Debatare #3

Page 1

Unabh채ngiges Magazin zur Bundestagswahl 2013

Damenwahl

debatare.de 1


Was ist Debatare? Debatare ist ein junges Magazin und berichtet über gesellschaftlich relevante T hemen. Es wird von jungen Journalisten aus ganz Deutschland produziert. Die junge Perspektive bringt frische Ideen und neue Ansätze in die Berichterstattung. Der kultivierte Streit ist ein zentraler und notwendiger Bestandteil unseres Lebens. Ohne kritisches Hinterfragen von bestehenden Positionen und dem fortwährenden Zwang zur besseren Begründung von Standpunkten fehlen wichtige Motoren für gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Fortschritt. In dieser Tradition hinterfragt Debatare und bietet Meinungen und Hintergründe. Nicht Meldung, sondern Meinung. Nicht Tempo, sondern Tiefgang. Nicht monomedial, sondern multimedial: Das ist der Anspruch von Debatare.

QR-Codes aktivieren Debatare App oder QR Software herunterladen.

QR-Software runterladen

QR-Code fotografieren

Details im Web ansehen

2 debatare.de

Foto: Ballons ?


Ein besonderer Moment Es gibt Momente im Leben, die sind sehr unangenehm. Etwa wenn man auf der Toilette sitzt und merkt, dass das Toilettenpapier fehlt. Viele Dinge in unserem Leben sind sehr nützlich, wenn man sie hat. Sie gehören fest dazu, und wir merken es erst, was wir an ihnen haben, wenn sie fehlen. So ähnlich ist das auch mit Wahlen. Sie sind ein festes Element unserer Demokratie. Was man an ihnen hat, würde man vielleicht erst merken, wenn es sie nicht mehr geben würde. Wir haben Menschen getroffen, die uns erzählen, was die Bundestagswahl für sie zu einem besonderen Moment macht. Was sie auf sich nehmen, um überhaupt wählen zu dürfen. Und wir haben auch Menschen gefunden, die sich in kleinen Parteien engagieren. Sie erzählen uns, dass es gar nicht so leicht ist, als Kandidat auf den Wahlzettel zu kommen. Und weil das Ganze Wahlprozedere recht kompliziert ist, erklären wir es Schritt für Schritt. In der Psychologie geht man grundsätzlich davon aus, dass der Prozess des Entscheidens darin besteht, zuerst Alternativen zu benennen und Informationen zu sammeln, um danach die Wahlmöglichkeiten zu bewerten. Auf dieser Basis kommt es zu einer Entscheidung. Um diese Entscheidung etwas leichter zu machen, haben wir uns die Inhalte der Parteien angeschaut und übersichtlich zusammengestellt. Außerdem wir haben uns die Menschen hinter den Inhalten angeschaut: Schüler, die in den Bundestag wollen. Und Menschen, die sich durch Proteste freie Wahlen erst noch erkämpfen.

Foto: Ballons ?

Sollte man aus der Wahl eine Pflicht machen? In vielen Ländern ist das Wählen nicht freiwillig. Wer nicht wählt, bekommt eine Strafe. Wir haben von jungen Menschen in Brasilien erfahren, warum sie davon wenig halten. Wir räumen auf mit Halbwissen rund um die Wahl: Ungültig Wählen bringt nämlich – anders als viele denken – so ziemlich gar nichts. Wir schauen uns die spannenden Seiten so einer Wahl an: den Wahlkampf. Was passiert hinter den Kulissen, wie funktioniert so eine Kampagne. Was bringen Wahlplakate eigentlich noch? Und warum müssen Politiker Bratwurst essen können? Wir wünschen viel Spaß bei der Lektüre! Euer Gregor Landwehr

Impressum Dieses Magazin ist in Zusammenarbeit mit der Initiative ProDialog (www.prodialog.org) entstanden und wird durch die WAHL GANG 13 (www.wahlgang.de) in Kooperation mit der Bundeszentrale für politische Bildung unterstützt.

Herausgeber Debatare – Akademie für neuen Journalismus gemeinnützige UG (haftungsbeschränkt). Vertreten durch Gregor Landwehr, Sebastian Serafin. Anschrift Friedrichstraße 95, 10117 Berlin, HRB 139826 B, Amtsgericht Berlin-Charlottenburg. Internet www.neuer-journalismus.de, info@neuer-journalismus.de. Telefon 030/3993 0212. Fax 030/4920.3034. Chefredaktion (V.i.S.d.P.): Gregor Landwehr, Constantin Alexander Redaktion Okan Bellikli, Helke Ellersiek, Joshua Groß, Nora Jakob, Daniel Lehmann, Angelika Mandzel, Lara Müller, Simone Oehl, Sophie Schwarz, Benedikt Seidl, Stefanie Singer. Bildredaktion Julia Kneuse. Layout Andreas Kiesgen. Illustrationen Benedikt Seidl, Jamie Nieder, Andreas Kiesgen. Druck BVZ Berliner Zeitungsdruck GmbH. Auflage 20.000 Exemplare.

debatare.de 3


4 debatare.de

So stilvoll wird es f端r Politiker nicht, Natalie beim Bratwurstessen im Curry Queen in Hamburg. (Foto: Julia Kneuse)


Wie die Bratwurst die Bundestagswahl entscheidet Du bist, was du isst. Dieser alte Spruch stellt viele deutsche Politiker vor eine Herausforderung, die härter sein kann, als jedes Rededuell im Bundestag: Als gewählte Vertreter des deutschen Volkes wollen sie als ein Teil dessen wahrgenommen und auch gemocht werden. Nichts ist da schlimmer, als das Image eines arroganten, abgehobenen Menschen zu haben. Den will doch niemand wählen.

W

ie zeigen Politiker, dass sie Menschen sind? Im Wahlkampf gibt es da einige Möglichkeiten: Sie streicheln Hunde und Babys, besuchen Altersheime und Behinderteneinrichtungen, lassen sich Katastrophenregionen wie Flutgebiete zeigen, aber auch erfolgreiche Betriebe und Fabriken. Und sie tingeln über unzählige Wahlkampfveranstaltungen und Volksfeste. Dort zeigt sich, wer auch mal die Ärmel hochkrempelt und zusammen mit dem „einfachen Mann der Straße“ ein Bier – oder in Süddeutschland auch mal einen Wein – trinkt. Und dann gibt es da die Königsdisziplin: das Bratwurstessen.

Das wissen auch Politiker. Doch es hilft ihnen selten. Auf nahezu jedem Volksfest wird von ihnen erwartet, dass sie in eine Wurst beißen. Vor laufender Kamera, vielen Fotografen und Schaulustigen. Die heißen Dinger in der Hand, bleibt ihnen nichts anderes übrig, als zu lächeln, zu pusten und reinzubeißen. Hübsch sieht dabei niemand aus. Und so gibt es von nahezu jedem deutschen Volkspolitiker Fotos, wie er oder sie in eine Wurst beißt. Im Grunde könnte es den Politikern egal sein, dass sie beim Wurstessen nicht wie Models aussehen. Doch so funktioniert Politik leider nicht: Nach Außen gilt es, ein Image zu pflegen. Kraftvoll, klug und souverän zu wirken. Keine potenzielle Wählergruppe abzuschrecken.

Deutscher geht’s nicht Die Bratwurst ist das deutscheste aller Lebensmittel: Es gibt sie günstig am Imbiss, in der Luxusversion in feinen Restaurants, mit Biofleisch, halal und koscher ohne Schwein oder sogar vegan aus Tofu. Die Bratwurst ist so beliebt und verbreitet, dass wir Deutschen im Ausland nicht umsonst als das Volk von Bier und Wurst bezeichnet werden. Und die Bratwurst ist unmöglich cool zu essen: Sie ist heiß, fettig und komisch geformt. Hungrig darf man nie den Fehler machen, sofort nach dem Grillen reinzubeißen, zu schnell verbrennt man sich den ganzen Mund.

Demokratie bedeutet in dem Kontext eben auch dorthin zu gehen, wo der Wähler vermutet wird. Aus diesem Grund stellt sich Angela Merkel nach einem wichtigen Fußballspiel auch neben einen halbnackten Mesut Özil. Auch wenn der sich seine Entspannung in der Umkleide anders vorstellt, als die Kommunikationsexperten der Kanzlerin. Deshalb fahren deutsche Politiker nur mit BMW, Audi, Mercedes oder Volkswagen irgendwohin: Die Autoindustrie ist immerhin einer der stärksten Wirtschaftszweige im Land. Für Politiker ist es so nahezu unmöglich, sich als private Person in der Öffentlichkeit zu bewegen. Immer wird ihr Verhalten sofort zu

einer Interpretation der gesamtdeutschen Gesellschaft. Das macht erwartbar, austauschbar und sagt am Ende weniger über den Kandidaten oder die Kandidatin aus als eine klare Meinung, die nicht jedem gefällt. Bis jemand einmal mit dieser Tradition bricht, müssen Merkel, Steinbrück und alle anderen fleißig weiter in Bratwürste beißen und dabei scheitern.

Constantin Alexander

(Hannover)

„ist der Bedeutung der Bratwurst mit seinem Blog peoplebitingintobratwurst.tumblr.com auf den Grund gegangen.“

debatare.de 5


Wahl-Erfahrungen und Erwartungen Sechs Menschen berichten, wie es für sie war, zum ersten Mal zu wählen beziehungsweise was sie sich von ihrem ersten Gang zur Wahlurne erhoffen. Und warum es für sie wichtig ist, an der Bundestagswahl 2013 teilzunehmen.

er in den Bundestag auf. Anschließend ließ er sich für die enttäuscht und traurig, dass ich meine Lina Lubenska ist gebürtige Ukrainerin Erfahrungen auf der parlamentarischen Bundestagswahl 1990 aufstellen. „Die Überzeugung, meine und besitzt seit 2010 die deutsche Ebene nicht weiter einbringen konnte. Auch Erfahrungen und Kenntnisse in den Prozess der Gestaltung Staatsbürgerschaft. „Es ist für mich un2013 will ich von meinem Recht auf freie und der deutschen Einheit einbringen zu müssen, motivierte glaublich spannend, das erste Mal in mich dazu. Leider verpasste ich den Einzug in den Bundestag. geheime Wahlen, das es bis 1990 für mich meinem Leben wählen zu können und Im Gegensatz zu den Verhältnissen in der DDR, wo eine nicht gab, Gebrauch machen. Also: Nutzt das mit 27 Jahren. Ich habe bis 2010 den euer Wahlrecht! Informiert Euch gut! Hört Wahlpflicht herrschte, gibt es im vereinten Deutschland ein größten Teil meines Lebens in Deutschland und seht genau hin, was versprochen und Wahlrecht. Dies unterstütze ich ausdrücklich und will auf verbracht. Deutsch ist die Sprache, in der was tatsächlich umgesetzt wird!“ keinen Fall darauf verzichten. Mein Rat: Leute, überlasst eure ich mich am wohlsten fühle, und auch mein Zukunft nicht den anderen!“ Freundeskreis ist überwiegend Deutsch, daher freue ich mich nun auch als deutsche Staatsbürgerin wählen zu können. Da ich gerade in Dublin beruflich tätig bin, habe ich mich für die Briefwahl entschieden, denn ich möchte von meinem neuerworbenem Recht Gebrauch machen. Es ist ein Recht, welches mich lange von meinen Freunden abgegrenzt hat und daher ein langersehntes Recht. Daher mein Tipp: ´Genießt` es, es von Der 19-jährige Konrad Zimare absolviert diesem Gebrauch zu machen, um Deutschland gerade ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) beim Christina Fritsch stand im Dezember 1990 in mitgestalten zu können.“ Entwicklungspolitischen Netzwerk Sachsen Mülsen (Landkreis Zwickau) selbst zur Wahl. und wird im September zum ersten Mal an der Die ehemalige Lehrerin und Referentin für Führungskräftequalifizierung im Sächsischen Bildungs- Bundestagswahl teilnehmen: „Da dies das erste institut erinnert sich an diese Zeit: „Für mich war es Mal ist, dass ich wahlberechtigt bin, nehme ich die zweite freie und geheime Wahl in meinem Leben, mein junges Wahlrecht mit viel Freude, Bedacht zum ersten Mal im geeinten Deutschland. Früher und auch etwas Stolz wahr. Gerade heute, im Zuge globaler Herausforderungen, gilt es, sich hatte ich den Wahlkampf zu Bundestagswahlen und aktiv einzubringen. Ich sehe im Wahlrecht die die Wahlergebnisse immer nur im ‚Westfernsehen‘ verfolgen können. Endlich war das alles auch für Chance, nicht ohnmächtig und frustriert dem mich Realität geworden: in einer Demokratie zu Handeln Einzelner zuschauen zu müssen. Um leben und an demokratischen Wahlen teilnehmen diese effektiv nutzen zu können, habe ich die Der Diplom-Physiker Dr. Frank Heltzig wird zu können! Ich war glücklich darüber und stolz, Parteiprogramme gelesen, politische Sendungen auch in diesem Jahr sein Kreuz in der Wahlkabine dass ich dazu einen Beitrag geleistet hatte. Leider angeschaut und die regionale Presse verfolgt. Mich setzen. Doch im Jahr 1990 stand er selbst zur Wahl. motiviert die Überzeugung, dass unsere Politiker hatte ich auf der Kandidatenliste der SPD keinen Er war zuvor Abgeordneter in der Volkskammer besser sind als ihr Ruf und die Hoffnung, dass aussichtsreichen Platz erhalten. So war ich der DDR, und mit der Wiedervereinigung rückte

6 debatare.de


zeigen, dass wenn man den Nerv der Zeit trifft und Tabus aufbricht, die gebrochene Wahlversprechen und etablierten, oft schwerfälligen Altparteien nicht ‚alternativlos‘ sind. Die fehlerhaftes politisches Handeln mit Initiative lohnt sich, tut Euren Unmut kund!“ dezimierter Stimmenanzahl bei der nächsten Wahl geahndet wird. Mein Tipp an alle (Erst-) Wähler: Bringt euch mit Enthusiasmus in politische Debatten ein! Beschäftigt euch mit politischen Themen, denn sie gehen uns alle an!“

