Debatare - Magazin für politische Debatten #0

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21. bis 25. M채rz \\ Veranstaltungszeitung zur Linken Medienakademie 2012 in Berlin

Der letzte Linke

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Der erste Pixelpinsler Seite 18


Was ist ? Nicht Meldung, sondern Meinung. Nicht Tempo, sondern Tiefgang. Nicht monomedial, sondern multimedial: Das ist der Anspruch von Debatare. Debatare ist ein neues Magazin – gemacht von jungen Journalisten. Die junge Perspektive bringt frische Ideen und neue Ansätze in die Berichterstattung. Der kultivierte Streit ist ein zentraler und notwendiger Bestandteil des menschlichen, gesellschaftlichen Lebens. Ohne kritisches Hinterfragen von bestehenden Positionen und den fortwährenden Zwang zur besseren Begründung von Standpunkten fehlen wichtige Motoren für gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Fortschritt. In dieser Tradition hinterfragt Debatare und bietet Meinungen und Hintergründe.

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Fotos: Armin Linnatz, Hans Wollny. Montage: debatare


Der Mensch dahinter Es gibt Menschen, die kennt scheinbar jeder. Aber die Person dahinter kennen nur sehr wenige. Denn das, was wir über sie wissen, wissen wir nur durch die Medien. Sie bestimmen, was wir sehen, wie wir sehen, und somit am Ende auch, was wir denken. Bilder transportieren Eindrücke, die uns auf Wirklichkeit schließen lassen. Dass dahinter nicht immer die Wirklichkeit steht, ist im Zuge der digitalen Bildbearbeitung für fast jeden leicht erlernbar geworden. Einer der ersten, der sich in Deutschland mit den Möglichkeiten der Bildbearbeitung am Computer befasst hat, ist Hans Baumann. Mit ihm sprachen wir über die Glaubwürdigkeit von Bildern. Die andere Seite im Wechselspiel von Medien und Politik hat Gregor Gysi im Blick. Als Politiker überlegt er sich, wie er seine Inhalte rüberbringen kann. Und er reflektiert über das Verhältnis der Linken zu den Medien. Das ist, kurz gesagt, kompliziert. Mit linken Medien abgeschlossen hat der Publizist Henryk M. Broder bereits. Für ihn ist linker Journalismus Gefälligkeitsjournalismus. Was ihn noch an linkem Journalismus stört, hat er im Interview erklärt. Bei der Linken Medienakademie in Berlin trafen sich Medienmacher aus ganz Deutschland. Dabei ging es auch um die Arbeitsbedingungen in der Branche. Welche Probleme es gibt, wenn Journalisten streiken, erläutern Gewerkschafter im Heft. Aber egal auf welcher Seite, ob auf Seite der Medien oder der Politik. Dahinter steht immer ein Mensch. Den Einzelnen im Blick – und dabei das große ganze nicht aus den Augen verlieren. Das wäre doch ein schöner Anspruch, für Medien und Politik. Gregor Landwehr

IMPRESSUM Diese Ausgabe von Debatare entstand auf der 9. Linken Medienakademie, die vom 21. bis 25. März 2012 in Berlin stattfand.

Herausgeber: debatare - Akademie für neuen Journalismus gemeinnützige UG (haftungsbeschränkt. Vertreten durch: Gregor Landwehr, Sebastian Serafin. Anschrift: Friedrichstraße 95, 10117 Berlin, HRB 139826 B, Amtsgericht Berlin-Charlottenburg. Internet: www.neuer-journalismus.de, info@neuer-journalismus.de. Telefon: 030/3993.0212. Fax: 030/3993.0209

Chefredaktion (V.i.S.d.P.): Barbara Engels, Christina Quast, C. Gregor Landwehr. Redaktion: Stella Napierella, Natalia Weicsekova, Katja Herzberg, Nalan Sipar, Michael Wahl, Ralph Hutter. Bildredaktion: Jonas Fischer, Patrick Stösser (realfragment.de). Layout: Sebastian Wenzel, (www.sebastianwenzel.de)

Druck: Märkische Verlags- und Druck-Gesellschaft mbH Potsdam. Auflage: 20.000 Exemplare. Besonderer Dank: An Christoph Nitz (ermöglichte dieses Projekt), Marc Seele und Andreas Kiesgen (verantwortlich für die grafische Grundgestaltung und das Logo).

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Neutral gibt es nicht Darf Journalismus politisch sein, und wenn ja, wie sehr? Eine berechtigte Frage, die man sich gerade im Rahmen einer Linken Medienakademie durchaus stellen kann. Ein Kommentar.

I

nmitten von 200 Workshops und Vorträgen, deren Selbstversollte auch den bereits „Aufgeklärten“ auf ständnis in der Förderung des linken Journalismus liegt, ist den Schlips treten können. Von allen Seidie Frage, wie politisch Jounalismus sein darf, meistens alles ten kritisch beäugt, erfordert die Lage des andere als im Mittelpunkt. Hakt man aber nach, wird überall, linken Journalisten eine besondere Standwo man sich erkundigt, klar: Journalismus darf politisch sein, er haftigkeit. Dieser Standhaftigkeit kann sich kann gar nicht anders. Die Zeitungslandschaft wird von politientziehen, wer kein linker Journalist ist. schen Tendenzen regiert, die bei linken Medien eben deutlicher Der kleine Unterschied nimmt diese Jourausfallen. Beim Maß, wie viel politisches Statement der Journanalisten aus der Schusslinie in den sichelismus verträgt, scheiden sich jedoch die Geister. ren Schoß des Mainstream. Doch sind sie dadurch keineswegs weniger politisch. Nur Einerseits wird gefordert, den linken Journalismus und seine leider wird „links“ als seitlich von der Mitte Rolle als „Störfaktor“ der Mainstream-Medienlandschaft zu gedacht und die Mitte scheint neutral. Die stärken. Andererseits soll er aber die Regeln des journalistiMitte hat allerdings nichts mit Neutralität zu schen Handwerks nicht vergessen und sich nicht von vorgetun. Sie ist ein anderer Standpunkt und damit fertigten Meinungen den Blick versperren lassen. Eine Gratpolitisch. Doch bevor hier zu leichtfertig der wanderung, die sich hinsichtlich der Zielgruppe als nicht Mainstream in die Mitte gestellt wird, ist zu ganz einfach erweist. Im besten Fall sollte diese nämlich ein betonen, dass dieser seine Kreise auch teilweibreites Spektrum umfassen, damit überhaupt die Rede dase gerne weit nach rechts zieht. von sein kann, alternative Standpunkte und neue Inhalte als Gegenpunkt zu den sogenannten bürgerlichen Medien Diese Auswüchse des Journalismus sind jedoch zu bieten. weit davon entfernt sich selbst als „rechts“ zu bezeichnen. Daher wird hier eher selten die Am ersten Tag der LiMA 2012 bekommt man jedoch im Kritik laut, der Mainstream sei zu politisch. TU-Gebäude einen anderen Eindruck. Viele der TeilnehDoch genau das ist er. Und umso einflussreimer sehen den Tatsachen ins Auge, dass linker Journalischer, je mehr er als politisch neutral getarnt mus jene erreicht, für die alternative Informationen zur bleibt. alltäglichen Informationsbeschaffung gehören. Motiviert oder demotiviert durch ihre Unzufriedenheit mit In diesem Sinne: Journalismus ist immer poliden herrschenden Verhältnissen werden dann manchtisch und so darf es auch der linke sein. Linker mal noch einige Menschen aufgesammelt, die vorher Journalismus sollte sich aber nicht auf seinen Natalia noch nicht zum linken Lager gehörten. Standpunkten ausruhen und sich die Fähigkeit Weicsekova (28) zur Selbstkritik erhalten. Hieraus entsteht eine doppelte Herausforderung, der Berlin sich der linke Journalismus in Deutschland stellen Denn nur so kann der Journalismus aufdecken Mag es, wenn Gedanmuss: Gegen den Einheitsbrei der restlichen Medien und Perspektiven setzen ohne sich selbst zu einer ken immer wieder neu neue Perspektiven aufzeigen und Kritik äußern, wo Randerscheinung zu beschränken. Auch wenn das überdacht werden. sie sonst nicht gefragt ist. Gleichzeitig darf er sich Publikum dadurch nicht automatisch größer wird, aber auch nicht im Nischendenken verzetteln und bleiben aber zumindest die Türen geöffnet.

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Ohne Worte rick : Pat Foto

er Stöß

Ein durchgewirbelter Flugplan und geschlossene Wenn Journalisten ihre Arbeit niederlegen, kann eine Zeitung trotzdem mit Worten gefüllt werden, weil Nachrichtenagenturen und Public Relations Abteilungen ihre Texte in die Redaktionen schicken. „Kurzfristig kann eine Zeitung heute mit einer handvoll Leuten gefüllt werden“, weiss Ulrike Maercks-Franzen. Diese handvoll Leute gibt es in nahezu allen Redaktionen, weil immer mehr Journalisten in prekären Arbeitsverhältnissen stecken: Sie sind Leiharbeiter, Pauschalisten oder freie Mitarbeiter, so dass sie ihren streikenden Kollegen als unfreiwillige„Streikbrecher“ in den Rücken fallen. Auch wenn die Zeitungen nicht sichtbar auf Worte verzichten, macht sich ein Streik der Journalisten nach einer längeren Zeit dennoch bemerkbar: „Es sind weniger Seiten erschienen und die Qualität der Artikel hat nachgelassen. Das haben auch die Leser gemerkt und sie waren teilweise genervt“ berichtet Corinna Lass von der Neuen Westfälischen.

