Kurden

Page 6

sich eine Hilfe bei der Beseitigung wirtschaftlicher Engpässe, bei der Modernisierung der Armee und beim Durchbrechen der politischen Isolation versprach. Die Aufforderung des amerikanischen Präsidenten Harry S. Truman an den Kongress, »nicht viel mehr als ein Zehntel von einem Prozent der Ausgaben im letzten Krieg für Griechenland und die Türkei zur Verfügung zu stellen« (12. März 1947), markiert den Beginn des amerikanischen Engagements in der Türkei. Bereits im Juli 1948 wurde das Land in den Marshallplan aufgenommen. Am 25. Juli 1950 gab die Regierung einen unmittelbar zuvor im engsten Führungskreis gefassten Beschluss bekannt, der in der Geschichte der Republik ohne Vorbild war: einer fremden Macht Truppen zur Verfügung zu stellen. Die Entsendung einer türkischen Brigade (etwa 4500 Mann) im Rahmen einer UNO-Streitmacht nach Korea erleichterte die Aufnahme der Türkei (und Griechenlands) in den Atlantikpakt. Als wertvoller Trumpf erwies sich die Möglichkeit, der amerikanischen Luftwaffe in der Türkei Stützpunkte zur Verfügung zu stellen. Am 21. September 1951 beschloss die NATO, die Türkei zum 18. Februar 1952 als Mitglied aufzunehmen. Der Beitritt zu anderen Sicherheitssystemen (Bagdadpakt 1955 und seinem Nachfolger, der Central Treaty Organisation, CENTO, bis 1979) war von vorübergehender Bedeutung. 1959 beantragte die Türkei die Assoziation mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Nach dem Ankaraner Abkommen zwischen der Türkei und den sechs Mitgliedsstaaten der EWG und dem Zusatzprotokoll von 1973 begann eine Übergangsphase, die 1999 rechtlich noch andauert. Der Antrag der Türkei auf Vollmitgliedschaft in der EG wurde am 5. Februar 1990 vom EG-Ministerrat abschlägig beschieden. Innenpolitik 1960 bis 1980 Die wirtschaftliche Unzufriedenheit weiter Bevölkerungskreise, die Frustration von Angehörigen der Streitkräfte über ausbleibende Modernisierung und Beförderung, aber auch die Besorgnis vieler Gruppen über die Revision der kemalistischen Reformen führten zum Staatsstreich vom 27. Mai 1960. Der an der Vorbereitung des Putsches nicht unmittelbar beteiligte Kommandeur der Landstreitkräfte Cemal Gürsel wurde zum vierten Staatspräsidenten (1961 66) bestimmt. Ein Sondergericht verurteilte 15 Politiker der Demokratischen Partei zum Tode; drei dieser Todesurteile, unter anderem gegen Menderes, bestätigte das Komitee für Nationale Einheit. Celal Bayar wurde aus Altersgründen verschont. Die jungen Offiziere des Komitees beeilten sich mit der Ausarbeitung einer neuen Verfassung, die die stark auf Atatürk zugeschnittene Grundordnung von 1924 ersetzen sollte. Gleichzeitig wurden rechts- und wohlfahrtsstaatliche Akzente gesetzt. Die Verfassung von 1961 bestätigte die seit 1947 erlaubte Bildung von Gewerkschaften und anerkannte das Streikrecht. 1971 überschritt die Zahl der gewerkschaftlich organisierten Arbeiter die Millionengrenze. Gleichzeitig wurde den Arbeitgebern das Recht auf Aussperrung zugestanden. In den Sechzigerjahren entstand die Solidargemeinschaft der Armee, eine Art Zwangssparkasse, die sich zu einem bedeutenden militärisch-industriellen Komplex entwickelte: Rund 10 Prozent des Solds der Berufsoffiziere werden in Wirtschaftsunternehmen angelegt. Aus den Erträgen erhalten die Pensionäre eine zweite Altersrente. Die Gerechtigkeitspartei, die Nachfolgeorganisation der 1960 verbotenen Demokratischen Partei, repräsentierte den traditionell wirtschaftsliberalen Teil der Wählerschaft, während Inönüs Republikanische Volkspartei eher die Industriearbeiterschaft und die staatsnahen bürokratischen Eliten vertrat. Aus den allgemeinen Wahlen von 1965 ging die Gerechtigkeitspartei als Siegerin hervor; ihr Vorsitzender Süleyman Demirel übernahm nun als Ministerpräsident die Führung der Regierung. Mit der Arbeiterpartei der Türkei beteiligte sich an dieser Wahl auch eine Partei, die 1961 von linken Gewerkschaftern gegründet worden war. Mit der Wahl Bülent Ecevits zum Generalsekretär (1966), später zum Vorsitzenden (1972) der Republikanischen Volkspartei vollzog sich in der Republikanischen Volkspartei ein bemerkenswerter Linksruck. Ab 1967 nahmen die Spannungen zwischen linken und rechten Kräften zu. Wie in zahlreichen anderen Staaten der westlichen Welt bestimmten Studentenproteste das Jahr 1968. Die revoltierenden Studenten thematisierten zunächst Missstände an den Hochschulen, entwickelten aber rasch allgemeine Zielsetzungen, die von einer besonders gegen die


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.