Die Rostocker Studentin Daniela Alkewitz nahm das erste Mal im Jahr 2005 an einer Bundestagswahl teil: „Ich weiß noch, dass das alles damals für mich ziemlich aufregend war. Ich war neugierig, wie das Wahlprozedere tatsächlich abläuft. Nachdem ich auch 2009 an der Bundestagswahl teilnahm, werde ich natürlich auch in diesem Jahr wieder wählen, denn ich empfinde es als meine Pflicht. Ich halte es einfach für widersprüchlich, sich über die politische Lage in Victor Vincze besitzt die deutsche Deutschland aufzuregen, jedoch nicht das Wahlrecht wahrzunehmen. Staatsbürgerschaft seit Anfang des Für die diesjährige Wahl habe ich mich im Groben schon über die Jahres. Im September wird er sich als Wähler und als Wahlhelfer an der Wahl Wahlprogramme informiert. Ich werde dann abwägen, welches Wahlprogramm meiner Auffassung am ehesten entspricht. Mein beteiligen. „Es ist wichtig für mich zu Tipp an alle (Erst-)Wähler: Wenn euch die Möglichkeit gegeben wählen, obwohl sich vermutlich nach wird, mit einem Aufwand von maximal 30 Minuten alle paar Jahre der aktuellen Konstellation eh’ nicht die politische Lage in Deutschland mitzubestimmen, dann nehmt viel ändern wird, leider. Die Chance die sie wahr!“ Energiewende, Klimawandel, Integration und Europa richtig anzupacken, motiviert mich zum Gang in die Wahlkabine. Junge Beispiele, wie die Piraten-Partei und AFD

Sophie Schwarz

(Dresden)

„geht wählen, um Deutschland mitzugestalten.“

Anzeige

Wir überlassen die Diskussion über die Zukunft der Jungen Generation nicht den PolitikerInnen. Wir wollen mitbestimmen, in was für einer Gesellschaft wir leben wollen. Wir wollen eine soziale und arbeitnehmerfreundliche Politik für junge Menschen, die sich im Wahlkampf, in den Koalitionsverhandlungen und vor allem in der politischen Gestaltung wiederfindet. Sechs zentrale Forderungen richten wir an die Politik: // Für eine bessere Ausbildung // Für gute und sichere Beschäftigung // Für eine gute Bildung // Für ein soziales Europa // Für eine solidarische Alterssicherung // Für eine solidarische und offene Gesellschaft

Lass deine BundestagskandidatInnen Farbe bekennen, ob sie unsere Forderungen unterstützen. Unsere Resolution sowie alle Informationen zur Kampagne findest du unter:

www.jugend-macht-ansagen.de debatare.de 7


Nichts für Sissys! Über zwanzig Wahlkämpfe hat Frank Stauss schon geführt. Er liebt es, und er hasst es. Nur eins ist klar: Wahlkampf ist nichts für Weicheier. Die Einblicke des Profis aus dem Wahlkampf für Gerhard Schröder zeigen, was im Hintergrund der Kampagne passierte.

8 debatare.de


F

s Stau ra n k

s

Gregor Landwehr

(Tübingen)

„schaut gerne auf die Hinterbühne der Politik.“

D

ie Landtagswahl in NordrheinWestfalen im Jahr 05 war für die SPD eine deutliche Niederlage. Am Wahlabend sitzt Frank Stauss im Apollo Theater in Düsseldorf. Die Kameras fangen ihn ein, und in den Beiträgen der Journalisten wird er zum enttäuschten SPD-Wahlkämpfer. „Ausgerechnet ich, der immer auf die leeren Gesichter an Wahlabenden geschimpft hat. Wenn man verliert, zeigt man es nicht“, so Stauss.

trotz Agenda-2010-Politik mit ihrem Thema soziale Gerechtigkeit er eine Strecke auf einer Fußgängerbrücke noch punkten? Aus den Ergebnissen entsteht eine Strategie. Es läuft entlang schreitet. Die Ausflugsschiffe auf auf eine Konfrontation raus. „Wenn du nicht zu deinem Gegner der Spree haben angehalten. „Hallo, Herr aufschließen kannst, dann zieh’ ihn wenigstens zu dir runter. Bundeskanzleeeer!“ ist zu hören. Nicht Zweifel säen, warnen, madig machen, verunsichern – mehr ist winken, denken Frank Stauss und sein erst mal nicht drin.“ Team. Denn der Kanzler wird diesen Gang nur einmal machen. Er geht weiter. Gut so. Aber dann hält er es nicht mehr aus, er geht Farbenspiele ans Geländer und winkt. Kameras knipsen, „Die Farbe nennt sich Umbra“, erklärte der Kreativdirektor er wird bejubelt, aber der Spot ist im Eimer. Romeo Bay seinem Chef. Umbra, das ist ein helles Braun, bislang Dem Kanzler sagt keiner, dass er den Spot von keiner Partei besetzt. Die SPD will sich von ihrem alten Blau vermasselt hat. Im Kanzleramt wird weiter Über das, was dann passierte, als Bunverabschieden, auch um visuell deutlich zu machen, dass es gedreht, dieses Mal ohne Zuschauer. deskanzler Gerhard Schröder am 22. Mai nicht nur ein weiterer Schröder-Wahlkampf ist. Umbra passt 2005 vorgezogene Neuwahlen ankündigt, zum SPD-Rot, ist kameratauglich. „Es lässt die Menschen vor Was folgt, sind Großveranstaltungen, Sonderberichtet Stauss in seinem Buch «Höllenritt ihm gut aussehen. Vor Gelb und Grün sieht man zwangsläufig parteitage und ein TV-Duell. „So ein Duell Wahlkampf» (DTV-Verlag). Denn auf einein bisschen krank und fahl aus. Deshalb sehen FDP- und ist für den Amtsinhaber immer das größere mal war Stauss, Geschäftsführender GesellGrünen-Politiker auch meist aus, als hätten sie etwas Risiko“, so Stauss. Als an diesem Abend schafter der Werbeagentur Butter, mittendrin die Zahlen der Umfrageinstitute kommen, Schlechtes gegessen.“ Umbra ist für die Kampagne gekauft. in einem Bundestagswahlkampf, den es kurz herrscht Jubel im WBH. Schröder liegt vorn. Kajo Wasserhövel, der direkte Ansprechpartner für die davor noch gar nicht gegeben hatte. An Erfahrung mangelt es dem Werber, der schon für Olaf Kampagne im Willy-Brandt-Hauses, richtet dort die Am 18. September 2005 ist der Wahltag, sogenannte Kampa ein. Hier sitzen die verschiedenen der Höllentag, wie Stauss ihn nennt. Es ist Scholz, Hannelore Kraft oder Klaus Wowereit Teams, die Hallen buchen, Druckkapazitäten einkaufen das Warten auf die ersten Zahlen. Die CDU arbeitete, sicher nicht. Aber die Situation war und Termine koordinieren. unter 40 Prozent? Es herrscht aufgekratzte besonders. Und nach der NRW-Wahl in die Stimmung in der Parteizentrale. Die SPD erlebt nächste Schlacht ohne Chance zu ziehen, schien Am 22. Juni soll zum ersten Mal die Kampagne ihre Wiederauferstehung. Die Kampagnenihm damals nicht sonderlich attraktiv. Nach 24 Stunden Bedenkzeit sagte Stauss dennoch zu. präsentiert werden, die den Parteivorsitzenden und den mitarbeiter sind erleichtert. „Auf jedem von „Nichts ist spannender als eine Wahl, denn nichts Kandidaten überzeugen soll. Die 78 Powerpoint-Folien uns lastete ein wenig das Schicksal der großen, ist endgültiger”, sagt er. Die Schwierigkeit sei, stehen unter dem Titel „Neues Vertrauen“. Nachdem geschichtsträchtigen SPD“, beschreibt Stauss. auch die Ergebnisse der Marktforschung vorliegen, schon Wochen im Voraus den richtigen Ton zu geben Kanzleramt und Parteichef Franz Müntefering Im November 2005 bekommt Frank Stauss treffen. Dafür müsse man vorausplanen. Denn grünes Licht für die Kampagne. Das Erscheinungsbild einen Anruf von Kajo Wasserhövel. Er braucht der zeitliche Vorlauf bei Plakaten, in Deutschland einen Titel für den Koalitionsvertrag. Aus der Partei wird auf Umbra getrimmt. immer noch das Aushängeschild jeder Kampagne, seinem Sloganfundus schickt Stauss „Mut und liegt bei mehreren Wochen. Menschlichkeit.” Der Kanzlerin gefällt es. Nur nicht winken! Frank Stauss mietet Räume in Berlin in der Nähe des Willy-Brandt-Hauses – der Bundeszentrale Um den TV-Spot mit dem Bundeskanzler zu drehen, Mehr Informationen der SPD. Los geht es mit der Marktforschung. „Sie sind 45 Minuten Zeit eingeplant. Am 25. Juli über Frank Stauss soll uns zunächst einmal so viele Informationen landet der Helikopter mit dem Kanzler auf dem wie möglich liefern.“ Stauss und sein Team müssen Landeplatz beim Kanzleramt an der Spree. Das www.frank-stauss.de herausfinden, ob die Deutschen bei Gerhard Team wartet, man will keine Zeit verlieren. Die Schröder noch Stärken sehen. Und kann die SPD Idee ist, den Kanzler in Bewegung zu zeigen, wie

debatare.de 9


Advertorial

Politiker müssen sich auf Dialog einstellen Frau Plehwe, warum können so wenige Politiker begeistern?

um für einen Kandidaten zu werben. Und nicht zu vergessen: In den USA wird Unmengen von Geld in Wahlkämpfe investiert. Im vergangenen US-Präsidentschaftswahlkampf wurden mehr als zwei Milliarden US-Dollar ausgegeben; in unserem aktuellen Bundestagswahlkampf werden die Ausgaben bei etwa 70 Millionen Euro liegen.

viele junge. Nichtwählern ist oftmals der Bezug zur Politik verloren gegangen, sie fühlen sich nicht angesprochen. Hier kann die Politik etwas ändern. Je direkter Bürger zu konkreten Politikvorhaben angesprochen werden, desto eher kann das Interesse für Politik wieder geweckt werden. Ich sehe aber auch die Nichtwähler in der Pflicht, sich zu engagieren, gerade die jungen. Schließlich wird heute über Dinge wie Energiewende, Staatsverschuldung oder Familienpolitik entschieden, die sie in der Zukunft betreffen werden.

Es gibt Politiker, die in Deutschland begeistern, denken sie nur an Barack Obama bei seinem Berlinbesuch vor Welche Rolle spielt die direkte Kommunikation zwischen einigen Wochen. Aber ganz im Ernst, Politikern und Wählern im Wahlkampf ? Angela Merkel oder Joachim Gauck haben hohe Zustimmungswerte, und viele junge Die Kommunikation zwischen den Spitzenkandidaten und den Nachwuchspolitiker haben aus meiner Bürgern findet in der Regel durch mediale Inszenierung statt Sicht viel Potential, Bürger wieder für und wird ganz klassisch über TV und Print weitergegeben. Es Politik zu begeistern. Aber Die Wähler geht aber auch direkter: Die SPD hat sich das Ziel gesetzt, im in Deutschland sind gar nicht so sehr auf Wahlkampf fünf Millionen Haushalte zu besuchen, die CDU der Suche nach begeisternden Politikern, will 10 Millionen Gespräche führen. Und ganz wichtig: Es wirkt. Deswegen heißt die Devise: sondern möchten Politiker, denen sie Zehn Menschen freuen sich über die Aufmerksamkeit, selbst Wähle jetzt und entscheide vertrauen können. wenn sie den Kandidaten kritisch gegenüberstehen. Und über deine Zukunft! Manchmal hat man den Eindruck, als schaudie Direktkandidaten in den Wahlkreisen bieten natürlich en wir aus Deutschland mit ein wenig Sehnganz konkret die Möglichkeit, mit „den Politikern aus sucht in die USA. Warum faszinieren uns die Berlin“ in Kontakt zu kommen; sei es am Infostand auf dem amerikanischen Wahlkämpfe so sehr? Wochenmarkt, im Festzelt der Freiwilligen Feuerwehr oder beim Kleintierzuchtverein. Die Inszenierung von Personen und Politik Kerstin Plehwe ist Vorsitzende der überDie indirekte Ansprache der Wähler wird im Wahlkampf in US-Wahlkämpfen ist beeindruckend. Im immer weiter ausgebaut werden. Von Social Media Vergleich zu den amerikanischen Nomiparteilichen Initiative ProDialog. Die nierungsparteitagen mit Auftritten von HollyKanälen versprechen sich Politiker einen besseren Kommunikationsexpertin hat noch nie eine woodstars wirken Parteitage in Deutschland Dialog. Werden diese Erwartungen auch erfüllt? tatsächlich etwas langweilig. Die Vorstellung, Wahl verpasst und freut sich, junge MenFast alle Politiker sind mittlerweile auf Facebook oder dass Politik wie ein Rock-Konzert ablaufen schen für unsere Demokratie zu begeistern. Twitter vertreten und dieser Anstieg ist mit Sicherheit kann, ist auf den ersten Blick attraktiv, entauch dem anstehenden Wahlkampf geschuldet. Socialspricht aber nicht unserer politischen Kultur in Deutschland. Media bietet einen neuen Kanal des Austausches Die Initiative ProDialog fördert Demokratie zwischen Bürgern und Politikern, muss von beiden Seiten und Engagement in Deutschland. Weil WähWas genau läuft in den USA anders? aber auch entsprechend genutzt werden. Leider hapert len gerade für junge Menschen wichtig ist, es dabei noch bei vielen Politikern. Wichtiger als die Zunächst unterscheiden sich die politischen Nutzung der Sozialen Medien ist aber die persönliche organisiert die IPD zur Bundestagswahl eine Systeme sehr stark voneinander. Das wirkt Einstellung der Politiker, mit den Wählern in einen Reihe von Veranstaltungen für Jugendliche, sich natürlich auf die Wahlkämpfe aus. Im Dialog treten zu wollen. Ob dies per Facebook, am so zum Beispiel eine Wahlkampagne nur für amerikanischen Mehrheitswahlsystem kann Telefon, im Gespräch vor Ort oder per Brief geschieht, nur einer gewinnen. Die personelle Zu- ist dann eigentlich zweitrangig. Jung- und Erstwähler. spitzung auf die Kandidaten ist sehr wichtig. Mehr erfahrt ihr auf der Webseite In Deutschland werden dagegen in erster Linie Die Aktivierung von Nichtwählern könnte für die Parteien zum entschiedenen Faktor in der BunParteien gewählt. Im US-Wahlkampf werden von www.prodialog.org. destagswahl werden. Welche Ansätze gibt es, um den Akteuren sehr viele Informationen gesamNichtwähler zum Wählen zu motivieren? melt und in der persönlichen Ansprache der Wähler genutzt. Neben der E-Mail oder einem persönlichem Brief rufen Freiwillige potenzielle Bei der vergangenen Wahl sind über 18 Millionen Wähler zu Hause an oder klingeln an der Haustür, Menschen nicht zur Wahl gegangen. Davon sehr

10 debatare.de


Die Wähler-Plakat-Beziehung Im Wahlkampf findet man sie an jeder Straßenecke, und meistens ähneln sie sich sehr: Die Wahlplakate. Doch wie effektiv sind sie im digitalen Zeitalter bei der Jagd nach Wählerstimmen?

