Chilli Themenheft

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Themenheft

Karriere &CAMPUs

Geplagt

Oktober 2017 Ausgabe Nr. 3 1 gratis

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Studis

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Studierende kritisieren Reformdschungel

Gefragt

Gewagt Junge Eltern erzählen vom Büffeln mit Baby

SC-Profi Julian Schuster über seine Karriere



INHALT DIE BLATTMACHER

Phobien, Feen,Vorwürfe Wie studiert es sich mit Sozialphobie? Was werfen reformgeplagte Studenten der Uni vor? Was lernt man in einem Seminar zu weiblicher Ejakulation? 17 Studierende der Uni Freiburg haben für dieses Heft im Magazinjournalismus-Seminar von chilli und dem Zentrum für Schlüsselqualifiaktionen (ZfS) recherchiert, ge-

schrieben und layoutet. Die Themen sind so unterschiedlich wie die gesammelten Erfahrungen: Die einen fixen ihr Interview mit einem Anruf. Andere warten wochenlang auf Antworten. Am Ende haben wir sogar erfahren, was sich SC-Profi Julian Schuster von einer Fee wünschen würde, die aus der Dreisam steigt.

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OP »AM OFFENEN HERZEN«

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Studenten beklagen Reformdschungel Philipp Erath

STUDIEREN MIT PHOBIE Angst vor den anderen

PFLEGEWISSENSCHAFTEN Uni Klinik Freiburg Tanja Senn

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Carla Bihl // Viktoria Brozio

RASSEL IM HÖRSAAL Studieren mit Kind

Julian Schuster vom SC Freiburg im Interview

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Leon Hobrecker // Johannes Riegger

STILLES PROJEKT, LAUTE AUTOREN

YES, SHE CAN! Seminare zur weiblichen Ejakulation

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AUSGEGRENZTE AUSGEGRENZTE

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Gundula Haage

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Drei Freiburger Studenten gründen einen Verlag

Intoleranz in der LGBT-Szene

QUERDENKER

BALKONIEN

Jasmin Bantle // Vivian Brozio

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Maria Kammerlander

SILENT PARTYS

Ein Australier macht das New Heart Festival

Marie Romer

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Katinka Marsden

KARRIERE ALS KICKER

Studieren als Autist

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Michelle Janßen // Isabelle Groß

Studenten und ihre schönsten Freiräume

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Miriam Schiweck

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GUTE HEIMAT, SCHLECHTE HEIMAT Flüchtlingsfrauen müssen kämpfen

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Bianca Bellchambers // Simona Eftimova

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Philipp Erath // Altertumswissenschaften B.A. //

7. Fachsemester // Motto: »Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.« – Donald Trump

Ja was nun? Studierende verlieren bei neuen Prüfungs- oder Studienordnungen auch mal den Überblick.

Foto: © unsplash.com

OP »am offenen Herzen« u viel ist zu viel. So sehen das einige Studenten in Freiburg. Ständige Reformen der Studien- oder Prüfungsordnungen gehen ihnen zu weit. Insbesondere beim Lehramtstudium gibt’s Schwierigkeiten. Die Prorektorin der Uni Freiburg verteidigt die Umstellungen und fordert mehr Initiative der Studierenden. „Man sitzt in einem Seminar und der Dozent fragt, welche Prüfungsordnung man hat”, erzählt Michelle Janßen. 15 Leute hätten manchmal sieben unterschiedliche Ordnungen, berichtet die 21-jährige GermanistikANZEIGE

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Studentin. „Unfassbar witzig und sehr verwirrend”, findet sie das. Auch Michael Schröder hält die Lage für schwierig: „Ich habe in Englisch, Geschichte und Politik immer eine andere Ordnung – da wissen zum Teil selbst die Dozenten nicht mehr weiter”, berichtet der 21-jährige Lehramtsstudent. Die Verwirrung kann Juliane Besters-Dilger gut nachvollziehen. Die Prorektorin für Studium und Lehre an der Universität Freiburg ist für die Reformen zuständig. Wie kann es sein, dass in einem Studiengang zum Teil alle drei Jahre eine neue Prüfungsordnung erscheint? „Sol-

che Änderungen werden nur auf Wunsch des Faches durchgeführt”, erklärt sie. „Es kommt also nie von oben, sondern immer von unten.”

Foto: © Sandra Meyndt

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Studierende klagen über ständige Reformen

Hält dagegen: Juliane Besters-Dilger


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Häufig kritisieren Studierende, sie hätten bei Entscheidungen kein Mitspracherecht. Besters-Dilger widerspricht: Auch die Studienkommission sei an den Prozessen beteiligt. Das gelte auch für alle anderen beteiligten Gremien. Anders ist die Lage bei Lehramtsstudiengängen. Dort werden Vorgaben der Landesregierung umgesetzt. 2015 wurde das Lehramtstudium vom Staatsexamen auf Bachelor/Master umgestellt. Die Umstellung trifft beispielsweise den 21-jährigen Valentin Stortz. Da er noch im alten System (Staatsexamen) studiert, muss er bis 2021 fertig sein. Zeitdruck habe er nicht, sagt Storz. Doch er könne kein drittes Fach mehr auf Staatsexamen studieren, „weil das zeitlich nicht reicht.” BestersDilger dazu: „Jemand, der das Staatsexamen macht, hat spätestens 2014 angefangen und sieben Jahre Zeit, um das Studium zu Ende zu führen. Diese Regelung ist angemessen.“ Schließlich sei das Studium auf nur fünf Jahre angelegt. Schröder kann das nicht nachvollziehen: „Wenn du drei Fächer studierst, brauchst du automatisch länger als die Regelstudienzeit von zehn Semestern.” Da könne immer etwas passieren: „Man wird mal krank, oder man möchte ins Ausland.” Stortz und Schröder fühlen sich von der Umstellung überrumpelt. Beide studieren noch auf Staatsexamen und haben nur zufällig von der Änderung erfahren. Das lässt die Prorektorin nicht stehen: „Informationsveranstaltungen hat es mehrere gegeben”, entgegnet sie. Es gebe auch einen Verteiler, über den Mails verschickt werden. Studierende fühlen sich teilweise ins kalte Wasser geworfen. Man sei eine Art Versuchskaninchen gewesen, meint Janßen. „Die erste Gruppe – 450 Studenten – ist in dieses kalte Wasser gesprungen”, sagt Besters-Dilger. „Allerdings kann man nicht irgendjemand probestudieren lassen.” Muss die Uni intensiver betreuen? „Die Universität hat vielfältige Informationsangebote zum Thema Lehramtsstudium – von der Beratung im Zentrum für Lehrerbildung über Webseiten und Broschüren bis hin zu Veranstaltungen”, betont Besters-Dilger. Es gebe eine gewisse Holschuld: „Studierende müssen sich auch gewisse Informationen holen, nicht nur warten, dass sie einem präsentiert werden”, sagt sie. Gerade das sei ein Charakteristikum der Universität, betont Besters-Dilger. Schröder sieht den Umgang kritisch: „Oft ist es ja so: Wenn eine Regierung wechselt, wird auch irgendetwas an der Bildungspolitik gewechselt.” Doch eine Reform der Reform alle fünf Jahre sei völlig übertrieben und eine Überforderung: „Da wird einfach ein bisschen am offenen Herzen operiert.” Philipp Erath

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STUDIUM GESUNDHEIT

Angst vor den anderen Lisa leidet unter Sozialer Phobie / Anna hat sie besiegt

Carla Bihl // Deutsche Sprach- und

Literaturwissenschaft // 5. Fachsemester // Motto: »Du kannst sein was du willst, du musst es nur sein.«

Viktoria Brozio // Deutsche Sprach- und Literaturwissenschaft // 3. Fachsemester // Motto: »Kein Baum wächst gerade.«

Bis Betroffene wie Lisa und Anna Hilfe suchen, ist es oft ein weiter Weg.

