Das Gelb Marokkos

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Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein.

Zugleich Dissertation Ludwig-Maximilians-Universität München 2020

ISBN 978-3-11-073738-7

Library of Congress Control Number: 2022949059

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2023 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston.

Einbandabbildung: Marià Fortuny i Marsal: Arabi nel cortile (Detail), Öl auf Leinwand, 61 × 98,5 cm, Museo Fortuny, Venedig, Inv.-Nr.: FORT0221. © Photo Archive – Fondazione Musei Civici di Venezia, 2022.

Satz: SatzBild GbR, Sabine Taube, Kieve

Druck und Bindung: Beltz Grafische Betriebe GmbH, Bad Langensalza

www.degruyter.com

INHALT

Vorwort und Danksagung 9

I AUF DEN SPUREN VON FORTUNY UND REGNAULT 11

Eine vergleichende Analyse spanischer und französischer Orientalismen 11

Pioniere der Marokkomalerei des 19. Jahrhunderts 11

Forschungsstand und Forschungslücke 15

Ziele, methodische Herangehensweise und Untersuchungsschritte 21

II MAROKKO IN DER WELT DES 19. JAHRHUNDERTS 27

Orient- und Marokkorezeptionen in Europa 27

Ambivalenzen einer geografischen und kulturellen Verortung Marokkos 27

Marokko im Kontext des Orientalismus-Diskurses 31

Marokko in der Vorprotektoratszeit 45

Kolonialer Wettstreit in Nordafrika 45

Marokkorezeptionen in Frankreich und Spanien 51

„In the Footsteps of Fortuny and Regnault“: Die Marokkoreise der Champneys 65

III AKTEURE SPANISCHER POLITIK 76

Episoden des Spanisch-Marokkanischen Krieges 76

Fortuny als cronista gráfico in Marokko 76

Domínguez und der Spanisch-Marokkanische Friede 90

General Prim als Protagonist in Fortunys und Regnaults Gemälden 105

Der Rekurs auf das Mittelalter Spaniens 105

Prim aus französischer Fremdperspektive 117

IV ZENTREN DER ORIENTMALEREI 139

Orientalistische Bildproduktion zwischen Rom und Tanger 139

Französische und spanische Orientmaler in Rom 139

Tanger im Fokus spanischer und französischer Orientmaler 163

Paris – Ausstellungs- und Vermarktungsplattform orientalistischer Malerei 181

Paris – Ein Zentrum des kulturellen Austauschs internationaler Orient maler 181

Zum expandierenden Kunsthandel in Paris 196

V DIE FASZINATION FÜR ISLAMISCHE MATERIALKULTUREN 216

Zur Revalorisierung der Alhambra im 19. Jahrhundert 216

Der Alhambrismus als historistischer Stil 216

Zur Legende von der Ermordung der Abencerragen in der Malerei 224

Der Alhambradekor im Fokus Fortunys und Regnaults 238

Netzwerke und „Nachahmer“ im Künstlerkreis Fortunys und Regnaults 246

Zum Restaurieren, Reproduzieren und Sammeln islamischer Kunst 252

Zur Kritik an der Restaurierung der Alhambra durch Contreras 252

Die Alhambravasen – vom Original zur Replik 255

Orientalistische Künstlerateliers im globalen Kontext 265

Der Orientteppich als Protagonist orientalistischer Genremalerei 277

VI ORIENTBILDER IM DIENST DER POLITISCHEN PROPAGANDA 291

Künstler als „Wegbereiter“ der Kolonialisierung? 291

Die Pariser Exposition d’Art Marocain im Jahr 1917 291

Fortunys und Regnaults Orientalismen im Vergleich 298

Literaturverzeichnis 303

Bildnachweise 346

Farbtafeln 349

Personenregister 383

| Inhalt 6
Für meine Mutter, Nadia Ghannam

VORWORT UND DANKSAGUNG

Bei der vorliegenden Veröffentlichung handelt es sich um die überarbeitete Fassung meiner im Januar 2020 an der Ludwig-Maximilians-Universität München eingereichten Dissertation. Mein ganz besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Professor Dr. Hubertus Kohle für die hilfreiche Betreuung dieser Arbeit. Weiterhin danke ich herzlich PD Dr. Matthias Krüger für die Bereitschaft, das Zweitgutachten zu übernehmen sowie Frau Professor Dr. Burcu Dogramaci, die sich dankenswerterweise bereit erklärte, als Drittprüferin in meinem Promotionsverfahren zu fungieren.

Ermöglicht wurde die Publikation durch einen großzügigen Druckkostenzuschuss der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein, der ich ebenso danke. Dem Verlag De Gruyter, insbesondere Frau Anja Weisenseel und Frau Arielle Thürmel, danke ich für die Realisierung und Sorgfalt bei der Drucklegung dieser Publikation. Für die unentgeltliche Überlassung von Nutzungsrechten von Bildern danke ich allen Museen und Institutionen, die mich hierdurch unterstützt haben.

Schließlich gilt mein Dank allen Freunden, Kollegen und Kommilitonen, die mich auf diesem Weg begleitet und mit viel Geduld Korrektur gelesen haben. Unendlichen Dank schulde ich meiner Mutter und meinen Schwestern, die mich immer unterstützten.

München, im Sommer 2022

I AUF DEN SPUREN VON FORTUNY UND REGNAULT

Eine vergleichende Analyse spanischer und französischer Orientalismen

Pioniere der Marokkomalerei des 19. Jahrhunderts

Honoré Daumier (1808–1879) setzte sich in der Karikatur Un parasol dans une position difficile (Abb. 1), die am 25. November 1859 in der satirischen Wochenzeitschrift Le Charivari erschien, auf humoristische Weise mit der brisanten politischen Lage Marokkos im Jahr 1859 auseinander.1 Der zu jener Zeit regierende marokkanische Sultan Mūlāy ʿAbd ar-Ra ḥ mān (reg. 1238–1276 AH/1822–1859)2 versteckt sich in Daumiers Karikatur, in welcher er stellvertretend für Marokko steht, in der Mitte des Bildvordergrundes fluchtbereit hinter einem aufgespannten Sonnenschirm.3 Im Hintergrund zu seiner Linken steht das spanische Heer, diesem gegenübergestellt befindet sich zu seiner Rechten die Phalanx der französischen Soldaten. Der Sultan als Personifikation Marokkos scheint jedoch nicht das Ziel des Angriffs beider europäischer Streitkräfte zu sein. In dieser Dreieckskomposition marschieren die Franzosen und die Spanier aufeinander zu, während der marokkanische Herrscher in einer ungünstigen Position dazwischensteht. Eine dreiwöchige französische Strafexpedition an der marokkanisch-algerischen Grenze lieferte den Anlass zu Daumiers Darstellung, nachdem die spanische Regierung unter Isabella II. (reg. 1833–1868) am 22. Oktober 1859 Marokko den Krieg verkündet hatte und die iberische Armee kurz vor einem Einmarsch in das nordafrikanische Land stand. Marokko wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahr-

