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Raumbildung 13
R au mbil d u ng
Jeder Raum löst – unmittelbar und individuell erfasst mit den menschlichen Sinnen: sehen, hören, tasten, riechen und dem gleichgewichtssinn – ein gefühl von behagen oder unwohlsein aus. Räume, und damit architektur, kann man planen, herstellen, betrachten und benutzen. die Raumwahrnehmung wird geprägt durch die soziokultu rellen Hintergründe des betrachters oder nutzers, ge staltet und geformt durch die benutzung und deren stetige zeitliche Veränderung. Was zufällig und intuitiv erscheint, sollte jedoch immer einer konkreten entwurfs strategie folgen, die die erforderlichen Voraussetzungen und deren interpretationen in beziehung setzt. im mittelpunkt der entwurfsüberlegungen steht der mensch. die visuelle und haptische Wahrnehmung von Raum und atmosphäre bildet die Schnittstelle zwischen nutzer und gebäude. dabei geht es weniger um schnell lebige Trends, sondern um entwurfsprinzipien, die nach haltig den umgang und die bildung von Raum fördern. ein durchdachter, architektonischer Raum schafft einen spürbaren mehrwert, in Form von Wahrnehmung, nut zungsqualität, Wohlempfinden und lebensqualität. Welche Faktoren erzeugen oder verhindern Raumquali tät und was beeinflusst die atmosphäre und authentizi tät eines Ortes? Wie lassen sich Räume lesen und mit welchen gestalterischen mitteln können unterschied liche Raumstrukturen und qualitäten inszeniert werden?
2 entwurfsprinzip „bekleiden“ mensa Kirschgarten, basel, 2010, HHF architekten: Wie eine zweite Hülle legt sich die bekleidung über die denkmalgeschützte Substanz. unabhängig von der räumlichen grundstruktur werden Raumzonen optisch durch gleiche materialität und Farbigkeit zu einer funktionalen einheit zusammengefasst. der Übergang von boden, Wand und decke erscheint fließend und lässt die tatsächliche größe des Raums in den Hintergrund treten. Zusätz lich werden technische Funktionen wie Kühlung / lüftung, beleuchtung, akustik etc. integriert, ohne den Raumeindruck zu stören.
um einen Raum zu begreifen und mit einer bestimmten atmosphäre zu belegen, bedarf es eines vielfältigen Re pertoires an maßnahmen und möglichkeiten. die grund struktur eines gebäudes spielt für dessen räumliche eigenschaften – nutzung und bewegungsabläufe – und damit die aufenthaltsqualität eine große Rolle. davon hängt die entscheidung für maß, Form und Ästhetik ab. materialien und Oberflächen in ihren eigenschaften und optischer erscheinung lösen subjektive empfindungen aus. Sie tragen maßgeblich zur belichtung, Orientierung, Verbindung oder Trennung von Raumbezügen und iden tität frei. 2, „Trennen“ 3 entwurfsprinzipien wie „bekleiden“ 4 sind mittel, die unabhängig von der und „einstellen“ Raumsituation und struktur den Raum „einrichten und zonieren“ können. alle drei instrumente verfügen über die möglichkeit Raum zu verändern und spezifisch auszu formulieren. neben den technischen und konstruktiven möglichkeiten und der Verwendung verschiedener mate rialien sind es vor allem die Überlegungen zur Zonierung, zu der Funktion und der nutzung, die entscheidend die Qualität eines Raumes ausmachen. der prinzipielle an satz ist jedoch, über den funktionalen einsatz von raum bildenden elementen hinaus eine differenzierung im umgang mit Raum auszuformulieren und das Potenzial der einzelnen Raumideen und aspekte hervorzuheben.
3 entwurfsprinzip „einstellen“ umbau der Stadt und universitäts bibliothek Frankfurt am main, 2006, Hochbauamt Frankfurt: in eine bestehende Substanz wird eine eigenständige Struktur imple mentiert. das einstellen der lese boxen zoniert den Raum in einen öffentlichen und privaten bereich und bietet die möglichkeit des individuellen Rückzugs. Je nach intention und auswirkung auf die Raumwirkung ordnet sich der ein gestellte Körper in seiner optischen erscheinung unter oder kontras tiert durch einen materialwechsel oder Farbigkeit.
