Künstler und Kritiker

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Künstler und Kritiker



Künstler und Kritiker Hans Purrmann und Karl Scheffler in Briefen 1920–1951

Im Auftrag der Akademie der Künste, Berlin, und der Erbengemeinschaft nach Dr. Robert Purrmann, München, herausgegeben und bearbeitet von Felix Billeter, Julie Kennedy, Anke Matelowski


Edition Purrmann Briefe

Diese Publikation wurde gefördert von:

Gefördert durch / Funded by:

Erbengemeinschaft nach Dr. Robert Purrmann Hans Purrmann Archiv

Die Herausgeber danken für die freundliche Unterstützung.


Inhalt 6 Vorwort und Dank 8 Grußwort Werner Heegewaldt 12 Korrespondenzen & Differenzen Karl Scheffler und Hans Purrmann im Austausch Bernhard Maaz 22 »Die Beurteilung der Welt, der Künste und des Lebens« Hans Purrmann und Karl Scheffler in ihren Briefen Anke Matelowski Hans Purrmann und Karl Scheffler: Briefe 1920–1951 38 Weimarer Zeit 72 Zeit des Nationalsozialismus 124 Nachkriegszeit 154 »Ein Praeceptor Germaniae« Karl Scheffler als Kritiker und Förderer Hans Purrmanns Julie Kennedy 168 Karl Scheffler über Hans Purrmann Auszüge aus seinen Texten 1911–1950 186 Die »Kunst- und Künstler-Gesellschaft« Hans Purrmann als Kunstschriftsteller in der Weimarer Zeit Felix Billeter 200 Hans Purrmann in Kunst und Künstler Auszüge aus seinen Texten 1919–1933 Anhang 214 Biografie Hans Purrmann 215 Biografie Karl Scheffler 216 Literaturhinweise

218 Editorische Notiz 219 Register 224 Impressum


Vorwort und Dank

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er hier erstmals publizierte Briefwechsel zwischen dem Maler Hans Purrmann (1880–1966) und dem Kunstschriftsteller Karl Scheffler (1869–1951) zeichnet das Bild einer freundschaftlichen Beziehung zwischen einem Künstler und seinem Kritiker, die von gegenseitigem Respekt und einer hohen Wertschätzung der jeweils anderen Leistung geprägt ist. Zudem verdeutlicht die vorliegende Edition die spannende Auseinandersetzung und auch Zusammenarbeit beider von den 1920er Jahren über die Zeit des Nationalsozialismus bis zur frühen Nachkriegszeit. Die Originale befinden sich im Karl-Scheffler-Archiv der Akademie der Künste, Berlin, im Hans Purrmann Archiv in München, im Purrmann-Haus Speyer und in Privatbesitz. Mit insgesamt 45 Briefen wird hier nur ein Teil einer ursprünglich umfangreicheren Korrespondenz veröffentlicht, die kriegsbedingt leider dezimiert überliefert ist. Sie beginnt mit einem Schreiben Purrmanns aus dem Jahr 1920 und endet mit Mitteilungen Schefflers kurz vor seinem Tod 1951. Die Publikation ergänzt die bereits vorliegenden Editionen von Schriften und Korrespondenzen beider Akteure. Eine erste Edition von Texten und Briefauszügen Hans Purrmanns wurde 1961 von Barbara und Erhard Göpel veröffentlicht. Briefwechsel mit dem Bildhauer Gerhard Marcks (1986), dem Schriftsteller Hermann Hesse (2011), dem Jugendfreund und Dichter Wilhelm Wittmann (2013) und mit seiner Ehefrau, der Malerin Mathilde Vollmoeller-Purrmann (2019 und 2020), folgten. Unter den Studien zu Karl Scheffler war die Dissertation von Andreas Zeising (2006) mit der annotierten Bibliografie seiner Veröffentlichungen wegweisend. Ernst Braun hat mehrere Briefwechsel Schefflers publiziert: mit dem Zeichner Max Schwimmer (1991), dem Lektor des Bruno Cassirer Verlags Max Tau (2000), dem Pädagogen und Kunstschriftsteller Gerhard Gollwitzer (2002), dem Maler Max Liebermann (2003) sowie Gerhard Marcks (2007). Ein umfangreicher Überblick der Texte und Briefe Schefflers wurde 2006 vom Archiv der Akademie der Künste zusammengestellt.