1 Die Karikatur ist Teil einer achtblättrigen Marokko-Serie, in der sich Daumier mit dem SpanischMarokkanischen Krieg (1859–1860) auseinandersetzte. Daumier veröffentlichte die Serie zwischen dem 14. November 1859 und dem 16. März 1860 in der Zeitschrift Le Charivari, in der eine große Anzahl seiner Karikaturen publiziert wurde. Vgl. André Stoll: Die Rückkehr der Barbaren. Europäer und „Wilde“ in der Karikatur Honoré Daumiers, Ausstellungskatalog (Kunsthalle, Bielefeld, 12. Dezember 1985–9. Februar 1986), Hamburg: Hans Christians Verlag 1985, S. 331.

2 Philippe de Cossé-Brissac: „ʿAbd al-Ra ḥ mān b. Hishām“, in: Encyclopaedia of Islam. Second Edition (EI²), hgg. von Peri J. Bearman/Thierry Bianquis/Clifford Edmund Bosworth/Emeri J. van Donzel/ Wolfhart P. Heinrichs (online).

3 Die in dieser Arbeit vorgenommene Transliteration arabischer Begriffe und Namen erfolgt nach den islamwissenschaftlichen Richtlinien der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft (DMG, DIN 31635). Die Zeitangaben folgen dem gregorianischen Kalender sowie bei Personen aus islamisch geprägten Ländern zusätzlich nach der islamischen Zeitrechnung. Die islamischen Jahresangaben werden mit der Abkürzung AH (lat. Anno Hegirae, das Jahr der Hiǧ ra) angegeben.

hunderts zum Streitgegenstand europäischer Großmächte – vor allem Frankreichs, Spaniens und Großbritanniens. Die Konfrontation der europäischen Truppen in Daumiers Karikatur visualisiert demzufolge die komplexe und angespannte Machtkonstellation an der marokkanisch-algerischen Grenze sowie die Rivalität Frankreichs und Spaniens in Nordafrika zu jener Zeit.4

Während Frankreich und Spanien im 19. Jahrhundert in Nordafrika um koloniale Einflusssphären wetteiferten, wurde – vorwiegend seit der schrittweisen Eroberung Algeriens durch Frankreich ab 1830 – auch bei westlichen Künstlern und Schriftstellern ein Interesse an Marokko hervorgerufen. So avancierte das maghrebinische Land in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem beliebten Reiseziel und einem bedeutenden Bildmotiv europäischer Künstler; insbesondere französische und spanische Maler machten das Sultanat zu

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4 Vgl. Stoll 1985, S. 346. 1 Honoré Daumier: Un parasol dans une position difficile, veröffentlicht in: Le Charivari, 25. November 1859, Lithografie auf Zeitungspapier, 23,2 × 28,1 cm, The Metropolitan Museum of Art, New York, Harris Brisbane Dick Fund, 1936, Inv.-Nr.: 36.12.222.

einem beliebten Schauplatz ihrer Gemälde. Auf einer ersten Betrachtungsebene stellt sich demnach zunächst die zentrale Frage, aus welchen Gründen Marokko im 19. Jahrhundert bereist wurde und auf welche Weise das Land in der europäischen Malerei rezipiert wurde. Mit welchen Themen, Motiven und Orten Marokkos befassten sich europäische Maler in ihren Werken und welche Maltechniken wurden angewandt? Lassen sich in der Orientmalerei des 19. Jahrhunderts charakteristische Merkmale erkennen, die Marokko spezifisch kennzeichneten, und somit eine differenzierte europäische Wahrnehmung dieses nordafrikanischen Landes gegenüber anderen vom Islam geprägten Ländern aufzeigen?

Von einer zunehmenden Auseinandersetzung europäischer Maler des 19. Jahrhunderts mit Marokko als Bildthema berichtete beispielsweise Léonce Bénédite (1859–1825), der seit 1886 als Kurator des Musée du Luxembourg, dem damaligen Museum für Gegenwartskunst, tätig war.5 Er verfasste anlässlich der ersten Ausstellung marokkanischer Kunst im Pariser Pavillon de Marsan des Palais du Louvre einen Artikel, der am 15. Oktober 1917 in der illustrierten Monatszeitschrift France-Maroc publiziert wurde. Bénédite verwendete eine militärische Metapher, um die „hérauts“ einer „petite phalange de maîtres“ europäischer Marokkomaler zu benennen, an deren vorderster Front er den französischen Maler Eugène Delacroix (1798–1863) platzierte.6 Zu den bedeutendsten Malern marokkanischer Sujets zählte Bénédite verschiedene Künstler des 19. Jahrhunderts, wie den bereits zu seiner Zeit in Vergessenheit geratenen französischen Maler Alfred Dehodencq (1822–1882) und bezeichnete diesen als „le plus local et le plus savoureux des orientalistes marocains, le plus réel tout en restant le plus exalté, belle et puissante figure d’artiste, sortie d’un injuste oubli par ses derniers héritiers.“7

Bénédite sprach jedoch nicht allein von französischen Künstlern, sondern führte zudem auch Marokkomaler anderer europäischer Länder an. Hierzu zählte er u.a. den Katalanen Marià Fortuny i Marsal (1838–1874)8, der nach dem Ersten Spanisch-Marokkanischen Krieg von 1859 bis 1860 zum bedeutendsten Orientmaler auf der Iberischen Halbinsel avancierte.9

