Die beste Zeit Nr 20

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DIE BESTE ZEIT Das Magazin für Lebensart

Ausgabe 20, 2013 - 3,50 Euro

Archipel Ausstellung Von der Heydt-Kunsthalle

Wolfgang Schmidtke

Im Jazz muss man sich selbst finden

Immer wieder neu Historische Parkanlage Hardt

Himmel auf Erden Sammlung Von der Heydt-Museum

Das Schlupfloch zur Freiheit Karl Otto Mühls späte Prosa und Gedichte

Kunst in der Sparkasse Ausstellung Kairos

Bilder einer Ausstellung Jubiläumskonzert des Sinfonieorchesters

Von Beckmann bis Schmidt-Rottluff

Annika Boos und ihre glückliche Reise

Ausstellung im Museum Solingen

ISSN 18695205

Wuppertal und Bergisches Land

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Editorial Liebe Leserinnen, liebe Leser, Sie halten heute die 20. Ausgabe des Kulturmagazins Die Beste Zeit in Ihren Händen - ein kleines Jubiläum. Seit Oktober 2009 und inzwischen im 5. Jahrgang informieren wir regelmäßig über das kulturelle Leben unserer Region. Leider werden die Zeiten immer schwieriger, ein solches Format auf Dauer in Wuppertal zu etablieren, und so bin ich jedesmal erleichtert, wenn wieder eine Ausgabe in die Welt gesetzt ist. Ganz besonders möchte ich mich an dieser Stelle bei den Unternehmen bedanken, die das Projekt regelmäßig mit ihren Anzeigen unterstützen, aber auch bei den Autoren, die für das Magazin schreiben, dafür recherchieren und ihr Fachwissen einsetzen. Ohne ihr fundiertes Engagement wäre es mir nicht möglich, das Magazin in dieser Kontinuität und Qualität erscheinen zu lassen. In erster Linie sehe ich mich als Macher der Besten Zeit, stelle das Heft im Dialog mit den Redakteuren inhaltlich zusammen, layoute, produziere und scheitere im Allgemeinen an der Anzeigenakquise oder dem Vertrieb. Unser Format ist noch immer zu wenigen kulturinteressierten Bürgern in Wuppertal und im Bergischen Land bekannt. Ein generelles Problem liegt also in der Verbreitung. Indes wird der Aufwand, der hinter jeder Ausgabe steckt, nicht weniger, und oftmals stelle ich mir - bei allen schönen Reaktionen und bei aller Zustimmung, die ich erfahre - die Frage, ob eine Stadt wie unsere ein solches Magazin neben der normalen Tagespresse braucht. Dabei war es mir von Anfang an ein Anliegen, hier eine Lücke zu schließen und ausführlicher, farbiger und informativer aus dem kulturellen Leben unserer Region zu berichten, ihre Vielfalt und ihren Reichtum vorzustellen und immer wieder auch Ereignisse und Persönlichkeiten zu würdigen, die ansonsten - völlig zu Unrecht - ein Schattendasein führen. Dazu gehören Erstveröffentlichungen von Literaten, ausführliche Rezensionen von Schauspielund Opernaufführungen, ein offenes Ohr für die Jazzszene, der Blick in die Ausstellungen und in die Ateliers selbst und auch die Vorstellung von kulturell engagierten Institutionen in Wuppertal. Wir hoffen, damit ein wenig zur Vitalität der Kulturszene beizutragen, und träumen davon, dass mit jeder Ausgabe, ja, mit jedem Bericht unser Magazin etwas bekannter und schließlich vielleicht sogar in unserer Region selbstverständlich, unverzichtbar wird. Von meiner Seite schwanke ich immer wieder mit der Frage „weitermachen“ oder aber „aufhören“. Bislang habe ich mich voller Hoffnung engagiert für das Weitermachen entschieden. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Freude beim Lesen dieser Ausgabe. Herzliche Grüße Ihr HansPeter Nacke

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Impressum Die Beste Zeit erscheint in Wuppertal und im Bergischen Land Erscheinungsweise: alle zwei Monate Verlag HP Nacke Wuppertal - Die beste Zeit Friedrich-Engels-Allee 122, 42285 Wuppertal Telefon 02 02 - 28 10 40, E-Mail: verlag@hpnackekg.de V. i. S. d. P.: HansPeter Nacke Ständige redaktionelle Mitarbeit: Frank Becker, Thomas Hirsch, Ulrich Dohmen, Susanne Schäfer Darüber hinaus immer wieder Beiträge von: Marlene Baum, Heiner Bontrup, Antonia Dinnebiert, Beate Eickhoff, Fritz Gerwinn, Klaus Göntzsche, Johannes Vesper und weiteren Autoren Erfüllungsort und Gerichtsstand Wuppertal

Nachdruck - auch auszugsweise - von Beiträgen innerhalb der gesetzl. Schutzfrist nur mit der ausdrücklichen Genehmigung des Verlages. Gastbeiträge durch Autoren spiegeln nicht immer die Meinung des Verlages und der Herausgeber wider. Für den Inhalt dieser Beiträge zeichnen die jeweiligen Autoren verantwortlich. Kürzungen bzw. Textänderungen, sofern nicht sinnentstellend, liegen im Ermessen der Redaktion. Für unverlangt eingesandte Beiträge kann keine Gewähr übernommen werden. Trotz journalistischer Sorgfalt wird für Verzögerung, Irrtümer oder Unterlassungen keine Haftung übernommen. Bildnachweise/Textquellen sind unter den Beiträgen vermerkt. Abbildung Cover, Ausschnitt: Alexej von Jawlensky, Madame Curie, 1905, Öl auf Karton, 50 x 38 cm

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Inhalt Ausgabe 20, 5. Jahrgang, April 2013 Wuppertal hat Gute Karten

Archipel Ausstellung Tatjana Valsang In der Von der Heydt-Kunsthalle

Seite 6

von Wolf Christian von Wedel Parlow

Kunst in der Sparkasse Seite 12

Seite 14

Im Jazz muss man sich selbst finden Der Saxophonist und Komponist Wolfgang Schmidtke, von Marlene Baum

Seite 18

Seite 22

Seite 28

Seite 32

Seite 37

Seite 43

Nachruf im Ort, 20. Juli 2012, von Klaus Harms

Seite 69

Nachruf auf den Komponisten, von Ulrich Klan

Seite 73

Gedicht von Angelika Zöllner, Foto „Im Nebel“ von E. Heinemann

Seite 74

Von Pérotin bis Pärt Teil V – Konzertreihe, von Magdalene Zuther

Seite 76

Vermessung einer Region, vorgestellt von Thomas Hirsch

Seite 78

Geschichtsbücher, Buchgeschichten porträtiert von Matthias Dohmen Seite 48

Der Hochglanzprospekt Gedanken über eine Geldanlage, von Dorothea Renckhoff

Seite 67

Neue Kunstbücher

Das indische Tuch TiC-Theater-Aufführung sehr frei nach Edgar Wallace, von Frank Becker

Die nordrhein-westfälische Tanzszene, von Katja Roters

Wie ein Bad im Klang und Raum der Zeit Seite 41

Von Beckmann bis Schmidt-Rottluff Die Sammlung Frank Brabant im Museum Solingen, von Rolf Jessewitsch

Seite 66

für dich

Frau mit Gipsbein von Karl Otto Mühl

Interessantes zu den Themen Steuern und Recht, von Susanne Schäfer

Konrad Hupfer (1935 – 2013)

Das Schlupfloch zur Freiheit Karl Otto Mühls späte Prosa und Gedichte, von Torsten Krug

Seite 64

Für Ulle Hees

Immer wieder neu Historische Parkanlage Hardt, von Antonia Dinnebier

und ihre glückliche Reise…, von Klaus Göntzsche

tanz nrw 13 in Wuppertal

Projekt Moving Art Box Die Abschlusspräsentation im Neuen Kunstverein Wuppertal

Seite 58

Paragraphenreiter

Bilder einer Ausstellung Jubiläumskonzert des Sinfonieorchesters Wuppertal, von Johannes Vesper

Kairos – Vom Umgang mit dem günstigen Augenblick, von Gisela Elbracht-Iglhaut Annika Boos

Verdis Maskenball in Wuppertal Sängerfest und solide Inszenierung, von Fritz Gerwinn

Seite 55

Seite 11

Himmel auf Erden Ausstellung aus der Sammlung des Von der Heydt-Museums

Seite 53

Ein Pferd ist ein Pferd

Die Vielfalt der Möglichkeiten Tatjana Valsangs „Archipel“ gibt der Phantasie Raum, von Frank Becker

Die Bürgerinitiative „(M)eine Stunde für Wuppertal“

Seite 80 Kulturnotizen Kulturveranstaltungen in der Region

Seite 81

Seite 49

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„Tatjana Valsangs Kunst feiert Farbe, Bewegung und Licht, die staunenswerten Strukturen in der vorfindbaren Welt, den Augensinn, der sie erschließt, die Rätsel, die bleiben, die Kräfte, die wirken und zeugen, die Formen, die wandlungsfähig sind, unerschöpft und überraschend.“ Kirsten Voigt (aus dem Ausstellungskatalog)

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Archipel Tatjana Valsang Noch bis zum 26. Mai 2013 in der Von der Heydt-Kunsthalle im Haus der Jugend Barmen

linke Seite: Tagsüber, 2010, 120 x 100 cm Foto: Frank Becker rechts: Kongogrün, 2009, 220 x 140 cm Tatjana Valsangs abstrakte Malerei inszeniert ein komplexes Zusammenspiel von Farbe, Form und Bildraum. In ihren neuen Arbeiten sind es häufig von klar umrissenen Formen überlagerte Wellenformationen, die den Bildraum organisieren, ihm Tiefe, Bewegung und Dynamik verleihen.

Es werden ihre großformatigen Bilder aus den Jahren 2009–2012 gezeigt.

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Kairo, 2010, 240 x 160 cm

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Die Frage nach dem Verhältnis zwischen dem, was man sieht, dem, was der Künstler mit seiner besonderen Beobachtungsgabe, seiner Sensibilität und seinem ästhetischen Bewusstsein erkennt, und dem, was er gestaltet, hat bereits Künstler wie Cézanne und Klee tief beschäftigt, mit dem Ergebnis: Parallel zur Natur oder analog zu ihr schafft der Künstler oder die Künstlerin etwas gänzlich Neues und Unbekanntes. Unter den Bildern, die Tatjana Valsang für die Räume der Kunsthalle ausgewählt hat, rufen manche vielleicht Formen aus der Natur wie Vögel, Blüten oder Blätter in Erinnerung. Bevor der Betrachter sich auf völlig Unbekanntes einlässt – zu dem diese Bilder eigentlich einladen –, sucht er noch Hilfe bei benennbaren Formen aus Flora und Fauna. Denn wie ein Dichter sein Gedicht schreibt oder der Komponist sein Lied,

genau in dieser Weise setzt Tatjana Valsang als Malerin Farbe und Leinwand ein, um in ihrer Sprache Neues zu schaffen und der Welt damit etwas hinzuzufügen. Der polyfokale Raum, die geordnete Strichführung, die gegenläufige Bewegung, der Rhythmus, der lang gezogene Ton, die Melodie oder die amöbenartige Form, die den Betrachter durch unbekannte Räume geleitet – unversehens fühlen wir uns in eine Zwiesprache versetzt: Ich und das Bild. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog

Passage, 2011, 170 x 220 cm Öffentliche Führungen: Mittwoch, 27. März, 11.15 Uhr Samstag, 13. April, 16.00 Uhr Sonntag, 26. Mai, 11.30 Uhr Kosten 6 Euro inkl. Eintritt Von der Heydt-Kunsthalle im Haus der Jugend Barmen Tel. 0202 563 6231, Fax 0202 563 8091 Geschwister Scholl Platz 4 – 6 42275 Wuppertal

Tatjana Valsang. Maltext Texte von Martin Engler, Gerhard Finckh, Durs Grünbein und Kirsten Voigt. Deutsch/Englisch, 144 Seiten, ca. 40 Abbildungen StrzeleckiBooks, Köln im Buchhandel: 29,80 Euro, 42,– CHF im Museum: 20,– Euro

von-der-heydt-kunsthalle.de

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Artikel, 2002, 180 x 140 cm

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Die Vielfalt der Möglichkeiten Tatjana Valsangs „Archipel“ gibt der Phantasie Raum Das weite Feld der Kunst ist immer wieder für Überraschungen gut. Eine ganz besonders erfreuliche ist die Entdeckung des außergewöhnlichen Œuvres der Wuppertaler Malerin Tatjana Valsang, deren erste Museumsausstellung überhaupt der Leiter des Von der Heydt-Museums, Dr. Gerhard Finckh mit sicherem Blick für das Besondere an sein Haus geholt hat. Ab Sonntag sind in der Kunsthalle Barmen in einer von Dr. Beate Eickhoff kuratierten Werkauswahl 33 überwältigend schöne, großformatige Arbeiten zu sehen, die sich in bestechender Ästhetik jedem naseweisen Vergleich entziehen. Mit zwei Galerie-Präsentationen war die 1964 geborene Schülerin von Dieter Krieg erstmals vor zwei Jahren in die Öffentlichkeit gegangen, obwohl sie bereits über Jahrzehnte ihr Auge geschärft und ihre Technik vervollkommnet hat: „Ich übe ja noch“, äußert sie in charmanter Bescheidenheit. Nachdem Gerhard Finckh auf die solitäre Schönheit ihrer

Malerei aufmerksam wurde, Zitat: „… ihr scharfer Sinn für Qualität“, tritt sie nun in der seit über 100 Jahren der Moderne verpflichteten Kunsthalle mit ungemein effektiver zarter Wucht in die Spuren, die innovative Künstler wie Franz Marc, Alexej von Jawlensky, Emil Nolde, Adolf Erbslöh und August Macke dort gelegt haben. Tatjana Valsang malt mit großem, oft übergroßem Pinsel mit Acrylfarben auf großzügig dimensionierte liegende Leinwände. Die zwar konzipierten, doch beim Entstehungsprozeß eine Eigendynamik entwickelnden Bilder zeigen, was so noch kein Maler gezeigt hat, sie haben „… keinen Punkt, an dem man sich festhalten kann“ (Gerhard Finckh). „Ich bin oft selbst verblüfft“, kommentiert Tatjana Valsang ihre zauberhaften Bilder, deren Titel nicht unbedingt ein Schlüssel sind: Passage, Zug, Kahn, Transit, Sammlung, Barmen, Malsatz, Leutkirch, Stufen, Taj Mahal, Fuge, Archipel… Und doch, ein Bild, das „Sechs“ heißt, zeigt sechs Flächen. Zufall?

stammen, zeigt sich viel vom Wesen der Künstlerin, die sich als bemerkenswert uneitel, äußerst humorvoll, offen und liebenswert präsentiert. Die sinnliche Ästhetik und Heiterkeit von Werken wie Ostwind, Fuge, Forum, Archipel, Antrieb, Bergschatten und Hall geht unmittelbar auf den Betrachter über, sorgt für die Magengrube kitzelnde überraschte „Aaahs“, entzieht sich der Interpretation und macht, indem sie einfach nur schön ist, glücklich. Was wir in den letzten düsteren Monaten an Licht und Sonne vermißt haben, wird von Tatjana Valsangs Bildern kompensiert. Nur ein Grund, sich die Ausstellung unbedingt anzuschauen. Weitere Informationen: www.strzelecki-books.com Frank Becker

In den Eigenleben offenbarenden Arbeiten, die aus den letzten vier Jahren

Tatjana Valsang vor „Taj Mahal“ (2010) Foto: Frank Becker

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Himmel auf Erden Die Sammlung des Von der Heydt-Museums 14. April. bis 1. September 2013

Das Museum bleibt in Bewegung. Es zeigt immer wieder neue Ausschnitte aus seiner bedeutenden Sammlung. Jede Werkauswahl setzt andere Schwerpunkte: Einzelne Gemälde oder Skulpturen werden herausgestellt, selten gezeigte Schätze ganz besonders zur Geltung gebracht, wichtige Neuerwerbungen erstmalig präsentiert. Unterschiedliche Orte, neue Perspektiven, wechselnde Zusammenhänge gewähren überraschende Blicke auf die weltberühmten Highlights des Museums. Im Anschluss an die große RubensAusstellung ordnet sich das Von der HeydtMuseum neu. Im Frühjahr/Sommer 2013 konzentriert es sich ganz auf die Sammlung. Im Zwischengeschoss werden Highlights des 19. und frühen 20. Jahrhunderts gezeigt, im 1. Stock eine Auswahl Alter Meister von Dürer bis Goya und im 2. Stock wird neu präsentiert: „Himmel auf Erden“ − Kunst

August Macke, Mädchen mit dem Fischglas, 1914, Von der Heydt-Museum Wuppertal

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des 20. und 21. Jahrhunderts. Marc, Macke, Kandinsky, Munch, Kirchner, Beckmann – für die Kunst des Expressionismus ist die Von der HeydtSammlung bekannt. Auch die Kunst der 1920er Jahre ist mit weltberühmten Bildern wie Otto Dix, „An die Schönheit“ oder den „Industriebauern“ von Georg Scholz, die ebenfalls jetzt wieder im 2. Obergeschoss des Museums zu sehen sind, bestens vertreten. Darüber hinaus hat die Nachkriegsmoderne in Wuppertal immer viele begeisterte Anhänger gefunden, so dass die Museumssammlung durch Ankäufe, Schenkungen und Stiftungen stetig und außergewöhnlich erweitert werden konnte. Die aktuelle Präsentation legt hier einen zweiten Schwerpunkt: Neben den Highlights aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts werden bekannte Künstler des Informel, des Konstruktivismus und


der Farbmalerei gezeigt. Und viel Raum wird auch jüngsten Neuerwerbungen gegeben, dazu gehören Arbeiten von Bettina Pousttchi, Jan Albers, Daniel Lergon, Brad Downey. Das Von der Heydt-Museum unterstützt überdies mit 39 Leihgaben die Ausstellung „Von Buddha bis Picasso – Der Sammler Eduard von der Heydt“ (20.4.-18.8.2013) im Museum Rietberg Zürich. Ab Oktober 2015 wird die Ausstellung hier im Von der Heydt-Museum in Wuppertal zu sehen sein. Von der Heydt-Museum Turmhof 8, 42103 Wuppertal Telefon 0202 - 563 6231 von-der-heydt-museum@stadt.wuppertal.de Cornelius Völker, Hände, 2003, Von der Heydt-Museum Wuppertal, VG Bild-Kunst, Bonn 2013

Wassily Kandinsky, Riegsee – Dorfkirche, um 1908, Von der Heydt-Museum Wuppertal

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Verdis Maskenball in Wuppertal Sängerfest und solide Inszenierung Premiere am 24. Februar 2013 Weitere Aufführungen: am 2., 14., 22., 30. März, 7. April, 6., 8., 16., 22. Juni im Opernhaus Wuppertal

Kaum waren die ersten Takte des Vorspiels erklungen, da konnte man schon ahnen, dass die musikalische Qualität dieses Abends besonders hoch sein würde. Der Dirigent Florian Frannek begann zwar ungewöhnlich langsam, dadurch wurde aber fast leitmotivisch herausgestellt, welche Motive zu wem gehören. Die nervige Piccoloflöte ließ an der zu erwartenden Tragik keinen Zweifel, hier wie an vielen anderen Stellen wurden aber die Verbindungslinien zwischen den einzelnen Teilen

der Oper besonders deutlich gemacht. Das Vorspiel steht nicht für sich, sondern geht bruchlos in die erste Szene der Oper über, die Motive werden auch später wieder aufgenommen. Einerseits wurde auf diese Verbindungslinien geachtet, andererseits wird aber auch das Gegenteil klar: wenn z. B. in der Ulrica-Szene ständig Überraschungen vorkommen, Kontraste zwischen laut und leise, Dissonantem und Konsonantem, rhythmischen Prestound fast tempolosen Adagio-Passagen,

Melba Ramos, Kay Stiefermann linke Seite: vorne: Melba Ramos, Felipe Rojas Velozo hinten: Chor, Extrachor und Statisterie der Wuppertaler Bühnen

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ernsten und lustigen Abschnitten, so wird das, was in der Musik steckt, konsequent aufgenommen und sinnfällig dargestellt. Ein großes Lob also für Florian Frannek und das Wuppertaler Orchester. Hervorragend waren auch die Leistungen der Sänger, allerdings mit einer Einschränkung. Der Sänger des Riccardo, Felipe Rojas Velozo, war, wie vorher angesagt, erkältet, hielt aber sein Rolle durch, obwohl er einige Passagen oktaviert singen musste, ließ aber an etlichen Stellen doch hören, dass er gesund den Genuss des Gesanges noch weiter erhöht und damit abgerundet hätte. In den weiteren Aufführungen wird er dies sicher tun. Melba Ramos als Amelia, vielen Wuppertalern noch als äußerst beliebtes ehemaliges Ensemblemitglied in Erin-

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nerung, erhielt für ihre Leistung schon bei ihrem ersten fulminanten Auftritt, und später noch mehrfach, Szenenapplaus. Überzeugend ebenso Zdravka Ambric als Ulrica, mit besonders faszinierenden tiefen Tönen. Mehrfachen Szenenapplaus erhielt auch Kay Stiefermann als Renato, der als Warner und Rächer viele Forte-Stellen zu singen hatte, aber im ersten Bild des 3. Aktes besonders durch seine nuancenreichen Pianostellen überzeugte. Die Naivität und fast nervige Fröhlichkeit des Pagen Oskar, der nichts kapiert von der Tragik der Ereignisse, war sängerisch und darstellerisch bei Elena Fink in besten Händen. Auch die kleineren Rollen, so als Verschwörer Martin Js. Ohu und Olaf Haye, und, besonders auffallend, Miljan Milovic als Matrose waren hervorragend besetzt. Der Chor, verstärkt durch

den Extrachor, war ein ebenso großer Garant für die hohe musikalische Qualität wie das Orchester. Die Inszenierung, durch Opernchef Johannes Weigand, war eher kammerspielartig, betonte die kleinen Gesten, war aber z. T. doch eher statisch, wobei zugute zu halten ist, dass, zumindest in den ersten drei Bildern, eher wenig Gelegenheit zu großer Aktion zu finden ist. Die Typisierung der Personen ist aber gelungen und nachvollziehbar, besonders deutlich bei Riccardo, wo die leicht arrogante Leichtlebigkeit und der damit verbundene Glaube an seine Unverletzlichkeit sehr schön ausgespielt wird. Immerhin werden die wenigen Möglichkeiten zur Aktion ausgenutzt, wenn etwa im ersten Bild der Page Oskar den sturen Oberrichter, der Ulrica ausweisen lassen will, in sei-


ner Verteidigung gestisch nachäfft. Im zweiten Bild werden die sich ständig ändernden Vorgaben der Musik vor allem durch die Personenregie ausgedrückt. Szenisch reichhaltiger sind die beiden letzten Bilder gestaltet, dort passiert ja auch viel mehr als im ersten Teil. Sehr gelungen ist die Tanzszene im letzten Bild, in der auch fünf Musiker des Orchesters auf der Bühne erscheinen und als Banda zum Tanz aufspielen. Dass Weigand aber auch hier nicht auf Aktionismus setzt, zeigt die Szene direkt nach dem Attentat, wenn der Chor nicht chaotisch durcheinander läuft, sondern sich sorgsam in zwei Reihen aufstellt, während der Musikmeister mit einem großen Taktstock die Musiker zum Weiterspielen anhält. Das Bühnenbild von Moritz Nitsche ist minimalistisch karg, vor allem im

ersten Teil. So bleibt der Friedhof im dritten Bild nur als große graue Treppe in Erinnerung. Im zweiten Teil wird dagegen häufiger und erhellender mit Lichtregie gearbeitet. So verliert das Grün des Vorhanges in den ersten Szenen des dritten Aktes immer mehr die Farbe, je mehr der Mordplan Gestalt annimmt, und im letzten Bild wird sehr geschickt mit rotem Licht in unterschiedlicher Form gearbeitet. Erst in der letzten Szene wird klar, dass die „amerikanische“ Fassung der Oper gespielt wird. Die sehr kreativen Kostüme (Judith Fischer) verlegen sie in jedem Fall in das 18. Jahrhundert. Wo die Oper spielt, scheint aber nicht so wichtig, weil es auf die Geschichte und die Darstellung der Gefühle ankommt.

Also: Kammerspielartige Inszenierung, ein Fest der Stimmen und eine intelligente, sinnfällige musikalische Darstellung! Äußerst empfehlenswert!

Fritz Gerwinn Fotos: Uwe Stratmann

linke Seite: v.l.n.r. Olaf Haye, Kay Stiefermann, Martin Js. Ohu unten: v.l.n.r.: Elena Fink, Felipe Rojas Velozo, Kay Stiefermann

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Bilder einer Ausstellung Jubiläumskonzert des Sinfonieorchesters Wuppertal mit Abonnenten in der Historischen Stadthalle

In diesem Jahr begeht das Sinfonieorchester Wuppertal das 150. Jahr seiner Gründung. Bemerkenswert, dass das Orchester also älter ist als die Berliner Philharmoniker (gegründet 1882) oder auch als die Essener Philharmoniker (gegründet 1899). Zur Geschichte des Orchesters hat Werner Wittersheim, Leiter der Programmgruppe Musik beim WDR 3, in den Programmen der Sinfoniekonzerte dieser Saison und auch im Jubiläumsband interessante Beobachtungen mitgeteilt. Aus Anlaß des Jubiläums in Wuppertal fand am 2. Februar 2013 ein in seiner Art einzigartiges, sensationelles Konzert statt. Das Orchester hatte nämlich seine Abonnenten eingeladen, mit ihm gemeinsam zu spielen. Ca. 60 Musiker aus Kreisen der Abonnenten hatten seit November 2012 zusammen mit den Musikern des Sinfonieorchesters zunächst unter der Federführung Tobias Deutschmanns die „Bilder einer Ausstellung“ von Modest Mussorgsky in der farbigen Orchesterfassung von Maurice Ravel erarbeitet.

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Am Konzertabend erlebte das äußerst interessierte Publikum in der gut besetzten Historischen Stadthalle Wuppertal zunächst eine Probe unter Chefdirigent Toshiyuki Kamioka. Seine lebendige Mimik und intensive Gestik wurden auf eine Großleinwand übertragen und - für jeden hörbar - seine Kommentare zu Werk und Aufführungspraxis über Mikrophon in den Saal übertragen. Dabei wurde die Zahl der Luftnoten, mit denen der erfahrene Dilettant zunächst durch die Hektik der vertrackten Orchesterstimmen hastet, bald vermindert. Nach der Pause erlebten die Konzertbesucher, unterbrochen von sachkundigen Hinweisen des Schlagzeugers Martin Schacht zum Werk und ergänzt durch die Projektion der musikalisch dargestellten Bilder, das ganze Werk mit den 150 Musikern. Herrliches Blech (Gänsehaut in den Katakomben), flinke, flotte, hörbar gackernde Holzbläser beim Tanz der Küken, erschütterndes Pianissimo der Geigen im Gespräch der Toten und nach dem wilden Tanz der Baba Yaga dann der mächtige Choral im „Großen Tor von Kiew“. Da hielt es das Publikum, das immmer wieder bereits Zwischenapplaus gegeben hatte, nicht auf den Sitzen, man gab anhaltende stehende Ovationen. Das Konzert spiegelte zwischen Traditionspflege und Musikvermittlung in seiner Resonanz die Bedeutung eines Sinfonieorchesters für die Stadtgesellschaft am positiven Beispiel Wuppertals (siehe auch die Beiträge von Lutz-Werner Hesse und Michael Okroy im Jubiläumsband). Ein großer Abend. Johannes Vesper Fotos: Karl-Heinz Krauskopf Redaktion Frank Becker

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Im Jazz muss man sich selbst finden Der Saxophonist und Komponist Wolfgang Schmidtke

Das Pferd mit Wolfgang Schmidtke beim 10. Wuppertaler Jazzmeeting 2012

Zum 65. Geburtstag seines Kollegen Peter Brötzmann hat Wolfgang Schmidtke ein Stück geschrieben, in welchem vierzehn Musiker nach einem auskomponierten Notentext spielen, während der Solist improvisiert. Schon diese Komposition zeigt, dass weniger einzelne Gattungen und Stilarten den Saxophonisten und Komponisten Wolfgang Schmidtke fesseln, als gerade die Zwischentöne und die Zwischenwelten. In der Musik ist es z.B. das Oszillieren zwischen Notation und Improvisation, zwischen Ton und Geräusch. Die Freude am Experiment mit künstlerischen Disziplinen und musikalischen Stilarten, Vielseitigkeit und Offenheit sind charakteristisch für die Arbeit dieses Künstlers: „Ich neige nicht zur Dogmatik, für mich ist Karl Poppers Gedanke ‚Lasst Ideologien anstelle von Menschen sterben’ sehr wichtig, diese Idee findet in der Kunstwelt viel zu wenig Beachtung.“ Folglich bleibt Schmidtke nicht nur beim Jazz. Gemeinsam mit der Künstlerin Christine Haller erdachte er anlässlich der Eröffnung des neuen Konzertsaales für die Wiener Sängerknaben eine Art Gesamt-

kunstwerk: Die Künstlerin errichtete aus Baumaterialien wie Bauschutt, Metallen oder Glassplittern ein großes Portal, in welchem vier Lautsprecherpaare so installiert waren, dass die Konzertbesucher, während sie es passierten, zunächst Baustellengeräusche wie Bohren und Hämmern hörten, die allmählich rhythmisiert und schließlich in Klänge transformiert wurden, bis als Steigerung die Singstimme der in Wuppertal lebenden farbigen Jazzsängerin Brenda Boykin hinzutrat. Für diese Klangcollage hat Schmidtke zum ersten Mal elektronische Mittel verwendet. Er selbst spielte in diesem Stück sein zweites Instrument, die Bassklarinette. Und der zahlreichen Wuppertalern als Schauspieler in Erinnerung gebliebene Jörg Reimers hat als begeisterter Hobbyschreiner beim Aufbau geholfen! Seit fünf Jahren leitet Schmidtke gemeinsam mit dem Schlagzeuger Peter Weiss den „Jazz Pool NRW“. Auch in diesem Projekt arbeitet der Musiker flexibel und undogmatisch. Er komponiert und arrangiert Stücke für jährlich neu zusammengestellte Ensembles aus wechselnden Partnerländern in ganz Europa. Damit entspricht er genau der