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Die Herausgeber sind dem Archiv der Akademie der Künste, Berlin, besonders seinem Direktor Werner Heegewaldt und dem Leiter des Archivs Bildende Kunst Michael Krejsa, sowie den Familien Karl Schefflers und Hans Purrmanns für ihre Unterstützung und Förderung zu großem Dank verpflichtet, insbesondere Dody Scheffler-Platz und Jochen Platz sowie der Erbengemeinschaft nach Dr. Robert Purrmann, vertreten durch Regina Hesselberger-Purrmann und Robert Wieland. Bernhard Maaz, Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen in München, verdanken wir einen ebenso inspirierten wie inspirierenden Beitrag, aber auch sehr konstruktive Diskussionen zum Thema. Der Ernst von Siemens Kunststiftung und ihrem Generalsekretär Martin Hoernes ist für das sehr entgegenkommende Engagement Dank zu sagen. In diesem Sinne sei ebenfalls der Kulturstiftung Speyer und ihrem Vorsitzenden Peter Eichhorn für ihre Unterstützung gedankt. Ferner seien private Sponsoren erwähnt, die ungenannt bleiben möchten. Für die Erteilung des Copyrights von Werken Purrmanns sowie für die Bereitstellung von Fotografien aus dem Purrmann- und dem Scheffler-Archiv danken wir herzlich dem Archiv der Akademie der Künste, Berlin, der Familie Scheffler und der Erbengemeinschaft nach Dr. Robert Purrmann. Besonders danken möchten wir Anja Weisenseel und Imke Wartenberg vom Deutschen Kunstverlag in München und Berlin sowie Edgar Endl und Rudolf Winterstein für ihre engagierte Begleitung der Buchproduktion. Für inhaltliche Auskünfte und freundliche Unterstützung danken wir Ernst Braun (Dresden), Beate Ebelt-Borchert (Zentralarchiv, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz), Susanne Reinhardt und Kerstin Marth (Berlin), Angelika Grepmair-Müller (München), Maria Leitmeyer (Purrmann-Haus Speyer), Philipp Kuhn (Baden-Baden) und Eva Fritz (Hans Purrmann Archiv). Der vorliegende Briefband ist das Ergebnis einer fruchtbaren Kooperation zwischen dem Archiv der Akademie der Künste, Berlin, und dem Hans Purrmann Archiv in München, die ihren schönen Abschluss in einer Buchpräsentation im Herbst 2021 finden wird.

München und Berlin, im Juli 2021 Felix Billeter, Julie Kennedy, Anke Matelowski

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Grußwort

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it seinem Essay »The Painted Word« schuf der Schriftsteller Tom Wolfe 1975 eine bissige, noch heute lesenswerte Satire auf den amerikanischen Kunstbetrieb. Im Mittelpunkt standen jedoch nicht so sehr die Künstler, sondern prominente Kunstkritiker wie Clement Greenberg, Harold Rosenberg und Leo Steinberg, die neuen Richtungen wie dem Abstrakten Expressionismus zum Durchbruch verhalfen. In Anspielung auf ihre deutsch-jüdischen Namen nannte er sie »Cultureburg« und warf ihnen vor, dass sie gemeinsam mit einem kleinen Kreis von reichen Sammlern und Museumsleuten die Kunstwelt dominierten und Künstler in ihrer Abhängigkeit hielten. Entscheidend für das Verständnis moderner Kunst, insbesondere der abstrakten Kunst, sei nicht mehr die visuelle Erfahrung des Werkes, sondern der erläuternde Kommentar, der durch die Kritik maßgeblich vermittelt werde und einen eigenen literarischen Anspruch erhebe. Er prophezeite, dass zum Ausgang des Jahrhunderts die Kritiker als die eigentlichen Künstler verehrt und ausgestellt und die besprochenen Kunstwerke nur noch ihre Texte illustrieren würden. Das Wort werde im Mittelpunkt stehen und nicht mehr das Werk. Zumindest dieser Teil von Wolfes Prognose ist nicht eingetroffen. Eher das Gegenteil. Seit dem Ausgang des 20. Jahrhunderts wird in den Feuilletons von einer Krise der Kritik gesprochen und einvernehmlich konstatiert, dass sie sich überlebt habe und innerhalb des Kunstbetriebes statt pointierter Urteile ein Klima allseitigen Lobes vorherrsche. Die angeführten Erklärungsversuche sind vielfältiger Natur: Zum einen sei die Postmoderne durch den alles relativierenden Kunstpluralismus dafür verantwortlich, dass die Kunstkritik ihren Kompass verloren habe. Es fehle ihr an Kriterien, um gute von schlechter und Kunst von Nicht-Kunst zu unterscheiden. Zum anderen bewirke der Markt mit seinen kapitalistischen Prinzipien, dass nur noch der Preis das Maß eines Kunstwerkes bestimme und der ideelle Wert und die kunsthistorische Qualität nicht mehr zählten. Unter diesen Umständen bedürfe es des Kritiker-Berufs nicht weiter. Nicht zuletzt hätte auch das Publikum angesichts der Vermi-