5 Jesús Pedro Lorente: The Museums of Contemporary Art: Notion and Development, Farnham: Ashgate 2011, S. 28, Anm. 13.

6 Léonce Bénédite: „Art et Maroc“, in: France-Maroc: revue mensuelle illustrée, 15. Oktober 1917, S. 1–7, hier S. 5. Zu Delacroix’ Marokkoreise siehe u.a.: Brahim Alaoui: Delacroix. Le voyage au Maroc, Ausstellungskatalog (Institut du Monde Arabe, Paris, 27. September 1994–15. Januar 1995), Paris: Flammarion 1994; Nicole Garnier (Hg.): Delacroix au Maroc: L’Orientalisme au Musée Condé, Ausstellungskatalog (Musée Condé, Chantilly, 7. Oktober–31. Dezember 1992), Chantilly: Musée Condé 1992; Nicole Garnier-Pelle (Hg.): Delacroix et l’aube de l’orientalisme: de Decamps à Fromentin, peintures et dessins, Ausstellungskatalog (Jeu de Paume du domaine de Chantilly, Chantilly, 30. Septembre 2012–7. Januar 2013), Paris: Somogy 2012; Maurice Arama: Le Maroc de Delacroix , Paris: Édition du Jaguar 1987.

7 Bénédite 1917, S. 5.

8 In dieser Studie wird der katalanische Name des Malers Fortuny (Kastilisch: Mariano Fortuny y Marsal) und anderer katalanischer Künstler verwendet. Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass Fortuny fälschlicherweise manchmal auch mit „Carbó“ als zweiten Nachnamen bezeichnet wird.

9 Zur Bedeutung dieses Krieges in der katalanischen Identitätskonstruktion siehe Ina Kühne: „Els catalans a l’Àfrica“. Die Rolle des Spanisch-Marokkanischen Kriegs von 1859/60 im katalanischen Identitätsdiskurs des 19. Jahrhunderts, Frankfurt am Main (u.a.): Peter Lang 2017. Zu Fortuny siehe auch Patricia Hertel: Der erinnerte Halbmond. Islam und Nationalismus auf der Iberischen Halbinsel im 19. und 20. Jahrhundert, München: Oldenbourg 2012, S. 114.

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Fortuny, „cet incomparable virtuose […], qui enrichit sa palette papillotante et chatoyante de toute la féerie du Maghreb“, so Bénédite, habe französischen Künstlern wie Henri Regnault (1843–1871), Georges Clairin (1843–1919) und Jean-Joseph Benjamin-Constant (1845–1902) den Weg nach Marokko geebnet.10

Insbesondere die beiden Maler Fortuny und Regnault wurden von ihren Zeitgenossen oftmals in Zusammenhang gebracht. Sie gelten als Pioniere einer orientalistischen Malerei der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und machten Marokko zu einem Hauptmotiv ihres künstlerischen Œuvres. So berichtete beispielswiese der nordamerikanische Autor und Kunstkritiker Clarence Cook (1828–1900) von der Faszination Fortunys und Regnaults vom maghrebinischen Land:

In 1859 he [Fortuny] joined his compatriot, Gen. Prim, count of Reus, in his expedition to Morocco, and in Africa he was taken captive by the charm of that splendid barbarism, in which Regnault, too, found such delight as made him forget Italy; and he returned to Europe with a world of studies, which were afterward, whether as studies or as pictures, to make him fame and fortune.11

Während Fortuny Marokko das erste Mal im Jahr 1859 während des Spanisch-Marokkanischen Krieges bereiste, begab sich der Historien-, Genre- und Porträtmaler Regnault rund zehn Jahre später, im Jahr 1869, nach Marokko. In Tanger richtete sich Regnault zusammen mit Clairin ein Atelier ein, wo Ersterer bis zum Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges lebte.12 Doch welches künstlerische Verhältnis bestand zwischen Fortuny und Regnault?

Der französische Schriftsteller und Journalist Jules Claretie (1840–1913) sprach von einer konkurrenzgeprägten Beziehung beider Maler und betonte außerdem, dass Fortuny und Regnault als Farbvirtuosen ihrer Zeit galten: „Fortuny, lui, fut, comme Henri Regnault, un outrancier dans la couleur.“13 Darüber hinaus vermutete der Schriftsteller, Journalist und Historiker François-Victor Fournel (1829–1894) in seinem im Le Correspondant erschienenen Artikel „Les œuvres et les hommes“, dass es gegenseitige künstlerische Beeinflussungen zwischen Fortuny und Regnault gab:

Il est certain que Regnault a subi l’influence de Fortuny, mais peut-être a-t-il influé sur lui à son tour, car il n’était pas homme à tout recevoir sans rien rendre, et il faudrait bien se garder, en le prenant au mot, de traiter en élève un artiste d’une si incontestable originalité. Quoi qu’il en soit, il y a entre eux une véritable analogie de goûts et de tempéraments, et sous les différences qui les séparent, il est impossible de ne pas reconnaître des qualités semblables de verve, de fougue et de force, la même façon de voir les choses, le même amour de l’accessoire éclatant, des riches draperies, des étoffes chatoyantes, la même haine de gris et la même ivresse de couleur.14

10 Bénédite 1917, S. 5.

11 Clarence Cook: „Fortuny“, in: Johnson’s New Universal Cyclopædia , Band II, hgg. von Frederick Augustus

Porter Barnard/Arnold Henry Guyot, New York: A. J. Johnson & Son 1876, S. 229.

12 Arthur Duparc (Hg.): Correspondance de Henri Regnault, Paris: Charpentier 1872, S. 335–336.

13 Jules Claretie: L’art et les artistes français contemporains: avec un avant-propos sur le Salon de 1876 et un index alphabétique, Paris: Charpentier 1876, S. 417–418.

14 Victor Fournel: „Les œuvres et les hommes“, in: Le Correspondant: recueil périodique, Band 99, Paris: Charles Douniol 1875, S. 586–617, hier S. 592.

