Von der Renaissance zum Barock (1570−1670)_Look inside

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HANDBUCH ZUR GESCHICHTE DER KUNST IN

1570−1670

Von der Renaissance zum Barock

HERAUSGEGEBEN VON AGNIESZKA GĄSIOR, MARIUS WINZELER

LEIBNIZ-INSTITUT FÜR GESCHICHTE UND KULTUR DES ÖSTLICHEN EUROPA (GWZO)

Inhalt

7 Geleitwort und Danksagung

8 Einführung. Von der Renaissance zum Barock

Marius Winzeler, Agnieszka Gąsior, Wilfried Franzen

22 Zeitleisten

26 Karten

33 Im Dienst der Mächtigen

34 Der Kaiser als Sammler und Mäzen. Die Kunst am Hof Rudolfs II. Eliška Fučíková

58 Nordische Perspektiven. Die Herrschaftsrepräsentation der polnischen Wasa-Könige

Piotr Gryglewski

78 Opus italicum. Architektur in den Ländern der österreichischen Habsburger

Petr Fidler

100 Zwischen Innovation und Tradition. Architektur in Polen-Litauen

Tomasz Torbus

122 Frühneuzeitliche Gartenkunst und Gartenkultur

Stefan Schweizer, Agnieszka Derda

133 Funktionen der Kunst an der Schwelle von der Spätrenaissance zum Frühbarock

134 Von Gottes Gnaden. Sakrale Kunst im Widerstreit der Konfessionen

Aleksandra Lipińska

154 Die bildenden Künste in Ostmitteleuropa. Künstler, Aufgaben, Entwicklungen

Andrzej Kozieł, Michał Wardzyński

174 Sumptuosa et elegantia. Monumentaldekor der Profan- und Sakralarchitektur zwischen religiöser und gesellschaftlicher Repräsentation

Ondřej Jakubec, Martin Mádl

196 Die Kunstkammer als mitteleuropäisches Phänomen

Marius Winzeler

214 Die Kunst des Ephemeren. Feste und Theater

Marina Dmitrieva

229 Zwischen Ethos und Pathos: Bürgerliche und adlige Repräsentation

230 Die Stadt als Bühne. Stadtkultur und bürgerliche Selbstdarstellung

Lars Olof Larsson

242 »Den verfluchten Geiz vermeiden«. Die Aristokratie in den Ländern der böhmischen Krone vor und nach der Schlacht am Weißen Berg

Ondřej Jakubec

260 Repraesentatio und Pietas. Die polnisch-litauischen Magnaten

Tadeusz Bernatowicz

280 Osmanen und Osmanismen. Orientrezeption in Ostmitteleuropa

Sabine Jagodzinski

290 Zwischen Sultan und Kaiser. Bau- und Kunststiftungen im dreigeteilten Ungarn

Robert Born

313 Katalog

607 Anhang

608 Personenregister

627 Orts- und Objektregister

645 Literatur

731 Bildnachweis

732 Autorinnen und Autoren

733 Impressum

Geleitwort und Danksagung

Die Entstehung des vorliegenden Bandes über die Kunstgeschichte der Epoche von 1570–1670, die durch zahlreiche kriegerische Auseinandersetzungen geprägt war, erfolgte ihrerseits in einer Zeit großer Krisen: Die weltweite Covid-19-Pandemie hatte in den Jahren 2020–2022 die Rahmenbedingungen für die Forschung und die Erstellung der Manuskripte in einem nicht unerheblichen Maße beeinträchtigt. Zudem erschwerte die Invasion der russischen Armee in der Ukraine im Februar 2022 das wissenschaftliche Arbeiten in den östlichen Staaten unserer Untersuchungsregion. Dieser Angriffskrieg und die hierfür von Russland entworfene irreführende Begründung führte zugleich vor Augen, wie wichtig es in den heutigen Zeiten ist, der Geschichtsvergessenheit und den Geschichtsverfälschungen entgegenzuwirken. Wir als Forschende und Menschen der Wissenschaft wollen dies tun, indem wir versuchen, die Grundzüge der gemeinsamen Kulturgeschichte des östlichen Europa in ihren komplexen, teils spannungsreichen Entwicklungen sichtbar zu machen.

Umso mehr schulden wir all jenen einen großen Dank, die trotz dieser Herausforderungen zum Gelingen dieser Veröffentlichung beigetragen haben

und angesichts der sich über mehrere Jahre hinziehenden Bearbeitungszeit einen langen Atem bewiesen. Dies sind zuallererst die über 90 Autorinnen und Autoren der Essays und Katalogbeschreibungen, die mit ihren wissenschaftlichen Beiträgen hier einen entscheidenden Anteil haben. Ein besonderer Dank gebührt Petr Fidler, der an der Konzeption des Bandes wesentlich mitgewirkt hat. Überdies danken wir all jenen Institutionen, die uns auf vielfältige Weise unterstützt haben, allen voran dem Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa (GWZO) in Leipzig mit seiner Direktorin Maren Röger, an dem das Kunsthandbuchprojekt entstanden und angesiedelt ist und ohne dessen vielseitige Unterstützung die Realisierung dieses Vorhabens nicht möglich wäre. Wir danken der Nationalgalerie Prag und den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden sowie den zahlreichen weiteren Bildgebern und nicht zuletzt auch der Ernst von Siemens Kunststiftung, vertreten durch ihren Generalsekretär Martin Hoernes, für ihre großzügige Druckkostenbeihilfe.

Jiří Fajt, Wilfried Franzen, Agnieszka Gąsior und Marius Winzeler, Leipzig im Frühjahr 2025

Einführung

Von der Renaissance zum Barock

Als »europäische Allegorie« oder auch »Theatrum Europaeum des Dreißigjährigen Krieges« ist das heute im Museo del Prado aufbewahrte und dem aus Breslau stammenden Maler Bartholomäus Strobel d. J. zugeschriebene Gemälde Festmahl des Herodes in die Forschung eingegangen.1 Das vermutlich um 1640 geschaffene großformatige Leinwandbild – es misst 9,52 × 2,70 m – versammelt in einer opulenten Inszenierung zahlreiche Persönlichkeiten der europäischen Politik aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts (Kat. 204; Abb. 1). 1746 befand es sich im königlichen Palast von La Granja de San Ildefonso – im »Salon, in welchem die Majestäten speisten«.2 Wie es in die Sammlung der spanischen Königin Elisabetta Farnese gelangte, ist ebenso unbekannt wie seine Entstehungsumstände oder sein ursprünglicher Bestimmungsort. Gleichwohl repräsentiert dieses Werk wie kaum ein zweites die in diesem Buch behandelte Epoche von 1570 bis 1670 und ziert nicht zufällig seinen Einband. Sowohl der – immer noch nicht gänzlich entschlüsselte – Gegenstand des Gemäldes als auch die Biografie seines Schöpfers stehen paradigmatisch für die verschlungenen Wege der Kriegspolitik, die wechselnden Geschicke ganzer Landstriche und individuellen Schicksale im damaligen Europa.