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schung der Rollen zwischen Kurator, Kritiker und Künstler sein Vertrauen in die Unabhängigkeit der Kritiker verloren und sehe in ihnen nur noch die Agenten des Kunstbetriebes. Angesichts dieser Befunde ist es lohnenswert, einen Blick zurückzuwerfen. Zurück in eine Hochzeit der Kunstkritik im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, als sich Kritiker als Wortführer der Moderne verstanden und mit spitzer Feder heftig gegen- und miteinander für die Vermittlung der Avantgarde kämpften. Was Kunstkritik vermag und vermochte, zeigt beispielhaft der vorliegende Briefwechsel zwischen dem Publizisten Karl Scheffler und dem Maler Hans Purrmann. Als Herausgeber der einflussreichen Zeitschrift Kunst und Künstler trug Scheffler maßgeblich dazu bei, dass sich der Impressionismus in Deutschland etablierte und beim Kunstpublikum durchsetzen konnte. Er machte das Journal zum Sprachrohr der Secession und bewog Künstler wie Purrmann mitzuwirken. Anderen neuen Strömungen wie dem Expressionismus oder Kubismus stand er jedoch ablehnend gegenüber. Kunstkämpfe waren in der zeitgenössischen Publizistik an der Tagesordnung. Sie eröffneten einem gebildeten Publikum einen Zugang zur modernen Kunst und machten die Lektüre zugleich besonders reizvoll. Aus Schefflers wachsendem Interesse an Purrmanns Werk wuchs nach 1918 eine lebenslange Verbindung, die trotz ungleicher Voraussetzungen von beiderseitigem Respekt gekennzeichnet war und Reibung nicht ausschloss. Der Publizist begleitete den erfolgreichen Maler in einer Reihe von Ausstellungsbesprechungen und pries ihn als »Kolorist der Moderne«. Hans Purrmann trug seinerseits durch ganz unterschiedliche Beiträge zur Zeitschrift bei. Die vorliegende Briefedition ist Ergebnis einer produktiven Zusammenarbeit zwischen dem Hans Purrmann Archiv in München und der Akademie der Künste in Berlin. Mein Dank gilt gleichermaßen Felix Billeter, Julie Kennedy und Anke Matelowski für die Idee und tatkräftige Umsetzung wie den Purrmann-Nachkommen Regina Hesselberger-Purrmann und Robert Wieland für die Unterstützung des Vorhabens. Gemeinsam mit privaten Sponsoren, der Ernst von Siemens Kunststiftung und der Kulturstiftung Speyer haben sie ermöglicht, dass dieses Buch erscheinen kann.

Werner Heegewaldt Direktor des Archivs der Akademie der Künste, Berlin

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Abb. 1 Postkarte von Karl Scheffler mit Dora und Katherine Scheffler, Curt und Elsa Glaser sowie Mathilde Vollmoeller-Purrmann in Berlin an Hans Purrmann in Rom, Berlin, 12. Dezember 1922, Purrmann-Haus Speyer