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ngst, Beklemmung, Schweißausbrüche. 13 Prozent der Deutschen leiden unter Sozialer Phobie. So auch Anna und Lisa (Namen geändert). Die jungen Frauen aus dem Raum Freiburg bekommen in ungewohnten Situationen ein beklemmendes Gefühl. Dank einer Therapie hat die Heilpädagogin Anna (34) ihre Phobie überwunden. Studentin Lisa (21) arbeitet noch dran. Lisa und Anna sind normale junge Frauen. Sie stehen mitten im Leben – zumdinest fast. Denn plötzlich tauchen ungewohnte Ängste auf: Gedankenchaos, Selbstzweifel, Panik. „Mir war lange Zeit unklar, was genau nicht mit mir stimmte”, erzählt die 21-jährige Lisa. Immer wieder geht es ihr schlecht: „Mein Herz fängt an zu schlagen und ich werde unglaublich nervös, wenn ich vor einer größeren Gruppe sprechen muss.” Vor allem in Uni-Seminaren sei das ganz schlimm. Denen kann sie als Studierende kaum aus dem Weg gehen.

Druck, Panik und Versagensängste machen ihr zu schaffen. Jetzt sitzt sie auf ihrem Bett, die Stimme ist gedämpft: „Es ist die Angst zu versagen und nicht gut genug zu sein”, erzählt sie schüchtern. Ein Schlüsselerlebnis sei der Auslöser für ihre Angststörung gewesen: „Meine Mutter hat mich damals sehr unter Druck gesetzt. Es war egal, wie gut meine Noten in der Schule waren, es musste immer noch besser sein.” Diese Versagensangst hindere sie oft daran, neue Sachen auszuprobieren. Von ähnlichen Symptomen berichtet die 34-jährige Heilpädagogin Anna: „Ich wurde knallrot, habe angefangen zu schwitzen und konnte mich nicht mehr konzentrieren.” Sie hatte in der Schule große Angst, dass andere sie negativ beurteilen. An die Anfänge erinnert sie sich noch gut: „Oh, jetzt wird sie ganz rot”, sagte einst eine Klassenkameradin über sie. Und zwar direkt vor dem einzigen männlichen Lehrer der Schule. Von da an fiel es Anna schwer, überhaupt in seinen Unterricht zu kommen. Ihre Sorgen gingen noch weiter: „Bei Männern hatte ich Angst, sie könnten denken, ich sei in sie verliebt.” Für be-

Foto: © pixabay.de

»Ich wurde knallrot«

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GESUNDHEIT STUDIUM scheuert müsste man sie halten, betont die heute selbstbewusst wirkende Frau. Sie lacht, während sie das sagt. Heute ist sie verheiratet und hat zwei kleine Kinder. „Bis zur Therapie ist es oft ein langer Weg”, sagt Diplompsychologin Anne Kathrin Külz von der Freiburger Uniklinik. Viele bräuchten Jahre, bis sie Hilfe suchten. So ging es auch Anna: „Erst mal war ich ein bisschen hilflos, ich konnte das ja nicht von heute auf morgen ändern”, erinnert sie sich. Doch dann macht sie eine Therapie. Dort fand sie eine Person, der sie sich anvertrauen konnte. Das half. Auch Lisa sagt, in der Therapie habe sie sich selbst besser kennengelernt. Hilreich beim Kampf gegen die Angst sind Strategien für den Alltag. Sie sollen verhindern, dass andere etwas von der Phobie merken. Nicht nur der flüchtende Gang auf die Toilette ist für Betroffene ein Ausweg aus der Situation. Lisa erzählt, sie

habe Freunden durchaus auch abgesagt. Vor allem, wenn fremde Menschen dabei sein sollten. Bei Anna ging es teilweise so weit, dass sie sich selbst Schlafentzug verordnet hat: „Ich habe tatsächlich gemerkt, wenn ich total müde bin und Schlafmangel hab, werde ich nicht so rot.” Eigentlich bringe es aber nichts, die Angst zu unter-

ihr kind bringt die wende drücken, erzählt Lisa. Sie komme immer wieder. Und sei dann umso schlimmer. Beiden hat geholfen, mit engen Vertrauten zu reden. Lisa spricht mit Freunden über die Therapie. Es helfe ihr, nicht ständig alles bewerten zu wollen: „Man selbst denkt ja auch nicht dauernd darüber nach, wenn irgendjemand im Seminar etwas Falsches sagt. Perfekt klappt das aber noch nicht”, fügt sie hinzu.

Anna hat viel mit ihrem Partner gesprochen. Auch die Psychotherapie hat ihr geholfen. Ausschlaggebend war aber etwas ganz anderes: die Geburt ihres ersten Kindes: „Es heißt ja immer, du bekommst ein Kind, du vernachlässigst dich”, sagt sie. Das stimme aber nicht. „Man vernachlässigt sich zwar auf der einen Seite, auf der anderen vernachlässigt man auch alle negativen Gedanken, und das ist natürlich total positiv.” Lisa hat die Phobie noch nicht überwunden. Das Studium will sie trotzdem durchziehen. Ihr falle es zwar weiter schwer, sich in Seminaren zu melden und Referate zu halten. Trotzdem habe sie schon Verbesserungen wahrgenommen: „Ich bin nach der wöchentlichen Therapiesitzung von mir selbst überrascht.” Außerdem hat sie sich vorgenommen, auf Reisen zu gehen. Am liebsten alleine. Carla Bihl & Viktoria Brozio 5 ANZEIGE

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SPORT INTERVIEW

»Göttliche Stärken gehen mir ab« SC-Kapitän Julian Schuster im Interview

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ulian Schuster geht beim SportClub in die neunte Saison. Im Interview mit Johannes Riegger und Leon Hobrecker erzählt der 32-Jährige vom Konkurrenzkampf, gallischen Dörfern und seiner „Antrittsschwäche” im Fifa-Videospiel. chilli: Julian, du bist seit 2008 beim SC Freiburg und damit der dienstälteste Profi. Was waren die Hauptgründe für eine Verlängerung? Julian: Der Chicco Höfler war ja noch früher hier, aber Profijahre habe ich wohl die meisten auf dem Buckel. Und ich freue mich, dass noch welche dazukommen. Hauptgrund ist einfach, dass es für mich gegen Ende der Saison ziemlich gut lief und ich der Mannschaft auf dem Platz helfen konnte. Diesen Job mache ich gerne noch ein Jahr.

Foto: © Neidhart Schleier, Visualisierung: © SC Freiburg

chilli: Letzte Saison kamst du 14-mal zum Einsatz. Was für Ziele hast du dir für die Saison gesteckt? Julian: Ich möchte mich in eine richtig gute Verfassung bringen und den Konkurrenzkampf an- und aufnehmen. Wenn uns das allen gelingt, bringt das das ganze Team nach vorne. chilli: Freiburg ist in der Bundesliga wie das gallische Dorf gegen Cäsar. Wer ist bei euch Asterix, Obelix und Miraculix? Julian: Miraculix: Der Trainer, der uns immer wieder stark macht. Obelix: Jochen Saier und Klemens Hartenbach, die als Duo zu den Schwergewichten in der Liga zählen. Asterix: Das ist dann wohl die Mannschaft. chilli: Julian Schuster „Fußballgott”! Du bist eines der Gesichter des Vereins. Was sind deine göttlichen Stärken? Julian: Um Gottes Willen, göttliche Stärken gehen mir ab. Ich versuche so zu sein, wie ich bin. Da das viele bei

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uns so halten, macht es uns gemeinsam stark. chilli: Göttlich finden wir dein Fairplay. 169 Spiele in der Bundesliga und keine Gelb-Rote oder Rote Karte als Defensivspieler. Hart aber fair? Julian: Wahrscheinlich hat mich der Trainer nur immer rechtzeitig ausgewechselt, gelbe Karten habe ich einige gesammelt. Als Defensivspieler wandelst du halt oft an der Kante. chilli: Zu weniger Göttlichem: 41 und 45. Das sind deine Werte bei Antritt und Geschwindigkeit im neuen FifaVideospiel. Kommst du nicht vom Fleck? Julian: Diese Einschätzung ist ja wohl eine Frechheit. Das liegt nur daran, dass ich als Sechser meine Schnelligkeit nicht so oft zeigen kann (lacht). chilli: Der VfB Stuttgart ist 2016 abgestiegen. Ganz Baden feiert, oder?