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Tradition des Jazz, der von Anfang an ein Melting Pot aus verschiedenen Nationalitäten und musikalischen Stilarten gewesen ist. Nur geht diese Bewegung nicht von Amerika nach Europa, sondern die erarbeiteten Projekte werden in verschiedenen Ländern des Kontinents aufgeführt: „Da reisen wir weit herum. Wenn die Leute hören, dass wir aus Wuppertal kommen, treffen wir sofort auf offene Ohren, weil Wuppertal international als Stadt des Jazz gilt. Als ich in Lissabon das Theater Sao Luiz betrat, sah ich dort als erstes eine Fotografie von Pina Bausch!“ Bis heute ist Schmidtke dem ehemaligen Generalintendanten der Wuppertaler Bühnen, Holk Freytag, verbunden, für den er seit fünfzehn Jahren Bühnenmusiken schreibt. Freytag ist Leiter der Festspiele in Bad Hersfeld. Er hat den Musiker beauftragt, für die Festspiele in Bad Hersfeld 2013, William Shakespeares „Der Sturm“ als Musical zu vertonen, das Mitte Juni uraufgeführt werden soll. Die Textfassung erstellt der ehemalige Theaterdramaturg der Wuppertaler Bühnen, Gerold Theobald. Das ist nicht das erste Musical, bereits 2010 hat Schmidtke „Carmen – ein deutsches Musical“ für die Festspiele in Bad Hersfeld geschrieben, Judith Kuckart hat dazu den Text verfasst. Das sind nur einige wenige Beispiele für das vielfältige Schaffen von Wolfgang Schmidtke. Immer wieder ist Wuppertal der Angelpunkt. Dabei stammt der Musiker aus dem Sauerland; schon als Kind spielte er Klavier, Posaune und E-Gitarre. Wie damals üblich war die Ausbildung klassisch, doch die jugendliche Begeisterung galt der Rockmusik, besonders Jimi Hendrix hatte es ihm angetan. Doch dann kam das Schlüsselerlebnis: „Ich war 15 Jahre alt, als ich in einer Radiosendung von Joachim Berendt (Das Jazzbuch) „My Favorite Things“ von John Coltrane hörte. Am nächsten Tag bin ich in ein Musikaliengeschäft gegangen und habe meine E-Gitarre in ein Alt-Saxophon umgetauscht.“ Die Eltern hatten nie Zweifel hinsichtlich der musikalischen Vorlieben des Sohnes. Dieser verdankt seiner Klavierlehrerin, einer Kantorin, Entscheidendes, denn sie trug dem Schüler auf, jede Woche eine neue oben: Wolfgang Schmidtke mit Gunnar Plümer unten: mit Channel Crossing

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Kadenz in einer anderen Tonart zu komponieren. Wahrscheinlich war damit die Basis für den späteren Komponisten Wolfgang Schmidtke gelegt: „Heute ist die sogenannte Musiktheorie sehr unbeliebt, doch sie ist unerlässlich zum Verständnis der Architektur von Musikstücken.“ Wolfgang Schmidtke studierte zunächst in Münster Musikwissenschaften. Dann lernte er Axel Jungbluth kennen, der in Boston Jazz studiert hat und Verfasser der ersten deutschsprachigen Harmonielehre für Jazz ist. Da Jungbluth an der Musikhochschule Wuppertal lehrte, wechselte Schmidtke in diese Stadt: „Hier lebe ich noch immer sehr gern!“ Für den Komponisten Schmidtke dürften die von der Klavierlehrerin aufgegebenen Kadenzen eine wichtige Grundlage gewesen sein, für den Jazzmusiker war es die Begegnung mit „My Favorite Things“ von John Coltrane. Im Jazz kommt es in erster Linie auf den ganz persönlichen Ausdruck, die individuelle Tongebung, oder, wie man es nennt, das spezielle Feeling des Interpreten an. „Einem Orchestermusiker ist es vergleichsweise ziemlich klar, wie ein Ton klingen muss, das Klangmaterial ist zu 90% durch die Tradition definiert. Der Jazzmusiker muss für sich selbst herausfinden: Wie willst du klingen? Dazu kann man sich z.B. mit dem Instrument vor eine Wand stellen und einen bestimmten Ton aushalten, um dessen klanglichen Schattierungen auszuprobieren. Große Jazzmusiker wie Louis Armstrong oder Miles Davis erkennt man nicht an einer Phrase, sondern daran, wie sie einen einzigen Ton gestalten. Wenn ich nicht so klinge, dass man mich von allen anderen unterscheiden kann, habe ich keine Chance. In der Improvisation spielt man so, wie man in diesem Augenblick kann und will, nur so steigert sich das Niveau.“ Wie kein anderer Stil erlaubt der Jazz dem Interpreten so eminent viel Freiheit zur Gestaltung des Klanges, und der ist Wolfgang Schmidtke am wichtigsten. „Das Instrument ist gleichsam die Verlängerung der eigenen Stimme und damit der Seele. Wenn ich den Wunsch habe, mich durch Töne zu äußern, dann liefert die eigene Stimme die höchste Intensität des Ausdrucks. Wenn ich die nicht in der Stimme habe, kann ich sie auch nicht auf das Instrument übertragen. Wolfgang Schmidtke mit Peter Brötzmann

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So lasse ich meine Schüler Melodien, die sie nicht verstanden haben, singen, dann spüren sie, wo sie atmen müssen. Auch wir Musiker verständigen uns singend – ohne Singen ist keine Kommunikation möglich.“ Für das Saxophon hat Schmidtke sich durch John Coltrane erwärmt. „Dieses Instrument ist besonders obertonreich und daher hell und laut, es kann sogar aggressiv klingen. Die Bassklarinette ist dagegen wunderbar warm.“ Seit dreißig Jahren arbeitet Wolfgang Schmidtke immer wieder mit dem Sinfonieorchester zusammen, nicht nur als Orchestermusiker. Besonders gern erinnert er sich an die Saisoneröffnung 1999, als im Rahmen von „Jazz Meets Classic“ das „Concerto for Jazzband and Orchestra“ von Rolf Liebermann unter der Leitung von George Hanson aufgeführt wurde, und Schmidtke und seine Bigband gemeinsam mit dem Sinfonieorchester der Stadt Wuppertal musiziert haben. Seit 1997 leitet Wolfgang Schmidtke das „Nachtfoyer“: „Als ich jung war, gab es noch keine Hochschulen, an denen Jazz gelehrt wurde, sondern man fuhr zu Workshops. Mein erster Jazz-Workshop

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war in Dortmund, geleitet hat ihn Peter Kowald. Da war ich noch Schüler und lebte im Sauerland. 1997 haben Peter Kowald und ich dann beim allerersten „Nachtfoyer“ im Schauspielhaus Wuppertal gespielt – ausschließlich Stücke von John Coltrane. Die Grundidee für das „Nachtfoyer“ ist, Konzerte zu kreieren, die nur an diesem Abend, an diesem Ort stattfinden.“ Hier treten bekannte nationale und internationale Jazz-Musiker auf. Wenn Wolfgang Schmidtke den Abend gestaltet, komponiert er für dieses jeweilige Konzert das gesamte Programm! Seit 2003 ist Wolfgang Schmidtke Vorsitzender der Peter Kowald Gesellschaft. „Der Kontrabassist Peter Kowald hatte die Gabe, Menschen zu motivieren und zusammenzubringen, er war ein Künstler, der vorbildhaft Grenzüberschreitungen gelebt hat, und deshalb ist die Arbeit im ‚Ort’ so wichtig für uns alle.“ Der Künstler Tony Cragg hat der Peter Kowald Gesellschaft für eine Ausstellung Mappen mit Lithographien „Das Waldzimmer“ zur Verfügung gestellt, deren Erlös der Gesellschaft zugedacht ist. Auch an diesem Beispiel zeigt sich, wie bereichernd im schönsten Sinne die Kunstszene in Wuppertal ist.

Wenn Ende dieser Spielzeit das Schauspielhaus endgültig geschlossen werden wird, gibt es bis zur Eröffnung einer neuen Spielstätte Überlegungen zu einem anderen Spielort für das beliebte „Nachtfoyer“. Der Künstler bleibt positiv „trotz des enormen Kulturverlustes durch den Tod von Pina Bausch und das Debakel um die Schließung des Schauspielhauses.“ Kaum jemand könnte besser beurteilen als er, wie stark und wie vernetzt die Kulturszene dieser Stadt inzwischen ist, „zumal sich hier, obgleich oder gerade weil geographisch zwischen Ruhrgebiet und Nordrhein-Westfalen isoliert, ein sehr eigenständiger kreativer Geist entwickelt. Das sollte man nicht nur im Ausland zur Kenntnis nehmen“, meint Wolfgang Schmidtke. „Im Jazz muss man sich selbst finden“, doch gerade in der Freiheit, deren musikalischer Ausdruck der Jazz ist, kann man auch den anderen finden. Marlene Baum Fotos: Karl-Heinz Krauskopf

Auftritt mit: Bert Fastenrath, Harald Eller und Peter Weiss


Wolfgang Schmidtke (* 24. Dezember 1956 in Lüdenscheid) Schmidtke erhielt ersten musikalischen Unterricht am Piano, mit 16 Jahren kam das Saxophon dazu. Nach dem Abitur studierte er zunächst Musikwissenschaft an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster; er wechselte dann an die Hochschule für Musik Köln, Standort Wuppertal, wo er Saxophon studierte. Zunächst spielte er in einem Improvisationsensemble um Harald Bojé; dann wirkte er in der Fusionjazz-Band „Das Pferd“, die unter anderem mit Harry Beckett, Marilyn Mazur, Chris McGregor sowie Peter Kowald zusammenarbeitete, und unternahm Tourneen mit Ginger Baker, Randy Brecker, Horace Parlan, John Lindberg und Bobby McFerrin, aber auch mit Georg Danzer, Lydie Auvray, Karlheinz Stockhausen und sinfonischen Orchestern. 1998 gründete er das „Wolfgang Schmidtke Orchestra“, das unter anderem mit Markus Stockhausen, Lee Konitz, Steve Lacy und Alexander von Schlippenbach arbeitete. Weiterhin spielt er im Projekt „African Sketchbook“ (unter anderem mit Arkady Shilkloper). Als Komponist und Produzent wirkte er an fünf CDs des Essener Sängers Tom Mega mit. Für den WDR organisierte Schmidtke eine Reihe von Produktionen, deren übergeordnetes Konzept die Verbindung von Genres und Stilistiken ist, die normalerweise nicht kombiniert und zusammen präsentiert werden: Beispielsweise die Gegenüberstellung eines gemischten Chores mit einem Bläserensemble und einem Perkussionisten im Rahmen des Rheinischen Musikfestes 1989 oder die Produktion „Tango Westfalica“, eine Verbindung von mittelalterlichen Musiken mit der Welt des Tango, an der Hans Reichel, Stephan Meinberg, Achim Fink und Christian Thome mitwirkten (2005). 2008 komponierte er ein dreisätziges Septett für Klavier und Streicher, dessen Klavierpart von Simon Nabatov bestritten wurde. 2010 schrieb er die Musik zu „Carmen - ein deutsches Musical“. Schmidtke unterrichtete Saxophon und Jazzimprovisation am Fachbereich Wuppertal der Musikhochschule Köln. Seit 2002 ist er künstlerischer Leiter des Wuppertal Musikfests „Die 3. ART“ und des „Nachtfoyers“, des musikalischen Nachtprogramms der Wuppertaler Bühnen. Weiterhin ist er der Vorsitzende der Peter Kowald Gesellschaft.

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Projekt Moving Art Box Die Künstlergruppe 6PACK startete im März 2012 ihr aktuelles Projekt MOVING ART BOX und lud Künstler in ganz Europa ein, auf die allein reisende Kunstkiste zu reagieren. Nach über einem Jahr kehrt nun die 1 m³ Kunstkiste an ihren Ursprungsort Wuppertal zurück.

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Gestartet in Wuppertal mit 17 Künstlern aus den Sparten Bildende Kunst, Musik, Film und Tanz ging die Reise über Sunderland /GB, Bedburg-Hau/D, Amsterdam/NL, Otterlo/NL, Antwerpen/B, Gießen/D, Cala Figuera, Mallorca/E und Wroclaw/PL. Erlaubt und gewünscht war, in vielfältiger Weise auf die Kunstkiste und deren Inhalt zu reagieren. Allen beteiligten Künstlern ging es um die Idee des gemeinschaftlichen künstlerischen Agierens und Kommunizierens, der Auseinandersetzung über künstlerische Prozesse, Impulse aufzunehmen, neue weiterzugeben, zu experimentieren.

Die Abschlusspräsentation vom 26. April bis 12. Mai 2013 im Neuen Kunstverein Wuppertal führt nun erstmalig die beteiligten Künstler und die Kunstkiste zusammen, dazu reisen über zwanzig europäische Künstler aus ihren Heimatländern an. Mit einem umfangreichen Programm wird ein Querschnitt der unterschiedlichen Beiträge vorgestellt und Möglichkeiten und Grenzen der gemeinsamen (Weiter)Entwicklung künstlerischer Strategien befragt.


linke Seite: Studenten der Justus-Liebig-Universität Gießen arbeiten zur Kunstkiste mit fotografischen Mitteln (Foto: Marcus Recht) unten: Moving art box – die Kunstkiste in Künstlerhand (Foto: Michael Odenwaeller)

Neben skurrilen, witzigen Vorgehensweisen, fantasievollen Aktionen, provokativen Eingriffen, fotografischen Experimenten, Film- und Soundprojekten, gibt es auch die leisen, intensiven Töne, überraschende neue Arbeiten, die erst durch die Ankunft der Kunstkiste angeregt und nun in Wuppertal erstmals vorgestellt werden. MOVING ART BOX war eine Herausforderung, der sich die über 80 beteiligten Künstlerinnen und Künstler mit Mut und Freude gestellt haben. MOVING ART BOX hat im wahrsten Sinne viel bewegt. Auf der projekteigenen Website

können umfangreiche Informationen zu dem bisherigen Verlauf der Reise und zu den beteiligten Künstlern eingesehen werden. www.movingartbox.de

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linke Seite: In seinem Atelier in Antwerpen baute der Künstler Mark Swysen eine Installation als Antwort auf die Kunstkiste (Foto: Mark Swysen) unten links: Moving art box in Amsterdam – kleed (Foto: Guda Koster) rechts oben: Moving Art Box – die Kunstkiste in England (Foto: Jörg Lange). rechts unten: Moving art box – Zwischenstopp (Foto: Michael Odenwaeller).

Eröffnung Freitag 26. April 2013, 19 Uhr Neuer Kunstverein Wuppertal, Hofaue 51, 42103 Wuppertal Öffnungszeiten: Mi – Fr 17 – 20 Uhr, Sa – So 15 – 18 Uhr www.neuer-kunstverein-wuppertal.de Es gibt im öffentlichen Stadtraum Kunstaktionen von den Künstlern (aktuelle Ankündigung beachten). Großzügig gefördert wurde dieses Projekt von der Sparkassen-Stiftung der Rheinlande, der Jackstädt-Stiftung, der Stadtsparkasse Wuppertal, dem Kulturbüro der Stadt Wuppertal, von Karoline Becker, i.i.d.open. In Zusammenarbeit mit dem Internationalen Begegnungszentrum Caritasverband Wuppertal/Solingen e.V., Freundschaftsverein Liegnitz/Legnica e.V.

Verantwortliche Künstler: Wuppertal Künstlergruppe 6PACK, Regina Friedrich-Körner, Renate Löbbecke u. a.) – Sunderland Lothar Götz, James Hutchinson – Bedburg-Hau Claus van Bebber, Marijke Schlebusch Amsterdam Guda Koster – Otterlo Marian Mijnhardt – Antwerpen Mark Swysen – Gießen Carl-Peter Buschkühle, Marcus Recht – Cala Figuera Peter Marquant, Josefina Pino – Wroclaw Dagmara Angier-Sroka, Bartlomeij Sroka Kontakt: Regina Friedrich-Körner 0202 4698160 und Renate Löbbecke 0202 86038

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Immer wieder neu Historische Parkanlage Hardt Die Hardt ist eine der bekanntesten Parkanlagen in Wuppertal, die viel Platz für unterschiedliche Aktivitäten bietet. Beinahe alle suchen sie gern auf: Junge wie Alte, Botaniker und Blumengucker, Promenierende und Jogger, Hundeausführer und Wiesenbelagerer, Cafébesucher und Musikfans, Bergbesteiger und Busbenutzer.

Neue Hardt: Liegewiesen auf dem Rücken des Berges

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Als große Grünfläche inmitten der Stadt steht die Hardt unter Landschaftsschutz, die Hardthöhlen stehen unter Naturschutz. Wegen ihrer historischen Bedeutsamkeit ist die Anlage außerdem als Baudenkmal geschützt, übrigens bislang als einziger Park Wuppertals. Die 54 ha große Anlage birgt beachtlichen gartenkünstlerischen und stadthistorischen Reichtum. Immer wieder wurde der Park erweitert, aktuellen Bedürfnissen angepasst und hat neue gestalterische Impulse erfahren. Schon der erste Blick in die Geschichte des Parks zeigt, dass das Neue hier so einige Vorgänger hat. Abgekürzt lautet die Bilanz der Geschichte: Alte Hardt, Alte neue Hardt, Neue Hardt und Neuer Garten auf der Hardt. Hinter der prosaischen Namensgebung verbergen sich große räumliche, stilistische und soziale Veränderungen. Bemerkenswert neu war einmal die Anlage eines Parks auf dem Gelände, das Anfang des 19. Jhs. in einem Zustand war, den man heute als Brache bezeichnet. Die Wertigkeit des Ortes befand sich damals auf dem Tiefpunkt. Der einstige Bergwald, den der Name „Hardt“ bezeichnet, war abgeholzt. Eine kahle Öde außerhalb der Stadt war geblieben, schlecht genug für Schindanger und Ziegenweide. Übrig war der Fels, den die Bürger in mehreren Steinbrüchen abbauten. Um 1800 handelte es sich bei der Hardt also um ein wüstes Gelände ohne positives Image. Dann kam die erste Runde der Erneuerung: Der Wundarzt Johann Anton Stephan Diemel stellt 1807 im Stadtrat den Antrag, gerade hier eine Promenade anzulegen. Der Magistrat stimmt zu, und Diemel sammelt erfolgreich Geld. Während es andernorts die Fürsten waren, die den Bürgern Zutritt zu ihren Gärten gewährten, schafften sich die Elberfelder aus eigener Kraft einen Park. Die wenigen Vermögenden jener Zeit waren offenbar trotz hereinbrechender Kontinentalsperre willig, einen Bürgerpark zu finanzieren. Schon wenige Jahre später berichtet ein Reisender: „Aber man hat dort kunstvoll, und ich sage durchaus auch mit Geschmack, mehrere Rundwege angelegt, damit sich hier an den Sonntagen jene zahlreichen Grüppchen von ehrbaren und arbeitsamen Familien treffen können, die herkommen, um den Anblick des von ihnen selbst geschaffenen Werkes zu genießen, um ihren Kindern die Häuser, die Gärten, die

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Rasenplätze, die Werkstätten, die Fabriken und Geschäftshäuser dieses gewerbetreibenden Volkes zu zeigen, das auf eigne Rechnung arbeitet und das eines Tages von seinen Kindern wiederum Sorgfalt, Umsicht und vorbildhaftes Verhalten verlangen wird.“ (Sokolnicki 1810) Was Diemel tat, nennen wir heute bürgerschaftliches Engagement. Im 19. Jh. wurde es eine Stärke Wuppertals und lief „im Grünen“ zu Höchstform auf. Bevor staatliche oder kommunale Wohlfahrtseinrichtungen existierten, erfanden Elberfelder Bürger so Einiges, das wir inzwischen als öffentliche Aufgabe zu betrachten gewohnt sind. Der Begriff Frühindustrialisierung deutet in Kürze den Hintergrund dafür an. Bei der vergleichsweise frühen Entstehung industrieller Strukturen sammelte sich im Tal erheblicher Reichtum und zugleich überdurchschnittlich große Armut. So wuchs auf der einen Seite die Notwendigkeit von Fürsorge für diejenigen, auf deren Schultern der Wohlstand der anderen lastete. Auf der anderen Seite drängte das Bürgertum nach Darstellung seiner Potenz, die politisch noch hinter der tradierten Stellung des Adels zurückstand. Sozialistische Ideen waren kaum im Spiel, als die führende Klasse öffentliches Grün für jedermann einführte und auf eigene Kosten finanzierte. Um es zusammenzufassen: Neu in der ersten Phase der Hardt ist die Schaffung einer öffentlichen Parkanlage und das bürgerschaftliche Engagement, dem sie sich verdankt. Der Anlagenteil, der damals entstand, erhielt in der nächsten Phase den Namen Alte Hardt. Die zweite Runde der Erneuerung vergrößerte das Parkgelände nämlich um die „Neue Hardt“. Auch sie fußte wesentlich auf bürgerschaftlichem Engagement, doch nun war es bereits organisiert: Initiative und Geld brachten der Elberfelder Verschönerungsverein und der eigens gegründete Hardtverein mit. Es waren reiche Vereine, in denen demokratische Gepflogenheiten so selbstverständlich waren, wie die Tatsache, dass Fabrikanten und Bankiers den Ton angaben. Vorreiter im Tal war 1863 der Barmer Verschönerungsverein gewesen. Die Elberfelder holten 1870 auf und gründeten ebenfalls einen Verschönerungsverein, der mit Entschlossenheit die Höhenzüge um die Stadt als Freiraum sicherte und begrünte. Im Tal explodierte

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Elisenturm

Elisenhöhe - Villa Eller mit Kriegsschäden

Alte neue Hardt - Heinrich Siesmayers gestaltete das schwierige Gelände


Elisenturm - Ausblick

Botanischer Garten

Neuer Garten auf der Hardt - Neue Mitte der Parkanlage

die Bevölkerung - sie verzehnfachte sich seit 1800 fast -, die hygienischen Verhältnisse waren katastrophal. Die Betuchteren zogen an den Stadtrand, wo Neubauviertel bessere Luft und grünes Ambiente versprachen. Auch dem Proletariat wurde - bei anständigem Benehmen - wochenendliche Erholung in der Natur inklusive „Luftkur“ angeboten. Die in kürzester Zeit in Angriff genommenen Wald- und Parkanlagen sind von einem Umfang, der deutschlandweit einmalig sein dürfte. Selbstverständlich engagierte sich der Elberfelder Verschönerungsverein auch auf der Hardt. In gemeinsamer Anstrengung mit dem Hardtverein und der Stadt Elberfeld wurde die Größe der Parkanlage vervielfacht. Mit der Gestaltung der „Neuen Hardt“ beauftragte man einen der meist beschäftigten Gartenarchitekten dieser Zeit, den bekannten Heinrich Siesmayer. Er schaffte einen Landschaftsgarten, der weite Wiesen, geschwungene Wege und frei wachsende Bäume meisterlich in das topografisch komplizierte Terrain hineinkomponierte. Der Stil der Zeit verlangte allerdings mehr: Zum historistischen Landschaftsgarten gehören neben den unregelmäßigen oder englischen Anlagen auch solche, die regelmäßig gestaltet sind und an den französischen Stil des Barockgartens anknüpfen. Ort dieser Gestaltung auf der Hardt war das „Bergische Haus“, das den einfachen Biergarten mit Ansprüchen der vornehmen Gesellschaft verband. Es bildete das Zentrum der Parkanlage und darf getrost mit dem adeligen Schloss verglichen werden. - Bürgerliche Selbstdarstellung lehnte sich noch immer an adelige Repräsentationsformen an. - Siesmayer positionierte das „Bergische Haus“ am Hang mit Blick über Elberfeld. Üppig, reich ornamentiert und bunt muss man sich die so genannten „Teppichbeete“ vorstellen, die es umgaben. Die Wirkung des Baus erhöhten drei vorgelagerte Terrassen, die durch Treppen und Kutschenvorfahrt verbunden waren. Neu in der zweiten Phase der Hardt war die Tätigkeit der Verschönerungsvereine mit ihrer großflächigen Sicherung der noch unbebauten Hangflächen, die man bald als „grünen Kranz“ um das Tal bezeichnete. Die Verschönerungsvereine bereiteten die grünen Aufgaben vor, die um die Jahrhundertwende die kommunale Verwaltung übernahm. In der dritten Runde der Erneuerung legte Stadtgärtner Thomas Ruprecht auf

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Nachbargrundstücken einen Schulgarten und die Stadtgärtnerei an. Die Ulmen gesäumte Reichsallee führte nun vom Park nach Barmen. Auf der Grenze beider Städte entstand 1907 der Bismarckturm, mit dem der Denkmalskult in seinen nationalistischen Zenit trat. Erstmals fanden Spielplätze in den Parkplänen Berücksichtigung. Julie EllerVogdt stiftete auf einem ihrer angrenzenden Grundstücke das Bürger-Krankenhaus, auf einem anderen gründete sich der private „Hardt Tennis-Club“. Wenig später zog im ehemaligen Privatgarten Eller der zum Botanischen Garten qualifizierte Schulgarten ein. Neu in der dritten Phase der Hardt war die Differenzierung der Nutzung. Nicht mehr nur Sehen und Gesehen werden, Promenieren und Aussicht genießen, bildeten die Aufgaben der Grünanlage. Hinzu trat eine ganze Palette von Funktionen: Belehrung und Gartenbau, Verkehr und politische Symbolik, Gesundheit, Spiel und Sport. Neu war auch der Übergang planerischer und gestalterischer Aufgaben an einen Stadtgärtner, der sich später Gartenbaudirektor nannte. Die vierte Runde der Erneuerung brachte wieder eine „Neue Hardt“. Nach Beseitigung der großen Schäden aus dem 2. Weltkrieg folgte die Einbeziehung des Höhenrückens in die Parkanlage. Die Hardt reichte nun bis zum Bismarckturm und schloss damit an den Hardtbusch, einen Waldrest am Unterbarmer Südhang, an. Rechts und links der Reichallee entstanden Liegewiesen mit wunderbaren Ausblicken zu beiden Seiten. Auf dem Gelände des früheren Schulgartens wurde der Rosengarten angelegt, der die Verbindung zwischen der Neuen Hardt und der Alten neuen Hardt herstellte. Neu in der vierten Phase der Hardt war der Verlust des gesellschaftlichen Zentrums durch die Kriegszerstörung des „Bergischen Hauses“, auf dessen Wiederbau verzichtet wurde. Ebenso musste die Hardt jetzt ohne bürgerschaftliches Engagement auskommen. Hardtverein und Elberfelder Verschönerungsverein waren durch die nationalsozialistische Gleichschaltung zerfallen und lösten sich nun auf. Die Stadtverwaltung schien sie entbehrlich gemacht zu haben. Neu war aber auch die Eroberung des Rasens, der seither betreten, belagert und bespielt wird. Der „Neue Garten auf der Hardt“ bildet die fünfte Phase der Erneuerung. Mit ihm schaffte die Regionale 2006 ein neues Raumgefühl in der Mitte und für die Mitte des

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Parks. Sie war seit der Nachkriegserweiterung Richtung Barmen durch die Stadtgärtnerei mehr oder weniger blockiert gewesen. Nun öffnete sich der Kern der Grünfläche und verbindet seither die Anlagenteile miteinander. An dieser Stelle sind die Glashäuser entstanden und übernehmen ein Stück weit die Aufgabe des verlorenen Gesellschaftshauses. Der neue Garten gibt dem Park ein neues Zentrum. Diese Aufgabe kann das Gebäude nicht durch Pflanzenzucht allein ausfüllen, das große Glashaus ist vielmehr für den Besuch der Öffentlichkeit gedacht und für Veranstaltungen konzipiert. Die ebenfalls erneuerte Gastronomie liegt zwar nicht im gleichen Gebäude, aber in unmittelbarer Nachbarschaft. Die Elisenhöhe ist also das neue Zentrum der Parkanlage Hardt. Die Geschichte brachte der Hardt viele Neuigkeiten, nur die Bezeichnung „neu“, die ist richtig alt. Künftige Neuerungen sollten die wertvolle alte Substanz stärken und besser zur Geltung bringen. Hier gibt es einige Schätze zu heben, die in Vergessenheit geraten sind: manches Denkmal sollte wiederhergestellt, die noch immer kriegsbeschädigte Villa Eller in Stand gesetzt werden. Fantastische Ausblicke können hinzugewonnen, die romantische Konzeption der Alten Hardt wieder herausgearbeitet werden. Schließlich fordert der Umzug der Justizvollzugsschule die Neustrukturierung der freiwerdenden Fläche. Die Aufnahme der Parkanlage Hardt in die Route der Gartenkultur im Rheinland war ein erster Schritt, einen der ältesten Bürgerparks in Deutschland auch überregional stärker ins Bewusstsein zu bringen. Neuerdings hat die Hardt sogar übernationale Anerkennung im Europäischen Gartennetzwerk gefunden. Man darf daher mit steigender, auch touristischer Bedeutung des Grüns in Wuppertal rechnen. In diesem Jahr rückt die Veranstaltung „Gartenkunst in Wuppertal - Heinrich Siesmayers Gärten“ eine Epoche der Hardt in den Fokus der Öffentlichkeit. Im Sommer wird die Ausstellung „Heinrich Siesmayer. Gartenkünstler der Gründerzeit“ im Glashaus zu sehen sein, begleitet von einem umfangreichen Programm, in dem auch der Zoo eine wichtige Rolle spielt.

