AB 6.2. IM KINO!

KULTUR BETREUTES HÖREN IM PLATTENLADEN
AB 6.2. IM KINO!
KULTUR BETREUTES HÖREN IM PLATTENLADEN
KRASSE SOUNDS VON DER UKULELE-LADY
FREIBURGER BUCHMESSE VOR DEM AUS
Svon Till Neumann
treaming boomt. Es lebe der Tonträger? Das Team von „Der Plattenladen“ in der Freiburger City glaubt fest ans Musikhören mit Haptik. Ihre Listening-Session „Betreutes Hören“ wird zum Magneten. Einen Bundespreis gibt’s on top.
Dienstag. 19 Uhr. Anfang Januar. Während es sich viele zu Hause gemütlich machen, geht’s im Plattenladen erst richtig los. Rund 30 Menschen haben sich eingefunden zum BetreutesHören-Abend rund um Tom Waits. Dem legendären US-Sänger mit Reibeisenstimme.
Markus Muffler vom Trio, das den Laden betreibt, führt durch den Abend. „Es gibt bestimmt genügend hier, die sich hervorragend mit Tom Waits auskennen, ich will daher gar nicht so viel erzählen“, stellt er klar. Die Gäste sind meist männlich, mittleren Alters. Mutmaßliche Musiknerds. Wie er selbst. Gekommen sind sie, um zusammen Songs zu hören. Knisternd vom Plattenteller.
Die Instagram-Seite des Musikgeschäfts ist an diesem Abend down. Vielleicht ein Grund mehr, auf ein Format zu setzen, das fast altmodisch wirkt. Durch drei Phasen von Tom Waits will Muffler heute führen. Für die Besuchenden gibt’s Brezeln und Wasser aufs Haus.
Track zu Ende ist. Und kommt zu dessen legendärer Stimme: „Er hat sehr viel gesoffen, aber auch Stimmprobleme gehabt.“ Außerdem habe er unglaublich viel geraucht.
Muffler erzählt vom gescheiterten Supportkonzert für Frank Zappa, vom Wandel zum bluesigeren Sound und vom mitwirkenden George Duke unter Decknamen. Der Laden füllt sich im Laufe der rund 90 Minuten weiter. Mittlerweile sitzen Gäste auch auf dem Boden.
Das Konzept kommt an. Erfunden hat das Trio es im November 2023: „Die Idee ist daraus erwachsen, dass man alleine mit Verkauf von irgendwas nicht viel reißen kann“, erklärt Muffler. „Wir dachten, Listening Sessions sind ein guter Einstieg, die Leute in den Laden zu bekommen und ein easy zugängliches Kulturprogramm zu bieten.“
Anfangs seien rund zehn gekommen. Inzwischen konstant 20 bis 30. Auch in Berlin scheint man das zu wissen: Ende 2024 ist der Laden mit dem „Emil – Der Deutsche Preis für Schallplattenfachgeschäfte“ ausgezeichnet worden. 14 Geschäften kommt diese Ehre zu. „Wir sind mächtig stolz“, sagt Muffler.
Der Plattenladen in der Freiburger City lockt viele zur „Betreutes Hören“-Session.
Los geht’s mit Songs vom Debütalbum Closing Time. „Ol’ 55“ tönt durch die weißen Boxen an der Decke. Köpfe nicken, Füße wippen im Takt. In den Regalen stehen Vinyl von Radiohead, Robbie Williams und Beethoven. „Einfach wunderschön“, schwärmt Muffler, als der Waits-
Zu späterer Stunde spielt er „Clap Hands“ von Tom Waits. Der im Song geforderte Applaus könnte auch dem Laden selbst gelten. Er stellt sich wacker dem Streamingboom – und hat mit dem Angebot zum kollektiven Lauschen einen Nerv getroffen. An Optimismus fehlt es nicht. Wie lange die Vinyl noch lebt? Muffler reicht ein Wort: „Ewig.“
ERSTMALS IN EUROPA: THEMATISCHE KUNSTAUSSTELLUNG ZUM BOREALEN WALD
Nach der von Besuchern schier überrannten
Matisse-Ausstellung, die Galeriechef Sam Keller als „Glanzlicht im internationalen Kunstkalender“ bezeichnete, wendet sich die Fondation Beyeler nun weniger bekannten, doch nicht minder glanzvollen Lichtern zu: Bis 25. Mai ist die Ausstellung „Nordlichter“ zu sehen, in der 70 Bilder von 13 Künstlerinnen und Künstlern aus Kanada, Norwegen, Schweden, Finnland und Sibirien präsentiert werden – individuelle Sichtweisen auf die borealen Wälder und deren besondere Landschaften.