Streich ist miraculix Julian: Ich kann die Rivalität verstehen, schaue aber lieber auf uns. Wir müssen gegen den VfB dieses Jahr schwer aufpassen, dass uns die Feierlaune nicht verdorben wird. chilli: China wird immer größer im Fußballzirkus. Wäre China zum Ausklang deiner Karriere eine Option? Julian: Mir ist meine Familie und unsere Umgebung sehr wichtig, und ich kann mir nicht vorstellen, dass wir dort glücklich wären. chilli: Oder du wirst die rechte Hand von Christian Streich. Eine gute Idee? Julian: Ich würde nach meiner akti-

100 Prozent für den SC: Julian Schuster

ven Karriere gerne weitergeben, was ich lernen durfte. Kann mir gut vorstellen, mit Jugendlichen zu arbeiten. chilli: Stell dir vor, eine Fee steigt morgen aus der Dreisam und sagt, du hast einen Wunsch für den SC frei ... Julian: Ich wünsche mir, dass wir es auch in den nächsten Jahren schaffen, der Verein zu bleiben, der wir sind und jeder im Verein das weiterhin so lebt. Dieser Zusammenhalt ist für uns die Grundlage.

Leon Hobrecker // Geschichte, Kultur-

anthropologie// 3. Fachsemester // Motto: »Don't hate the player, hate the game.«

Johannes Riegger // Sportwissenschaften // Studium abgeschlossen // Motto: »Wenn ihr nicht über euch lachen könnt, sagt Bescheid, dann mach ich das.«


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STUDIUM LITERATUR

Stilles projekt, laute Autoren Drei Freiburger Studenten gründen einen Verlag

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Foto: © Jasmin Bantle

inen passenden Verlag zu finden, ist für junge Autoren oft schwierig. Das wollen Tobias Rümmele, Marc Djahangard und Jan von Berg ändern. Die drei Freiburger Studenten wagen den Schritt und gründen den StillerVerlag.

Die drei Jungautoren sind sich sicher: „Unser Verlag wird eine radikale Alternative zu konventionellen Verlagen.” Jung, unabhängig, hungrig und intensiv. Er habe den Anspruch, etwas verändern zu wollen. Seit der Schulzeit in Marbach kennen sie sich. „Wir waren damals gute Kumpels, aber eher am Kiffen als am Schreiben interessiert”, sagt der 22-jährige Philosophiestudent von Berg. „Seit wir uns in Freiburg wieder getroffen haben, hängen wir viel miteinander ab”, sagt der 23-jährige Germanistikstudent Rümmele. „Tobi hat schon lange Zeit selbst geschrieben. Er hat uns zwei ermutigt, unsere Ideen aufs Papier zu bringen. Ich hab dann irgendwann angefangen, meinen jetzigen Roman zu schreiben, als ich auf den Fernbus gewartet habe”, sagt von Berg und grinst. „Davor habe ich nur Rap-Texte geschrieben und Marc Kurzgeschichten und Gedichte. Das hat sich aber ziemlich schnell entwickelt, jeder hat sich an die Grundrisse seines Buches gemacht.” Fast jeden Abend haben sie sich auf ein paar Bierchen oder einen Kaffee getroffen, sich ausgetauscht, inspiriert, kritisiert. „Ja, und im April haben wir uns entschlossen, einen kleinen Verlag zu gründen.” Die Idee dahinter? „Wir wollen eine unabhängige Plattform für unsere Werke schaffen und aufzeigen, dass die Menschen immer mehr in digitalisierten Schwachsinn abdriften”, so Djahangard.

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Die Augen der drei funkeln. Sie wollen mit ihren Romanen vor allem Gleichaltrige ansprechen und zum kritischen Denken anregen. Die Themen der Romane drehen sich um Freiheit, Liebe, Melancholie, Weltschmerz, Selbstsuche und radikale Gesellschaftskritik. Der StillerVerlag soll jungen Schriftstellern die Chance bieten, ihre Werke herauszubringen. „Wenn man uns ein bisschen Aufmerksamkeit schenkt und wir eine Leserschaft aufbauen, wäre es für junge Menschen die perfekte Gelegenheit, ihre Literatur zu veröffentlichen. Überleg mal, du hast gemeinsam aus dem Nichts etwas geschaffen, hältst etwas in den Händen. Das ist genial!”, sagt von Berg.

Still klingt das nicht. Warum also der Name? „Einerseits haben wir alle mit großer Begeisterung den Roman Stiller von Max Frisch gelesen”, sagt Rümmele. Andererseits spiele der Name auf die Grundausrichtung des Verlags an: „Wir schreiben im Stillen, wir agieren im Verborgenen”, betont er. Sie wollten nicht durch krachenden Lärm auf sich aufmerksam machen, wie es zu häufig der Fall sei. Ein Logo haben sie entworfen. Der nächste Schritt? „Den Verlag gründen wir, wenn der Erste von uns sein Buch fertig hat. Also mit hoher Voraussicht nach ich”, sagt von Berg und lacht. „Dann melden wir unser Gewerbe an, erledigen den bürokratischen Kram und machen einen

Jan von Berg, Marc Djahangard, Tobias Rümmele (v.l.n.r.) auf ihrer Kreativoase.

mehrwöchigen Roadtrip.” Mehr als 3000 Kilometer quer durch Deutschland wollen sie zurücklegen. An Unis, Plätzen und in Kneipen möchten sie Plakate aufhängen, Flyer verteilen, Bücher verkaufen. Die Jungautoren wandeln so stille Gedanken in lautstarke Botschaften um. Ihr Projekt wurde in Zigarettenqualm und Kaffeedampf geboren. In dieser Wolke soll er seinen Weg bestreiten – still und laut zugleich. Jasmin Bantle & Vivian Brozio

Jasmin Bantle // Germanistik, Bildungswissenschaften und -management // 5. Fachsemester // Motto: »Wege entstehen dadurch, dass wir sie gehen.« Franz Kafka Vivian Brozio // Germanistik, Bildungswissenschaften und -management // 5. Fachsemester // Motto: »Rave on.«


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STUDIUM AUTISMUS

Querdenker

Wie ein Student mit Asperger-Syndrom zurechtkommt

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im ist 21 Jahre alt. Er hat Asperger und studiert Geschichte in Freiburg. Im Interview mit Maria Kammerlander erzählt er, wie sein unsichtbares Syndrom ihm das Studium erschwert. Aber auch von Vorteil ist. chilli: Tim, hat Asperger deine eigene Wahrnehmung verändert? Tim: Ich habe die Diagnose mit etwa zehn Jahren bekommen. Sie hat meine Selbstwahrnehmung über die letzten zehn Jahre hinweg verändert und immer wieder zum Nachdenken angeregt: Wie unterscheidet man sich von anderen? Was ist eigentlich Normalität? Soll man der folgen?

Foto: © Kammerlander

chilli: Welche Schwierigkeiten hast du denn im Alltag? Tim: Ich verstehe Kommunikation anders. In sozialen Situationen ist es immer wieder schwierig. chilli: Worauf achtest du bei Gesprächen? Tim: Ursprünglich konzentrieren sich Menschen aus dem autistischen IMPRESSUM

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Das »Karriere & Campus«-Themenheft erscheint im Freiburger Stadtmagazin chilli Herausgeber: chilli Freiburg GmbH Neunlindenstr. 35, 79106 Freiburg www.chilli-freiburg.de Geschäftsführung: Michaela Moser (ViSdP) Chefredaktion: Lars Bargmann Redaktion: Till Neumann (tln), Tanja Senn (tas) Autoren/innen: Teilnehmer des BOK-Kurses Titelbild: unsplash.com/ rawpixel Grafik: Anke Huber Lektorat: Beate Vogt Anzeigen: Jonas Stratz, Malika Amar, Valérie Scholten, Maria Schuchardt, Christina Miklusch, Marlene Schick Druck: Freiburger Druck GmbH & Co. KG

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Maria Kammerlander //

Mittelalter- und Renaissance Studien // 2. Fachsemester // Motto: »Ohne Motto lebt es sich freier.«

Spektrum auf die Fakten eines Gesprächs. Sie sehen Gespräche oft als Austausch von Informationen. Dabei übersehen sie oft die sozialen Komponenten oder haben nicht die Intuition dafür. chilli: Die Gefühlswelt des Gegenübers bleibt dir verschlossen? Tim: Natürlich. Ursprünglich habe ich nicht groß daran gedacht, wie die Gefühle der anderen sind. Es ist allerdings falsch, dass autistische Menschen keine Empathie haben. Es ist nur so, dass man weniger die Notwendigkeit sieht, Gefühle zu zeigen. Ich habe mittlerweile meine Mimik und Gestik etwas angepasst. chilli: Wendest du Theorie an? Etwa: Es ist lustig, jetzt lache ich mal ... Tim: Ja. Man versucht Theorien oder Regeln aufzustellen, aber das menschliche Sozialverhalten ist oft sehr chaotisch, irrational und unlogisch. chilli: Gibt’s die Probleme bei deiner Krankheit nur bei Gesprächen? ANZEIGE

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Anders und doch gleich: der 21-jährige Freiburger Student Tim.