Die Geschichtsregion ­Ostmitteleuropa 1570–1670

In den Jahren 1570–1670 erstreckten sich die polnischlitauische Rzeczpospolita, die Länder der böhmischen Krone sowie das dreigeteilte, zum Teil osmanisch besetzte Ungarn – also das, was wir im Wesentlichen als »Ostmitteleuropa« definieren3 – zwischenzeitlich über eine Fläche nie dagewesenen Ausmaßes. Dies lag in erster Linie an den territorialen Zugewinnen

Polen-Litauens, ohnehin der größte Flächenstaat des europäischen Kontinents, der sich auf dem Höhepunkt seiner territorialen Macht im Osten bis nach Smolensk und Severien und damit über insgesamt rund eine Million Quadratkilometer ausdehnte (siehe Karte 1–3 auf S. 26–31). Diese heterogene Geschichtsregion Ostmitteleuropa umfasste damit das heutige Tschechien, Polen, Litauen, Lettland, den Süden Estlands, Belarus, die westlichen Regionen Russlands, weite Teile der Ukraine, Moldawien, Ungarn, die Slowakei, Rumänien, Teile Serbiens, Kroatien, Slowenien, das Burgenland in Österreich und (bis 1635) die Lausitzen.

Ars et Mars

Das hier vorgestellte Jahrhundert war eine Zeit der Kriege, die auf unterschiedlichster Weise das Kunstgeschehen dieser Region prägten. Dabei stellte der Dreißigjährige Krieg (1618–1648), der hier vor allem die böhmischen Länder in Mitleidenschaft zog, nur eine von vielen militärischen Auseinandersetzungen dar.4 Die polnisch-litauische Rzeczpospolita wurde über den gesamtem Zeitraum von einer Reihe von kriegerischen Auseinandersetzungen mit dem Zarentum Russland und der schwedischen Krone

1 SEGHERS 1961, hier insbes. 44 und 46.

2 (…) salón donde comían sus majestades. Inventario General Pinturas, Muebles y otras alhajas de la Reina Nuestra Señora que tiene en el Palacio del Real Sitio de San Ildefonso. Madrid 1746, 65.

3 Siehe hierzu FAJT/FRANZEN 2017 sowie LÜBKE 2017 im Band 1 dieser Reihe (LÜBKE/HARDT 2017). – Vgl. zur kartografischen Darstellung auch MAGOSCI 2019¸ 46–66.

4 Zu den Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges auf Kunst und Kultur zuletzt BRINK/JAEGER/WINZELER 2021. – AUSST.KAT. DRESDEN 2021. – SEIDEL-GRZESIŃSKA/WISŁOCKI 2023.

Abb. 1 Festmahl des Herodes (Kat. 204; Detail) Bartholomäus Strobel d. J., um 1640 (?) • Öl auf Leinwand, H. 280 cm, B. 952 cm • Madrid, Museo Nacional del Prado, Inv.-Nr. P001940

erschüttert, die unter dem Sammelbegriff Nordische Kriege zusammengefasst werden und in der sogenannten Schwedischen Sintflut (potop szwedzki) 1655–1660 gipfelten. Im Süden unserer Großregion bestimmten wiederum die Spannungen mit dem Osmanischen Reich das politische und kulturelle Geschehen, die sich militärisch u. a. im Langen Türkenkrieg von 1593–1606, dem Osmanisch-Polnischen Krieg 1620/21 und dem Vierten Österreichischen Türkenkrieg 1663/64 niederschlugen.

Dass in diesen Zeiten die Kunstproduktion kaum nachließ, scheint ein Paradoxon. Die durch moderne Erfahrungen vom Kriegsgeschehen geprägte Erwartungshaltung setzt eher einen künstlerischen Stillstand voraus – ganz im Sinne der von Wilhelm von Bode 1917 zitierten Redewendung Inter arma silent musae (»Unter Waffen schweigen die Musen«), der sich auf die Schwierigkeiten des Kulturbetriebes zur Zeit des Ersten Weltkriegs bezieht.5 Diese Abwandlung des auf Cicero zurückgehenden Aphorismus Inter arma

enim silent leges (»Denn unter Waffen schweigen die Gesetze«) findet ab dem frühen 17. Jahrhundert in humanistischen Kreisen und vor allem im Kontext des Dreißigjährigen Krieges Verbreitung – in der Regel auf die Unterbrechung des Studiums in Kriegszeiten gemünzt.6

Die Auswirkungen auf die Künste waren indes weitaus komplexer. Die durch Gewalt, Hunger und Seuchen bedingte hohe Mortalität sowie die Verwüstung und Entvölkerung ganzer Regionen betrafen auch Künstler und Handwerker; die Plünderung und Zerstörungen bewirkten einen immensen Verlust künstlerischer Schöpfungen – der Prager Kunstraub 1648 oder die oben genannte »Schwedische Sintflut« sind hier nur die prominentesten Beispiele. Und zugleich regte dieser Verlust dort, wo die entsprechenden finanziellen Ressourcen vorhanden waren, Neuproduktionen an – sei es, um das Verlorene zu ersetzen, oder sei es, der Selbstbehauptung der Kriegsakteure Ausdruck zu verleihen. Nicht zuletzt führte

Abb. 2 Allegorie auf die Eroberung von Stuhlweißenburg (Székesfehérvár) Hans von Aachen, um 1603/1604 • Papier oder Pergament auf Leinwand aufgezogen, H. 34 cm, B. 42 cm • Kunsthistorisches Museum Wien, Gemäldegalerie, 5842

Abb. 3 Arte et Marte Bartholomäus Strobel d. J., 1636 • Feder, laviert, H. 7,9 cm, B. 13 cm • Stammbuch des Nicolaus Debschütz • Posen, Muzeum Narodowe w Poznaniu, Inv.-Nr. Gr. 788, fol. 271

das Kriegsgeschehen zu einer gewaltigen Umschichtung von Vermögen, zu Verschiebungen und zum Austausch von Eliten, was eine verstärkte Bautätigkeit und intensive Kunstproduktion mit sich brachte, um das aus der jeweiligen Neupositionierung erwachsene Repräsentations- und Legitimationsbedürfnis zu befriedigen.

Durch die kriegerischen Ereignisse begünstigte Aufsteigerfamilien (Esterházy, Liechtenstein, Lubomirski, Radziwiłł, Schwarzenberg, Sobieski u. a.) sowie Kriegsgewinnler (wie der kaiserliche Generalissimus Albrecht von Waldstein) betrieben in allen Regionen Ostmitteleuropas zwischen 1570 und 1670 phasenweise eine hochrangige Bautätigkeit und ein ambitioniertes Kunstmäzenatentum, vielfach von internationalem Rang und mitunter mit weiter Wirkung und Ausstrahlung (Abb. 5; siehe S. 242–279, 290–302). Sowohl die bildende Kunst als auch die Architektur erfüllten in diesen Zeiten oftmals ausdrücklich propagandistische Zwecke. Diese betrafen das politische Kriegsgeschehen ebenso wie die Auseinandersetzungen zwischen den Konfessionen. So wurden die militärischen Erfolge der Habsburger im Dreißigjährigen Krieg oder im Langen Türkenkrieg in zahlreichen Bildmedien zelebriert, von führenden Künstlern wie Hans von Aachen akzentuiert und rezipiert (Abb. 2), desgleichen wurde in Gemälden, Grafiken und Reliefs z. B. der triumphale Erfolg des polnischen-litauischen Heeres über die Osmanen in der Schlacht von Chotyn (pl. Chocim) 1673 gefeiert.7