Korrespondenzen & Differenzen Karl Scheffler und Hans Purrmann im Austausch Bernhard Maaz Schreibtraditionen Die Schreibenden und die Malenden stehen einander gegenüber und streben doch zueinander. So ist es in der Neuzeit, namentlich seit die Kultur des Briefeschreibens im 18. Jahrhundert populär, das Papier erschwinglich und das Porto bezahlbar wurden. Aus den somit entstandenen Briefkonvoluten erwuchsen ganze Bücher, man denke nur an Goethes biografisches Textarrangement zum Leben und Werk Jakob Philipp Hackerts anhand von dessen Briefschaften. Grundlegende Auseinandersetzungen pflegten Goethe und Philipp Otto Runge, wobei das Themenspektrum von dem Versuch, sich über die Farbenlehre auszutauschen, bis zu den romantischen versus klassizistischen Positionen reichte: Man darf wohl mit einer an Vergröberung grenzenden Vereinfachung sagen, dass das Interesse aneinander das Verständnis füreinander überwog.1 Wir sehen hier von den Reisebriefen zahlreicher Künstler ab, die teils als Leistungsdokumentation während ihrer Rom-Stipendien entstanden und teils als Familienbriefe für die engeren Verwandten oder auch den Freundeskreis geschrieben wurden. Goethe persönlich korrespondierte mit Künstlern wie Christian Daniel Rauch, Christian Friedrich Tieck oder Johann Gottfried Schadow, wobei der Dichter als Interessent, Kritiker, Auftraggeber, Höfling, Literat und sogar als Objekt und Subjekt künstlerischer Aneignung firmierte. Die Briefwechsel zwischen Dichtern oder Denkern auf der einen Seite und Künstlern auf der anderen mehren sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts. Man denke hier beispielhaft an die Korrespondenzen zwischen Ludwig I. von Bayern und ›seinen‹ Künstlern und Agenten, die für ihn Werke ausführen oder Antiken einkaufen mussten: Stets basierte diese Korrespondenz auf einem Anspruchsgefälle zwischen forderndem Regenten und liefernden Künstlern. Wieder anders liegt es im Falle des Briefwechsels, den

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Christian Daniel Rauch mit Caroline von Humboldt führte: Hier steht der Künstler einer wertgeschätzten Gesprächspartnerin gegenüber, die gleichsam eine Doppelnatur verkörpert, indem sie einerseits eine Salondame ist und damit für sich selbst spricht, andererseits aber auch als Gattin Wilhelm von Humboldts die Verbindungsperson zu einem der großen Denker verkörpert.2 Rauchs Briefwechsel mit Alexander von Humboldt hingegen, ihrem Schwager, dem Naturforscher, ist ein Zeugnis der kulturpolitischen Diskussionen.3 All diese Künstlerkorrespondenzen des 19. Jahrhunderts erreichen einen Kulminationspunkt mit Konrad Fiedler, dem Leipziger Mäzen und Kunsttheoretiker, der sich mit Hans von Marées und vor allem mit Adolf von Hildebrand einen gewichtigen Austausch in Form von theoretischen, lebensfundierten Briefen gewährte: Der Theoretiker stand dem Praktiker gegenüber, sie bereicherten ihre Welt- und Kunstwahrnehmung gegenseitig und führten das Gespräch eben auf postalischem Wege. Für die Nachgeborenen ist das ein Segen, können sie doch damit bis in die Fundamente der Denkgebäude hineinschauen und Einsichten gewinnen, die sie anders nie erlangen würden. Und dann Max Liebermann, der Maler und Gesellschaftsmensch, der mit dem Hamburger Museumsreformer Alfred Lichtwark wie mit dem Berliner Museumsdirektor Hugo von Tschudi korrespondierte – beide Briefwechsel sind gleich anderen genannten Beispielen längst ediert – und mit zahlreichen weiteren Kunstverwaltern, -schriftstellern, -kritikern. Dabei handelte es sich nicht um Korrespondenzen, mit denen er etwaige Widersacher besänftigen wollte. Im Gegenteil, er suchte den Austausch, die Herausforderung, die Bestätigung wie die Kritik. Und in der Leichtigkeit des Wortes, das das Widerwort gibt und fordert, war dieser enorm produktive Briefschreiber sicher ein besonders Berufener. An jenem Verständnis von brieflichem Gedankenaustausch knüpft auch der Briefwechsel zwischen Karl Scheffler und Hans Purrmann an. Diese beiden Namen spielen in einem weiteren und profunden Briefwechsel, dessen Edition erst in allerjüngster Zeit vollendet wurde, eine gewichtige Rolle, nämlich in der Korrespondenz Max Liebermanns.4 Tausende Briefe dieses Malers sind in neun Bänden versammelt, die Ernst Braun von 2011 bis 2021 herausgegeben hat. Warum sind gerade diese Briefe so wichtig? In ihnen spiegeln sich eine ganze Epoche und eine Fülle von Themen, das