A

wöhnliche Farbkombinationen sorgen beim Betrachter ebenso für Auch in Zukunft noch in Verwendung Kopfschütteln wie eine für die Partei unpassende Schriftart. Die Schrift darf zwar von der Masse abweichen, muss aber aus einiger In Zeiten von modernen Kommunikawirken Wahlplakate ein Entfernung lesbar sein. Ebenfalls schlecht kommen auffällig gestellte tionsformen Ein prägnanter Slogan, ein nett fotografiertes Bilder an. Wirkt ein Politiker nicht authentisch, zieht das negative wenig antiquiert. Dennoch werden sie uns auch bei kommenden Wahlen bis zur WahlGesicht – fertig ist der Plakatbausatz. Da jede Konsequenzen nach sich. Neurowissenschaftler gehen davon kabine begleiten. Ihre Wirkung ist seit einiger Partei diese Art der Kommunikation nutzt, aus, dass der Teil des Gehirns, der für Emotionen verantwortlich sind manche Plätze geradezu zugepflastert ist, ziemlich nachtragend ist. Ist uns jemand erst einmal un- Zeit umstritten, doch sie sorgen für eine generelle Bekanntheit der Wahlkampfthemen mit Wahlplakaten. Doch welche Wirkung sympathisch, ist es relativ schwer, diesen Eindruck zu ändern. und Kandidaten und machen auf den haben sie noch beim Wähler? Fakt ist, dass Wahlplakate haben einen hohen Streuverlust Wahltermin aufmerksam. Und wenn wir der Slogan und die Aufmachung des Plakats ehrlich sind, können missglückte oder sich von anderen in besonderer Form Im Grunde können Wahlplakate nur Emotionen vermitteln. unfreiwillig komische Exemplare den sonst so unterscheiden muss, um einen Eindruck zu hinterlassen. Für die Landtagswahl 2008 in Für Inhalte fehlt abgesehen vom Slogan der Platz. So versucht trockenen Wahlkampf immer noch am besten Niedersachsen entledigte sich Peter Altenburg, man, die Themen einer Partei bekannt zu machen und auflockern – auch durch Verfremdungen, Kandidat der Wählergemeinschaft „Die Cux- gleichzeitig mit dem Image des Kandidaten zu punkten. Doch Remakes und Mashups. havener“, seiner Kleider und ließ sich nur mit hier zeigt sich das nächste Dilemma. Im Vergleich zu digitalen Inhalten sind Wahlplakate unveränderbar und haben einen einem Schild mit dem Slogan „Ehrlich ... bis auf hohen Streuverlust. Das bedeutet, dass ein Plakat zwar die Haut!“ ablichten. viele Adressaten erreicht, aber nur ein Teil davon zur Dennoch bleibt fraglich, inwieweit Plakate die Zielgruppe gehört. Und während die eine vielleicht auf Entscheidung des Bürgers bei der Wahl be- lustige Ansprachen reagiert, bevorzugt eine andere eher einflussen. Denn gute Plakate mögen durchaus eine seriöse Plakatgestaltung. im Gedächtnis haften bleiben, ändern aber in der Regel nicht viel am Meinungsbild des Einzelnen. Daher werden die Plakate einer Partei nicht nur in Eine Studie der Universität Hohenheim zur verschiedenen Ausführungen gedruckt, sondern auch Landtagswahl 2011 in Baden-Württemberg sieht mehrmals während des Wahlkampfs ausgetauscht. sie ebenfalls eher als Ausgangspunkt für die Um die gewünschte Zielgruppe zu erreichen, muss Entscheidungsfindung. Wahlplakate haben dem- sogar der Ort, an dem ein Plakat zu sehen ist, nach eine Orientierungsfunktion oder dienen der beachtet werden. Die SPD beispielsweise selektiert Mobilisierung der Stammwähler. Dazu müssen diese nach einer Kriterienliste. Entscheidend sind allerdings gewisse Voraussetzungen erfüllt sein. zunächst die Anzahl der Verkehrsknotenpunkte und die regionalen Mobilisierungspunkte. Ist der Ungünstige Farben und fehlende Authentizität Standort der 8.000 verfügbaren Großplakate, die Daniel Lehmann (Berlin) schrecken ab sogenannten Wesselmänner, bestimmt, werden die „fragt sich, wie effektiv sind heute noch Wahlplakate und wo Themenbotschaften lokal gewichtet. In Regionen, die liegen ihre Schwächen?“ Einfachste Grundlagen der Gestaltung werden besonders von steigenden Mieten betroffen sind, wird bei Wahlplakaten regelmäßig missachtet. Unge- aktuell auch das Plakat zum Thema Mieten gezeigt. ußergewöhnliche Plakate sind einprägsam, beeinflussen die Wahl aber nicht direkt.

debatare.de 11


Wahlen in Zahlen 61,8

Millionen Menschen sind bei der Bundestagswahl 2013 wahlberechtigt

58

Parteien wollten an der Bundestagswahl teilnehmen

3,6

20 wurden nicht zugelassen

3

Millionen Jugendliche dürfen bei der Bundestagswahl zum ersten Mal wählen

51,5% der Wahlberechtigten bei der Bundestagswahl 2013 sind Frauen

21 Euro Erfrischungsgeld erhalten Wahlhelfer für ihren Einsatz am Wahltag

erhalten Parteien für jede erzielte gültige Stimme

Der Nichtwähler sind Mitglied in einem Sportverein

12 debatare.de

berechtigten ist 18-21 Jahre alt, aber: 20 Prozent sind älter als 70 Jahre

70 Cent 39%

Prozent aller Wahl-

ft Aushilfskra gesucht

630.000 Wahlhelfer werden benötigt

80.000 Wahllokale und etwa 10.000 Briefwahlbezirke gibt es

66,8 Millionen Euro kostete die Bundestagswahl 2009

Quellen: Bundeswahlleiter, Statistisches Bundesamt, Forsa Nichtwählerstudie (Illustration: Andreas Kiesgen)


Wahlen verpflichtet In einigen Ländern gibt es eine Wahlpflicht. Wer nicht wählt, wird bestraft. Bei einer sinkenden Wahlbeteiligung gibt es auch in Deutschland immer wieder Forderungen nach einer solchen Pflicht. Übersicht aller Länder mit Wahlpflicht

Was würde eine Wahlpflicht bringen?

Desinteresse nicht wählen gehen, dem Zufallsprinzip nach irgendwo ein Kreuzchen setzen? Oder einfach ungültig wählen? Würde dies das Wahlergebnis am Ende sogar verfälschen? Gegenargumentieren lässt sich, dass durch eine geringe Wahlbeteiligung eine Mehrheit im Parlament sitzt, die faktisch nur einen Bruchteil der gesamten Bevölkerung repräsentiert, deren Politik aber alle betrifft. Isabella aus Brasilien wünscht sich eine Abschaffung der Wahlpflicht. Sie war vor Kurzem in den USA und hat mitbekommen, wie viele Leute dort freiwillig wählen gehen. „Ich würde mir sehr wünschen, dass es in Brasilien auch so wird. Dass die Leute wissen, dass sie durch ihre Stimme etwas ändern können. Wer weiß was noch passiert, wir haben ja jetzt angefangen, die Augen zu öffnen.“

werden, um an zukünftigen Wahlen wieder teilnehmen zu können. In manchen Ländern bezieht sich die Wahlpflicht nur auf bestimmte Gruppen. In Indonesien ist sie religiös bedingt nur für Muslime verpflichtend. Im Libanon und in Libyen unterliegen lediglich die Männer einer Wahlpflicht. Und in Guatemala müssen alle außer den Militärs wählen, Soldaten dürfen dort nicht wählen.

„Ich denke, es sollte jeder für sich entscheiden, ob er wählen geht oder nicht“, sagt Isabella Alves. In Deutschland ist das selbstverständlich, Isabella jedoch kann sich nicht entscheiden. Sie ist Brasilianerin, und in Brasilien sind alle Bürger zwischen 18 und 70 Mittel gegen geringe Wahlbeteiligung? Jahren zur Abgabe ihrer Stimme verpflichtet. Vor allem nach Europawahlen, bei denen die Wahlbeteiligung oft „Viele Menschen begreifen, dass sie durch ihre besonders niedrig ist, kommt auch in Deutschland die Diskussion Stimme bei der Wahl nicht viel ändern können, über eine Wahlpflicht auf. Wäre sie ein wirkungsvolles Mittel egal, wen sie wählen. Deswegen werden wir gegen Politikverdrossenheit? Beachtet man lediglich die Quote gezwungen zu wählen, wer sich wehrt wird der Wahlbeteiligung, gibt es einen großen Zusammenhang bestraft“, erklärt Isabella weiter. Wer in Brasilien zwischen Wahlpflicht und Anzahl der Stimmabgaben. In den nicht wählt, muss eine Geldstrafe zahlen. Wird Ländern mit Wahlpflicht, vor allem in jenen mit Sanktionen, diese nicht bezahlt, droht ein Ausreiseverbot. ist die Wahlbeteiligung deutlich höher als in jenen ohne Außerdem darf der Zahlungspflichtige nicht Pflicht. Auch in Ländern, in denen kaum oder sehr wenig mehr als Beamter arbeiten. sanktioniert wird, sind es immerhin etwa drei Prozent mehr Stimmabgaben. „Es ist selten, dass ein demokratischer Wahlpflicht ist nicht gleich Wahlpflicht Staat seinen Bürgern ein Wahlpflicht auferlegt“, betont die Brasilien ist jedoch nicht das einzige Land Politikwissenschaftlerin und Leiterin der Akademie für mit einer Wahlpflicht. Weltweit ist in den Politische Bildung in Tutzing, Ursula Münch. Früher habe es Gesetzen von über 30 Ländern eine solche eine moralische Wahlpflicht gegeben. „Aber das kann man Pflicht vorgesehen. Es gibt zwei unterschiedliche nicht mit Gesetzen einholen.“ Formen. Manche Länder haben eine reale, andere eine rein formelle Wahlpflicht. Die reale Wahlergebnis wird verfälscht Wahlpflicht sieht Bestrafungen vor, sollte ein Die Wahlbeteiligung ist nicht der einzige Faktor, der das Bürger nicht zur Wahl erscheinen. Die formelle Ausmaß der Politikverdrossenheit einer Gesellschaft Wahlpflicht sieht entweder gar keine Bestrafungen anzeigt. So kann die Nichtteilnahme an einer Wahl vor oder führt diese nicht aus, existiert also nur auch der Ausdruck der Ablehnung aller Alternativen auf dem Papier. Eine formelle Wahlpflicht gibt es auf dem Stimmzettels oder des politischen Systems an beispielsweise in Griechenland und Italien, aber sich sein. Ein Bürger kann in großem Ausmaß politisch auch in vielen Staaten Südamerikas und in Indien. interessiert und engagiert sein und aus Protest nicht an Wenn bestraft wird, dann meist mit Geldstrafen. Diese sind unterschiedlich hoch. In der Schweiz sind der Wahl teilnehmen. „Es gehört zum demokratischen Recht, sich dafür zu entscheiden, nicht wählen zu es zum Beispiel zwei Schweizer Franken Geldbuße, gehen“, so Ursula Münch. in Bolivien 150 Bolivianos, wobei dort über die Hälfte der Bevölkerung nur rund 400 Bolivianos Ein Staat kann seine Bürger nicht zur Auseinandermonatlich zum Überleben haben. Zum Teil erhöhen setzung mit dem politischen System zwingen. sich die Strafen bei wiederholtem Nichtwählen, zum Würden sonst nicht viele, die aktuell aus Teil muss eine begründete Erklärung eingereicht

Lara Müller

(Gießen)

„geht auch ohne Wahlpflicht im September auf jeden Fall wählen.“

debatare.de 13


Wir sind „die Anderen” Viele wissen nicht, was sie wählen sollen. Doch es gibt auch Menschen, die müssen sich ganz schön anstrengen, um überhaupt wählen zu dürfen. Drei von ihnen haben uns erzählt, welche Hürden sie überwinden mussten.

Torsten Meiners Deniz Top „Ich kann ja nicht das erste Mal nicht wählen“, sagt Deniz Top. Der 28-Jährige ist in Hamburg geboren, seine Eltern kommen aus der Türkei. Mitte 2011 hat der BWL-Student die Einbürgerung beantragt, im April 2012 wurde er dann eingebürgert. Jetzt darf er in Deutschland wählen. Während der Schulzeit engagierte er sich politisch, damals war es für ihn sehr komisch, nicht mitwählen zu dürfen. Einmal hat er auch in der Türkei gewählt: Am Flughafen, weil es in der Türkei bis 2012 keine Möglichkeit für Auslandstürken gab, per Briefwahl abzustimmen. „Jahrelang hätte ich gewusst, was ich wähle, wenn ich gedurft hätte. Jetzt bin ich mir nicht mehr sicher.“

14 debatare.de

„Dieses Jahr wähle ich das erste Mal, weil ich einen Weg für mich gefunden habe, wie ich mich vertreten fühle: Die Erststimme gebe ich einem Direktkandidaten, die Zweitstimme vergebe ich nicht“, erzählt Torsten Meiners. Für den 49 Jahre alten Hamburger ist Wählengehen kompliziert. Denn Meiners hat keine Wohnung. Und als Wohnungsloser muss er bis zu einem Stichtag vor der Wahl – bei der Bundestagswahl sind es drei Wochen – zum Wahlbezirksamt in der Stadt gehen, in der er sich hauptsächlich aufhält und seit mindestens 90 Tagen aufgehalten hat. Dort muss er sich identifizieren und bekommt dann eine Wahlbenachrichtigungskarte ausgehändigt.