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Aufgrund dieser Gegenüberstellungen Fortunys und Regnaults durch Zeitgenossen stellt sich auf einer zweiten Betrachtungsebene die Frage, in welcher Weise Marokko von den beiden Malern rezipiert wurde und inwiefern Übereinstimmungen sowie Differenzen in deren orientalistischen Werken auszumachen sind? Welchen Stellenwert nehmen die Orientalismen15 Fortunys und Regnaults innerhalb des jeweiligen Gesamtwerks beider Künstler ein? Dies führt auf einer dritten Betrachtungsebene zu folgenden Fragen: Worauf lassen sich Gemeinsamkeiten und Schnittmengen in den Werken beider Künstler zurückführen? Wird anhand eines beispielhaften Vergleichs der orientalistischen Werke Regnaults und Fortunys sichtbar, dass Parallelismen in der französischen und spanischen Malerei der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Ergebnisse wechselseitiger Austauschprozesse, Begegnungen und Netzwerkbildungen resultieren konnten? An welchen Orten trafen sich europäische Orientmaler zu jener Zeit, welche Städte fungierten in Europa und Nordafrika als Kontaktzonen sowie als Produktions-, Handels- und Vermarktungszentren orientalistischer Kunst? Wie gestaltete sich das künstlerische Umfeld um Fortuny und Regnault und welche Rolle nahmen beide Maler innerhalb eines möglichen gemeinsamen Künstlerkreises ein?

Forschungsstand und Forschungslücke

Es liegt bisher keine wissenschaftliche Untersuchung vor, die spezifisch das orientalistische Œuvre der Maler Fortuny und Regnault in den Fokus nimmt und vergleichend analysieren würde. Außerdem bleibt die künstlerische Auseinandersetzung spanischer und französischer Maler mit Marokko im Allgemeinen in der kunsthistorischen Forschung bis heute stark vernachlässigt. Die vorliegende Arbeit widmet sich diesen Desideraten, indem sie orientalistische Werke Fortunys und Regnaults fokussiert und sich mit der Rezeption Marokkos beider Maler auseinandersetzt. Dass bis heute keine transregionale Untersuchung der Orientalismen Fortunys und Regnaults vorliegt, könnte darin begründet sein, dass Orientgemälden in Zusammenhang mit der Historienmalerei der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts lange Zeit nur sehr wenig Beachtung geschenkt wurde; französische akademische Malerei wurde gelegentlich sogar pejorativ als „art pompier“ bezeichnet.16 Ein wachsendes Interesse an der französischen akademischen Kunst lässt sich zwar seit den 1970er-Jahren von Seiten der westlichen Kunstgeschichtsschreibung beobachten und wurde insbesondere durch die Eröffnung des Pariser Musée d’Orsay im Jahr 1986 angetrieben. Französische Historien- und

15 Der Plural „Orientalismen“ drückt die Intention aus, die Monochromie in der Orientalismus-Forschung zu korrigieren und den Facettenreichtum orientalistischer Malerei in Europa herauszuarbeiten, ohne jedoch die darin enthaltenen Wiedersprüche und Ambivalenzen außer Acht zu lassen.

16 Der Ursprung des französischen Begriffs Art pompier (‚Feuerwehrmann-Kunst‘) kann nicht eindeutig bestimmt werden. Der Begriff könnte von folgender Assoziation abgeleitet worden sein: Auf Historiengemälden sind häufig griechische Helme zu sehen, welche Kunstkritiker des 19. Jahrhunderts an die Helme von Feuerwehrmännern erinnerten. Zur Terminologie und zu Hypothesen zum Ursprung des Begriffs siehe Louis-Marie Lécharny: L’Art pompier, Paris: Presses Universitaires de France 1998, S. 12–15. Siehe zur ‚Pompiermalerei‘ auch Jacques Thuillier: Peut-on parler d’une peinture „pompier“?, Paris: Presses Universitaires de France 1984.

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Genremaler, die sich mit orientalistischen Sujets beschäftigten, wie beispielsweise Jean-Léon Gérôme (1824–1904)17, Alexandre Cabanel (1823–1889) und Georges-Antoine Rochegrosse (1859–1938), wurden jedoch erst allmählich zunehmend von der Forschung gewürdigt.18 Eine Wiederentdeckung erfuhr beispielsweise der Maler Benjamin-Constant, der sich in seinen Orientbildern vorwiegend mit Marokko befasste und dem vom 4. Oktober 2014 bis zum 4. Januar 2015 im Musée des Augustins in Toulouse eine monografische Ausstellung gewidmet wurde.19 Andere französische Marokkomaler wie Clairin, Dehodencq und Regnault bleiben hingegen bis heute nur am Rande erforscht.20

Im Jahr 1872 wurde Regnault zwar nach seinem Tod in der Pariser École des BeauxArts eine Retrospektive gewidmet, doch nach dieser Ausstellung geriet er weitestgehend in Vergessenheit.21 Das Interesse für den Maler stieg erst wieder seit der Mitte des 20. Jahrhunderts und zwar im Zuge der Revalorisierung akademischer Malerei. Obwohl Regnault als ein bedeutender Wegbereiter der französischen Orientmalerei der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts betrachtet wird, gibt es bis heute keine umfassende Untersuchung, die sein orientalistisches Œuvre analysiert. Angelika Leitzke bezeichnete Regnault als einen „Grenzfall“ der französischen Orientmalerei, „da sein Werk bereits auf Symbolismus und Jugendstil vorausweist“.22 Auch andere Autoren erkannten Regnaults Bedeutung für die französische Kunstgeschichte und leisteten eine wichtige Grundlagenforschung zu dem aus Paris stammenden Maler, so auch hinsichtlich dessen Orientrezeption. So befasste sich beispielsweise María Brey Mariño in ihrer 1964 veröffentlichten Publikation Viaje a España del pintor Henri Regnault (1868–1870) mit dem französischen Maler. Dabei beschränkte sie sich allerdings auf die zwei Spanienreisen Regnaults in den Jahren 1868 und 1869, dessen anschließender Marokkoaufenthalt fand dagegen keine Beachtung.23 Vom 16. Oktober 1991 bis zum

5. Januar 1992 widmete sich das Musée Municipal de Saint-Cloud Regnault mit einer bedeu-

17 Zu Gérôme siehe Gerald Martin Ackerman: La vie et l’œuvre de Jean-Léon Gérôme, Paris: ACR 1986.

18 Laurence des Cars (Hg.): Jean-Léon Gérôme (1824–1904). L’histoire en spectacle, Ausstellungskatalog (Musée d’Orsay, Paris, 19. Oktober 2010–23. Januar 2011), Paris: Skira-Flammarion 2010; Andreas Blühm (Hg.): Alexandre Cabanel. Die Tradition des Schönen, Ausstellungskatalog (Wallraf-Richartz Museum, Köln, 4. Februar–15. Mai 2011), München: Hirmer 2011; Laurent Houssais: Georges-Antoine Rochegrosse. Les fastes de la décadence, Ausstellungskatalog (Musée Anne-de-Beaujeu, Moulins, 29. Juni 2013–5. Januar 2014), Paris: Mare & Martin 2013.