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Leben zwischen Gründerzeit und Nationalsozialismus sowie zwischen ­Impressionismus und dem Postulat der »entarteten Kunst«, aber auch die Geistesgeschichte zwischen deutschem Patriotismus der wilhelminischen Epoche und jüdischem Verfolgungsschicksal, das gerade dieser Künstler ­bitter erlebte. Während die Korrespondenzen Purrmanns in handhabbaren Ausgaben erscheinen und die Leserschaft in Dialoge hineinsehen lässt, ist die Gesamtausgabe der Liebermann-Briefe mehr ein Nachschlagewerk: Jede dieser Darbietungsformen hat ein Recht, doch immer gilt, dass man Licht und Schattenseiten der Menschen, der Briefschreiber sehen kann; und eben das lädt ein zu humanem Verständnis.

Eigenheiten Karl Scheffler war ein geradezu beunruhigend produktiver Autor von Büchern über meist bereits abgeschlossene Epochen und Phänomene der Kunstgeschichte. »Man hat viel hin- und hergeredet, ob sich das Qualitätsgefühl für Kunst erwerben lasse, ob es durch Selbsterziehung gefördert werden könne. Eine Antwort geben praktisch der Sammler und der ­ Kunsthändler.«5 Scheffler ›denkt die Kunst‹ nicht vom Künstler her, schon gar nicht aus der Perspektive des Kunstschriftstellers, der er selbst war, sondern vom Sammler. Das ist für seine Generation nicht frappierend, die wie keine zuvor erlebte, dass Privatsammler jenseits der Höfe den Ton angaben. Sein Schreiben und vor allem seine Zeitschrift Kunst und Künstler blickte auf eben diese Klientel, auf die Käufer der Kunst. Da es sich dabei meist um kunstferne, aber wohlhabende Kreise handelte, hat er viele seiner Bücher in einer eingängigen Sprache gehalten, die zugleich einladend sein sollte. In diesem Duktus hielt er auch Sprache, Typografie und Bildauswahl der Zeitschrift. Und um den Graben zwischen Künstlern und Publikum zu überbrücken, lud er häufig Künstler ein, durch ihre Bild- und Textbeiträge darin vertreten zu sein: Darin liegt ein Erbe des didaktischen Impulses, der in der Person des bereits erwähnten Hamburger Kunsthallendirektors Lichtwark verankert war. Zu den Autoren, die in Kunst und Künstler ihre Gedanken wie auch ihre bildkünstlerischen Werke abdrucken durften, gehörte Hans Purrmann. Eine solche Zusammenarbeit setzt Übereinstimmung voraus, die von beiden Seiten her gewachsen sein wird. Max Liebermann stand mit Scheffler spätestens

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Abb. 2 Verlagswerbung für Kunst und Künstler, Illustration von Max Slevogt, KSA 687

seit 1904 in direktem Kontakt. Der Maler konstatierte 1906, er »schätze Herrn Scheffler als einen der gediegensten Kunstschriftsteller«6: Für andere Künstler der Berliner Secession mag eine solche wohlwollende Grundhaltung nicht nur sichtbar gewesen sein, sondern auch ermutigend. Verbundenheit entstand allerdings auch, indem Liebermann dem Autor 1919 – nach Krieg, Revolution und Republikgründung – schrieb: »Erst, wenn der Expressionismus ein Genie aufzuweisen hat, das der Kunst die Regel giebt, ist er Kunst, bis dahin Unsinn.«7 Die Zeitschrift Kunst und Künstler war das Sprachrohr der Secessionskünstler, die diese Expressionisten so verteufelten, aber ein solches gemeinsames Organ stiftet eben auch Gemeinschaft. Der Verleger, der jüdische Bruno Cassirer, war da sicherlich ähnlich offen gestimmt wie sein Bruder Paul, der konstatiert hatte: »Meine Grundidee […] ist aber nicht etwa, daß nun eine Generation durch die andere abgelöst werden soll oder daß die Kluft zwischen der einen und der anderen Generation verbreitert werden soll, sondern meine Grundidee strebt gerade nach dem Umgekehrten.«8 Diese unbedingte