Tim: Ich würde für mich nicht den Krankheitsbegriff wählen. Natürlich gibt es viele, die Autismus als negativ empfinden. Ich denke aber, dass ich in der Lage bin, Vorteile zu nutzen und Nachteile zu kompensieren. Es gibt noch andere Merkmale wie ungeschickte Feinmotorik. chilli: Das bedeutet konkret? Tim: Schlechtes Schriftbild. chilli: Wie läuft es im Studium?


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Tim: Die praktischen Dinge bereiten Probleme. Es ist anstrengend, soziale Kontakte aufzubauen. Man zieht sich stärker zurück. Es entgehen einem wichtige Informationen zum Studium, weil man niemanden hat, um an Infos zu kommen. Man muss sich an einiges öfter erinnern: Essen kochen oder Wäsche waschen zum Beispiel. chilli: Und was klappt gut an der Uni? Tim: Dass man Menschen trifft, die sich für ähnliche Dinge interessieren. Und die Möglichkeit, sich für Verschiedenes zu engagieren. chilli: Bei was kannst du entspannen? Tim: Entspannend ist, allein zu sein. Ich muss dann nicht über mein Verhalten nachdenken. Was ist richtig oder was ist falsch? Langeweile kommt da nie auf. Ich habe ja genügend Dinge, die mich interessieren. chilli: Was würdest du Menschen raten, die wie du spüren, „anders“ zu sein? Tim: Es ist wichtig, sich zu informieren. Man sollte sich klarmachen, nicht fehlerhaft zu sein, sondern eher über die Unterschiede reflektieren. Als normaler Mensch – ne, nicht als normaler Mensch, sondern sich als Mensch unter anderen Menschen verstehen. Maria Kammerlander

asperger Autisten leiden an einer angeborenen Entwicklungsstörung des Gehirns. Rund jeder 1000. Deutsche ist Autist, zeigen Studien. Da die Krankheit viele Facetten hat, wird vom Autismus-Spektrum gesprochen. Das Asperger-Syndrom, wie Tim es hat, ist eine abgeschwächte Form des Autismus. Man bezeichnet sie als Kontakt- und Kommunikationsstörung. Typische Merkmale sind mangelndes Einfühlvermögen, konsequentes Festhalten an Gewohnheiten, ausgeprägte Spezialinteressen oder motorische Schwächen. Betroffene haben oft ein exzellentes Gedächtnis, können beispielsweise ein ganzes Telefonbuch auswendig lernen. An der Uni Freiburg soll zum Wintersemester eine Hochschulgruppe für Betroffene starten. Monatliche Treffen sind geplant, berichtet Beate Massell, Beauftragte für Studierende mit Behinderung oder chronischer Erkrankung. Sie kennt 40 Betroffene an der Uni. Problematisch sei beim Studium die relativ unstrukturierte Umgebung im Uni-Alltag. Gruppenarbeiten und Smalltalk-Runden bereiteten ebenfalls Probleme.

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KARRIERE FESTIVAL

lässig feiern, fest Glauben Ein Australier veranstaltet in Freiburg Silent Partys

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Fotos: © Béla Namyslik

athan Thurlow feiert seit gut einem Jahr sein New Heart Festival in Freiburg. Der 34-jährige Australier bietet leuchtende Bluetooth-Kopfhörer an, die Besucher können zu einem von drei Musikkanälen tanzen. Außerdem verteilt er bei den stillen Partys selbstgemachten Chai-Tee und Snacks. Das Festival ist umsonst und draußen. Für Thurlow ist es eine Frage des Glaubens. Ein lauer Sommerabend in Freiburg. Kinder, Jugendliche und Erwachsene tanzen auf dem Stühlinger Kirchplatz. Es ist ziemlich still. Trotzdem ist die Stimmung ausgelassen. Man fühlt sich wie in einer anderen Welt. Es ist die der Silent Partys von Nathan Thurlow. Der Australier ist mitten im Wald aufgewachsen, erzählt er mit ruhiger Stimme. In einem Ort mit 50 Einwohnern und einer Straße. Mit 18 begann er zu reisen. Rund 15 Jahre war er mit One-way-tickets unterwegs und arbeitete für Kost und Logis. Überall suchte er nach dem Sinn des Lebens – im Buddhismus oder bei Sex, Drugs and Rock’n’Roll. Vor rund zwei Jahren änderte sich sein Leben schlagartig: Die Freundin verließ ihn mit ihrem gemeinsamen Sohn und zog zurück nach Deutschland. „Für mich brach eine Welt zusammen, ich endete im tiefsten Loch”, erzählt er auf Englisch, sein Deutsch ist gebrochen. Gerade da stellte er jedoch fest, dass Gott ihn liebt, und zwar in jeder Lebenslage. Und so kam ihm die Idee zum Festival. Mit seinen Partys wisse er endlich, was er mit den Menschen Das New Heart Festival lädt viele Besucher zum Tanzen ein.

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teilen will: „Es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich fähig bin, andere zu lieben, ohne etwas zurück zu wollen”, sagt er. Warum gerade stille Partys? Thurlow hat es schon immer genossen, anderen Tee zu machen und zu tanzen. Doch: „Als ich das erste Mal von Silent Partys hörte, dachte ich, das wäre idiotisch und unsozial”, erinnert er sich und lacht. Es sei aber ganz anders: Endlich könne man mit seinen Freunden auf dieselbe Party gehen – auch bei unterschiedlichem Musikgeschmack. Jeder tanzt zu dem, was ihm gefällt – drei Kanäle laufen parallel. „Es ist wie ein dreistufiges Musikfestival. Man kann dort tanzen, wo man normalerweise nicht tanzen kann, und niemand wird dabei gestört,” erzählt er. In letzter Zeit habe er festgestellt, dass man ohne Alkohol, Drogen oder der Suche nach Sex sogar einen besseren Abend haben kann: „Einfach nur auf der Erde, unter den Sternen mit Freunden, Musik und einer Tasse Tee.” Für seine Festivals fährt er mit seinem langen Holzfahrrad wechselnde Locations an: den Opfinger See, den Stühlinger Kirchplatz oder den Platz der Alten Synagoge. Das Festival auf die Beine zu stellen war kein leichtes Unterfangen. Eines der größten Probleme sei, eine Genehmigung von der Stadt zu bekommen. Rund 25.000 Euro hat Thurlow ins Projekt investiert. Anfangs hatte er in Freiburg nur ein paar hundert Euro im Geldbeutel. Nach rund sechs Monaten harter Arbeit und mit der Unterstützung eines Freundes war das nötige Geld jedoch zusammengespart. Heute lebt das New Heart Festival von Spenden und freiwilligen Helfern.

Teilt gerne: Partymacher Nathan Thurlow.