„Wo r te sind wertvoll“ - dieses Motto hatte der Arbeitskampf von Journalisten bei Tageszeitungen, die im vergangenen Jahr zwischen Februar und August gegen die Tarifwünsche von Verlegern gestreikt haben. Viele Worte wurden über den Streik nicht geschrieben und die Leser konnten ihre Zeitung täglich aus dem Briefkasten oder vom Kiosk holen. „Das eine komplette Ausgabe nicht erschienen ist, das hat es seit Anfang der 1990er Jahre nicht mehr gegeben“ sagt Ulrike Maercks-Franzen, die Bundesgeschäftsführerin der Deutschen Journalisten Union (dju) in der Gewerkschaft Verdi gewesen ist und nun ehrenamtlich tätig ist. Ein Streik von Journalisten wird in der Öffentlichkeit weniger wahrgenommen, als wenn Flugzeuge nicht starten oder Kindergärten geschlossen bleiben.

Kindergärten – dafür haben Mitarbeiter am Flughafen Frankfurt und im öffentlichen Dienst mit Streiks gesorgt. Wenn Journalisten auf Worte verzichten, liegt die Zeitung trotzdem jeden Morgen im Briefkasten.

Über 100 Redaktionen haben sich am mit Streiks an den Tarifverhandlungen im vergangenen Jahr beteiligt. „Streikende Journalisten können nicht so einen großen ökonomischen Druck ausüben, sondern eher eine moralischen Druck“, meint Ulrike Maercks-Franzen. Zudem ist nur ein kleiner Teil der arbeitenden Journalisten auch festangestellt. Die Gewerkschaften DJU und DJV vertreten bei Tarifverhandlungen nur noch 15000 Redakteure. „Früher waren es wesentlich mehr“, bedauert Ulrike Maercks-Franzen.

Dafür gibt es ganz viele Gründe: „Journalisten, die streiken, können auch nicht darüber berichten“, erklärt Ulrike Maercks-Franzen, „Und die Verleger haben auch kein echtes Interesse an der Berichterstattung.“ Denn Verleger und Redakteure sind im Arbeitskampf nicht unparteiisch. Ein Mal hat die „Neue Westfälische“ aus Nordrhein-Westfalen über den Streik berichtet, obwohl die Journalisten der Zeitung an mehr als dreißig Tagen die Arbeit niederlegten. „Mich hat enttäuscht, dass andere Medien wie Nachrichtenagenturen und der WDR, die nicht am Arbeitskampf beteiligt waren, nur sehr zurückhaltend berichtet haben“, erzählt Corinna Lass, die Redakteurin bei der Neuen Westfälischen ist und mitgestreikt hat.

Während der Tarifverhandlungen im vergangenen Jahr haben über 2000 Journalisten gestreikt, weil sie mehr arbeiten, aber weniger Geld bekommen sollten. Vor allem zukünftige Journalisten hätten insgesamt ein Viertel weniger verdient. „Journalisten fühlen sich zwar immer ihren Leser verbunden, wollen aber auch nicht, dass ihr Beruf so massiv entwertet wird“, erklärt Ulrike Maercks-Franzen. Schließlich haben sich Verleger und Gewerkschaften auf einen unveränderten Manteltarifvertrag und eine minimale Gehaltserhöhung geeinigt, die unter der Inflation liegt. Zu diesen Bedingungen füllen die Redaktuere bis Mitte 2013 die Zeitungen mit, dann stehen die nächsten Tarifverhandlungen an.

Christina Quast (30) Dortmund Ist Mitglied im Deutschen Journalisten Verband (DJV), hat aber noch nie gestreikt.

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In Rage mit Riegel Der Publizist Henryk M. Broder will nicht mehr über linke Journalisten und ihre Nahostberichterstattung reden. Für ihn gibt es in Deutschland keine Linke mehr. Er selbst ist aber links geblieben. Barbara Engels hat mit ihm gesprochen.

Herr Broder, haben Sie linke Medien Regt sie das Thema zu sehr auf ? Vor wenigen Wochen stand in einem abonniert? Nein, ich bin durch. Ich glaube nicht, dass ich da noch einen für mich Kommentar im Neuen Deutschland, Ich lese jeden Tag die taz. Ist das ein lin- neuen Gedanken fassen kann. Ich habe kapiert: Diese Leute sind uns voes gebe eine Anti-Iran-Besoffenheit. kes Medium? Die taz hat streckenweise raus. Wenn ich es geschafft habe, irgendeine Attitüde zu erkennen und Ist das antizionistisch? Oder antiserichtig gute Debatten, die gibt es in der zu analysieren, sind die linken Antisemiten schon zwei Schritte weiter. mitisch? Frankfurter Rundschau nicht. Die ist Jetzt will ich mich wirklich mit den relevanten Dingen des Lebens be- Das sind antisemitische Fantasien, ganz ein gleichgeschaltetes linkes Amtsblatt. schäftigen. Mit Essen, Sex und Reisen. Und Tee trinken, natürlich. eindeutig. Das ist der leise Wunsch, der Ich glaube übrigens nicht, dass man mit Iran möge das Geschäft beenden, das die den Begriffen links und rechts heute weit Sollte Journalismus generell unpolitisch sein? Väter und Großväter dieser Leute nicht kommt. Die entscheidende Frage ist: Was Nein, ich kann da überhaupt keine Forderungen stellen. Politischer zu Ende gebracht haben. Ahmadinedschad tun die im konkreten Falle? Alliieren sie und unpolitischer Journalismus gehören dazu wie eine breitgefä- hat gesagt, Israel sei ein Krebsgeschwür, sich mit Diktatoren? Halten sie die Fresse cherte Speisekarte, wo Sie von Minestrone bis Zabaione alles finden. das entfernt werden müsse. Wer da von gegenüber Nordkorea, Syrien und Libyen, einer Anti-Iran-Besoffenheit spricht und knutschen sie mit Gaddafi, gehen sie ihm Dann gehört eine linke Nahost-Berichterstattung auch auf die nicht von einer Anti-Israel-Besoffenheit, an die Eier oder an die Gurgel – das ist für Speisekarte. der hat eindeutig Stellung bezogen. mich entscheidend. Die Begriffe links und Ja, sicher gehört die dazu. Ich will ja auch nichts verbieten. Der rechts sind für mich passé. Dreck, den Jürgen Elsässer als Journalismus verbreitet, der gehört Das ist also offener Antisemitismus für auch dazu. So wie zu jedem Berliner Biergarten Buletten gehören, Sie, oder? Aber Sie kritisieren die linke Berichterdie aus Pferdeäpfeln hergestellt werden. Ich muss es nicht goutie- Das ist der zeitgenössische Antisemitismus, stattung. ren, ich muss es nicht konsumieren. der sich im Antizionismus artikuliert. Ja, das tue ich. Man kommt an bestimmten Etiketten nicht vorbei. Aber ich nenne sie Ist linker Journalismus gefährlich? Gibt es ideologisch belastete Begriffe, die übrigens nicht linke, eher antiimperialistiNein. Wie wollen Sie entscheiden, was gefährlich ist oder nicht? in Artikeln in linken Medien über den sche oder antikapitalistische BerichterstatSo gesehen ist alles gefährlich. Wenn man den Wirtschaftsteil Nahostkonflikt immer wieder vorkomtung. der FAZ nicht versteht, kann das auch gefährlich werden. Wenn men? man anfängt, sich darüber Gedanken zu machen, was gefähr„Besatzungspolitik“ und „selbstgebastelWas ist linker Journalismus? lich ist oder nicht, kann man eigentlich nur noch zuhause still te Raketen“ zum Beispiel kommen immer Ich glaube, linker Journalismus ist Gefälligvor sich hindämmern. wieder vor. Oder „Hegemonialmacht“: Ein keitsjournalismus. Es gibt linke Journalisten Zwergstaat von 20.000 Quadratkilometern überall, auch beim Stern oder Spiegel, nicht Was unterscheidet Sie von linken Journalisten? wird als Hegemonialmacht bezeichnet. nur bei offiziell linken Medien. Das sind Leute, Der Unterschied zwischen den linken Journalisten und mir die schreiben für ihre Gemeinde, sie schreiist, dass die danach schreien, dass ich aufhöre zu schreiben. Glauben Sie, dass die Journalisten, die diese ben, um ihnen zu gefallen. Wenn ich eine GeIch hingegen verlange das nicht. Ich sehe ein, dass die mit Begriffe verwenden, nicht wissen, was diese meinde hätte, würde ich alles dafür tun, sie dazugehören, bedauerlicherweise, so wie Krebserkrankuneigentlich bedeuten? vor den Kopf zu stoßen. Ich schreibe das, was gen und Sittlichkeitsverbrechen dazu gehören. Im JourNein. Da gibt es keine Unschuldsvermutung. mich interessiert und habe keine Agenda. Ich nalismus kann jeder machen, was er will. Ich lese immer Da gibt es einen begründeten Generalverdacht. schreibe aus einem Staunen heraus, indem ich wieder: Der Broder, der darf seine Ansichten ungehindert Die wissen ganz genau, was sie schreiben. versuche, mir etwas zu erklären. und ungestraft verbreiten. Ja, wer soll mich denn daran hindern? Die grüne Bürgermeisterin von Aachen? NorSie waren früher auch ein Linker und haben Glauben Sie, dass linke – oder antiimperiman Paech und sein Dackel? Ich mach das ganz anders. für linke Medien in Deutschland geschriealistische – Journalisten insofern eine GeIch stelle die Hassbriefe, die ich bekomme, alle online. ben. Was hat Sie dazu gebracht, mit den Linmeinsamkeit haben, als dass Sie alle gleich ken zu brechen? über Israel und den Nahostkonflikt denken? Was würden Sie jungen, angehenden Journalisten Ich bin immer noch links, die sind nicht mehr Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht, sagen, die eine gewisse linke Grundhaltung haben links. Die Linke ist autoritär und totalitär geaber vermutlich haben Sie Recht. Die Koalitiund entsprechend sich auch gegenüber Israel posiworden. Es ist kein Zufall, dass in Ostdeutschon ist zumindest sehr breit. Von links außen tionieren? land viele NPD-Sympathisanten die Linkspartei bis rechts außen – und irgendwann wissen Sie Ich würde wahrscheinlich fragen: Und was sagst du wählen, weil sie ihre autoritären Inhalte in der nicht mehr, ob da die Linke oder die NPD marzu Hanoi? Schon mal in Syrien gewesen? Was berührt Linken wiederfinden und wissen, die Stimme schiert, denn sie haben dieselben Parolen. Es fällt dich an Israel? Obwohl – ich würd’s eigentlich gar ist nicht verschenkt – während Stimmen für die mir schwer, jetzt noch über die Linken und ihre nicht mehr fragen, weil’s mir egal ist. Ich bin ja nicht NPD im Gully landen. Es gibt keine Linke mehr Nahost-Berichterstattung zu reden. Ich habe da dazu da, die zu erziehen, ich bitte Sie. Dann käme in Deutschland. Wenn Sigmar Gabriel oder Gesine so viel drüber geschrieben und es inzwischen für ich gar nicht mehr zum Tortit-Essen (Tortit ist ein Lötzsch, links sein sollen, dann möchte ich mit demich abgehakt. „Vergesst Auschwitz!“ ist für mich israelischer Schokoladenriegel, Anmerkung der Renen noch nicht einmal im selben Intercity sitzen. ein Schlusspunkt. daktion). Ich bin links, die nicht.