Denkmal als Aussichtsturm - Bismarckturm

Alte Hardt - Felsenkante des ehemaligen Steinbruchs mit Gärtnerhaus

Antonia Dinnebier Hardtstein – 50 Jahre Hardtverein 18801930


Das Schlupfloch zur Freiheit Karl Otto Mühls späte Prosa und Gedichte Vortrag im Februar 2013 im Rahmen des Symposiums an der Bergischen Universität zum Werk von Karl Otto Mühl anlässlich seines Neunzigsten Geburtstages

Torsten Krug, Foto: Mariann Menke

Als ich vor einigen Jahren zusammen mit einem Freund einen kleinen Musik-Clip für die Oper Gelsenkirchen drehte, war ich auf der Suche nach einem möglichst alten Mann. Dieser sollte als Protagonist dieses Musik-Clips zunächst in ganz alltäglichen Situationen gefilmt, sodann mittels einer Arie aus Manon Lescaut an eine ferne Vergangenheit erinnert werden. Kapazitäten dieser Stadt verwiesen mich für diese Aufgabe an Karl Otto Mühl, dessen knorriger Bass mir schon am Telefon sympathisch war, und der sofort zusagte. Wir könnten den ganzen Tag filmen. Als wir in der vereinbarten Wohnung ankamen - seine Schreibwohnung oder sein „Büro“, wie er sie gerne nennt - waren wir vollkommen verblüfft: kein Locationscout hätte eine solche Wohnung finden, kein Bühnenbildner sie so perfekt nachbauen können, wir traten in eine Wohnung, welche nahezu komplett in den Siebziger Jahren stehengeblieben war. Sie bot das perfekte Umfeld für unsere kleine Geschichte: Ein Mann bleibt nach einer großen Liebe in jungen Jahren allein zurück und lebt ein langes Leben lang weiter, doch er bleibt immer an diese eine große Liebe und die Erinnerun-

gen daran gebunden. Jetzt, beim Erarbeiten dieses Vortrages, musste ich erneut an diese Konstellation denken. Wir filmten Karl Otto Mühl also beim Griff in eine Keksdose, beim Tippen am Computer, beim Blick aus dem Fenster, beim Wandeln durch diese wie aus der Zeit gefallenen Räume. Ich traf auf einen Mann, der versonnen vor sich hin brummte, sobald - wie beim Drehen üblich - kleinere Pausen entstanden, zwischendurch zeigte er mir Fotos an den Wänden seines Schreibzimmers - Tankred Dorst, Hanna Jordan, und viele andere, von denen ich nur die Namen kannte, und - ich stutzte - Bilder seiner Töchter, alle drei deutlich jünger als ich. Einmal, als wir ihn schlafend im Bett filmten, schlief er tatsächlich ein, wachte im entscheidenden Moment erfrischt wieder auf und bot uns erneut Nüsse und Äpfel an. Schließlich filmten wir ihn vor dem Badezimmerspiegel beim Hören der Puccini-Arie. Große Nahaufnahmen seines Gesichtes, einer Erinnerungslandschaft gleich. Dies alles ließ dieser Mann mit einer Seelenruhe geschehen, hatte zwischendurch offensichtlich Freude und Interesse an uns Jungen, stellte immer wieder Fragen

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nach unserem Leben, unseren Arbeitsmöglichkeiten als Künstler, unseren Familien. Während der zwei Tage, die wir mit ihm und bei ihm drehten, entstand eine gemeinsame, bisweilen beinahe tranceartige Ruhe, und wir vergaßen die Zeit. Seither sind wir Freunde. Ich habe diese etwas launige Anekdote zum Einstieg erzählt, weil ich merke, dass diese erste Begegnung mit Karl Otto Mühl für mich beinahe alles enthält, was ich wenig später in seinen Texten und vor allem in seiner neuesten Prosa so ausgeprägt wiedergefunden habe. Seither habe ich drei seiner Veröffentlichungen lektorieren und z.T. gestalten können und durfte so sein Schreiben der letzten Jahre begleiten. 2001 überrascht Karl Otto Mühl, der „stille Beobachter“ und „sanftbissige Chronist des Angestelltenlebens“, wie ihn Jörg Aufenanger in seinem Vorwort nennt, mit der Veröffentlichung einer Sammlung von Gedichten, welche Ende der neunziger Jahre entstanden sind. Obwohl Mühl schon als Jugendlicher Gedichte schreibt, mag man diese Veröffentlichung mit dem Titel „Inmitten der Rätsel“ bemerkenswert finden. Ein lyrisches Ich meldet sich da, welches deutlicher, intimer, zugleich rätselhafter von sich selbst erzählen möchte, ja: sich selbst erlebbar machen möchte. Streng genommen, so bemerkt auch Aufenanger, war es schon immer da, dieses Ich: Fast alle seine Romane - mit Ausnahme vielleicht von „Fernlicht“, seinem einzigen Ausflug in den Bereich des Jugendbuches - folgen der erlebten Wirklichkeit des Kriegsheimkehrers Mühl (in „Siebenschläfer“), des leitenden Angestellten (in „Trumpeners Irrtum“ und in „Hungrige Könige“), der eigenen Kindheit und Jugend im Dritten Reich (in „Nackte Hunde“), der Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit (in „Die alten Soldaten“). Immer geht es um dieses Ich, das sich selbst reflektiert, auch und gerade in der Beobachtung und Analyse der anderen. Dennoch scheint hier, mit der ersten größeren Veröffentlichung von Gedichten, ein neuer Raum eröffnet. Ein neuer Ton klingt an, welcher sich 2008 nach den beiden späten Romanen „Hungrige Könige“ und „Nackte Hunde“ (beide 2005) - in einem weiteren Gedichtband mit dem Titel „Lass uns nie erwachen“ fortsetzt. Mühls späte Prosa, die Bände

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„Stehcafé“ von 2010 und „Die Erfindung des Augenblicks“ von 2012 (und in gewisser Weise auch seine mittlerweile zwei Aphorismenbände), knüpfen an dieser Entwicklung an. In dieser Prosa sind die lyrische Gestimmtheit und das selbstreflexive Ich nunmehr ständig präsent, ist das Alter Ego, welches jetzt durchweg „Ich“ sagt, kaum oder gar nicht vom Autor Mühl zu unterscheiden. Seit etlichen Jahren kann man Karl Otto Mühl morgens gegen halb neun in einem winzigen Stehcafé im Domagkweg in Wuppertal antreffen. Kein Wiener Kaffeehaus, nicht einmal eine wirkliche Sitzgelegenheit gibt es, lediglich ein Dreieckstisch in der Ecke bietet einen gewissen Halt in dem kleinen Raum; vor der Theke mit Backwaren findet sich ein schmaler Schlauch mit einigen Stehplätzen. Hier gehen sie ein und aus, die Anwohner der Gegend rund um den Mirker Hain, Handwerker kommen für ihre Pause vorbei, Hundebesitzer, junge Frauen, die im nahen Wald ihre Runden laufen, „Geschiedene“, so Mühl, „Getrennte, Einsame, Singles, Verwitwete, Analphabeten, gefügige Lehrlinge mit ihren Meistern, Gärtner, ein Kraftfahrer, der über seine sechs unehelichen Kinder berichtet“ - und eben auch, angelockt durch Karl Otto Mühl, Schriftstellerkolleginnen und -kollegen, emeritierte Professoren, Politikerwitwen, Künstler oder Lehrer. Es ist ein perfekter Ort für den Autor Karl Otto Mühl, ein Menschenpark, ein Umschlagplatz für kleine und große Schicksale, für Informationen, Gerüchte, Halbwissen und scheinbar Unbedeutendes. Jedes Gesicht, jede fremde Erscheinung läßt Schicksale erahnen oder erfinden. Hier findet Mühl, was er sucht und braucht, entfaltet sich seine Gabe zur genauen Beobachtung und befriedigt sich seine Neugier. Alles kann hier zum Anlaß werden für eine philosophische Reflexion, eine Einsicht, eine Erkenntnis oder auch: eine persönliche Erinnerung. Ganz nahe an diesem Stehcafé, das einfacher und bescheidener nicht sein könnte, liegt der Wald des Mirker Hain, der mindestens ebenso bedeutend für das Szenario dieser späten Prosa ist. Die Natur spricht auch, wenn die Menschen schweigen, und bildet eine „Sinfonie lautloser Ereignisse“, wie es in dem kurzen Text „Donnerstagmorgen mit einem Zufriedenen“ heißt:

„Wieder ein regennasser Morgen. Andere Läufer und Geher scheinen heute wenig Lust zu haben. Die Waldwege sind menschenleer; bis zum Ende der Strecke, von wo sich die bunten Gestalten sonst, langsam größer werdend, nähern, ist niemand zu sehen. Dafür spricht der Wald umso mächtiger und deutlicher zu mir, fast scheint es, als richteten sich die Bäume jäh vor mir auf und lächelten dann gutmütig, weil sie mich erschreckt haben. Die Luft ist feuchtkalt. Es ist ja Herbst mit einer Prise Winter darin. Rechts am Wegrand liegt ein großer Stapel dicker, gefällter Stämme, krumme und gerade übereinander getürmt. Die hellbraunen Schnittflächen leuchten, die gestürzten Riesen türmen sich wie gigantische Muskelpakete, noch immer bersten sie vor Kraft. Ich weiß nicht, wo ich in dieser Sinfonie der lautlosen Ereignisse zuerst hinschauen soll.“ (aus: Stehcafé) Durch dieses Szenario - das Stehcafé als Sinnbild einer Gesellschaft, umgeben von der belebten Natur - mäandert das Alter Ego dieser späten Prosa. Man kann sie kaum Geschichten oder Erzählungen nennen, eher Reflexionen, Beobachtungen, Miniaturen oder auch Meditationen. „Man schreibt, um sich selbst erlebbar zu machen“, lautet eine frühe Selbstaussage Mühls. Die Bäckerei und der Wald werden zu den Orten dieser Bemühung: „Heute ist Montag. Ein ganz anderes Gefühl habe ich heute; kein Vergleich zu gestern morgen, als ich auch durch den Wald lief. Sonntags besteht ja immer die Gefahr, dass ich von der Welt vergessen werde. An Sonntagen bemerkt sie mich nicht, die Welt, ob sie nun im Sonnenlicht schweigt oder ob sie unter Regengüssen versinkt oder den Morgennebel wie eine Decke über den Kopf zieht. Erst in der Bäckerei werde ich schließlich bemerkt.“ (aus: „Stehcafé“) Oft werden Geschichten nur angedeutet, selten wird eine wirkliche Handlung, ein Ereignis zu Ende erzählt, sondern im Gegenteil: hinter jeder Biegung leuchten die zahllosen anderen Lebensmöglichkeiten hervor, und hinter jedem Satz stehen unzählige andere, welche den soeben gesagten ins Unendliche vertiefen. Es ist diese Vielstimmigkeit, diese Verschachtelung ganz heterogener Ebenen, welche diese späte Prosa zu einem originären literarischen Genre machen. Literarische Vorbilder hierzu finden sich am ehesten in der Romantik. „Indem ich


dem Gemeinen einen hohen Sinn“, heißt es in der wohl prägnantesten Definition des Romantischen bei Novalis, „dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehen, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es.“ In diesem Sinne läßt sich Mühls späte Prosa lesen als ein lyrisch gestimmter, tagebuchartiger Bericht und zum Teil eine Überhöhung des Alltäglichen. „Der romantische Geist“, schreibt Rüdiger Safranski in seinem Buch über die Romantik, „ist vielgestaltig, musikalisch, versuchend und versucherisch, er liebt die Ferne der Zukunft und der Vergangenheit, die Überraschungen im Alltäglichen, die Extreme, das Unbewusste, den Traum, den Wahnsinn, die Labyrinthe der Reflexion. Der romantische Geist bleibt sich nicht gleich, ist verwandelnd und widersprüchlich, sehnsüchtig und zynisch, ins Unverständliche vernarrt und volkstümlich, ironisch und schwärmerisch, selbstverliebt und gesellig (...)“ (aus: „Romantik. Eine deutsche Affäre“). All dies läßt sich in Mühls später Prosa finden. Ein Bericht von einem Elektrotechniker, der seinen Kunden nur noch so viel abverlangt, wie sie zu zahlen bereit sind, gerät dem Autor zum Märchen, was er auch umgehend selbst reflektiert: „Ich merke jetzt, dass ich diese Geschichte wie ein Märchen erzählt habe. Man kann ja auch heiter und beschwingt dabei werden, alles vergessen. Ich zum Beispiel meinen Onkel Karl, der bei Kriegsende in Rumänien als Gefangener in einem Schuppen lag, mit einem Sack zugedeckt, und endlich sterben durfte; ich denke an Krankheiten und an die Geschwindigkeit, mit der wir durch das Leben getrieben werden. Und dass ich immer denken muss: Irgendwann sehe ich den oder die nicht wieder. Oder anders: Dass die Wirklichkeit hinter meinem Bericht viele Schichten hat, und dass durch alle geschehenen Fakten hindurch Kräfte wirken, die wir nicht sehen (...); es erklingen Melodien, die wir nicht hören. (...) Eigentlich suchen wir aber das Schlupfloch zur Freiheit.“ (aus: „Die Erfindung des Augenblicks“) Diese Musik hinter den Dingen, diese Melodien hinter der Melodie sind auch dem Trauma der Generation des Autors geschuldet: Als Kriegsheimkehrer gehört er zu denen, die überlebten. Ein „Rätsel“ mithin seither schon die Frage, warum man noch

lebt und ein anderer nicht. Das „Schlupfloch zur Freiheit“ hieße ein Ankommen, ein Moderieren der unerträglich aufeinander prallenden Empfindungen. „Inmitten der Rätsel“ enthält ein Gedicht mit dem Titel „Das Unerträgliche“: Eigentlich könnt ich nur leben wenn ich die Hölle vergäße in der andere sind vielleicht morgen ich Sie rufen und strecken die Hände empor Ich lebe trotzdem ich glaube die Musik ist zu laut Wenn die Musik zu laut ist, wenn die Melodien hinter den Dingen, die Erinnerungen an Unfassbares oder die Vorahnung von Unfassbarem, zu laut werden, ist das Leben unerträglich. Dieser Umstand erfordert Widerstand, Lebenswillen und die Lust, kleine Dinge zu beachten, sie in den Rang einer unerhörten Begebenheit zu erheben, kurz: seine eigene Melodie zu singen. Das lyrische Ich braucht Ermutigung, holt sie sich beim ersten Blick in die Zeitung: Der Morgen fängt gut an. Ich lese die Todesanzeigen, und ich bin nicht dabei. Die Tatkraft, das Knorrige, Selbstbewusste, und der Humor bilden das Gegengewicht zur romantischen Auflösung oder Vertiefung; die alltägliche Organisation, das „Erledigen“ wird zum „Tagewerk“, wie es in einem der Texte heißt. Und doch ist die Vergänglichkeit, die eigene inbegriffen, fast immer präsent. „Der Herbst“, heißt es zu Beginn einer Aufzeichnung aus dem ersten Stehcafé-Band, „ist mein Nachbar geworden“: „Nachts weckt er mich auf mit tosenden Windböen, mit Blitz und Donner, morgens verstellt er das Außenthermometer auf unvorstellbare sechs Grad, vor der Haustüre ragt mir sein braunes, nasses Gesicht entgegen. Er reißt mir den Wunsch nach Promenadenfröh-

lichkeit und Leichtfertigkeit aus der Hand, er erinnert unbarmherzig daran, wie rasch die letzten zehn und mehr Jahre vergangen sind, und, schreit er, das sollte mit den letzten paar Jahren nicht auch so gehen?“ (aus: „Stehcafé“) Auch hier sind die Naturbilder metaphorisch aufgeladen, steht der Jahreskreislauf für den Lauf des Lebens. „Der Herbst räumt sie weg, die alten Freunde“, heißt es am Ende desselben Textes. Und: „Wohin immer ich jetzt gehen werde, es wird nur vorläufig sein“. Dieses Bewußtsein für die eigene Endlichkeit ist, wie gesagt, nicht neu für den kriegserfahrenen Mühl. Ein Gedicht aus dem Band „Inmitten der Rätsel“ berichtet von einer Einsicht des jungen Mannes: Kriegsgefangenentransport Führ er doch schon zurück, unser eiserner Wurm! Unsere Köpfe wackeln im Takt. Durch verstepptes Land, wie eine karge Glatze bewachsen, donnert unser gestohlenes Leben. In jeder Kurve drängt in uns hoch, daß wir gedankenlos waren. Wir schmissen es weg, das Leben, das uns liebte. Dieses „gestohlene Leben“ ist durchaus mehrdeutig: Zum einen meint es ein Leben, das in die Hände der Feinde gefallen und insofern gestohlen ist; zum anderen war es schon vorher gestohlen - und das wird dem lyrischen Ich nun klar: es sind die gestohlenen Jahre der Jugend und des jungen MannSeins einer ganzen Generation. Doch rückblickend hat dieses „gestohlen“ noch eine dritte Konnotation: Karl Otto Mühl wird nicht müde zu betonen, dass die Kriegsgefangenschaft und damit der frühe Austritt aus den Kriegshandlungen sein größtes Glück und seine Rettung waren. Und so lebt er in gewisser Weise dieses gestohlene Leben fort, während es zahllosen anderen, darunter Freunden, genommen wurde. Das gestohlene ist auch ein geschenktes Leben. Dieses memento mori, welches seine späten Texte wie ein roter Faden durchzieht, führt jedoch nicht oder selten zu einer Schwere,

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einer Verdunklung bis hin zu Düsternis, sondern es erscheint aufgefangen oder sublimiert durch eine Form der Romantischen Ironie. Diese bedeutet, so schreibt Friedrich Schlegel um 1800, „im ursprünglich Sokratischen Sinn (...) eben nichts andres, als das Erstaunen des denkenden Geistes über sich selbst, was sich oft in leises Lächeln auflöst“. Dabei könne sich, so Schlegel, infolge der Selbstdistanz durchaus das Gefühl von Komik einstellen - verstanden als eine wichtige Voraussetzung für eine „höher liegende Ernsthaftigkeit“. Einen letzten bemerkenswerten Aspekt dieser späten Prosa möchte ich noch herausheben. Sowohl die beinahe ständige thematische Präsenz der Vergänglichkeit als auch die lyrische Gestimmtheit in diesen Texten führen nicht selten zu einer erzählerischen Verdichtung auf einen Augenblick hin. Schon im Gedichtband „Inmitten der Rätsel“ sind das Erleben des Augenblicks und die Unmöglichkeit, ihn in Worte zu fassen, Thema: Rätsel Da hat ein Gesicht durch die Tür gespäht; nur einen Spalt, dann ging sie zu. Voll solcher stummer Augenblicke ist mein Leben. Sie sagen niemals, wer sie sind. Hör hin, wenn Glas zerspringt, sieh zu, wenn Efeu erschauert. Sie sagen die Wahrheit, beide. Beide sagen die Wahrheit. „Die Wahrheit“ ist mithin etwas, an das die Sprache nicht reicht, die Wahrheit ist ein Rätsel. Und so nähert sich Mühls späte Prosa immer wieder einem solchen Augenblick, umkreist ihn, erinnert ihn, versucht ihn zu fassen, doch es ist immer ein „Danach“ und in diesem Sinne eine „Erfindung des Augenblicks“. In einem kurzen Text aus dem gleich-

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namigen Prosaband überquert das Alter Ego Mühls eine Straße, „in einigen hundert Metern Entfernung werden Autos sichtbar“, heißt es, „Zeit ist aber noch genug“. „Da passiert etwas. Der Asphalt hat Risse, und ich stolpere, kurz bevor ich die andere Straßenseite erreiche. Mit einer Hand fange ich den Sturz ein wenig ab, doch spüre ich, wie ich über den rauen Asphalt schramme. Für Sekunden muss ich nichts gedacht, gespürt oder gefühlt haben. Dies war ein seliger Augenblick mit dem Gefühl des Nichtseins. Ich erinnere mich heute, es war, als ob sich ein Vorhang nach beiden Seiten öffnete, Luft und Licht wurden dünn und blass, aber dennoch überglänzt. Es war nichts mehr vorhanden, nicht einmal ich, aber dennoch gab es mich und alle, die ich kenne, es gab die Freunde, die toten und die lebendigen; keiner zu sehen, aber jeder gegenwärtig als Idee seiner selbst. Nichts war zu sehen, aber alles voller Freundlichkeit vorhanden und ich mitten darin. Ein Auto bremst einige Meter vor mir. In diesem Augenblick rolle ich mich aber bereits zum Bürgersteig hin, stehe auf und klopfe den Staub ab.“ (aus: „Die Erfindung des Augenblicks“) „Was bleibt“, fragt sich der Erzähler an anderer Stelle, „wenn sich herausstellt, dass es Vergangenheit und Zukunft real gar nicht gibt? Was sind wir dann?“ Nicht nur der Asphalt, sondern die Realität hat Risse. In ihnen - Heidegger würde sagen: im Ereignis, im Nicht Ableitbaren - offenbart sich unsere Existenz. Und so gerät diese späte Prosa - und auch manch spätes Gedicht - an ihren glücklichsten Stellen in eine ganz eigene Art des Schwebens zwischen Oberfläche und Tiefe, zwischen schalkhaftem Witz und empfundener Tragik, zwischen knorriger Alltagsbeschreibung und philosophischer Reflexion. Die Romantische Ironie bietet hierbei ein „Schlupfloch zur Freiheit“, eine Möglichkeit, zwischen umfassenderen Sinnstiftungen einerseits und alltäglich auszuhaltenden, meist banalen oder auch frustrierenden Lebensumständen andererseits im aktuellen Hier und Jetzt zu vermitteln. Karl Otto Mühls literarische Produktivität ist ungebrochen. Wöchentlich, manchmal täglich erreichen seine Freunde E-Mails mit Texten - Fragmente zumeist, Anfänge oder Augenblicke, kleine Szenen, tagebuchartig, skizzenhaft eingefangen; „zu einem

Roman“, sagte er einmal zu mir, „spüre ich nicht die Kraft“. Ein neues, noch unvollendetes Manuskript trägt den Arbeitstitel „Mein Leben als Greis“. Es beginnt mit dem durchaus ironischen Satz: „Vielleicht ist dies mein letztes Buch. Schonungslos werde ich die Wahrheit sagen, über alles und jeden, ausgenommen mich selbst.“ Ganz in diesem Sinne möchte ich mit einem Gedicht enden, das auch uns Junge mit einbezieht: An die Alten Nur alte Säcke ringsumher, silbernes Haar, Freskengesicht, knochiger Hintern, schlaffe Haut, ausgestreut wie Abfall am Rand des Lebens. Wehrt euch, ihr grauen Dämmergestalten, wehrt euch. Nicht mit Krähen und Keifen, aber mit deutlichem Blick, mit stillem Schlurfen ins Dunkel, mit lichten Gedanken und Freundlichkeit. Seht nur, wie die Jungen da schmatzend vorüberziehn, und neidisch schaun sie auf euch.

Torsten Krug ist Theaterregisseur, Musiker und Autor und lebt in Wuppertal. Er studierte Neuere deutsche Literatur, Musikwissenschaft und Philosophie in Tübingen. Danach war er u. a. Assistent von Katharina Thalbach. Seit 2006 ist er freischaffend tätig und inszenierte u. a. in Chemnitz, Rudolstadt, Berlin, Regensburg, Heilbronn sowie an der bremer shakespeare company. Er war Gastdozent an der Hochschule für Musik und Theater Leipzig sowie am Institut für Schauspiel-, Film- und Fernsehberufe ISFF in Berlin.


Frau mit Gipsbein Karl Otto Mühl wurde am 16. 2. 1923 in Nürnberg geboren. 1929 folgte der Umzug der Familie nach Wuppertal. Dort Ausbildung zum Industriekaufmann. 1941 Kriegsdienst in Afrika, Gefangenschaft in Ägypten, Südafrika, USA, England. Im Februar 1947 Rückkehr nach Wuppertal, wo er sich der Künstlergruppe »Der Turm« anschließt, der auch Paul Pörtner angehört. Erste Kurzgeschichten werden 1947/48 veröffentlicht. Am Carl-Duisberg-Gymnasium holt er 1948 das Abitur nach, danach Werbe- und Verkaufsleiter in Maschinen- und Metallwarenfabriken. Erst in der Mitte der 60er Jahre gelingt es ihm wieder, kontinuierlich zu schreiben. Zwischen 1964 und 1969 entsteht der Roman »Siebenschläfer« (veröffentlicht 1975), mit den Theaterstücken »Rheinpromenade«, »Kur in Bad Wiessee«, »Die Reise der alten Männer« gelingt ihm der Durchbruch. Seitdem veröffentlichte Karl Otto Mühl dreizehn Theaterstücke, zahlreiche Fernsehfilme, Hörspiele und Romane. Die Stadt Wuppertal verlieh ihm 1975 den Eduard von der Heydt-Preis.

Karl Otto Mühl, Foto: Frank Becker

Ich schreibe heute am Küchentisch. Hier ist von der Westseite her guter Lichteinfall, und es bleibt länger hell. Das spart Licht und damit Strom, worauf ich weitaus mehr achte als andere. Damit wäre ich schon bei einer meiner Eigenschaften, denn die sind es, die ich gerade hier formulieren muß, weil ich diese Kontaktanzeige zu verfassen suche, die mein Kollege Fabian Brösel ins Internet stellen wird, wie er sagt. Ich werde mich vor der Fülle von Zuschriften kaum mehr retten können, sagt er. Nur, ich muß die Eigenschaften, die ich habe, deutlich darstellen. Das geht nicht so leicht, weil ich gegen meine Bescheidenheit verstoßen muß. Ich dränge mich nie in den Vordergrund. Ich überlegte vorhin, ob ich mich bei der Anzeige zunächst auf die Angabe meiner wichtigsten Eigenschaften beschränken sollte, nämlich: Sparsamkeit, Sauberkeit und Ordnungsliebe. Alle drei scheinen mir gleich wichtig zu sein, und trotzdem wird es darauf ankommen, was jede einzelne von den Leserinnen am meisten schätzt. Ich

muß es darauf ankommen lassen. Schließlich bin ich bisher immer gut damit gefahren. Obwohl ich schon Sechsundfünfzig bin, habe ich damit Aussichten, denke ich, eine verständnisvolle Partnerin zu finden, die sie zu schätzen weiß, die Eigenschaften und natürlich, so hoffe ich doch, deren Inhaber, also mich. Selbst für die Erfüllung eines Kinderwunsches wäre es noch nicht zu spät. Ein Kind würde genügen, vorausgesetzt, es würde so verständig, dass es meine Ratschläge und Lebensregeln annehmen und beherzigen könnte. In der Sparkasse, in der ich beschäftigt bin, weiß man, so denke ich manchmal, meine Eigenschaften zu schätzen. Noch kürzlich sagte Frau Tilly, die in der Revision arbeitet, zu mir: „Sie sind aber ordentlich!“ Dabei hatte ich nur einige Krümel von ihrem Schreibtisch entfernt. Aber niemand hat mich so geschätzt wie meine Mutter, glaube ich. Zuletzt, als sie schon sehr schwach war, sagte sie einmal zu mir: „Du meinst es gut, Rolfi. Ich weiß das. Laß die anderen über dich reden, was sie

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wollen. Du weißt ja, die reden manchmal so daher.“ Das nenne ich Mutterliebe. An ihrem Todestag bringe ich noch heute Blumen zu ihrem Grab, genau um die Stunde, in der sie gestorben ist. Es war um sechzehn Uhr dreiundzwanzig. Es ist ein gutes Gefühl, in meinem Alter immer noch die freie Auswahl unter möglichen Ehepartnerinnen zu haben, also, sozusagen den Rücken freizuhaben. Das wäre nicht so, wenn einige Dinge anders gelaufen wären. Ich meine die Beziehung zu Nora.

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Ich muß sagen, dass mit ihr am Anfang alles sonnenklar zu sein schien, also auch eine etwaige lebenslange Verbindung. Sie schien mir von allen Frauen, die ich kannte, am verträglichsten und verständigsten zu sein; und kleine Fehler oder auch Fehlverhalten von ihr konnte ich immer korrigieren und fand bei ihr auch Bereitschaft dafür. Die Schwierigkeit für unsere Beziehung kam völlig unerwartet von einer ganz anderen Seite. Wir waren am Sonntagnachmittag in der Gaststätte „Margaretenhof“ im Siebengebirge gewesen, hatten Kaffee getrunken und bezahlten nun. Ich hatte schon befürchtet, sie würde erwarten, dass ich ihren Verzehr bezahle. Das soll es ja geben. Aber bei ihr war das nicht so, sie zog rechtzeitig ihre Börse aus der Handtasche. Wir machten uns auf den Weg zum Bus. Und nun geschah es. Wir hatten erst ein paar Schritte gelegt, da stolperte sie über einen Stein, stürzte unglücklich, stöhnte mit schmerzverzerrtem Gesicht: „Ich glaube, da ist etwas gebrochen.“ Ich konnte sie überzeugen, dass sie zwar in eine Klinik müsse, dass aber der Transport dahin, wenn nicht mit dem Bus, so doch mit einem Taxi erfolgen könne, und nicht etwa mit einem unerschwinglichen Krankenwagen. Wir fuhren also mit dem herbeigerufenen Taxi zur Unfallklinik.Während ich ihre Hand hielt – nur, um sie zu beruhigen -, erklärte ich ihr, dass ich für die Taxikosten selbstverständlich in Vorleistung treten würde. Der Rest geschah nun ohne mein Zutun. Sie mußte einige Tage in der Klinik bleiben.

Dann holte ich sie ab und sah, dass sie bis über das Knie hinaus mit einer Gipsmanschette versehen war. Ich muß sagen, der Anblick war ein Schock für mich. Ich begleitete sie bis zu ihrer Wohnungstür, an der sie bereits von ihrer Mutter erwartet wurde. Mir war unterwegs längst klar geworden, dass ich mich nicht mit einer behinderten Frau belasten konnte. Zu groß waren die Risiken, nicht absehbar die Folgekosten, und das alles für mich wegen eines Menschen, der mir bis vor Kurzem völlig gleichgültig gewesen war, ja, den ich nicht einmal kannte. Natürlich sagte ich ihr dies alles nicht mit solcher Deutlichkeit. Ich schrieb ihr nur, dass sich mein Kindheits-Asthma wieder gemeldet habe und ich eine Zeit lang völlig zurückgezogen leben wolle, vielleicht auch sparsam leben müsse, um eventuelle außergewöhnliche Behandlungskosten auffangen zu können. Manchmal habe ich in den vergangenen Jahren an sie zurückgedacht. Ich hoffe nicht, dass sie unter meinem Verlust gelitten hat. Dazu kannte sie mich vielleicht nicht genug. Übrigens hatte die Beziehung noch ein Schlußkapitel. Vor zwei Monaten rief sie mich an, ja, sie lebe noch. Ja, sie sei verheiratet, mit einem Brasilianer, aber der habe sich seit zwei Jahren nicht gemeldet. Sie habe auch nie gewußt, was der Mann dachte. Er sei undurchsichtig, ganz anders eben als ich. Wir haben uns getroffen. Das Wiedersehen war herzlich und offenherzig. Wir gingen in ein Café und suchten uns ein Tischchen in der Ecke aus. Es gab da eine Sitzbank und zwei einzelne Stühle. Ich halte das hier genau fest, denn solche Einzelheiten vergißt man später schnell. Nora setzte sich, blickte zu mir auf, klopfte mit der Hand auf den Platz neben sich und sagte: „Hier, setzen Sie sich. Ja! Direkt hier!“ Es wäre dort eher eng gewesen. Und sie wollte, dass ich mich neben sie setze, Hüfte an Hüfte. Das habe ich nicht gemacht.