Ideologisch motivierte Auftragswerke und das Schicksal von Kunstwerken als Kriegsbeute waren

auch Thema der theoretischen und juristischen Auseinandersetzung der Zeit.8 Der aufkommende internationale Kunstmarkt und alle möglichen Formen des Kunsttransfers brachten zum Ausdruck, welche Bedeutung Kunst als Machtmittel und Kommunikationsinstrument in komplizierten Zeiten hatte.9 Dies gilt nicht zuletzt für die Diplomatie, zumal eine Reihe führender Künstler und insbesondere Hofkünstler selber in diplomatischer Mission zwischen den politischen Mächten agierten und bisweilen sogar Spionagedienste übernahmen; zu nennen ist hier nicht nur Peter Paul Rubens, sondern auch die am Prager Hof tätigen Künstler Jacob Hoefnagel, Hans von Aachen oder Wenzel Hollar.10

Dass in diesem bewegten Jahrhundert in der Kunst Ostmitteleuropas das Kriegsthema auch allegorisch eine Rolle spielte – sei es in bauplastischen Programmen, in opulenten Festdekorationen, in der Memorial- und Sepulkralkunst oder im Medium Zeichnung – ist wenig erstaunlich. Als variantenreiches Stammbuchmotiv etablierten sich gelehrte Darstellungen von Ars et Mars bei mehreren international tätigen Zeichnern und Grafikern der Epoche und wurden entsprechend rege kopiert und weiterverbreitet.11 In diesem Medium konnten die Künstler mitunter selbst Stellung beziehen, wie dies beispielsweise aus den Breslauer Humanistenkreisen für den oben genannten Bartholomäus Strobel d. J. und dessen Dichterfreund Martin Opitz bekannt ist (Abb. 3; Kat. 191).

Das Jahrhundert zwischen 1570 und 1670 als historische Epoche

Klaus Zernack charakterisierte die Frühe Neuzeit als ein »Zeitalter des zügigen Aufstiegs der fürstlichen Macht an den Rändern um Ostmitteleuropa« und

5 BODE 1997, Bd. 1, 392.

6 So formulierte der Magdeburger Gymnasiallehrer Christoph Krause in seinem um 1630 verfassten Tagebuch So bald als der Krieg ins land kam, hiess es: inter arma silent musae und bezog dies auf die vakanten Stellen an Kirchen und Schulen. OPEL 1878, Zitat auf S. 340. – Mit einem Fragezeichen versehen oder einem non ergänzt, wird heute dieser Ausspruch wiederholt im Zusammenhang mit dem Dreißigjährigen Krieg zitiert, so im Titel des AUSST.-KAT. PRAG 2007 oder AUSST.-KAT. DRESDEN 2021, 13.

7 Siehe z. B. das Gemälde Die Schlacht von Chocim des Jan van Huchtenburg aus dem Jahr 1675 (Krakau, Państwowe Zbiory Sztuki na Wawelu, Inv.-Nr. 5557).

8 JAEGER/FEITSCH 2021. – NESTOR 2021. – WINZELER 2021b.

9 NORTH 2021a.

10 BÜTTNER 2021. – VIGNAU-WILBERG 2021. – AUSST.-KAT. AACHEN/PRAG/WIEN 2010, 8. – VOLRÁBOVÁ 2021.

11 BRINK 2021.

Abb. 4 Die Apotheose der Künste Jan Harmensz. Muller (nach Bartholomäus Spranger), 1597 • Kupferstich, H. 68,2 cm, B. 49,9 cm • Prag, Národní galerie Praha, Inv.-Nr. R 170.750

als eine »Epoche von Kriegen mit charakteristischen neuzeitlich-staatengeschichtlichen Elementen«, womit er Hegemonialkampf und imperiale Expansion bis hin zur Teilung – hier: Polens und Schwedens –meinte.12 Innerhalb dieses größeren zeitlichen Rahmens war es insbesondere das kriegerische 17. Jahrhundert, in dem sich »sukzessive, aber keineswegs geradlinig das neue Gesicht Osteuropas« formierte.13 Während der Süden Ostmitteleuropas seit der Schlacht von Mohács (1526) großräumig osmanisch und damit muslimisch besetzt war und anhaltend bis ins ausgehende 17. Jahrhundert eine kulturelle Konflikt- und Kriegszone blieb (siehe S. 290 f.) und im

Norden Schweden, Polen und Russland um die Vormacht im Ostseeraum kämpften, nutzte das Haus Habsburg die labile Situation in der Mitte, um seine Macht wo immer möglich zu stärken und visuell sichtbar zu machen.

Für das Jahrhundert zwischen 1570 und 1670 waren es jedoch (noch) nicht die zentralisierten Gewalten, die in Ostmitteleuropa vorrangig die Phänomene der Kunst- und Kulturgeschichte bestimmten, sondern die dezentrale historische Topografie und die vorherrschende soziale, ethnische und konfessionelle Vielfalt, deren Grundlagen territorialpolitische Kleinteiligkeit, vor allem aber die ständische Verfasstheit

bildeten.14 Ständische Strukturen waren in politischer Hinsicht das verbindende und prägende Element, das auch für Architektur und bildende Kunst, für deren Bedeutung hinsichtlich visueller Kommunikation als auch repräsentativer Ansprüche, grundsätzliches Gewicht besaß. Die Länder und Staaten Ostmitteleuropas wiesen einerseits gesellschaftlich, dynastisch und wirtschaftlich enge Beziehungen sowie strukturelle Ähnlichkeiten auf, ohne dabei Nationalstaaten im Sinn des 19. Jahrhunderts zu bilden. Andererseits unterschieden sie sich aber auch erheblich hinsichtlich der traditionellen geopolitischen Zugehörigkeit und entsprechender Interessensphären.

Bedeutende historische Zäsuren definieren den zeitlichen Rahmen unserer Darstellung: So waren die Jahre um 1570 vor allem im Norden bestimmt durch wegweisende Vertragsabschlüsse, Machtwechsel und beginnende Kriegsereignisse. Auf dem Lubliner Reichstag 1569 schlossen sich die beiden bisher in Personalunion verbundenen Staaten – das Königreich Polen und das litauische Großfürstentum – zu einer Realunion zusammen und wurde das Königliche Preußen der polnischen Krone inkorporiert. Mit der Gründung der Adelsrepublik (Rzeczpospolita / Res publica) war für mehr als zwei Jahrhunderte der größte Flächenstaat Europas geschaffen, eine Wahlmonarchie, in welcher der Adel (immerhin 10 % der Gesamtbevölkerung) die stärkste Macht ausübte. 1572, mit dem Tod des Königs Sigismund II. August, erlosch die Dynastie der Jagiellonen im Mannesstamm. Seine Schwester Anna Jagiellonica, die 1575 zum »König« von Polen und »Großfürst« von Litauen gewählt worden war, heiratete 1576 Stephan Báthory, den Fürsten von Siebenbürgen, womit ein Ungar den polnisch-litauischen Thron bestieg. Ihm folgten von 1587 bis 1668 Herrscher aus der schwedischen Wasa-Dynastie (siehe S. 58–77). Unter den Wasa-Königen etablierte sich die Rzeczpospolita in der heutigen Ukraine aber auch als Kolonialmacht, was 1648 zum ersten Kosakenaufstand und zum Russisch-Polnischen Krieg (1654–1667) führte. Der Versuch mit dem Vertrag von Hadjač (pl. Hadziacz) 1658 die Rzeczpospolita in einen Dreierbund mit der Ukraine umzuwandeln, scheiterte auch am Widerstand des polnischen Adels. Vor allem aber wirkte sich in der Wasa-Zeit das Festhalten des Adels an überkommenen Strukturen negativ aus, da es zu einem erheblichen Verlust an Steuerund Reformfähigkeit und letztlich auch der Verteidigungsfähigkeit führte, also insgesamt zu einer Schwächung der Rzeczpospolita.15 Im Verlauf des 17. Jahrhunderts endete zudem nach und nach die bemerkenswerte religiöse Toleranz. Schrittweise vollzog

sich die Umwandlung zu einem katholischen Staat, gekennzeichnet durch die jesuitische Dominanz im Bildungswesen und dem Ausschuss der Andersgläubigen von höheren Staatsposten.

