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Oberfranken lässt sich fahren

Drei oberfränkische Städte wagen das Experiment Autonomes Fahren. In Kronach, Hof und Rehau können die Bürger bald fahrerlose Kleinbusse testen. Die Kommunen möchten damit den ÖPNV erweitern. Die Hochschule Coburg begleitet das Projekt aus wissenschaftlicher Sicht.

Der Weg vom Bahnhof zur Festung Rosenberg in Kronach hat es in sich. Autofahrer ohne Ortskenntnisse brauchen gute Nerven. Über enge Kopfsteingassen schlängelt sich die Strecke den Berg hinauf. Dazwischen verkehrsberuhigte Bereiche mit Fußgängern und Lieferverkehr. Wer falsch abbiegt, landet in der nächsten Einbahnstraße und erst über Umwege im Ziel. Doch es geht auch anders. Ab dem kommenden Jahr können sich Touristen und Kronacher ganz bequem durch die Innenstadt fahren lassen. Mit zwei autonomen Kleinbussen, die zwischen Bahnhof und Festung pendeln. Auch in Hof und Rehau sollen auf ausgewählten Strecken jeweils zwei solcher Busse verkehren. Sie werden im Rahmen der Shuttlemodellregion Oberfranken getestet und weiterentwickelt. Alle Fakten zum Projekt:

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WAS IST DAS ZIEL DER SHUTTLEMODELLREGION OBERFRANKEN?

Busse ohne Fahrer bringen die Menschen sicher ans Ziel. Innenstädte sind flexibel erreichbar. Ältere Menschen kommen auch auf dem Land unabhängig von A nach B. Das ist die Vision, die Wirtschaft, Politik und Wissenschaft bei der Shuttlemodellregion Oberfranken verfolgen. Die Idee ist, ländliche Regionen besser zu erschließen und den öffentlichen Personennahverkehr sinnvoll zu ergänzen. Damit der Einsatz autonomer Shuttles wirklich gelingt, müssen verschiedene technische und organisatorische Fragen geklärt werden. Mögliche Lösungen sollen durch den Testbetrieb erforscht und weiterentwickelt werden.

WER STECKT HINTER DEM PROJEKT?

Städte, Landkreise, Unternehmen und Hochschulen haben sich für die Shuttlemodellregion zusammengeschlossen. Der Automobilzulieferer Valeo ist Kon-

sortialführer, d.h. er übernimmt die Leitung und Koordination des Projekts. Die Projektpartner: Landkreis Hof, Stadt Hof, Landkreis Kronach, Stadt Rehau, RBO Regionalbus Ostbayern GmbH, REHAU AG + Co, Valeo, Hochschule für angewandte Wissenschaften Coburg, Hochschule für angewandte Wissenschaften Hof, Technische Universität Chemnitz, Nuts One GmbH (Projektbüro).

SIND AUTONOME BUSSE EINE SINNVOLLE ERGÄNZUNG IM ÖPNV?

Wer auf dem Land mobil sein will, hat oft nur eine Möglichkeit: das eigene Auto. Denn Bushaltestellen und Bahnstationen liegen nicht vor der Haustür. Vor allem Senioren können diese Strecken ohne Hilfe meist nicht überbrücken. Außerdem fahren Regionalbahnen und Busse nicht so flexibel, wie es der Einzelne bräuchte. Wegen geringer Fahrgastzahlen fehlen wiederum Einnahmen, die nötig wären, um mehr Fahrten anzubieten.

Der ÖPNV im ländlichen Raum muss also zwei Anforderungen erfüllen: Flexible Lösungen bieten und dabei wirtschaftlich bleiben. Die autonomen Minibusse könnten genau das möglich machen. Das Angebot des ÖPNV individuell erweitern, ohne dabei zusätzliche Kosten fürs Personal zu verursachen.

WAS BEDEUTET AUTONOMES FAHREN?

Die Society of Automotive Engineers (SAE) hat fünf Stufen des autonomen Fahrens definiert. Aktuell befinden wir uns auf Stufe 2 – dem teilautomatisierten Fahren. Verschiedene Assistenzsysteme ermöglichen es, dass das Fahrzeug manche Aufgaben selbst ausführt – ohne, dass der Mensch eingreifen muss. Zum Beispiel können Autos selbstständig einparken. Der Fahrer nimmt dabei die Hände komplett vom Steuer. Das Auto gibt Gas, bremst und lenkt. Der Fahrer muss das Auto dabei aber ständig überwachen und notfalls eingreifen können. Stufe 5 würde bedeuten: Es gibt keinen Fahrer mehr, sondern nur noch Passagiere; selbst Fahrten ohne Insassen wären dann möglich, das Auto kann alle Verkehrssituationen ohne Eingriff von außen bewältigen; die Verantwortung, z.B. bei einem Unfall, liegt nicht beim Insassen.

WAS KÖNNEN DIE AUTONOMEN SHUTTLEBUSSE?

Die Shuttlebusse brauchen weder Lenkrad noch Pedale, sondern werden über Lenk- und Ortungssysteme gesteuert. Die Fahrstrecken sind genau vorgegeben. Sensoren sorgen dafür, dass sich das Fahrzeug in der Umgebung

zurechtfindet und nicht von der Strecke abweicht. Zur Ausstattung gehören zum Beispiel Lidar-Sensoren zur Abstands- und Geschwindigkeitsmessung, Kameras, GPS, etc. Die Firma Valeo hat ein Testshuttle außerdem technisch erweitert. Zum Beispiel bei der Sensorik, um erstmals die Steuerung über eine zentrale Leitstelle zu ermöglichen. Die könnte im Notfall von außen eingreifen. Insgesamt werden sechs Shuttles auf den Straßen unterwegs sein. Sie bieten jeweils Platz für elf Passagiere und fahren – elektrisch angetrieben - mit einer Höchstgeschwindigkeit von zurzeit noch 18 km/h.