Menschen sind auf den vom ausgehenden 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts entstandenen, teils großformatigen, teils auch ganz kleinen Bildern nur selten zu sehen. Hinweise auf ihre Existenz schon eher: Da sind etwa in Gustaf Fjæstads „Neu gefallener Schnee“ Fußspuren zu sehen – in einer Landschaft, die er keineswegs einheitlich weiß malt, sondern sie in den unzähligen farblichen Nuancen des Schneeweiß widerspiegelt.
Da ist in Harald Sohlbergs Gemälde von einem fast schwarzen Wald ein kleines weißes Haus, eine Fischerhütte, zu erkennen. Das Bild trägt den Titel „Ein Haus an der Küste“. Und in Edvard Munchs „Zugrauch“ zeigt eine weiße Dampffahne, dass die Zivilisation per Schiene schon weit zu den endlos und unberührt wirkenden Wäldern und Seen des Nordens vorgerückt ist. Und die Papierindustrie: Munchs „Der gelbe Baumstamm“ deutet die wirtschaftliche Nutzung der Wälder an.
In den beiden ausstellungstitelgebenden Bildern „Nordlichter“ von Anna Boberg und Tom Thomson sowie auf Akseli Gallen-Kallelas „Frühlingsnacht“, Emily Carrs „Abstrakte Baumformen“ oder Iwan Schischkins „Windbruch“ hingegen lässt sich auf den Umstand, dass sich hier ein Mensch aufgehalten hat, nur deshalb schließen, weil dieser Mensch das Gesehene im Bild festgehalten hat.
In „körperlicher Schwerstarbeit im Freien“, wie Kurator Ulf Küster bei der Ausstellungseröffnung betonte –unter Verweis auf die extremen klimatischen Bedingungen mit hierzulande unvorstellbaren Minusgraden in den lichtarmen Wintern oder um-
von Erika Weisser
geben von Mückenschwärmen in den fast nachtlosen Sommern. Impuls für die ungewöhnliche, einem Naturraum gewidmete und in Europa erstmals in dieser Konstellation gezeigte Ausstellung sei „Neugier und die Vertiefung des Themas Nord“ gewesen, sagt Küster. Und die Tatsache, dass der boreale Wald – der größte, die Arktis umgebende und von Alaska bis Sibirien reichende Urwald der Erde – mit seinem speziellen Ökosystem zunehmend bedroht ist. Etwa durch die fortschreitende Erderwärmung, wie die Videoinstallation des 1987 geborenen dänischen Künstlers Jakob Kudsk Steensen verdeutlicht, die im Park der Fondation zu sehen und als Web-Experience weltweit abrufbar ist. Die hier erlebbaren Bilder wirken ebenso lange nach wie die drinnen über neun Säle verteilten Werke, die man zunächst ohne jede Angabe betrachtet: Erläuterungen wie Titel, Künstler und Entstehungsjahr sind auf dem Fußboden vor jedem Bild zu finden.
Sehnsuchtsort: Anna Bobergs eisige Polarlichter (g.l.), Emily Carrs abstrakte Baumformen (l.) und Akseli Gallen-Kallelas Frühlingsnacht (o.) laden zur Reise in den borealen Wald.
(v.r.n.l.) © Akseli Gallen-Kallela, Frühlingsnacht, 1914, Öl auf Leinwand, 115,5 x 115,6 cm, Lillehammer Art Museum, Depositum der Sparebankstiftelsen DNB, Foto: Camilla Damgård; © Anna Boberg, Nordlichter. Studie aus Nordnorwegen, undatiert, Öl auf Leinwand, 97 x 75 cm, Nationalmuseum, Stockholm, Vermächtnis 1946 Ferdinand und Anna Boberg, Foto: Anna Danielsson/Nationalmuseum; © Emily Carr, Abstrakte Baumformen, 1931/32, Öl auf Papier, 61,1 x 91,1 cm, Sammlung der Vancouver Art Gallery, Emily Carr Trust, Foto: Vancouver Art Gallery
PREMIERE: THERESIA WALSERS WELTUNTERGANGS-ETÜDE IM THEATER FREIBURG
Tvon Erika Weisser
heresia Walser stand vor 25 Jahren das letzte Mal selbst auf einer Theaterbühne. Und sie hat ihre Auftritte „seither keinen einzigen Tag vermisst“: „Ich war keine Schauspielerin, die aus ihrem Lampenfieber das Beste machen kann“, sagt sie lachend. Mit der Bühne, mit dem Schauspiel hat sie freilich immer noch zu tun, doch von der anderen Seite, als Dramatikerin. Seit Mitte der 1990er-Jahre schreibt sie eigene Stücke, hat dabei festgestellt, dass ihr das „mehr liegt“ als das Spiel; 1999 wurde sie von der Zeitschrift „Theater heute“ zur Autorin des Jahres gewählt. Ihr jüngstes Werk wird am 8. Februar am Theater Freiburg uraufgeführt.
