine / Winfried Bönig, Orgel // Winfried Bönig, Domorganist zu Köln und Professor für Orgel und Improvisation an der Hochschule für Musik Köln, Musikwissenschaftler, Autor und Herausgeber, gehört zu den arriviertesten Organisten unserer Zeit. Zusammen mit der vielseitigen Solistin, Kammermusikerin und Orchesterpädagogin Ingeborg Scheerer spielt er einen DuoAbend mit spätromantischen Werken für Violine und Orgel. Mi 11. 2. 2015, 10:00 Uhr und 12:00 Uhr und Do 12. 3., 10:00 Uhr und 12:00 Uhr // Historische Stadthalle // 2. Schulkonzert // Camille Saint-Saëns »Karneval der Tiere« // Martin Schacht / Nicola Hammer / Gerald Hacke, Konzeption und Moderation / Martin Pérénom und Dielan Wu, Klavier / Sinfonieorchester Wuppertal / Philipp Armbruster, Leitung // Für Grundschulen Mo 16. 2. 2015, 19:30 Uhr // Opernhaus Rosenmontagskonzert // Thomas Braus, Moderation // Annika Boos, Sopran / Boris Leisenheimer, Tenor / Miljan Milovi´c, Bariton / Opernchor der Wuppertaler Bühnen / Sinfonieorchester Wuppertal / Johannes Klumpp, Musikalische Leitung // Auch das Rosenmontagskonzert ist im eigentlich nicht als Karnevalshochburg bekannten Wuppertal inzwischen fester Bestandteil des Konzertjahres. Mit Stolz über ein Konzert, mit dem manche Karnevalsstadt nicht aufwarten kann, freut sich das Publikum auf einen Abend voll schmissiger, ironischer und kritischer Moderation durch Thomas Braus sowie bunter Musik aus dem Bereich der Operette unter der Leitung von Johannes Klumpp. So 22. 2., 11:00 Uhr // Historische Stadthalle // 6. Sinfoniekonzert // Konstantin Boyarsky (links), Viola / Sinfonieorchester Wuppertal, Julia Jones, Leitung // Georg Friedrich Händel, Suite Nr. 2 D-Dur HWV 349 aus


»Water Music« / William Walton, Violakonzert // Joseph Haydn, Sinfonie Nr. 96 D-Dur Hob. I:96 »The Miracle« / Arnold Bax »Tintagel« // Konzerteinführung Montag mit Prof. Dr. Lutz-Werner Hesse // Weitere Aufführung: Mo 23. 2. 2015, 20:00 Uhr Sa 28. 2. 2015, 12:00 Uhr, City-Kirche // Ohrenöffner – Musik im Gespräch // Mozarts Lieblingsinstrument: Die Klarinette im Porträt // Als Gäste: Mitglieder der Klarinettengruppe // „Ach, wenn wir nur clarinetti hätten“ – Mozarts Liebe für die Klarinette ist legendär, das wunderbare Klarinettenkonzert legt davon klingendes Zeugnis ab. Dabei hatte das Instrument einen späten Start in der Musikgeschichte. Alles zur Entstehung, Funktion und Faszination eines Instrumentes, das in der Klassik ebenso zu Hause ist wie im Jazz. // Der Eintritt ist frei. So 8. 3. 2015, 11:00 Uhr / Historische Stadthalle // 3. Familienkonzert – Ein Amerikaner in Paris // Juri Tetzlaff, Moderation / Sinfonieorchester Wuppertal, Yannis Pouspourikas, Leitung // Mit Musik von George Gershwin // Das Sinfonieorchester Wuppertal und der KiKA Moderator Juri Tetzlaff entdecken gemeinsam mit ihrem

Publikum eine der schönsten Städte der Welt. Auf den Spuren des weltberühmten Komponisten George Gershwin und seinem Stück »Ein Amerikaner in Paris« machen sie einen abenteuerlichen Stadtrundgang durch die Metropole, präsentieren Musikinstrumente und mitreißende Melodien. Natürlich kommt auch das Mitmachen nicht zu kurz, so dass auch junge Zuhörer mit Spaß einen Hit der Klassik für sich entdecken können. // Für junge Weltenbummler ab 6 Jahren. Mo 16. 3. 2015, 20:00 Uhr // Historische Stadthalle // 4. Kammerkonzert //

So 22. 3. 2015, 11:00 Uhr // Historische Stadthalle // 7. Sinfoniekonzert // Saxophonquartett »clair-obscur« / Sinfonieorchester Wuppertal / Mark Laycock, Leitung //

werb Wuppertal und ist nun endlich auch wieder als Interpretin an der Sauer-Orgel im Großen Saal der Historischen Stadthalle zu Gast.