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Foto: Barbara Engels

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Eins, zwei, drei, viele: Auf der LiMA gibt es zahlreiche Vorträge und Seminare. Zu viele, um alle zu besuchen. Michael Wahl fasst deshalb ausgewählte Seminare zusammen. Heute: Schreiben für das Internet.

Tablet-Benutzer lesen in der U-Bahn, das Smartphone verleitet zum schnellen Überschriften-Scannen. Anders als früher ist ein Moment vor dem Laptop ein Moment der digitalen Entspannung. Dies sollte sich jeder klar machen, der für das Internet textet, sagt Gabriele Hoffacker von der Journalistenakademie München, die auf der LiMA 2012 „Texten fürs Web“ unterrichtet. Aber wie fessle ich diese verschiedenen Leser mit meinem Text? Und warum sollte der Smartphone-Nutzer überhaupt auf die Überschrift klicken und weiterlesen, wenn er später einen Moment mehr Zeit hat? Deswegen erfahren alte und banal wirkende Journalistenweisheiten heute eine Renaissance. Wer sich im Vorfeld keinen Gedanken gemacht hat über angemessene Textlängen, prägnante Zwischenüberschriften und vor allem einen interessanten Teaser, wird es schwer haben, Leser zu finden. Genau so wie der Vorspann bei einem Artikel in einer Zeitung muss der Teaser anregen, darf dabei nicht alle Informationen des Textes vorwegnehmen. Außerdem sollten Autoren beachten, dass die Zielgruppe wesentlich heterogener ist. Eine einheitliche Leserschaft gibt es meist nur bei Fachmedien. Die Frage „Für wen schreibe ich?“ sollten Autoren sich dennoch stellen. Die, die durch Suchmaschinen zufällig auf die Seite kommen, sollte man versuchen einzufangen, nicht einzulullen. Deswegen: Wichtiges zuerst und die fünf W-Fragen zügig beantworten – aber Weiterschreiben nur, wenn man für den 15. Absatz auch wirklich noch interessante Informationen hat. Denn ein Klick macht man schneller als eine Zeitung in den Papierkorb zu werfen.

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Die letzte Lektion heißt Verlinken! Denn mit Blogs, Twitter, Facebook oder der eigenen Homepage steht einem Autor im Internet eine Fülle an Plattformen zur Verfügung, die er zum User-Anlocken einsezen kann. Auch der Text selber freut sich über Struktur durch den ein oder anderen Link. Im besten Falle springt der Leser direkt zum nächsten Artikel.

WissensTanker Michael Wahl (25) Berlin

Hat auf der LiMA vieles für seinen Berufsalltag gelernt.

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gehts nicht! DIE LINKE. im Bundestag Das Magazin der Fraktion

Publikationen frei Haus Fordern Sie unser kostenfreies Infopaket mit aktuellen Flugblättern, Broschüren und Zeitungen der Fraktion an. Abonnieren Sie clara, das Magazin der Fraktion DIE LINKE und den querblick, das Informationsblatt für feministische Politik und Geschlechtergerechtigkeit. So erfahren Sie mehr über unsere Positionen zur Rente und zur Gesundheitspolitik, über die geforderte Kindergrundsicherung, eine gerechte Familienpolitik oder auch zum Mindestlohn und zu vielen anderen Themen.

www.linksfraktion.de

V.i.S.d.P. Ulrich Maurer

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Unser Vietnam Deutschland führt Krieg in Afghanistan. Und das Erstaunliche ist, dass dies niemanden in der Republik so wirklich zu interessieren scheint. Der Krieg geht uns alle etwas an, sagt Sebastian Christ. Wie sehr, werden wir spätestens beim Abzug merken.

Wir haben es geschafft: Wir sind wieder Weltmeister. Verdrängungsweltmeister. Und natürlich ist das kein Grund zu jubeln. Keine der knapp 40 am Afghanistan-Einsatz beteiligten Nationen geht derart wortlos mit dem um, was gerade am Hindukusch passiert. Wir müssten uns streiten, wir müssten uns schämen, wir müssten auch mit Stolz von dem reden, was trotzdem erreicht wurde. Stattdessen: Schweigen.

die meisten Deutschen sich überhaupt nicht für ihn und seine Familie interessieren. Dass es den meisten Deutschen völlig egal zu sein scheint, was nach dem Abzug der Isaf-Truppen passiert. Dass es den meisten nur um eine schnelle Beendigung des Krieges geht. Womit auch geklärt wäre, wie die brutale Seite des bundes deutschen Pazifismus aussieht. Gut dazu passt auch, was der SPD-Bundestagsabgeordnete Gernot Erler im Februar auf einer Diskussionsveranstaltung der Uni Freiburg sagte: „Die einzige rote Linie, das ist die Rückkehr von Al Quaida.“ Sonst ist dem „Friedenspolitiker“ mittlerweile alles gleich, wenn es um den Rückzug aus Afghanistan geht.

Uns geht der Krieg in Afghanistan allein schon deswegen etwas an, weil die allermeisten Deutschen in den vergangenen zehn Jahren eine Partei gewählt haben, die den Einsatz unterstützt hat. Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Deutsche Soldaten werden nicht von Generälen in den Krieg geschickt, sondern von Abgeordneten. Und damit von uns allen. Der grüne Studienrat von nebenan hat genauso Krieg geführt wie der liberale Unternehmer aus dem Villenviertel oder der christdemokratische Handwerksmeister vom Stadtrand. Es ist schlichtweg verlogen, sich dieser Verantwortung zu entziehen. Gegenüber den Afghanen, denen die Bundesregierung eine bessere Zukunft versprochen hat. Und auch gegenüber den Soldaten und Wiederaufbauhelfern, die ihr Leben für eine Sache einsetzen, die (fast) alle wollten, aber an die sich jetzt niemand mehr erinnern will.

Um unsere Versprechen einzuhalten, müssten wir noch mindestens zwanzig Jahre am Hindukusch bleiben. Aber das will natürlich kein deutscher Politiker mehr, auch kein amerikanischer und kein französischer. Und vor allem: Auch die Afghanen haben mittlerweile genug.

