Paris 1955. Deutsche Abstrakte im Zentrum der Moderne
ARNO
Willi BAUMEISTER
Hubert BERKE
Julius BISSIER
Manfred BLUTH
Karl Friedrich BRUST
Carl BUCHHEISTER
Alexander CAMARO
Rolf CAVAEL
Josef FASSBENDER FATHWINTER
Gerhard FIETZ
Rupprecht GEIGER
Karl Otto GÖTZ
Otto GREIS HAP GRIESHABER
Guido JENDRITZKO
Heinz KREUTZ
Norbert KRICKE
Schriften der Forschungsstelle Informelle Kunst Herausgegeben von Anne-Kathrin Hinz und Christoph Zuschlag Band 4 – in Kooperation mit der Emil Schumacher Stiftung
Gefördert durch:
Deutsche Abstrakte im Zentrum der Moderne
Vorwort Rouven Lotz
Seite 7
»Durchbruch der Kunst«?
Cercle
Seite 21
Volney revisité Christoph Zuschlag
»une exposition passionnante«
Eine
Rekonstruktion der
Ausstellung
im Cercle Volney 1955 Anne-Kathrin Hinz
Seite 41
Rouven Lotz
Vorwort
Zwischen Diplomatie, Unabhängigkeit und künstlerischem Wagemut – Die Ausstellung von 1955 im kulturpolitischen Spannungsfeld
Die Geschichte der Ausstellung Peintures et sculptures non-figuratives en Allemagne d’aujourd’hui im Cercle Volney, die sich in diesem Jahr zum 70. Mal jährt und die wir mit der Ausstellung Paris 1955 – Deutsche Abstrakte im Zentrum der Moderne nachzeichnen, erinnert an eine klassische Heldenfahrt.
Was als Idee des Pariser Galeristen René Drouin reifte, wurde zu einer wegweisenden
Unternehmung, die für viele Beteiligte den entscheidenden Aufbruch bedeutete. Der Maler Wilhelm Wessel spielte dabei eine zentrale
Rolle: Als Kulturfunktionär mit Vergangenheit nicht unbedingt ein strahlender Jason, musste er bereits zuvor zahlreiche Herausforderungen meistern, ehe die Fahrt beginnen konnte.
Schließlich fanden sich 1955 in Paris Künstler1 zusammen, die bis dahin und auch später wieder oft als Einzelgänger oder Konkurrenten gesehen wurden – einige unter ihnen waren
1 I n diesem Vorwort sind sämtliche Geschlechter mitgedacht und mitgemeint. Für den Lese fluss wird das generische Maskulinum
bekannter und bereits erfolgreich, andere standen am Anfang ihres Weges. Nun waren sie Teil einer Gruppe, die sie über nationale Grenzen hinaus bekannt machte.
Wie einst die ungewisse, aber verheißungsvolle mythologische Reise auf der Argo war auch diese Ausstellung mehr als nur ein kurzes Ereignis ohne Nachhall: Sie wurde zum Meilenstein für eine Generation von Künstlern, darunter Karl Otto Götz, Norbert Kricke, Bernard Schultze, Emil Schumacher und viele andere, die heute als Hauptfiguren des Informel angesehen werden. Für sie wurde dieser Moment zu einer entscheidenden Weichenstellung.
Trotz ihrer bahnbrechenden Bedeutung ist die Ausstellung heute fast vergessen. Inzwischen bereits mehrere Generationen später und ohne Zeitzeugen, die befragt werden können, ist es höchste Zeit, ihre Geschichte neu zu erzählen.
verwendet, wenn es sich nicht durch neutrale Formulierungen vermeiden lässt.
»Ich habe mich sehr gefreut« –Blicke
ins Gästebuch
Im Zuge der Vorbereitung der Ausstellung im Emil Schumacher Museum stieß AnneKathrin Hinz im Stadtarchiv Iserlohn im Nachlass von Wilhelm Wessel auf das Original des Besucherbuches der Ausstellung im Cercle Volney, das hier erstmals ausgewertet wird (S. 29–31).14 Es handelt sich eigentlich nicht um ein Buch, sondern um mehrere gefaltete und ineinandergelegte DIN A3Bögen. Auf 28 Seiten haben sich rund 470 Besucher handschriftlich verewigt –so ganz genau lässt sich das nicht feststellen, weil einige Einträge unleserlich sind und einige wenige Personen offensichtlich mehrfach in die Ausstellung kamen. Auf die Gesamtzahl der Besucher lässt sich von der genannten Zahl nicht schließen, weil wir nicht wissen, wie viele Menschen sich nicht eingetragen haben. Die Besucherliste liest sich wie ein Who’s who der damaligen in Paris versammelten internationalen Kunstszene: Es finden sich die Namen beteiligter Künstler (Götz, Schumacher, Sonderborg, Wessel, Greis, Schultze, Mauke, Thieler, von Rogister) sowie zahlreicher Kritiker, Kuratoren und Galeristen (Michel Seuphor, Charles Estienne, Édouard Jaguer, Manfred de la Motte, JeanPierre Wilhelm, Anna Klapheck, Herta Wescher, Julian Alvard, Heinz Berggruen, Roger van Gindertael, Carl Linfert, Denise
René, Pierre Restany, Karl Korn). Auch die Vielzahl von Künstlern aus aller Welt belegt das große Interesse, das die Ausstellung gerade bei dieser Personengruppe hervorrief, darunter die bekannten Künstlerpaare Shirley Goldfarb und Gregory Masurovsky, Natalia Dumitresco und Alexandre Istrati sowie Nína Tryggvadóttir und Alfred Lewin Copley, weiterhin Antonio Saura, Ursula Bluhm Schultze, Lou AlbertLasard, Camille Bryen, Jaroslav Serpan, Francis Bott, Zao WouKi, Jacques Hérold, Claude Viseux, Irmgart WesselZumloh, Théo Kerg, Anneliese Götz, Joan Miró, Anton Rooskens, Greta Freist, Walter Herzger, Pierre Graziani, Bengt Lindström, Horst Egon Kalinowski, Stanley William Hayter, Sam Francis und andere. Auch die Namen einiger Kunsthistoriker finden sich in den Listen, so etwa Tilmann Buddensieg, Hubert Damisch, Franz Meyer, Eduard Trier und Willibald Sauerländer. Weitere illustre Namen sind zum Beispiel Lore Davringhausen, Ehefrau des Malers Heinrich Maria Davringhausen, Felix Klee, Sohn von Paul Klee, der Publizist Armin Mohler, der Jazzpublizist Olaf Hudtwalcker und seine Frau Irene sowie der Philosoph Walter Biemel. Geradezu rührend ist der allerletzte Eintrag (und zugleich einzige Kommentar) in der Besucherliste: »Ich habe mich sehr gefreut.«
14 S tadtarchiv Iserlohn, Bestand N 31 – Nachlass Wilhelm Wessel, Nr. 3246. Die Reihenfolge und Schreibweise der nachfolgend aufgelisteten
Namen entspricht dem jeweiligen Eintrag im Gästebuch.