Sein erstes Event vor rund eineinhalb Jahren stand unter keinem guten Stern. Ein heftiger Regenschauer brach über dem Festival herein. „Innerhalb von zwei Minuten war jeder nass bis auf die Unterhose”, erzählt Thurlow. „Und in der Mitte des Schlamassels sah ich mein hochsensibles, nicht-wassergeprüftes Equipment.” Am nächsten Morgen war der Regen verzogen, eine Frage blieb: aufgeben oder weitermachen? Er gab dem Ganzen auf dem Susi-Sommerfest nochmal eine Chance und „seitdem war jedes der rund 50 Events ein Wunder”. Das New Heart Festival ist für ihn eine Frage des Glaubens: „Das Projekt ist nur möglich, weil ich realisiert habe, dass Gott Liebe ist und ich mein Leben Gott widmen will.” Dazu wolle er niemanden in die Kirche schicken. Auch tanzen und teilen kann spirituell sein. Marie Romer Marie Romer // Biologoie // 5. Fachsemester // Motto: »Friede, Freude, Eierkuchen.«


PFLEGE STUDIUM

Bachelor am Bett

Studiengang Pflegewissenschaft liefert wissenschaftliche Hintergründe zur praktischen Arbeit

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Foto: © Uni Freiburg

ird in den Medien über stressige Berufe mit geringem Verdienst gesprochen, ist die Pflege als Beispiel schnell zur Hand. Dass die Arbeit als Pfleger jedoch ein Traumjob sein kann, weiß Urbain Houenou. Der 26-Jährige hat eine Ausbildung als Gesundheits- und Krankenpfleger abgeschlossen und studiert im letzten Jahr Pflegewissenschaft an der Uni Freiburg. Für ihn die perfekte Ergänzung von Theorie und Praxis. Neueinsteiger benötigen für diesen Studiengang keine abgeschlossene Pflege-Ausbildung, sie müssen lediglich ein Jahr einer Ausbildung in der Gesundheits- und Krankenpflege hinter sich haben. Seine Arbeit als Pfleger hat Houenous Neugier oft unbefriedigt gelassen. „Wenn ich gefragt habe, warum wir etwas so machen und nicht anders, habe ich immer die gleiche Antwort bekommen: Weil wir das schon immer so machen“, erzählt der aus Benin stammende Pfleger. Sein Studium hat das geändert: Hier lernt er nicht mehr nur, wie etwas gemacht wird, sondern vor allem warum. Ein wissenschaftlicher Hintergrund für die Arbeit in der Praxis: Das ist der Ansatz des Bachelorstudiengangs Pflegewissenschaft. Studierende, die noch keinen Berufsabschluss in der Kranken- oder Altenpflege haben, erwerben diesen während des Studiums. Nach einer Regelstudienzeit von sechs Semestern haben die Absolventen somit nicht nur einen Bachelorabschluss, sondern auch eine praktische Berufsausbildung in der Tasche. Laut der Deutschen Gesellschaft für Pflegewissenschaft haben im vergangenen Jahr mehr als 10.000 Menschen in Deutschland Pflegewissenschaft oder -management studiert. Die Arbeit wird ihnen so schnell nicht ausgehen: Da die Menschen immer älter werden, steigt der Bedarf an Pflegepersonal. Experten gehen davon aus, dass im Jahr 2030 3,4 Millionen Menschen in Deutschland pflegebedürftig sein werden. Zum Vergleich: 2010 waren es gerade einmal 2,4 Millionen. Für Houenou ist sein sicherer Arbeitsplatz einer der Gründe, der ihn an der Pflege reizt. Vor allem sind es aber die täglichen Erfolgserlebnisse, wenn er einem kranken Menschen helfen konnte. Momentan arbeitet der Pfleger neben seinem Studium auf der Intensivstation der Uniklinik.

„Wenn ein Patient so schwer verletzt eingeliefert wird, dass man denkt, er wird das nicht überleben, und dann sieht, wie er wieder nach Hause marschiert – das ist ein unglaubliches Glücksgefühl“, schwärmt Houenou. Doch es gibt auch andere Tage. Solche, an denen der 26-Jährige nach der Arbeit weinend im Auto sitzt, weil einer seiner Patienten gestorben ist. An denen er sich fragt, was er hätte anders, besser machen können. Auch hier hilft ihm sein Studium: Houenou hat gelernt, wie und wo er recherchieren kann, um herauszufinden, ob er in einer schwierigen Situation richtig gehandelt hat, oder ob es nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen Alternativen gegeben hätte. Mit solchen Fragen möchte sich der 26-Jährige auch nach seinem Studium beschäftigen: Als Pflegeexperte würde er gern als Ansprechpartner für schwierige Fälle dienen und daran arbeiten, die Qualität der Pflege ständig zu verbessern. Es wäre ein Beruf, bei dem Houenou sein wissenschaftliches Wissen direkt anwenden könnte. Zudem stehen den Bachelor- oder Masterabsolventen auch leitende Positionen offen, etwa als Stations- oder Pflegedienstleiter. Auch eine Karriere in der Pädagogik oder der Forschung ist möglich. Für Houenou ist sicher: Er möchte nah am Patienten bleiben. Das Gehalt spielt dabei eine Nebenrolle: „Die Menschen in der Pflege arbeiten aus Leidenschaft und nicht wegen des Geldes. Wir arbeiten, um das Leben anderer besser zu machen.“ Tanja Senn

Info

Bachelor Pflegewissenschaft

» Dauer des Studiums: 3 Jahre » Studienstandort: Uni Freiburg » Voraussetzungen: Abitur, Fachabitur

(fachgebundene Hochschulreife) oder Fachhoch-

schulreife plus Deltaprüfung & bei Studienbeginn

mindestens ein Jahr einer Ausbildung in Gesundheits-

und Kinder-/Krankenpflege

und für die Berufsausbildung:

www.akademie.uniklinik-freiburg.de

» Bewerbungszeitraum: 1. Juni bis 15. Juli » Im Netz: www.pflegewissenschaft.uni-freiburg.de

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STUDIUM FAMILIE

Rassel im Hörsaal

Büffeln und Baby: zwei Paare erzählen vom Balanceakt

Katinka Marsden // Deutsche Sprach-

und Literaturwissenschaft // 5. Fachsemester // Motto: »Was dich nicht umbringt, macht dich nur stärker.«

Fotos: © Katinka Marsden; unsplash.com

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tudieren, das riecht nach Freiheit und Abenteuer. Und wenn plötzlich ein Baby da ist? „Geht trotzdem”, sagen zwei verheiratete Freiburger Paare Anfang 20. Sie erzählen von der Freude am Kind – und dem Leid mit den Behörden. An der Uni wurde ein Referat für Studierende mit Kind gegründet. Auf verwinkelten grünen Wegen geht es durch die Vauban. Dann: ein ziemlich heruntergekommenes Kasernengebäude. An der Tür eine leise Begrüßung, Raphael, zehn Monate, ist gerade eingeschlafen. Er liegt mitten auf dem Elternbett – alle viere

Studieren mit Kind: Bianca und Ian Werum mit Raphael ...

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von sich gestreckt. Aus der winzigen Küche duftet es nach frischem Kaffee. „Wir haben nochmal eine Verlängerung für die Wohnung beantragt”, sagt Bianca. Sie studiert an der Pädagogischen Hochschule (PH) und schreibt gerade ihre Zulassung. Da sie bereits einige Jahre im Studentendorf der Vauban wohnt, müsste sie demnächst ausziehen. „Wir hoffen, dass wir wenigstens noch ein Jahr hier bleiben können”, sagt Ian. Ein Umzug wäre kompliziert: finanziell und zeitlich. Solche Sorgen haben Raphaela und David nicht. Sie wohnen mit Leonore, 14 Monate, in einer Dreizimmerwohnung in der Studentensiedlung am Seepark. In ihrem Haus sind hauptsächlich Studierende mit Kindern untergebracht, was die beiden angenehm finden. Als Raphaela schwanger wurde, wohnte sie noch mit Freundinnen in einer WG: „Alles lief richtig gut, ich war super glücklich”, erinnert sie sich. Die Freude über das Kind war groß. „Aber es gab schon auch so ein paar Momente, in denen ich dachte: ‚Oh man, das Leben wird mal wieder

... sowie Raphaela und David Schalk mit Leonore.

ganz anders laufen, als ich es eigentlich geplant hatte.’” Auch Raphaela studiert an der PH in Freiburg und David im zweiten Semester Germanistik und Geschichte an der Uni. „Es ist schon so, dass wir alles schaffen”, sagt er. Schnell sei ihnen klar gewesen, dass das Kind oberste Priorität habe. „Das mit dem Studium bekommt man auch so ganz gut hin”, sagt David. „Ja”, ergänzt Raphaela: „Bevor Leonore auf der Welt war, habe ich mir immer total