Stücke: George Gershwin »Cuban Overture« // Aaron Copland »El Salón México« // Bob Mintzer »Rhythm of the Americas« // Leonard Bernstein »Three Dance Episodes« aus »On the Town« // Charles Ives »Putnam’s Camp« aus »Three Places in New England« // Leroy Anderson »Jazz Pizzicato« // Arturo Márquez »Danzón Nr. 2« // John Adams »Short Ride in a Fast Machine« // Weitere Aufführung: Mo 23. 3. 2015, 20:00 Uhr Mi 25. 3. 2015 10:00 Uhr, 12:00 Uhr // Historische Stadthalle // 3. Schulkonzert // Ludwig van Beethoven »Pastorale« //Christian Schruff, Moderation / Sinfonieorchester Wuppertal / Motonori Kobayashi, Leitung Die Vögel zwitschern, der Bach fließt ruhig dahin, überall summt und brummt es. Ferienzeit! Ludwig van Beethoven fuhr im Sommer oft zur Erholung aufs Land. Aber er konnte weder das Zwitschern der Vögel noch das Plätschern des Baches und nicht einmal das donnernde Gewitter hören. Als er seine 6. Sinfonie komponierte, war er bereits taub. Christian Schruff taucht mit den Kindern ein in die Gedankenwelt des großen Musikers. / Für Grundschulen. // Weitere Aufführungen: Do 26. 3. 2015, 10:00 Uhr, 12:00 Uhr So 29. 3. 2015, 18:00 Uhr / Historische Stadthalle // 3. Orgel-Akzent Bei der lettischen Ausnahme-Organistin Iveta Apkalna verbinden sich tiefe Musikalität und makellose Technik aufs Glücklichste mit einem untrüglichen Gespür für die Wirkung der Musik. So hat die in Riga und Stuttgart ausgebildete Künstlerin in den vergangenen Jahren wie kaum ein anderer die Orgel von ihrem „angestaubten“ Image befreit. Ihr ist es gelungen, als Organistin zum Star zu werden – etwas, das sonst nur Dirigenten, Sängern, Klavier- oder Geigenvirtuosen vorbehalten bleibt. Iveta Apkalna war 2013 Jurorin beim Internationalen Orgelwettbe-

Iveta Apkalna, Orgel Peter Kowald Gesellschaft/ort e.V. Termine cine:ort_Die Filmreihe im ort. Wir freuen uns auf kalte Winternächte und das Erwachen des Frühlings. Gezeigt werden Filme aus dem breiten Themenbereich der „improvisierten Musik“. Der Eintritt ist frei. Do 5. Februar 2015, 20.00 Uhr Charlie Mariano_Last Visits Von Axel Engstfeld / D 2014 / 99 Minuten / deutsch, englisch

Do 5. März 2015, 20.00 Uhr Brother Yusef von Nicolas Humbert und Werner Penzel / D 2005 / 52 Minuten / Untertitel deutsch

Peter Kowald Gesellschaft / ort Luisenstraße 116 42103 Wuppertal www.kowald-ort.com

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Kulturnotizen Pauluskirche – Lesungen 2015 Samstag, 7. Februar 2015, 18.00 Uhr Falk Andreas Funke Falk Andreas Funke bezeichnet sich als Schreiber und Leser, 1965 in Wuppertal geboren und geblieben. Seinen Hauptberuf übt er als Sachbearbeiter in der Arbeitsverwaltung aus. Seinen feinsinnigen, oft schwarzen Humor und sein Zeichentalent verbindet er jedoch mit Lyrik und Prosa und veröffentlicht sie seit 2001 in div. Anthologien, Zeitschriften und beim Westdeutschen Rundfunk. 2001 – 2007 Mitarbeiter des Satiremagazins „Italien“, Wuppertal. Bislang drei Bücher, zuletzt „Krause der Tod und das irre Lachen“. F.A. Funke liest aus seinen verschiedenen Werken. Samstag, 7. März 2015, 18.00 Uhr Sibyl Quinke 1952 in Freiburg geboren, schreibt Sibyl Quinke für die „Bergischen Blätter“; aber auch Märchen und lyrische Texte, wofür sie diverse Preise gewonnen hat. Sie ist Mitglied im Literaturkreis ERA e.V., hat einen Literarischen Salon in der „Bandfabrik“ in Wuppertal etabliert, begleitet die Lesereihe „Literatur auf dem CronenBerg“ und ist Redaktionsmitglied der Literaturzeitschrift KARUSSELL. Außerdem geht sie mit einem Bühnenprogramm auf Tour. „TOD AM ELISENTURM“ heißt ihr aktueller Kriminalroman, aus dem sie lesen wird. Als promovierte Apothekerin wird ihr Wissen über die Wirkung giftiger Essenzen natürlich eine Rolle spielen, die Wuppertaler Tango-Szene und ein mysteriöser Hexenzirkel. Pauluskirche Pauluskirchstr. 8, 42285 Wuppertal

