concerti - Das Berliner Musikleben September 2011

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interview

sei schwerer zu spielen als die Orgel, wo der Klang vieles verdeckt. Er ist ein großer Spieler auf historischen Instrumenten – und die interessieren mich nicht die Bohne. Was für ihn eine gute Orgel ist, hat nichts mit dem zu tun, was für mich eine gute Orgel ausmacht. Ich finde die alten Instrumente unglaublich frustrierend, weil ich mich so limitiert fühle. Auf dem Cembalo ist es noch schwieriger, Farben herzustellen, insofern wundert es mich nicht, was Ton Koopman sagt. Bei allem Respekt, es gibt diesen Reflex in Bezug auf die Orgel: Je härter man auf einem Instrument arbeiten muss, um seine musikalische Ideen zu verwirklichen, desto besser. Das ist idiotisch. Warum muss ich auf einer Orgel spielen, wo die Manuale unkomfortabel angeordnet sind, wo ich die Registerzüge einen halben Meter rausziehen muss, wo die Pedale in einer Linie angeordnet sind, dass ich die äußeren Töne kaum noch erreiche – wenn ich doch ein ergonomisch perfekt gestaltetes Instrument spielen kann? Auf dieser Foltermaschine genannt historische Orgel hat man so sehr mit den physischen Herausforderungen zu kämpfen, dass man sich kaum auf die Musik konzentrieren kann. Aber ich fürchte, viele Organisten sind mehr am Instrument und an einer historisch korrekten Spielweise interessiert als an der emotionalen Botschaft der Musik. Warum tragen Sie so ungewöhnliche Konzertkleidung? Ich finde, wenn Leute viel Geld für eine Konzertkarte zahlen, muss man ihnen etwas bieten. Aber es geht auch um Ehrlichkeit. Ich will gar kein normaler Organist sein, und mit meiner Kleidung schiebe ich die Frage der Normalität sofort beiseite und damit auch meine Unsicherheit – vielleicht kommt es daher, dass ich nie Lampenfieber habe. Abgesehen davon würde ich mich im Frack eingeengt fühlen. Ich habe viele Jahre getanzt, Ballett und Modern Dance, sehr 12

ernsthaft, bis ich etwa 20 war. Ballett ist übrigens sehr nützlich fürs Orgelspiel, weil das Instrument den ganzen Körper fordert. Und ich trage im Konzert Kleidung, in der ich auch tanzen könnte. Aber der erste visuelle Eindruck ist enorm wichtig. Das gilt auch für die Orgel. Wir gehen in eine Kirche und sehen da dieses riesige Ding an der Wand hängen, das nichts Gutes verheißt. Allein von dieser physischen Präsenz geht eine Botschaft aus, noch bevor wir den ersten Ton gehört haben. Und so präsentiere ich mich auch dem Publikum, noch bevor die Leute mich hören. Und Sie sprechen mit dem Publikum. Ja, immer. Ich komme aus einer nicht-musikalischen Familie, ich musste das, was ich mache, immer schon einem nicht-musikliebenden Umfeld verständlich machen. In Amerika haben die meisten Leute im Publikum keine Ahnung von Musik. Und das finde ich sehr stimulierend. Für Connaisseure und Experten zu spielen, ist einfach, aber 3.000 Highschool-Schüler zu begeistern, die nur Rock und Country kennen und sich vor allem für Sport interessieren – das ist der Test. Kann ich einen Riesensaal in einer Klassik-fernen Umgebung füllen? Kann ich die Leute nach Hause schicken mit dem Wunsch, dass sie mehr hören wollen? Das sind die wahren Herausforderungen. Konzert- & CD-Tipp Di. 13.9.2011, 20:00 Uhr Philharmonie musikfest berlin 11 Deutsches Symphonie-Orchester Berlin, Leo Hussain (Leitung), Tabea Zimmermann (Viola), Cameron Carpenter (Orgel) Liszt: Zwei Episoden aus Lenaus Faust Rihm: 2. Bratschenkonzert Saint-Saëns: Sinfonie Nr. 3 c-Moll „Orgelsinfonie“ Cameron Live! Werke von Bach, Carpenter, Schosta­kowitsch, Schubert, Liszt, Vierne, Widor, Sousa, Debussy u.a. Cameron Carpenter (Orgel) Telarc


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