Oliver Millies „Mich interessiert besonders, ob die Behörden wieder Geld bei uns Behinderten einsparen wollen“, erzählt Oliver Millies über die Gründe für seine Wahlentscheidung. Seine Wahlentscheidung für dieses Jahr hat er noch nicht getroffen. Der 40-Jährige arbeitet seit fünf Jahren im Büroprojekt der Individuellen Arbeitsbegleitung des „Rauhen Hauses“, eine berufliche Eingliederungsmaßnahme für Menschen mit Behinderung. Er ist bisher immer zur Wahl gegangen. Hätte er allerdings einen rechtlichen Betreuer „für alle Angelegenheiten“, dürfte er nicht zur Wahl. So sieht es das Gesetz vor. Das trifft laut Schätzung des Deutschen Instituts für Menschenrechte auf eine fünfstellige Zahl behinderter Menschen in Deutschland zu, die durch eine „Komplettbetreuung“ ihr aktives und passives Wahlrecht verlieren. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat diesen Zustand bereits 2010 als Verstoß gegen die Menschenrechtskonvention erklärt. Auch Oliver findet das nicht in Ordnung: „Warum sollten Menschen mit deutschem Pass in Deutschland denn nicht wählen gehen dürfen?“

Julia Kneuse (Hamburg) „wählt dieses Jahr auch ein bisschen „anders“ und zwar per Briefwahl.“

debatare.de 15


Nina Binias

DEB

Pro

Soll man

als Ninia La Grande bekannte Bloggerin, Autorin und Poetry-Slammerin aus Hannover: www.ninialagrande. blogspot.de/

Warum wähle ich? Eigentlich keine in meinem Blog darüber schreiben, ich kann mit anderen auf die schwere Frage – weil ich mitbestimmen will! Straße gehen und demonstrieren, ich kann Briefe schreiben und In letzter Zeit denke ich allerdings viel darüber Unterschriftenaktionen starten. Die Wahl an der Urne ist nur das nach, wie weit meine Mitbestimmung eigentlich i-Tüpfelchen für mich als Möglichkeit der Partizipation an einer geht. Nur, weil ich an einer bestimmten Stelle Demokratie. Es ist wichtig, dass nicht nur ich wählen gehe, sondern viele – am mein Kreuzchen mache, heißt das ja noch lange nicht, dass jede/r Politiker/in das macht, was besten alle. Wenn nämlich nur ein kleiner Teil wählt, dann ist am ich will. Aber ist das überhaupt das Ziel? Ende im Bundestag auch nur ein kleiner Teil vieler verschiedener Der einen Frage folgen bei mir viele weitere Meinungen abgebildet. Und auch wenn ich selbst das natürlich Fragen: Mitbestimmung. Was heißt das für mich? toll finden würde, wenn alle PolitikerInnen nur noch nach Ich gehe zur Urne und wähle meine/n „Vertreter/ meiner Nase tanzen, ist es für eine Demokratie unumgänglich, in“ im Bundestag. Ich zeige mit meiner Wahl, dass viele Wünsche und Meinungen zusammenkommen. Klar welche Werte und Themen mir am Herzen liegen. ist auch, dass es nicht die eine super passende Partei für mich Ich will in einem Land leben, von dem ich sagen gibt, die alles genauso sieht wie ich. Dafür gefällt mir aber ein kann, dass ich es mitgestalte – das ist Demokratie. Großteil der Grundsätze einer Partei wesentlich besser als Wer nicht wählt, verschenkt seine Stimme. Und bei den anderen. Sollte die Partei die nächsten Jahre dann damit auch die Möglichkeit, die Bedingungen doch nicht die Vorhaben umsetzen, auf die ich gesetzt habe, seines Lebensraumes mitzugestalten. dann kann ich ihr bei der nächsten Wahl meine Stimme Natürlich ist nicht immer alles so Heile-Welt- entziehen. Oder selbst eine Partei gründen. mäßig und schön, wie es sich in der Theorie Ich gehe also wählen, weil meine Stimme wichtig ist. Sie anhört. Natürlich kann ich sagen, ich gehe wählen, zeigt den RepräsentantInnen der Demokratie, wie ich um zu gestalten. Natürlich will ich durch die Wahl leben möchte. Sie bestimmt. Ich gehe wählen, weil alle eine bestimmte Richtung vorgeben. Und dann? Stimmen wichtig sind. Dann landen wir in der Realität und merken, dass „die da oben“ in Wirklichkeit doch nicht das machen, was wir uns so gewünscht haben, als wir das Kreuzchen setzten. Und deshalb hört Wählen für mich nicht an der Urne auf. Ich habe immer die Wahl, das ganze Jahr lang, vier Jahre lang. Wenn mir Entscheidungen nicht gefallen, dann kann ich

16 debatare.de

Soll man wählen? Das aktive Wahlrecht bei der Bundestagswahl, also das Recht, bei der Wahl seine Stimme abzugeben, hat jeder Deutsche, der am Wahltag das 18. Lebensjahr vollendet hat und irgendwann nach dem 23. Mai 1949 mindestens drei Monate lang ununterbrochen in der Bundesrepublik Deutschland oder der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) gelebt hat. Jeder Wähler hat zwei Stimmen. Die Erststimme ist für den Direktkandidaten im Wahlkreis, die Zweitstimme für eine Partei und deren Landesliste. Deutschland ist aktuell in 299 Wahlkreise eingeteilt. Man gibt seine Stimme in dem Wahlkreis ab, in dem man seinen Erstwohnsitz hat. Sitzverteilung Die Bundestagswahl ist eine Personalisierte Verhältniswahl mit geschlossenen Listen. In den Wahlkreisen sind diejenigen Kandidaten gewählt, die die relative Mehrheit der abge gebenen gültigen Stimmen erzielt haben. Die weiteren Sitze im Bundestag werden auf die Parteien, die die Sperrklausel von mindestens fünf Prozent überwinden konnten, nach dem Verfahren Sainte-Laguë entsprechend dem Verhältnis der von


ATTE

Contra

wählen? den im Bundesgebiet erreichten Zweitstimmenzahlen verteilt. Die Gesamtsitzzahl jeder Partei wird in einem zweiten Schritt auf der Grundlage der von ihren Landeslisten gewonnenen Zweitstimmenzahl im jeweiligen Bundesland auf die Landeslisten der Parteien verteilt. Von der so ermittelten Sitzzahl, die einer Partei in einem Bundesland zusteht, werden die dort in den Wahlkreisen direkt errungenen Mandate abgezogen. Stehen einer Partei dann noch weitere Sitze zu, so werden diese an die Landesliste der Partei vergeben. Was ist deine Meinung zum Thema? Dazu einfach online gehen und mitdebattieren.

www.debatare.de/debatte/soll-man-waehlen

Florian Kopp

ist 23 Jahre alt und studiert VWL in Nürtingen.

Alle vier Jahre wählen wir die Zusammensetzung des Deutschen Bundestages. Diese Wahl ist sehr wichtig, das will ich gar nicht bestreiten. Immerhin wird bei dieser Wahl entschieden, welche Partei die zukünftige Bundesregierung führt und damit auch den Bundeskanzler stellt.

werden, wenn sich die Programme der Parteien immer mehr angleichen, weil die Parteien Angst haben, durch eine klare Position Wähler zu vergraulen?

Das Argument, dass jede Stimme, die nicht Was man aber nicht vergessen darf: Das Wahlrecht ist ein an demokratische Parteien geht, eine Stimme Recht, keine Pflicht. Eine Partei wählen, nur damit man sein für extremistische Parteien ist, mag zwar Wahlrecht ausgeübt hat, scheint mir nicht richtig. Eine Partei rechnerisch stimmen. Jedoch muss man sich muss sich eine Stimme verdienen. Dafür reicht es nicht, die fragen, ob es nicht auch eine Aufgabe der weniger schlimme Alternative zu sein, sondern eine Partei demokratischen Parteien ist, durch das muss gute Argumente bringen, warum sie die Stimme Ansprechen der Wähler dafür zu sorgen, dass verdient. In der heutigen Zeit jedoch scheint es zwischen extremistische Parteien nicht stark werden den Parteien leider kaum Unterschiede zu geben. Früher können. Dies ist jedoch nur dann möglich, wenn hat Rot-Grün eine Frauenquote gefordert, Schwarz-Gelb die Parteien echte Alternativen bieten, anstatt war dagegen. Heute gibt es auch bei der Union einige nur eines Programms, welches kaum UnterSpitzenpolitiker, die sich für die Frauenquote aussprechen. schiede zu anderen aufweist. Auch in der Bildungspolitik und der Gesundheitspolitik gibt es immer mehr Annäherung zwischen Schwarz- Ich für meinen Teil denke, dass eine Wahl nur Gelb und Rot-Grün. In Sachen Europapolitik stimmten etwas bringt, wenn man eine richtige Wahlin der letzten Legislaturperiode prozentual gesehen möglichkeit hat. Solange die Programme der mehr Abgeordnete der SPD und den Grünen mit der einzelnen Parteien jedoch so austauschbar sind Bundesregierung als bei FDP und Union. Was für einen wie aktuell, sehe ich keinen Nutzen darin, meine Sinn soll es machen, eine Partei zu wählen, wenn sie Stimme einer Partei zu geben. Meine Meinung sich nicht von anderen unterscheidet? Demokratie wird von keiner Partei zu einem so hohen Teil bedeutet unter anderem auch eine Diskussion von wiedergegeben, als dass ich sagen könnte, dass verschiedenen Ansichten. Diese Ansichten dürfen mich diese Partei repräsentiert. Solange dies nicht ruhig auch kontrovers sein. Aber nur durch diese der Fall ist, sehe ich auch keinen Grund, einer Partei Diskussion und dem damit verbundenen Verteidigen meine Stimme zu geben. der eigenen Ansichten kann man Dinge erkennen, die man eventuell noch nicht bedacht hat. Wie kann über das Für und Wider öffentlich diskutiert debatare.de 17


Advertorial

Die WAHL GANG 13 stellt sich vor J

andere. Die Erstwähler konnten sich darüber austauschen, welche Themen sie bei den Diskussionen ansprechen, wie man Politiker dazu bringt, Fragen zu beantworten und wie man es schafft, das Publikum mit einzubeziehen. Mit dem Wissen übernehmen die Schüler die Diskussionsleitung vor Mitschülern und werden Multiplikatoren des WAHL-GANG 13- Gedankens: Wählen. Weil ich´s kann.

ung. Politikverdrossen. Nichtwähler – diese Eigenschaften werden schnell gemeinsam genannt. Eine Initiative, die das nicht tut, die das sogar ändern möchte, ist die junge Erstwählerkampagne WAHL GANG 13. Aus dem Herzen Berlins möchte sie junge Menschen in ganz Deutschland erreichen, um sie zu motivieren, zur Wahl zu gehen, sich am politischen Prozess zu beteiligen und die spannenden Seiten der Politik zu entdecken. Dahinter steckt die studentische Agentur Politikfabrik e.V., welche seit über zehn Jahren Kampagnen für politische Bildung und Partizipation konzipiert und organisiert.

aktuelle Hintergrundberichte zur Wahl gibt es in der wöchentlichen Kolumne. Und zwischen Minipraktikanten, WAHLCAFÉ oder Schultour tummelt sich die WAHL GANG 13 überall dort, wo junge Wähler sind: Vor der Uni mit dem WAHL GANG Sattelschoner „Arsch hoch! Wählen gehen.“, in der U-Bahn mit dem Werbespot „Warum gehst Du wählen?“ oder in den Straßen der Städte mit den „Wahlgründen zum Mitnehmen“. Dabei wird die Kampagne unterstützt von bekannten Gesichtern wie Kostja Ullmann, Anna Fischer, Jennifer Ulrich und Joko Winterscheidt.