WELCHE AUFGABEN HAT DIE HOCHSCHULE COBURG IM PROJEKT?

Die Hochschule Coburg ist mit der Fakultät Maschinenbau und Automobiltechnik vertreten. Prof. Dr. Mathias Wilde und Prof. Dr. Ralf Reißing begleiten das Projekt mit einem Team wissenschaftlicher Mitarbeiter. Sie wollen drei Aspekte ganz besonders untersuchen:

SICHERHEIT

Fußgänger laufen plötzlich auf die Fahrbahn, Umleitungen verändern den Streckenverlauf, Autos parken in zweiter Reihe. Für autonome Fahrzeuge sind unsere Straßen unberechenbar. Um reagieren zu können, muss aktuell noch der Mensch eingreifen. Das soll optimiert werden. Stattdessen wird eine Leitstelle die sechs Shuttles überwachen und – im Notfall fernsteuern. Gleichzeitig soll die Kommunikation zwischen Fahrzeug und Umwelt verbessert werden. Wie teilt das Shuttle Autofahrern mit, dass es ihnen die Vorfahrt lässt oder dass es vorbei will? Wie kommuniziert das Shuttle mit den Fahrgästen, wenn es einen Unfall gab? Wie informiert es Polizei und Rettungsdienst? Lösungen für solche Szenarien sollen durchgespielt und getestet werden. Im Testbetrieb wird immer ein sog. Operator im Fahrzeug sein – ein Mensch, der im Notfall eingreifen kann. Langfristig soll das aber - dank zentraler Leitstelle - nicht mehr nötig sein.

VERKEHRSPLANUNG UND GESCHÄFTSMODELLE

Wie können autonome Fahrzeuge sinnvoll in den Verkehr integriert werden? Hier spielt auch die Frage nach der Wirtschaftlichkeit eine Rolle. Aktuell sind autonome Busse nur mit Fördergeldern finanzierbar. Aufgabe der Coburger Wissenschaftler*innen wird sein, Geschäftsmodelle und Betreiberkonzepte zu entwickeln, die eine wirtschaftliche und nachhaltige Nutzung möglich machen.

NUTZERAKZEPTANZ

Wenn Passagiere Fragen zur Strecke haben, nicht beim Bezahlen zurechtkommen oder ihnen während der Fahrt plötzlich schlecht wird - dann gibt es keinen Fahrer, den sie ansprechen können. Ist das ein Problem für die Akzeptanz solcher Fahrzeuge? Vertrauen wir überhaupt einem fahrerlosen Bus? Um herauszufinden, wie die Passagiere die Fahrt wahrnehmen, befragen die Wissenschaftler sie vor und nach den Fahrten. Außerdem wollen sie bei Haushaltsbefragungen herausfinden, wie hoch generell die Akzeptanz für autonome Fahrzeuge in der Bevölkerung ist. Was sind Sorgen und Ängste, auf die man reagieren muss?

ZAHLEN, DATEN, FAKTEN

• Projektlaufzeit: Januar 2020 bis Dezember 2021 • Projektvolumen: 15,12 Millionen Euro (davon 12,01 Mio. Euro Förderanteil durch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur) • Drittmittelanteil Hochschule Coburg: 580.000 Euro

Text: Madelaine Ruska

DAS PROJEKTTEAM DER HOCHSCHULE COBURG

Prof. Dr. Mathias Wilde Prof. Dr. Ralf Reißing Lea-Madlen Lief Dominik Weise Jakob Rebhan Katharina Bohnen Neuer Masterstudiengang Autonomes Fahren

Auch in der Lehre an der Hochschule Coburg spielt das Thema Autonomes Fahren eine wichtige Rolle. Im März 2021 soll am Lucas-Cranach-Campus in Kronach der Masterstudiengang Autonomes Fahren starten. 30 Studierende pro Semester werden zugelassen.

Der neue Studiengang verfolgt ein innovatives Studienkonzept: In den ersten beiden Semestern wird das Wissen anhand eines konkreten Projekts von den Lehrenden und den Studierenden gemeinsam erarbeitet. Die Professoren vermitteln die jeweils erforderlichen Kenntnisse praktisch „on demand“. Und die Studierenden durchlaufen alle typischen Phasen eines Entwicklungsprozesses. Angefangen bei der Konzeptionsphase und der Analyse der Umfeldbedingungen bis zum virtuellen Testen und der tatsächlichen Erprobung.

Wichtige Themen sind: Businessplanung, User Experience, Testmethodik, Prototypenbau, IT-Sicherheit, Funktionale Sicherheit, Sensorik, Künstliche Intelligenz und Neuronale Netze, aber auch Stadt- und Verkehrsplanung sowie Ethik und Recht.

Projekte wie die Shuttlemodellregion Oberfranken können ideal ins Studium integriert werden und tragen zur Verknüpfung von Forschung und Lehre bei. Zum Beispiel durch konkrete Teilaufgaben, die die Studierenden übernehmen. Im dritten Semester wenden die Studierenden ihre Kompetenzen in der Masterarbeit auf ihr eigenes Projekt an. Unternehmen aus der Region stehen dabei als Partner zur Seite.