Karl Otto Mühl


Von Beckmann bis Schmidt-Rottluff Die Sammlung Frank Brabant Im Kunstmuseum Solingen bis zum 5. Mai 2013

Conrad Felixmüller, Frühlingsabend in Klotzsche, 1926, Öl auf Leinwand,75 x 90 cm

Das Kunstmuseum Solingen zeigt als Auftaktausstellung des in Gründung befindlichen „Zentrums für verfolgte Künste“ bis Anfang Mai 2013 101 Bilder aus einer der bedeutendsten Privatsammlungen Deutschlands. Frank Brabant ist ein Sammler aus Leidenschaft. 1958 hatte der Schweriner in der ehemaligen DDR den Entschluss gefasst, „in den Westen zu machen“. In Wiesbaden war er geschäftlich erfolgreich. 1964 besuchte er „eher zufällig“ eine Galerie. Er kaufte einen Holzstich von Max Pechstein. „Der Name sagte mir damals nichts. Picasso ja, aber Pechstein?“ 300 Mark zahlte er – und das bei einem Monatsgehalt von 350 Mark. Mit diesem Kauf wurde er zum Sammler, der sich nun über Pechstein kundig machte und so der Kunst verfiel. Erspartes für den Traum von einem VW-Käfer

setzte er dann doch in ein Aquarell von Ernst-Ludwig Kirchner um. Viele weitere Käufe von Bildern und Büchern folgten im Laufe der Jahrzehnte: expressionistische Meisterwerke von Alexej von Jawlensky, Wassily Kandinsky, Emil Nolde, August Macke, Franz Marc, Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel oder Karl Schmidt-Rottluff aber auch Bilder heute nahezu unbekannter Künstler wie beispielsweise Ernst Fritsch, Harry Deierling, Elfriede Lohse-Wächtler, Heinrich Richter-Berlin, Siegfried Donndorf, Carl Gunschmann, Josef Scharl und Fritz Schaefler – bis hin zur Kunst der Gegenwart. Dabei wurde der Sammler zum Kenner. Sein Geld wollte er nicht in Autos anlegen. Es folgten fast 500 weitere Kunstwerke. Der Schwerpunkt der Präsentation in Solingen liegt auf den Künstlern der Klas-

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rechts: Alexej von Jawlensky Madame Curie, 1905, Öl auf Karton, 50 x 38 cm rechte Seite: Hermann Max Pechstein Rote Häuser mit Windmühle, um 1922, Öl auf Leinwand, 70,5 x 80,5 cm

sischen Moderne. Die Künstler gerieten von einer unberechenbaren Monarchie über einen Ersten Weltkrieg, die entbehrungsreiche Weimarer Zeit in den Naziterror und in die absolute Katastrophe des Zweiten Weltkrieges. Ihre farben- und ideenreichen Bilder sind in dieser Zeit der Aufbruch der Expressionisten, die kritische Infragestellung der Gesellschaft und die Suche nach einer Neuen Sachlichkeit. Neben Bildern von Maria Caspar-Filser, Elfriede Lohse-Wächtler und Otto Möller begeistern die Künstler aus der ersten Reihe. Ludwig Meidners „Betrunkene Straße“ (1915) zeigt die Apokalypse der Städte, Lyonel Feiningers „Pariser Häuser“

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(1920) den Weg zur Abstraktion. Auch die Künstler der „Brücke“ sind vertreten: Kirchner, Heckel, SchmidtRottluff, auch die später hinzugekommenen Max Pechstein, Emil Nolde und Otto Müller. Die Kontakte dieser Künstler nach München zum „Blauen Reiter“ sind vielfältig und diese bekannte Künstlergruppe um August Macke, Franz Marc, Wassily Kandinsky und Alexej von Jawlensky wiederum lockte Helmut Macke, William Straube und Heinrich Richter-Berlin an. Auch diese Bekannten und Unbekannten sind mit sehenswerten Bildern in Solingen vertreten. Eine ganze Reihe von Gemälden von Alexej von Jawlensky aus verschiedenen


Tappert Nolde

Schaffensphasen ist alleine die Anreise wert: An der Petersburger Kunstakademie lernte er ab 1890 kurz beim bedeutendsten Vertreter des russischen Realismus, Ilja Repin, dann langfristig bei Marianne von Werefkin. Sie zog 1896 mit Jawlensky und ihrem Dienstmädchen, Helene Nesnakomoff, nach München. Ein charakteristisches Ölbild dieser Zeit ist das im Bild signierte und 1900 datierte ganzfigurige Porträt der fünfzehnjährigen Helene im spanischen Kostüm. Stilistisch weist es mit seinen im „Lenbachbraun“ gehaltenen Farbtönen auf seine vorausgegangenen realistischen Gemälde, um gleichzeitig den Anfang zu weiterem „Arbeiten mit breiten Linien“ der kom-

menden Jahre zu markieren. 1903 reiste Jawlensky nach Paris. Er traf dort Henry Matisse und Marie Curie. Ihr Porträt aus diesem Jahr bestätigt einen frühen Einfluss van Goghs. Marie Curie (1867 - 1934) war eine Physikerin polnischer Herkunft, die in Frankreich wirkte. Sie untersuchte die 1896 von Henri Becquerel beobachtete Strahlung von Uranverbindungen und prägte für diese das Wort „radioaktiv“. Im Rahmen ihrer Forschungen, für die ihr 1903 ein Nobelpreis für Physik und 1911 der Nobelpreis für Chemie zugesprochen wurde, entdeckte sie gemeinsam mit ihrem Ehemann Pierre Curie die chemischen Elemente Polonium und Radium. Marie Curie ist bisher die einzige Frau unter den vier Mehrfach-No-

belpreisträgern und neben Linus Pauling die einzige Person, die Nobelpreise auf zwei unterschiedlichen Gebieten erhalten hat.1906 war sie die erste Frau, die an der Pariser Universität Sorbonne lehrte. Im Sommer 1908 kam es zur Zusammenarbeit zwischen Jawlensky, Werefkin, Kandinsky und Münter. 1908 hatten Werefkin, Jawlensky, Adolf Erbslöh und Oscar Wittenstein die Idee, die Neue Künstlervereinigung München zu gründen. 1909 wurde Kandinsky zum ersten Vorsitzenden gewählt. 1910 zur zweiten Ausstellung der Neuen Münchner Künstlervereinigung kam Franz Marc. Auch August Macke besuchte Jawlensky und Werefkin. Dann

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kam Kandinsky aus Russland zurück. Schließlich traf Franz Marc ein, zusammen mit Helmuth Macke, dem Vetter von August Macke. Im Herbst 1912 lernte Jawlensky, Emil Nolde auf der Ausstellung in München kennen. 1917 zogen Jawlensky und Werefkin in die Schweiz, wo er seine Reihe der Mystischen Köpfe zu malen begann. Als Inspiration diente ihm nunmehr das menschliche Gesicht. In der Regel handelt es sich um Frauenköpfe. Alle genannten Künstler sind in der Ausstellung vertreten. Rolf Jessewitsch Drei Kataloge werden im Museumsshop zur Ausstellung angeboten. Kunstmuseum Solingen Wuppertaler Straße 160 42653 Solingen www.kunstmuseum-solingen.de Öffnungszeiten: Di – So 10 – 17 Uhr

linke Seite: Ivo Hauptmann Zwei Segelboote, 1912, Öl auf Leinwand, 91,5 x 64,5 cm Max Beckmann Stillleben mit grüner Kerze, 1941, Öl auf Leinwand, 95,5 x 55,5 cm

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Das indische Tuch TiC-Theater-Aufführung sehr frei nach Edgar Wallace Der Fall der verängstigten Dame oder: Das Geheimnis des Wandschranks

„Hier spricht…“ - nein nicht Edgar Wallace, sondern ein dank des jüngsten Streichs des Wuppertaler TiC-Theaters vergnügter Rezensent. Am Freitagabend, zur besten Krimi-Zeit, hatte nämlich eine dort von Intendant Ralf

führen. Wer aber ist der Unhold, der Nacht für Nacht mit Heimtücke durch die Gänge des Schlosses schleicht? Das verraten wir hier natürlich nicht, auch nicht, wer seine Opfer sind und wann er zuschlägt. – Oder ist es eine Sie?

v. l.: Andreas Wirth, Carsten Müller, Dilara Baskinci, Klaus Hasbach. Foto: Martin Mazur „Edgar Wallace hat mehr Frauen nachts wach gehalten als jeder andere Mann – und das ganz ohne Sex.“ (Focus).

Infos und Termine: www.tic-theater.de

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Budde inszenierte Bühnenfassung des Klassikers „Das indische Tuch“ (sehr frei nach dem legendären englischen Krimi-Autor) Premiere. Premiere auch für einige der Darsteller, denn das TiC hat seit dem jüngsten Casting neue, vielversprechende Talente hinzugewonnen. Darstellerische Schwergewichte und Säulen der Aufführung sind allerdings drei bewährte und wie die anderen Charaktere hervorragend besetzte altgediente TiC-Schauspieler: Torsten Kress brillant als herrlich fieser Dr. Leicester Amersham, Andreas Wirth köstlich in der Rolle des verklemmten Lord Willie Lebanon und souverän seriös Carsten Müller als Inspektor Bill Tanner. Handlungsort: das alte Schloß Marks Priory der Lebanons in ländlicher englischer Umgebung, von Iljas Enkaschew genial auf kleinstem Raum mit allen notwendigen Andeutungen von Treppen, Gängen, Park zu greifbaren Illusionen gestaltet. Kerstin Faber hat dazu passend die zeitlos stimmigen Kostüme gestaltet, Heike Kehrwisch die Maske. Story: auf Marks Priory, dessen undurchsichtige Bewohner in feindlicher Atmosphäre nebeneinander her leben, geht ein Mörder um. Sein Werkzeug ist ein rotes Seidentuch, mit dem er einer alten indischen Tötungsmethode folgend seine Opfer erdrosselt. Die Spuren führen zurück in die koloniale Vergangenheit der männlichen Mitglieder der etwas skurrilen Gesellschaft. Es gibt - na klar - Leichen, Schusswaffen, Motive und Wendungen und obendrein diverse Mordversuche, die nicht alle zum vom meuchelnden Mörder gewünschten Erfolg

Ralf Budde beherrscht das musikalisch auf den Punkt untermalte Verwirrspiel, er legt falsche Fährten und läßt mal diesen, mal jene verdächtig erscheinen. Klaus Hasbach gibt bei dem Verwirrspiel den unheimlichen Butler Gilder in bester Wallace-Tradition, Dennis Gottschalk den unbekümmerten Chauffeur Studd und den eifersüchtig schießwütigen Parkwächter John Tilling sowie Isabel Bartnik des letzteren laszive Frau Joan, die einige kinowürdige große Auftritte hat. Ralf Budde spielt elegant mit Klischees, was dem Stück den ironischen Anstrich mancher Alfred Vohrer-Inszenierung gibt. Überhaupt sind die Damen hier die interessanten Entdeckungen des Ensembles: Erika Klein-Ejupi gibt als Lady Jane Lebanon eine würdige Flickenschildt-Kopie ab, Dilara Baskinci die etwas mysteriöse Sekretärin Isla Crane (einfach göttlich die Kußszene mit… - verraten wir auch nicht! – in der sie mit fein gezirkelter Armbewegung die Brille absetzt) und eben Isabel Bartnik, die ihren Sex-Appeal fein dosiert einzusetzen versteht. Sie sehen schon, der Kritiker schreibt unentwegt um den heißen Brei herum, denn anders als weiland Wolfgang Neuss vor 51 Jahren beim Fernsehkrimi „Das Halstuch“ wollen wir Ihnen ja nicht durch „Geheimnisverrat“ die Spannung nehmen. Gehen Sie hin, lassen Sie sich für gut zwei Stunden köstlich unterhalten und vertrauen Sie auf die seit über 60 Jahren gültige Werbung des Wilhelm Goldmann Verlages: „Es ist unmöglich, von Edgar Wallace nicht gefesselt zu werden!“ Frank Becker


Der Hochglanzprospekt Zum ersten Mal machte ich mir Gedanken über eine Geldanlage. Dorothea Renckhoff Studium Theater- u. Literaturwissenschaft, Theorie des Films Ruhr-Universität Bochum; Praktika an Theatern u. als Kulturjournalistin Erstes Engagement am Schauspielhaus Bochum bei Peter Zadek (Assistentin Regie/ Dramaturgie), später Dramaturgin Freie Volksbühne Berlin, Regieassistentin u. Autorin WDR-Fernsehen, Leitende Dramaturgin Rheinisches Landestheater, Chefdramaturgin Städtische Bühnen Münster. Beendigung der Theaterkarriere, da eine führende Position am Theater mit den familiären Anforderungen (verheiratet, zwei Kinder) nicht mehr vereinbar war. Seitdem freischaffend in Köln als Autorin und literarische Übersetzerin. Seit 2008 Mitglied im PEN-Club.

Dorothea Renckhoff, Foto: Frank Becker

Das Haus meiner Großeltern hatte verkauft werden müssen; es sollte einem öffentlichen Bauprojekt weichen. Die Erbengemeinschaft bereitete den Erwerb eines anderen Objekts vor, aber ich war die Streitereien um Reparaturen und Instandhaltungskosten leid und ließ mir meinen Anteil auszahlen. Das Geld als Finanzierungsgrundlage für eine größere Wohnung zu nutzen, kam für mich nicht in Frage; ich hatte keine Lust, mich auf Jahre hinaus zu verpflichten, und mit dem Appartement, das meine Mutter mir geschenkt hatte, war ich völlig zufrieden. Eine Anlageberaterin meiner Bank stellte mir eine Liste von Vorschlägen zusammen, wie mein Portefeuille, wie sie es nannte, sicher und dennoch gewinnbringend strukturiert werden könnte. Sie war eine schöne üppige Frau, und ihre Ausführungen wirkten durchdacht. Da mein kleines Kapital aus einem Hausverkauf stammte, gefiel mir der Gedanke, dass ein größerer Teil der Summe für Immobilienfonds verwendet werden sollte.

Sie informierte mich über Ertragssituation, Wertschwankung, Ausschüttungen und vieles andere, und erst dann legte sie den Hochglanzprospekt des Fonds vor mir auf den Tisch. Ich war bereits entschlossen, mich ganz auf ihre Sachkenntnis zu verlassen, und blätterte das Heft nur aus Höflichkeit durch, doch die leuchtenden Farbfotos nahmen meine Aufmerksamkeit sofort gefangen. Es handelte sich um Beispiele für die Liegenschaften, in denen die Gelder des Fonds in aller Welt angelegt waren. Die Bilder übten einen merkwürdigen und stetig wachsenden Sog auf mich aus. Ich hatte mit einem Schlag das dringende Bedürfnis, vor diesen Gebäuden zu stehen, ihre wirkliche Gestalt vor mir aufragen zu sehen, sie zu betreten, die schimmernden Mauern, die Glasfassaden zu berühren und in die Tiefe ihrer Räume einzudringen, von denen mir der Prospekt nur das äußere Bild zeigte. Es war eine Sehnsucht wie ein brennender Durst, und ohne lange zu überlegen, verringerte ich meine Anlagesumme, um mir

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eine Reise zu einigen der Objekte leisten zu können, von denen mir nun bald, wie ich es mir vorstellte, ein Steinchen, ein Klümpchen Beton oder ein Zweig im Vorgarten gehören sollte. Wenig später befand ich mich in Paris und war unterwegs zu einem achtstöckigen Bürogebäude, dessen Abbildung sich in der Werbebroschüre in meiner kleinen Mappe befand. Ich hatte mir klar gemacht, dass ich nicht alle Schauplätze der abgedruckten Fotos würde besuchen können, aber ein rasch erbetener und gewährter Urlaub von vierzehn Tagen sollte mich über Paris und London nach Florida, ins Silicon Valley und nach Tokyo und Seoul führen. Je nach meinem Befinden und dem Zustand meiner Finanzen würde ich eventuell auf dem Rückweg noch eine Bank in Budapest und ein Hotel in Wien besichtigen. Es war noch früh am Nachmittag, aber die Dezembersonne stand tief hinter schweren Wolken. Die Straßenlaternen brannten schon, und Cafés, Auslagen und Büros, alle Fenster waren hell erleuchtet. Ich blieb vor einem Delikatessgeschäft stehen, um meinen Prospekt aus der Tasche zu holen, und in dem Lichtschein, der durch die gläserne Tür nach draußen fiel, betrachtete ich noch einmal das Foto, dessen Vorbild in der Wirklichkeit ich suchte: ein hoch aufragender, langgestreckter Körper, wie in einer vorwärts drängenden Bewegung erstarrt, ein schlanker Riesenelefant mit Hunderten strahlender Fenster am ganzen Leib, ein kraftstrotzendes Wesen im perlfarbenen Dunst der Großstadt. Im Weitergehen hielt ich das Heft in der Hand; ich war im richtigen Stadtteil, es konnte nicht mehr weit sein. Und unvermittelt stieg es vor mir in die Höhe, mein Bürogebäude, das erste Ziel meiner Pilgerfahrt. Ich stand ganz still und sah zu ihm auf, und sehr langsam rieselte durch meine Augen etwas in mich ein, das als Erstaunen begann und sehr schnell zu Schrecken wurde. Die vielen großen Fenster an seinen Flanken, an Brust und Bauch waren dunkel. In allen Gebäuden ringsum war Licht und Leben, aber in diesem wurde

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in keinem Büro gearbeitet. Am frühen Nachmittag eines Werktages wurde hier nicht gearbeitet. Ich suchte und fand den Haupteingang, er war verschlossen. Nicht ein einziges Firmenschild war neben der Tür angebracht. Nicht mal ein Notlicht brannte in dem weitläufigen Vestibül, dessen dämmernde Leere sich hinter den Glasscheiben breitete. Ich fragte in der Nachbarschaft, in Läden und Restaurants, aber mein Französisch ist schlecht, und ich erhielt keine verständliche Antwort. Immer wieder sah ich zu dem eleganten Koloss auf, der es wagte, sich an einer exponierten Pariser Straßenkreuzung in Dunkel zu hüllen. Erst als ich die Kreuzung überquert hatte und mich ein Stück entfernte, um zu überprüfen, ob wirklich alle Fenster dunkel waren, sah ich hoch oben an der schmalen Stirnseite ein einziges Licht. Das kleine helle Quadrat war längs unterteilt durch einen schwarzen Balken und starrte auf mich herunter wie das Auge eines Reptils mit seiner senkrechten Pupille. Mühsam wandte ich mich ab und ging fort. In den Kronen der kahlen Bäume am Straßenrand rieselten die silberblauen Tropfen der Weihnachtsbeleuchtung mit derselben Kälte wie das eisige Erschrecken in mir. Dieser Schrecken war mehr als die Sorge um mein Kapital. Ich hatte das Gefühl, auf dem gedruckten Bild in meinem Prospekt hätten sich schwarze Löcher aufgetan, um mich durch das Papier in einen Abgrund zu reißen. Ich versuchte, meine Fassung wieder zu gewinnen, und während ich das Reptilienauge noch im Nacken spürte, griff ich nach meinem Mobiltelefon und wählte die Nummer meiner Anlageberaterin. Ich erreichte sie nicht; sie war im Kundengespräch; man würde ihr meinen Anruf ausrichten. Bedrückt kehrte ich in mein Fünfsternehotel zurück. Ich dachte an die Rechnung und ärgerte mich über meinen Leichtsinn. Dennoch ging es mir schon wieder etwas besser, und plötzlich fiel mir ein, dass das dunkle Bürogebäude vielleicht von nur einer einzigen Firma gemietet war, den Namenszug konnte ich überse-

hen haben, und möglicherweise war die ganze Belegschaft auf dem jährlichen Betriebsausflug, oder bei einer vorgezogenen Weihnachtsfeier. Der Gedanke beruhigte mich. Überprüfen konnte ich ihn nicht, denn für den nächsten Tag hatte ich bereits die Besichtigung eines Objekts in London eingeplant, eines Geschäftshauses im Finanzdistrikt, schlank und stolz wie ein riesiges Schiff aus blaugrünem Glas, als hätte der König des Meeres sich aus Wellen eine Handelsniederlassung gebaut. Als ich mir durch Hunderte von Banken meinen Weg zu dieser architektonischen Schönheit suchte, hatte ich alle Sorgen vergessen. Ich hielt mein Heft in der Hand wie einen Kompass, aufgeklappt bei dem Bild, nach dessen Wirklichkeit ich suchte. Ich fand es ohne Schwierigkeit. Da lag mein Flaggschiff vor dem Wind und zerteilte mit seinem schön geschnittenen Bug die Straßen des Börsenviertels. Aber es war ein Schiff, das dem Abwracker in die Hände geraten war. Es kam mir vor wie eine groteske Karikatur auf das schimmernde Schmuckstück, das ich gesucht hatte. Es war eine Ruine. Im Herzen von Londons Finanzimperium spreizte sich ein riesiges Gebäude aus rostigen Skeletten mit blinden Fenstern und zerbrochenen Scheiben. Der Haupteingang stand offen, die Türen schlugen im Wind. Ich trat ein und erschrak über ein allgegenwärtiges, rasselndes Geräusch, bis ich begriff, dass der Luftzug Unmengen trockener Blätter hereingeweht hatte und auf den langen Fluren vor sich hertrieb. Von irgendwoher quoll ein fauliger Geruch. Überall lagen Scherben, und als ich durch die gesprungenen gläsernen Wände hinaus blickte, bot sich die gesamte Architektur ringsum meinen Augen als Trümmerlandschaft dar; die ganze Londoner City schien zermürbt, zerbröckelt und verfallen. Ich stürzte nach draußen, und sofort stand der Finanzdistrikt wieder unversehrt vor mir. Nur mein herrliches Haus aus blauem Glas blieb ein elendes Gespenst seiner selbst. Mit zitternden Fingern wählte ich die Nummer meiner Beraterin. Dies Mal meldete sie sich,


wollte nicht glauben, was ich erzählte. Vielleicht hielt sie mich für betrunken. Doch dann wurde sie sehr ernst und versprach, der Sache nachzugehen. Sie würde mich wieder anrufen. Sehr bedrückt trat ich die Weiterreise an. Das Unglück blieb mir treu. Alle Flüge nach Florida waren gestrichen. Ich beschloss, Florida zu überspringen, und versuchte stattdessen, so schnell wie möglich nach Kalifornien zu kommen. Meine Beraterin rief mich nicht zurück. Ich versuchte immer wieder, sie zu erreichen, aber die Leitung war tot. Alle Hoffnungen setzte ich jetzt auf die große Appartementanlage im Silicon Valley, deren Bild mich von Anfang an fast am meisten von allen bezaubert hatte, wie ein Traum aus dem Paradies. Eine Gruppe weißer Bungalows mit Veranden und Pergolasäulen, blütenumrankt und unter alten Bäumen geborgen; jedes der Häuser unterschied sich ein wenig von den andern, und alle sahen sie aus wie nach dem Goldenen Schnitt gebaut. Es war Spätnachmittag, als ich vor meinem Ziel aus dem Mietwagen stieg. Die Anlage wirkte auf den ersten Blick sehr gepflegt. Ich atmete auf: keine Ruinen, keine Scherben, keine leeren Fensterhöhlen. Ich ging auf den Haupteingang zu und betätigte den nostalgischen Klingelzug an der Mauer. Drinnen erklang ein lange anhaltendes melodisches Läuten von vielen kleinen und großen Glocken. Darauf folgte ein Wispern und Flüstern von vielen hundert Stimmen, das am Tor begann und ins Innere davon lief. Es waren keine Worte zu verstehen, und erst, als das letzte Zischeln in der Ferne verklungen war, öffnete sich ein Türchen in der Wand, und eine alte Frau bat mich herein. Sie hatte ein zartes Gesicht voller tief eingegrabener Runzeln und führte ein kleines Kind an der Hand. Als sie sich umwandte, um mir voran in ihre Portiersloge zu gehen, sah ich, dass ihre grauen Haare ihr über den Rücken bis zu den Knöcheln der Füße hingen, doch es waren keine einzelnen Strähnen oder Locken zu erkennen, alles war zu einer dicht verwobenen Matte zusammengewachsen, aus der man Filzpantoffeln hätte

herstellen können, und tatsächlich trug sie welche an den Füßen. Sie empfing mich in einem Raum, wo eine medizinische Schautafel an der Wand und ein großer ausgestopfter Alligator unter der Decke hingen. Wir nahmen in holzgeschnitzten Sesseln vor einem leeren Kamin Platz, und das Kind saß auf ihrem Knie und sah mich mit ruhigem Blick unverwandt an. Ich erzählte ihr, ich sei seit kurzem an dem Fonds beteiligt, dem die Anlage gehöre, und wolle mir gerne ein reales Bild von den Liegenschaften machen. Zwischen ihren Runzeln tat sich ein mädchenhaftes Lächeln auf, es sei schön, sagte sie, dass einmal jemand von uns vorbeikomme. Dann stellte sie das Kind auf den Boden, reichte ihm einen Finger und begann, mich durch das gesamte Anwesen zu führen. Alles schien in bester Verfassung, die Häuser blumenüberrankt unter blühenden Bäumen, wie ich es auf dem Foto gesehen hatte, kleine Brunnen plätscherten an sauberen Wegen, und die Abendsonne spiegelte sich in klaren Fensterscheiben. Aber alles war still, nirgendwo zeigte sich ein Bewohner, kein Hund bellte, und die eleganten Rattanmöbel auf Veranden und Terrassen blieben leer. Nur ein einziges Mal strömte aus einem der Bungalows eine singende Männerstimme wie ein goldener Strahl aus einem Brunnen, und das Kind zeigte mit dem Händchen und sagte: ‚Papa‘. Die Anlage war viel größer, als es auf der Abbildung den Anschein gehabt hatte, und die Alte führte mich immer tiefer hinein. Tatsächlich glich kein Haus dem andern, aber dennoch hätte ich schon bald den Rückweg ohne Hilfe nicht mehr finden können. Das kleine Kind ging unverdrossen auf bloßen Füßchen mit, und ich fragte mich, ob unter den Pflanzen keine Schlangen und Skorpione lauern konnten, aber die Alte schien ganz unbesorgt. Nach und nach begann ich die Folgen der Reise und der Aufregungen der letzten Tage zu spüren; meine Schritte wurden langsamer, und meine Aufmerksamkeit

ließ nach. Die Alte merkte es; sie bat mich in die nächstgelegene Veranda und lud mich ein, die Nacht im dazu gehörigen Bungalow zu verbringen, das sei Sitte hier, sagte sie, wenn einmal einer der Anteilseigner käme. Sie bot mir an, mein Gepäck zu holen und mir etwas zum Essen zu bringen, und ich war so müde, dass ich das Angebot gerne annahm. Erschöpft sank ich auf ein bequemes Sofa; das Kind blieb bei mir und kratzte mit dem Fingerchen in den Fugen zwischen den Bodenplatten herum. An der Wand sonnte sich eine große grüne Eidechse. Es war warm und die Luft sehr feucht, und das, obwohl es doch ganz in der Nähe eine Wüste gab. Einen Augenblick lang glaubte ich, ich wäre trotz allem in Florida gelandet, und der Alligator in der Portierslounge sei aus den nahen Everglades hergebracht worden, aber dann schreckte ich hoch und erkannte meinen Irrtum. Die Alte kam mit meinem Köfferchen und einem Picknickkorb zurück und zeigte mir mein Haus für die Nacht. In einem großen Raum standen ein elegantes hochbeiniges Bett und ein riesiger alter Schrank einander gegenüber. Die Eidechse war mit hereingekommen und sah sich wartend um. Die Alte bewirtete mich, aber ich entschuldigte mich bald, und sie verschwand mit dem Kind auf dem Arm. Draußen war es dunkel geworden, und ich ließ die Lampe im Zimmer brennen und stieg in das schöne Bett. Als ich erwachte, saß die grüne Eidechse an der Wand gegenüber. Sie schien gewachsen zu sein. Neben ihr hockte ein großer Leguan. Sie beobachteten mich, und als sie merkten, dass ich wach war, krochen sie hinter den Schrank. Es war mir unangenehm, die Tiere im Zimmer zu wissen. Mir schoss der Gedanke durch den Kopf, ich könnte mich geirrt haben, und vielleicht war hier im Raum kein Leguan, sondern ein kleiner Alligator, wie sie oft von ihren Besitzern ausgesetzt werden, um in der Freiheit zu wachsen und zur Gefahr für Mensch und Tier zu werden. Doch ich war zu schlaftrunken, um mir ernsthafte Gedanken zu machen.

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Als ich das nächste Mal erwachte, saßen die Tiere wieder auf der Wand neben dem Schrank. Der Leguan schien tatsächlich ein Leguan zu sein, aber die Eidechse war ein ganzes Stück gewachsen, sie war bereits größer als ihr Gefährte und sah eindeutig wie ein Alligator aus. Ein fauliger Geruch hing im Zimmer. Ich wäre gerne geflüchtet, aber ich wusste nicht genau, wo meine Schuhe waren und wagte nicht, mit nackten Füßen auf den Boden zu treten, denn was mochte unter dem Bett sitzen? In diesem Augenblick erlosch das Licht. Mit einem Schlag hatte ich Angst. Ich spürte, wie die Tiere sich regten, hörte ein Schleifen auf dem Boden wie von einem schuppigen Schwanz, und plötzlich kam mir der Gedanke, die in meinem Hochglanzprospekt abgebildeten Orte könnten unter der Oberfläche miteinander verbunden sein, wie zuweilen weit voneinander entfernte Brunnen und Bäche durch unterirdische Wasseradern miteinander in geheimer Beziehung stehen, und wenn auch kein Flugzeug mich hatte nach Florida bringen können, so krochen hier vielleicht dennoch die Reptilien aus den Everglades in mein Zimmer im Silicon Valley. Sie waren durch den Fonds ja alle untereinander verbunden, das dunkle Bürogebäude an der Pariser Straßenkreuzung, die Scherbenruine in London, das Hotelressort mit der Krokodilsfarm in den Everglades und die

Appartementanlage hier in Kalifornien – genauso wie das Kaufhaus in Osaka und der Büroturm in Seoul. Ich lag reglos im Dunkeln und lauschte, aber trotz meines Grauens schlief ich irgendwann noch einmal ein. Als ich zum letzten Mal erwachte, war der Schrank verschwunden. An seiner Stelle führen ein paar Stufen hinunter in ein Bassin. Mein Bett ist in die Mitte des Raumes gerückt und mein Oberkörper von Kissen gestützt, so dass ich die dunkle Wasseroberfläche sehen kann. Sie bewegt sich von Zeit zu Zeit, und manchmal reckt sich ein Stück von einem Schuppenpanzer daraus in die Höhe. Einmal erscheint der Kopf des kleinen Alligators, er ist wieder größer geworden, aber er verschwindet gleich wieder. Der faulige Geruch ist unerträglich geworden. Jetzt öffnen sich zwei Türen im Raum, und eine Masse zerlumpter Elendsgestalten drängt herein. Sie scharen sich um mich, aneinandergedrängt, eine lebende Gefängnismauer. Als Letzte tritt die Alte mit der Haarmatte ins Zimmer. Das schwarze Wasser gerät in heftige Bewegung, der kleine Alligator taucht auf und verschwindet blitzschnell unter meinem Bett. Hinter ihm hebt sich eine riesige Gestalt im Schuppenpanzer aus

Textilmarkt Schloss Lüntenbeck

dem Bassin. Ein Maul mit Zähnen, so spitz wie gefeilt. Ein gezackter Schwanz peitscht das Wasser. Und das Wesen richtet sich auf und geht auf zwei Beinen. Die elenden Menschen sinken in die Knie. Sie beginnen zu murmeln, es klingt wie eine Litanei. Sie heben die nach oben gewandten Hände wie eine Opferschale. Wolken von Gestank wälzen sich über mir zusammen: Das Schuppenwesen nähert sich. Der Echsenschwanz gewinnt eigenes Leben, er windet und wiegt sich wie eine Schlange, und dann züngelt aus seinem schmalen Ende etwas DunkelGespaltenes, das berührt mein Bein, zart und saugend, wie ein Schmetterlingsrüssel. Von hoch oben starrt mich das gelbe Reptilienauge an, wie in Paris, bei meiner ersten Begegnung mit der Realität hinter den Fotos. Ich werde das Kaufhaus in Osaka, das Bürogebäude in Seoul nicht sehen. Ich brauche auch die Bank in Budapest und das Hotel in Wien nicht mehr aufzusuchen. Ich kenne die Wirklichkeit hinter den glänzenden Bildern. Sie heißt Elend und Opfer. Und dies Mal bin das Opfer ich. Dorothea Renckhoff

9. – 12. Mai 2013, 11–18 Uhr Modenschau täglich 12 Uhr

Tageskarte: 3 € | Dauerkarte: 5 € | Kinder bis 12 Jahre frei Tageskarte: 3 €, Dauerkarte: €, Kinder bis 12 Jahre frei Schloss Lüntenbeck, 42327 Wuppertal, www.schloss-luentenbeck.de Schloss 5Lüntenbeck | 42327 Wuppertal | www.schloss-luentenbeck.de

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Wuppertal hat Gute Karten Genau genommen sind es inzwischen 1200 Gute Karten. So viele Ehrenamtskarten hat die Bürgerinitiative „(M)eine Stunde für Wuppertal“ inzwischen herausgegeben. „Wären wir eine Partei“, so Eva Möllers, Mitglied des Gute Karte Teams, „dann stünden wir bereits jetzt an zweiter Position. Und wir werden wahrscheinlich bald an der ersten Stelle stehen. Zumindest können wir heute schon davon ausgehen, dass wir Wuppertaler die Gemeinde mit den meisten Ehrenamtskarten in ganz Deutschland sind!“ Nur eineinhalb Jahre nach dem Start der Guten Karte ist das eine stolze Bilanz.