Da Politik immer auch etwas mit Meinungen und Überzeugen zu tun hat und gerade junge Stimmen in der Öffentlichkeit wenig wahrgenommen werden, gibt es die WAHL BLOGGER: Sechs junge Menschen schildern ihren Weg zur ersten Wahl. Kontroverse Meinungen werden ausgetauscht, ob zum demographischen Wandel, zur Politikverdrossenheit von jungen Wählern oder zu den Inhalten der Parteien. Im Wechsel bloggen die sechs Erstwähler wöchentlich auf der Die Kampagne versucht, Politik verständlich zu machen, Politiker mit jungen Menschen in KonWebsite der WAHL GANG 13. takt zu bringen und jungen Menschen VerDas Projekt begann im März 2013 mit der Frage: Was macht antwortung zu geben. Wenn es heißt: Das war ein Bundestagsabgeordneter den ganzen Tag? Schüler die Bundestagswahl 2013, dann heißt es für die konnten als Minipraktikanten einen Abgeordneten des Politikfabrik e.V.: Nach der Wahl, ist vor der Wahl! Bundestages einen Tag begleiten. 60 Erstwähler mit 60 Abgeordneten zeigten die Bandbreite des politischen Kontakt Alltags, ob bei der Teilnahme an Sitzungen mit Jens Das Herzstück der Erstwählerkampagne WAHL Chiara Strobel Studentische Agentur für Spahn (CDU), bei einer UNICEF-Parlamentarierrunde GANG 13 ist die deutschlandweite Schultour. Politikfabrik e.V. politische Kommunikation mit Ekin Deligöz (Bündnis 90/Die Grünen) oder bei der Über 60 Schulen aus ganz Deutschland wurden c/o betahaus Plenarsitzung zur Frauenquote mit Franz Müntefering ausgewählt, um bei der Tour dabei zu sein. chiara.strobel@politikfabrik.de (SPD). Die Kampagne veranstaltet dabei nicht nur Podiumsdiskussionen mit Kandidaten und VerHomepage Facebook Weiter ging es online: Neben Links und Nachrichten tretern aller Bundestagsparteien, sondern lud im bei Facebook möchte die WAHL GANG 13 auch Vorfeld auch zwei Schülerinnen und Schüler jeder Hintergründe erklären und Meinungen der Schule für einen Moderationsworkshop nach Berlin Erstwähler darstellen. Im Thema der Woche wird ein. Dabei halfen nicht nur Moderationstrainer, erläutert, was ältere Menschen vielleicht verfolgen sondern auch der Politikjournalist Steffen Hebestreit, die Fernsehmoderatorin Sandra Maischkonnten: Was passierte vor zehn Jahren, als die berger, Kuratoriumsvorsitzende und langjährige Agenda 2010 eingeführt wurde? Warum herrscht ein Unterstützerin der Politikfabrik e.V., und viele Konflikt zwischen Nord- und Südkorea? Aber auch

18 debatare.de


Die Krux mit dem Kreuz Mythen und Irrtümer rund um die Wahl

W

wählen zu gehen, erkennbar. Um sich nicht für eine Partei ent- gemalte Kreise genauso wie das scheiden zu müssen und dennoch an der Wahl beteiligt gewesen Durchstreichen aller Kandidaten und zu sein, geben viele eine ungültige Stimme ab. Der Trugschluss Parteien bis auf die gewünschte Wahl. dabei: Ungültige Wahlscheine beeinflussen die Wahl in Wirklichkeit überhaupt nicht. Wer verhindern will, dass beispiels- Irrtümer auf kommunaler Ebene weise rechtsextreme Parteien hohe Stimmanteile erhalten, muss wohl oder übel eine Alternative wählen. Denn für die Auch andere Wahlen in Deutschland bieten Gefährliches Halbwissen sorgt dafür, dass po- Berechnung der Fünf-Prozent-Hürde und die Verteilung der Stoff für Fehlinterpretationen. So wählt man in Sitze im Bundestag sind einzig die gültigen Stimmen von Be- Bayern auf kommunaler Ebene für sechs Jahlitische Prozesse falsch verstanden werden. deutung. Für die Parteienfinanzierung sind nicht abgegebene re, in Bremen aber nur für vier Jahre. Dass der Doch woran liegt das? Die meisten Irrtümer oder ungültige Stimmen ebenfalls belanglos. Laut Parteiensind auf das komplexe Wahlsystem zurückBundespräsident von der Bundesversammlung zuführen. Wer sich halbherzig damit beschäf- gesetz beträgt die vom Bund an die Parteien verteilte Sum- gewählt wird, ist ebenfalls vielen nicht bewusst. tigt, kann schnell den Überblick verlieren. Das me für erhaltene Wählerstimmen insgesamt maximal 133 seit 1956 bestehende Bundeswahlgesetz wurde Millionen Euro. Da den etablierten Parteien jedoch für ihre gewonnenen Stimmen ohnehin mehr zustehen würde, fällt mehrfach verändert, wenn auch nicht immer letztlich nur die Differenz zwischen dem eigentlich rechtmit bedeutenden Folgen. Doch wer weiß schon, mäßig zustehenden Betrag und den festgelegten 133 Milliodass das aktive und passive Wahlrecht erst seit nen Euro geringer aus. 1975 bei 18 Jahren liegt? Ursprünglich lag das passive Wahlrecht laut Grundgesetz sogar einmal bei 25 Jahren. Eine wahre Odyssee an Geset- Auch ein ausgemalter Kreis statt einem Kreuz ist möglich zesänderungen hat insbesondere das Wahlrecht für Auslandsdeutsche hinter sich. Inzwischen Daniel Lehmann (Berlin) darf jeder im Ausland lebende Deutsche wählen, Interessant sind mitunter die Vorstellungen, was genau „wusste nicht, dass man als Brander ab seinem 14. Lebensjahr mindestens drei bei der Bundestagswahl gewählt wird. Obwohl der Name denburger inzwischen schon mit Monate in der Bundesrepublik gewohnt hat. Vom sämtliche Missverständnisse ausschließen sollte, hält 16 wählen darf.“ 4. Juli 2012 bis zum 3. Mai 2013 hatten Auslands- sich seit der ersten Bundestagswahl bei vielen die Meideutsche sogar kein Wahlrecht, weil das Bundesnung, dass diese den nächsten Bundeskanzler hervorverfassungsgericht den Gestaltungsspielraum des bringt. Zwar stellt die regierende Partei, die wiederum Gesetzgebers überschritten sah. wirklich vom Volk gewählt wird, in der Regel den KanzViele Informationen ler, gewählt wird dieser dennoch durch die absolute zur Wahl und zum Mehrheit der Mitglieder des Bundestages. Hat man Ungültige Stimmen haben keinen Wahlvorgang bietet nun das nötige Vorwissen gesammelt und sich für eine Einfluss auf die Wahl das „Wahl ABC“ des Bundeswahlleiters Partei entschieden, kann man am Wahltag endlich sein Kreuz machen. Dabei muss es nicht einmal ein Kreuz Seit 1998 ist die Wahlbeteiligung bei den Bundeswww.bundeswahlleiter.de/de/glossar/ sein. Gültig ist eine Stimme auch dann, wenn deutlich tagswahlen stark gesunken. Dennoch ist bei vieerkennbar ist, wen man gewählt hat. Dazu zählen aus len Bürgern noch ein gewisses Pflichtbewusstsein, ährend manche verschwinden, tauchen neue wieder auf, und andere halten sich seit der ersten Bundestagswahl am 14. August 1949 hartnäckig: Die Rede ist von Wahl-Mythen. Schluss mit dem Halbwissen, hier kommt die Wahrheit hinter den Mythen.

debatare.de 19


Wie geht wählen? Eigentlich ganz einfach. Wenn man weiß,

wie es geht.

Jetzt sollte man schon wissen, bei wem man seine zwei Kreuze machen möchte. Das erste Kreuz ist für den Kandidaten im Wahlkreis. Damit wird eine Person gewählt, die den Wahlkreis in Berlin vertritt. Häufig sind es bekanntere Politiker, die schaffen, Direktkandidaten in einem Wahlkreis zu werden. Manchmal sieht man als Wähler den Namen zum ersten Mal. Das zweite Kreuz ist für eine Partei. Je mehr Zweitstimmen eine Partei bekommt, desto mehr Abgeordnete hat sie im Bundestag. In jedem Bundesland haben die Parteien Listen mit Kandidaten aufgestellt. Und je mehr Zweitstimmen eine Partei bekommt, desto mehr Kandidaten dürfen dann nach Berlin gehen.

Dass bald eine Bundestagswahl ist, merkt man meist an den Plakaten. Davon hängen die Parteien ganz schön viele auf, auch wenn das kaum jemanden interessiert. Sind meist eh’ nur Köpfe drauf. Wem dazu ein Spruch wie „Wähl’ mich“ nicht reicht, um eine Entscheidung zu treffen, sollte sich noch woanders informieren. Internetseiten wie www.wahlomat.de helfen mit einem Vergleich der eigenen Meinung und dem Parteienprogramm, eine politische Richtung zu finden. Denn auch wenn man vielleicht nicht in jedem Thema tief drin ist, eine Meinung oder ein Gefühl zu den wichtigen Themen hat jeder.

20 debatare.de


Bis 18 Uhr darf in Deutschland gewählt werden. Und bis dahin dürfen auch keine vorläufigen Ergebnisse oder Prognosen in den Medien veröffentlicht werden, damit die Menschen nicht beeinflusst werden, die noch nicht gewählt haben. Um 18 Uhr schließen dann die Wahllokale, und es geht sofort los mit dem Zählen der Stimmen. Der Kandidat mit den meisten Erststimmen im Wahlkreis bekommt den Platz im Bundestag. 299 Kandidaten sind das in Deutschland. Dann kommen die Kandidaten von den Landeslisten. Je nach dem Anteil der Stimmen bekommt eine Partei Sitze im Bundestag. Bei 40 Prozent der Zweistimmen wären das 40 Prozent der Sitze im Bundestag. Die werden über die Listen vergeben, die die Parteien aufgestellt haben.

Und da gibt es noch was: Die Überhangmandate. Eigentlich sitzen im Bundestag 598 Abgeordnete. Wenn eine Partei mehr Wahlkreise direkt gewinnt, als ihr eigentlich durch die Zweitstimmen an Abgeordneten zusteht, darf sie trotzdem alle Abgeordneten in den Bundestag schicken. So werden es mehr Abgeordnete. Und jetzt kommen noch die neuen Ausgleichsmandate ins Spiel. Diese kompensieren die Überhangmandate. Die Zahl der Abgeordneten im Bundestag wird solange erhöht, bis das Größenverhältnis der Fraktionen im Bundestag dem Anteil der Zweitstimmen bei der Wahl entspricht. Diese Berechnung klingt nicht nur kompliziert, sie ist auch kompliziert. Gut, dass Wählen dagegen ganz einfach ist.

Illustration: Jamie Niederer, Text: Constantin Alexander, Gregor Landwehr

debatare.de 21


Jetzt macht schon mit! Was ist eigentlich aus Liquid Feedback als Partizipationswerkzeug geworden? Ist das Programm an der Praxis gescheitert oder ist die Debatte einfach eingeschlafen? Eine Bestandsaufnahme.

L

iquid Feedback sei nicht gescheitert, Partizipationstrend längt aufgenommen. Kaum eine Zeitung, antworten Lena Rohrbach und Andreas die keine Kommentarfunktion in ihrer Onlineausgabe hat. Und Pittrich, Kandidaten der Piraten für den auch das Fernsehen hat das Potenzial von diskutierfreudigen Bundestag. Liquid Feedback sei sogar Zuschauern entdeckt und neue Formate entwickelt. „Ein Beispiel regierungsfähig. „Ich glaube, dass wir gerade ist die ZDF-Sendung „log in“. Hier werden die Kommentare und wegen Liquid Feedback eine viel beständigere Fragen aus der Community einbezogen. Für die Moderatoren Politik als andere Parteien machen. Denn der Livesendung ist das eine Herausforderung. „Wenn ich mir in einer großen Partei mit vielen tausend zuweilen Diskussionen und Beiträge auf fremden Plattformen Auch die zunehmenden Bürgerproteste haLeuten gehen die Wechsel viel langsamer ansehe, bin ich wirklich froh, dass die Diskussion auf den ben dafür gesorgt, dass das Thema Partizivonstatten, weil der Meinungsbildungsprozess Plattformen von log in meistens so konstruktiv und wohlwollend pation bei vielen Parteien diskutiert wird. viel mehr Leute betrifft“, sagt Lena Rohrbach, ist“, so Moderator Wolf-Christian Ulrich. Kommentare löscht die auf der Berliner Landesliste der Piraten die Redaktion nur sehr ungern, abgesehen vom rechtlichen kandidiert. Hinter dem System steht eine Rahmen. Software, mit der es möglich sein soll, sich eine Häufig begegnet einem beim Thema Partizipation das Ziel, das Meinung zu politischen Themen zu bilden und Publikum ernst zu nehmen. „Ich glaube, dass sich die Leute Entscheidungen zu treffen. bei uns ernst genommen fühlen“, sagt auch Wolf-Christian Doch an dem Liquid-Feedback-Konzept gibt es Ulrich.“ viel Kritik. Für die meisten Kritikpunkte haben In den letzten Jahren hat sich viel verändert. Einen Teil die Piraten schon Verbesserungen in die Software zum Umdenken haben die Piraten sicher beigetragen. Das eingebracht. Auch für das Problem der geringen Internet kann ein rauer Ort sein, besonders für Politiker Beteiligung haben sie konkrete Ideen: „Wenn und Medienmacher. Die Partizipation kann die Seiten man das etablieren will, muss man sich Themen aufheben, sodass es nicht mehr den Politiker oder den heraussuchen, die den Leuten unter den Nägeln Redakteur auf der einen, und den Bürger oder den Leser brennen. Und man muss von Anfang an sagen, dass auf der anderen Seite gibt, sondern eine Verschmelzung es verbindlich ist. Dann machen die Leute mit“, ist beider Seiten. So sehr die Gegner dieser Internetkultur sich Piratenpolitiker Andreas Pittrich sicher. auch die Nachteile wie gesellschaftliche Entgleisung durch die Anonymität oder Verlagerung oder Verlust Bei der Enquete-Kommission „Internet und betonen, und so sehr sie damit zum Teil auch richtig digitale Gesellschaft“ des Bundestags kam die liegen, ist das Internet ein wunderbares Werkzeug Software „Adhocracy“ bereits zum Einsatz. Teil zur Kontrolle und Teilhabe der Bürger an Medien und Helke Ellersiek (Köln) der Enquete-Kommission war auch der SPD-Bun- Politik. Wer verstanden hat, dass die digitale Form der „hält die neuen digitalen Mögdestagsabgeordnete Martin Dörmann. „Wir wollen Partizipation schon aus der Gegenwart, erst recht aber lichkeiten für eine Bereicherung natürlich diese Ansätze weiterverfolgen, damit es aus der Zukunft, nicht mehr wegzudenken ist, könnte der Demokratie. Wir müssen lerauch bei anderen Gesetzgebungsverfahren mehr einer auf den ersten Blick vielleicht desinteressierten nen, sie zu erkennen, zu nutzen Möglichkeiten zur Kommentierung gibt“, sagt er. oder politikverdrossenen Jugend so gegenübertreten, und ständig zu verbessern.“ Auch verschiedene Medien haben den dass sie sich ernst genommen fühlt.

22 debatare.de


Was wollt ihr denn? In den vergangenen Jahren wurden sich die Parteiprogramme immer ähnlicher, heißt es. Trotzdem gehen die Parteien nicht in allen Punkten mit gleichen Forderungen in den Bundestagswahlkampf. Wir haben uns vier für junge Leute wichtige Themen einmal näher angeschaut.