RÄumlicHe mÖglicHKeiTen: – aufweiten / Verkleinern – begrenzen / Strecken – addition / Subtraktion – bekleiden / einstellen / Trennen
aTmOSPHÄRiScHe mÖglicHKeiTen: – Form – materialität / Oberfläche – licht (Tages / Kunstlicht) – Farbe 1
material Konstruktion Produktion
– kontextuelle Vorgaben:
fremdbestimmt und vorgegeben durch nutzungen / Handlungsabläufe und Zeit > ständige Veränderung / Verschiebung der Parameter, mal für Stunden, mal für Jahrhunderte
maSSSTab: – Schutz – geborgenheit
– grundstück / gebäude – Raumprogramm – budget PaRameTeR ZuR beScHReibung VOn Raum / umSeTZung VOn gRundlagen deR exiSTenZ: – kulturell – weltanschaulich – ortsspezifisch – ökonomisch – politisch – sozial
indiViduelle, SubJeKTiVe enTScHeidungen – Trends – Zeitlosigkeit – spezifische Wahrnehmung – kultureller Hintergrund
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4 entwurfsprinzip „Trennen“ Pfarr und Jugendheim in Thal mässing, 2005, meck architekten: der Raum kann durch den einbau von mobilen, flexiblen elementen in seiner dimension und Wahr nehmung je nach nutzung verän dert werden. der durchgängige eindruck von boden und decke vereint die Raum sequenzen und lässt die raum hohen Schiebewände in den Hintergrund treten. Je nach materialität der trennenden elemente – massiv bis textil – ergibt sich ein geführter blick in die weiteren Raumfolgen oder es verwehrt sich dem betrach ter die durchsicht.
naTÜRlicHe gegebenHeiTen: – Ökonomische Vorgaben:
emOTiOnale KOmPOnenTe: – Überraschung / Staunen – Freude – Wohlbefinden – abneigung – beklemmung – erfahrbarkeit der Raumabmessung
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1 eine Vielzahl von inneren und ußeren einflüssen und abhängig ä keiten sind bei der ausformulierung des Raumausdrucks zu beachten. nutzen und Zweck beruhen auf subjektiver Vorstellung und sind stark individualisiert. Raumhöhe, material und lichtverhältnisse bestimmen funktional und emotio nal den Raum.
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90 WÄnde und WandSySTeme
VORHÄnge 91
FalT WÄnde
VORHÄnge
FalTWÄnde Faltwände oder auch Falttüren bestehen aus gelenkig miteinander verbundenen Flügeln, die sich, an einer lauf schiene geführt, zusammenschieben lassen. die Flügel bestehen zumeist aus metall und Holzwerkstoffen. Häu fig ist auch der einsatz von glas, entweder in einer Fens tertürkonstruktion mit Holz oder metallrahmen oder als einscheibenganzglaswand. Je nach größe der anlage können Faltwände ein oder zweiseitig öffenbar ausgeführt werden. Zudem sollten größere anlagen über einen durchgangsflügel verfügen. man unterscheidet zentrisch und exzentrisch aufge hängte Faltwände. dabei muss auf die Position im Raum in der abgehängten decke geachtet werden. bei zent risch aufgehängten Faltwänden sitzen die Tragrollen je weils in der mitte jedes zweiten Flügels. dadurch falten sich die elemente im geöffneten Zustand symmetrisch um die achse der laufschiene. der an der Wand mon 1 tierte erste Flügel hat daher nur die halbe breite. eine bodenführung ist nur bei breiteren anlagen dieser bauart nötig. bei exzentrisch aufgehängten Faltwänden sitzen die Trag rollen am Rand jedes zweiten Flügels. daher öffnet sich die Faltwand zu einer Seite hin und kann so auch seitlich vor Öffnungen montiert werden. durch die asym metrische belastung ist eine bodenführung in einer Schiene nötig. griffe zur betätigung sind bei Faltwänden stets flächen bündig, also herausklappbar oder als griffmuscheln aus geführt.