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den Stress gemacht, von wegen ich muss das jetzt alles möglichst schnell auf die Reihe bekommen.” Seit der Geburt mache sie sich keinen Druck mehr. „Denn ich weiß, ich werde jetzt eh länger brauchen.” Wann sie mit dem Studium fertig wird, ist ihr inzwischen relativ egal: „Es ist ja mein Leben. Sollen die anderen denken, was sie wollen.” Vor dem Studium machte David eine Ausbildung zum Elektriker – und war meist erst spät zu Hause. „Heute Mittag hat Leonore ihre ersten Schritte gemacht – sowas live mitzuerleben ist echt schön”, schwärmt er. Man müsse als junge Eltern zwar einige Ansprüche zurückschrauben: „Jeden Abend weggehen geht jetzt halt nicht mehr.” Verglichen mit dem Leben ohne Kind sei es aber kein großer finanzieller Mehraufwand. Kleidung oder Kinderwagen gebe es schließlich auch gebraucht. Die vier jungen Eltern wollen anderen Studenten Mut machen, sich auf Kinder im Studium einzulassen. „Eine gute Organisation im Alltag ist das Allerwichtigste”, sagen sie. So stimmen die beiden Paare am Anfang des Semesters ihre Stundenpläne aufeinander ab. Sowohl die

im kurs drohen ihm schiefe blicke PH als auch die Uni ermöglichen ihnen, bei Überschneidungen kurzfristig Veranstaltungen umzulegen. So kann immer jemand beim Kind bleiben. Während David und Raphaela ihre Tochter bereits einige Male mit zur Uni oder PH genommen haben, findet Bianca, dass ihr das nicht so viel bringt: „Ich bin dann in der Vorlesung mit meiner Konzentration zu 50 Prozent bei Raphael”, sagt sie. Und sie wolle die anderen nicht stören. Jederzeit willkommen mit Kind im Hörsaal fühlen sich jedoch alle drei gleichermaßen. Nur Ian hatte seinen Sohn noch nie dabei: „Wahrscheinlich würde ich etwas schief angeschaut werden”, sagt er. Es sei ungewöhnlich, im zweiten Semester Jura überhaupt ein Kind zu haben. Alle vier sehen vor allem Vorteile im jungen Elterndasein. Allerdings, so Raphaela: „Das Riesenbürokratieding ist echt hart.” Die Rennerei sei nicht zu unterschätzen. Für einen Antrag bei einem Amt brauche man meist Unterlagen von verschiedensten Stellen. Die Öffnungszeiten seien nicht ausreichend. So kosteten Behördengänge viel Aufwand und Energie. Einer der schönsten Nebeneffekte sei, dass ihre Kinder zu beiden Elternteilen ein gleich gutes Verhältnis haben. „Naja, bis auf das Stillen vielleicht”, scherzt Raphaela. David ergänzt: „Seine Kinder während des Studiums zu bekommen, ist schon ganz schön cool.” Katinka Marsden

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SEMINAR SEXUALITÄT

Yes, she can!

Zu Besuch beim Seminar zu weiblicher Ejakulation

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Engagiert: Stella Rutkat kämpft für die Gleichstellung der Frau – auch körperlich.

Rutkat findet die Lücke innerhalb der wissenschaftlichen Forschung bezeichnend für die Art und Weise, wie Wissenschaft häufig betrieben wird: Beruhend auf dem männlichen Körper als Norm, werden Themen weiblicher Sexualität seit Langem vernachlässigt und haben Schwierigkeiten, Forschungsgelder an Land zu ziehen. Erst 2007 wurde dieser Bestandteil der weiblichen Sexualanatomie im „Journal of Sexual Medicine” ausführlich beschrieben: Demnach wird das weibliche Ejakulat in den Drüsen der weiblichen Prostata produziert, einem Schwellgewebe rund um die Harnröhre, das auch als G-Fläche (oder fälschlich: G-Punkt) bezeichnet wird. Bei Stimulation schwillt das Ge-

webe an und kann ein Gefühl erzeugen, als ob man (eher: frau) urinieren müsste. Das Ejakulat ist kein Urin, sondern biochemisch dem männlichen Pendant sehr ähnlich – lediglich ohne die Spermien. Kommt es zur Ejakulation, wird die Flüssigkeit durch kleine Öffnungen seitlich des Harnröhrenausgangs ausgeschieden, in je nach Frau unterschiedlicher Menge und Stärke. Das kann mit einem Orgasmus einhergehen – muss es aber nicht. Rutkat vermutet, dass die gefühlte Nähe zur Harnröhre dazu beiträgt, dass Ejakulieren bis heute von vielen Frauen als etwas Schamvolles wahrgenommen wird. Explizit gegen diese Scham und Misinformation wendet sich das Angebot ihrer Workshops: Wir nähern uns dem Thema nicht nur vor dem Spiegel an, sondern auch theoretisch. Mit detaillierten anatomischen Abbildungen und einem historischen Abriss über den Hintergrund der Verdrängung weiblicher Sexualität aus der gesellschaftlichen Sichtbarkeit. Ich persönlich kehre deutlich informierter aus dem Workshop zurück, erfüllt von der Freude darüber, so einiges über meine körperlichen Möglichkeiten gelernt zu haben. Gundula Haage

Foto: © privat

„Schaut mal, hier ist die Harnröhre!”, sagt Stella Rutkat. Wir folgen interessiert mit den Blicken ihrem ausgestreckten Finger. Er führt uns, im Halbkreis vor einem großen Wandspiegel sitzend, zu besagter Stelle zwischen den weit gespreizten Beinen einer Kursteilnehmerin. Kurz darauf bin ich an der Reihe. Um mich herum, auf Decken, Fellen, Kissen, liegen und sitzen zehn andere Frauen. Wir alle sind an diesem Sonntag vereint in dem Bestreben, unsere Körper besser kennenzulernen – und die politischen Implikationen eines solchen Tuns zu diskutieren. Ejakulieren, tun das nicht nur Männer? So mein erster Gedanke, als ich die Ausschreibung für den eintägigen Workshop sehe. Doch die Neugierde, mehr zu erfahren, führt mich nicht nur vor besagten Spiegel, sondern auch zu einem spannenden Gespräch mit Stella Rutkat, einer der beiden Workshop-Initiatorinnen. Rutkat ist 25, studiert Gender Studies in Freiburg und ist seit einiger Zeit auch Ejakulationstrainerin. „Weibliche Ejakulation ist für mich eines der besten Beispiele, an dem wir aufzeigen können, wie sehr sich politische und gesellschaftliche Machtverhältnisse direkt auswirken auf die Gesellschaftsmitglieder”, erklärt Rutkat. Sie will mit dieser Art des politischen Aktivismus zu einer informierteren und damit schambefreiteren Gesellschaft beitragen. Denn nach wie vor

ist es kaum bekannt, dass jede Frau anatomisch in der Lage ist, zu ejakulieren. Obwohl Beobachtungen dazu bereits von Hippokrates um 400 vor Christus festgehalten wurden, behandelt kein deutschsprachiges Biologieschulbuch das Thema. So ist es kein Wunder, dass Ejakulation häufig als Mythos abgetan, mit Urinieren verwechselt oder lediglich dem Porno-Jargon zugeschrieben wird.

Foto: © privat

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wei Freiburger Studentinnen bieten feministische Workshops an. Dabei geht’s theoretisch und praktisch um weibliche Sexualität. Vor allem um Ejakulation. chilli-Autorin Gundula Haage hat den Selbstversuch gewagt, um dem vermeintlichen Mythos auf den Grund zu gehen.