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Öffnung und dieses Bewusstsein für den Wert der kontinuierlich-organischen Entwicklung fehlte manchem anderen Zeitgenossen. Doch dafür muss man sich auch vergegenwärtigen, dass gerade die Zeit der Weimarer Republik eine Epoche radikal zugespitzter Konflikte und Kämpfe war, die im politischen Bereich mit Morden einherging, im ästhetischen eher mit Meucheln. Das sei, um das geistige Klima jener Zeit zu erhellen, hier angeführt, und darauf muss man zurückkommen, um zu verstehen, wie wertvoll und aufschlussreich die Briefe sind, die Purrmann und Scheffler wechselten. Dass Purrmann nicht nur ein Maler von hohen Gaben war, sondern sich als Autor auch betätigte und bewährte, beweist seine wiederholte Mitwirkung an dieser führenden Kunstzeitschrift, der wichtigsten ihrer Generation. Person und Werk Purrmanns werden in der Folge von Korrespondenzbänden sichtbar, in die der vorliegende eingebettet ist, weshalb seine Stellung hier in Kürze charakterisiert werden kann: Der Maler stand mit einer edlen Auffassung von koloristischen Qualitäten in der Malerei zwischen dem Imund dem Expressionismus und hat gerade dadurch seine Eigenständigkeit bewahrt, dass er keinem dieser Lager explizit zugerechnet werden kann.

Kunstkämpfe Man schenkte sich nichts. Scheffler fraternisierte mit dem jüdischen Maler Liebermann und diente dem jüdischen Verleger Cassirer; wo aber Rivalität aufkeimte, wuchsen auch Hass und Klischee. Über Emil Heilbut, mit dem Scheffler um die Leitung von Kunst und Künstler rivalisierte, schrieb Scheffler 1933/34 in seinem Lebensrückblick: Dieser »wurde mein Feind, obwohl ich mich fast ängstlich korrekt benommen hatte; er hat mir nie verziehen und mir beständig zu schaden versucht. Was ihm im kleinen gelang, da er ein Meister des Trugs und der List war. Er sah mit seinem eindeutigen Profil und dem tiefschwarzen Haarwuchs auf Kopf und Kinn aus wie ein alter Assyrer.«9 Dass Scheffler bei der Drucklegung des anderthalb Jahrzehnte zuvor entstandenen Manuskripts diese Passage nicht strich, ist das eigent­ liche Indiz für eine zeittypische polarisierende Denkungsart mit ideologischen Tendenzen und persönlichen Feindseligkeiten. Auch das muss man als Historiker hinnehmen und benennen, nicht aber übergehen. Und eine solche Spitze reduziert nicht die Fülle des Verdienstes, sondern bereichert das Spektrum: Eben auch hierfür sind Briefe wertvoll. Doch damit nicht

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Abb. 3 Hans Purrmann: Stillleben mit Vasen, Apfelsinen und Zitronen, 1908, Öl auf Leinwand, 80 × 99,5 cm, Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie

genug; Scheffler unterstützte Max Tau, den früheren Lektor des Bruno Cassirer Verlags, auf dem Wege in die Emigration im November 1938 mit einem Empfehlungsschreiben, als derlei schon nicht mehr ohne Risiko war.10 Purrmann malte nicht nur stimmungsvolle und lichterfüllte Bilder aus seinem Lebensumfeld, sondern er schrieb auch anschauliche Briefe und berichtete darin von Ereignissen, vom Leben. Scheffler gab sich als ein eloquenter Autor, zuweilen weitläufig, stets anschaulich, unentwegt produktiv, oft narrativ, mitunter repetitiv, aber sein Publikum begrüßte diese leichte Kost, die keineswegs verwerflich ist. Nun kommen seine Briefe an den Tag. Die mit Purrmann gewechselten gehen darüber hinweg, welch scharfe Auseinandersetzungen sich der Autor mit dem Direktor der Berliner Nationalgalerie geliefert hatte. Purrmann sollte noch 1937 in das gleiche Horn stoßen, wie man im Brief 17 sieht: Das sind späte Früchte früherer Allianzen. Scharf erinnerte sich Ludwig Justi an Schefflers Angriff, den