In den böhmischen Ländern und dem nordwestlichen Rest Ungarns waren seit 1526 die Habsburger an der Macht. Der seit 1576 zum Kaiser gewählte Rudolf II., zuvor 1572 bereits König von Ungarn und 1575 von Böhmen, verlegte 1583 die Hauptstadt des Reichs nicht zuletzt vor der in Wien drohenden Türkengefahr nach Prag, womit zum zweiten Mal seit Karl IV. im 14. Jahrhundert die böhmische Hauptstadt wieder zur kaiserlichen Metropole und damit zu einem der wichtigsten Zentren Europas aufstieg – dank der geistigen und wissenschaftlichen Interessen sowie des Mäzenatentums Rudolfs II. auch in kultureller und künstlerischer Hinsicht (Abb. 4; siehe S. 34–57).

War das zentrale Mitteleuropa zwischen dem mittleren 16. Jahrhundert und 1618 befriedet – für die deutschsprachigen und die böhmischen Länder stellte diese Zeit bis ins 19. Jahrhundert eine der längsten Friedensperioden dar –, blieb der Südosten instabil: Infolge der Schlacht von Mohács 1526 hatte das Osmanische Reich große Teile Ungarns und Kroatiens erobert einschließlich der alten Hauptstadt Ofen (Buda; heute Budapest), die erst 1684/1686 zurückgewonnen werden konnte; Pressburg (Bratislava) fungierte fortan (bis 1784) als ungarische Hauptstadt. Der verbliebene nördliche Teil des königlichen Ungarn, der territorial die heutige Slowakei, einen Teil Westungarns und das Burgenland umfasste, wurde zur schwer befestigten Grenzregion und erfuhr trotz der reichen Bergbaugebiete eine wirtschaftliche Schwächung (siehe S. 290–302). Das nordöstliche Siebenbürgen wurde als Fürstentum 1541/1570 zur kulturellen Pufferzone als osmanischer Tributärstaat (bis 1688). Für die Kunst- und Kulturgeschichte gewann in dieser Situation das Phänomen der Osmanismen zusehends an Relevanz. Die Aneignung und Imitation

12 ZERNACK 1977, 73 f.

13 ZERNACK 1974.

14 BAHLCKE 1998, 57. – Bahlcke befasst sich mit politischen Ordnungsvorstellungen und Verfassungspraxen. Hierbei kommen ständischen und religiösen Freiheitsbegriffen eine besondere Bedeutung zu. Am Beispiel der habsburgischen Kronländer zeichnet er die Ausbildung ständisch-territorialer und rechtlicher Länderidentitäten nach und beschreibt die Versuche der Annäherung und Bündnisbildung zwischen diesen Ländern als Gegenbewegung zur monarchisch-herrschaftlichen Staatsbildung mit einem Höhepunkt im frühen 17. Jahrhundert und ihrer (historiografischen) Fernwirkung bis ins 19. Jahrhundert.

15 OCHMANN-STANISZEWSKA/STANISZEWSKI 2000.

türkischer Moden und Kunstwerke gilt dabei als Ausdruck sowohl der Faszination für die fremdartige Kultur als auch der Bewältigung des Schreckens, den die muslimischen Besatzer und Angreifer auslösten (siehe S. 280–289). Als fester Bestandteil im künstlerischen Erbe des polnischen Sarmatismus entfalteten diese Osmanismen eine nachhaltige Wirkung bis zur höfischen Türkenmode des Spätbarock und Rokoko.

Eine Zäsur mit weitreichenden Folgen für die gesamte mitteleuropäische Geschichte stellte in der Mitte unseres Zeitraumes 1620 die Schlacht am Weißen Berg bei Prag dar. Mit dem Sieg des kaiserlichen Heeres führte dieses Ereignis zur gewaltsamen Katholisierung der böhmischen Länder und zur Durchsetzung habsburgischer Macht unter Auflösung des bisherigen Ständestaates, womit eine weitreichende gesellschaftliche Umwälzung verbunden war. Die Protestanten wurden zur Konversion oder ins Exil gezwungen, was auch für den bis dahin mehrheitlich evangelischen Adel galt, der durch kaisertreue

Katholiken ersetzt wurde, die schließlich in der 1627 bestätigten Königlichen Allmacht die Durchsetzung einer absolutistischen Regierungsweise unterstützten.16 Territorial führte der damals das ganze Reich und weite Teile Westeuropas erfassende Dreißigjährige Krieg für die böhmischen Länder zur dauerhaften Abtretung der beiden Lausitzen an das Kurfürstentum Sachsen.

Eine Zeitenwende fand im ostmitteleuropäischen Raum schließlich auch in den Jahren um und nach 1670 statt. Polen erfuhr nach einer Phase der Schwächung und des Niedergangs mit Johann III. Sobieski einen erneuten Aufstieg, der mit den Erfolgen gegen die Osmanen (Schlacht bei Chotyn 1673) zu tun hat: Sobieski gelang schließlich 1683 zusammen mit dem sächsischen Kurfürsten Johann Georg III. die Entsatzung Wiens und damit die entscheidende Eindämmung der Türkenkriege, gefolgt von der Rückeroberung Ungarns. Böhmen, Mähren und Schlesien waren politisch und wirtschaftlich konsolidiert und

Abb. 5 Palais Waldstein (Kat. 149), Kapelle Giovanni Pieroni (Entwurf?), Giovanni Battista Marini, Andrea Spezza, Vincenzo Boccaccio und Nicolò Sebregondi (Bauleitung), 1622–1630

wurden kulturell zunehmend auf Wien orientiert. Mit dem Ausbau der königlichen Macht ging im habsburgischen Kaiserreich eine weitreichende Straffung der Verwaltung einher sowie mit Etablierung stehender Heere eine zunehmende Militarisierung.

Die politische Entwicklung manifestierte sich zusehends in bedeutenden Kunststiftungen an den Herrscher- und Fürstenhöfen. Gestärkte finanzielle Ressourcen des Hochadels ermöglichen kostspielige Investitionen in die Repräsentation durch monumentale Bauvorhaben (Abb. 5) und prachtvolle Gartenanlagen (siehe S. 122–131), die insgesamt mit der Entfaltung des Zeremoniells und der höfischen Festkultur einhergingen, die auch Musik, Theater und aufwendige ephemere Hoffeste umfasste (siehe S. 214–227). Ihren wohl individuellsten und intimsten Ausdruck fand die Herrschaftsrepräsentation im Aufbau eigener Kunstsammlungen (siehe S. 196–213). Das Engagement der Eliten spielte außerdem im religiösen Bereich eine bedeutende Rolle, wobei konfessionelle Aushandlungsprozesse generell das Repräsentationsbedürfnis und die Stiftungstätigkeit zusätzlich begünstigten. Dem niederen Adel und dem städtischen Bürgertum standen freilich nur in wenigen Fällen und verstärkt erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts vergleichbare Ressourcen zur Verfügung, um an dieser kulturellen Entwicklung partizipieren zu können.