Foto: Till Brühne Foto: Bundespräsidialamt

Unbürokratisch und ehrenamtlich. Woher kommt dieser Erfolg? Gudrun Herrmann, Projektleiterin bei „(M) eine Stunde für Wuppertal“, hat eine einleuchtende Erklärung: „Wir in Wuppertal machen die Dinge einfach etwas anders, niederschwellig, unbürokratisch, kostengünstig und natürlich ehrenamtlich“. Getreu dem Motto der Initiative ist jede Stunde wertvoll, die in der Stadt ehrenamtlich geleistet wird. Wer sich für andere einsetzt – und sei es für wenige Stunden – erhält seine Gute Karte. Dafür steht ein übersichtlicher Antrag auf www. meinestundefuerwuppertal.de bereit. Gute Karte drückt Anerkennung aus. Und wofür ist die Gute Karte gut? Lohn für die Mühen? Geld, Vergünstigungen? Zahlreiche Gespräche mit Ehrenamtlern haben gezeigt, dass es vor allem darauf ankommt, Menschen, die aus eigenem Antrieb für sich und andere Gutes tun, eines zukommen zu lassen: Anerkennung. Das ist daher auch der (einzige) Zweck der Guten Karte. Inhaber der Guten Karte werden in unregelmäßigen

Abständen zu Veranstaltungen eingeladen, die Anerkennung in Form außergewöhnlicher Erlebnisse zum Ausdruck bringen. Einladungen zu Events für Gute Karte-Inhaber. Organisationen und Unternehmen unterstützen „(M)eine Stunde für Wuppertal“ und bieten exklusive Veranstaltungen an. Sei es der Zoo, der nach Schalterschluss zu einer exklusiven Führung einlädt; eine Buchhandlung, die für Ehrenamtliche eine exklusive Lesung organisiert; der Intendant des Opernhauses, der zu einer Führung hinter die Kulissen und zu einer Probe persönlich einlädt; oder ein Brauhaus, das zeigt, wie Hopfen und Malz zusammenhängen. Opernintendant Johannes Weigand bringt es auf den einfachen Nenner: „Es ist mir einfach eine große Freude, auf diesem Wege einmal den Menschen Danke sagen zu können, die im Hintergrund wirken und unendlich wichtige Arbeit am Nächsten leisten.“

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Initiative trägt viele Früchte. Als „(M)eine Stunde für Wuppertal“ 2006 von Bürgern für Bürger gegründet wurde, ging es vor allem darum, einfallsreich und humorvoll auf das Ehrenamt aufmerksam zu machen. Bald kam die Unterstützung durch die Stadt hinzu, die eine Servicestelle Ehrenamt einrichtete. Inzwischen wird jährlich ein wertvoller, vom Wuppertaler Künstler Frank Breidenbruch entworfener und privat gestifteter Preis für besonderes Engagement im Ehrenamt vergeben. Und im Sommer 2011 folgte die Gute Karte. In Kürze werden Bürger der Stadt gemeinsam mit der Verwaltung eine Freiwilligenagentur eröffnen, das „Zentrum für Gute Taten“. Es gibt allen Grund, Wuppertal als Stadt mit herausragenden Aktivitäten für das ehrenamtliche Engagement zu bezeichnen. Mit anderen Worten: Wuppertal hat Gute Karten! Mitmachen erwünscht! „(M)eine Stunde für Wuppertal“ ist von einer einfachen Initiative zu einer festen Organisation in Wuppertal gewachsen und wird von einer unabhängigen und gemeinnützi-

„(M)eine Stunde für Wuppertal“ Schokoladenfabrik, Obergrünewalderstr. 8a, 42103 Wuppertal Telefon 0202-42990884 E-Mail: info@MeineStundefuerWuppertal.de www.MeineStundefuerWupppertal.de Persönlicher Service für Fragen rund um die Gute Karte an jedem ersten Montag im Monat, 16-19 Uhr in der Schokoladenfabrik. Vom Wuppertaler Künstler Frank Breidenbruch entworfener Preis. Foto: Till Brüne gen „(M)eine Stunde für Wuppertal GmbH“ getragen, die in der Elberfelder Schokoladenfabrik ihren Sitz hat. Dorthin können sich alle Bürger oder Organisationen wenden, die im Rahmen ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit das Logo von „(M)eine Stunde für Wuppertal“ übernehmen oder Anerkennungsevents für Ehrenamtliche unterstützen möchten. Und natürlich alle, die für ihr ehrenamtliches Engagement in Wuppertal eine Gute Karte erhalten wollen.

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„Wunderbar, dass unsere Sparkasse einer der größten Kulturförderer Wuppertals ist.“

Die Stadtsparkasse Wuppertal unterstützt Soziales, Kultur und Sport in Wuppertal mit rund 5 Mio. € pro Jahr. Wir sind uns als Marktführer unserer Verantwortung für die Menschen und Unternehmen in unserer Stadt bewusst und stellen uns dieser Herausforderung. Mit unserem Engagement unterstreichen wir, dass es mehr ist als eine Werbeaussage, wenn wir sagen: Wenn’s um Geld geht – Sparkasse

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Ein Pferd ist ein Pferd Wolf Christian von Wedel Parlow ist 1937 in Prenzlau geboren, wuchs in der Uckermark, Böhmen und Baden auf, studierte in Heidelberg und Kiel Volkswirtschaftslehre, Geschichte und Soziologie, arbeitete als Wirtschaftswissenschaftler am Osteuropa-Institut in Berlin, an der Ökonomischen Hochschule in Prag und der Universität Wuppertal und lebt gegenwärtig in Wuppertal. Im NordPark Verlag Wuppertal erschienene Veröffentlichungen: Deutschlandhymnus. Gedicht Drahomira. Roman

Wolf Christian von Wedel Parlow, Foto: Frank Becker

Froh, ihrem ständigen Spott, er habe bisher noch nie auch nur einen Euro zum gemeinsamen Haushalt beigetragen, endlich etwas Handfestes entgegensetzen zu können, reiste Friedrich nach Nürnberg, wo er im schriftlichen Nachlass Franz Marcs beim Germanischen Nationalmuseum Schriftstücke zu finden hoffte, die von der Franz-MarcForschung bisher vernachlässigt worden waren. Er war ehrgeizig, und sein Ehrgeiz war es, das festgefügte Bild, das die Wissenschaft von dem Künstler gezeichnet hatte, durch seinen Beitrag zu dem Ausstellungskatalog zu erschüttern. In ein anerkennendes Staunen wollte er die Kollegen versetzen, die das Forschungsfeld besetzt hielten. Um endlich aufgenommen zu werden in ihren Kreis. Denn bisher war er ein Nichts in der Hierarchie der Franz-Marc-Forscher, zählte gerade einmal zum Fußvolk. Der Archivbestand war seit seinem letzten Besuch in Nürnberg durch Neuzugänge erheblich gewachsen. Zweimal nahm er sich die Akten Stück für Stück vor − und musste sich eingestehen, dass die Kollegen, die sich

vor ihm dieser Fron unterzogen hatten, sorgfältig gearbeitet hatten. Es fand sich nicht ein Hinweis, der den Stand der Forschung korrigiert oder auch nur um eine Schattierung ergänzt hätte. Er war enttäuscht. Er würde sich nun auf das Übliche beschränken müssen, Leben und Werk des Künstlers darstellen, vielleicht unter Einbeziehung neuerer Veröffentlichungen. Mehr als ein konventioneller Katalogbeitrag würde dabei nicht herauskommen. Ganz am Rande der Recherche war er auf ein Schriftstück gestoßen, das ihn inzwischen mehr beschäftigte als der Katalogbeitrag. Es handelte sich um ein Handschreiben an Franz Marc. Absender war ein gewisser Andreas, Arnulf oder Alexander – die Unterschrift ließ sich bei bestem Willen nicht genauer bestimmen. Der Verfasser – ob er nun Andreas hieß oder einen anderen Vornamen trug – schildert darin einen Besuch bei Gabriele Münter und Wassily Kandinsky, bei dem er Zeuge einer heftigen Auseinandersetzung zwischen den beiden wurde. Wer auch immer dieser Andreas war, vermutlich niemand

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vom Fach, weder Künstler noch Kunsthändler oder Kunstwissenschaftler, aber vielleicht ein wohlhabender Freund und Förderer sowohl Franz Marcs als auch der Gastgeber, wer auch immer er war, er war offensichtlich tief beeindruckt von dem Streit, so tief, dass er meinte, er müsse ihn Wort für Wort festhalten in seinem Brief an den Freund. Friedrich fand den Brief bemerkenswert und begab sich sofort an die Transkription des nur schwer lesbaren Schriftstücks. Er tat sich immer noch schwer mit dem Entziffern altdeutscher Handschriften, aber wenn sie wie in diesem Fall auch noch mit nachlässiger Hand geschrieben waren, war es wirkliche Schwerarbeit. Doch die Mühe lohnte sich, wie er am Ende feststellte. Lieber Franz, – so begann der unbekannte Briefschreiber – unsere Freunde haben mich sehr herzlich aufgenommen. Am Abend floss für mich ungewohnt viel Wein. Wassil las einen Brief seiner Mutter vor. Seit dem blutig niedergeschlagenen Aufstand von 1905 herrschen in Russland unglaubliche Zustände. Hausdurchsuchungen, Denunziationen, willkürliche Verhaftungen, Verbannungen. Die herrschende Klasse hat Angst, dass sich so etwas wie Wassily Kandinsky, Improvisation 13, 1910, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe © VG Bild-Kunst, Bonn, 2012

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der Aufstand von 1905 wiederholt. Sie versucht deswegen, jegliche politische Debatte zu unterdrücken. Wassil überlegt sich allen Ernstes, ob sein Platz jetzt nicht in Russland sein sollte. Gabriele und ich versuchten, es ihm auszureden. Der Wein trug sicher viel zu der aufgewühlten Stimmung bei. Am Morgen waren wir alle wie gerädert. Wassil war sehr still. Er stellte eine schon grundierte, große Leinwand auf und begann mit heftigem Pinselstrich irgendwelche für mich nicht identifizierbaren Gebilde zu entwerfen. Ich saß an der Wand und sah ihm zu. Wir wechselten kein Wort. Irgendwann rief er nach Gabriele und bat sie, uns Kaffee zu machen. Bald darauf stieß Gabriele mit dem Ellenbogen die Tür auf und blieb mit dem Tablett im Türrahmen stehen. „Der Kaffee, Wassil, wie der Meister befohlen.“ Wassily, knurrend: „Stell ihn hin!“ „Schade um die Leinwand. Den ganzen Morgen bist du schon so aggressiv. Was ist los mit dir?“ „Was ist los mit dir“, machte er sie nach. „Hast du nicht gehört, was meine Mutter geschrieben hat? Gestern Abend habe ich dir den Brief vorgelesen. Mal du nur


weiter deine Stillleben, deine friedlichen Dörfer. Dich berührt das alles nicht. Russland, das ist so weit weg.“ „Und du meinst, du hilfst deinem Volk, indem du Blut über die Leinwand fließen lässt.“ Sie wandte sich zum Gehen. „Bleib hier, Riele. Lass dir das erklären. Auch du kannst nur darstellen, was in deinem Kopf ist. Was steckt dort wohl drin in diesem Moment? Doch sicher wieder einmal ein Blumenstrauß. Hast du nicht gerade wieder einen gepflückt? Welcher Friede, welche Harmonie muss in so einem Blumenstrauß stecken!“ Gabriele verschränkte die Arme, ganz Ablehnung. „Aber in meinem Kopf“, fuhr er fort, „gibt es nichts Harmonisches mehr seit dem Brief meiner Mutter. Kein Teich mit Seerosen, keine Kathedrale von Rouen. Sicher, das waren revolutionäre Darstellungen, aber wie fern von der gesellschaftlichen Situation. In meinem Kopf ist nur Zerrissenheit, nur die kann ich darstellen.“ „Dann mach eben mal eine Pause, du Berserker. Komm, wir machen einen Spaziergang.“ Sie legte ihm die Hand auf die Schulter. „Hebe dich hinweg, Verführerin!“ Er drückte einen Klecks tiefrote Farbe auf die Palette und mischte mit dem Pinsel eine Spur giftiges Grün hinein. „Schon die Farben, die du nimmst, da ist nichts Wirkliches, nichts Erkennbares. Ästhetik, die Kunst der Wahrnehmung. Was soll, was kann der Betrachter auf dieser Leinwand erkennen? Du machst dir deinen Ruf kaputt, wenn du so weiter machst.“ „Vielleicht denkst du da an deinen eigenen Ruf, Riele. Dass du mit diesem Kerl zusammen bist. Die Kunst der Wahrnehmung, meine Güte.“ Er fasste sich an die Stirn. „Du machst es dir zu einfach, Riele. Es kann doch nichts Beliebiges sein, was wahrgenommen werden soll. Es geht um die Wahrheit in den Dingen, in ihrer Darstellung, im Prozess ihrer künstlerischen Wiedergabe. Es wäre eine Lüge, wenn ich mich jetzt mit der Staffelei vor die Kirche stellte und – wie der unglückliche Sisley in Rouen – anfinge, meine Impression von der Kirche auf die Leinwand zu projizieren. Wahr ist nur das Chaos in meinem Kopf. Nur das kann ich

in diesem Moment darstellen.“ „In diesem Moment. Niemand zwingt dich, in diesem Moment zu malen. Warum wartest du nicht einfach ab, bis du die Dinge wieder siehst, wie sie sind. Ein Baum ist ein Baum. Ein Pferd ist ein Pferd. Ein Reiter ist ein Reiter. Und die Zustände in Russland sind, wie sie sind.“ Sie drehte ihm den Rücken zu und sah zum Fenster hinaus. „Nun fehlt nur noch, dass du sagst, ich sei krank. Krank, weil unfähig, in einem Pferd ein Pferd zu sehen. Ich will es dir einmal genau sagen: Ein Pferd als Pferd darzustellen ist so überflüssig wie ein Kropf. Man sieht das Tier doch alle Tage. Das Pferd müsste schon irgendetwas auslösen, ein Gefühl, . . . weil es auf irgendetwas losgeht, weil es angreift. Aber Pferde sind Fluchttiere. Sie passen irgendwie zu deiner Harmoniesucht, die ja auch nur eine Art Flucht ist, Flucht vor der Wirklichkeit. . . . Jetzt bleib doch hier, Riele, du musst nicht gleich beleidigt sein, wenn ich mal ein kritisches Wort verliere.“ Die Palette mit dem Pinsel in der Linken, ging er zu ihr hin und streichelte sie am Ohr. „Du hast mich da auf etwas gebracht.“ Er sah auf die Straße hinaus. „Ein Reiter könnte das Pferd lenken, zum Angriff . . . oder wenigstens zum Protest. Aber jetzt muss erst einmal diese Arbeit fertig werden. Schau mal, dieser schräge Strich könnte der Pferderücken sein, ein Pferd, das sich aufbäumt . . .“ „Kein Pferd hat einen so geraden Rücken!“ Sie sah immer noch zum Fenster hinaus, mit verschränkten Armen. „Es geht doch nur um eine Andeutung. Wenn ich noch den Reiter hinzufüge, wird dem Betrachter schon klar werden, dass es sich hier verdammt nicht nur um eine aus der Verzweiflung geborene Komposition handelt. Natürlich ist alles ein wenig improvisiert. Mensch, vielleicht wäre Improvisation wieder einmal ein passender Titel, die Nr. 13 meiner Improvisationen . . . Schau nicht so verdüstert, Riele, ist doch ein guter Tag heute.“ Ich glaube, ich brauche Dir nicht zu erklären, warum ich den Wortwechsel zwischen den beiden so ausführlich wiedergebe. Es könnte manche Anregung für Dich darin enthalten sein. Indiskret bin ich nicht, meine ich. Ich hatte sie gefragt,

ob ich Dir von dem Streit berichten dürfte. Du erfreust Dich hoffentlich bester Gesundheit und ungetrübter Schaffensfreude. In alter Freundschaft Dein getreuer ... Kein Wunder, dachte Friedrich, dass der Brief keine Beachtung bei den FranzMarc-Spezialisten gefunden hatte. Er betraf Franz Marc ja nur indirekt, hatte ihn vielleicht beeinflusst, aber beweisen ließ sich das nicht. Außerdem, was fing man als gestandener Franz-Marc-Forscher mit dem Brief eines Unbekannten an? Das machte sich einfach nicht gut in einem Fachbeitrag. Es hörte sich an, als habe der Verfasser da etwas konstruiert, den Brief vielleicht sogar erfunden. Die genaue Quellenangabe diente, wer weiß, vielleicht nur der Tarnung. Für die Kandinsky-Forschung wäre das Schriftstück natürlich ein Fest, aber die schaute begreiflicherweise nicht in das Franz-Marc-Archiv, sie hatte genug damit zu tun, die schriftlichen Hinterlassenschaften ihres eigenen Hausgottes zu sichten. Und Friedrich hielt es für abträglich, sich als Fachfremder auf das Gebiet der Kandinsky-Forschung zu wagen. Man hätte seinen Beitrag wahrscheinlich belächelt. Er musste auf seinen Ruf achten. Allzu leicht bekam man das Etikett eines Dilettanten angehängt. Aber totschweigen wollte Friedrich den Brief des Unbekannten auch nicht. Denkbar schien eine Veröffentlichung im Feuilleton einer größeren Zeitung, vielleicht einer Wochenzeitung. Er bekäme damit ein weiteres Argument gegen den Spott seiner Lebensgefährtin in die Hand. Allerdings müsste er noch einen Vorspann verfassen, am besten, indem er schildert, wie er auf den Brief gestoßen ist. Ja, so wollte er es machen. Wolf Christian von Wedel Parlow

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Kunst in der Sparkasse Kairos Vom Umgang mit dem günstigen Augenblick Klaudia Anosike, Kirsten Rönfeldt, Anna Stöcker

Klaudia Anosike Schlaraffenland 1, 4-teilig, 270 x 200 cm, Acryl und Collage auf Leinwand

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Die Arbeiten von Klaudia Anosike, Kirsten Rönfeldt und Anna Stöcker verbindet inhaltlich kaum etwas miteinander. Im Gegenteil, die Ideen, Intentionen und Konzepte der Künstlerinnen scheinen vielmehr konträr zu sein. Auch im biografischen Werdegang finden sich keine Gemeinsamkeiten: Klaudia Anosike hat Grafikdesign mit dem Schwerpunkt Freie Grafik und Illustration an der Folkwangschule in Essen studiert, Kirsten Rönfeldt absolvierte den Studiengang Industrial Design an der Bergischen Universität und Gesamthochschule in Wuppertal und Anna Stöcker verließ die Düsseldorfer Kunstakademie als Meisterschülerin von Frau Prof. Irmin Kamp nach ihrem Studium der Freien Kunst und der Bildhauerei. In der Verschiedenheit und Eigenständigkeit der drei Künstlerinnen liegt die Stärke ihrer gemeinsamen Ausstellung, die sie „Kairos“ genannt haben. Kairos galt in der griechischen Mythologie als Gott des günstigen Augenblicks. In der Philosophie bezeichnet der Begriff den günstigen Zeitpunkt für eine richtige Entscheidung, den man nicht verstreichen lassen, sondern beim Schopf packen sollte. Für die Künstlerinnen, deren Arbeiten hier im Mittelpunkt stehen, ist Kairos der Moment,

der für das Kunstschaffen essentiell und wesentlich ist, weil ohne die entscheidende Idee und Initialzündung keine Kunst entstehen kann. Jede Künstlerin und jeder Künstler erlebt diesen Augenblick individuell, niemand kann ihn forcieren oder beschleunigen. Die Angst vor der weißen Leinwand kennen Maler ebenso wie Autoren die gefürchtete Schreibblockade. In diesen leeren Situationen wartet Jede und Jeder sehnsüchtig auf Kairos. Der richtige und entscheidende Moment kann sich unverhofft, plötzlich und überraschend, abseits des Ateliers, einstellen. Inspiration und Intuition, Idee und Gedanke werden dann zum Initiator für neue Werke. Kairos verbindet die Künstlerinnen miteinander und steht für den Beginn und Ursprung ihrer Werke, die sich unterschiedlich entwickeln und individuell, autonom und unabhängig nebeneinander stehen. Der Reiz der gemeinsamen Präsentation liegt im Gegensatz und in der Unterschiedlichkeit der Bildaussagen und Darstellungsweisen. Der Dialog der Exponate verdeutlicht Differenzen und zeigt zugleich die Besonderheiten und einzigartigen Merkmale und Eigenschaften dreier spannender, außerordentlich bemerkenswerter Positionen der Gegenwartskunst.


Klaudia Anosike Schlaraffenlandschaften

Klaudia Anosike liebt die Natur, zeichnet und fotografiert im eigenen Garten und nimmt dabei gerne die Position eines Käfers ein, der mittendrin im saftigen Grün einer Wiese die Vielfalt und Übermacht der Natur empfindet. Aber auch laufend erkundet die passionierte Joggerin das Bergische Land und erlebt, erspürt und genießt die Wälder und ihren Wandel im Verlauf der Jahreszeiten. Das Hauptmotiv in den Bildern von Klaudia Anosike gehört zum traditionellsten Thema in der Geschichte der Kunst: Die Landschaft steht im Mittelpunkt der mehrteiligen Werke, deren eindrucksvolle Bildwelten verschiedene Medien kongenial miteinander verbinden. Malerei, Fotografie, Zeichnung und Collage dienen der Künstlerin als technische Mittel, um ihre scheinbar realistischen, beeindruckenden und farbintensiven Phantasielandschaften zu erfinden. Gräser und Farne werden fotografiert und am Computer vergrößert. Im Garten entstandene Zeichnungen scannt die Künstlerin ein, bearbeitet sie am Rechner, verändert ihre Proportionen und Farben und druckt das Ergebnis aus. Die bearbeiteten Naturstudien dienen als Collagematerial und werden Teil der gemalten Leinwandbilder. Klaudia Anosike konstruiert in einem langwierigen Arbeitsprozess zeitgenössische Ideallandschaften, die sie „Schlaraffenland“ nennt. Malend schafft sie eine grün und blau geprägte Bühne für Gräser, Farne, Blüten und

Flechten, die den Bildraum definieren. Die verschiedenen Bildelemente werden Teil fiktiver Traumwelten, deren Perspektive bewusst keiner Logik folgt. Bestimmendes Gestaltungsprinzip ist die Phantasie. Die künstlichen Produkte wirken wie täuschend echte Abbilder, deren Dimensionen den Betrachter in das Bild hineinziehen. Während des Entstehungsprozesses wachsen die Bilder und werden großformatig und mehrteilig fortgeführt. So wird der Mensch, obwohl er auf den erfundenen Orten niemals sichtbar ist, integraler Bestandteil der Landschaft. Die Natur dient auch als Ideengeber für die Reihe „Cutouts“. Die Künstlerin zeichnet mit dem Bleistift florale Formen und orna-

Klaudia Anosike Cutout 3, 107 x 78 cm, (geschnitten aus aquarelliertem Büttenpapier) mentale Strukturen auf Büttenpapier, färbt die Flächen grün und schneidet diese anschließend mit dem Skalpell aus. Diese filigrane Arbeit erfordert Geduld, Akkuratesse, Konzentration, Fingerspitzengefühl und kontemplative Ruhe. Die Format füllenden Pflanzengebilde wachsen scheinbar grenzenlos in- und übereinander. Das Auge des Betrachters taucht ein, verliert sich im akribischen Gestrüpp des paradiesischen Grüns und muss doch sehr präzise schauen, um sich zu orientieren. Dabei stößt der Betrachter an die Grenzen des Sehens. Die Tiefe

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des Bildraums lässt sich nicht umfassend bis auf den Grund erobern. Mensch und Natur nähern sich bei Klaudia Anosike auf wunderbar beglückende Weise: Sensibel und feinfühlig präsentiert wird die Welt nachdrücklich spürbar.

Kirsten Rönfeldt Augenschmaus

Das Hauptmotiv in den Fotografien von Kirsten Rönfeldt ist das Auge. Die Künstlerin erhält Tierköpfe vom Schlachthof, greift selbst zum Skalpell und pult die Augen der Schweine, Schafe und Hühner eigenhändig heraus. Sie ist fasziniert von der Ästhetik der tierischen Sinnesorgane, die bei der Erzeugung von Wurst- und Fleischwaren als Abfallprodukte gelten. Schnelles Arbeiten ist erforderlich, wenn die Künstlerin die Lieferung des Schlachthofs erhält, denn nach kurzer Zeit trübt sich die Iris des toten Organs ein. Kirsten Rönfeldt verwendet die Augäpfel für ihre Fotografien und nahezu Ekel erregend glotzen die Tieraugen zwischen Cornflakes, aus der Bratpfanne oder auf dem Brotbelag hervor. Die surrealen, disparaten Arrangements befremden, erstaunen und irritieren den Betrachter. Die Kombination der profanen Gegenstände mit einer Menge seltsam homogen starrender Augen wirkt grotesk, absurd und abwegig. Bereiche des alltäglichen, bürgerlich anmutenden, spießigen Wohnumfelds werden zur hintergründig rätselhaften Kulisse. Die Metaphorik der inszenierten drastischen Milieustudien erschließt sich nicht. Dennoch animieren die äußerst narrativen

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Darstellungen zu Geschichten und beflügeln inspirierend unsere Vorstellungskräfte. Als zentrales Motiv des Surrealismus steht das Auge als Metapher für die labile Zugeordnetheit der Dinge und verweist darauf, dass die Realität allein mit dem bloßen Auge nicht zu erkennen sei. Die übergeordnete Wirklichkeit galt als vieldeutig und nicht entschlüsselbar. Das Auge gilt als Instrument der sinnlichen aber auch der intellektuellen Wahrnehmung. Es sieht, schaut, guckt, gafft, zwinkert, blinzelt, beobachtet und dient als wesentliches Mittel zur Erkenntnis.

Die Individualität des menschlichen Auges und der damit verbundene Ausdruck höchster Emotionalität fehlen den toten Tieren in den Fotografien von Kirsten Rönfeldt. Dennoch sind die animalischen Objekte von merkwürdig anziehender, melancholischer Schönheit und spiegeln das Licht schillernd und bizarr wider. Die Künstlerin schafft kraftvolle, märchenhafte Werke, die uns zugleich abstoßen und anziehen. Kirsten Rönfeldt stört unsere Sehgewohnheiten, provoziert und bricht Konventionen. Ihre poetischen Fotos handeln vom alltäglichen


Leben, von der Vergänglichkeit und vom Tod. Die ambivalenten Stimmungsbilder bewegen sich zwischen Realität und Fiktion und führen uns an reizvolle Abgründe von Grauen und Schönheit. Kirsten Rönfeldt, linke Seite: Aus der Serie „Blauäugig“, 150 x 100 cm, Fotoprint auf Alu-Dibond unten: Aus der Serie „Blauäugig“, 100 x 70cm, Fotoprints

Anna Stöcker Körperräume Für ihre inszenierten Fotografiecollagen steht Anna Stöcker selbst Modell. Das Medium für ihre überaus tiefsinnige Darstellung seelischer Befindlichkeiten ist ihr eigener Körper. Reduziert, egalisiert und anonymisiert negiert das eigene Ich allerdings jede Individualität und wird zur bloßen äußeren Hülle mit aussagekräftigem Innenleben. Die menschliche Figur steht dem Betrachter frontal gegenüber

und füllt den vertikalen Bildraum aus. Das Abbild des Körpers wird nüchtern und analytisch präsentiert, fast als solle es der medizinischen Analyse dienen und die Anatomie des Körpers thematisieren. Die verletzlich erscheinende grazile Körperhülle dient der Künstlerin jedoch zur Vermittlung feinsinniger und bedeutsamer Inhalte, die sich mit dem Seelenleben des Menschen auseinandersetzen. Mittels banaler Kinderschuhkartons, die hinter die Fotografie montiert werden, schafft die Künstlerin formale Bildräume, die räumlich real und metaphorisch in die Tiefe gehen. Kompositorisch stehen die Innenräume im Fokus des Bildes und zentral in der Mitte des Körpers. Sie sind gefüllt mit alltäglichen Materialien, die allegorisch für bestimmte emotionale Zustände des Menschen stehen. Mullbinden dienen als Sinnbild der Verletzlichkeit, Steine symbolisieren die schwere Last, die auf einem Menschen liegen Anna Stöcker Rote Quadrate, 2 x 200 x 200 cm Filzstift auf Papier

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kann. Fast voyeuristisch blickt der Betrachter in das Innere des gläsernen Menschen und auf den Grund seiner Seele. Anna Stöcker schafft beeindruckende psychologische Portraits vom Menschen, die individuell und zugleich allgemeingültig sind: Sie treffen und betreffen jeden von uns. Stadt im Transit Schaulustige Einblicke in die Privatsphäre fremder Haushalte gewährt die Künstlerin mit ihrer Arbeit „Stadt im Transit“. Zahlreiche Milchtüten werden in einem Holzcontainer neben- und übereinander zu einer fiktiven Stadtansicht arrangiert. Die Häuserzeilen erscheinen vollkommen gleichförmig, denn das Format des Tetra-Packs ist vorgegeben und wird seriell aneinandergereiht. Uneinheitlich dagegen fällt der Blick durch das simulierte Fenster aus, das reale Wohnräume zeigt. Anna Stöcker hat Wohnungen von Freunden und Bekannten fotografiert und die entstandenen Aufnahmen für ihre Installation verwendet. Sie lässt den Betrachter teilhaben am Blick hinter die Fassade. Persönlicher Hausrat, Einrichtungsstil, antikes Mobiliar oder Ikeasofa, Chaos oder Ordnung – es gibt Hinweise auf die Personen, die dort wohnen und ihre Privatsphäre namenlos offenbaren. Das Bewahren der Anonymität schützt die Intimität der namenlosen Protagonisten. Im Zeitalter sozialer Netzwerke, wo private Momente demonstrativ gepostet werden, ist das nicht selbstverständlich. Was aber offenbaren die belanglosen Uploads im World Wide Web über den Menschen? Anna Stöckers Einblicke in alltägliche Küchen und Wohnzimmer sind lebendiger und spannender, weil hier die Sicht auf das Selbst thematisiert wird. Die vermeintlich subjektiven Bilder von fremden Wohnstätten führen zu umfassenden tiefgehenden Gedanken und Aussagen über den Menschen und sein Zuhause.