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er als »Gift«11 bezeichnete. Dass damals Allianzen und Protektionen im Spiel waren, liegt auf der Hand; manche mögen persönlicher Natur gewesen sein, andere entsprangen ästhetischem Urteil. 1918 hatte Justi für die Nationalgalerie ein Gemälde Purrmanns erworben, ein »Stilleben. Gemalt 1908 in Paris im Atelier von Matisse«12 (Abb. 3), wie es im Sammlungskatalog hieß. Das Werk fehlt zwar im Katalog von 1934 und war demnach in das Depot verbannt.13 Aber es ist erhalten.14 Wenn Justi also nach Ausrufung der Weimarer Republik keine weiteren Erwerbungen Purrmanns tat, sondern sich dem Expressionismus zuwandte, so spiegelt dieser Umstand den epochalen Wandel, der damals stattfand und in dem Purrmann zwischen Secessionisten- und Expressionisten-Generation mit der feinsinnigen koloristischen Mäßigung seiner Kunst gleichsam aufgerieben oder vorübergehend unsichtbar wurde. Für Scheffler jedenfalls war dies das oberste Kriterium, wie er in seinen Briefen auch an Dritte immer wieder erkennen lässt. Begeistert lobte er den Farbzeichner Max Schwimmer in den 1940er Jahren: »Immer mehr ent­wickeln Sie sich dem rein Koloristischen zu«15. Dass der Literat diesem begabten Zeichner allerdings mahnend vorhielt, ihm drohe »ein Abgleiten ins Feuilletonistische«16, zeigt auf, dass er die so leichtfüßige, feuilletonistische Diktion seiner eigenen Texte dieser Gefahr nicht ausgesetzt sah (sonst hätte er den Freund nicht dagegen gewarnt), obgleich auch ihnen die freundlich-unterhaltsame Note zuweilen anhaftet.

Widersprüche Scheffler wie Purrmann lebten nach einem bürgerlichen ästhetischen Konzept, das sich abschirmte und ab 1933 auch dringlichst gegen das Diktat der Banalität abgrenzen musste. Dass Scheffler die Werke von Paul Klee als »wenig mehr als ein leichter Schaum«17 aus dem Horizont seiner Wahrnehmungsbereitschaft ausgrenzen konnte, mag aus heutiger Sicht irritieren. Schefflers am Impressionismus geschulte Position versperrte ihm die jüngere Generation. Aber umso wachsamer suchte er den Austausch mit Hans Purrmann und anderen; dessen künstlerische Reifung und Entwicklung sah er mit Aufmerksamkeit, dessen exilartigen Auslandsaufenthalt verfolgte er mit Wohlwollen und Geduld. Purrmann hatte nicht nur eine große Gestaltungsmacht, sondern auch eine Weisheit entwickelt, sich mit den Widerwärtigkei-

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ten der Zeit so zu arrangieren, dass er seine Kunst gleichsam klug geschützt ausüben und verkaufen konnte. Wer sich so in die Kunstkämpfe seiner Epoche involvierte, musste mit dem Schlimmsten rechnen, doch aus der Sicht eines Historikers relativiert sich auch das. Julius Meier-Graefe, an dessen literarischer Apotheose des europäischen Impressionismus sich Scheffler lange orientiert hat, konstatierte im weltstürzenden September 1914 und also kurz nach Kriegsbeginn nach einer Abendgesellschaft: »Scheffler, der hartleibige Idealist, begreift nicht, daß man überhaupt noch etwas anderes als patriotisch in dieser Zeit sein kann.«18 Die ideologischen Kämpfe waren von den Kunstkämpfen um die Moderne nicht trennbar. Schon lange zuvor hatte Meier-Graefe nach einem vergleichbaren Abend witzig konstatiert: »Scheffler streitet, um zu streiten. Mistrabe.«19 Gerne läse man die Urteile Schefflers über diesen Zeitgenossen. Man muss solche Verdikte relativieren, da es Elemente des Kampfes um die Moderne sind. Noch nach dem Zweiten Weltkrieg wollte der kritische, literarische und polemische Scheffler streiten, nun gegen die abstrakte Malerei, wie er allenthalben bekundete, sei es gegenüber Purrmann20 oder Max Schwimmer21: Auch er stand im Strom der Zeit, der nun allerdings fühlbar weitergezogen war; aus dem Kämpfer und Schreiber der secessionistischen Moderne war ein retardierender und retrospektiver Zeitgenosse geworden; das verband ihn mit vielen anderen Kunstschriftstellern. Cassirer hatte Vorbehalte gegen Matisse gepflegt, Meier-Graefe teilte die Ablehnung des Expressionismus und nahm fast nur Beckmann aus. Der Max Liebermann zeitweilig nahestehende Berliner Generaldirektor Wilhelm von Bode zog ebenfalls eine klare Trennlinie zur Moderne, so dass sein jüngerer Kollege in der Nationalgalerie, Hugo von Tschudi, nicht nur mit den französischen Impressionisten ungeschützt in einen Kampf gegen das Urteil Wilhelms II. ging, sondern für Berlin von Erwerbungsversuchen der Bilder Vincent van Goghs absah. Sie alle waren Kunsthistoriker, Museumsmänner, Kritiker, Händler – und waren als solche an Urteil und Markt gekettet. Bode nannte den Kubismus gar eine ewige Schmach.22 Das letzte Wort behielt und behält hingegen die Kunst, so wichtig auch eine flankierende Briefausgabe und – generell – das Verständnis für Persönlichkeiten und Bedingtheiten ihres Denkens und Handelns sein mögen: Die enorme Produktivität der Künstler vom Schlage Hans Purrmanns war durch Urteile, Vor- oder Fehlurteile nicht gebremst.