Seiten aus dem Gästebuch der Ausstellung
Peintures et sculptures non-figuratives en Allemagne d’aujourd’hui, Cercle Volney, Paris 1955
Stadtarchiv Iserlohn, Bestand N 31 – Nachlass
Wilhelm Wessel, Nr. 3246
Umschlag des Ausstellungskatalogs duitse kunst na 1945, Stedelijk Museum Amsterdam / Stedelijk Van Abbemuseum Eindhoven / Kunsthalle Recklinghausen 1954
Gestaltung: HAP Grieshaber
Bibliothek des Kunsthistorischen Instituts der Universität Bonn
Anne-Kathrin Hinz
»une exposition passionnante« Eine Rekonstruktion der Ausstellung im Cercle Volney 1955
Vorgeschichte
Bereits kurze Zeit nach Ende des Zweiten Weltkriegs hatte sich in Hagen der Westdeutsche Künstlerbund als nordrheinwestfälische, berufsständische Dachorganisation bildender Künstlerinnen und Künstler aus den Bereichen Malerei, Bildhauerei und Grafik gegründet. Der Iserlohner Maler Wilhelm Wessel (1904–1971), seit 1947 selbst Mitglied und von 1952 bis 1955 erster Vorsitzender, wirkte als spritus rector1 zusammen mit Herta HesseFrielinghaus (1910–1988), Direktorin des Karl Ernst OsthausMuseums der Stadt Hagen (1945–1975), am Gründungspapier des Verbands mit, der unter anderem Arbeitsmaterialien bereitstellen, neue Talente fördern und private und öffentliche Aufträge vermitteln
sollte.2 Vier Jahre später gründete sich in Berlin der Deutsche Künstlerbund 1950 (ab 1954 Deutscher Künstlerbund) unter der Schirmherrschaft des damaligen Bundespräsidenten Theodor Heuss neu. Beide Verbände setzten sich für Ausstellungen im westlichen Ausland ein –insbesondere von zeitgenössischer Kunst aus Deutschland. 1953 entstand im Austausch zwischen Wessel und dem Direktor des Amsterdamer Stedelijk Museums, Willem Sandberg, die Idee zu einer Ausstellung deutscher Kunst in den Niederlanden.3 Beide Künstlerverbände waren im Folgejahr an dem wichtigen Ausstellungsprojekt duitse kunst na 1945 (S. 40) bei der Umsetzung und Auswahl der beteiligten
Carl Buchheister 1890, Hannover – 1964, Hannover
Komposition Fe 1/55, 1955
Öl auf Pappe
95 × 70 cm
WVZ Buchheister/Kemp 9/1955
Provenienz: Galleria L’Attico, Rom
Kat. 15
Carl Buchheister
Courtesy Sammlung Grässlin, St. Georgen
Gerhard Fietz
1954/10 ( Beginn zur Auflösung und neuen Bewegung ), 1954
Öl auf Hartfaserplatte
62 × 87 cm
Treuhandstiftung Gerhard Fietz, Sparkassenstiftung Lüneburg WVZ Fietz 1207
Kat. 32
K. O. Götz
20.9.1954, 1954
Mischtechnik auf Leinwand
120 × 150 cm
Kunstmuseum Bochum
WVZ Ströher 1954-64
Provenienz: bis 1981 Sammlung
Helmut Klinker, Bochum
Otto Greis
1913, Frankfurt am Main – 2001, Ockenheim
Kat. 33
Otto Greis
Dialog, 1954
Mischtechnik auf Leinwand
94 × 62 cm
Verbleib unbekannt
WVZ Siegert 81
Provenienz: [1955] Sammlung
Karl Ströher, Darmstadt
Kat. 42
Norbert Kricke
Raumplastik »Weiße Kurven«, 1953–55
Stahl, gestrichen auf Stein 24,5 × 28,5 × 25,5 cm
Privatsammlung, Berlin
Kat. 43
Norbert Kricke
Raumplastik Gelb-Weiß, 1954
Stahl, gestrichen auf schwarzem Holzsockel
31 × 37 × 34 cm
Privatsammlung, Berlin
Norbert Kricke
Kat. 67
Fred Thieler
Komposition 9/54, 1954
Öl auf Leinwand
73 × 60 cm
Privatbesitz
WVZ Melchior 5/43
Provenienz: Privatbesitz; Galerie Heseler, München