Zentren und Peripherien – Mobilität und Migration

Für die Erforschung der Kunst als visuelles und kommunikatives Medium, das stets auf äußere Einflüsse reagiert und mit Innovationsbestreben verknüpft ist, ist im ostmitteleuropäischen Kontext zwischen 1570 und 1670 entscheidend, die Frage von Zentrum und Peripherie und deren Wechselwirkungen immer wieder neu zu stellen.17 Etablierte sich Krakau (Kraków) im Verlauf des 16. Jahrhunderts unter den Jagiellonen zur kulturellen Metropole mit einem weiten Wirkungsgebiet, so änderte sich dies 1596 mit der Verlegung der polnischen Hauptstadtfunktion nach Warschau (Warszawa), das in der Folge entsprechende Ausbauten erfuhr (Kat. 83/84). Auch der kaiserlichen Metropole Prag – über den ganzen Zeitraum von 1570 bis 1670 einwohnerstärkste Stadt Ostmitteleuropas –waren zwischen 1578 und 1611 nur wenige Jahrzehnte beschieden, in denen sich Impulse aus vielen Geistes- und Himmelsrichtungen verbinden und bündeln konnten, um überregional auszustrahlen und einen nachhaltigem Einfluss auf kleinere Städte,

Handwerker und Künstler auszuüben.18 Ansonsten befanden sich die für die kulturelle Entwicklung ganz Ostmitteleuropas relevanten Zentren außerhalb seiner eigentlichen geografisch-politischen Grenzen. Dennoch ist deren Einfluss ebenso wenig zu unterschätzen wie die Funktion der ostmitteleuropäischen Länder als Brücken- und Transferregionen. Waren im Mittelalter Rom und Paris die künstlerischen und kulturellen Bezugsstädte, so rückten die außerhalb des ostmitteleuropäischen Einzugsgebiets gelegenen Metropolen Wien, Stockholm, Istanbul und später auch Madrid zunehmend in den Blickpunkt, zudem München und Dresden. Zumindest für kleinere Einzugsgebiete wuchs in unserer Zeit innerhalb Ostmitteleuropas die Bedeutung von Breslau (Wrocław), Danzig (Gdańsk), Lemberg (L'viv), Olmütz (Olomouc), Pressburg (Bratislava) und Stettin (Szczecin) zu wichtigen Unterzentren heran. Eine Sonderrolle nahm diesbezüglich Danzig ein, das sich geschickt seine politischen und wirtschaftlichen Privilegien zu sichern wusste und deshalb wie kein anderes Gemeinwesen Ostmitteleuropas in monumentaler Form und raffiniertem Städtelob Macht und Reichtum zum Ausdruck bringen konnte (siehe S. 230–241).

Überregionale Anziehungskraft entfalteten außerdem Residenzorte bedeutender Adelsgeschlechter, die ihre Ambitionen in aufwendigen Hofhaltungen und künstlerisch anspruchsvollen Projekten manifestierten. Ein zweifelsohne anspruchsvolles Vorhaben war die Gründung von Zamość 1578 durch den polnisch-litauischen Großhetman Jan Zamoyski, der vom venezianischen Baumeister Bernardo Morando eine Idealstadt nach italienischem Vorbild errichten ließ (Kat. 25; Abb. 6) und mit der »Akademia Zamoyska« dort die erste private Hochschule der Rzeczpospolita 1594 ins Leben rief, die bis 1784 fortbestand.

Die Rolle der Königinnen und Fürstinnen als »Kulturbotschafterinnen«, die außerhalb ihrer Heimatregion heirateten und als Migrantinnen in eine neue Umgebung kamen, wo sie als Stifterinnen oder Mäzeninnen wirkten, ist für Ostmitteleuropa bislang wenig erforscht. 19 Sie brachten Besitztümer und Vorstellungen mit, wurden von eigenem Personal begleitet und waren in eigene soziale Netzwerke

16 BŮŽEK 2014a.

17 ENGEL/LAMBRECHT/NOGOSSEK 1995. – DMITRIEVA/LAMBRECHT 2000. LANGER/MICHELS 2001.

18 Vgl. DMITRIEVA 1998.

19 Für den französischen Hof hat dies MALLICK 2016 am Beispiel der Königin Anna von Österreich eingehend untersucht.

eingebunden. Der sagenhafte Brautschatz der Prinzessin Anna Katharina Wasa, die nach Ihrer Hochzeit mit dem Erbprinzen Philipp Wilhelm von PfalzNeuburg 1642 Warschau mit 70 Wagen voller Geld und Wertgegenstände verließ, von denen heute nur einzelne identifiziert sind (Kat. 85), kann für die hohen Überlieferungsverluste stehen, die unsere Vorstellung von Prachtentfaltung und Transferprozessen der damaligen Zeit beeinflussen.20

Zu den herausragenden Persönlichkeiten gehört Luisa (Ludwika) Maria Gonzaga, Ehefrau zweier polnischer Könige aus dem Hause Wasa (Kat. 219). Sie besaß nicht nur einen erheblichen politischen Einfluss und agierte selbständig auf der diplomatischen Bühne, sondern prägte auch nachhaltig Kultur und Geistesleben am Warschauer Hof. Die Königin förderte den wissenschaftlichen Austausch mit französischen Gelehrten, unterstützte die Bildung weiblicher polnischer Adliger, leitete den ersten polnischen literarischen Salon und führte nicht zuletzt die französische Mode am polnischen Hof ein. 21 Ihrer Initiative dürfte u. a. auch zu verdanken sein, dass einer ihrer Schützlinge, Konstancja Krystyna Komorowska, durch den bedeutendsten französischen Bildnismaler dieser Zeit, Pierre Mignard porträtiert wurde (Kat. 268). Zu ihren bekanntesten Kunststiftungen gehört das Ebenholztabernakel, das 1654 von der Königin den Schwestern des Ordens von der Heimsuchung Mariens (Salesianerinnen) übergeben wurde (Abb. 7).22 Luisa Maria hatte die Ansiedlung des Ordens in Warschau initiiert und die Ausstattung der Klostergebäude persönlich überwacht. Sie finanzierte zahlreiche Kruzifixe, Skulpturen und Gemälde sowie vor allem liturgische Gefäße und Gewänder.