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Impressum Künstler und Kritiker Hans Purrmann und Karl Scheffler in Briefen 1920–1951 Im Auftrag der Akademie der Künste, Berlin, und der Erbengemeinschaft nach Dr. Robert Purrmann, München, herausgegeben und bearbeitet von Felix Billeter, Julie Kennedy, Anke Matelowski Lektorat: Rudolf Winterstein, München Gestaltung, Layout und Satz: Edgar Endl, bookwise medienproduktion, München Druck und Bindung: Elbe Druckerei Wittenberg GmbH Schriften: Minion und Kievit Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ bibliografie; detaillierte biblio­grafische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2021 Deutscher Kunstverlag GmbH Berlin München Lützowstraße 33 D-10785 Berlin Ein Unternehmen der Walter de Gruyter GmbH Berlin Boston www.degruyter.com www.deutscherkunstverlag.de ISBN 978-3-422-98428-8

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Abbildungsnachweis Akademie der Künste, Berlin: Umschlag, 10/11, 16, 22, 28, 36, 64, 72, 76, 96, 121, 131, 193 Archiv Philipp Kuhn, Baden-Baden/Nachlass Vagaggini, Florenz: 87 bpk-Bildagentur: 186, 213 Gunter Böhmer-Stiftung Calw: 126 Hans Purrmann Archiv, München: 2, 33, 37, 38, 56, 63, 65, 71, 105, 117, 124, 135, 146, 161, 165 Robert Bayer: 79 Purrmann-Haus Speyer: 12 Universitätsbibliothek Heidelberg: 168, 200, 211 Das Copyright der abgebildeten Werke liegt, soweit nicht anders angegeben, bei den Künstlerinnen und Künstlern und ihren Rechtsnachfolgern. Für das Werk von Henri Matisse: © Succession H. Matisse/VG Bild-Kunst, Bonn 2021. Für alle Werke von Hans Purrmann: © VG Bild-Kunst, Bonn 2021 Für alle Texte: © Autorinnen und Autoren Umschlag u. S. 10/11: Montagsempfang bei Curt Glaser, März 1929, von links: Bruno ­Cassirer, Else Cassirer, Dody Scheffler, Karl Scheffler, Hans Purrmann, Rudolf Grossmann, Foto: unbekannt (Käte Wittkower?), KSA 687/31 Frontispiz S. 2: Sonderausstellung Hans ­Purrmann im Kunstsalon Paul Cassirer, Berlin, 1918, Foto: unbekannt (Ausschnitt), HPA S. 36: Karl Scheffler, [Berlin], um 1914, Foto: Alice Matzdorff, KSA 687/21 S. 37: Hans Purrmann beim Zeichnen, Florenz, um 1938, Foto: unbekannt, HPA S. 38: Hans Purrmanns Atelier, Berlin, um 1920, Foto: unbekannt, HPA S. 72: Karl Scheffler, Berlin, Dezember 1936, Foto: unbekannt, KSA 687/12 S. 124: Hans Purrmann und seine Nichte Heidi Vollmoeller, Montagnola, um 1955, Foto: unbekannt (Ausschnitt), HPA S. 213: Auguste-Viktoria-Platz – Blick auf das Romanische Café, rechts die Tauentzien­straße, Berlin, um 1930, Foto: unbekannt (Ausschnitt), © bpk


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