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»Uns geht es nicht um Corporate Identity, sondern um Qualität« – ein Gespräch mit Frank Barkow und Regine Leibinger
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Der Bau ist auch mit der »Nike« für soziales Engagement ausgezeichnet worden. Aber rechnet sich ein so hoher Aufwand auch für den Bauherrn? Regine Leibinger: Der Aufwand rechnet sich mehrfach. In diesem Bau sind die Pausen für die Mitarbeiter wirklich erholsam. Wenn sie eine konventionelle Kantine bauen, wird sie nur zu den Mahlzeiten genutzt. Den Rest des Tages steht sie leer. Das Betriebsrestaurant in Ditzingen ist bei den Mitarbeitern so gut angekommen, dass dort auch Besprechungen abgehalten werden, Präsentationen stattfinden und Gäste empfangen werden, es ist ein Event Space. Frank Barkow: Das passt zu dem Punkt, den wir vorher besprochen haben. Weit wichtiger als eine ikonografische mediale Außenwirkung ist für die Firmen eine hohe Attraktivität für die eigenen Leute. In Zeiten des Facharbeitermangels herrscht auf dem Arbeitsmarkt ein »War for Talents«. Ein guter Lohn allein genügt nicht mehr, um die besten Mitarbeiter zu bekommen. Ein angenehmes Arbeitsumfeld ist da ein entscheidender Faktor. Hierzu gehören für uns wohnliche Aufenthaltsbereiche, hochwertige Erschließungsräume, haptische Oberfläche, viel Tageslicht und der Blick ins Grüne. Die Freiflächenplanung, Innenhöfe oder Dachterrassen sind da genauso wichtig wie die Produktionshallen selbst. Was hat sich in den letzten 15 Jahren im Industriebau verändert? Regine Leibinger: Überraschend wenig, wenn man bedenkt, welche immensen Innovationssprünge die Produktionstechnologie der Firmen gemacht hat. Die Anlagen werden immer komplexer, gleichzeitig führt die Just-in-Time-Produktion zu wesentlich kleineren Lagerflächen und Logistikhallen. Frank Barkow: Was sich kontinuierlich ändert, sind die Stützenabstände. Unsere ersten Hallen hatten ein Raster von 14 Metern, dann wurden es 18 und zuletzt 12 ≈ 24 Meter. Die Raster bilden die Arbeitsprozesse ab und variieren von Firma zu Firma. Generell werden die immer größeren Maschinen in immer kürzeren Zyklen neu angeordnet.
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Regine Leibinger: Die größten Veränderungen liegen in der Steigerung der Energieeffizienz und der Ressourcenschonung. Wie sieht heute nachhaltiger Industriebau aus? Frank Barkow: Flexibilität ist ein ganz wesentlicher Faktor von Nachhaltigkeit. Etwas, das ich in zehn Jahren nicht mehr gebrauchen kann, ist nicht nachhaltig, auch wenn es Solarzellen auf dem Dach hat. Ich würde das funktionale Nachhaltigkeit nennen, wenn Architektur adaptierbar und reaktionsfähig ist, außerdem von robuster Qualität, hochwertig ausgeführt, mit guten Materialien. Soziale Nachhaltigkeit ist ein zweiter Punkt, der oft vergessen wird. Wir verbringen so viel Zeit am Arbeitsplatz, es gibt einfach eine Verantwortung, dass dort gute Bedingungen herrschen. Aber die Energiekonzepte sind natürlich auch sehr wichtig. Regine Leibinger: Bei unserem bisher größten Industriebau, dem Werk von HAWE in Kaufbeuren, sind die Wiesenflächen neben den Hallen als Retentionsbecken ausgebildet, damit das Regenwasser von der riesigen Dachfläche auf dem eigenen Grundstück versickern kann (s. S. 173ff.). Die Fabrik im Grünen soll auch eine »grüne F abrik« sein, sie unterschreitet die ENEV um knapp 40 %. Das bedeutet eine Drei-Scheiben-Wärmeschutzverglasung der Nordsheds und transluzente Wärmedämmung zwischen den Profilbaugläsern der blendfreien Stirnseiten nach Süden. Wir haben überall LEDs als Leuchtmittel eingesetzt, das amortisiert sich bei der langen Brenndauer bereits nach drei bis vier Jahren. Die hochgedämmten Wandund Deckenpaneele lassen sich bei der Demontage einfach trennen und recyceln. Früher waren Fabrikhallen laut, kalt und zugig. Ist es nicht übertrieben, plötzlich den Energiestandard von Einfamilienhäusern für den Industriebau zu fordern? Regine Leibinger: Allein durch die Größe bringen Einsparungsmaßnahmen im Indus triebau mehr als bei Einfamilienhäusern. Und die Hallen, die wir bauen, sind ja nicht für Industrieroboter, sondern für Menschen mit einem Wunsch nach Behaglichkeit.
Wenn Nachhaltigkeit eine so große Rolle spielt, weshalb bauen Sie Ihre Hallenkonstruktionen dann nicht aus Holz? Regine Leibinger: Bei unserem dritten Pavillon auf dem Trumpf-Campus im schweizerischen Grüsch haben wir Holz nicht nur für die Fassade, sondern auch für die Träger eingesetzt. Diese 50 ≈ 70 Meter große Flachdachkonstruktion aus massiven, ein Meter hohen Leimbindern war in nur zwei Wochen aufgerichtet. Mitten in den Bergen passt Holz in den Kontext. Im Industriebau sprechen architektonische und technische Rahmenbedingungen aber oft dagegen. Wenn ein Unternehmen Lasersysteme zur Metallbearbeitung produziert oder Hydraulikkomponenten aus Stahl, erscheint uns e ine Aluminiumhülle schlüssiger. Für Kaufbeuren hatten andere Architekten in ihrem Wettbewerbsbeitrag eine Holzfassade vorgeschlagen. Offensichtlich wussten sie nicht, dass die Dämpfe der dort verwendeten Maschinenschmierstoffe den Kleber von Leimbindern lösen. Bei den hohen Brandschutzanforderungen, die hier herrschen, den hohen Brandlasten und den großen Brandabschnitten stößt selbst Stahl an Grenzen und wird unwirtschaftlich. Damit wir die jeweils bis zu 13 000 Quadratmeter großen, 13 Meter hohen Hallen nicht sprinklern mussten, haben wir deshalb nicht nur für die Stützen, sondern auch für die Träger Fertigteile aus Stahlbeton entwickelt. Ist Stahlbeton bei diesen Spannweiten nicht zu schwer und zu klobig? Frank Barkow: Man kann auch Stahlbetonfertigteile elegant ausbilden, denken Sie nur an die Bauten von Angelo Mangiarotti! Wir wollten vermeiden, dass die Träger den Blick durch die Nordsheds in den Himmel komplett verdecken. Mit den gerundeten Durchbrüchen bleibt diese Transparenz erhalten, das Gewicht wird minimiert und Leitungen können in der Trägerebene geführt werden – wie bei Lochträgern aus Stahl, aber ohne die Probleme von Schutzbeschichtungen gegen Korrosion und Feuer. Weshalb sind die Büroräume aus Ortbeton? Regine Leibinger: Büros haben ja ganz an-