Für die kulturelle Entwicklungsdynamik der ostmitteleuropäischen Höfe, Klöster und Städte – um den Titel der wegweisenden kunstgeschichtlichen Synthese von Thomas DaCosta Kaufmann zu zitieren23 –, für die wechselhaften Phasen des kulturellen Aufstiegs und Niedergangs, für Aspekte von Innovation und Ausstrahlung, spielten Künstlerpersönlichkeiten mit Reise- und Migrationserfahrungen eine wesentliche Rolle. In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts stammten die entscheidenden Impulsgeber an den Höfen in Buda, Krakau und Prag sowie an den regionalen Fürstenhöfen und Adelsresidenzen aus Italien und zwar zunächst aus Rom, den Städten der Toskana und aus Neapel. In einer zweiten Phase im späteren 16. Jahrhunderts waren es vor allem lombardische und Tessiner Bauleute und Künstler, die der Renaissance in Ostmitteleuropa ihre Prägung und Eigenständigkeit verliehen – parallel an vielen

Orten grenzübergreifend.24 Dazu kamen dann mit intensivem Handelsaustausch Fachleute und Kunstschaffende aus den Niederlanden und etablierten das niederländisch-nordische Formenrepertoire (siehe S. 100–121). Der Ausbruch des Achtzigjährigen Krieges in den Niederlanden (1568–1648) trug zweifelsohne dazu bei, dass sich viele Künstler und Handwerker auf die Suche nach neuen Wirkungsorten und Auftraggebern machten.

Diese Einwanderer aus den Niederlanden etablierten seit den letzten Dezennien des 16. Jahrhunderts zunächst im gesamten Ostseeraum und mit der Zeit in weiten Teilen Ostmitteleuropas ein neues Stilvokabular, in dem Bezüge auf die klassische Architektur mit aus der Gotik hervorgegangenen Traditionen zu einer neuen Einheit verschmolzen. Dabei wurden die innere Baulogik der Renaissance überwunden, die Architekturelemente neu zusammengesetzt sowie mit reichem Dekorum, darunter Groteske, Muschel- oder

Abb. 6 Grundriss, Schnitt und Ansicht der Stadt Zamość Hans Hwillken, 1704 • Täby, Krigsarkivet (Riksarkivet), SE/KrA/0425/11/052

Beschlagwerk, und häufig auch mit ausgeprägter Farbigkeit überzogen, was die Bauwerke weniger im klassischen Sinne harmonisch, sondern vielmehr als kostbar erscheinen ließ. Nachträglich unter dem Begriff des Manierismus subsummiert, blieb diese stilistische Erscheinung als ein Spezifikum der Region lange wirksam und beliebt. Ein besonders gelungenes Beispiel des neuen Stilempfindens ist das Anthonis van Obbergen zugeschriebene Danziger Zeughaus (Kat. 82). Der aus Antwerpen stammende Architekt war, nachdem er zuvor den viel beachteten Neubau des dänischen Königsschlosses Kronborg in Helsingør realisiert hatte, in Danzig tätig, wo er ab 1586 in zahlreichen Bauprojekten das neue Antlitz der Ostseemetropole auf entscheidende Weise formte. Danzig, das überspitzt als »architektonische Kolonie der Niederlande« bezeichnet wird, zog viele bedeutende Künstler und Architekten aus den durch den Achtzigjährigen Krieg gebeuteten Provinzen an und wirkte so bei der Weitergabe der niederländischen »Manier«

mit, wobei zuweilen auch umgekehrt manches Danziger Vorbild in den Niederlanden rezipiert wurde.25

Sehr einflussreich war in dieser Hinsicht der niederländische Architekt, Maler und Theoretiker Hans Vredeman de Vries, dessen grafische Musterentwürfe erheblich zur Ausbreitung der Renaissanceornamente in der Architektur und den angewandten Künsten

20 AUSST.-KAT. BERLIN/WARSCHAU 2011, 268.

21 Das Wirken der Königin und ihre Stiftungsaktivitäten sind denn auch vergleichsweise gut erforscht. Siehe zuletzt die Beiträge in KALINOWSKA/TYSZKA 2019, insbesondere BADACH 2019 sowie DUNIN-WĄSOWICZ 2019 (zur französischen Mode).

22 Zur Entstehungsgeschichte und ursprünglichen Funktion GRADOWSKI 2005. – Siehe auch BADACH 2019, 231–233.

23 DACOSTA KAUFMANN 1995 – die deutsche Ausgabe erschien 1998 unter dem Titel Höfe, Klöster und Städte. Kunst und Kultur in Mitteleuropa 1450–1800.

24 BIAŁOSTOCKI 1976a. – KARPOWICZ 1983. – KARPOWICZ 2013. – Siehe auch die Datenbank ARTISTI ITALIANI IN AUSTRIA.

25 FRIEDRICH 2011, 314.

Abb. 7 Ebenholztabernakel Giovanni Battista Gisleni (Entwurf?), Matthias Walbaum und Herrmann Potthof (Silbertafeln), vor 1654 • Warszawa (Warschau), Visitantinnen-Kirche

beitrugen. Der in Danzig, Wolfenbüttel, Hamburg und Prag tätige Ausnahmekünstler setzte seine Theorieschriften zur Perspektive in Form von Gemälden mit imaginierten Palastarchitekturen um, die viel Aufmerksamkeit erfuhren (Kat. 60). Sie inspirierten u. a. 1606–1609 Isaak van den Blocke, Mitglied einer in Danzig tätigen flämischen Künstlerfamilie, bei der Deckengestaltung des Danziger Rechtsstädtischen Rathauses in Form von 25 allegorischen Stadtveduten.

Mobilität und Migration von Künstlern erfolgten nicht nur unmittelbar kriegsbedingt, sondern hingen auch mit sekundären Machtverschiebungen, dem Wechsel wirtschaftlich attraktiver Destinationen und konfessionellen Wandlungen zusammen.26 So zogen beispielsweise schlesische Protestanten aus konfessioneller Not und wirtschaftlichen Erwägungen als Exilanten im 17. Jahrhundert ins Königliche Preußen – unter ihnen Herzog Johann Christian von Brieg, der Dichter Martin Opitz und auch Bartholomäus Strobel d. J.27 Strobel pflegte enge Verbindungen zu den schlesischen Intellektuellen im Umfeld des Danziger Gymnasiums und konnte zugleich bei potenten

katholischen Auftraggebern in Thorn (Toruń) Fuß fassen. Hilfreich dürfte hierbei die Protektion durch den polnischen König Wladislaw IV. gewesen sein.

Der Protestant Strobel, der später zum Katholizismus konvertieren sollte, stieg rasch zum führenden Maler katholischer Eliten Königlich Preußens auf und gab mit seinen hier entwickelten künstlerischen Lösungen Kirchen und Klöstern in dieser konfessionell gespaltenen Region ein neues visuelles Gepräge. Auch der Bereich des Kunsthandwerks wurde von der Migration herausragender Spezialisten geprägt – wie Sebastian Dadler aus Straßburg, dessen Lebensweg über Augsburg, Dresden nach Danzig führte, von wo aus er für die wichtigsten politischen Protagonisten in der Rzeczpospolita und im Ostseeraum seine meisterhaften Medaillen und Silberreliefs schuf.28 Er porträtierte die Mächtigen Europas, verewigte ihre Hochzeiten und Krönungen, ihre militärischen Erfolge und andere politischen Begebenheiten in Medaillen, die in hohen Auflagen eine Verbreitung als diplomatische Geschenke über ganz Europa fanden (Kat. 192; Abb. 183).