Gundula Haage // Global Studies // 5. Fachsemester // Motto: » Es gibt nichts Gutes, außer man tut es!«

Mehr Infos:

Laura Méritt: Frauenkörper neu gesehen, Orlanda 2012. Diana J. Torres: Coño Potens, Txalaparta 2015. www.weiblichequelle.de


QUEER SZENE

Michelle Janßen // Germanistik //

5. Fachsemester // Motto: »Veni, vidi, vino.«

Isabelle Gross // Soziologie // 6. Fachsemester // Motto: »Cogito ergo weirdo.«

Als würde man nicht existieren

Wie die Freiburger Queer-Szene sich selbst diskriminiert

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eit Jahrzehnten kämpft die LGBT-Szene (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender) um Anerkennung von außen. Doch auch innerhalb der Community gibt es Probleme: Mitglieder der Freiburger Szene berichten von Ausgrenzungen und Ignoranz. „Man kann es einfach niemandem recht machen”, sagt Lin K. Die Studentin ist pansexuell, fühlt sich zu mehr als einem Geschlecht hingezogen. Von der Szene fühlt sich die 21-Jährige jedoch eher abgestoßen: „Ich wurde auf dem Christopher Street Day (CSD) dumm angemacht”, berichtet sie. „Eine Lesbe hat mir gesagt, ich würde nur Aufmerksamkeit wollen.” Was Lin berichtet, ist kein Einzelfall: Auch Bi-, Asexuelle und weitere Untergruppen berichten von fehlender Unterstützung der Community. Das mag überraschen: Schließlich hat die Szene in den vergangenen Jahrzehnten Erfolge erzielt – zuletzt die Ehe für alle in Deutschland. Seit 1979 gibt es den CSD in der BRD, seit 2014 auch in Freiburg. Mitglieder und Un-

terstützer der Community protestieren dabei für gleiche Rechte und gegen Rassismus. Hingewiesen wird auch auf Missstände: Dazu gehört auch der Umgang in der Szene mit Bi- und Pansexualität, den Lin schildert. Diese Untergruppen verschwinden oft im Schatten der Homosexualität. Dabei besteht die LGBT-Community zu etwa 60 Prozent aus Bisexuellen, wie eine USStudie zeigt. „Es ist als würde man nicht existieren”, sagt Elisa I. (23). „Letzten Endes fragt man sich, ob man überhaupt dazugehört”, findet die Studentin. Um der Unsichtbarkeit in der Szene entgegenzuwirken, treten Prominente immer häufiger für ihre Sexualität ein: Megan Fox, Angelina Jolie oder Ezra Miller. In einer Freiburger Bar, die bekannt ist für LGBT-freundliche Veranstaltungen, bestätigen sich die Probleme der Szene: „Bisexuelle können sich nicht entscheiden”, sagt eine Lesbe, die anonym bleiben möchte, und lacht. Auch ein Homosexueller, der seinen Namen nicht im chilli lesen möchte, hält nichts davon: „Bi-Männer gibt es nicht”, sagt er. „Die trau’n sich nur nicht zu sagen, sie seien schwul.” Ein vorbeilaufender Student setzt noch einen drauf: „Sind nicht alle Frauen irgendwie bi?”, fragt er im Vorbeilaufen. Fast alle Bi- und Pansexuellen kennen solche Sprüche. Und Schlimmeres. Freiburg ist bekannt als tolerante Stadt. Der CSD mit Hunderten Unterstützern unterstreicht das. Allerdings hat die Parade einen faden Beigeschmack: Selbst dort und in Szene-Bars werden Mitglieder ausgegrenzt und können sich nicht sicher fühlen. Auch Freiburgs Dragqueen Betty BBQ kennt das Problem. Sie wünscht sich eine funktionierende Community: „Ein bisschen mehr Zusammenhalt und Akzeptanz für die Verschiedenheit untereinander.” Michelle Janßen, Isabelle Gross

Foto: © unsplash.com

»Bi-Männer gibt es nicht«

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STUDIUM FREIZEIT

Freiburgs Balkonien Studierende geben Einblicke in ihre geliebten Freiluft-Oasen

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ls Student hat man’s nicht immer leicht: Klausuren, Hausarbeiten, Prüfungsphasen. Da geht zwischendurch doch nichts über einen entspannten Kurzausflug ins schöne Land Balkonien, oft

Miriam Schiweck // Medienkulturwissenschaft, Europäische Ethnologie // 2. Fachsemester // Motto: »Nach dem Kaffee ist davor.«

sehr hübsch anzusehen. Balkone gibt es in der grünen Stadt Freiburg genug, entspannungswillige Studenten auch. Wir stellen vier besondere Rückzugsorte vor – von der Fußball-Lounge bis zur Chili-Plantage.

Jeder sein Paradies: Tabitha (links), Laura und Nora (oben), Jakob, Dieter, Vera, Larissa und Elane (unten) sowie Florian (nicht im Bild)

Fotos: © Miriam Schiweck

Der Kräutergarten

In Littenweiler, noch hinter dem Fußballstadion, zwischen beschaulich bunten, eng aneinandergedrängten Mehrfamilienhäusern, sieht man Tabitha Volohonsky, 20 Jahre und rote Haare, oft auf der Fensterbank ihres Wintergartens sitzen – oder besser gesagt, ihres Kräutergartens. Basilikum reiht sich an Petersilie, Zitronenmelisse und Minze, um nur ein paar zu nennen. Ganz abgesehen von den Salaten, Erdbeeren, Tomaten und sogar Melonen, die alle Verwendung in ihrer Küche finden. Wie sie dazu kommt, die halbe Flora auf ihrem Balkon anzubauen? Es startete eigentlich als Experiment, erzählt Tabitha: „Mein Freund wollte Chilis haben, also bin ich in den Baumarkt gegangen, um welche zu holen, und dachte mir dann, warum nicht eigentlich selber welche anbauen?“ Im Dorf aufgewachsen, hatte es ihr inzwischen sowieso gefehlt, selbst irgendwas anzubauen. Da muss man Tabithas Freund für den Gedankenanstoß wohl dankbar sein, denn ihr Kräutergarten ist

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hübsch anzuschauen. Ganz besonders die Halterungskonstruktionen für die unterschiedlichen Töpfe und Schüsseln. Hier wurden alte Garderoben aus dem Kindergarten umfunktioniert, aufgemalte Wichtel, Tiere & Co. sind alle noch erhalten und fügen sich perfekt in das ländlich-romantische (und was soll’s, natürlich auch etwas kitschige) Bild ein. Die Einrichtung aus dem Kindergarten passt gleich nochmal doppelt so gut, als Tabitha ihren Balkon mit zwei Wörtern beschreibt: Mein Baby.

Der Abhänger

Auch in der Studentensiedlung am Seepark gibt es reichlich schöne Balkone. Ein besonders entspannter ist wohl der von Nora Pauschs und Laura Hessels WG. Gleich zu Beginn fallen einem die hängenden Sitzmöbel ins Auge, die zum Hinsetzen und -legen und zum Nie-wieder-Aufstehen einladen. Das alles noch vom Grün der Bäume umgeben – was will man mehr? Laura (auf dem Bild in der Hängematte vorne) hat eine inni-


FREIZEIT STUDIUM ge Beziehung zur Hängematte: Im Sommer schläft sie fast jede Nacht dort. „Mein Bett ist auf Dauer bequemer”, gibt sie zu, „aber wenn man morgens mit den ersten Sonnenstrahlen und den Vögeln aufwacht und gleich frische Luft hat, dann ist das einfach ein super Start.” Seinen größten „Auftritt” hatte der Balkon vergangenes Jahr, als auf ihm quasi jeden Abend ein Spiel der EM geschaut wurde. Mit zahlreichen Fans. Auch die Tiere des Waldes haben seine Qualitäten schon erkannt: Ein Eichhörnchen schaut ab und zu vom benachbarten Kirschbaum vorbei. Bei einem geeigneten Wort für ihren Balkon überlegen sie eine Weile, dann sind sie sich einig: Traumland.

Der Alleskönner

Geht man etwas weiter in den Freiburger Norden, genauer gesagt nach Herdern, trifft man auf die WG rund um Vera Stellbauer, Larissa Mayer, Elane Salimi, Jakob Thieme, Dieter Eberhardt & Co. Ja, sehr viele Leute – mit einem Balkon, der viel kann. Von einem sattgrünen Rankwerk aus Blättern umschlossen, macht er nicht nur optisch einiges her. Er lädt auch zum Entspannen im kühlen Schatten ein – das kann nicht jeder. Ob Hausarbeiten, Frühstück oder einfach nur Zusammensitzen, der Balkon bildet den absoluten Mittelpunkt der WG, darin sind sich alle einig. Abends wird oft der Grill angeschmissen, und bei Partys lassen sich Tische und Stühle leicht in die Ecke räumen: Dann wird es oft ganz schön voll auf dem Balkon. Manchmal sogar zu voll, erst neulich ist ein Sofa unter der Last der zahlreichen Gäste einfach zusammengebrochen. Aber das Zusammensitzen bis in die späte Nacht gehört für die WG einfach zu ihrem Balkon dazu: „Ein Ort für Diskussionen mit gesellschaftlicher Relevanz”, erklärt Vera und grinst.