19 Nathalie Bondil (Hg.): Benjamin-Constant. Merveilles et mirages de l’orientalisme, Ausstellungskatalog (Musée des Augustins, Toulouse, 4. Oktober 2014–4. Januar 2015), Paris: Hazan 2014.

20 Vgl. die an der École du Louvre entstandene Dissertation von Véronique Prat: Alfred Dehodencq (1822–1882), 1975–1977 und die Masterarbeit von Christelle Arnold: Georges Clairin (1843–1919). Un peintre voyageur, Université Paris-Sorbonne, Paris 1990 (beide unveröffentlicht).

21 Théophile Gautier: Œuvres de Henri Regnault exposées à l’École des beaux-arts, Ausstellungskatalog (École des beaux-arts, Paris, 1872), Paris: J. Claye 1872.

22 „Ein Grenzfall: Henri Regnault“, in: Angelika Leitzke: Das Bild des Orients in der französischen Malerei. Von Napoleons Ägypten-Feldzug bis zum Deutsch-Französischen Krieg, Marburg: Tectum 2001, S. 249–253.

23 María Brey Mariño: Viaje a España del pintor Henri Regnault (1868–1870). España en la vida y en la obra de un artista francés, Madrid: Editorial Castalia 1964. Zur Spanienrezeption Regnaults siehe auch Enrique Lafuente Ferrari: „Henri Regnault et l’Espagne“, in: Bulletin de l’Institut Français en Espagne 33 (1949), S. 28–31.

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tenden Einzelausstellung, in welcher es einige seiner orientalistischen Hauptwerke präsentierte.24 Hollis Clayson nahm in ihrem 2002 erschienenen Beitrag „Henri Regnault’s Wartime Orientalism“ das Motiv des muskulösen Nordafrikaners in Regnaults Werken unter dem spezifischen Aspekt der homosozialen Beziehung Regnaults zu Clairin in den Blick; die künstlerische Relation Regnaults zu Fortuny wurde hingegen nicht besprochen.25 2008 veröffentlichte Brigitte Olivier-Cyssau unter dem Titel Le peintre, l’amour, la mort. Henri Regnault (1843–1871) eine Regnault-Biografie, die allerdings weniger einer wissenschaftlichen Studie entspricht, als vielmehr „une authentique biographie malgré ses traits de roman d’aventures et d’amour“ darstellt, so im Klappentext zitiert.26 Als Spezialist für Regnault gilt Marc Gotlieb, der 2016 unter dem Titel The Deaths of Henri Regnault eine erste tiefgründige Monografie zum Maler veröffentlichte, jedoch nicht ausreichend auf die künstlerische Vernetzung Fortunys und Regnaults einging.27

Neben zahlreichen weitestgehend in Vergessenheit geratenen französischen Akademieund Orientmalern wie Regnault wurden auch eine Reihe spanischer Maler, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nach Marokko reisten und das Land zum Schauplatz ihrer Bilder machten, bis heute nicht ausreichend untersucht. Hierzu zählen Maler aus dem Künstlerkreis Fortunys wie Francisco Lameyer y Berenguer (1825–1877), Josep Tapiró i Baró (1836–1913) und Antoni Fabrés i Costa (1854–1938).28 Fortuny wurde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts seitens der internationalen kunsthistorischen Forschung zwar nicht gänzlich über-

24 Sophie de Juvigny (Hg.): Henri Regnault (1843–1871), Ausstellungskatalog (Musée Municipal de SaintCloud, 16. Oktober 1991–5. Januar 1992), Saint-Cloud: Musée Municipal 1991.

25 Hollis Clayson: „Henri Regnault’s Wartime Orientalism“, in: Orientalism’s Interlocutors: Painting, Architecture, Photography, hgg. von Jill Beaulieu/Mary Roberts, Durham/London: Duke University Press 2002, S. 131–178. Dieser Beitrag ist in ähnlicher Form unter dem Titel „Henri Regnault: Wartime Orientalism“ in der folgenden Publikation als Kapitel neun publiziert: Hollis Clayson: Paris in Despair: Art and Everyday Life under Siege (1870–71), Chicago: The University of Chicago Press 2002, S. 234–272.

26 Brigitte Olivier-Cyssau: Le peintre, l’amour, la mort. Henri Regnault (1843–1871), Biarritz (u.a.): SéguierAtlantica 2008.

27 Marc Gotlieb: The Deaths of Henri Regnault, Chicago/London: The University of Chicago Press 2016. Gotlieb veröffentlichte außerdem folgende Aufsätze zu Regnault: „How Canons Disappear. The Case of Henri Regnault“, in: Art History and its Institutions, hg. von Elizabeth Mansfield, London/New York: Routledge 2002, S. 163–177; „Legends of the Painter Hero. Remembering Henri Regnault“, in: Nationalism and French Visual Culture, 1870–1914, hgg. von June Hargrove/Neil McWilliam, New Haven/ London: Yale University Press 2005, S. 101–127; „Figures of Sublimity in Orientalist Painting“, in: Dialogues in Art History, from Mesopotamian to Modern: Readings for a New Century (= Studies in the History of Art; Band 74), hg. von Elizabeth Cropper, New Haven/London: Yale University Press 2009, S. 317–341.