Abb. 8 Die Familie des Steinschneiders Miseroni Karel Škréta, nach 1655 • Öl auf Leinwand, H. 185 cm, B. 251 cm • Prag, Národní galerie Praha, Inv.-Nr. O 560

Ein beredtes Zeugnis für das Selbstverständnis künstlerischer Eliten mit Migrationshintergrund liefert unmittelbar nach dem Dreißigjährigen Krieg das Bildnis der Familie des mit dem Maler Karel Škréta befreundeten Edelsteinschneiders, Kristallschleifers und kaiserlichen Sammlungsinspektors Dionysio Miseroni von 1653 (Abb. 8):29 Im monumentalen Querformat ist die zweite und dritte Generation dieser zur Zeit Rudolfs II. aus Mailand nach Prag übersiedelten Künstlerfamilie dargestellt, die auch während des Krieges von Prag aus ihre Luxusgefäße an die Höfe Europas schickte. Škréta, der sich selbst seit seiner Rückkehr aus Italien stets italianisiert als Carlo Screta bezeichnete, stellte auf diesem Bild nicht nur erkennbare Meisterwerke des Kristallschliffs dar, die auf Profession und Familienstolz verweisen (Kat. 232), sondern ermöglicht uns vor allem auch einen Blick in den laufenden Betrieb der Schleiferei. Damit liegt hier ein frühes »Industriebild« vor, vergleichbar den erst einige Jahre später, 1656, von Velázquez gemalten Las Hilanderas (Die Spinnerinnen)30. Exemplarisch manifestiert sich in diesem komplex konzipierten Gemälde das zeittypisch wichtige Thema der familiären, übergenerationellen Eintracht ( concordia ), wird aber auch der Wert der Arbeit und die besondere Kunstfertigkeit und Singularität der Familienwerkstatt wirkungsvoll hervorgehoben. Sowohl der Maler, der seine Kenntnis der Malerei Michelangelos, der Carracci und Caravaggios zur Schau trägt, als auch der Auftraggeber, der sich als stolzer Vater und Patron eines ebenso blühenden wie exklusiven Gewerbes darstellen ließ, verfolgten mit diesem Werk höchste Ansprüche der Repräsentation und demonstrierten stolz einen ambitionierten Kunsttransfer von internationalem Rang.

Nicht nur in Prag verbanden sich in der zweiten Hälfte des 16. und im 17. Jahrhundert Künstler in Herkunftsgemeinschaften, gründeten z. B. eigene »welsche« (d. h. italienische) Bruderschaften und eigene Kapellen (Kat. 42), Sozialeinrichtungen wie Versorgungskassen und Spitäler. Aspekte der Abgrenzung, Identifikationen des »Eigenen« und des »Fremden«, auch Fragen von Minoritätsrechten, Schutz und Privilegien, spielten in der multiethnischen und multikonfessionellen Situation zahlreicher ostmitteleuropäischer Städte eine Rolle bei der Herausbildung künstlerischer Strömungen und Innovationen auf der Basis einer gemeinsamen Sprache, besonderen Wissens, technologisch-innovativer Alleinstellungsmerkmale.

Eine herausragende Vermittlungsrolle im Formen- und Stiltransfer ebenso wie in der Kunsttheorie

und Wissenschaft des konfessionellen Zeitalters kam den Jesuiten zu, die auch in Ostmitteleuropa mit machtvoller visueller Propaganda kämpferisch zurückerobern wollten, was an den Protestantismus verloren gegangen war. Tatsächlich gehört die ab 1586 auf Initiative des litauischen Hofmarschalls Mikołaj Krzysztof Radziwiłł im heute belarussischen Njasviž (pl. Nieśwież) errichtete Jesuitenkirche zu den überhaupt ältesten Rezeptionen des römischen Schlüsselbaus Il Gesù (Kat. 35); in Ungarn stellten die nach dem Vorbild der Wiener Jesuitenkirche errichteten Bauten in Zagreb (1620–1632) und Tyrnau (Trnava; Kat. 175) die frühesten Kirchen im neuen Stil dar.

Die im Nachgang der Jagiellonenzeit nach wie vor wirtschaftlich starke Rzeczpospolita ermöglichte insbesondere im Umfeld der nunmehr eine bedeutende Magnatenschicht bildenden adligen Aufsteigern einen wahren Bauboom von hoher Qualität, den lokale Kräfte nicht bedienen konnten, weshalb man auf Zuwanderer angewiesen war (S. 118–120). Nahtlos ging dabei die Formensprache der Renaissance in diejenige des Barock über, der als internationaler Stil bis nach 1800 Baukultur und bildende Künste in allen Regionen Ostmitteleuropas über ethnische und konfessionelle Grenzen hinweg als gemeinsames Substrat nachhaltig bestimmte.

Wandernde Künstler und Spezialisten für bestimmte Techniken und Formen wie Stuckateure und Freskanten aus Italien prägten nicht nur das Erscheinungsbild der zahlreichen neuen Kirchen- und Schlossbauten im gesamten Untersuchungsgebiet. Auch die bürgerliche Kunst in den großen und kleinen Städten profitierte davon, ebenso die für weite Bereiche Ostmitteleuropas charakteristischen jüdischen Siedlungen, deren Synagogen von meist christlichen Wanderbauleuten errichtet und von weit herum gereichten jüdischen Malern ausgestattet wurden (siehe Kat. 253). Im Bau- und Kulturbetrieb herrschte hinsichtlich Bekenntnis und Herkunftsgesellschaft meist eine pragmatische Großzügigkeit vor. Protestantische Danziger Künstler waren auch für den katholischen polnischen Hof tätig, katholische Maler im protestantischen Kirchenbau. Mitunter wurden die gleichen Baukonzepte für verschiedene Konfessionen umgesetzt, wie das Beispiel

26 Siehe die Beiträge in GĄSIOR/TRINKERT 2021.

27 GĄSIOR 2021a (mit weiterer Literatur).

28 GĄSIOR 2021b und 2021c (mit weiterer Literatur).

29 Siehe insbesondere BLAŽÍČEK 1964. – Vgl. auch WINZELER 2021a (mit weiterer Literatur).

30 Madrid, Museo Nacional del Prado, Inv.-Nr. P001173.

Abb. 9 Grabmal des polnischen Königs Stephan Báthory Santi Gucci, 1594/95 • Kraków (Krakau), Wawel, Dom St. Stanislaus und Wenzel, Marienkapelle

der lutherischen Dreifaltigkeitskirche auf der Prager Kleinseite und die Marienbasilika in Altbunzlau (Stará Boleslav) zeigen (Kat.125, 126). Die im Lauf des 17. Jahrhunderts zusehends komplizierteren und verhärteten konfessionellen Fronten führten letztlich zu besonders originellen Bauwerken und bildkünstlerischen Programmen. Wie im Brennglas zeigt sich dies in Schlesien, wo nach dem Dreißigjährigen Krieg einerseits katholische Orden wie die Zisterzienser rege Bautätigkeit und Neuausstattungskampagnen aufnahmen, andererseits bot sich nach den Zugeständnissen des Westfälischen Friedens auch den Protestanten – wenngleich stark reglementiert – die Möglichkeit, neue Kirchenbauten zu errichten. Die dabei auferlegten Vorgaben (Lage außerhalb der Stadtmauern, Verzicht auf festes Mauerwerk und Glockentürme) brachten einen gänzlich neuen Bautypus der Friedenskirchen hervor, so in Schweidnitz (Świdníca) und Jauer (Jawor) erhalten, die zu den bedeutendsten protestantischen Kirchenbauten im gesamten Habsburger Reich zählten (Abb. 94). Als die größte barocke

Holzkirche Europas ist die Schweidnitzer Friedenskirche äußerlich ein Fachwerkbau; im Inneren zeigt sie eine neuartige Organisation des zentralen, von Emporenrängen durchzogenen Raumes, der künstlerisch reichhaltig ausgestattet wurde (Kat. 249).

