Die Beste Zeit Nr. 33

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Ich erwarte die spanische Delegation! Nikolai Gogols „Tagebuch eines Wahnsinnigen“ Ein Solo-Abend von und mit Thomas Braus

Poprischtschin: Thomas Braus

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Vibraphonklänge, Baustellengehämmer, Klingeltöne vermischen sich zu einem wie Gehirnwäsche enervierenden Klang-Cluster (Uwe Dreysel), der den Besucher der Bühnenfassung von Nikolai Gogols Novelle „Aufzeichnungen eines Wahnsinnigen“ beim Eintritt ins Wuppertaler Theater am Engelsgarten erwartet, ihn akustisch auf eine knappe Stunde langsam überschnappenden Wahnsinns einstimmt. Auf dunkler Bühne bewegt sich langsam, unruhig ein schwarzer Quader, der sich gedreht als ein leuchtend weißer, klaustrophobisch enger Raum entpuppt, der das Büro des Petersburger Titularrats Popriscin (Thomas Braus), in dem er seinen untergeordneten Ministerialdienst versieht, darstellt, aber auch die ebenso karge Zelle des Patienten Poprischtschin in einer Nervenheilanstalt werden wird. Wir folgen dem seelischen Verfall eines von stumpfsinniger Bürokratie und aufgrund von Standesunterschieden unerfüllt bleibender Liebe peu à peu

den Verstand verlierenden Mannes. Thomas Braus gibt diesen in den Strudeln der Irrationalität ertrinkenden Kranken, seine Ausbrüche, Tiraden, Wahnvorstellungen hautnah. Man kann sich als Zuschauer, auch durch die begleitende, sich ins Ohr bohrende musikalische Kulisse, dank Braus´ schauspielerischem Genie kaum selbst diesem Wahn entziehen. Braus schafft es, die seelische Metamorphose vom gedemütigten Ministerialbeamten zum durchaus stolzen Irren, der sich für den spanischen Thronfolger Ferdinand VIII. hält, in einer knappen, ungeheuer dichten Stunde zu vermitteln. Mehr noch setzt er den bitteren Sarkasmus Gogols über die russische Gesellschaft der frühen Romantik in auch heute gültige Bilder um. Zum Frösteln. 1835 brachte Gogol (1809-1852) seinen Stoff unter dem Eindruck von E.T. A. Hoffmanns „Kreisleriana“ und „Die Lebensansichten des Katers Murr“ (die sprechenden/schreibenden Hunde hat Gogol dort entlehnt) zu Papier.


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