28 Siehe Fernando José Martínez Rodríguez: Francisco Lameyer y Berenguer, pintor, militar y viajero, 1825–1877, Dissertation, Universidad Complutense de Madrid 2007; Jordi À. Carbonell i Pallarès: „Los retratos de Tapiró del Museo del Prado“, in: Boletín del Museo del Prado 31 (2013), Nr. 49, S. 130–141; Jordi À. Carbonell i Pallarès: Josep Tapiró. Pintor de Tànger, Barcelona: Museu Nacional d’Art de Catalunya/ Universitat Rovira i Virgili 2014; Claudia Hopkins: „The Politics of Spanish Orientalism: Distance and Proximity in Tapiró, and Bertuchi“, in: Art in Translation 9 (2017), Nr. 1, S. 134–167; Esteban Battle: „Antonio Fabrés Costa“, in: Anales y Boletín de los Museos de Arte de Barcelona 3 (1945), S. 215–218; Salvador Moreno: El pintor Anonio Fabrés, Mexiko-Stadt: Universidad National Autonoma de Mexico 1981; Aitor Quiney (Hg.): Antoni Fabrés. De la gloria al olvido, Ausstellungskatalog (Museu Nacional d’Art de Catalunya, Barcelona, 31. Mai–29. September 2019), Barcelona: Museu Nacional d’Art de Catalunya 2019.

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sehen, ein Großteil der ihm gewidmeten Monografien war jedoch spanischen sowie vorwiegend katalanischen Ursprungs.29 In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde Fortuny darüber hinaus in Spanien auch in Ausstellungen geehrt, wie beispielsweise 1940 im Palau de la Virreina in Barcelona.30 Internationale Beachtung erfuhr Fortuny zunehmend seit den 1960er-Jahren, so unter anderen im Rahmen einer vom Los Angeles County Museum of Art präsentierten Einzelausstellung vom 12. Dezember 1967 bis zum 4. Februar 1968.31 Weitere Ausstellungen und Publikationserscheinungen um seine Person folgten zwar vornehmlich in Spanien, aber auch im Ausstellungsbetrieb anderer Länder wie Frankreich und Italien ist seither ein gesteigertes Interesse für den katalanischen Maler wahrnehmbar. Anlässlich des 100. Todesjahres Fortunys wurde ihm im November 1974 eine Ausstellung im Museo de Arte Moderno in Barcelona gewidmet.32 Eine erste umfassende Monografie zu Fortuny veröffentlichten daraufhin 1989 Carlos González López und Montserrat Martí Ayxelà in zwei Bänden.33 Außerdem wurden ebenfalls 1989 in Madrid und Barcelona Ausstellungen zu Fortuny veranstaltet, in der unter anderem die künstlerische Bezugnahme nordamerikanischer Maler auf Fortunys Œuvre behandelt wurde.34 Vom 17. Oktober 2003 bis zum 18. Januar 2004 fand im Museu Nacional d’Art de Catalunya in Barcelona eine Retrospektive zu ihm statt.35 Das Madrider Museo Nacional del Prado präsentierte 2005 die Ausstellung El legado Ramón de Errazu und nahm neben Fortuny auch die spanischen Maler Martín Rico y Ortega (1833–1908) und Raimundo de Madrazo y Garreta (1841–1920) in den Blick. Die in dieser Ausstellung gezeigten Werke stammten aus der Sammlung von Ramón de Errazu y Rubio de Tejada (1840–1904), einem überwiegend in Paris lebenden spanisch-mexikanischen Liebhaber zeit-

29 Zu der Literatur, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu Fortuny erschienen ist, siehe beispielsweise Alfonso Maseras/Carles Fages de Climent: Fortuny, la mitad de una vida , Madrid (u.a.): EspasaCalpe 1932; Joaquim Ciervo: Fortuny, Barcelona: „Els Quaderns d’Art“ 1935; Alfonso Maseras: El pintor Fortuny, Barcelona: Barcino 1938. Siehe auch die in der frühen zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts veröffentlichte Monografie zu Fortuny: Luis Gil Fillol: Mariano Fortuny: su vida, su obra, su arte, Barcelona: Iberia 1952.

30 Servicio de Defensa del Patrimonio Artístico Nacional: Exposición Fortuny, Ausstellungskatalog (Palau de la Virreina, Barcelona), Barcelona: Imprenta La Polígrafa 1940.

31 Los Angeles County Museum of Art: A Remembrance of Mariano Fortuny, Ausstellungskatalog (Los Angeles County Museum of Art, Los Angeles, 12. Dezember 1967–4. Februar 1968), Los Angeles: Los Angeles County Museum of Art 1967.

32 Joan Ainaud de Lasarte: Mariano Fortuny, Ausstellungskatalog (Museo de Arte Moderno, Parque de la Ciudadela, Barcelona, November 1974), Barcelona: Publicacion del Patronato National de Museos 1974.

33 Carlos González López/Montserrat Martí Ayxelà: Mariano Fortuny Marsal , zwei Bände, Barcelona: Ràfols 1989.

34 Carlos González López/Montserrat Martí Ayxelà/Anna Mir: Fortuny (1838–1874), Ausstellungskatalog (Sala de Exposiciónes de la Fundación Caja de Pensiones, Madrid, 4. April–14. Mai 1989), Madrid: Fundación Caja de Pensiones 1989.

35 Mercè Doñate/Cristina Mendoza/Francesc Quílez i Corella (Hgg.): Fortuny (1838–1874), Ausstellungskatalog (Museu Nacional d’Art de Catalunya, Barcelona, 17. Oktober 2003–18. Januar 2004), Barcelona: Museu Nacional d’Art de Catalunya 2003. Siehe insbesondere den Beitrag zum Orientalismus Fortunys von Jordi À. Carbonell i Pallarès: „Mariano Fortuny orientalista“ (S. 355–385) und zu Fortunys Sammelleidenschaft islamischer Kunst von Francesc Quílez i Corella: „Fortuny coleccionista, anticuario y bibliófilo“ (S. 419–431).