Groteske:
Theresia Walser hat für das Ensemble des Freiburger Theaters ein Schauspiel geschrieben.
„Die Erwartung“ lautet der Titel der „katastrophischen Groteske“, die Schlaglichter wirft auf die unterschiedlichen Verhaltensweisen von Menschen, die sich einem Ausnahmezustand ausgesetzt sehen. Intendant Peter Carp führt die Regie; es ist seine letzte Regiearbeit am Theater Freiburg. Von ihm, erzählt Walser, sei die Idee zu dem Stück gekommen: Er wurde in einem Urlaub am Wasser von einer Sturmwarnung ereilt – die sich später als nichtig erwies. Hernach habe er bei ihr angefragt, ob sie eine derartige, an die Grenzen der Vorstellungs- und Handlungsfähigkeit gehende Situation zwischen Bangen und Hoffen in einem Schauspiel verarbeiten könne.
Sie nahm den Auftrag an – und arbeitete fast ein Jahr lang an dem Stück mit zehn Figuren, die sich längst an die latent vorhandene Verunsicherung gewöhnt haben und sich weitestgehend „einfach weltuntergangstaub“ stellen. Durch die Ankündigung eines apokalyptischen Unwetters werden sie plötzlich mit ei-
ner extremen Bedrohung konfrontiert und in einen Panikmodus versetzt. Alle Figuren versuchen, sich zu retten und treffen im letzten Moment noch Entscheidungen, die am Ende, wenn die Katastrophe scheinbar ausbleibt, auf andere Weise katastrophal sind. Da suchen die einen gemeinsam Schutz in einem alten Bunker und lassen einander dabei im Stich, da fliehen andere blindlings in eine Richtung, die die falsche sein könnte. Da will eine Insektenforscherin bedrohte Arten vor dem Untergang retten, da vergisst ein Pärchen, das lediglich die eigene Haut retten will, den alten Vater im Rollstuhl, der im allgemeinen Gewusel seine Brille verloren hat und beklagt, dass seine Suppe im Pflegeheim „nun kalt wird“.
Es gibt aber auch eine Frau und einen Mann, die Walser der Prepper-Szene zuordnet. Die beiden leugnen seit jeher die Klimakatastrophe und halten entsprechende Meldungen für puren Unsinn. Während alle anderen fliehen, hocken sie unbeirrt im Garten ihrer Vermieter und grillen Fleisch. Dass sie sich später sogar eine Mauer um diesen Garten bauen, zeigt, dass sie längst ganz andere Pläne verfolgen. Am Ende treffen alle Figuren aufeinander zu einem finalen Showdown. Aber auch die Natur, so viel verrät Walser, gibt keine Ruhe. Dafür sorgt auch die sprechende Ziege Lilly, die sibyllinisch durch die Szenen mäandert. Mehr will Theresia Walser nicht preisgeben von dem Stück, das das „wunderbare Ensemble“ in nur fünf Wochen einstudiert hat. Sie kennt die Schauspieler aus regelmäßigen Besuchen des Theaters und hatte sie beim Verfassen des Stücks „oft vor Augen“.
Die Erwartung
Schauspiel von Theresia Walser Uraufführung: Samstag, 8. Februar 2025, 19.30 Uhr Großes Haus, Theater Freiburg Weitere Termine & Infos: www.theater.freiburg.de
WALLGRABEN THEATER TESTET SOLIDARISCHES PREISSYSTEM
Kultur hat ihren Preis. Im Freiburger Wallgraben Theater kann trotzdem seit Oktober jeder so viel bezahlen, wie er möchte. Es gibt vier Preiskategorien von 16 bis 35 Euro. Das „solidarische Preissystem“ will erreichen, dass ein Theaterbesuch „kein Luxusgut ist“. Was dahintersteckt und warum die Preise angehoben wurden, erzählt Sprecherin Elisabeth Kreßler (39) im Interview mit Till Neumann.
cultur.zeit: Frau Kreßler, Sie haben ein neues Preissystem eingeführt. Warum?