Anna Stöcker ganz oben: Rote Quadrate, 2 x 200 x 200 cm Filzstift auf Papier

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oben: Körperräume, Installation, 9-teilig, je 50 x 30 cm

Rote Quadrate „Jeder Mensch ist ein Künstler. (…) Damit sage ich nichts über die Qualität. Ich sage nur etwas über die prinzipielle Möglichkeit, die in jedem Menschen vorliegt.“ (Joseph Beuys) Anna Stöcker hat Personen in der Öffentlichkeit angesprochen und sie darum ge-


beten, an einer Kunstaktion teilzunehmen. Jeder, der zufällig gefundenen Akteure, sollte ein Viereck von 10 x 10 cm Fläche mit roten Stiften bemalen, die anschließend zu einem großen Quadrat arrangiert wurden. 400 Menschen gestalteten auf diesem Wege ein 2 x 2 Meter großes rotes Bild. Anna Stöcker fotografierte die unprofessionellen Zeichnerinnen und Zeichner, während sie konzentriert und still, oder auch gestisch, schnell und spontan agierend, ihre Aufgabe umsetzten. Diese 400 fotografischen Dokumentationen wurden, ebenfalls im Format 10 x 10 cm, zu einem weiteren Quadrat kombiniert. Die Künstlerin hebt mit ihrer Aktion bewusst Schranken auf. Der öffentliche Raum wird zum Atelier. Menschen, die sich vielleicht überhaupt nicht mit Kunst auseinandersetzen, tragen entscheidend zur Entstehung eines Kunstwerkes bei und werden Teil einer konzeptuellen Aktion. Anna Stöcker hinterfragt klug den gängigen Kunstbegriff. Wo kann Kunst heute stattfinden? Wodurch definieren sich Kunst und Künstler? Eine endgültige Antwort auf diese Fragen gibt die Künstlerin nicht. Aber sie regt an, über solche Fragestellungen nachzudenken. Dabei bezieht sie ganz gezielt die Öffentlichkeit ein. Menschen, wie Du und Ich, erhalten die Möglichkeit, aktiv am Kunstprozess teilzunehmen. Kunst wird vom Sockel gehoben und demokratisiert. „Jeder Mensch ist ein Künstler“ und hat alle Möglichkeiten, das Leben zu gestalten.

Körperräume, Installation, 9-teilig, Details, je 50 x 30 cm Fazit Drei außergewöhnliche Künstlerinnen, drei phänomenale Ansätze junger Kunst, ein entscheidender Moment – Kairos! Das Ergebnis: Unzählige Ideen, Gedanken, Bilder, Betrachtungen, Reflexionen und Fiktionen über das Leben. Klaudia Anosike, Kirsten Rönfeldt und Anna Stöcker malen, zeichnen, fotografieren, inszenieren, collagieren, arrangieren, kolorieren, variieren,

komponieren und entwickeln unterschiedliche Werke. Sie schaffen eine vielfältige und unerschöpfliche, narrative oder meditative, reale oder hypothetische Bildwelt. Sozialkritisch, ästhetisch, konzeptuell, symbolisch, subversiv, metaphorisch, sensibel und individuell schaffen sie hinterfragend komplexe Bedeutungsebenen. Sie lenken den Blick sowohl auf globale Inhalte als auch auf unsere eigene Identität und erweitern unseren geistigen Horizont so maßgebend und nachdrücklich. Gisela Elbracht-Iglhaut

The art of tool making

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Annika Boos und ihre glückliche Reise…

Annika Boos, Foto: Jessylee

Spielzeit 2012/13 Ensemblemitglied der Wuppertaler Bühnen November 2012 Rolle der Monika in "Glückliche Reise", Wuppertaler Bühnen 2007-2012 Gesangsstudium bei Prof.in Klesie Kelly-Moog Seit 2008 Zusätzliches Studium der Allgemeinen Musikerziehung November 2012 3.Preis beim Bundeswettbewerb Gesang Berlin und Preis für beste Darbietung eines zeitgenössischen Stücks Juni 2012 3.Preis beim internationalen Robert-Schumann-Wettbwerb in Zwickau März 2012 1.Preis Barmenia Musikwettbewerb Mai 2011 1.Preis International LiedDou Concours Enschede September 2011 Nominierung als beste Nachwuchssängerin in NRW von der Fachzeitschrift "Theater Pur" für die Rolle der Margareta in "Der Drache vom Dönberg"

rechts Annika Boos und ihre Mutter Christa rechte Seite: „Glückliche Reise“ mit Annika Boos und Olaf Heye. Foto: Uwe Stratmann

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Mit herkömmlichen Inszenierungen war und wird es immer schwierig sein, überregionales Interesse zu wecken. Oft gehört Mut dazu, auch selten aufgeführte Stücke in den Spielplan zu nehmen. Wuppertals Opernintendant Johannes Weigand bewies diesen Mut, als er die seit 25 Jahren nicht mehr aufgeführte lyrische Oper, die Tragödie „Bluthochzeit“ mit der Musik von Wolfgang Fortner seinem Publikum präsentierte. Nicht nur die Wuppertaler Medienlandschaft hat sich mit der „Bluthochzeit“ intensiv beschäftigt. Die renommierte Fachzeitschrift „Opernwelt“ widmete in der März/2013-Ausgabe der Wuppertaler Inszenierung eine Doppelseite. Vor allem die an vielen Häusern weltweit tätige Dalia Schaechter wurde hochgelobt. Seit 1995 ist die gebürtige Israelin an der Kölner Oper fest engagiert. Aufgetreten ist sie an der Wiener und der Berliner Staatsoper, in Bayreuth und in der Carnegie Hall in New York mit einer Vielzahl hochkarätiger Dirigenten. In einer eher kleinen Rolle als Das Kind/Ein Mädchen stand auch Annika Boos bei dieser Inszenierung auf der Bühne. Sehr konzentriert mit einem Seilchen springend und die Bühne per Sturz verlassend traf sie dennoch erstaunlich virtuos die Töne (siehe letzte Ausgabe von Beste Zeit.) In einer anderen Inszenierung im Opernhaus spielte Annika Boos eine der Hauptrollen. In der im Jahre 1932 im Berliner Kurfürstendamm-Theater uraufgeführten Eduard Künneke-Operette „Glückliche Reise“ brillierte sie in der Rolle der Monika Brink. Und das als festes

Ensemblemitglied. Es ist in der jüngeren Geschichte dieses Hauses nicht allzu oft (wenn überhaupt) vorgekommen, dass eine noch so junge, gebürtige Wuppertalerin mit einem festen Vertrag belohnt wurde. Dahinter steht die sehr besondere Geschichte, als sich die Abiturientin des Carl Duisberg-Gymnasiums im Jahre 2006 um eine Praktikantenstelle bei den Bühnen bewarb und in einer rekordverdächtigen und von vielen glücklichen Umständen begleiteten Zeit in eine Regie-Assistentenrolle schlüpfte und nicht minder schnell auch ihre Gesangskünste beweisen durfte. Sie sang im Extrachor, war die Margery im „Drachen vom Dönberg“, die Papagena in der „Zauberflöte“, die Ilse in der Uraufführung der Kammeroper „Aufstand“ und nun hat sie das Wuppertaler Publikum in der „Glücklichen Reise“ begeistert. Sie hat zu dieser Blitzkarriere gesagt: „Ich habe einfach immer Glück gehabt.“ Behutsam begleitet hat dieses Glück der von seinen Mitarbeitern für warmherziges Teamwork gemochte Intendant Johannes Weigand. Annika Boos landete schon als Praktikantin direkt bei ihm und als sich das Ensemble und auch viele Besucher zur öffentlichen Premierenfeier nach der „Glücklichen Reise“ im Kronleuchter-Saal einfanden, war dem nach der Spielzeit 2013/2014 scheidenden Intendanten eine Prise Stolz anzumerken, als er die Solisten nach vorn bat. Bei Annika Boos prophezeite er: „Ich glaube, da kommt noch was…“ Zu den Premierengästen im Opernhaus zählten neben der Mutter und der Tante


Bei der Championatsehrung auf der Galopprennbahn in Dortmund. Foto: Klaus-Jörg Tuchel Ruth Drees auch zwei Omas und ein Opa. Alle mächtig stolz auf Annika, von der die Frau Mama zu recht sagte: „Es war toll, wie viel Charme sie auf der Bühne versprühte.“ Es war auch ihr Verdienst, dass die „Glückliche Reise“ zu einem Erfolgsstück dieser Wuppertaler Saison wurde. Allerdings vermutete man selbst bei näherer Betrachtung in dieser Rolle von Annika Boos keine 25-jährige. Da hatte das Team um Markus Moser als Leiter der Maske Außergewöhnliches geleistet, bei Elena Fink als Lona Vonderhoff nicht minder. Mit der populären und mittlerweile in Wuppertal vielfältig verwurzelten Solistin und jungen Mutter versteht sich Annika Boos bestens: „Sie ist ein absoluter Profi und ich bin stolz, mit ihr auftreten zu können.“

Die Basis dafür waren Auftritte mit Musical- und Popsongs im CDG und der Gospelchor der Gemeinde UnterbarmenMitte. In der nicht mehr kirchlich genutzten Bonhoeffer-Kirche ist sie vom späteren Hessen-nassauischen Kirchenpräsidenten Professor Dr. Peter Steinacker getauft und von Sylvia Bukowksi konfirmiert worden. Deren Ehemann Peter Bukowski, Leiter des Theologischen Zentrums Wuppertal, hat früh erkannt, welches Potenzial in ihrer Stimme steckt. Christa Boos lässt keinen Zweifel: „Er ist ihr eigentlicher Entdecker.“ Einen Wohnsitz hat die Wuppertalerin Annika Boos noch in der Nähe des Eigelstein-Viertels in Köln. An der Musikhochschule der Domstadt hat sie studiert. Derzeit trifft man sie aber häufig zu Hause

in der Nähe des Barmer Klinikums an. Und wo geht die glückliche Reise der inzwischen für zahlreiche Konzerte gebuchten Sopranistin hin? Annika Boos nimmt es gelassen: „Ich plane nichts. Vieles ist doch ohnehin von Zufällen abhängig. Wenn es mit einer großen Karriere nicht klappt, bin ich auch für andere Dinge geerdet genug.“ Als kleinen Ansporn hat Theaterfreunde-Chef Günter Völker ihr das längst vergriffene Rundschau-Buch „Sprungbrett Wuppertal“ überreicht. Ihre Mutter hat zum Thema Karriere eine eigene Ansicht: „Ich wäre schon mit einer kleinen Karriere zufrieden. Sonst muss ich sie ja mit noch mehr anderen Menschen teilen.“ Oder sich verstärkt auf glückliche Reisen begeben. Zunächst ist das aber nicht notwendig, denn die nächsten Rollen im Opernhaus sind fest terminiert. In „Don Quichotte“ singt und spielt Annika Boos die Rolle des Pedro und im Musical „Evita“ die Mistress, Perons Geliebte. In der Hauptrolle der „Evita“ ist Banu Böke zu erleben, die sehr anspruchsvolle Bass-Rolle des „Don Quichotte“ wird von John In Eichen gesungen. Einen sehr speziellen Auftritt meisterte Annika Boos am 30. Dezember 2012. Auf der Galopprennbahn in Dortmund-Wambel fand die Ehrung der Champions des Jahres 2012 statt. Üblicherweise am Ende mit der Nationalhymne „aus der Dose“ mehr schlecht als recht abgespielt. Weil der Dortmunder Rennvereins-Ehrenpräsident Hans-Hugo Miebach und seine Gattin Jutta aber langjährige, leidenschaftliche und weitgereiste Opernliebhaber sind, durfte der Moderator aus Wuppertal „seine Sängerin“ mitbringen. Allerdings mit großen Bedenken aufgrund der bekannt problematischen Beschallung auf dem weitläufigen Geländen. Doch Annika Boos nahm das alles sehr gelassen. Einen Ständer mit Text zur Sicherheit lehnte sie ab, legte eine grandiose Vorstellung hin und begeisterte die hartgesottenen Typen des Galopprennsports mächtig. Der Jockey-Champion Andrasch Starke: „Das war doch der eigentliche Höhepunkt der Ehrung.“ Auch für den sehr erleichterten Moderator aus Wuppertal. Klaus Göntzsche Weitere Informationen www.annikaboos.de www.wuppertaler-buehnen.de

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Paragraphenreiter Theoretisch kann ich das. Eine Menge schöne Dinge sind nicht nur schön, sondern auch zur Reduzierung einer überhöhten Abgabenlast durchaus geeignet. Kunstgegenstände und Sammlungen zum Beispiel.

Kann ich mit der Übertragung von Kunstsammlungen Steuern sparen?

Speziell um deren Erwerb und Erhaltung zu fördern, gibt es den § 13 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG. Danach können Kunstgegenstände, Kunstsammlungen oder wissenschaftliche Sammlungen zu einem Großteil oder sogar in vollem Umfang von der Erbschaftoder Schenkungsteuer befreit werden, wenn eine Anzahl von Bedingungen erfüllt ist.

Susanne Schäfer, Steuerberaterin Geschäftsführerin der Rinke Treuhand GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft/ Steuerberatungsgesellschaft

Da das Hauptziel der Befreiung die zusammenhängende Erhaltung wirklich umfangreicher, wichtiger und wertvoller Sammlungen und Kunstwerke ist, sind die Bedingungen ziemlich zahlreich. Die wichtigsten (aber noch längst nicht alle) sind, 1. dass die Erhaltung der Gegenstände wegen ihrer Bedeutung für Kunst oder Wissenschaft im öffentlichen Interesse liegt, 2. dass die jährlichen Kosten der Erhaltung in der Regel die erzielten Einnahmen übersteigen, 3. dass die Gegenstände den Zwecken der Forschung oder Volksbildung zugänglich gemacht werden, 4. dass die Gegenstände sich seit mindestens 20 Jahren im Besitz der Familie befinden oder im Verzeichnis national wertvollen Kulturguts enthalten sind. Und da wundert man sich dann manchmal doch, welche Fälle so alle vor dem Bundesfinanzhof landen, weil ein Steuerpflichtiger die gesetzlichen Vorschriften ein bisschen weit auslegt.

„Am liebsten auf der Bühne, und wer weiß wo sonst noch, sind mir Sätze, die man auch tanzen könnte.“

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Zugela

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Neu Karl Otto Mühl

Zum Beispiel unter dem Aktenzeichen II R 7/98 der Kläger, der seiner Tochter nicht nur eine besonders wertvolle, im Vorjahr in London ersteigerte handbemalte Postkarte, sondern auch noch 20 weitere „Kunstgegenstände“ schenkte, deren Gesamtwert unstrittig den schenkungsteuerlichen Freibetrag (der für Kinder aktuell bei 400.000.Euro liegt) überstieg, aber trotzdem schenkungsteuerfrei bleiben sollte. Schließlich sammele er ja schon seit über 20 Jahren so dies und das (Erfüllung von Voraussetzung 4), was der Nachwelt erhalten bleiben solle (Erfüllung von Voraussetzung 1), in seiner Wohnung eine Menge Platz wegnahm und somit Miete kostete (Erfüllung von Voraussetzung 2) und interessierten Forschern auf Anfrage jederzeit zur Ansicht zur Verfügung stehe (Erfüllung von Voraussetzung 3). Das sah der BFH naturgemäß anders. Insbesondere die Übertragung einzelner, noch nicht 20 Jahre im Familienbesitz befindlicher Gegenstände aus einer schon länger bestehenden Vermögensmasse, die vielleicht auch die Bezeichnung „Sammlung“ verdient, wurde von ihm beanstandet. Die schwierige Frage, ob teure Postkarten forschungs- und förderungswürdige Kulturgüter sind, musste er damit gar nicht mehr beantworten. Fazit: Die vielfältigen Ratschläge an wohlhabende Väter, statt eines profanen schenkungsteuerpflichtigen Aktiendepots doch lieber eine schöne schenkungsteuerfreie Kunstsammlung anzulegen und auf ihre Kinder zu übertragen, klingen zwar gut, sind aber in der Praxis eher schwierig umzusetzen. www.rinke.eu

„Das Leben ist sportlich: Der, den du überholst, sitzt dir danach im Nacken.“

Zugelaufene Sprüche

„Mit guten Absichten überschminkt die Seele ihre Pickel“

2013 Verlag HP Nacke Wuppertal 80 Seiten, 9.00 Euro ISBN: 978-3-942043-90-8

„Das wäre ein wunderbares Leben gewesen, sagte der Neunzigjährige, wenn man vorher gewusst hätte, dass alles gut geht.“


tanz nrw 13 in Wuppertal Die nordrhein-westfälische Tanzszene ist vielseitig, spartenübergreifend und international vernetzt. Einen umfassenden Eindruck dieser beeindruckenden Tanzlandschaft vermittelt alle zwei Jahre tanz nrw. Auch in 2013 präsentiert das Festival wieder eine Auswahl herausragender freier Tanzproduktionen aus NRW. Tanzinteressierten bietet es einen umfassenden Überblick über aktuelle Entwicklungen und individuelle Künstlerprofile in der nordrhein-westfälischen Tanzszene. Die nunmehr vierte Edition von tanz nrw verbindet vom 27. April bis 7. Mai 2013 acht Städte NRWs (Bonn, Düsseldorf, Essen, Köln, Krefeld, Münster, Viersen, Wuppertal + Satellit Bochum) zu einem regionalen Festival mit internationaler Ausstrahlung.

Szu-Wei Wu, „Cernes“ Foto: Lena Hedermann

Das Wuppertaler Programm von tanz nrw 13 steht ganz im Zeichen ehemaliger Tänzer des Wuppertaler Tanztheaters und Absolventen sowie Studierenden der Folkwang Universität Essen. Am 2. Mai zeigen Studierende und Absolventen des Instituts für Zeitgenössischen Tanz ab 16 Uhr in der Reihe „Choreografische Inseln“ erste Arbeiten im Café Ada. Ebenfalls am 2. 5. um 20.30 Uhr im Café Ada, provoziert die Renegade-Tänzerin Szu-Wei Wu die Begegnung zweier Pina-Pausch-Tänzerinnen mit einem Breakdancer. Sie untersucht in ihrer Debutinszenierung „Cernes“ die unterschiedlichen Herangehens- und Sichtweisen von Streettänzern und modernen Tänzern. Können diese so unterschiedlichen Tanzstile überhaupt miteinander kommunizieren? Gibt es eine gemeinsame Sprache? Der Choreograf und Tänzer Fabien Prioville und sein Kollege, der Tänzer Pascal Merighi, beide ehemalige Mitglieder des Wuppertaler Tanztheaters, haben sich ge-

fragt, ob es funktioniert, sich mit anderen Akteuren auf einer virtuellen Plattform zu treffen und im Modus der digitalen Interaktion zu experimentieren. Inspiriert vom Videochatroom chatroulette, in dem sich Nutzer aus aller Welt präsentieren und anderen per Zufallsgenerator begegnen, fragen sich die beiden Tänzer, was eigentlich genau den Reiz dieser virtuellen Begegnungen ausmacht: „Experiment on Chatting Bodies“ am 3. Mai, 18 Uhr, Haus der Jugend Barmen. Diese Veranstaltung ist auch Station der Tanz Tour 2, die bereits um 18 Uhr per Bus in Köln beginnt. Von Wuppertal geht’s weiter ins Düsseldorfer tanzhaus nrw (Tchekpo Dance Company „Three Levels“) und anschließend zurück zum Kölner Hbf. Überhaupt lohnt sich der Blick über die Stadtgrenze hinaus: Zum Beispiel nach Bonn, wo tanz nrw 13 am 27. April von der Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport, Ute Schäfer, dem Oberbürgermeister der Bundesstadt Bonn, Jürgen Nimptsch, sowie der Show „Three Levels“ der Tchekpo Dance Company in den Kammerspielen Bad

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Fabien Prioville Dance Company „Experiment on chatting bodies“ Foto: Ursula Kaufmann

Godesberg eröffnet werden wird. Auch Düsseldorf ist eine Reise wert. Dort präsentiert das tanzhaus nrw am 28. 4. die NRW-Premiere von „Don’t Ask, Don’t Tell“ von Ben J. Riepe in Zusammenarbeit mit dem indischen Choreografen Navtej S. Johar (auch am 2. 5., in der Halle Kalk, Köln). Neuer Tanz zeigt in der Orangerie/Marstall Schloss Benrath „CHOR(E)OGRAPHIE / JOURNALISMUS: „kurze stücke“ von VA Wölfl (Version Paris) (1. 5.) und CHOR(E)

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OGRAPHIE /JOURNALISMUS: „kurze stücke“ von VA Wölfl (Version Benrather Linie) (5.5.). Köln hat ebenfalls ein umfangreiches Festivalprogramm. Zu sehen sind u.a. Gudrun Langes Produktion mit Jugendlichen „ich geschichtet“ (3. 5., Alte Feuerwache), Raimund Hoghes „Pas de Deux“ (4. 5., Halle Kalk) und „Rotlicht“ von Henrietta Horn in Zusammenarbeit mit der Musikerin Dorothée Hahne (5. 5., Alte Feuerwache). In der Viersener Innenstadt kann man 29. und 30. 4. die skurrile site-specific-Installation „Dressing the City

und Mein Kopf ist ein Hemd“ von Angie Hiesl und Roland Kaiser erleben und in Essen sollte man sich zusammen mit dem Choreografen Martin Nachbar auf einen Spaziergang über das Gelände der Zeche Zollverein begeben: „The Walk“ (4. 5., Pact Zollverein). Karten gibt es über die einzelnen Veranstaltungsorte. Das gesamte Programm findet man unter: www.tanz-nrw-13.de Katja Roters


Für Ulle Hees im Ort, 20. Juli 2012

Ulle mit Kater Lorbas

Ulle als Künstlerin und Person zu würdigen, ist schwierig. Zu groß ihr künstlerisches Schaffen, zu weit verzweigt und vielfältig ihr Leben als Mitmensch, als Freundin, Weggefährtin, Kollegin. Ich beschränke mich daher auf den winzig kleinen Ausschnitt aus ihrem Leben, den ich mit ihr teilen durfte, die gelegentlichen Begegnungen, die mich bewegten und die ich nie vergessen werde. Irgendwann bei ihr in ihrem Atelier. Ich hatte Ulle um Ideen für ein CD-booklet gebeten. Ihre Daphne fand ich so schön, so schön verträumt, die sollte vorn auf das Titelblatt. Aber Ulles Gedanken waren völlig andere Wege gegangen. Lächelnd schob sie mir ein kleines Blatt über den Tisch, drauf in kräftigen Farben, in Grün, Blau und Schwarz die wilde Skizze einer springenden Katze. „Was ist denn das?“, fragte ich verständnislos. „Siehste doch! - ’n Katzensprung!“ „Katzensprung?!“ „Ja, ich hab Eure Musik gehört und das jiddische Lied vom Katzensprung, das find ich so toll.“

„Aber, aber die Daphne ...“, begann ich noch einmal, „die ist doch so schön verträumt.“ „Eure Musik ist aber nicht verträumt, und jetzt heißt Eure CD eben Katzensprung. Willste ’n Kaffee?“ So war sie, die Ulle, und sie hatte wie so oft Recht. Die CD hieß Kaznschprung. Als wir neulich abends in Ulles verwaistem, dämmerigen Atelier saßen und zusammen traurig waren, da gab es wieder einen Katzensprung. Ulles verwirrte und suchende Katze kauerte sich zusammen und schnellte dann hoch auf meinen Schoß. Suchte Zuflucht an einem Ort, der nicht ihrer war, und verließ ihn bald, um ziellos weiter zu suchen. Liebe Ulle, wo bist du?, hörte man es lautlos fragen. Kaznschprung! Das alte jiddische Lied von Mordechaj Gebirtig fiel mir ein. Huljet, huljet Kinderlech heißt es. Da singt ein alter Mensch, der den Kindern beim Spielen zuschaut. Spielt, liebe Kinderchen, der Frühling schon beginnt!

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Oh, wie bin ich , Kinderchen, neidisch auf Euch!

Wail fun friling bis zum winter is a kaznschprung.

Freut euch, freut euch, Kinderchen, solange ihr jung seid, denn vom Frühling bis zum Winter ist es ein Katzensprung.

Schaut man in die Photoalben, sieht man die junge Ulle. Groß, schlank, lange Beine in geringelten Strümpfen und dieses offene, freundlich-schöne Gesicht, dieser warme Regen an Zugewandtheit, den sie einem schenkte. Die erste Wuppertaler Frauengruppe, aus der eine WG an der Briller Straße wurde, in der auch einige Männer geduldet wurden. Die feiernde, fröhliche Ulle. Der stille, bedeutungsvolle Blick inmitten ihrer Bilder und Skulpturen.

Spielt, liebe Kinderchen, versäumt keinen Augenblick. Nehmt mich auch herein ins Spiel, vergönnt mir auch das Glück. Guckt nicht auf meinen grauen Kopf, oder stört euch das im Spiel? Meine Seele ist noch jung, wie zurück vor vielen Jahren. Meine Seele ist noch jung und vergeht vor Sehnsucht. Ach, wie gerne will sie aus dem alten Körper heraus. Spielt, spielt, liebe Kinderchen, versäumt keinen Augenblick, denn der Frühling endet bald, mit ihm das höchste Glück. Huljet, huljet Kinderlech, kol-sman ir sent noch jung. Ulles 1. Ausstellung, 1961

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Viele, viele verblichene, alte Bilder. Was sag ich – alt? Mensch, das ist doch gerade erst gewesen. Einundsiebzig Lebensjahre, über fünfzig Künstlerjahre: A Kaznschprung, wenn man sie von rückwärts anschaut. Das ist alles noch so nah und gegenwärtig, als sei es eben erst geschehen. Und wer sie in den letzten Jahren erlebt hat, der fühlte, wie da eine noch junge Seele in einem älter und schwächer werdenden Körper wohnte.

Meine Seele ist noch jung wie zurück von vielen Jahren. Huljet, huljet, Kinderlech. Sie hat ihrem Körper viel zugemutet, mehr als er verkraften konnte. Aber es war eben ihr Weg und sie hat die Folgen in Kauf genommen. Sie lebte in einer Lebens- und Schaffensgemeinschaft direkt am „schwarzen Fluss“. Sie teilte den Fluss ihres Lebens mit Euch. Aber sie schuf dort eine ganz eigene Welt, die unverwechselbar die ihre war. Kein Wunder, denn wer außer Ulle hätte in Ulles Welt wohnen können. Es ist unausdenkbar und völlig ausgeschlossen, dass in Ulles Atelier irgendetwas anderes sein könnte als Ulles Atelier. Wer diesen Raum betritt, der spürt, sie ist noch da. Sie wohnt und lebt in der flimmernden Vielfalt all dieser Millionen Einzelheiten, die das Auge entführen, solange man sich umschaut. Und diese Anwesenheit darf nicht zerstört werden. Wer immer Hand daran legt, sollte im Sinn haben, das alles zu bewahren, zu katalogisieren, der Nachwelt, wie wir sagen, zu erhalten, statt es womöglich zu vermarkten.


Ulle und ökonomisches Denken, das war immer ein unvereinbarer Gegensatz. Sie tat so oft, was sich nicht rechnet, und gerade das machte sie so attraktiv. Ein Leben ohne Rendite und Wachstumsdiktat – dass es das noch gibt! Dass das geht! Das lässt hoffen in einer Zeit, in der die großen Hoffnungen sich erschöpft haben. Die großen Staatstheorien haben sich erledigt, die Welt erstickt im Kommerz. Die großen Religionen sind auf verhängnisvolle Weise mit sich selbst beschäftigt und driften ab in den Fundamentalismus. Politiker schreiben Plagiate oder schmuggeln Teppiche aus Kriegsgebieten am Zoll vorbei, eine hoffnungslos auf Profit ausgerichtete Welt. Eine Führungselite mit Kleinkriminellen. Wo gäbe es da Anlässe zum Hoffen? Vielleicht brauchen wir in der Welt der großen, bedeutungslosen Worte Eure Kunst, Ihr vielen Künstler, die Ihr heute da seid, im Ort in der Luisenstraße. Wir brauchen Eure Kunst, die ohne große Worte Wahres sagt und unbeeindruckt vom Kommerz innere Prozesse unbestechlich Gestalt werden lässt, von Herz zu Herz erzählt und wirkt, im Kleinen Hoffnung, Mut, Oppositionsgeist und Phantasie weckt. Die Phantasie, habe ich in Ulles Atelier gelernt, ist ein wilder Affe. Und wilde Affen lassen sich nicht beherrschen. Eine solche Wirkung wie eben beschrieben ging von Ulle aus. Wer ihre Nähe suchte, der wollte etwas abbekommen vom wilden Affen, vom ungezähmten Leben, das wir so bitter nötig haben. Von der Sehnsucht und von der Courage. Alte Menschen kamen zu ihr, angehende Psychotherapeuten kamen als Gruppe, Kunststudenten, Laienkünstler, die sich manchmal erstaunlich schnell in ihrem künstlerischen Schaffen steigerten. Und nicht nur Erwachsene förderte sie. Eines Tages war eine Gruppe hochbegabter Kinder bei ihr zu Gast. Die sollten in ihren künstlerischen Kompetenzen gefördert werden. Als die Lehrerin die Kinder am Ende des Nachmittages fragte, was ihnen denn nun am Besten gefallen habe, sagte eines völlig überraschend: Der Tisch da – und zeigte auf Ulles Sofa-

tisch. Warum? Man muss dran gesessen haben, um das zu verstehen. Umkränzt von einem alten Sofa und einfachen Holzstühlen türmt sich dort auf diesem Tisch ein Kosmos von unterschiedlichsten Fundstücken: Blumen, Gläser, Haribo Lakritzen auf einer dreistufigen Etagere, Herzen, Plastikspielzeug, Zigaretten, Steinchen, Glasperlen, Sterne, Monde in schrillen Farben und: mittendrin und ein bisschen obenauf ein kleines, rotes Kaleidoskop, Sinnbild für dieses uferlose Gewimmel. Wer das Durcheinander aber mit Abstand anschaut, gewahrt die ordnende Hand, die schöpferische Gestaltung. Irgendwie, fragt mich nicht warum, ist dieses Chaos schön. Es war ein Kind, das das bemerkte.