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genössischer Malerei.36 Vom 29. Juni 2008 bis zum 26. Oktober 2008 fand im Musée Goya in der französischen Stadt Castres eine Schau zu Fortuny statt, die das grafische Werk des Malers aus der eigenen Sammlung zeigte.37 2008 erschien die Monografie Fortuny. Un mundo en miniatura von Begoña Torres González.38 Begleitend zu einer Ausstellung im Museu de Reus anlässlich des 175. Geburtsjahres Fortunys erschien der katalanischsprachige Katalog Fortuny, el mite von Jordi À. Carbonell i Pallarès und Francesc Quílez i Corella.39 2016 fand in Granada, Sevilla und Barcelona die Ausstellung Tiempo de ensoñación: Andalucía en el imaginario de Fortuny statt, in der die Schaffensphase des Künstlers während seines Aufenthaltes in Granada in den Jahren zwischen 1870 und 1872 in den Vordergrund gerückt wurde.40 Vom 21. November 2017 bis zum 18. März 2018 widmete sich ihm erneut das Prado-Museum in einer Einzelausstellung.41 Zu diesem Anlass veröffentlichte das Museum die in seinem Archiv aufbewahrten Korrespondenzen Fortunys und Angehöriger der Familie Madrazo.42 Die Memoiren von Fortunys Ehefrau Cecilia de Madrazo y Garreta (1846–1932) wurden in einer eigenen Publikation herausgegeben.43 Im selben Jahr publizierte Carlos Reyero eine kleinformatige Monografie zum Maler unter dem Titel Fortuny o el arte como distinción de clase. 44 In jüngster Zeit widmete sich die im Palazzo Fortuny in Venedig veranstaltete Ausstellung I Fortuny. Una storia di famiglia dem Maler und Antiquitätensammler Fortuny und dessen Sohn Mariano Fortuny y Madrazo (1871–1949). Initiiert wurde diese anlässlich des 70. Todesjahres von Letzterem, welcher unter anderem als Universalkünstler und Modedesigner bekannt geworden war. Ziel dieser Ausstellung war es, die Aspekte von Kontinuität zwischen Vater und Sohn aufzuzeigen.45

36 Javier Barón: El Legado Ramón de Errazu: Rico, Fortuny y Madrazo, Ausstellungskatalog (Museo Nacional del Prado, Madrid, 13. Dezember 2005–26. April 2006), Madrid: El Viso 2005.

37 Jean-Louis Augé/Cécile Berthoumieu (Hgg.): Fortuny (1838–1874). Œuvres graphiques dans les collections du Musée Goya , Ausstellungskatalog (Musée Goya, Castres, 29. Juni–26. Oktober 2008), Castres: Musée Goya 2008.

38 Begoña Torres González: Fortuny. Un mundo en miniatura , Madrid: Libsa 2008.

39 Jordi À. Carbonell i Pallarès/Francesc Quílez i Corella (Hgg.): Fortuny, el mite, Ausstellungskatalog (Museu de Reus, 26. April–7. September 2013), Reus: Ajuntament de Reus 2014 2. Zum orientalistischen Œuvre Fortunys siehe in diesem Katalog insbesondere den Beitrag von Carbonell i Pallarès: „Fortuny i l’itinerari orientalista tangerí“ (S. 57–72), in dem vorwiegend die in Tanger situierten Orientmalereien des Katalanen im Fokus stehen.

40 Francesc Quílez i Corella (Hg.): Tiempo de ensoñación: Andalucía en el imaginario de Fortuny, Ausstellungskatalog (Patronato de la Alhambra y Generalife, Granada, 23. November 2016–26. März 2017), Barcelona: Editorial Planeta 2016.

41 Barón 2017.

42 Ana Gutiérrez Márquez/Pedro J. Martínez Plaza (Hgg.): Epistolario del Archivo Madrazo en el Museo del Prado, Tomo I: Cartas de Mariano Fortuny, Cecilia, Ricardo, Raimundo e Isabel Madrazo, Madrid: Museo Nacional del Prado/Fundación María Cristina Masaveu Peterson 2017.

43 Ana Gutiérrez Márquez: Cecilia de Madrazo: Light and Memory of Mariano Fortuny, Madrid: Museo Nacional del Prado/Fundación María Cristina Masaveu Peterson 2017.

44 Carlos Reyero: Fortuny o el arte como distinción de clase, Madrid: Cátedra 2017.

45 Daniela Ferretti/Cristina Da Roit (Hgg.): I Fortuny. Una storia di famiglia , Ausstellungskatalog (Palazzo Fortuny, Venedig, 11. Mai–24. November 2019), Venedig: Fondazione Musei Civici di Venezia – Museo Fortuny 2019.

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In der spanischen Forschung wurde der Begriff „fortunysmo“ eingeführt.46 Künstler, die im „Stil Fortunys“ malten, wurden in zahlreichen Publikationen oftmals als „fortunystes“ betitelt – eine Bezeichnung, die bereits Kunstkritiker des 19. Jahrhunderts etabliert hatten.47 Die Wortschöpfung lässt Fortuny als einen bedeutenden Wegbereiter seiner Zeit erscheinen und suggeriert zudem, dass der Maler eine eigene Kunstrichtung begründet hätte. Doch nahm Fortuny in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts tatsächlich eine Vorreiterrolle ein? In der Walters Art Gallery in Baltimore fand vom 30. März bis zum 30. Mai 1970 die Schau Fortuny and His Circle statt, in welcher der katalanische Künstler im Kreis seiner Malerfreunde vorgestellt wurde.48 Neben Fortunys Werken wurden hier mit unter Gemälde der spanischen Maler José Jiménez Aranda (1837–1903), Rico, Tapiró, José Villegas y Cordero (1844–1921) und Eduardo Zamacois y Zabala (1841–1871) vorgestellt; sowie auch Werke französischer und italienischer Zeitgenossen Fortunys, wie Clairin, Gérôme, Jean-Louis Ernest Meissonier (1815–1891), Regnault und Attilio Simonetti (1843–1925). Anlässlich seines 100. Todesjahres fand vom 22. Juni bis zum 1. September 1974 im Musée Goya in Castres die Ausstellung Mariano Fortuny et ses amis français49 statt, in der auf zeitgenössische französische Künstler Fortunys, zu denen Clairin, Gustave Doré (1832–1883), Gérôme, Meissonier, Regnault und Émile Jean Horace Vernet (1789–1863) zählten, aufmerksam gemacht wurde. Jüngst präsentierte vom 3. Februar bis zum 2. Juni 2019 das Meadows Museum in Dallas die Ausstellung Fortuny: Friends and Followers und griff damit ein Ausstellungsthema auf, das erneut die Notwendigkeit zum Ausdruck brachte, Fortunys Werk stets auch eingebettet in den Kontext eines zeitgenössischen internationalen Künstlerkreises zu betrachten.50 Fortuny wurde in diesen Ausstellungen in den Mittelpunkt gerückt. Es ist jedoch wichtig, das künstlerische Verhältnis zwischen Fortuny und einzelnen Malern innerhalb seines Künstlerkreises genau zu benennen und dabei auch auf mögliche wechselseitige Austauschprozesse aufmerksam zu machen. Im Fokus dieser Arbeit liegt die Herausarbeitung des wechselseitigen kulturellen Austauschs zwischen französischen und spanischen Orientmalern. Denn obwohl bereits Zeitgenossen Parallelismen zwischen Fortuny und Regnault erkannten, bleibt eine Unter-