Angebot an Doppelabschlüssen zu erhöhen. Alle fünf im Bundestag vertretenen Parteien setzen sich für mehr Frauen in Führungspositionen ein. Die Union möchte hierfür eine sogenannte Flexi-Quote einführen, bei der Unternehmen selbst verbindliche Quoten für Aufsichtsrat und Vorstand festlegen sollen. Grüne und Linke ziehen dem eine feste gesetzliche Quote von 50 Prozent vor, die SPD ist für einen Anteil Zusammenleben von 40 Prozent. Während CDU und FDP für von Branche zu Branche festgelegte Lohnuntergrenzen eintreten, fordern SPD, Grüne und Die Union – das heißt CDU und CSU Linke einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn. Dieser soll – tritt für die besondere Förderung bei der SPD 8,50 Euro betragen, bei den Grünen mindestens genauso Internet von Ehe und Familie ein. SPD, FDP, viel und bei der Linken 10 Euro. Alle Parteien sprechen sich für Grüne und Linke hingegen möchten einen modernen Datenschutz, eine die Ehe auch für gleichgeschlechtliche flächendeckende Versorgung mit einem Lebenspartnerschaften öffnen und diesen schnellen Internetzugang sowie für die gleichen Rechte, etwa bei der Adoption, Netzneutralität aus, bei der alle übertragenen zugestehen. Die zuletzt genannten Daten gleich behandelt werden. Die CDU will Parteien befürworten zudem die doppelte Deutschland „bis zum Ende des Jahrzehnts Staatsbürgerschaft sowie das Wahlrecht für zum digitalen Wachstumsland Nummer in Deutschland lebende Migranten. SPD und eins in Europa machen“ und wie die SPD FDP sind für ein kommunales Wahlrecht nach das öffentliche WLAN-Angebot in Städten fünf Jahren rechtmäßigen Aufenthalts, Grüne ausbauen. Die SPD sieht einen Internetzugang und Linke wollen das Wahlrecht auf allen als „demokratisches Bürgerrecht“ an und Ebenen. CDU/CSU lehnen beide Forderungen möchte „mehr Transparenz staatlichen ab. Dafür möchte die Union zur Erhöhung Wissens“ durch sogenannte Open-Datader Sicherheit die Videoüberwachung „an Projekte, welche vorhandene öffentliche Daten Brennpunkten, wie etwa auf Bahnhöfen verfüg- und nutzbar machen sollen. FDP, Grüne Europa verstärken“. SPD, Grüne und Linke möchten und Linke lehnen die anlasslose Speicherung außerdem das Wahlalter auf allen Ebenen auf Die FDP will auf lange Sicht einen europäischen Bundesstaat personenbezogener Daten durch öffentliche 16 senken. der durch eine europaweite Volksabstimmung legitimiert ist. Stellen ab („Vorratsdatenspeicherung“). Das Wie die Linke will sie die Rechte des Europäischen Parlaments Wahlprogramm der Linken sieht darüber stärken, damit es zum Beispiel selbst Gesetzesvorschläge hinaus vor, die Telekommunikationsnetze einbringen kann. Die CDU strebt langfristig eine in öffentliches und gemeinwirtschaftliches europäische Armee an und möchte wie die FDP dafür Eigentum zu überführen. werben, das deutsche Modell der dualen Ausbildung auch in anderen europäischen Ländern einzuführen. Die SPD fordert eine Gewaltenteilung wie in den Nationalstaaten auch auf europäischer Ebene und eine Art EUBildung & Arbeit Regierung in Gestalt einer ausgebauten Europäischen CDU, SPD, FDP und Grüne befürworten nationale Kommission, die dann vom EU-Parlament gewählt Bildungsstandards zur besseren Vergleichbarkeit und kontrolliert würde. Die Grünen unterstützen von Schulabschlüssen. SPD, Grüne und Linke wie die SPD eine sogenannte Jugendgarantie, mit der wiederum wollen das Angebot an Ganztagsschulen junge Leute in der EU nach höchstens vier Monaten ausbauen. SPD und Linke möchten zudem eine eine Arbeitsstelle, einen Ausbildungsplatz oder eine kostenfreie Bildung von der Kindertagesstätte Weiterbildungsmöglichkeit bekommen sollen. Die bis zum Studium durchsetzen. Des Weiteren Linke hat sich neben der Einrichtung europaweiter plant die Linke, alle Zugangsbeschränkungen öffentlich-rechtlicher Medien das Ziel gesetzt, Okan Bellikli (Freiburg) für ein Studium abschaffen. Die FDP fordert basisdemokratische Elemente wie verbindliche „hofft, dass vom Wahlgewinnerdie „selbstverwaltete und eigenverantwortliche Volksbegehren, zu schaffen und auszubauen und Programm zur Abwechslung mal Schule und Hochschule“ sowie mehr internationale möchte Sozialstaatlichkeit als zentralen Wert möglichst viel umgesetzt wird.“ Zusammenarbeit zwischen Universitäten, um das europäischer Politik etablieren.

debatare.de 23


Berufswahl Gerade mit der Schule fertig und schon auf dem Weg in den Bundestag. Diese drei Abiturienten treten bei der Wahl an. Doch was treibt sie an, und wie sind ihre Chancen wirklich, Abgeordnete zu werden?

Lars Schellhas

Linus Stieldorf

Lars Schellhas ist 18 Jahre alt, hat gerade Gröhe, der dafür „keine Zeit hat“, sagt er angriffslustig. Mit 83,3 Prozent wurde der 18 Jahre alte sein Abitur am Quirinus-Gymnasium in Linus Stieldorf von der FDP Heinsberg zum Aber trotz seines jungen Alters ist Schellhas schon lange Direktkandidaten für die Bundestagswahl geNeuss mit einem Notendurschnitt von 1,3 kein politischer Neuling mehr: Bereits seit drei Jahren wählt – noch bevor er sein Abitur in der Tasche gemacht und wird ab Oktober an der RWTH Aachen Maschinenbau mit Spezialisierung auf ist er Sprecher der Grünen Jugend in Neuss, sorgte hatte. Einen Gegenkandidaten gab es damals dafür, dass die Gruppe auf mittlerweile über 20 Jugend- nicht. Energietechnik studieren. Vorausgesetzt, dass liche und junge Erwachsene angewachsen ist. Für die er ab September keinen Platz im Bundestag Grünen engagiert er sich, weil er an Veränderungen Für die FDP hat er sich schon mit Alter von 14 besetzt. Denn er kandidiert für die Grünen im durch Politik, aber auch in ihr glaubt. Er sagt über sich Jahren entschieden. „Mir lag das Wahlprogramm Wahlkreis Neuss I. selbst, dass er seinen Beitrag leisten möchte, um die und die Ausrichtung der Partei am nächsten. Die Er tritt am 22. September gegen einen denkbar Welt ein Stückchen besser zu machen. Seine Haupt- Freiheit des Einzelnen steht im Mittelpunkt, und schweren Gegner an, den CDU-Generalsekretär themen: Eine Energiewende, die für und mit den Menschen werden mehr Anreize geboten, wieder Bürgern gestaltet wird und damit einhergehend ein zu arbeiten“, sagt er. Hermann Gröhe. Die Sicherheit, im Falle einer Klimaschutz, der es auch den zukünftigen GeneNiederlage doch noch über die Landeliste gewählt rationen erlaubt, gut auf dieser Erde zu leben. Über Und seine politischen Positionen weiß er gut zu werden, hat er nicht. Denn die Landesliste wurde vor seinem 18. Geburtstag gewählt, und diese globalen Themen kam Schellhas zur internationalen zu vertreten: Am liebsten redet der Jugendliche Politik, die für ihn in vielen Bereichen der Politik, eine über sein Thema Schuldenabbau. Auf einem Lars konnte noch nicht gewählt werden. sehr wichtige Rolle spielt. Ortsparteitag der FDP Übach-Palenberg sagte er: Für zu jung hält er sich dennoch nicht: „Ich bin „Politik darf nicht auf Kosten der Jugend gehen, unverbraucht, habe Energie und Ideale, die meine deswegen bin ich gegen ein Athen an der Spree, fehlende Lebenserfahrung teilweise ausgleichen gegen ein Athen am Rhein und gegen ein Athen können“, sagt er. Für alles Weitere habe er tathier im Kreis Heinsberg”, wie er die finanzielle kräftige und erfahrene Unterstützung von Partei Lage im Bund, Land und vor Ort polemisch und Freunden, wie er sagt. Von älteren Kandidaten beschreibt. Sein zweites großes Thema ist die will sich Schellhas im Wahlkampf vor allem durch Abschaffung von Verboten. Der Bürger müsse so einen aktiven Internet- und Straßenwahlkampf zur Mündigkeit erzogen werden, dass Verbote, wie abheben. Auch einen „Drei-Tage-Wach-Stand“ in etwa das Heizpilzverbot, Plastiktütenverbot oder der Innenstadt hat er geplant, insgesamt will er mehr das Zigarettenverbot, überflüssig werden. Vielmehr Straßenwahlkampf machen – mehr als Hermann müsse auf Aufklärung und Eigenverantwortung

24 debatare.de


Linus Vollmar gesetzt werden, denn Politik ist für Linus „Ich stelle mich den Menschen als derjenige vor, der ich bin. Ein Stieldorf etwas, das den Bürger in Ruhe lässt, 19 Jahre alter Abiturient.“ Linus Vollmar weiß, dass er erst wenig aber nicht im Stich. Hieraus leitet sich seine politische Erfahrung sammeln konnte. Dennoch hat er das Motivation ab: Er möchte Politik transparenter Vertrauen seiner Partei, der FDP in Berlin-Pankow bekommen, und einfacher machen. Und wie viele Politiker um bei der Bundestagswahl als Direktkandidat anzutreten. weiß er auch, auf Rot-Grün zu schimpfen, Sollte er in den Bundestag gewählt werden, möchte er die er vor allem für den „Verbote-Wahn“ sich dafür einsetzen, dass junge Menschen stärker in die verantwortlich macht. Die FDP sei hingegen die politischen Entscheidungsprozesse einbezogen werden. Partei gegen unnötige Subventionen, und für Denn oft werden Entscheidungen nur in Hinblick auf kürzere mehr Bürokratieabbau. Zeitabstände getroffen und Konsequenzen für zukünftige Generationen werden außer Acht gelassen, findet er. Doch Politik ist nicht seine einzige Leidenschaft: Erst während eines Auslandsjahres in den USA hat er In seiner Freizeit spielt er Golf oder läuft begonnen, sich für Politik zu interessieren. Direkt nach regelmäßig. Sollte es mit dem Einzug in den seiner Rückkehr 2011 trat er bei den Jungen Liberalen und Deutschen Bundestag im September nicht später dann in die FDP ein. Dass er sich für die Liberalen klappen, dann möchte er ab dem Wintersemester entschieden hat, hat auch mit seinem familiären Politikund Ostasienwissenschaften mit Hintergrund zu tun. Während der DDR-Diktatur haben Schwerpunkt Chinesisch in Bochum studieren. seine Eltern aktiv gegen das Regime und für die Freiheit gestritten und dabei Unterdrückung, Bespitzelung und sogar Misshandlungen durch das Regime ertragen müssen. „Das Verhältnis zur Freiheit war in meiner Familie schon immer ein besonderes. Da habe ich die FDP als die einzige deutsche Partei, die sich gegen die Bevormundung durch den Staat, Gleichmacherei und Freiheitseinschränkungen einsetzt, schnell als meine politische Heimat gefunden.“

Seine Chancen, im September tatsächlich gewählt zu werden, schätzt Linus Vollmar als eher gering ein, weil es ein FDP-Kandidat im eher linken Pankow nicht gerade leicht hat: „Dennoch werde ich mein Bestes geben, den Menschen zu vermitteln, das eine starke FDP im Bund wie auf kommunaler Ebene stellvertretend für Wachstum, Chancengerechtigkeit und Bürgerrechte steht.“ Sollte es dennoch nicht klappen, wird er Jura studieren – entweder in Tübingen oder in Heidelberg.

Nora Jakob (Köln) „findet es bemerkenswert, mit welcher Selbstverständlichkeit diese drei Abiturienten schon ihre Politik vertreten.“

debatare.de 25


Engagiert, aber chancenlos Neben den fünf großen Parteien finden sich auf dem Wahlzettel zahlreiche sogenannte Kleinparteien. Ihre Chancen, ins Parlament einzuziehen sind gering. Und doch engagieren sich

Die Viole tten

H a m bu r

g

die Mitglieder, um ihre Themen ins Gespräch zu bringen, auch wenn der Weg zur tatsächlichen Mitbestimmung in Regierung oder Opposition unwahrscheinlich ist.