Sebastian Christ (31)

Foto: Sebstian Christ

Wenn doch über Afghanistan geredet wird, dann fast nur noch über die Art und Weise des Abzugs. „Raus aus Afghanistan!“, plakatiert die Linkspartei seit Jahren. Und was ist mit denen, die nicht raus können? Ich habe selbst in Mazare-Sharif mit einem jungen Anglisten reden können, der für die Bundeswehr als Übersetzer arbeitet. Er ist einer von bis zu 200.000 Afghanen, die mit den Deutschen während der vergangenen zehn Jahre zusammengearbeitet haben. „Natürlich werden sie mich suchen. Und sie werden mich auch finden“, antwortete er auf die Frage, was nach einem Machtwechsel passieren würde. Er vertraue auf die Hilfe der Deutschen. Sie würden ihm und seiner Familie schon Zuflucht bieten. Es war nicht ganz einfach, ihm zu erklären, dass

Der Afghanistankrieg ist unser Vietnam. Nicht, was die Opferzahlen betrifft. Es geht um die moralische Dimension. In zwei, drei Jahren werden wir Verdrängungsweltmeister vorm Fernseher sitzen und sehen, wie Menschen im Chaos umkommen, die uns einst vertraut haben. Wir werden sehen, wie deutsche Wiederaufbauhelfer von der GIZ evakuiert werden müssen. Vielleicht sogar vom Dach ihres Kabuler Anwesens? Erst dann werden wir merken, dass Deutschland keine „Supermacht der Werte“ ist. Sondern allenfalls ein Land, das Angst vor sich selbst hat.

Berlin

Das Lager „Camp Marmal“ in Mazar-eSharif: Ende mit Schrecken – und danach?

Hat in Afghanistan erlebt, dass auch Untätigkeit bisweilen eine Form von Gewalt ist.

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Der totale Vergleich: Über „extreme“ Äpfel und Birnen im Hufeisen Aus Sicht der anitfaschistischen Linken in Berlin wird linkspolitisches Engagement durch die Extremismustheorie pauschalisiert und kriminalisiert. Sie wollen, dass Demokratie streitbar bleibt, dazu muss Menschenfeindlichkeit kritisierbar bleiben.

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ach der Extremismustheorie der den „Linksextremismus“ mit der Durchsetzung der Extremis- Die von Schröder gesehene Gefährdung der Politikprofessoren Eckhard Jesse musklausel. Aufgrund dieser Klausel werden Vereine, die vom Demokratie durch eine linke Bedrohung und Uwe Backes können die politiBund gefördert werden, verpflichtet, von ihren Partnern und kann mit dieser theoretischen Grundlage in schen Kräfte einer Gesellschaft wie ein HufMitarbeitern schriftliche Bekenntnisse zur fdGO einzuho- Frage gestellt werden, finden die Sprecher eisen angeordnet werden. Dabei befindet sich len. Darüber hinaus muss geprüft werden, ob Partner oder der antifaschistischen Linken Berlin. Im eidie „freiheitlich-demokratische Gesinnung“ Mitarbeiter im Verfassungsschutzbrief erfasst wurden, also gentlichen gäbe es den „Linksextremismus“ in der Mitte des Eisens. Die extremen Kräfte unter „Extremismusverdacht“ stehen. nicht. Stattdessen fordern sie, dass die einwerden durch die sich annähernden Enden zelnen linkspolitischen Vereine und Gruppen rechts und links symbolisiert. Die rechtschafDurch die massive staatliche Kontrolle, wurde die Zusam- wesentlich differenzierter dargestellt werden fende Mitte muss sich gegen ihre Feinde an menarbeit zwischen zivilgesellschaftlichen Akteuren, An- müssen. Die inhaltlichen Unterschiede seien den äußeren Rändern zur Wehr setzen. Extrem tifaschisten und Staatsprogrammen stark erschwert, so zu groß, als dass man sie derart verallgemeirechte Gruppierungen zeichnen sich vor allem die Rosa-Luxemburg-Stiftung. Auch linke Medien wie nern könne. Sie müssen einzeln und konkret dadurch aus, dass sie nicht alle Menschen als „Neues Deutschland“, die in der Broschüre „Demokratie betrachtet werden. Ansonsten bleibt die Gefahr gleich anerkennen. Extrem linke Gruppen dastärken – Linksextremismus verhindern“ finanziert vom Andersdenkende zu kriminalisieren. Auch die gegen übersteigern diese Gleichheit. Beide „ExFamilienministerium fälschlicherweise als „linksextre- vermeintlichen Gemeinsamkeiten linker und tremismen“ aber weisen hinsichtlich dogmatimistisch“ bezeichnet wurden, sind Geschädigte dieser rechter „Extremisten“, wären dann nicht mehr scher Einstellung, der Schaffung von einfachen politischen Kampagne. pauschal aufzuzählen. Feindbildern und prinzipieller Gewaltbereitschaft Gemeinsamkeiten auf. Zu einem dieser Friedrich Burschel, Referent der Rosa-Luxenburg-StifStella Napieralla (29) Extremismen zu gehören, bedeutet laut der Thetung für politische Bildung stellte schon 2011 fest, dass orie, die freiheitlich-demokratischen Grundorddas den „Linksextremisten“ zugeschriebene Ziel, die Berlin nung (fdGO) abzulehnen, die sich unter anderem Veränderung der Gesellschaft oder die Überwindung aus Grundsätzen wie den Menschenrechten, der des Kapitalismus weder verboten, noch im Rahmen Unterstützt Freiheit Gewaltenteilung und dem Mehrparteiensystem der fdGO verfassungsfeindlich ist. „Die Stigmatiim Denken und zusammensetzt. sierung kritischer, auch sehr kritischer, ja selbst eine freie verfassungskritischer Meinungsäußerung als ,extGesellschaft. Ausgehend von dieser Theorie begann Familienmiremistisch‘ ist dagegen antifreiheitlich und undenisterin Kristina Schröder ihre Kampagne gegen mokratisch“, kritisiert er.

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Foto: Jonas Fischer

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Foto: Axel Springer AG

Pro Christoph Keese Konzerngeschäftsführer Public Affairs der Axel Springer AG, leitet gemeinsam mit Prof. Robert Schweizer den Arbeitskreis Urheberrecht der Verlegerverbände BDZV und VDZ.

DEBATTE

Brauchen wir ein Leistungsschutzrecht? Das Urheberrecht wird leidenschaftlich diskutiert – aus gutem Grund. Kein anderes Rechtsgebiet ist für die Entwicklung des Internets so wichtig wie dieses. In virtuellen Welten muss geregelt sein, wie mit virtuellen Gütern umgegangen wird. Nur so kann Wachstum stattfinden und Kreativität sich entfalten. Alle Beteiligten der Debatte haben in den vergangenen Jahren viel voneinander gelernt. Grundhaltungen sind mit Verve beschrieben, verteidigt und angegriffen worden. Trotzdem haben viele Debattenteilnehmer zugleich auch etwas Nachvollziehbares und Verständliches in der Position der anderen gefunden. Das gilt auch für Presseverlage. Sie haben verstanden, dass Nutzer moderne Angebote und Geschäftsmodelle schätzen, ein legitimes Interesse an einfachem Zugang zu kreativen Werken haben, die-

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se in Blogs auszugsweise verwenden und verändern wollen, nicht mit übertriebenen Abmahnungen überzogen werden möchten und Stoffe, die sie interessant finden, mit anderen zu teilen wünschen. Umgekehrt ist in der Netzgemeinde das Verständnis dafür gewachsen, dass auch Urheber und ihre Verlage von etwas leben möchten und sich dagegen wehren, gegen ihren Willen kostenlos kopiert zu werden. Auf dieser Grundlage könnte die Debatte nun in eine sachlichere Phase eintreten. Es wäre wichtig, jetzt die einzelnen Projekte für eine Modernisierung des Urheberrechts zu definieren. Manches wird sich außerhalb des Gesetzes klären lassen, zum Beispiel das unkomplizierte Einholen von Nutzungsgenehmigungen über digitale Plattformen. Manches müsste vielleicht im Gesetz geklärt wer-

den, zum Beispiel die Erleichterung der Privatkopie. Manches muss auf jeden Fall vom Gesetzgeber novelliert werden, etwa der Umgang mit verwaisten Werken, die Regeln für Public Viewing oder die Schaffung eines Leistungsschutzrechts für Presseverlage. Ein fairer Ausgleich zwischen Nutzern, Urhebern und Werkmittlern (Verlagen, Produzenten, Musikfirmen) kann aber nicht auf der Straße unter Fahnen und Plakaten gefunden werden. Die Lösung liegt am Verhandlungstisch. Durch die hitzige Debatte der vergangenen Jahren sind Türen aufgestoßen, nicht zugeschlagen worden. Alle interessierten Gruppen sollten jetzt zusammen finden und vernünftige Lösungen suchen. Die Presseverlage sind dazu bereit.

Hinter „Gewerbliche Anbieter im Netz, wie Suchmaschinenbetreiber und News-Aggregatoren, sollen künftig für die Verbreitung von Presseerzeugnissen (wie Zeitungsartikel) im Internet ein Entgelt an die Verlage zahlen.“ Diese Formulierung aus dem Koalitionsausschuss von CDU und FDP beschreibt das

sogenannte

Leistungsschutzrecht.