Ulle auf ihrer Atelier-Schaukel, Karneval 1981

Vielleicht verstehen das auch am ehesten Kinder, dass da ein Mensch in einer ganz und gar eigenen chaotisch schönen Welt lebt und in dieser Welt wirkt und arbeitet, liebt und kämpft, genießt und leidet, hofft und stirbt. Sie hätte mit all ihrem Talent und einem Mehr an Disziplin ein abgesichertes, bürgerliches Leben gestalten können. Aber sie war zufrieden, wenn für den täglichen, bescheidenen Bedarf gesorgt war. Sie war in einem guten Sinne sorglos. Das machte sie reich. Sie zeigte keine, wie die Buddhisten sagen: Anhaftung an bürgerliche Werte und Ziele. Das war ihre große Freiheit. Und sie lebte achtsam, mit dem Blick auf die kleinen Dinge, die Nebensachen, die das Leben oft so charaktervoll machen.

Ulle mit Großneffe Julian, 1990 (Foto: Hensel)

Ich habe sie großzügig erlebt. Sie schenkte einem viel von ihrer Zeit. Viel von ihrer Achtsamkeit. Wenn man mit ihr sprach, bekam man ein Gefühl von eigenem Wert. In ihrer Ansprache lag immer etwas Förderndes, Wertschätzendes. Immer ging ich ein wenig mutiger von ihr fort, als ich gekommen war. Schon ihr Atelier machte mir Mut. Das ist heute noch so. Mut zu einem selbstgestalteten, unkonventionellen Leben. Wer dieses Atelier betritt, bekommt ein Stück von seinem Kinder-Ich zurück, das Staunen, das Mit-großen-AugenSchauen, das Sich-überraschen-Lassen. Eine Villa Kunterbunt, in der eine Frau lebte, die ihre Stärke aus der Individualität gewann. Sie konnte nicht nur ein Pferd stemmen, sie konnte sich auch gegen den

Ulle in der Galerie „Kunsthandel Schmidt“, 1991, v. l. n. r.: Zotos Zachariadis, Peter Kowald, Detlef Schmidt, Ulle Hees

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braunen Zeitgeist stemmen, der einst war und der noch immer ist. Sie war Beichtmutter für Viele. Mit ihr konnte man ruhig und ohne Scham auf das eigene, unvollkommene Leben schauen. Erstaunlich viele Frauen sagen, Ulle sei ihre beste Freundin. Und nicht nur ihr nahestehenden Menschen ging das so. Sie konnte auch Wildfremden bei Bedarf zu Hilfe kommen. Wie oft hat sie Geld verliehen, Bürgschaften übernommen, Zivilcourage gezeigt. Liebe Ulle, wo bist Du?

Ulle mit Freunden im Atelier anlässlich ihres 50. Geburtstags, 1991

Ulle und die Fotografin Ellen Auerbach in ihrer New Yorker Wohnung, 1998

Der Oberbürgermeister dieser Stadt hat gesagt, durch die Skulpturen, die Frau Hees hinterlassen habe, bleibe sie der Stadt wertvoll. Nein, Herr Oberbürgermeister ! Eben nicht ! Ulle kann man nicht auf die Wiedergabe Wuppertaler Originale reduzieren. Sie lebt nicht allein in der Wirkung ihrer Plastiken. Sie lebt in all den Herzen, die sie erwärmt hat. Sonst wären wir alle heute nicht hier. Oder ist sie etwa nicht lebendig in den Begegnungen, die wir mit ihr hatten? Sehen wir etwa nicht, wie sie da hinten mit einem Glas Wein in der Hand lächelnd zuhört, während wir hier ihrer gedenken? Sie ist auf eine geheimnisvolle Weise gegangen. Sie hat die Welt des Konkreten – Vorfindlichen verlassen, um ihre Reise nach Überall anzutreten. Sie ist wie so oft eine Pionierin. Sie ist schon mal vorgegangen. Und ist uns von dort aus so nah. In weiter Ferne so nah. A Kaznschprung, mehr trennt uns nicht von ihr und den anderen da drüben. Grüß schön, liebe Ulle, grüß Peter Kowald und die Anderen und komm immer mal wieder in unsere Runde, um uns Mut zu machen, wir brauchen Dich. Es ist ja gar nicht weit. Und irgendwann, irgendwann kommen wir ja nach. Huljet, huljet Kinderlech, kol-sman ir sent noch jung. Wail fun friling bis zum winter is a kazn-schprung.

Ulle im ort, April 2012, eines der letzten Fotos, links Cooper-Moore, rechts Jorgo Schäfer (Foto: Helmut Steidler)

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Klaus Harms


Den eigenen Weg gegangen! Nachruf auf den Komponisten Konrad Hupfer (1935 – 2013)

Am 4. März 2013 starb der Komponist Konrad Hupfer in seiner Geburtsstadt Wuppertal. Mit ihm verliert die Kunst und Musik der Gegenwart einen unbestechlich innovativen, stillen, aber richtungsweisenden Vordenker und Pragmatiker. Längst bevor das „modern“ wurde, gelangte Konrad Hupfer in seiner Klangkunst zu einer eigenständigen Synthese aus „Universal denken und lokal handeln!“. Begonnen hatte er als JazzPianist, -Komponist und -Arrangeur, ehe er unübersehbare Zeichen setzte auf dem Gebiet der Neuen Musik. Hier schuf er erstaunliche eigene Werke – von innovativen „Zeit-Raum-Klang“-Projekten, oft mit regionaler Anbindung, wie der Klangskulptur für das Redaktionshaus der „Bergischen Blätter“, Wuppertal 1995 oder „ZeitRaumKlang2000“ zum 100jährigen Jubiläum der Historischen Stadthalle Wuppertal, bis hin zu Kammermusik, Lyrik-Kompositionen u.a. zu Texten von Baudelaire, Georg Werth, Else LaskerSchüler und Armin T. Wegner (2006) und Orchesterwerken wie „Orchesterbild mit Amadeus“ (1990). Als Begründer des renommierten Nova Ensemble schuf er einen engagierten Klangkörper, mit dem er vielen Werken zeitgenössischer Kollegen zur (Ur-)Aufführung und zum Durchbruch verhalf. Das Nova Ensemble wurde auch zum gediegenen Markenzeichen der Uraufführung seiner eigenen Werke. Dass man die Musik Konrad Hupfers nicht auf ein, zwei „schnelle Begriffe“ bringen kann, spricht für sie: Seine sensiblen Klänge passten nicht in „Schubladen“, und an „Populismus“ hatte er so wenig Interesse wie an „breitgetretenen Wegen“. Die Frage aus Schuberts „Winterreise“ könnte die seine gewesen sein: „Was vermeid ich denn die Wege, die die anderen Wandrer geh`n?“ Und dennoch gelangen ihm unmittelbar sinnliche, direkt zu Herzen gehende Klänge, wirkliche Klangerlebnisse für viele, die ihm zuhörten. Nicht zuletzt auch deshalb, weil er es meisterhaft verstand, die Klangfarben der Stimmen und Instrumente einzusetzen. Konrad Hupfer setzte sich mit seinem Werk auch für die Erinnerung an vergessene und verdrängte Autor/inn/en oder geistig-politische Strömungen ein. So

etwa für Georg Werth und für die demokratische Revolution von 1848 / 49 in „Hammer und Amboss sein - 7 Hörbilder zur Revolution 1849 in Elberfeld“ (1995) oder für die „großen poetischen Söhne und Töchter“ aus dem Wuppertal, die er zuweilen nicht angemessen gewürdigt fand: Mit seinem impulsiven Else LaskerSchüler-Zyklus „Singe, Eva, dein banges Lied“ und mit seinen beeindruckenden Vertonungen des ebenfalls aus Elberfeld stammenden Dichters Armin T. Wegner - „Wolken“ für Bariton und Kammerensemble, geschrieben 2006 im Auftrag der Armin T. Wegner Gesellschaft, uraufgeführt 2008 vom Nova Ensemble und nachhaltig hörbar auf der Armin T-Wegner-Doppel-CD „Bildnis einer Stimme / picture of a voice“ (Wallstein Verlag, Göttingen 2008). Wie Konrad Hupfer überraschende neue Konnotationen in „alten Stoffen“ fand, die er selbst zu innovativem Musiktheater gestaltete für Schauspieler/innen, Tänzer/ innen, Licht und Klänge, ist beispielhaft zu sehen und zu hören an zwei abendfüllenden Werken: „Der Schwarze Blick“ - mit neuem Blick auf die mittelalterliche Pest und ihre gesellschaftlichen Folgen (2006) – und „Verdammt, die Sirenen singen nicht – Odyssee verkehrt“ (2009). Manches davon ist in Aufnahmen für die Nachwelt bewahrt – andere Werke warten noch auf die Wiederaufführung und die Einspielung als CD. Konrad Hupfer ist mit zahlreichen Kompositionspreisen ausgezeichnet worden, unter anderen mit dem Musikpreis der Stadt Marl (1971), dem Preis des Concours International de Composition de Musicale-Opera et Ballett, Genf (1975), dem Preis der GEMA-Stiftung für Orchester-Kompositionen (1984) oder dem Preis der Weimarer Frühlingstage für zeitgenössische Musik (2001). Ulrich Klan Foto: Frank Becker

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Im Nebel, Foto: Elisabeth Heinemann


für dich wenn du von uns gehst irgendwann oder morgen sind deine spuren gesät verborgen noch im geflüster der knospen wiegen sie das geheimnis der frucht und wurzeln tiefer jahr um jahr. angelika zöllner

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Wie ein Bad im Klang und Raum der Zeit Von Pérotin bis Pärt Teil V – 900 Jahre geistliche Musiktradition begegnet der Moderne Inspirierend, reinigend, tröstend Was ursprünglich als einmaliges Konzert um ein Werk des zeitgenössischen estländischen Sakralkomponisten Arvo Pärt geplant war, hat sich inzwischen zu einer der erfolgreichsten Konzertreihen der freien Szene im Bergischen Land entwickelt. Das diesjährige Auftaktkonzert findet am 20. April in St. Laurentius, Wuppertal-Elberfeld statt.

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Der Pool der Instrumentalmusiker um die vier Sänger der Wuppertaler Bühnen wurde in diesem Jahr um ein Streichquartett, bestehend aus Musikern des Wuppertaler Sinfonieorchesters, erweitert. So werden die fünf Veranstaltungen zum ersten Mal in wechselnder Instrumentalbesetzung gespielt. Nach Veranstaltungen in St. Maria Magdalena, Wuppertal-Beyenburg, St. Lambertus, Mettmann und einem Konzert in der preisgekrönten Kölner Böhmkirche St. Gertrud, findet die diesjährige Abschlussveranstaltung am 26. Mai in Kooperation mit dem 3. Bonner Orgelfest statt. Mit A-capella-Gesängen, Instrumental- und Ensemblestücken verspricht das neue musikalische Programm wieder einen faszinierenden Gang durch 900 Jahre geistlicher Musik vom Mittelalter bis zur Moderne: Das „Viderunt omnes“ von Pérotin ist ein Zeugnis der frühen mehrstimmigen Kirchenmusik des Mittelalters, dass den Ohren von heute sehr der minimal musik von Steve Reich und Phillip Glass verwandt scheint. Mit Josquin Despréz und Johannes Ockegehm sind zwei Tonmeister der Renaissance vertreten. Das klagende „Mors tu as navré“ von Ockeghem wird neben den Gesangsstimmen in einer authentischen Instrumentalbesetzung mit Gambe, Theorbe und Orgel vorgestellt. Ockeghems Schüler Desprez wird mit Auszügen seiner „Missa pangue lingua“ präsentiert. Ein Werk, das in beeindruckender Weise die Emotionen des latainischen Textes zum Vorschein kommen lässt und zu den großen Meisterwerken des mehrstimmigen A-capella-Gesanges zählt. Mit dem „Funeral canticle“ von John Tavener ist ein ergreifendes Lamento, das der Komponist zum Tode seines Vaters geschaffen hat, im Programm. Er benutzt die Tonsprache der byzantinischen Kultur und spendet durch seine Komposition große Kraft für die trauernde menschliche Seele. Das „Agnus Dei“ aus der doppelchörigen Messe von Frank Martin ist sicher als eine der schönsten Mess-Vertonungen des 20. Jahrhunderts zu nennen. Und von Arvo Pärt, einem der Namensgeber dieser Konzertreihe und vielleicht der bedeutendste zeitgenössische Komponist für geistliche Musik, ist in die-

sem Jahr unter anderem das „Da pacem domine“ im Programm. Im Jahr 2004 hat er es zum Gedenken an die Opfer des Terroranschlags in Madrid komponiert. Die Veranstaltungen beginnen mit einer kurzen Führung durch den Kirchenbau. Dauer ca. 100 min. Der Eintritt ist frei, um ein Spende am Ausgang wird gebeten. Mehr über die Konzertreihe unter www.perotin-paert.de Konzerte 2013: Die Musiker Marco Agostini, Tenor Jochen Bauer, Bass Nathan Northrup, Tenor Javier Zapata Vera, Bariton Heike Haushalter, Violine Liviu Neagru-Gruber, Violine Martin Roth, Violine Petra Stalz, Violine Momchil Terziyski, Viola Michael Hablitzel, Violoncello Gudrun Fuß, Gambe Zorro Zin, Laute/Theorbe Christoph Ritter, Orgel

Plakat zur Konzertreihe


Samstag, 20. April 2013, 19:30 Uhr St. Laurentius, Friedrich-Ebert-Str. 22, 42103 Wuppertal-Elberfeld. „Einer der wenigen klassizistischen Kirchenbauten nĂśrdlich der Alpen“ Gesang: Marco Agostini, Nathan Northrup, Javier Zapata Vera, Jochen Bauer Violine: Heike Haushalter, Petra Stalz Gambe: Gudrun FuĂ&#x; Theorbe: Zorro Zin Orgel: Christoph Ritter +++ Sonntag, 05. Mai 2013, 17:00 Uhr St. Maria Magdalena, Beyenburger Freiheit 49, 42399 Wuppertal-Beyenburg „Eine spätgotische Klosterkirche aus Ruhrsandstein“ Gesang: Marco Agostini, Nathan Northrup, Javier Zapata Vera, Jochen Bauer Violine: Liviu Neagru-Gruber, Martin Roth Viola: Momchil Terziyski Violoncello: Michael Hablitzel Orgel: Christoph Ritter +++ Samstag, 11. Mai 2013, 18:00 Uhr St. Lambertus, Markt 16, 40822 Mettmann „Ein neugotischer Sakralbau mit romanischen Elementen“

Violine: Heike Haushalter, Petra Stalz Gambe: Gudrun FuĂ&#x; Theorbe: Zorro Zin Orgel: Christoph Ritter

IM SKULPTURENPARK WALDFRIEDEN, WUPPERTAL KONZERTE 2013

+++ Sonntag, 12. Mai 2013, 17:00 Uhr St. Gertrud, Krefelder Str. 57, 50670 KĂśln „Ein preisgekrĂśnter Sakralbau von Gottfried BĂśhm aus Betonguss“ Gesang: Marco Agostini, Nathan Northrup, Javier Zapata Vera, Jochen Bauer Violine: Liviu Neagru-Gruber, Martin RothViola: Momchil Terziyski Violoncello: Michael Hablitzel Orgel: Christoph Ritter +++ Sonntag, 26. Mai 2013, 15:30 Uhr Bonner MĂźnster, MĂźnsterplatz, 53111 Bonn „Eine päpstliche Basilika, deren Baugeschichte im 11. Jh. begann“ Gesang: Marco Agostini, Nathan Northrup, Javier Zapata Vera, Jochen Bauer Violine: Liviu Neagru-Gruber, Martin Roth Viola: Momchil Terziyski Violoncello: Michael Hablitzel Orgel: Christoph Ritter Magdalene Zuther Foto: Claudia Kempf

Gesang: Marco Agostini, Nathan Northrup, Javier Zapata Vera, Jochen Bauer

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Veranstaltet von der Cragg Foundation mit freundlicher UnterstĂźtzung von:

PĂŠrotin-Ensemble: Jochen Bauer, Javier Zapata Vera, Nathan Northrup, Marco Agostini

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Neue Kunstbücher Die Vermessung einer Region vorgestellt von Thomas Hirsch Wie fassbar ist das Phänomen Kunst? Es gibt immer wieder publizistische Versuche, die Kunstlandschaft zu kartographieren, rein statistisch zu definieren oder Maßstäbe für Qualität zu entwickeln. Berühmt ist der Kunstkompass, der vor Jahrzehnten begründet wurde und auf der Grundlage von Ausstellungen und Auktionsergebnissen alljährlich eine Rangliste der weltweit „wichtigsten“ lebenden Künstler veröffentlicht. Oder es gibt in jüngerer Zeit gewichtige Bücher etwa der Verlage Phaidon und Taschen, welche Newcomer und Shooting Stars der Kunstszene versammeln. Angesichts einer immer größeren globalen Nachrichtendichte und einer immer stärkeren Unübersichtlichkeit sind diese Sammlungen von Basisinformationen verständlich und wahrscheinlich auch sinnvoll. Natürlich spielen interne Verflechtungen wie bei allen Arten der Präferenz und Ausstellung im Kunstbereich, etwa die Positionierung von Galeristen und deren Lobby-Arbeit, eine wesentliche Rolle. Fernab von jedem wertenden Ranking ist nun ein dreibändiges Werk erschienen, das innerhalb seines Interessenradius absolut demokratisch vorgeht. Der Düsseldorfer Publizist und Künstler Wolfgang Funken hat in mehrjähriger Recherche den öffentlichen Raum der Landeshauptstadt durchkämmt. Sein Titel „Ars Publica Düsseldorf“ ersetzt ein ähnliches, aber konzentrierteres Buch, welches vor einem Jahrzehnt Clemens von Looz-Corswarem und Rolf Purpar veröffentlicht haben. Geblieben ist die Anordnung nach Stadtteilen; aber Wolfgang Funken greift weiter aus. Er erfasst nun auch viele unauffällige Skulpturen im öffentlichen Raum, an öffentlichen und auch privaten Bauten, auch Grabsteine auf Friedhöfen und widmet sich allem mit der gleichen Akribie und mit großen Elan. Seine Darstellung hilft, Düsseldorf und seine Geschichte etwas besser kennen zu lernen, dazu tragen die vielen Kurztexte im Plauderton bei, die eine Menge an Informationen und Erkenntnissen liefern, und man sollte das unruhige Lay-Out und so manchen Verschreiber verzeihen.

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Ein Kompendium ganz anderer Art ist – ebenfalls in Bezug auf Düsseldorf, aber auch darüber – vor einigen Monaten neu aufgelegt werden. 1958 und 1961 haben Heinz Mack und Otto Piene drei Künstlerpublikationen unter dem Titel ZERO veröffentlicht. Als unverändertes Reprint, zusammengebunden und mit einem dafür entstandenen Anhang versehen, sind diese Publikationen nun bei richter | fey verlegt worden. Der vierte Teil beleuchtet rückblickend die Bedeutung der Gruppe ZERO und ihrer Publikationen, veröffentlicht aber auch erstmals einen Text von Daniel Spoerri, der für ZERO 3 bestimmt war. ZERO, die später berühmte Avantgarde-Bewegung um die

Düsseldorfer Mack und Piene, zu denen später Günther Uecker stieß, versammelte im Rahmen von Ausstellungen und Aktionen herausragende Künstler aus Deutschland und aus dem benachbarten Ausland, die in ihrer Kunst einen Neuanfang formulierten: Diese Kunst wirft den Ballast des Gegenständlichen und alles Expressive von sich, akzeptiert Farbe nur als Monochromie, besonders als Weiß. Sie interessiert sich für neue Technologien und deren Materialien, handelt mit Licht, setzt dazu Raster, Spiegel und Kinetik ein und zielt – im Sinne einer gesellschaftlichen Utopie – auf eine Erweiterung der Lebensräume. Zum Symbol von ZERO wird eine senkrecht aufsteigende Rakete. Die drei Ausgaben, die in unterschiedlichem Maße die Anmutung von Büchern besaßen, waren nun eine reine Künstlersache und dürfen als vorbildlich für alle Formen von Künstlerpublikationen gewürdigt werden. Die Beiträge von ZERO 1 bis 3 stammen neben Mack und Piene von Yves Klein, Lucio Fontana, Manzoni und vielen anderen Künstlern, welche das Spektrum von ZERO um die Dimensionen der Stille, der Leere und der Schwerelosigkeit erweitern. Die Originalausgaben sind natürlich längst Sammlerstücke, aber das könnte mit dem vorliegenden Buch irgendwann auch passieren: In seinem „Look“ ist es zugleich ein eigenes Statement zu ZERO – es ist unverzichtbar für jeden, der sich mit dieser Kunstrichtung, ihren Anfängen und ihrer Aktualität beschäftigt.

D. Pörschmann, M. Visser (Hg.), ZERO 4 3 2 1, 552 S., durchgehend bebildert, Hardcover, mit Silberschnitt, 20 x 20 cm, richter | fey, 49,- Euro

So wie ZERO einmal Avantgarde war – und die Künstler die Publikation ihres Werkes hier selbst in die Hand genommen haben – so gibt es immer wieder Versuche, von außenstehender Perspektive die Avantgarde von Morgen aufzuspüren und in Ausstellungen und Katalogen zu bündeln. Das ist im Grunde der Job etwa von Kunstvereinen. Zunehmend entstehen davon unabhängig Bücher, die den Überblick im Bereich des noch nicht Verfestigten unternehmen. Im Kontext mit Düsseldorf ist vergangenes Jahr das dickleibige Buch „Rising – Young Artists to keep an Eye on!“ zu erwähnen. Es stellt 100 Künstler, die in den 1970er und 1980er Jahren geboren wurden, auf jeweils vier Seiten vor: ganz klassisch, mit einem einführenden Text und meh-

Wolfgang Funken, Ars Publica Düsseldorf, drei Bände im Schuber, 1728 S. mit zahlreichen farbigen Abb., geb. mit Schutzumschlag, je 28,5 x 30 cm, Klartext, 159,- Euro Denn so nahe kommt man der Kunst im öffentlichen Raum sonst nicht. Es wäre zu wünschen, dass sie auch in anderen Städten mit dieser Leidenschaft und Beharrlichkeit aufgearbeitet wird.


Olaf Salié (Hg.), Rising – Young Artists to keep an eye on! 420 S. mit rund 500 Farbabb., geb. mit Schutzumschlag, 29 x 24,5 cm, daab, 65,- Euro reren Werkabbildungen. Alles steht und fällt natürlich mit den Juroren und mit der Konsequenz des Konzeptes. Im vorliegenden Buch sind ein Überhang von Künstlern aus dem Umfeld der Düsseldorfer Kunstakademie und aus einigen Galerien dieser Stadt und ein punktueller Einbezug von Künstlern des nahen und fernen Auslandes zu konstatieren. Einige Künstler wiederum, die nicht in diesen Galerien ausstellen, aber doch im Rheinland eine wichtige Rolle spielen, fehlen. Aber recht machen kann man es niemandem. Ein guter Anfang ist gemacht, der etliche herausragende Künstler kompetent vorstellt und das Spektrum zeitgenössischer Kunst umreißt. Der Klassiker aller objektiven Nachschlagewerke ist natürlich das „Allgemeine Künstlerlexikon der Bildenden Künstler aller Zeiten und Völker“, kurz: AKL, das in der Tradition seiner Vorgängerwerke Vollmer und Thieme-Becker steht. Und wie schon Thieme-Becker ist das AKL ab 1983 mit den ersten Bänden zunächst bei E.A. Seemann in Leipzig erschienen, ehe es 1992 vom Saur Verlag in München übernommen und fortgesetzt wurde. Die Redaktion aber blieb da noch in Leipzig. Das Konzept ist genau definiert: Nach einem festen Schema werden die überregional bekannten Kunstschaffenden aller Gattungen mit ihrer Vita und ihren Werken und Ausstellungen vorgestellt, grundsätzlich ohne Abbildung,

aber noch mit einer knappen Werkbeschreibung. Vor ein, zwei Jahren nun wurde das Projekt von de Gruyter in München übernommen und die Redaktion dorthin und nach Berlin verlegt. Mittlerweile sind wir bei Band 77 und dem Buchstabenbereich IZ-JE angekommen, und einiges hat sich mit dem Redaktionswechsel verändert. Dies beginnt bei kleinen Äußerlichkeiten (auf den Schutzumschlag wird mittlerweile leider verzichtet) und setzt sich inhaltlich fort. Klarer wird nun durch die definierten Zeilenumfänge die inhaltliche Bedeutung. Zugleich schreitet das Projekt in einem ganz anderen Tempo voran. Aber es berücksichtigt auch weiterhin Künstler der jüngeren Generation, soweit sie im Ausstellungsgeschehen präsent sind. Das AKL ist ein Nachschlagewerk primär in Bibliotheken. Es dient der ersten Orientierung zu einem Künstler und teilt mit, wo sich weitere Informationen zu ihm finden. Hier könnten dann die drei anderen Bücher weiterhelfen.

Allgemeines Künstlerlexikon. Die Bildenden Künstler aller Zeiten und Völker, zuletzt: Bd. 77 (Iza-Jer), 540 S. ohne Abb., Hardcover, geb., 24 x 17 cm, de Gruyter, 279,- Euro

www.occhio.de

Frank Marschang e.K., Karlstrasse 37, 42105 Wuppertal Tel 0202-24 43 440, www.lichtbogen-wuppertal.de Di – Fr 10 –18 Uhr und 14 –18.30 Uhr, Sa 11–16 Uhr

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Geschichtsbücher, Buchgeschichten Vorgestellt von Matthias Dohmen

Ein Glücksfall. Zum Start ausgewählter Werke in Einzelausgaben legt der renommierte Göttinger Wallstein-Verlag den Band „Der Knabe Hüssein und andere Erzählungen“ von Armin T. Wegner vor. Der gebürtige Elberfelder, Jurist von Beruf, war in der Weimarer Republik ein beachteter Autor, schrieb 1933 Adolf Hitler einen Brief, in dem er gegen die Judenverfolgung protestierte, was ihm den Aufenthalt in mehreren Konzentrationslagern einbrachte, stand 1947 beim ersten NachkriegsPEN-Kongress auf der Totenliste und starb 1978 in Italien, wohin er 1934 exilieren konnte. So richtig kam dieser große Poet im Nach-1945-Deutschland nicht mehr auf die Beine, weder im Osten noch im Westen. Um so verdienstvoller ist die Arbeit der Armin-T.-Wegner-Gesellschaft unter ihrem rührigen Vorsitzenden Ulrich Klan und das Engagement der Stadtsparkasse Wuppertal, welche die Publikation finanziell unterstützt hat. Die späte Rückkehr eines Schriftstellers, dessen Werke 1933 auf dem Scheiterhaufen brannten. Armin T. Wegner, Der Knabe Hüssein und andere Erzählungen, Göttingen: Wallstein 2012. 311 S., 29,90 Euro

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Ein Schwarzbuch. Auch die Kemna ist auf der „Übersichtskarte über die Konzentrationslager, Zuchthäuser und Gefängnisse“ des Reprints des Buchs „Das deutsche Volk klagt an. Hitlers Krieg gegen die Friedenskämpfer in Deutschland – Ein Tatsachenbericht“ verzeichnet. 1936 erschien das Werk mit Hunderten Fotos, Dokumenten und Faksimiles in Straßburg. Heute weiß man, dass die anonym erschienene Dokumentation aus der Feder von Maximilian Scheer alias Walter Schlieper stammt, der im benachbarten Haan (und nicht Hahn, wie es etwa auf S. 393 heißt) zur Welt kam. Im Anhang finden sich biographische Skizzen zu Willi Münzenberg und zu Scheer sowie die Lagerordnung und die Disziplinarordnung des Konzentrationslagers Esterwegen, das wegen des Moorsoldatenliedes vielen Antifaschisten ein Begriff ist. In den mit dem 1. 8. 1934 datierten Dokumenten heißt es, jedem „Schutzhaftgefangenen“ werde Gelegenheit gegeben, entweder seine „innere Einstellung gegen Volk und Vaterland“ zu ändern oder „für die schmutzige 2. oder 3.“ (vulgo die sozialdemokratische oder die kommunistische) „Juden-Internationale eines Marx oder Lenin zu sterben“. Das deutsche Volk klagt an. Erweiterter Reprint der in Deutsch erschienenen Originalausgabe, Hamburg: Laika 2012. 405 S., 24,90 Euro

Ein Mythos wird entschleiert. Den „Weltkrieg als Erzieher“ analysiert Arndt Weinrich. Darin setzt er sich ausführlich mit dem Langemarck-Mythos auseinander, der als „Sieg der deutschen Kultur“, als ein Triumph der „Ideen von 1914“ über die „Ideen von 1789“ verkauft wurde (S. 248) und die faschistische Ideologie der „Volksgemeinschaft“ zu begründen half. Der Zweck heiligt die Mittel: Heute wissen wir, dass die „jungen Regimenter“ tatsächlich mehrheitlich aus gedienten Männern bestanden und auch der Kern des Langemarck-Mythos, der Gesang des Deutschlandlieds beim Sturmangriff, „mit großer Sicherheit nicht den historischen Tatsachen“ entspricht sowie überdies, alles in allem, der „Sieg von Langemarck“ militärisch-operativ belanglos war. Weimar hieß der Feind: Die Feiern zum 11. November 1914 „lieferten mit dem Bild der idealistischen ‚Opferjugend’ eine heroische Gegenfolie zur NovemberRevolution“ (S. 249). Arndt Weinrich, Der Weltkrieg als Erzieher. Jugend zwischen Weimarer Republik und Nationalsozialismus, Essen: Klartext 2013 (= Schriften der Bibliothek für Zeitgeschichte – Neue Folge, 27). 351 S., 39,95 Euro


Kulturnotizen Kunstmuseum Ahlen Eduard Micus: Retrospektive Malerei, Arbeiten auf Papier, Objekte Ausstellung bis zum 5. Mai 2013

Eduard Micus: Fiesta Nr. 63, 1986, Acryl, Papier auf Leinwand, 228 x 230 cm © Nachlass Eduard Micus Mit vielen seiner Werke versuchte der 1925 in Höxter geborene Eduard Micus einen „Akkord des Kontrastes“ zu erzeugen. Häufig teilte er seine Bilder in zwei Hälften, von denen er eine mit Formen anfüllte, die andere aber leer ließ. „Die Stille macht das Gestörte stärker und das Gestörte oder Zerstörte das Stille stiller, oder einfach: das eine ergänzt das andere – beide Hälften ergeben ein Ganzes“, schrieb der Künstler dazu in einem Katalogtext von 1996. Das Prinzip der Bildteilung, das Micus bereits Anfang der 1950er Jahre entwickelte, behielt er bis zu seinem Lebensende im Jahr 2000 bei und veränderte es immer wieder aufs Neue. Mit diesen „Kontrastkompositionen“ hat Eduard Micus einen einzigartigen Beitrag zum Kunstgeschehen der deutschen Nachkriegszeit geleistet. Als Grenzgänger zwischen informeller und konstruktiver Kunst stellte er sich bewusst an den Rand wechselnder Moden des Kunstbetriebs. Besonders seit seinem Umzug nach Ibiza 1972 nahm er buchstäblich Abstand zu den Zentren der Kunst in Deutschland. Die Retrospektive im Kunstmuseum Ahlen unternimmt mit rund 100 Exponaten eine umfassende Würdigung seines Werkes. Gezeigt werden Malerei, Arbeiten auf Papier und Objekte aus allen Schaffensphasen. Mitte der 1940er Jahre kam Micus durch Reinhard Schmidhagen, einem Schüler von Käthe Kollwitz, zur Malerei. Zunächst war er der impressionistischen Malweise verhaftet, dann spürte er dem

Expressionismus nach, bevor er sich als Schüler von Willi Baumeister an der Kunstakademie Stuttgart (1948-1952) von überkommenen Bildvorstellungen löste und zu einer abstrakten Bildsprache gelangte. Micus konzentrierte sich dabei zunächst auf eine weitgehende Abkehr von der Form zugunsten farblich einheitlicher Bildflächen. 1962 entwickelte er die so genannten „Coudragen“, überwiegend weiße Leinwände, die durch eine senkrechte Naht deutlich sichtbar miteinander verbunden sind. Als Mitglied der Künstlergruppe SYN (19651970), zu der Klaus Jürgen-Fischer, Erwin Bechtold, Bernd Berner und Rolf-Gunter Dienst gehörten, strebte Micus eine Verbindung der gegensätzlichen Ausdrucksweisen von informeller und konstruktiver Kunst an. Nach Jahren des angewandten Schaffens für namhafte deutsche Zeitschriften und Verlage siedelte Micus 1972 mit seiner Frau nach Ibiza über. Dort experimentierte er mit unterschiedlichsten Materialien und bildnerischen Mitteln. Phasen zurückhaltender, eher konstruktiver Bildlösungen wechselten mit solchen, in denen eine überbordende, zur Auflösung neigende Gestaltung überwiegt, so dass im unermüdlichen Schaffen ein facettenreiches Werk entstanden ist. Zur Ausstellung erscheint ein umfangreicher Katalog im Wienand-Verlag (Hrsg. Burkhard Leismann) mit zahlreichen Abbildungen und Beiträgen von Stephan N. Barthelmess, Susanne Buckesfeld, Erich Franz und Ulrike Schaz. Öffnungszeiten: Mi-Fr 14 -18 Uhr, Sa, So, Feiertage 11 - 18 Uhr, Mo, Di geschl. Kunstmuseum Ahlen Museumsplatz 1 / Weststraße 98 59227 Ahlen, Tel.: 0 23 82 / 91 83 0 www.kunstmuseum-ahlen.de Kreativ50plus

Lesen oder musizieren? Literaturcafé und Bergische Orchestertage bei kreativ50plus Im Mai lädt die Akademie Remscheid im Rahmen des Programms kreativ50plus zweimal zum Mitmachen ein. Das 2. Literaturcafé am Samstag, den 4. Mai richtet sich an alle, die gerne schrei-

ben. Sie sind eingeladen, sich vom diesjährigen Thema Mut inspirieren zu lassen. Im Literaturcafé können Interessierte in gemütlicher Atmosphäre ihre Geschichten, Gedichte oder Essays vortragen. Aber auch zum Zuhören und Austauschen im Literaturcafé melden Sie sich bei der Akademie Remscheid unter www.kreativ50plus.de an.