Überkonfessionell und überregional gehören in jeder Hinsicht aufwendige Epitaphien, Grabmonumente und Memorialkapellen zu den herausragenden

Denkmälern der Zeit zwischen 1570 und 1670 in ganz Ostmitteleuropa (Abb. 9; siehe S. 166–169). Die infolge von Kriegen, Seuchen und hoher Kindersterblichkeit omnipräsente Nähe des Todes und jeder Form von Vanitas fand in einem enorm vielfältigen Reichtum entsprechender Werke seinen künstlerischen Ausdruck (siehe u. a. Kat. 1, 9–11, 19, 21, 31–33, 48, 49, 55, 66, 67, 72, 104, 111, 116, 134, 138, 168, 184, 235, 262). Ein signifikantes Beispiel dafür liefert die um 1607–1615 errichtete Boim-Kapelle neben der lateinisch-katholischen Kathedrale in Lemberg (Kat. 111): Als quadratischer Kuppelbau repräsentiert sie einen für die Rzeczpospolita charakteristischen Bautypus, der in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts von italienischen Baumeistern eingeführt worden war; im überreichen Dekor spiegelt sich hingegen die für das späte 16. Jahrhundert bezeichnende Vorliebe für die nordisch-niederländische Ornamentik wie sie direkt aus Musterbüchern abgeleitet wurde, ergänzt durch einen kleinteiligen, der Schatzkunst entlehnten Figurenstil. Auftraggeber war ein aus Ungarn stammender und vom Protestantismus zum Katholizismus konvertierter Kaufmann, Lemberger Stadtrat und Sekretär des Königs Stephan Báthory; die bildhauerische Arbeit wird Breslauer Meistern zugeschrieben, was jedoch nicht erweisen ist. Ungeachtet der unsicheren Autorschaft vermittelt die Boim-Kapelle exemplarisch wesentliche Aspekte frühneuzeitlicher Kunst in Ostmitteleuropa: Bestimmend für ihre originelle Gestalt und Ausstattung war eine herkunftsmäßig inter- bzw. transkulturelle Auftraggeberschaft von hohem Anspruch, die nicht nur eine Synthese traditioneller und innovativer ikonologischer Konzepte begünstigte. Mehr noch ermöglichte sie sogar in dem vom Zusammenleben von Polen, Deutschen, Armeniern, Ruthenen, Juden, Griechen und Schotten geprägten Lemberger Umfeld um 1600 eine selbstverständlich wirkende, zur Einheit gebrachte Kombination unterschiedlicher Stilformen, mit denen der Weg von der Renaissance zum frühen Barock beschritten ist, ohne dass aber von einem Manierismus im Sinne der antiklassischen maniera gesprochen werden kann.

Der internationale Handel, im Norden die Seefahrt, südlich und zentral die Bodenschätze aus dem

sächsisch-böhmischen Erzgebirge, die Silbervorkommen im mittelböhmischen Kuttenberg (Kutná Hora) und in Iglau (Jihlava) auf der böhmisch-mährischen Höhe bis zu denjenigen der niederungarischen Bergstädte im heute mittelslowakische Erzgebirge und in den Karpaten blieben trotz aller kriegerischer Auseinandersetzungen das ökonomische Rückgrat Ostmitteleuropas, auch für die Kunstproduktion und den Kunstbetrieb der Frühen Neuzeit. Silberaltäre in den Kathedralen von Krakau und Breslau (Kat. 47), materiell ebenso wie künstlerisch aufwendige Werke der Goldschmiedekunst in vereinzelt erhaltenen Kirchenschätzen (Kat. 173, 236) und an Wallfahrtsstätten wie auf der Jasná Góra in Tschenstochau (Częstochowa; Kat. 211) oder aus den nach kaiserlichköniglichem Vorbild angelegten Schatzkammern der böhmisch-mährischen, ungarischen und polnisch-litauischen Fürsten sind Zeugnisse des frühneuzeitlichen Reichtums. Die verbliebene Schatzkunst – allen anderen Werken voran diejenigen aus der kaiserlichen Kunstkammer in Prag – kann freilich nur als pars pro toto gelten angesichts der immensen Verluste aufgrund kriegerischer Ereignisse und wirtschaftlicher Notwendigkeiten seit dem 17. Jahrhundert. Wie die Verschränkung von Kunst, Natur, Technologie und Wissenschaft nach 1600 zu eigenen Blüten führte, belegen einige herausragende Goldschmiedearbeiten aus den niederungarischen Bergstädten Neusohl (Banská Bystrica, ung. Besztercebánya) und Schemnitz (Banská Štiavnica, ung. Selmecbánya). Dazu gehören etwa der sogenannte Esterházy-Bergmannspokal, der 1650 von der Stadt Schemnitz Kaiser Ferdinand III. verehrt wurde und später in den Besitz der Fürsten Esterházy gelangte (Abb. 10), sowie die seit dem frühen 17. Jahrhundert überlieferten Herrengrunder Gefäße. Im Bergort Herrengrund (Špania Dolina, ung. Urvölgy) in der heutigen Mittelslowakei entdeckte man gegen 1605, dass in Bergwässern hinterlassene Eisengegenstände sich nach einigen Wochen in Kupfer »umwandelten«. Daraufhin nutzten die Bergleute diese Entdeckung, um Zementkupfer herzustellen und von Goldschmieden im nahen Neusohl Kunstgegenstände herstellen zu lassen. Vergoldete Schalen, Tummler und Fassbecher aus Herrengrunder Kupfer bezeugten die geheimnisvolle Wandlung und dienten bis ins frühe 19. Jahrhundert in großer Zahl als repräsentative Andenken, Staatsgeschenke und Zeichen bergmännischen Stolzes, vielfach mit deutschen und lateinischen Inschriften versehen, die auf ihren Entstehungsprozess verweisen: »Eisen war ich, Kupfer bin ich, Gold bedeckt mich«.31

Abb. 10 Sogenannter Esterházy-Bergmannspokal Schemnitz (Banská Štiavnica), um 1650 (wohl mit älteren Teilen) • Fertőd, Esterházy-Schlossmuseum • Ursprünglich bestimmt für Kaiser Ferdinand III.

Gegen Ende unseres Zeitraums profitierten alle ostmitteleuropäischen Länder ökonomisch und kulturell von der politischen Stabilisierung und hatten in erheblichem Umfang Anteil an den um 1670 einsetzenden Veränderungen in den Bereichen der Naturwissenschaften, Medizin, Mathematik und Rechtswissenschaft.32 Administrative Neuerungen wie die Einführung neuer Ordnungssysteme und akademische Innovationen, wozu auch der Beginn einer Geschichte der Wissenschaften (historia litteraria) oder die zunehmende Spezialisierung von Sammlungen gehörte, welche die Idee der Kunstkammer ablösen sollte, bestimmten überregional den enormen Aufschwung, der gegen 1700 und in den folgenden Jahrzehnten in der triumphalen Architektur und den Bildkünsten des Hochbarock im ostmitteleuropäischen Raum einen Höhepunkt erfahren sollte.

31 Siehe HERZOG/BURAN/WINZELER 2024.

32 FREEDMAN 2016.

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