Dieses wird schon länger diskutiert, jetzt werden die Pläne für eine Einführung aber konkreter. Durch das Leistungsschutzrecht würden Verlage an den Gewinnen gewerblicher Internetdienste beteiligt. Denn diese verdienen bislang Geld mit den Inhalten, die sie kostenfrei nutzen können, so die Argumentation. Das bestehende Urheberrecht soll den Urhebern eine angemessene Vergütung für die Nutzung ihrer Werke sichern. Durch die Überarbeitung des Urhebervertragsrechts


Foto: Jana Pofalla

Contra Dr. Till Kreuzer Rechtsanwalt und Mitbegründer von iRights.info. Mitglied der Deutschen UNESCO Kommission und Gründer der „Initiative gegen ein Leistungsschutzrecht“ (IGEL).

rgrund wird Urhebern eine “prinzipielle Vergütung” jeder Nutzung zugesprochen. In der Praxis, wenn es etwa um die Verwendung von Texten im Internet geht, wird dies jedoch nicht immer eingehalten. Bei der weiteren Überarbeitung des Urheberrechts soll das „Leistungsschutzrecht“ gesetzlich verankert werden. Dies hat der Koalitionsausschuss von CDU und FDP bestätigt. Im Internet wird über das neue Immaterialgüterrecht kontrovers diskutiert, viele große Verlage setzen sich für die Einführung eines solchen Rechtes ein.

Beziehen Sie Stellung zum Thema Leistungsschutzrecht. Dazu einfach online gehen und mit debattieren.

Ein Leistungsschutzrecht für Presseverlage ist weder notwendig noch zu rechtfertigen. Es ist nicht notwendig, da die Presseverlage schon jetzt ausreichenden Schutz genießen. Sie lassen sich von den Journalisten urheberrechtliche Nutzungsrecht abtreten, die ihnen eine weit reichende Rechtsposition verschaffen. Schon deshalb ist ein neues Leistungsschutzrecht nicht zu rechtfertigen. Umso weniger gerechtfertigt ist es, weil es erhebliche Kollateralschäden herbeiführen würde. Und zwar unabhängig davon, wie es letztlich konkret ausgestaltet wird. Schon die angeblich zwingenden Gründe, die für das neue Recht vorgebracht werden, sind äußerst fragwürdig. Da heißt es, den Verlagen gehe es schlecht. Online-Piraterie nehme bedrohliche Ausmaße an. Rechte seien aufgrund der vielen Autoren nicht durchsetzbar und gewerbliche Nutzer sowie Suchmaschinen würden sich am „geistigen Eigentum“ der Verlage bereichern, indem sie deren

Online-Inhalte zu kommerziellen Zwecken verwenden. All das soll das neue Leistungsschutzrecht ändern können. Hieran ist schlichtweg gar nichts richtig. Weder wäre ein Verlegerleistungsschutzrecht ein Wundermittel zu Lösung dieser angeblichen Probleme. Noch erweist sich auch nur eine dieser Behauptungen nach näherem Hinsehen als haltbar oder gar belegt. Und: Selbst wenn alle oder einige dieser Aussagen zuträfen, wäre dies kein Grund, ein Leistungsschutzrecht einzuführen. Das ist der Grund, warum sich die Fachwelt, die Online-Community und annähernd die gesamte deutsche Wirtschaft gegen ein solches Leistungsschutzrecht ausgesprochen hat. Ein Beispiel: Um es Verlagen zu erleichtern, sich gegen die angeblich massenhafte Piraterie ihrer Inhalte zu wehren, braucht man kein neues Leistungsschutzrecht einzuführen. Man müsste nur eine simple Regelung schaffen, nach der Verlage im Zweifel befugt sind, die Rechte an den von ihnen veröffentlichten Werken gerichtlich durchzusetzen.

Hiergegen hätte im Zweifel niemand etwas. Freilich ist fraglich, ob eine solche Maßnahme überhaupt notwendig ist. Wo ist der Beleg für die angeblich massenhafte Piraterie von Online-Presseinhalten? Oder anders gefragt: Warum sollten Beiträge, die für jedermann frei zugänglich im Internet stehen, in großem Stil raubkopiert und über andere Webseiten verbreitet werden? Und die Sache mit den gewerblichen Schmarotzern? Die Verlage stellen ihre Beiträge freiwillig für jeden Nutzer kostenlos ins Netz. Sie dürfen also gelesen werden und Suchmaschinen dürfen Ausschnitte anzeigen, damit sie auch gefunden werden können (zugunsten aller Beteiligten). Alles andere (kopieren zu gewerblichen Zwecken, Einstellen ganzer Artikel auf anderen Webseiten und so weiter) ist schon nach dem geltenden Urheberrecht nicht erlaubt. Die Verlage können also gegen solche Handlungen vorgehen. Ein zusätzliches Leistungsschutzrecht, das erhebliche Auswirkungen auf die Kommunikationsgrundrechte hätte, brauchen sie hierfür nicht.

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Eine schwierige Beziehung

Fotos: Jonas Fischer

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Gregor Gysi blickt differenziert auf sich und seine Partei. Eine bessere Öffentlichkeitsarbeit und das Internet könnten es einfacher machen, eigene Ziele zu kommunizieren. Nicht alle haben das verstanden. Die Alternative: nur mit ausgewählten Journalisten sprechen. Von Gregor Landwehr.

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s war kurz nach der Wiedervereinigung, da lernte Gregor Gysi (Linke), dass er im Fernsehen eine Doppelquote bringt. „Ich bin damals häufig in Talkshows eingeladen worden. Das hatte damit zu tun, dass wir in den Nachrichten nicht vorkamen. Aber damit sie mich einladen konnten, mussten sie mir bösartige Fragen stellen. Sie erklärten mir damals, dass ich eine Doppelquote bringe. Die, die mich mögen, und die, die mich hassen, schauen zu“, erklärt der Politiker. Durch die Auftritte konnte Gysi das Bild von sich und seiner Partei in der Öffentlichkeit verändern – und er lernte grundlegendes über das deutsche Mediensystem. Mittlerweile kommt seine Partei in den Nachrichten vor. Doch das Verhältnis der Linken zu den Medien – es ist ein besonderes, es ist kompliziert. Der Linken-Fraktionschef Gregor Gysi sagt dazu nur: „Die Linke hat ein Verhältnis zu den Medien, was besser sein könnte.“ Und er fügt an, dass die Linke unzureichend verstanden werde. Dieser ständige Eindruck, missverstanden oder gar bekämpft zu werden, ist ein Merkmal jenes besonderen Verhältnisses. „Massenmedien versuchen auf die Willensbildung linker Parteien Einfluss zu nehmen“ Wie tief das Misstrauen gegenüber Medien aller Art sitzt, zeigt ein Aufruf von Mitgliedern und Sympathisanten der Linken unter dem Titel „Mannschaftsspiel gegen Medienmacht“. Die Partei sieht sich von den Medien bedroht, von den Medienkonzernen sogar „bekämpft“. „Die Massenmedien versuchen auf die Willensbildung linker Parteien Einfluss zu nehmen, etwa über die Trennung in vermeintliche ,Fundis‘ und ,Realos‘ oder vermeintliche ,Regierungsbefürworter und –gegner‘“, heißt es dort. Daher sollten sich Mitglieder und Führungskräfte „überwiegend in den dafür vorgesehenen Gremien sowie parteiinternen bzw. parteinahen Medien (Neues Deutschland, Junge Welt, Blogs, Disput etc.)“ äußern. „Interviews und Beiträge in den großen Massenmedien sollten vor allem für Werbung für die Positionen der Linken genutzt werden.“ Ist das für den linken Spitzenpolitiker Gysi ein geeigneter Weg? „Das funktioniert überhaupt nicht. Ich kann mir die Medien nicht aussuchen“, stellt er nüchtern fest. Die Medien seien sehr unterschiedlich und natürlich gebe es Journalisten, die den Linken nicht wohl gesonnen seien. Das grundsätzliche Problem der Linken liegt dabei tiefer. Es ist ein systemisches Problem. Denn Medien haben Eigentümer. Und diese hätten kein Interesse daran, das kapitalistische System zu überwinden, meint Gysi. In der Folge heißt dies: Medien haben daher auch kein Interesse an der Linkspartei. Doch Gysi stimmt auch selbstkritische Töne an „ Wir müssen versuchen, selbst Öffentlichkeit herzustellen.“ Gysi hat konkrete Pläne. Das Internet könnte Rettung bringen.„Schon weil Diktaturen es fürchten sollten wir das unterstützen.“ Eigentlich ist die Linke im klassischen Medienbereich gut unterwegs. So beziffert die Arbeitsgemeinschaft „Rote Reporter“, eine Interessenvertretung linker Medienmacher, die Auflage der Medien „rund um Die Linke“ mit über einer Million Exemplaren, die allerdings nicht täglich, sondern meist monatlich erscheinen. Auch bei der Arbeitsgemeinschaft sieht man die Medienkonzerne als Gegner von Parteien wie der Linken. Gregor Gysi ist gedanklich schon weiter. Es hat lange, gedauert bis die Partei einen Zugang zum Internet gefunde hat – jetzt möchte sie das Netz stärker nutzen. Selbst wenn das im Jahr 2012 bei den Genossen noch holprig klingt. Gysi beantwortet „Email-Briefe“ aber „twittern, davon halte ich nicht viel“. Damit ist er fast schon wieder auf Parteilinie.