Ein paar Tage später, vom 8. bis 12.Mai können Spätberufene und Wiedereinsteiger bei den bergischen Orchestertagen musizieren. Der Kurs richtet sich an Menschen, die erst spät begonnen haben, ihr Orchesterinstrument zu erlernen oder die nach Jahren Pause die Freude am gemeinsamen Musizieren wiederentdeckt haben. Orchestererfahrung ist keine Voraussetzung. Geübt und im Abschlusskonzert am Sonntag vorgetragen wird die Sinfonie Nr. 8, die „Unvollendete“ von Schubert. Besetzung: Flöten, Oboen, Klarinetten, Fagotte, Hörner, Trompeten, Posaunen und Streicher. Beide Veranstaltungen finden statt in der Akademie Remscheid, Küppelstein 34. Weitere Informationen unter: www.kreativ50plus.de oder telefonisch unter 02191-794 212.

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Kulturnotizen Ein gelungenes Zusammenspiel „GERMAN SONG“, ein MultimediaStück von Heiner Bontrup Mit der „freien Szene“ zusammenzuarbeiten: Das ist eine der Anforderungen, die an die Kandidaten für die nächste Schauspielintendanz in Wuppertal gestellt werden. „GERMAN SONG“, ein Multimedia-Gastspiel im Kleinen Schauspielhaus, hat jetzt daran erinnert, daß das schon geschieht – und daß der Vorwurf an die bisherige Leitung, solche Kontakte versäumt zu haben, schief ist; wie so mancher. Heiner Bontrup, Wuppertaler Autor

und Kulturjournalist, hat gemeinsam mit Ulrike Müller den Abend konzipiert; und zur Realisierung zusammengekommen sind: Die Musiker Dietrich Rauschtenberger und Charles Petersohn, die Schauspieler Caroline Keufen, Ralf Grobel und Andreas Ramstein, die Schülerin und Sprecherin Faith Iyere, die Videokünstlerin Wasiliki Noulesa, die Tänzerin Chrystel Guillebaud. Was dann das Publikum durch diese Vielfalt erlebt (sofern man denn die enorme Schlange an der Kasse noch glücklich mit

einer Karte in der Hand verlassen hat): Das ist ein stark aufs Atmosphärische setzendes Programm um Gewalt und Verantwortung – ausgehend von literarischen Texten von Else Lasker-Schüler, Paul Celan und Gottfried Benn. Wenn genre-übergreifende Kunst mehr sein will als eine Collage, kann sie ein verbindendes Gerüst gebrauchen. Und das ist heute „Am Beispiel meines Bruders“ von Uwe Timm, die autobiografische Erzählung zur Verarbeitung der Naziverbrechen anhand der Vergangenheit von Timms Bruder in der Waffen-SS. Akustisch – visuell, textlich – tänzerisch: Was die einzelnen beteiligten Künstler heute zeigen, gruppiert sich um Auszüge dieses Berichts, den an Stelle des erkrankten Hans Richter der Schauspieler Ralf Grobel liest. Ständig präsent sind dabei die Beiträge von Noulesa, Rauschtenberger und Petersohn: Die Videokünstlerin wechselt abstrahierte Aufnahmen aus der Natur ab mit Personenportraits; und für die volle Wirkung der Projektionen nutzt sie die hintere Wandfläche in ganzer Breite. Dietrich Rauschtenberger, als Pionier des Free Jazz sicher mit der namhafteste Teilnehmer, arbeitet mit Schlagwerk und Gongs in verschiedenen Größen; er wirkt spielerisch dabei und doch genau abgestimmt auf all das, was sonst noch passiert auf der Bühne. Gleiches gilt für Charles Petersohn, Produzent, DJ und musikalischer Leiter des Abends, der seine Klänge unauffällig, aber durchgängig einmischt ins Geschehen. Und es ist ja immer das Zusammenwirken, das (neben dem Text-Gerüst) eine Kooperation verschiedener Künste

unterscheidet von einer bloßen Revue aus Einzeltalenten. Bei GERMAN SONG mag sich tatsächlich ein Gesamteindruck zwischen den Akteuren einstellen: Während etwa Caroline Keufen vor besagtem Hintergrund Passagen aus Celans „Todesfuge“ spricht, im Wechsel mit der 17-jährigen Faith Iyere, die diese selbst [in die Sprache ihrer afrikanischen Heimat?] übersetzt hat: Da schwenkt Chrystel Guillebaud, zuvor gestenreich in Bewegung, zuvor plötzlich um und kauert sich auf den Boden – wie ein trauernder Friedhofsengel? Vielleicht. Vielleicht auch ganz anders. Kunst, die so stark ans Unterbewußte appelliert wie der heutige Abend, ist ja prädestiniert fürs freie Assoziieren. Neben solch inszenierter Kombination der Künste ist auch spannend zu beobachten, wie die Akteure aufeinander reagieren, wenn eine der Kunstformen gerade „Pause hat“. Etwa wenn Rauschtenberger an seinen Instrumenten sichtbar „mitgeht“ mit all der Bewegung vor ihm. Oder Stichwort „Lili Marleen“: jener Schlager, den die Militärpropaganda zur Hymne des deutschen Soldaten machte und der in Europa und Nordafrika an allen Fronten lief. Als die Melodie erklingt, wie eine zynische Begleitmusik zum Tun auch von Timms Bruder: Da hören Faith Iyere, die schwarze junge Frau, ebenso zu wie Petersohn, der jetzt einen Judenstern trägt: wach, aber stumm. Menschen aus verschiedenen Hintergründen, die sich durchaus auch etwas fremd bleiben dürfen: Das ist es wohl, was den Reiz eines freien Projekts wie GERMAN SONG zum Gutteil ausmacht, wo

Kultur, Information und Unterhaltung im Internet Täglich neu – mit großem Archiv Literatur – Musik – Bühne – Film – Feuilleton – Museen – Comic – Fotografie – Reise

Unabhängig, werbefrei und ohne Maulkorb www.musenblaetter.de

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die Akteure in dieser Konstellation nur zu diesem Anlaß zusammenkommen. Mit ihrem Ad-hoc-Charakter sind sie so gesehen ja schon vom Ansatz etwas anderes als ein Ensemble-Stadttheater (mit seinen eigenen Vorzügen). Schön, wenn ein Theater sich dem öffnet, wenn es denn paßt – wie heute. Zur Offenheit der Bühnen Richtung Szene nimmt Charles Petersohn auch NochIntendant Christian von Treskow entschieden gegen Vorwürfe in Schutz: „Er hat den Kontakt zur Stadt, also zur freien Szene und deren Community angestoßen. Er hat jeden eingeladen, etwas zu realisieren, der etwas Professionelles zu bieten hat.“ Martin Hagemeyer kunsthochdrei Die erfolgreiche Reihe „kunsthochdrei“ geht in eine neue Runde. Die fünf bevorstehenden Programme aus Musik, Literatur und Bildender Kunst werden anders als bisher sämtlich im Von der Heydt-Museum stattfinden. Weitere Neuerung – und etwas paradox zur ersten: Bei zweien der Veranstaltungen wird, trotz des Ortes, nicht die Bildende Kunst im Zentrum stehen. Am 24. April ist der Ausgangspunkt für das Treffen der Künste ein literarischer Anlaß: der 250. Geburtstag von Jean Paul.

Jean Paul 1763 – 1825 Um die „Selberlebensbeschreibung“ des Schriftstellers, gelesen einmal mehr von Bernt Hahn, werden sich der Vortrag zu Klassizismus und Biedermeier in der Sammlung des Museums wie auch die Musik von Robert Schumann thematisch gruppieren. Ähnliches gilt für einen weite-

ren gewichtigen Geburtstag dieses Jahres: Zu 200 Jahren Richard Wagner gibt es am 5. Juni in erster Linie Musik des Komponisten zu hören, mit Stefanie Krahnenfeld (Sopran) und Jan Ehnes (Klavier), dazu eine Einführung zu Wagner in der Bildenden Kunst und Thomas Manns „Reden zu Richard Wagner“. Die drei weiteren Termine von „kunsthochdrei“ gehen indes wie bisher vom Museum und damit von Schätzen der bildenden Kunst aus. Den Anfang macht am 6. März „Das Herz des Museums“: die Einführung zur Sammlung des Hauses durch Direktor Dr. Gerhard Finckh selbst, während die gefeierte Schauspielerin Barbara Nüsse, gerade 70 geworden, Thomas Bernhard über „Alte Meister“ ätzen läßt und Beethoven, vermutlich weniger kontrovers, den musikalischen Teil des Abends bestreitet. Und die neue Ausstellung der Sammlung Jean Gigoux gibt den vorerst letzten zwei „kunsthochdrei“Ausgaben ihr Gepräge: Am 4. September geht es um den selbst malenden Sammler und seine „Goldmedaille im Salon 1835“; musikalisch wird dazu Felix Mendelssohn Bartholdy zu hören sein, literarisch Gustave Flaubert. Diese hochkarätige Sammlung selbst wird schließlich am 16. Oktober näher vorgestellt; Florence Millet wird mit Debussy wieder am Klavier das Treffen der Künste mitgestalten und Bernd Kuschmann aus Viktor von Scheffel lesen. Es moderieren jeweils die Journalistin Anne Linsel, Prof. Dr. Lutz-Werner Hesse oder Hausherr Dr. Gerhard Finckh. Erfolgversprechend also auch im fünften Jahr die Reihe „kunsthochdrei“, die dem Museumsdirektor ganz offensichtlich eine Herzensangelegenheit ist: Finckh ist es wichtig, daß man auch ins Museum gehe, „um etwas zu lernen“, und der Zuspruch der so gesehen lernwilligen Besucher der Reihe zeigt ihm: „Diese Synthese spricht die Menschen an.“ Prof. Dr. Lutz-Werner Hesse ist hauptamtlicher Dozent, heute Professor, der Hochschule für Musik und Tanz Köln am Standort Wuppertal für die Fächer Musikwissenschaft, Musiktheorie/Tonsatz und Gehörbildung. Seit 2009 ist er Geschäftsführender Direktor des Standorts Wuppertal Martin Hagemeyer

Müllers Maronetten-Theater Des Kaisers neue Kleider Theatermärchen von Günther Weißenborn

Manche Kleider sehen eben nur die klugen Leute, behaupten deren Hersteller. Na, wer will schon dumm sein? Also sind alle von den neuen Kleidern des Kaisers begeistert. Nur der kleine Mario, der lässt sich nicht täuschen. Und wird deshalb am Ende der Freund und Ratgeber des Kaisers. Aufführungstermine: 20., 21., 28. 4., 1., 4., 9. 5. jeweils 16.00 Uhr und am 24. 4. um 11.00 Uhr Der Räuber Hotzenplotz von Otfried Preußler

Hotzenplotz ist ein gemeiner Räuber. Nicht einmal der Oberwachtmeister Dimpfelmoser konnte ihn bislang fassen und so klaut der Räuber, was er nur kann. Als er eines Tages sogar der Oma die Kaffeemühle raubt, beschließen Kaspar und Seppel, den Dieb zu fangen. Dabei lassen sie sich auf ein grosses Abenteuer ein! Aufführungstermine: 9., 11, 20., 26., 30. 5., jeweils 16.00 Uhr und am 15. 5. um 11.00 Uhr 26. 4. Wiederaufnahme: Der Vogelhändler – Operette von Carl Zeller 24. 5. 30 Jahre Müllers Marionetten-Theater – 20 Jahre Theater am Neuenteich – Jubiläums-Varieté www.muellersmarionettentheater.de

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Kulturnotizen

Sa13. 4. 2013, 19:30Uhr //// Opernhaus Don Quichotte //// Heroische Komödie in fünf Akten Jules Massenet, Dichtung von Henri Cain nach dem Schauspiel Le chevalier de la longue figure von Jacques Le Lorrain nach Miguel de Cervantes Saavedra in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln. 1910 feierte Massenet den triumphalen Erfolg der Uraufführung seiner letzten Oper, die besonders die tragische Note von Cervantes Roman betont. Zwischen überschäumender Lebenslust und tiefer Furcht vor Vergänglichkeit zeichnet der Komponist feinfühlig-psychologisch seine Protagonisten und führt in überwältigender Klangpracht und feinster Instrumentationskunst Grand Opéra und Opéra comique zusammen. 24. 5. 2013, 19:30Uhr //// Premiere Theater und Konzerthaus Solingen Evita //// Musical von Andrew Lloyd Webber Libretto von Tim Rice Schon zu Lebzeiten eine schillernde Legende, erlangte Eva Perón nach ihrem tragisch frühen Tod Kultstatus: aus ärmlichsten Verhältnissen arbeitete sie sich durch ihre Hochzeit mit General Perón in märchenhafter, aber ebenso rücksichtsloser Art und Weise zur First Lady Argentiniens empor. Als Kämpferin für die Rechte des einfachen Volkes wurde sie verehrt wie eine Heilige. 27. 4. 2013, 17:30Uhr //// Premiere – JVA Wuppertal Ronsdorf Macbeth – Schlaflos in Ronsdorf //// Schauspiel nach William Shakespeare Projekt mit der JVA Ronsdorf Macbeth hält seinem König die Treue, eigentlich. Aber er ist ein ehrgeiziger Mann, will etwas machen aus seinem Leben, das fordert auch seine Lady. Er soll seinen Mann stehen. Angestachelt von der Lady hilft Macbeth nach, beseitig den

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König, und besteigt den Thron. Aber der Tote gibt keine Ruhe. Überall wird geflüstert und sogar der beste Freund wird zum Problem. Er stellt Fragen, ist misstrauisch, droht mit Verrat. Er mus weg, und auch alle Anderen die einem irgendwann einmal gefährlich werden könnten. Mit jugendlichen Insassen der JVA Wuppertal Ronsdorf wird Shakespeares Tragödie als Kooperationsprojekt zwischen der JVA Ronsdorf, der evangelischen Gefängnisseelsoge des Kirchenkreises Wuppertalin und den Wuppertaler Bühnen in den Räumen der JVA auf die Bühne gebracht. 29. 5. 2013 20:00Uhr //// Kleines Schauspielhaus Viel Lärm um Nichts //// Integratives Theaterprojekt nach William Shakespeare »Ich erlebe es noch, dich einmal ganz blass vor Liebe zu sehen«, so Don Pedro zu Beatrice. Vor Hunger vielleicht, entgegnet diese und ganz bestimmt auch vor Zorn, aber niemals vor Liebe. Von der hält die spöttische Beatrice nämlich gar nichts und Männer sind ihrer Meinung nach völlig entbehrlich. In Zusammenarbeit mit:

Tanztheater Wuppertal Pina Bausch Neueinstudierung 25., 26., 27., 29., 30. April und 1. Mai 2013 //// Vollmond 7., 8., 10., 11., 12. Mai 2013 ////

Sinfonieorchester Wuppertal Konzerte April/Mai 2013 Fr 5. 4. 2013 | 20:00 Uhr, Stadthalle, Großer Saal Procol Harum trifft das Sinfonieorchester Wuppertal & die Kantorei Barmen-Gemarke Jo Ann Endicot, Bénédicte Billiet, Alexandros Sarakasidis & Safet Mistele, Special Guest, David Firman, Dirigent, Procol Harum, Musik

Manche Songs begleiten Dich ein Leben lang... und einer dieser Songs ist mit großer Wahrscheinlichkeit »A whiter shade of pale« der Engländer Procol Harum. Die meisten hatten es geahnt und seit 2008 ist es sozusagen amtlich, einer Rangliste der BBC zufolge ist »A whiter shade of pale« der meistgespielte Radiotitel weltweit. Deutschlandweit einmalig ist es nun gelungen, Procol Harum zusammen mit dem Sinfonieorchester Wuppertal und der Kantorei Barmen-Gemarke an zwei Tagen auf die Bühne zu bringen. Tänzerisch begleitet wird das ca. 140-köpfige Ensemble dabei von Jo Ann Endicott, Bénédicte Billiet, Alexandros Sarakasidis und Safet Mistele mit einem Ausschnitt aus „Kontakthof für Jugendliche". 8. 4. 2013 | 20:00 Uhr | Stadthalle, Mendelssohn Saal 5. Kammerkonzert 14. 4. 2013 | 18:00 Uhr Stadthalle, Großer Saal Orgel-Akzente (4) 28. 4. 2013 | 11:00 Uhr Stadthalle, Großer Saal 8. Sinfoniekonzert 29. 4. 2013 | 20:00 Uhr 7. 5. 2013 | 10:00 Uhr Stadthalle, Großer Saal 3. Schulkonzert Mit Mozart zum Jupiter 7. 5. 2013 | 12:00 Uhr 13. 5. 2013 | 20:00 Uhr 14. 5. 2013 | 12:00 Uhr 20. 5. 2013 | 18:00 Uhr Stadthalle, Mendelssohn Saal 6. Kammerkonzert 14. 5. 2013 | 10:00 Uhr Stadthalle, Mendelssohn Saal 4. Chorkonzert

im Skulpturenpark Waldfrieden, Wuppertal

Freitag, 12. April, 19 Uhr, Pavillon Anja Lechner & François Couturier Impressions intimes Anja Lechner, Cello | François Couturier, Klavier Die musikalische Affinität zwischen Anja Lechner und François Couturier ist durch ihr Zusammenspiel im Tarkovsky Quartet längst deutlich geworden. Im Duo spannen die deutsche Cellistin und der französische


Pianist einen weiteren musikalischen Bogen, indem sie Stücke von G.I. Gurdiieff, Frederic Mompou und Anouar Brahem interpretieren, aber auch Kompositionen von Couturier spielen.

• Das Angebot soll Anregungen geben für diejenigen Mitbürger, die durch Engagement und Aktivität als Teilnehmer, Mitarbeiter und Referenten ihr Leben nach ihrer Arbeitszeit als glücklichen „Unruhestand“ gestalten wollen • Miteinander den gesellschaftlichen Dialog suchen. Weitere Informationen und Programm: http://www.fsa-online.eu/ Ausstellungen in Wuppertal

Anja Lechner, François Couturier Foto: Nadia Romanini Freitag, 31. Mai, 19 Uhr, Pavillon Aki Takase & Louis Sclavis Yokohama Aki Takase, Klavier | Louis Sclavis, Klarinette, Bassklarinette, Sopransaxofon Louis Sclavis ist einer der innovativsten Musiker des europäischen Jazz. Im Duo mit der herausragenden Improvisationskünstlerin Aki Takase entwickelt sich ein aufregender Dialog. Die beiden finden sich in einem Balanceakt freier Improvisation, der ihre Kompositionen und musikalischen Welten verbindet.

Renate Horn – Farbimpressionen Acrylbilder der Wuppertaler Künstlerin Renate Horn, Färberei, Stennert 8. Noch bis zum 27. April Die eine Kunst begleitet sie seit ihrer Ausbildung, die andere entdeckte sie eher zufällig für sich: Die Wuppertalerin Renate Horn (53) hat sich sowohl der Musik als auch der Malerei verschrieben. War die Musik mehr als 20 Jahre lang auch beruflich der Lebensinhalt der gelernten Lehrerin für Musik und katholische Religion, so hat sie sich der bildenden Kunst erst nach einem harten Einschnitt in ihren Lebenslauf verschrieben. Heute unterrichtet die Mutter von

Sofort fällt die bunte Mischung der (oft geometrischen) Formen und Farben auf, die diese Ausstellung kennzeichnet – die hellen, kräftigen Töne geben Hoffnung auf einen baldigen Frühling. „Einfach nur Farbe“ ist bis zum 23. April im K1-Artcafé, Oststraße 12, zu sehen – dienstags bis samstags von 17 bis 22 Uhr. Montag und Sonntag sind Ruhetage. Die sieben Schönheiten der Wichlinghauser Straße Die Ausstellung im Heine-Kunst-Kiosk, Wichlinghauser Str. 29a, WuppertalOberbarmen ist noch bis zum 27. April zu besichtigen – und/oder nach tel. Verabredung: 0202/475098 und 02191/73162 In Zusammenarbeit mit dem Bürgerforum Oberbarmen e.V. und der Stadt Wuppertal, vertreten durch Jutta Schultes, Projektkoordination Soziale Stadt, wurde dieses Fotoprojekt mit acht Jugendlichen durchgeführt. Sichtbar werden in der Vielfalt der eingereichten 56 Fotos: Verwahrlosung, Ordnung, Verletzung, Verfall, Schönheit

Louis Sclavis, Aki Takase Vorverkauf über westticket.de, an allen Vorverkaufsstellen und im Skulpturenpark. Am Dinner in der Villa Waldfrieden kann man nur nach Voranmeldung teilnehmen. Info und Reservierung über T 2501630 bzw. event@skulpturenpark-waldfrieden.de. Friedrich-Spee-Akademie Remscheid • Die Akademie möchte in Kooperation mit anderen Institutionen durch Kultur- und Bildungsangebote den Menschen in der zweiten Lebenshälfte Anregungen geben, ihr Leben aktiv und lebendig zu gestalten • Sie möchte dazu beitragen, dass sich die wachsende Gruppe der älteren Bürger (innen) am gesellschaftlichen Dialog beteiligt

Renate Horn zwei Kindern nicht mehr, sondern lebt und arbeitet als freischaffende Künstlerin. Musik und Malerei sind für Renate Horn Wege, ihren positiven Emotionen Ausdruck zu verleihen: „In beiden Bereichen gehe ich zum Inneren und zeige meine Seele“, sagt die Künstlerin. Malerisch nutzt Horn dabei verschiedene Stile und Techniken, vor allem Acrylmalerei und Mischtechnik. Gisela Kettner – Einfach nur Farbe „Einfach nur Farbe“ – das Motto der derzeitigen Ausstellung von Gisela Kettner spiegelt sich schon auf den ersten Blick in den Räumen des K1-Artcafés. Dort können bunte Malereien begutachtet werden, von denen manche sogar von der Decke hängen.

Weitere Ausstellungen der Fotografien in Wuppertal sind in Vorbereitung. Kontakt: Barbaraheld@netic.de und Boris.meissner@ freenet.de

Franziska, 13 Heine-Kunst-Kiosk: www.b-held-kunst.de und www.bbk-bergischland.de

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Kulturnotizen Museum Ludwig Köln Saul Steinberg: The Americans noch bis zum 23. Juni 2013 Das Museum Ludwig zeigt erstmals seit ihrer Entstehung zur Weltausstellung in Brüssel im Jahre 1958 die vollständige Wandarbeit The Americans von Saul Steinberg – eine 70 Meter lange Collage. Ergänzt wird die Präsentation durch thematisch verwandte Zeichnungen und Collagen aus den fünfziger Jahren sowie zahlreiche Zeitschriftenillustrationen des Künstlers, der die Grenzen zwischen freier und angewandter Kunst immer wieder in Frage stellte. Der in Rumänien geborene Zeichner und Karikaturist Steinberg (1914-1999) emigrierte nach einem Architekturstudium in Mailand in den frühen vierziger Jahren nach New York, wo er vor allem mit seinen Covergestaltungen für die Zeitschrift New Yorker schon früh bekannt wurde.

The Americans. Main Street - Small Town (Detail), 1958, Collage aus Packpapier, Tapete, ausgeschnittenen und -gerissenen illustrierten Zeitungsseiten, Klebeband, Wachskreide, Pastell, Öl auf bedrucktem Fotopapier, geklebt auf Karton und auf doppelt-dicker Triplex-Platte befestigt, 24 Tafeln je 300 x 90 cm, 1 Tafel 300 x 44 cm Musées royaux des Beaux-Arts de Belgique, Bruxelles, The Saul Steinberg Foundation / VG Bild-Kunst 2013

Museum Folkwang Essen Blumenfeld Studio Farbe, New York, 1941 – 1960 bis zum 5. Mai 2013 Der in Berlin geborene Fotograf Erwin Blumenfeld (1897–1969) zählt in den 1940er und 1950er Jahren zu einem der international gefragtesten Porträt- und Modefotografen. Aufgrund seiner ideenreichen und eigenwilligen Bildschöpfungen wird er von den führenden amerikanischen Magazinen, wie Vogue, Harper’s Bazaar, Life und Look engagiert. Die Werkschau veranschaulicht die bislang kaum bekannte Geschichte seines Fotoateliers am 222 Central Park South in New York. Rund einhundert Farbaufnahmen, Vintage-Abzüge in Schwarzweiß sowie Orginalausgaben von Erwin Blumenfelds Arbeiten in Modezeitschriften geben Einblicke in diese für sein Werk bedeutende künstlerische Phase. Zugleich stellt die Ausstellung die methodische Frage nach einer digitalen Rekonstruierbarkeit wichtiger Formen analoger Fotografie wie es Blumenfelds großformatige Ekta-Aufnahmen darstellen.

The Americans. Downtown - Big City, 1958 Collage, 6 Tafeln je 300 x 90 cm, © The Saul Steinberg Foundation / VG Bild-Kunst 2013

Erwin Blumenfeld – Rage for Colors publiziert in Look, 15. Oktober 1958, © The Estate of Erwin Blumenfeld

www.museum-ludwig.de

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Variante der Titelfotografie der Vogue US, 15. März 1945 „Do your part for the red cross, Digitaler C-Print, The Estate of Erwin Blumenfeld (Henry und Yorick Blumenfeld)

Konrad Klapheck, Foto: Wolfgang Günzel Museum Kunstpalast Düsseldorf Konrad Klapheck 26. April – 4. August 2013 Das Museum Kunstpalast beleuchtet mit einer Retrospektive das Werk eines international bekannten Protagonisten der Düsseldorfer Kunstszene: Konrad Klapheck (*1935). Die gegenständliche Malerei des seit den 1960er Jahren international etablierten Künstlers lässt sich mit keiner anderen vergleichen. Sein Werk bleibt eine Ausnahmeerscheinung, seine Arbeiten mal dem Surrealismus, mal der Pop Art zugeordnet - wurden bereits zu Lebzeiten Klassiker. Bekannt geworden sind vor allem seine Maschinenbilder, die er monumental und überpräzise nachbildet, so dass sie bedrohlich auf den Betrachter wirken können. Seit 1997 erscheint die menschliche Figur im Werk von Klapheck, meist in erotischen Interieurs und in Porträts berühmter Jazzmusiker. Museum Kunstpalast, Kulturzentrum Ehrenhof, Ehrenhof 4-5, 40479 Düsseldorf www.smkp.de

Die gekränkte Braut, 1957, Öl / Leinwand, 50 x 61 cm, im Besitz des Künstlers © Konrad Klapheck, VG Bild-Kunst, Bonn 2013


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