T

homas Bezler steht mit einem Stand Die erste Hürde für Kleinparteien ist der Bundeswahlausschuss die Kleinparteien vor dem Wahlausschuss der Partei „Die Violetten“ in der überzeugt haben, bleiben ihnen noch zehn in Berlin. Das Gremium tagte dieses Jahr am 4. und 5. Juli, und Waiblinger Altstadt in Baden-WürttemTage, um ihre Listen zu komplettieren. Die entschied zunächst über die Anerkennung der Parteien, dabei berg. Er versucht Menschen für die Ideen zugelassenen Parteien haben mit mindesgibt es ausdrücklich keine Einschätzung zum Inhalt ab. 38 seiner Partei zu begeistern und ihnen eine Parteien haben seither die Möglichkeit, sich am 22. September tens 200 Unterschriften die Möglichkeit, Unterschrift abzuringen. Es sind nur noch zur Wahl zu stellen. Bei seiner Entscheidung unterteilt der einen Direktkandidaten für die Kreiswahlen zwei Tage bis zum Ende der Abgabefrist anzumelden, und mit bis zu 2000 Bundestagswahlausschuss in etablierte und nicht etablierte für die Unterstützerunterschriften bei der Unterschriften können sie beim jeweiligen Parteien: Zu den neun etablierten gehören diejenigen Landeswahlleiterin in Stuttgart. 2000 Landeswahlleiter ihre Landesliste einreichen. Parteien, die seit der letzten Wahl mit mindestens fünf müssen es schließlich insgesamt sein, und Die Zahlen variieren je nach Bundesland. Abgeordneten im Bundestag oder in einem der Landtage ihm fehlen noch zwischen 200 und 300 vertreten sind. Diese Hürde hat die „Bürgerrechtsbewegung beglaubigte Unterschriften. Man kann die Solidarität“ (BüSo) bereits genommen. Stephan Anspannung des Familienvaters spüren. Kleinparteien bringen Vielfalt Ossenkopp steht lässig-sommerlich gekleidet In den vergangenen Wochen hat er um die Bei den nicht etablierten finden sich unter anderem die in der Stuttgarter Fußgängerzone und gibt 20 Stunden pro Woche ehrenamtlich in Partei „Gesunder Menschenverstand Deutschland“ (GMD), Vorbeikommenden Infomaterialien oder den Wahlkampf investiert. „Die Violetten“ die Partei Bibeltreuer Christen(PBC) oder die „Marx- die parteieigene Zeitung „Neue Solidarität“ fordern unter anderem ein bedingungsloses istisch-Leninistische Partei Deutschlands“ (MLPD). Sie mit auf den Weg. Die Reaktionen gehen weit Grundeinkommen. Sie möchten damit allen haben mit inzwischen 26 weiteren Parteien gemein, dass auseinander: Einige zeigen Interesse und stellen Menschen existenzielle Sicherheit sowie die sie sich mit einer so genannten Beteiligungsanzeige für Fragen, andere wenden sich demonstrativ Möglichkeit für das Ausleben von Kreativität die Zulassung zur Wahl bewerben müssen. Darin liefern ab, und wieder andere sind irritiert, weil sie und Eigeninitiative bieten, erklärt Bezler. Was sie Informationen und Belege über ihre Mitgliedertatsächlich keine andere Partei kennen, die nicht viele Passanten an diesem Vormittag nicht zahlen, ihren Wahlkampf sowie ihre politischen im Bundestag oder in den Medien vertreten ist. begreifen, ist, dass sie mit ihrer Unterschrift Aktivitäten. Ebenfalls in diesen Kreis der Kleinparteien nicht ihre Wahlentscheidung vorziehen oder gehören DIE PARTEI, die vor vier Jahren noch vom Ossenkopp resümiert aus seinem bisherigen gar direkt in die Partei eintreten, sondern dass Wahlausschuss abgewiesen wurde, oder auch die An- Wahlkampf: „Viele fühlen sich durch die sie einer von vielen kleineren Parteien über die fang 2013 gegründete „Alternative für Deutschland“ Bundestagsparteien nicht vertreten.“ Unter Unterschriften-Hürde helfen und die Vielfalt auf (AfD). Zum ersten Mal wurde eine ursprünglich anderem deshalb positioniert er sich gerne hier in dem Wahlzettel erweitern. abgelehnte Partei vom Bundesverfassungsgericht der baden-württembergischen Landeshauptstadt zur Bundestagswahl zugelassen. neben seinem Tischchen. Der 43-Jährige ist „Das politische System der Bundesrepublik nachträglich Zwölf Parteien hatten in Karlsruhe gegen ihre selbst vor zehn Jahren auf diese Weise auf die Deutschland ist – aufgrund der schlimmen Ablehnung geklagt, Recht bekam nur die „Deutsche Partei aufmerksam und Mitglied geworden. Erfahrungen der Zeit davor – auf Stabilität ausNationalversammlung“ (DNV). Zu den Lieblingsthemen der „BüSo“ gehört die gelegt. Das erklärt die vielen Hürden, institutionTrennung von Geschäfts- und Investmentbanken. ellen Vetopunkte und Blockademöglichkeiten“, Hürde Nummer zwei umfasst die bereits Seine Partei habe als einzige in Deutschland sagt Professor Daniel Buhr, Politikwissenschaftler genannten Unterstützerunterschriften: Nachdem von Anfang an vor dem Zusammenbruch des an der Universität Tübingen.

26 debatare.de


Teilfinanzierung. Entscheidend für die Verteilung ist die Verwurzelung der Parteien in der Gesellschaft. Gemessen wird diese anhand der Wahlerfolge und der Summe ihrer Einnahmen aus Beiträgen, Spenden und Vermögenswerten. Wer bei der letzten Europa- oder Bundestagswahl weniger als 0,5 Prozent oder bei einer der jeweils letzten Landtagwahlen weniger als ein Prozent der Zweitstimmen erreichte, geht leer aus. Das Gleiche gilt für die Parteien mit weniger als zehn Prozent der Erststimmen in einem Wahl- oder Stimmkreis. Auf die Frage, ob er sich auch vorstellen könne, in einer Partei aktiv Und die dritte Hürde müssen die Parteien bei der Wahl überwinden: In zu sein, die am Ende mehr Aussichten den Bundestag ziehen nur Parteien ein, die mindestens fünf Prozent der auf Mitsprache hat, antwortet er: „Mit Zweitstimmen auf sich vereinen. Parteien mit geringerem Stimmanteil vielen Individuen der anderen Parteien werden bei der Vergabe der Mandate nur berücksichtigt, wenn sie kann man sich gut unterhalten, aber mindestens drei Direktmandate erhalten. Diese Regelung verhindert, der Einzelgänger in einer großen dass zu viele sehr kleine Parteien im Parlament vertreten sind und es so Partei zu sein, das kann ich mir nicht zu einer starken Zersplitterung kommt. vorstellen.“ Da seien inhaltlich einfach zu große Unterschiede. „Ich will keinen Thomas Bezler von „Die Violetten“ plädiert dagegen für Parteienvielfalt. innerparteilichen Kampf, ich will Bür„Wenn man eine wirklich gute Idee beziehungsweise für ein Problem ger überzeugen.“ die ideale Lösung hat, dann findet diese auch in einem zersplitterten Parlament eine Mehrheit.“ Deshalb sollten die Hürden niedriger Finanzierungsprobleme angesetzt sein oder es müsse in Zukunft auch einfachere elektronische Möglichkeiten geben, um die Stimmen der Befürworter zu sammeln. Eine zusätzliche Hürde, gerade auch Und der Bundestagskandidat der Violetten kann sich gut vorstellen, für neu gegründete Parteien, ist die dass einige Kleinparteien sich nach der Wahl zusammenschließen, Finanzierung: um beim nächsten Mal den etablierten Parteien mehr entgegen halten zu können.
 Die Verteilung der staatlichen Mittel erfolgt jedes Jahr über eine allgemeine spekulativen, globalisierten Weltfinanz- und wirtschaftssystems gewarnt und eine neue gerechte Weltwirtschaftsordnung gefordert, so Stephan Ossenkopp.

Simone Oehl (Tübingen) „will sich den Wahlzettel auf jeden Fall bis zur letzten Partei durchlesen, bevor sie ihr Kreuzchen setzt.“

Ein Zeichen des Kampfes Mariana Zoplear, 19-jährige Jura-Studentin aus Brasília, ist in der Hauptstadt Brasiliens mehrfach auf die Straße gegangen. Im Interview erzählt sie von ihren Motiven, Erfahrungen und Wünschen für die Zukunft. Mariana, warum bist du protestieren gegangen?

Was hältst du denn allgemein von Politikern?

Die brasilianischen Politiker sind oft inkompetent und Die politische Situation in Brasilien stört mich. korrupt, sie halten ihre Versprechen nicht und belügen Ich will mich schon lange daran beteiligen sie die Bevölkerung, die glaubt, dass irgendwas geändert zu ändern. Als die Protestwelle losbrach, sah ich wird. Dennoch sollte man nicht nur ihnen die Schuld an darin meine Chance. Ich will helfen, Brasilien Missständen geben. Da wir eine Demokratie sind, liegt die zu einem besseren Lebensraum für alle Bürger Schuld auch bei der gesamten brasilianischen Bevölkerung. hier zu machen. Insgesamt habe ich dann an drei Sie wählt die falschen Leute, spiegelt also die politische großen Protesten teilgenommen. Gerne wäre ich Situation in Brasilien wieder. noch häufiger auf die Straße gegangen, das ging leider zeitlich nicht. Die Regierung hat als Antwort auf die Proteste Und wie war es, zu protestieren? einige Veränderungen in Gang gesetzt. Die Preise von öffentlichen Verkehrsmitteln Für mich war es eine sehr außergewöhnliche zum Beispiel wurden gesenkt. Erfahrung. Es schien mir, als würde die Bevölkerung Bist du mit diesen Veränderungen zufrieden? die Kuppeln des Kongresses hier in Brasília zum ersten Mal wirklich wahrnehmen und sich um das Allein der Fakt, dass die Bevölkerung erhört wurde, ist Recht, was dahinter geschehen sollte, kümmern. schon ein großer Schritt. Einige Forderungen wurden Die Proteste waren ein Zeichen des Kampfes, von sofort umgesetzt, und im Rahmen der Möglichkeiten Ausdauer und Mut. In jedem Moment hätte die sind die anderen dabei, umgesetzt zu werden. Es bringt nichts, tausend Veränderungen auf einmal zu Polizei eingreifen können. Bei solchen Eingriffen sind einige Tragödien passiert, es gab Verletzte. Aber wir fordern, das ist unmöglich umzusetzen. Ich denke, ließen uns nicht unterkriegen. Die Politiker mussten dass sich Vieles noch ändern muss, aber es ist viel wert, dass wir überhaupt etwas erreicht haben. einsehen, dass sie mit der Polizei nicht weit kommen.

Wie glaubst du, entwickeln sich diese Veränderungen? Wie siehst du deine persönliche Zukunft? Ich möchte mal eine erfolgreiche Anwältin werden, ich möchte durch meine Arbeit dazu beitragen, dass sich unser Land positiv weiter entwickelt, und ich möchte Personen helfen, die Hilfe benötigen. Ich hoffe, dass Brasilien sich zu einem gerechteren Land entwickelt, in dem das rechtskonforme Handels zur Normalität wird und Straftaten auch wirklich verfolgt und in angemessenem Maße bestraft werden. Das Interview führte Lara Müller.

Mariana Zoplear

debatare.de 27


Für ein besseres Leben In vielen Ländern gibt es Protestbewegungen. Aber wer protestiert da noch mal und warum? Und wie kam es überhaupt dazu? Hier haben wir eine Übersicht der wichtigsten Proteste weltweit.

Brasilien Insbesondere Jugendliche demonstrieren seit Anfang Juni im größten Land Südamerikas. Begonnen hat es mit Protesten gegen die Fahrpreiserhöhungen für öffentliche Verkehrsmittel in Rio de Janeiro. Doch schnell wurde daraus eine Massenbewegung im ganzen Land. Dabei beteiligen sich die Menschen aus ganz verschiedenen Motiven und Motivationen an den Protesten. Zum einen sind sie mit der Regierung nicht zufrieden, zum anderen protestieren sie gegen die Verschwendung öffentlicher Gelder für Spektakel wie die Fußball-WM, während ein schlechtes Gesundheits- und Bildungssystem die Bürger plagt und die mangelhafte Aus-

bildung zu Perspektivlosigkeit bei vielen jungen Leuten führt. Zwar ist Brasilien kein armes Land, dennoch gibt es viel Korruption, und das Geld ist sehr ungerecht verteilt. Was die Demonstranten verbindet, ist die Ablehnung gegen den Staat, der ihrer Meinung nach nicht für die Interessen und das Wohl der Bürger einsteht. Durch die Proteste nahmen zahlreiche Stadtregierungen ihre Fahrpreiserhöhungen zurück, und der Zusammenhalt und die Aktion der Protestanten können sowohl das Bewusstsein verändern, als auch Ideengeber für einen zukünftige Entwicklung sein.

Türkei

Angelika Mandzel (Heidelberg)

28 debatare.de

„findet, dass man alles verändern kann. Wiederstand ist nötig, damit das, was nicht passt, nicht länger geschieht.“

Seit Ende Mai sehen wir aus der Türkei Bilder, auf denen Polizisten Demonstranten mit harten Wasserstrahlen beschießen und verletzen. Dieser Einsatz brutaler Gewalt führte zu noch mehr Ablehnung der Regierung, zu zahlreichen Verletzten und zu einem größeren Wunsch nach einer baldigen Veränderung. Doch weshalb kam es zu den Aufständen, die Ende Mai in Istanbul begannen? Anlass waren die Pläne zur Bebauung im Gezi-Park, der letzten grünen Oase in der Innenstadt. Der Gezi-Park wurde zum Zentrum für landesweite Aufstände, in der die Unzufriedenheit der Protestanten über die türkische Regierung längst wichtiger wurde, als das Problem, ob und was in Istanbul gebaut werden sollte. Doch der konservative Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan glaubt, als gewählter Repräsentant den Willen des Volkes in

seiner Macht zu haben. Viele türkische Medien selbst berichteten über andere Proteste auf der Welt mehr, als über die Ereignisse im eigenen Land. Anfang Juli entschied ein Gericht, dass im Gezi-Park nicht gebaut werden darf. Dennoch ist der Wunsch nach einer demokratischen Türkei weiterhin unerfüllt. Die Bürger sehnen sich nach Toleranz, Respekt und echter demokratischer Teilhabe, genau das, was trotz friedlicher Demonstrationen durch Gewalteinsatz und vielen Festnahmen verkannt wurde. Die Freiheit, sich öffentlich zu versammeln, sowie die Meinungsfreiheit sind in der Türkei, so zeigen es die Ereignisse, keine selbstverständlichen Grundrechte. Gerade die Missachtung freiheitlichdemokratischer Grundwerte steht der Zufriedenheit der Bürger und wohl auch der Frage eines EU-Beitritts im Weg.