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Verrentet und verraten? B e i m Petitionsausschuss im Bundestag liegt Akte. 120 Seiten umfasst sie mittlerweile, es gibt zwar eine Beschlussempfehlung,

eine

ehr Foto: Gregor Landw

seit dem Jahr 2006 eine

Entscheidung ist aber noch lange nicht in Sicht. Einsehen kann man sie nicht.

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s geht um das Thema Renten, genauer gesagt Renten für Übersiedler aus der ehemaligen DDR. Diese wurden bei der Eingliederung in das Rentensystem der Bundesrepublik integriert. Für die Rentenberechnung wurde der Durchschnitt der westdeutschen Berufskollegen zu Grunde gelegt, es galt das Fremdrentengesetz. Doch für die Betroffenen kam die Überraschung viele Jahre später mit der Rentenzahlung. Die Berechnungsgrundlage wurde geändert, jetzt gilt das Rentenüberleitungsgesetz (RÜG). Dabei werden die tatsächlich in der DDR erworbenen Rentenansprüche als Grundlage genommen. Ein Betroffener ist Jürgen Holdefleiß.: „Offiziell ist darüber nichts mitgeteilt worden. Bei mir persönlich war es so: Ich hatte bei der Rentenversicherung eine Frage, die auf ganz anderem Gebiet liegt. Und dabei habe ich es zufällig erfahren. Vielen anderen ist es ganz ähnlich gegangen.“ Die Betroffenen haben sich mittlerweile organisiert. Jürgen Holdefleiß ist der Vorsitzende der Interessengemeinschaft ehemaliger DDR-Flüchtlinge. Sie klagen teilweise über deutliche finanzielle Einbußen. „Die Transformation der DDR-Erwerbsbiographien der Übersiedler und Flüchtlinge im Zuge ihrer Eingliederung waren Rechtsakte, auf deren Bestand sich die Betroffenen verlassen haben.“ So schreiben es SPD und Grünen in einem Antrag an den Bundestag. Sie wollten in diesem Jahr eine gesetzliche Regelung für das Problem schaffen, doch der Antrag wurde von der Regierung abgelehnt.

Gregor Landwehr (28) Tübingen Erinnert sich an die DDR noch nicht einmal aus seinen Kindertagen.

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Der CDU-Bundestagsabgeordnete Karl Schiewerling findet das Anliegen der Betroffenen zwar politisch verständlich, eine neue gesetzliche Regelung sei jedoch verfassungsrechtlich bedenklich. Er schreibt den Betroffenen in einem Brief: „In Gesprächen mit den Fachleuten und den Fachabteilungen der Ministerien sind wir jedoch zu dem Ergebnis gelangt, dass starke rechtliche und verfassungsrechtliche Bedenken gegen die neue gesetzliche Regelung bestehen, wie sie die SPD vorschlägt. Die Rentenversicherung

kann nicht ohne weiteres der Ort sein, wo sämtliche Aspekte des sozialistischen Unrechtregimes aufgearbeitet und kompensiert werden können.“ Doch genau das spielt eine Rolle: Systemträger von damals bekommen häufig mehr Rente. Der Grund sind diverse Sonderversorgungssysteme aus DDR-Zeiten. Diejenigen, die vorhatten die DDR zu verlassen, zahlten in der Regel nicht in diese Versorgungssysteme ein.

Es geht für die Betroffenen um das Vertrauen in den Rechtsstaat. Die Frage lautet: Was ist gerecht? Die bisherige Regelung mag rechtlich korrekt sei – darauf verweist auch das Sozialministerium gerne – doch es geht um die Aussage, die damit verbunden ist: Wer mehr Rente bekommt, der kann damals nichts Schlimmes getan haben – so sehen es die Opfer. Und die Debatte wird zunehmend emotional, so erlebt es Jürgen Holdefleiß: „Dass es seit so vielen Jahren anhält dieses Problem, dass die Petition schon seit 2006 beim Petitionsausschuss liegt, und eine Bearbeitung überhaupt nicht zu erkennen ist, obwohl eine Beschlussempfehlung vorliegt. Dass die Regierungsfraktionen, wie die Katze um den heißen Brei einen Bogen machen und sich nicht klar bekennen. Das ist das Schlimme. Und weiterhin ist auch noch das Schlimme, das man uns das persönliche Gespräch verweigert.“

Auch wenn es bei diesem Problem um Geld in Form der Rentenhöhe geht – was wesentlich stärker wiegt ist die Aussage, die damit verbunden ist. Ein Rechtsstaat zeichnet sich auch dadurch aus, dass er in der Lage ist, Fehler zu korrigieren. Überfällig ist diese Korrektur schon lange.


Verspielte DDR-Kopien Weil es westdeutsche Gesellschaftsspiele in der DDR nicht gab, wurden sie im Osten einfach nachgebaut. Ob “Monopoly”, “Sagaland” oder “Malefiz”, alle Klassiker

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ichard Geis kippt die deutsche Vergangenheit auf den Tisch. Aus einer goldenen Kaffeetüte purzeln Spielzeug-Tannen und Würfel. Geis öffnet einen grauen Schnellhefter. Im Innern versteckt sich eine Zeichnung, eine bunte Märchenwelt. Aus dem gemalten Traumschloss winkt der gestiefelte Kater, im Zauberwald pfeift der Wind durch die Wipfel. Unter jedem Baum versteckt sich ein Schatz: zum Beispiel Aschenputtels Ballschuh oder Dornröschens Spindel. Für Geis ist der wertvollste Schatz der Märchenwald selbst. Er ist ein Überbleibsel aus einem untergegangenen Land. Die Zeichnung gehört zum Gesellschaftsspiel „Sagaland”, oder besser: einer sehr speziellen Kopie davon. Handgefertigt in der DDR.

des Klassenfeindes wurden in den volkseigenen Bastelstuben kopiert. Woher kam das große Interesse an Westspielen? „Sie waren nicht erhältlich Foto : Seb astia nW und genau aus diesem Grund populär”, sagt enze l Geis. Eine andere mögliche Erklärung: Die Ostspiele langweilten die DDR-Bürger. Der Gründer des Deutschen Spielemuseums, Peter Lemcke, schreibt in einem Aufsatz: „In der DDR gab es praktisch keine komplexen Spiele, keine innovativen neuen Spielformen. Woran hat das gelegen? Zum Spiel gehört auch das Querliegende, Unangepasste. Dabei sind Abweichungen vom Üblichen, die Unordnung, die Unsicherheit und die Umkehrfunktion von Spielen oft eine latente Bedrohung von vorherrschender Ordnung. Spiel stellt die Mächtigen in Frage.”

Beispiel „Monopoly”: „Während des Kalten Krieges war das Es sind Unikate wie diese „Sagaland”-Ost- Spiel im Ostblock verboten. Bereits Josef Stalin wollte sich kopie, die der Student Richard Geis zusam- wegen dessen angeblicher Dekadenz nicht damit anfreunden. men mit seinem Kommilitonen Martin Thiele Grund genug, das Spiel aus dem kapitalistischen Ausland zu sucht und vor dem Mülleimer rettet. „Viele verbieten”, heißt es beim Spielehersteller Hasbro. „MonoMenschen haben leider kein Bewusstsein da- poly” sollte auch das Territorium der DDR nicht erreichen. für, dass sie etwas Besonderes besitzen. Das Exemplare in Westpaketen wurden konfisziert. Doch nicht wollen wir ändern”, sagt Geis. Die zwei Freun- nur die einfachen DDR-Bürger ignorierten die Anweisung. de sammeln die Spielekopien und präsentie- Sammler Thiele erinnert sich an die Begegnung mit einem ren im Internet und in Ausstellungen die Geehemaligen Soldaten: „Der Mann arbeitete in der Natioschichten dazu. nalen Volksarmee. Dort bastelte er ein „Monopoly”-Brett, um sich die Zeit mit seinen Kameraden zu vertreiben. DaAls „Sagaland” 1981 in der BRD erschien, wurmit seine Vorgesetzten es nicht entdeckten, versteckte er de es schnell zum Klassiker unter den Gesell- es auf der Rückseite eines Bildes. Das Gemälde hing in schaftsspielen. Doch auf der anderen Seite der der Stube an der Wand und wurde bei Bedarf herunterMauer bekam man davon nichts mit. Die SED genommen und umgedreht.” Thies schiebt einen Stapel hatte den Verkauf von Westspielen untersagt, sie Kärtchen auf den Tisch. Die Ereignis-Karten sind Teil galten als systemfeindlich und gefährlich. Doch einer „Monopoly”-Version aus Leipzig. Auf eine Karte natürlich bewirkten die Verbote wie so oft das ist gekritzelt: „Dein Kind hat sich ein Bein gebrochen, Gegenteil. Die DDR-Bürger schmuggelten die gehe in die Querstraße und bezahle.” An der Adresse Sebastian Wenzel (33) Originale eben in den Osten und kopierten sie mit stand früher die Leipziger Kinderchirurgie. Schere, Buntstiften und Kleber. Die Spiele made Wiesbaden in DDR waren keine Seltenheit, das Nachmachen Thiele und Geis wünschen sich, dass sie noch viele wurde ein regelrechter Volkssport. Vorlagen gab solche Schätze entdecken. Je mehr Spielekopien sie in Besitzt mehr als es genug: Klassiker wie „Monopoly”, „Malefiz” Ausstellungen präsentieren, desto lebendiger bleibt hundert Brettspiele und „Vier gewinnt” oder damals moderne Brett- die verspielte Vergangenheit der DDR. Bis es soweit und leitet in und Kartenspiele wie „Sagaland”, „Heimlich & Co” ist, schützt die goldene Kaffeetüte Pöppel, Würfel seiner Freizeit oder „Kuhhandel” wurden liebevoll improvisiert. und Karten vor dem Vergessen. www.zuspieler.de

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Docma im Internet lesen

Ein Mann mit vielen Ebenen Dogma – eine unumstößliche Lehrmeinung. Auch wenn Dr. Hans Baumann sein Magazin Docma mit einem c schreibt, wenn es um das Thema Bildbearbeitung mit Photoshop geht, ist er einer der Experten in Deutschland. Und seine Meinung hat Gewicht. Dass aus dem hessischen Kunstwissenschaftler der Photoshop-Papst „Doc Baumann“ wurde, war mehr Zufall. Von Gregor Landwehr.