46 Carlos González López: „Fortuny y el fenómeno del fortunysmo en Europa y América“, in: Fortuny (1838–1874), Ausstellungskatalog (Museu Nacional d’Art de Catalunya, Barcelona, 17. Oktober 2003–18. Januar 2004), hgg. von Mercè Doñate/Cristina Mendoza/Francesc Quílez i Corella, Barcelona: Museu Nacional d’Art de Catalunya 2003, S. 387–395.

47 Die Bezeichnung „fortunyste(s)“ verwendete bereits der französische Kunstkritiker Jules Claretie, siehe Claretie 1876, S. 334 und S. 368. Zu den Publikationen unserer Zeit vgl. den auf Italienisch verfassten Artikel von Carlos González López: „Fortuny e i fortunyani di via Margutta“, in: Atelier a via Margutta. Cinque secoli di cultura internazionale a Roma , hg. von Valentina Moncada di Paternò, Turin: Umberto Allemandi 2012, S. 76–81. Siehe auch Stéphane Guégan: „Fortuny y los fortunystas: ¿una consagración francesa?“ in: Fortuny (1838–1874), Ausstellungskatalog (Museo Nacional del Prado, Madrid, 21. November 2017–18. März 2018), hg. von Javier Barón, Madrid: Museo Nacional del Prado 2017, S. 83–97.

48 William R. Johnston: Fortuny and His Circle, in: The Bulletin of the Walters Art Gallery 22 (1970), Nr. 7.

49 Claudie Ressort: Mariano Fortuny et ses amis français, Ausstellungskatalog (Musée Goya, Castres, 22. Juni–1. September 1974), Castres: Musée Goya 1974.

50 Amanda W. Dotseth/Mark A. Roglán (Hgg.): Fortuny: Friends and Followers, Ausstellungskatalog (Meadows Museum, Dallas, 3. Februar–2. Juni 2019), Dallas: Southern Methodist University/Meadows Museum 2018.

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suchung, welche die orientalistischen Werke beider Maler vergleichend gegenüberstellt, bis heute ein Desiderat. Diese Forschungslücke soll nun durch die vorliegende Arbeit geschlossen werden. So beleuchtet eine tiefgründige komparative Analyse von Fortunys und Regnaults orientalistischem Œuvre sowie eine systematische Analyse von Gemeinsamkeiten, Schnittpunkten und des wechselseitigen Austauschs zwischen den beiden Malern nicht nur beispielhaft die künstlerische Beziehung zwischen französischen und spanischen Malern, sondern bietet darüber hinaus auch ein differenziertes und facettenreiches Bild europäischer Orientalismen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Ziele, methodische Herangehensweise und Untersuchungsschritte

Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, anhand eines komparativen Ansatzes eine doppelte Perspektivierung – aus spanischer und französischer Sicht – auf Marokko zu vollziehen, um die oftmals einseitige und verengte Sichtweise auf den Orient zu erweitern. Am Beispiel der orientalistischen Werke Fortunys und Regnaults soll der Frage nachgegangen werden, wie Marokko in einer vorkolonialen Zeit von französischen und spanischen Malern wahrgenommen und dargestellt wurde. Die Relevanz der Arbeit liegt in der Herausarbeitung verschiedener europäischer Sichtweisen auf Marokko, sodass sowohl Parallelismen als auch Unterschiede in der europäischen Orientmalerei sichtbar werden. Es wird die These aufgestellt, dass im 19. Jahrhundert wechselseitige künstlerische Austauschprozesse zwischen französischen und spanischen Orientmalern bestanden. Zur Beantwortung der Forschungsfragen wird ein transdisziplinärer Ansatz verfolgt, bei dem Bild- und Objektanalysen, die vergleichende Bildanalyse und die aus der Global Art History stammenden transkulturellen und transregionalen Untersuchungsmethoden sowie Methoden der Postcolonial Studies berücksichtigt werden.51 Um die Vielschichtigkeit der Orientrezeption herauszuarbeiten, setzt die Untersuchung auf mehreren Ebenen an und legt einen besonderen Schwerpunkt auf die drei Kernelemente historische Akteure, Zentren der Orientmalerei und islamische Materialkulturen. Einzelne Werke Fortunys und Regnaults – überwiegend Gemälde, Aquarelle und Zeichnungen – werden auf einer ersten Betrachtungsebene zunächst einzeln analysiert. Zu diesem Zweck werden Methoden der Objekt- und Bildanalyse angewandt.52 Die Arbeit erhebt nicht den Anspruch, das gesamte Spektrum des orientalistischen Œuvres Fortunys und Regnaults in seiner großen Zahl und Bandbreite zu erfassen. Vielmehr wird für den transkulturellen Vergleich zweier europäischer Perspektiven auf Marokko eine Selektion

51 Z.B. Jürgen Mittelstraß: Transdisziplinarität – wissenschaftliche Zukunft und institutionelle Wirklichkeit, Konstanz: Universitätsverlag Konstanz 2003; Bill Ashcroft/Gareth Griffiths/Helen Tiffin (Hgg.): Post-Colonial Studies. The Key Concepts, London/New York: Routledge 20133; Robert Young: Postcolonialism. An Historical Introduction, Oxford: Blackwell 2001; Inge E. Boer: „This is Not the Orient: Theory and Postcolonial Practice“, in: The Point of Theory: Practices of Cultural Analysis, hgg. von Mieke Bal/ Inge E. Boer, New York/Amsterdam: Continuum/Amsterdam University Press 1994, S. 211–220.

52 Z.B. Netzwerk Bildphilosophie (Hg.): Bild und Methode. Theoretische Hintergründe und methodische Verfahren in der Bildwissenschaft, Köln: Herbert von Halem Verlag 2014.

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