Ägypten Ermutigt durch die Ereignisse in Tunesien kam es Anfang 2011 zu einem politischen Umbruch in Ägypten. Proteste gegen das Regime des damaligen Staatspräsidenten Husni Mubarak waren nicht neu, denn dieser regierte 30 Jahre lang auch durch Manipulationen von Wahlen. Die Ruhigstellung der Aufstände durch den Gewalteinsatz der Polizisten ließ den Wunsch nach mehr Demokratie und einem Neuanfang für das verarmte Land immer größer werden. Die breite Unterstützung der Jugend und der Arbeiterschaft führte die Ägypter auf die Straßen und besonders auf den Tahrir-Platz, wo sie eine Änderung des

politischen Systems, der sozialen und wirtschaftlichen Situation forderten. Die Botschaft der Demonstranten verbreitete sich schnell durch die elektronischen Medien und führte zur Organisation der Proteste über Facebook und Twitter. Als die Situation durch das gewaltsamen Vorgehen der Staatssicherheitskräfte eskalierte, drängte der Oberste Militärrat – das Führungsgremium der ägyptischen Streitkräfte – Husni Mubarak zum Amtsverzicht und übernahm am 11. Februar 2011 unter Führung des Verteidigungsministers Muhamed Hussein Tantawi offiziell die Macht. Trotz des Rücktritts änderte sich zunächst nichts an den

gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen. Der Militärrat wollte die Macht nicht an ein von Bürgern geführtes Gremium übertragen. Während der konservative Flügel einen weitreichenden Umbau der Gesellschaft nach islamistischen Vorstellungen anstrebt, tritt ein reformistischer Flügel für einen zivilen Staat mit religiösem Referenzrahmen ein. Der Handlungsspielraum der zukünftigen politischen Führung wird vor allem durch das mächtige Militär beschränkt. Zwar wurde 2012 ein neues Parlament gewählt, die Wahl wurde jedoch für ungültig erklärt. Der 2012 neu gewählte Staatspräsident Mohammed Mursi

wurde nach Massenprotesten im Juni 2013 vom ägyptischen Militär wieder abgesetzt und festgenommen. Seine Anhänger fordern dessen Freilassung, Mursis Gegner hingegen feiern seine Absetzung. Zwischen den Ägyptern selbst kommt es also nun zu Auseinandersetzungen. Wie es im Land weitergehen wird, ist offen.

ung herrschender Familien und der ansteigenden Arbeitslosigkeit ein Ende setzen wollte. Die Zensur der Presse und die Unterbindung jeglicher Kritik ließ den Ruf nach Freiheit lauter werden, der einen Demokratisierungsprozess in Gang setzte.

stand zu leisten. Für den Sieg der Revolution über die 42-jährige Herrschaft von Muammar al-Gaddafi war die NATO-Intervention auf Basis der Resolution 1973 des UNSicherheitsrates wesentlich. Diese ermöglichte eine Militärintervention zum Schutz der Zivilbevölkerung. Nach dem Tod Gaddafis und durch den Sturz des Regimes steht Libyen vor der Aufgabe, einen völlig neuen Staat aufzubauen. Im März 2011 wurden Jugendliche verhaftet, die in Graffitis den Sturz des seit fünf Jahrzehnten herrschenden Baath-Regimes in Syrien gefordert hatten. Es folgte eine sich ausbreitende Protestwelle. Regimekritische Äußerungen sind den Syrern untersagt und endeten in Gefangennahmen und Folter. Von der Stadt Deraa bis zur Haupstadt Damaskus protestierten Syrer, auch

in den Großstädten Hama und Homs. Ausländische Journalisten durften nicht mehr einreisen, so stand nur die einseitige Berichterstattung der syrischen Medien zur Bewertung der Situation zur Verfügung. Die überwiegend jungen Protestierenden sind nicht länger bereit, alltägliche Demütigungen, Frustrationen und Unterdrückungen zu dulden. Zu einem endgültigen Zusammenbruch des Assad-Regimes kam es jedoch nicht. Der Staatspräsident Baschar Al-Assad ernannte jedoch eine neue Regierung, mit seinen Gefolgsleuten der Baath-Partei. Geschätzte 100.000 Menschen kamen durch die Auseinandersetzungen ums Leben, mehr als eine Million Syrer floh aus dem Land. Wie genau es weitergehen wird, ist unklar.

Arabischer Frühling

Der „Arabische Frühling” begann 2010 als eine Serie von Aufständen, Protesten und Revolutionen in der arabischen Welt, die sich gegen die autoritär herrschenden Regierungen und die politische und sozialen Ungerechtigkeiten richtete. Allen Staaten voran war Tunesien der Vorreiter und Katalysator. Aus lokalen Unruhen wurde dort ein Volksaufstand der zum Sturz des 23 Jahre lang regierenden Diktator Zine El Abidine Ben Ali führte. Auslöser der Bewegungen war im Dezember 2010 die Selbstverbrennung eines jungen Mannes ohne berufliche Perspektive in der Provinz Sidi Bouzid. Zahlreiche gut ausgebildete, dennoch arbeitslose Jugendliche bekundeten landesweit ihre Solidarität. Mit dem Versuch, die Proteste niederzuschlagen, wuchs die Demonstrationswelle, die der sozialen Ungleichheit, der Bereicher-

Nach dem Rücktritt des ägyptischen Präsidenten brachen auch in Libyen Aufstände aus, die von Beginn an von Gewalt geprägt waren. Wie in Ägypten und Tunesien waren die Demonstranten meist sehr jung, jedoch schlechter ausgebildet, als in den beiden Nachbarländern. Die zunächst anfänglich noch weniger organisierten Proteste mündeten bald in einen Bürgerkrieg. Militärs und hohe Diplomaten schlossen sich den Aufständischen an, um zum Schutz der Städte und ihrer Familien Wider-

Weitere Texte zum Thema

debatare.de 29


Politik auf dem Schild Politik auf dem Schild Klimawandel, Finanzkrise, Überwachungsskandal – lösen Politiker die Probleme oder sind sie selbst ein Teil dessen? Viele Jugendliche fühlen sich nur falsch repräsentiert von den Volksvertretern. Dabei könnten sie mit Aufrichtigkeit und Authentizität viel mehr gewinnen Unmöglichkeiten angepriesen werden, aber der Glaube fehlt, dass Wer sich auf das Schild stellt, hebt sich ab Während sich die Kanzlerkandidaten und gewinnt Profil. Wer einen Standpunkt das Angepriesene verwirklicht werden soll. Wie soll man sich auf um Volksnähe bemühen, hat die junge vertritt, legt sich fest. Ein Standpunkt macht dieser Grundlage für einen Kandidaten entscheiden? Generation größere Sorgen, als dass ihr angreifbar und setzt Verbindlichkeit voraus. der Himmel auf den Kopf fällt: Das ist Kehren wir zurück in das unbeugsame, gallische Dorf. Wer auf Wie soll man also mit Wahlversprechen bekanntlich die Phobie des Gallierhäuptlings dem Schild steht, macht sich von seinen Trägern abhängig. Es umgehen, die haltlos wirken? Wir können Majestix, der über dem Volk schwebt, von sie durchschauen, wenn wir lernen, uns kann schnell lächerlich wirken, wenn man auf plumpe Weise zwei Angestellten auf einem Schild durchs nicht von den schillernden Reden blenden runter fällt (Majestix stürzt in den Asterix-Abenteuern mehr als Leben getragen. Können uns die Abenteuer zu lassen. Wir können lernen, uns kritisch 20 Mal von seinem Schild). Was ist daran fatal? Die Inszenierung von Asterix helfen, Politik zu verstehen? mit den Inhalten auseinandersetzen. Und von Politikern gehört im heutigen, medienbestimmten Klimawandel, hohe Arbeitslosigkeit (v.a. im Politikbetrieb zu den wichtigsten Aspekten. Wenn der kantige, wir können Aufrichtigkeit und Authentizität EU-Ausland), eine scheinbar unendliche kalte Peer Steinbrück auf einer Pressekonferenz unerwartet einfordern. So kann eine neue Dynamik Wirtschaftskrise und internationaler weint, dominiert dieser emotionale Ausbruch tagelang die entstehen, die leere Versprechen überwindet Terrorismus: Obwohl die junge Generation und Veränderung möglich macht. Schlagzeilen. Jede Bewegung, jede Geste, jede Aussage wird derartige Meldungen gewohnt ist, spürt pedantisch überprüft und interpretiert. Fehler werden sie eine latente Verunsicherung und unerbittlich in den Mittelpunkt gerückt. Die Sensationsgier Haltlosigkeit. Politischer Willensdrang führt zu ständig neuen Gerüchten, Spekulationen und wirkt vorgespielt, Beschwichtigungen bei Enthüllungen. Wenn sich also Majestix lächerlich macht, ist Wahlkampfreden können das tiefe Brodeln das wesentlich lukrativer für die Medien, als eine sachliche, nur bedingt übertönen. Verlorenes Vertrauen inhaltliche Ankündigung oder ein vernünftiges Statement. kann nicht durch gutes Zureden weggewischt Somit fällt es schwer, bei einem Thema zu bleiben, wenn werden. Rastlosigkeit grassiert. eigentlich nur der nächste Skandal herbeigesehnt wird. Und das gilt für die ganze Generation. So kann Wie sollten also Inhalte und Inszenierung zueinander man konstatieren, dass die Sehnsucht nach stehen? Wenn die oberflächliche Wirkung über die einer grundlegenden Veränderung existiert, inhaltliche Tiefe gestellt wird, merkt man das irgendwann. aber nur vage formuliert werden kann. Und Wenn Politiker also Volksnähe versprechen, kann das man merkt auch, dass keiner der Kandidaten der auch nur der Vorwand sein, um inhaltliche Ratlosigkeit jungen Generation das Gefühl gibt, er oder sie zu überspielen. Wer mit der Masse verschmilzt, könne diese Veränderung herbeiführen. Es gibt muss sich nicht abheben. Denn dort fällt es nicht nicht dieses „Change“-Gefühl, das Barack Obama auf, wenn man keine Antworten hat, auf die Fragen bei seiner Kandidatur 2008 heraufbeschwören der Gegenwart. Wer im Volk verschwindet, wer sich konnte. Welcher deutsche Kanzlerkandidat hat der Festlegung verweigert, kann nicht angegriffen auch nur ansatzweise das Charisma, das Obama werden, weil es schlichtweg keine Angriffsfläche ausstrahlte? gibt. Verteidigungsminister Thomas de Maizière In den Medien rechnet man die Absurdität von drückte sich in der Drohnen-Affäre um die – von Wahlversprechen durch, die wie hohle Phrasen Joshua Groß (Nürnberg) ihm selbst eingeforderte – Verantwortung. Und erscheinen. Dabei verdankte die FDP ihre 14,6 % „spürt dem Politischen in der bei der Bundestagswahl 2009 hauptsächlich der Angela Merkel reagiert auf den Abhör-Skandal mit Popkultur nach.“ gewieftem Ausweichen. So droht Stagnation. utopischen Ankündigung, die Steuern zu senken. Eigentlich kann man niemandem vorwerfen, nach dem Unmöglichen zu streben. Es ist nur so, dass

30 debatare.de


All cou can vote Wer wo sein Kreuzchen macht, ist auch eine Sache des Bauchgefühls. Das kann im weltweiten Vergleich so unterschiedlich sein wie auch das Essen selbst. Ein kulinarisch angehauchter Blick auf die Wahl-Unterschiede weltweit.

A

ndere Länder, andere Sitten – was für dient das so genannte „Instant-Runoff-Voting“: Die Stichwahl wird gleich im ersten Wahlgang integriert. Nicht mit einem das Essen gilt, ist auch beim Wählen Kreuz wird der Kandidat des Vertrauens markiert, sondern eine nicht anders. Was dem Bayer das Seidl Bier Rangfolge unter den Kandidaten festgelegt. Beim Auszählen zur Schweinshaxe, ist dem Inder der Lassi werden die Kandidaten, die am seltensten auf Position eins zum scharfen Curry. Den erfrischenden stehen, gestrichen, die anderen Kandidaten rücken nach. So Joghurtdrink haben sich die indischen Wahlhelfer aber auch tapfer verdient: wird weiter verfahren, bis einer der Kandidaten über 50 Prozent der Stimmen erhält. Während bei uns in Deutschland die Im Land der unbegrenzten Burgerauswahl läuft es im Wahllokale zehn Stunden geöffnet haben, Wahlkampf dagegen eher wie bei der Entscheidung zwischen dauert die Wahl in Indien einen ganzen Majo oder Ketchup: blau oder rot, Demokrat oder Republikaner. Monat. 714 Millionen Wahlberechtigte Das Burger-Pommes-Gericht nach Wahl ist aber wohl eines waren 2009 aufgerufen, für eine der mehr der teuersten der Welt. Rund sechs Milliarden Dollar hat der als 1000 Parteien zu stimmen. Dabei wurde die Wahl von 2,1 Millionen Sicherheitskräften Wahlkampf 2012 gekostet, umgerechnet circa 4,5 Milliarden Euro. Zum Vergleich: In Deutschland wird mit 50 Millionen überwacht, während die Inderinnen und Euro für den Wahlkampf 2013 gerechnet. Was in den USA Inder geduldig an den 828.800 Wahllokalen über Spenden der Wirtschaft und von Privatpersonen warteten. Zum Vergleich: In Deutschland gab finanziert wird, ermöglicht hierzulande eine staatliche es 2009 gerade mal 600.000 Wahlhelfer. Nach Parteienfinanzierung. der Stimmabgabe wird der indische Finger mit Tinte markiert, damit die Wähler nicht In Deutschland bestimmen die Parteien ohne großes mehrmals abstimmen. In Deutschland reicht Aufsehen ihre Spitzenkandidaten. In Amerika dagegen werden die Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen in ein kleiner Haken auf der Wahlliste. den sogenannten Primaries gewählt. Aber der Kandidat Das Sternzeichen von Angela Merkel und Peer wird nicht direkt gewählt, sondern Delegierte. Von ihnen Steinbrück? Nicht relevant für die Wahl? Am ist aber bereits bekannt, für welchen Kandidaten sie japanischen Wahltisch ist das ganz anders. Denn abstimmen. Ein Happy Meal ganz ohne Überraschung. bevor die Japaner wählen gehen, wollen sie über die Blutgruppe des Kandidaten Bescheid wissen, um damit Rückschlüsse auf die Persönlichkeit zu ziehen. Der Kontrahent der letzten Wahl, Naoki Takashima, hatte Blutgruppe 0: Laut Deutung sei er gesellig und optimistisch, aber auch arrogant und unhöflich. Die Entscheidung fiel schließlich auf Shinzo Abe. Er hat Blutgruppe B und gilt so als aktiver, starker Macher. Wo Deutsche aus Wahlhunger die Kabinen Benedikt Seidl betreten, werden Australier zwangsernährt: In „fühlt sich oft von den Down Under herrscht Wahlpflicht. So schaffen Möglichkeiten einer Speisekarte überfordert.“ die australischen Bürger eine Wahlbeteiligung von knapp 94 Prozent. Zur Besänftigung der Wähler

Stefanie Singer „weiß weder, was sie heute zu Mittag isst, noch was sie am 22. September wählen wird.“

debatare.de 31


Anzeige


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.