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n Kassel geboren wollte er dort eigent- wissenschaftlichen Wissen kam ich nicht weiter.“ Denn die Leute Darüber schrieb er für verschiedene Magalich an der Kunsthochschule studieren. die sich die Tanks bemalen ließen, hatten gar nicht den kulturellen zine Artikel. Bis der Anruf einer RedakteuDoch die lehnte ihn drei mal ab. Bis er Hintergrund. Für Baumann waren die Tanks der Einstieg in die rin kam, die fragte, ob er ein neues Grafikdas Prinzip verstanden hatte. „Es liegt nicht Bikerszene. Er wurde Chefredakteur des Magazins „Bikernews“. programm testen wolle. Es hieß Photoshop. daran, was man einreicht, sondern das man Und er blieb dies zwanzig Jahre lang. Der Anfang bei den MotorDer erste Gedanke der ihm kam: Mit dem ein Passepartout drum hat.“ Er packte einen radfahrern war nicht leicht: „Da ich gerade von der Uni kam und Namen, das kann nichts sein. Am Ende war kleinen Rahmen um seine Werke, bekam mich auch so ausdrückte.“ Allerdings hatte er auch einen Vorteil: es aber doch etwas. Baumann spezialisiert einen Studienplatz und studierte Kunstpäd- „Ich sah damals schon so aus wie heute.“ Hans Baumanns Stil mit sich auf das Thema Gestaltung mit Photoagogik. Es war die Zeit nach dem Jahr 1968, langen Haaren, die mittlerweile grau geworden sind, half ihm in shop. 2001 gründet er seine eigene ZeitBaumann lebte in einer Wohngemeinschaft, der Szene akzeptiert zu werden. schrift, sie hieß „Doc Baumans Magazin für arbeitete in einem linken Buchladen und endigitale Bildbearbeitung“, aus dem sperrigen gagierte sich in Hochschulgremien – ein ty- Nach einer Weile war er dort integriert. Bis 1996 war er ChefNamen wurden die Akademischen Titel der pisches linkes Studentenleben. redakteur des Magazins, bis 2005 noch dessen Herausgeber. Herausgeber, kurz: „Docma“ für Dr. und Ma„Dann wurde es mir zu viel.“ gister. Keine Lust auf Kunstpädagogik mit Kindern Beruflicher Wandel: 4.000 Wolkenbilder Vom Biker zum Bildbearbeiter im eigenen Fotoarchiv Im Jahr 1976 war er fertig. Doch dann kam die Erkenntnis: „Ich habe gemerkt, dass ich mit Es war im Jahr 1984 als Baumann bei dem Freund, der auch Photoshop hat den Umgang mit Bildern geKindern eigentlich nichts am Hut habe.“ Daher die Motorräder umbaute, den ersten Mac sah. Davor hatte ändert. „Durch Photoshop können viel mehr studierte er noch mal, dieses mal Kunstwissen- er nie über Computer nachgedacht. Aber dieser hatte eine Leute in Bilder eingreifen.“ Das habe aber auch schaften, gleich im Anschluss promoviert er Maus zum malen, Dokumente konnten in den Papierkorb dazu geführt, dass viele nicht mehr so naiv an über die Darstellungsfunktion von Bildern. Und geworfen werden, das fand er toll. „Ich habe umgerechnet, ein Bild rangehen. Was für ihn ein gutes Foto er hat ein klareres Ziel: Eine wissenschaftliche was ich auf 20 Jahre spare.“ Und er kaufte sich einen Mac, ausmacht? Ein Bild habe den Anspruch, die Karriere, eine Professur für Ästhetik schwebte und ein zweites Diskettenlaufwerk noch dazu. Ein Jahr Szene so erlebbar zu machen, wie sie der Fotoihm vor. Doch da gab es in seiner Vita noch das später lautete das Zauberwort „Desktop-Publishing“ graf erlebt hat. „Beim Bearbeiten wird das Bild Berufsverbotsverfahren. Das wurde zwar später (DTP), das Gestalten von Dokumenten am Computer. nicht verfälscht, sondern dem angenähert, was eingestellt, aber: „Ich hatte keinen Bock mehr Baumann nutzte es für seine Zeitschrift und für ein der Fotograf gesehen hat.“ Heute lebt Baumann auf Mobbing und Vetternwirtschaft an der Hoch- Buchprojekt. Dabei ging es um ein ganz anderes Thema, in einem alten Tanzpalast in der hessischen Proschule.“ die Dreharbeiten des Films „Der Name der Rose“. vinz. Den Tanzsaal braucht er für seine Bücher Der gebürtige Hesse blieb seiner Heimat treu, zog Durch Zufall kam er zu den Dreharbeiten, fuhr nach aber aufs Land. Dort hatte ein Freund ein Fach- München, fragte Bernd Eichinger der sein Okay gab. werkhaus gekauft. Baumann half beim Renovie- Baumann machte sich an die Arbeit, aber das Inren. Er war fasziniert von den Motorrädern, die terview mir Sean Connery dauert sehr lange, daher sein Freund umbaute. Besonders angetan hatten schlug er dem Verlag vor, das Buch selber zu setzen. es ihm die bemalten Tanks – aus kunstwissen- So entstand in Deutschland das erste Buch, das vom schaftlichem Interesse. Ihn interessierte die Iko- Autor selbst mit DTP gestaltet wurde. Nach dem nographie der Motive. „Aber mit meinem kunst- Beststeller hatte Baumann ein neues Thema: DTP.

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– 20.000 Stück. Die Zahl der Fotos in seinem Archiv ist noch größer. Wenn Baumann selbst fotografiert, dann nur Rohmaterial für seine Arbeit. In seiner Bilddatenbank gibt es allein 4.000 Wolkenformationen. Insgesamt hat er 80.000 Bilder in seiner Datenbank. „Irgendwann braucht man es“, weiß er aus Erfahrung.


Foto/Montage: Jonas Fischer

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Bildsprache Oft tauchen in den Medien sprachliche Bilder auf, die nicht den gemeinten Kern treffen oder sogar ganz falsch sind. In den Händen von Journalisten werden Worte zu spitzen Waffen. Eine Auswahl der instrumentalisierten Begriffe zeigen die sechs Bilderrätsel. Viel Spaß beim Raten! Foto: Patrick Stößer

(1) Zum Aufwärmen ein leichtes Bilderrätsel: Hier wird das aktuelle Unwort fassen. Die Jury kritisierte, dass das gesuchte Wort verharmlosend wirkt und des Jahres 2011 gesucht, dass eine Serie von Verbrechen türkisch- und den schweren Verbrechen eine folkloristisch-stereotype Etikettierung verpasst. griechischstämmigen Menschen bezeichnet, die vor Jahren in DeutschDenn die Opfer, die als Kleinunternehmer in Deutschland arbeiteten, werden kliland begonnen hat. Der Begriff wurde von der Polizei und von Jourscheehaft unter einem beliebtem Schnellgericht zusammengefasst und deutlich auf nalisten verwendet, um die schrecklichen Ereignisse zusammenzuihre Herkunft reduziert. Foto: Patrick Stößer

Foto: Jonas Fischer

(2) Dieses Bilderrätsel steht für die Em(3) Als nächstes wird der beschönigende Begriff für die Standorte zur Stromgewinnung gesucht. Das zusammenpörung der Menschen, dass politische gesetzte Wort wurde von den Betreibern gestreut, weil es eine recht harmlose Bezeichnung für einen gefährlichen Entscheidungen über ihre Köpfe hinVorgang ist, der 1986 in der Sowjetunion und im vergangenen Jahr in Japan außer Kontrolle geraten ist. Zudem sollte weg getroffen werden. es auch Assoziationen mit den verheerenden Bombenangriffen im Zweiten Weltkrieg vermeiden.