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Termine des Verbandes deutscher Schrifsteller Bergisches Land (VS) und der Autorengemeinschaft „Literatur im Tal“ und ihrer Mitglieder Februar 2015 Sonntag, 1. 2.2 015, 11.30 Uhr: Literaturgottesdienst zum Buch „Nimmersatt + Hungermatt“ von Marina Jenkner. Evangelische Kirchengemeinde Erkrath, Gemeindezentrum am Niermannsweg, Erkrath-Unterfeldhaus. Montag, 2. 2. 2014, 19.30 Uhr: 10. Öffentliche Werkstattlesung mit Michael Zeller, Christian Oelemann und Marina Jenkner. Eintritt frei. Literaturhaus Wuppertal, Friedrich-Engels-Allee 83, Wuppertal-Unterbarmen. Dienstag, 3. 2. 2015, 20.00 Uhr: ENGELSGARTENTEXTE: Bericht über den umstrittenen Elberfelder Autor und Regisseur Eberhard Frowein. Lesung: Torsten Krug und Friederike Zelesko, Moderation: Dorothea Renckhoff. Eintritt: 6 Euro. Café Ankerpunkt im Historischen Zentrum, Engelsstraße 10, Wuppertal-Barmen. Donnerstag, 5. 2. 2015, 18.00 Uhr: Lesung von Marina Jenkner aus ihrem neuen Romanmanuskript über Essstörungen im Rahmenprogramm der Ausstellung „Klang meines Körpers“. Haus der Jugend Elberfeld/Crossover, Bergstraße 50, Wuppertal-Elberfeld. Donnerstag, 5. 2. 2015, 19.00 Uhr: Lesung von Wolf von Wedel-Parlow, musikalische Begleitung: Anett Fobbe, Gitarre und Gesang. Eintritt: 5 Euro. Glücksbuchladen, Friedrichstraße, Wuppertal-Elberfeld. Freitag, 27. 2. 2015, 19.30 Uhr: Literatur auf der Insel. Gast: Gerbrand Bakker. Moderation: Torsten Krug, Katrina Schulz. Café Ada, Wiesenstraße 6, Wuppertal-Elberfeld. März 2015 Dienstag, 3. 3. 2015, 20.00 Uhr: ENGELSGARTENTEXTE: Spuk und Geisterseher. Der Elberfelder Expressionist Peter Baum. Lesung: Christiane Gibiec, Arnim Juhre und Andreas Steffens, Moderation: Dorothea Renckhoff. Eintritt: 6 Euro. Café Ankerpunkt im Historischen Zentrum, Engelsstraße 10, Wuppertal-Barmen.

Dienstag, 10. 3. 2015, 16.00 Uhr: Lesung von Safeta Obhodjas im Rahmen der Autorenlesungen der Friedrich-SpeeAkademie. Eintritt frei. Literaturhaus Wuppertal, Friedrich-Engels-Allee 83, Wuppertal-Unterbarmen. Samstag, 14. 3. 2015, 17.00 Uhr: Literatur auf dem Cronenberg. Lesung von Karla Schneider. Moderation: Sibyl Quinke. Eintritt frei. Fotostudio Hensel, Hauptstr. 1, Wuppertal-Cronenberg. GEDOK-Veranstaltungen Samstag, 21. März 2015, 19:30 Uhr, CityKirche Elberfeld, Kirchplatz Frühlingserwachen Eine erste Begegnung mit dem Frühling – von sanften Liedern bis zu spritzigen Trompetentönen! Natascha Valentin, Mezzosopran / Hanna Kristina Schäfer, Violine / Pina Mohs, Oboe / Anja Richter, Trompete / Nina Julia Hildebrand, Klavier Werke von Ludwig van Beethoven, Alban Berg, Georg Friedrich Händel. V.A. Peskin, Francis Poulenc, Robert Schumann, Richard Strauß. Eintritt: 12,00/10,00 Euro Sonntag, 22. März 2015, 18:00 Uhr, Katholisches Stadthaus, Laurentiusstraße 7, 42103 Wuppertal. Prolog: „Nun töne Lied mit einem Feuer“ Verwandlung! „West-Östlicher Divan“ (1819/1827) von Johann Wolfgang von Goethe Lesung von Julia Wolff Johann Wolfgang von Goethes Spätwerk „West-Östlicher Divan“ steht für einen interkulturellen, wenn nicht sogar interreligiösen Dialog mit einer nationale Grenzen überschreitenden politischen Botschaft. In seiner Gedichtsammlung positioniert er ein lyrisches Ich, das offensichtlich muslimische Wurzeln hat. Eintritt: 5,00 Euro Eine Veranstaltung des Katholischen Bildungswerks Wuppertal/Solingen/Remscheid in Kooperation mit der GEDOK Wuppertal e. V. GEDOK Gemeinschaft der Künstlerinnen und Kunst-förderer e.V., Gruppe Wuppertal www.gedok-wuppertal.de


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