Ihr Balkon ist ein typischer studentischer Alleskönner: charmant anzusehen, für vieles zu gebrauchen und von noch mehr Menschen besucht und geliebt. Wie die WG ihn mit einem Wort beschreibt? Heimat.

Die Dschungeloase

Ein bisschen weiter östlich, aber ebenfalls nahe am Seepark, wehen abends oft Gitarrenklänge durch die Nachbarschaft: Dann sitzt Florian Vollenbröker, 29, derzeit mit seinem Master in Geografie beschäftigt, im Feierabendlook auf seinem Balkon und genießt den Moment inmitten seiner kleinen Oase. Florian ist ein Pflanzenfan, das sieht man sofort: Bei all den Palmen, Blüten und sogar einem kleinen Baum fühlt man sich schnell so, als hätte er ein kleines Stückchen Dschungel zu sich nach Hause geholt. Bestärkt wird der Eindruck abends durch die ganzen Lichter, die in Form von Lampen und Kerzen zwischen den Gewächsen verteilt sind. Die Atmosphäre fühlt sich so ein bisschen nach Urlaub und Melancholie gleichzeitig an: Gutes Licht findet Florian sehr wichtig. Ein Highlight des Balkons ist das große organgefarbene Ledersofa, auf dem es sich extrem bequem sitzt. Das haben Florian und sein Mitbewohner geschenkt bekommen, über eine Facebook-Anzeige. Dafür steckt aber viel Schweiß drin: „Keine Bahn wollte uns damals mit dem Ding mitnehmen. Also haben wir uns beim Supermarkt einen Einkaufswagen ausgeliehen und das Sofa so eine Stunde lang nach Hause gefahren.” Etwas umständlich, aber gelohnt hat sich die Aktion auf jeden Fall: Wenn man erst mal sitzt und von den Lichtern und Pflanzen umgeben ist, möchte man gar nicht mehr aufstehen. Wie kann Florian seine Dschungeloase mit einem Wort beschreiben: Feierabendasyl. Miriam Schiweck

zu viele gäste: die couch kracht

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leid, last zuversicht Zwei Flüchtlingsfrauen kämpfen für ihr neues Leben

K

leine Zimmer, wenig Betreuung, hohe Lernbereitschaft. Eine Studie zeigt die Integrationspotenziale und Probleme von Flüchtlingsfrauen in Deutschland. Davon berichten auch zwei Geflohene in Freiburg: Fahima aus Eritrea und Masima aus dem Kosovo (Namen geändert). „Wann wird es besser?”, fragt Fahima. Sie kam 2015 mit ihrem Mann aus Eritrea nach Deutschland. Seit rund zwei Jahren ist sie in Freiburg. ,,Am Anfang war es sehr stressig für mich”, erzählt sie. Das liegt auch daran, dass sie eine Anlaufstelle gefunden hat: Das BiFF – Bildung und Begegnung integriert Flüchtlingsfrauen, eine Initiative der Waisenhausstiftung Freiburg. An fünf Tagen die Woche lädt das BiFF Flüchtlingsfrauen mit Kindern ins Begegnungscafé ein. In den Räumen des Heilpädagogischen Hortes bemühen sie sich, ein niedrigschwelliges Integrationsprojekt anzubieten. Man trifft sich, lernt Deutsch, kümmert sich um die Kinder. An Integrationsangeboten für Frauen wie Fahima mangelt es in Deutschland nicht. Dafür hakt’s oft bei der Kinderbetreuung. Beim BiFF ist diese gewährleistet: Tagesmütter kümmern sich um die Kleinen, während die Eltern die neue Sprache lernen. Auch Masima aus dem Kosovo kommt zum BIFF. Vor vier Jahren verließ sie mit ihrem Mann und den beiden Söhnen ihre Heimat. Genau wie Fahima wird sie für ihr großes Engagement mit einem externen Deutschpaket gefördert. Nur drei der 15 BiFF-Frauen sind dafür ausgewählt. Die Kosovarin kann Serbisch, Romanisch, Albanisch ,,und ein bisschen Deutsch”. Genug, um vom neuen Leben zu erzählen. Hier sei es besser als in ihrer Heimat, sagt sie. Im Kosovo könne sie nicht alleine auf die Straße. „Hier fahre ich sogar Fahrrad”, sagt sie und lacht. „Arabisch, Tigrinya, Englisch, Urdu, Italienisch und ein bisschen Deutsch”, auch Fahima zählt die Sprachen auf, die sie beherrscht und lacht verlegen. Sie hat fünf Schwestern und zwei Brüder. Eine ist vor Italien ertrunken. In Deutschland zog Fahima mit ihrem Mann nach einem Monat in der Notaufnahmestelle in ein 12Quadratmeter-Zimmer im Flüchtlingsheim. Drei Monate lang machte sie einen Deutschkurs, dann wurde

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Bianca Bellchambers // Environmental Sciences // 3. Fachsemester // Motto: »Die Wahrheit mag da draußen sein, aber die Lügen sind in deinem Kopf.« Simona Eftimova // Medienkulturwissenschaft, Kunstgeschichte // 5. Fachsemester // Motto: »Am Ende bereut man dann doch die Dinge, die man nicht getan hat.«

Foto: © dpa Robert Schlesinger

Fahima und Masima: Die beiden versuchen, sich ein neues Leben aufzubauen.

sie schwanger. Ihr Sohn ist jetzt sieben Monate alt. Im Heim teilen sich mehrere Familien Bad und Küche. Wenn das Baby schläft und die Musik zu laut wird, beschwert sich Fahima meist vergeblich. „Das ist normal, das ist Heim”, wiederholt sie bedrückt. Masima wohnt in derselben Unterkunft: ,,Es ist sehr laut, die ganze Nacht über trinken die Männer Alkohol und rauchen Haschisch.” Wenn sie zu viel trinken, schimpfen sie und schlagen sich. Am schwierigsten sei es für die Söhne (11 und 13), die zur Schule gehen und Schlaf brauchen. Masima hat zudem eine zweijährige Tochter. Ihre Schwangerschaft hier sei schwer gewesen. Zu schwer. Sieben Mal sei sie in einer Frauenklinik gewesen, um psychologische Hilfe zu bekommen. Die neun Monate der Schwangerschaft musste sie im Bett bleiben. Trotzdem ist sie motiviert, sich hier zu entwickeln. Hier arbeitet Masima zum ersten Mal in ihrem Leben – als Putzhilfe. Im Kosovo hat sie eine Ausbildung als Pädagogin abgeschlossen, aber nie gearbeitet. „Nach der Universität bleiben die Frauen mit ihren Diplomen zu Hause”, sagt sie. Masima hofft, bald eine Ausbildung als Altenpflegerin zu machen.

Auch für Fahima war die Schwangerschaft hier eine Belastung. Damals übersetzte sie im Flüchtlingswohnheim für zwei Familien aus Eritrea. Immer wieder geriet sie bei Konflikten zwischen die Fronten, auch während der Schwangerschaft. Einmal wurde sie geschlagen, hatte starke Schmerzen. Fahima hat einen der begehrten Integrationskurse mit Kinderbetreuung in Aussicht, für den sie wegen ihres Fleißes empfohlen wurde. Zum Jahresende sollen die ersten Heimbewohner in Neubauten mit größeren Wohnungen umgesiedelt werden. Beides macht ihr Hoffnung, dennoch die Frage: „Wann wird es besser?” Sie spricht eigentlich nicht darüber, doch der Stress ist groß. Sie wünscht sich mehr Unterstützung. Auch Fahima hatte einen schweren Start: „Die ersten zwei Jahre wollte ich immer nach Hause gehen”, erinnert sie sich. Noch immer hat sie schlechte Momente. Doch die schönen Augenblicke werden häufiger: bei Spaziergängen mit ihren Kindern, auf der Arbeit, im Deutschkurs. ,,Das macht mir Spaß”, sagt sie und strahlt – zumindest ein bisschen. Bianca Bellchambers & Simona Eftimova

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