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Foto: Sebastian Wenzel

Karte: Lencer and NordNordWest/CC BY-SA 3.0

(4) Gar nicht so leicht zu erraten ist dieses Bilderrätsel – es zeigt ein Wort, dass (5) Dieses Bilderrätsel ist recht leicht zu lösen: Es meint einen Begriff, der neue Geräte für die Sicherheitskontrolle an den Flughäfen einseitig dramatisiert. sich auf die neuen Bundesländer bezieht und diesen Teil des Landes stark Damit sollen Waffen und Sprengstoff, die direkt am Körper getragen wird, gefunabwertet. Das beleidigende Wort wurde vor allem in den 1990er Jahren den werden. Der gesuchte Begriff bezieht sich darauf, dass Strahlung die Kleidung verwendet und leitet sich angeblich von den beiden Ds in der nicht mehr von Passagieren durchdringt und recht intime Einblicke ermöglicht. existierenden DDR ab. Foto: Ruben Neugebauer

Lösung: (1) Dönermorde. (2) Wutbürger. (3) Kernkraftwerk. (4) Nacktscanner. (5) Dunkeldeutschland. (6) Humankapital.

(6) Das letzte Bilderrätsel zeigt wieder ein Unwort des Jahres – dieses Mal aus dem Jahr 2004. Es meint das ökonomische Potenzial von Menschen, das sich aus ihren Fähigkeiten, Kenntnissen und der absolvierten Ausbildung ergibt. Nur unter diesen Voraussetzungen kann ein Mensch in der Wirtschaft produktiv arbeiten. Der Begriff macht aus Menschen eine rein ökonomisch interessante Größe.

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Wie lautet Ihre persönliche Schlagzeile des Tages? Fotos: Jonas Fischer, Patrick Stößer

Kurt Feisel, Pensionär, 74 Jahre: „Manchmal Chaotisch, aber sehr gut – und interessant“ Ich denke, das würde mich als Schlagzeile ganz gut beschreiben.

Konstanze Bade, Studentin, 27: „Guten Morgen!“ – Ich bin gerade erst aufgestanden, insofern eine passende und aussagekräftige Schlagzeile für diesen Tag. .

Ruth Hankemayer, Studentin, 25: „Überfordert vom LiMA-Programm“ Es sind so viele Veranstaltungen alle gleichzeitig, das hat mich beim Frühstück ziemlich beschäftigt.

Christian Specht, Arbeitssuchender, 43: „Dagmar Reim darf nicht RBB-Intendantin bleiben!“ Sie hat den Radiosender Multikulti abgeschafft.

Deniz Yücell , Journalist, 36: „Lindner oder Tod!“ Das war eine Schlagzeile, die ich heute für die TAZ gemacht habe. Es geht um den Überlebenswahlkampf der FDP in NRW.

Nergis Ceylan, TAZ-Praktikantin, 30: „Türkisch-deutsche Massenhochzeit – eine kleine Party wird zur stadtübergreifenden Feier!“ Das wäre bestimmt ein gutes Fest.

Burkhard Lüdtke, Dozent, 63: „Triste Wiederholung. “ Heute ist noch nicht viel passiert. Ich habe kaum was gelesen, aber mein Tag beginnt ja auch erst.

Meike Eckstein, Studentin, 26: „Nebenjob, ja oder nein?“ Ich hatte gerade ein Vorstellungsgespräch hier bei dem Asta und hoffe wirklich, dass es geklappt hat.

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Türken werden noch immer diskriminiert N

Vor über fünfzig Jahren schlossen Deutschland und die Türkei ein Abkommen über die Anwerbung von Gastarbeitern. Über eine halbe Million Menschen verließen ihre Heimat. Richtig angekommen sind sie in Deutschland bis heute nicht – zumindest aus rechtlicher Sicht.

och immer existieren rechtliBesuchsvisa mehrere Hundert Euro in Deutschche Diskriminierungen”, fasst land als Sicherheit für die Rückkehr hinterlegen die Rechtswissenschaftlerin zu müssen, verspürten viele als erhebliche Belastung. und die Türkei Referentin am Max“Denn viele Familien mit Migrationshintergrund verfügen Planck-Institut für ausländisches und nicht über diese Mittel.” internationales Privatrecht Duygu Damar den Stand der Dinge zusammen. Für nicht minder problematisch hält der Rechtsexperte die Regelungen Handlungsbedarf sieht in diesem Zuzum Ehegattennachzug. Zwar ist diese Form der Familienzusammensammenhang auch Holger Hoffmann, führung rechtlich in Artikel 6 des Grundgesetzes verbrieft, allerdings Professor für Staatsrecht und Dekan des ist es für türkische Staatsangehörige viel schwieriger, ihre Ehepartner Fachbereichs Sozialwesen an der Fachnach Deutschland zu holen als für Angehörige anderer Nationalitähochschule Bielefeld. Er nennt Benachten, die als sogenannte Positivstaater ohne Visum nach Deutschland teiligungen insbesondere beim erstmalieinreisen dürfen. Dabei handelt es sich um EU-Bürger und solche gen Zugang nach Deutschland in Hinblick aus den Staaten des Europäischen Wirtschaftsraumes, wozu neben auf den Ehegattennachzug und bei der der Schweiz, Israel, Japan, Kanada, Süd-Korea, Neuseeland, die USA Erteilung von Visa als Beispiele für die auch Andorra, Honduras, Monaco und San Marino gehören. “Der Diskriminierung türkischer Staatsbürger. nachziehende Ehegatte muss dabei nicht dieselbe StaatsangehörigSo müssen seit 1980 türkische Staatsangekeit wie der Stammberechtigte besitzen”, so Hoffman. Dies bedeuhörige vor der Reise in die Bundesrepublik te, die türkische Ehefrau eines schweizerischen, kanadischen oder im Vorfeld ein Visum beantragen – selbst, US-amerikanischen Staatsangehörigen darf nach Deutschland wenn sie nur als Familienmitglieder Vereinreisen, ohne Deutschkenntnisse nachweisen zu müssen. wandtschaftsbesuche abstatten. Dagegen die türkische Gattin eines türkischen oder deutschen Dabei hatte der Europäische Gerichtshof Staatsangehörigen nicht. Begründet werde dies mit der „tra(EuGH) 2009 entschieden, dass auch für sie ditionell engen wirtschaftlichen Verflechtung” der „Positiv“die europarechtliche Dienstleistungsfreiheit Staaten mit Deutschland. Diese Begründung streift nach seigilt und sie daher kein Visum benötigen, so ner Auffassung die “Grenze der Lächerlichkeit” angesichts des Hoffmann. „Das Urteil besagt, dass infolge tatsächlichen Handels zwischen der Türkei und Deutschland. eines Zusatzprotokolls zum Assoziierungs“Offenbar ging der Gesetzgeber bei Erlass dieser Regelung abkommen zwischen der EU und der Türkei davon aus, dass in Beziehung zur Türkei eine nicht in derkeine strengeren Visumsregelungen gelten selben Weise ‘traditionell enge wirtschaftliche Verflechtung dürfen als zum Zeitpunkt des Inkrafttretens mit Deutschland’ besteht, wie zum Beispiel mit Andorra oder des Protokolls, also am 1. Januar 1973.” Die allHonduras.” gemeine Visumspflicht für türkische Staatsangehörige sei in Deutschland jedoch erst 1980 Durch diese Regelungen würden türkische und deutsche eingeführt worden. Obwohl der Gerichtshof Staatsangehörige in gleicher Weise gegenüber Unionsbürklarstelle, dass diese Verschärfung der Visumsgern und anderen „Positivstaatern“ diskriminiert. Kritik bestimmungen mit dem Zusatzprotokoll des blieb bislang ungehört. Als das Bundesverwaltungsgericht Assoziierungsabkommens von 1973 unvereinin einer Entscheidung im März 2010 die Regelungen als bar war und die alten Regelungen weiter gelten, vereinbar mit dem Grundgesetz, der Familienzusammenhalte die Bundesregierung daran fest. “Sie verführungsrichtlinie und dem Assoziationsrecht bestätigte, tritt bisher die Auffassung, die EuGH-Entscheihabe dies nicht nur zu Verwunderung und Unmut in der dung sei ein Einzelfall und gelte ausschließlich türkischen Gemeinschaft und bei deutschen Ausländerbeschränkt für Lastkraftfahrer, also nur für Perrechtlern geführt, so der Bielefelder Experte. Auch die sonen, die Dienste erbringen. Touristen hingegen EU-Kommission habe sich der Sache zum wiederholten würden welche in Anspruch nehmen und benöMal angenommen und in einer schriftlichen Erklärung tigten deswegen auch weiterhin ein Visum.” Bei im Mai dieses Jahres deutlich gemacht, dass Integradieser Praxis liege das Problem weniger bei einer tionsanforderungen und Sprachtests nicht als Ausrechtlichen Diskriminierung – die beantragten schlusskriterien oder Einreisebedingungen fungieVisa seien letztlich zumeist erteilt worden. “Es ren oder dem Ziel einer Familienzusammenführung geht mehr darum, dass die Möglichkeiten zur Beentgegenstehen dürften. “Leider hat allerdings die antragung in den deutschen Konsulaten und der Bundesregierung in Beantwortung einer Anfrage der Botschaft in der Türkei als unwürdig empfunden Linken am 20. September 2011 erneut verdeutlicht, wurden”, so Hoffmann. Auch die lange Vorlaufdass sie an ihrer bisherigen Rechtsauffassung weiter zeit nach Antragstellung und der Umstand, für festhalte”, so Hoffmann.

Von Urs Eplinius.

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