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2 isometrie und grundrissschema einer exzentrisch aufgehängten, zweiseitig öffenbaren Faltwand 3 Publisher’s Hideaway, london, 2010 almanac collaborative architecture: Über eine exzentrisch aufgehängte Faltwand kann der Rückzugsbereich auf der galerie ebene abgekoppelt werden. 4 gemeindezentrum St. laurentius, 2010, Kaestle Ocker Roeder architekten: Foyer und mehrzweckraum werden über eine 6teilige bewegliche einscheibenganzglastrennwand verbunden.
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/ hten und Zonieren
tische Qualität des Textils sowie die ausführung als flä chiger Vorhang oder als Vorhang mit Faltenwurf. auch technische aspekte wie das brandverhalten, die akus tische dämpfung oder die Schmutzanfälligkeit müssen bei der materialwahl berücksichtigt werden. Vorhänge werden an ein oder mehrläufigen Schienen ge führt, die entweder an der decke montiert oder decken bündig ausgeführt und auch mit motorantrieb erhältlich sind. Sie können in die Rohdecke eingegossen, einge putzt oder in eine unterdecke eingebaut werden. mehr läufige Vorhangschienen erlauben das gegenläufige Ver schieben einzelner Vorhangsegmente, was gerade bei längeren abwicklungen die Flexibilität erhöht. auch möglich ist die montage an Stangen und Stahl seilen. Sie können mit abstand an der Wand montiert, erstere auch von der decke abgehängt werden. Sie eig nen sich vor allem, wenn der Vorhang nicht raumhoch sein soll. SCALE, Bd. 1, Öffnen und Schließen
5 Systemschienen für unter schiedliche anwendungen a in die Konstruktion integriert b aufgesetzt auf die decke c von der decke abgehängt
1 isometrie und grundrissschema einer zentrisch aufgehängten, zweiseitig öffenbaren Faltwand
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VORHÄnge Vorhänge können neben ihrem ursprünglichen einsatz gebiet als Verdunklung, Sicht oder blendschutz auch als raumbildendes element eingesetzt werden. dabei kön nen sie als temporärer Raumteiler oder als optischer Fil ter fungieren. durch die einfache bedienbarkeit ermög lichen Vorhänge räumliche Veränderungen mit geringem aufwand. die auswahl des Textils ist unmittelbar an die anforde rungen gebunden. Über die Transparenz des Stoffes wird auch die funktionale Wirkung des Vorhangs gesteu ert. lichtundurchlässigen Vorhängen kommt dabei eine eindeutig trennende Wirkung zu, während transparente Stoffe zwischen zwei Raumbereichen vermitteln und nur einen bedingten Sichtschutz bieten. Sie werden häufig auch dann eingesetzt, wenn beim einsatz von Trennwän den der abgetrennte bereich kein direktes Tageslicht erhält. Von raumatmosphärischer Relevanz ist die hap
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6 befestigungsmöglichkeiten für Vorhangsysteme
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a die Schiene wird direkt an der decke befestigt oder in diese integriert. b die Vorhangschiene wird durch einen abstandshalter von der decke abgehängt, beispielsweise bei sehr hohen Räumen. c ein Schienensystem wird an Stützen oder vorhandenen Wänden oder freistehenden einbauten befestigt 7 neue Synagoge dresden, 2001, Wandel Hoefer lorch + Hirsch: ein Vorhang aus metallgewebe bildet den transparenten Raumabschluss für den Kultraum 8 apartment nagi, Kanagawa, 2009, uufie architekten: Zwei egenläufige Vorhangschienen g ermöglichen mit Öffnen und Schlie ßen die Zonierung des Raums in öffentliche und private bereiche, inklusive der akustischen Wahr nehmung. 7
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978-3-0346-0741-4 Mai 2014 www.birkhauser.com