Kreßler: Theater sollte als Spiegel der
Gesellschaft nicht elitär, sondern jedem zugänglich sein. Natürlich gibt es in den meisten Theatern Preisstaffelungen oder Ermäßigungen – aber nur bei Berechtigungsvorlage. Bei uns braucht es die nicht mehr. Bei den gestiegenen Lebenshaltungskosten gibt es Situationen, in denen man sich das Ticket nicht leisten kann. Wir wollen Theater jedem möglich machen, indem wir dem Publikum mehr Selbstverantwortung übertragen.
cultur.zeit: Wie kommt das an?
Kreßler: Das allgemeine Feedback ist sehr positiv. Wir haben nun Anfang Januar nach drei Monaten eine erste Bestandsaufnahme gemacht. Da wir experimentieren, mussten wir feststellen, dass der 21-Euro-Standardpreis zu niedrig angesetzt war, um die Kosten zu decken. Reservix-Gebühren zum Beispiel hatten wir außen vorgelassen. Deshalb haben wir das System etwas modifiziert: Ab Februar bekommt neben dem Theaterpreis (Mittwochs Einheitspreis 18 Euro) auch der Samstag einen Festpreis (25 Euro / erm. 16 Euro). An allen anderen Tagen gilt weiter das Soli-Preissystem. Wir haben die drei mittleren Preiskategorien um jeweils zwei Euro angehoben (16/23/30 Euro). Außerdem gibt es die Kategorie „Ich mach’s möglich“ für 35 Euro sowie ein kleines Kontingent an Karten zu 7 Euro („Ich bin dabei“) an der Abendkasse.
cultur.zeit: Das heißt, Sie haben seit Einführung des Preismodells weniger umgesetzt?
Kreßler: Richtig. Wir sind Pioniere in der Theater-Szene mit diesem System. Soli heißt aber nicht, dass wir als Privattheater so nächstenlieb sein können, Tickets zu verschenken. Das System muss sich selbst tragen. Die, die mehr geben können, können mit diesem System Leuten, die es sich nicht leisten können, Theater ermöglichen. Dazu erhalten wir sehr viel positives Feedback.
cultur.zeit: Kennen Sie Anbieter, die Vergleichbares machen?
Kreßler: Kaum. Es gibt meines Wissens wenige Theater in Deutschland mit Soli-Preissystem. Sonst kenne ich es eher von Cafés. Da zahlst du ein Essen mit und finanzierst es damit einer anderen Person.
cultur.zeit: Wie kommt es, dass gerade das Wallgraben Theater diesen riskanten Schritt geht?
Kreßler: Gute Frage. Wir sind ein Privattheater, haben ein sehr hohes Risiko. Aber es gibt uns seit fast 72 Jahren. Wir haben viele gesellschaftliche Veränderungen miterlebt. Jetzt wollen wir Vorreiter sein und eine Vorbildfunktion haben. Ich bin zuversichtlich, dass sich das mit der kleinen Modifizierung jetzt auch trägt.
Maria
USA, Chile, Italien 2024
Regie: Pablo Larraín
Mit: Angelina Jolie, Pierfrancesco Favino, Alba Rohrbacher, Valeria
Golino, Haluk Bilginer u.a.
Verleih: StudioCanal
Laufzeit: 123 Minuten
Start: 6. Februar 2025
In die erste Szene wird ein knapper Text eingeblendet: Paris, 16. September 1977. In einem riesigen, luxuriös eingerichteten Salon stehen wenige Menschen, die nur gedämpft miteinander sprechen und betroffen zu Boden schauen. Dort, diskret unter einer Decke und hinter einem ausladenden Möbelstück verborgen, liegt jemand. Eine Bahre wird hereingebracht. Sie bestätigt, was die Zuschauer im Kinosaal bereits ahnten: Dieser jemand lebt nicht mehr. Es erklingt Verdis Ave Maria, gesungen von Maria Callas.
Der im Film eben verstorbene Mensch ist Maria Callas. Und sie wird, wie Regisseur Pablo Larraín mit dieser kurzen Szene suggeriert, selbst im Tod noch beobachtet. So wie während fast ihres ganzen Lebens, das mit 53 Jahren endete. Die letzte Woche dieses Lebens wird im Film beleuchtet – das einsame Leben einer launischen und verletzlichen ehemaligen Diva, der nichts geblieben ist als zwei Hausangestellte, die aber immer noch gefallen und angebetet werden und ihre einst vollkommene Stimme wiedererlangen will. Einer Frau, die die Gegenwart nur mithilfe von Medikamenten bewältigt – und mit Fluchten in die Vergangenheit: Während ihrer Gesangsetü-
von Erika Weisser
Auftritte in den großen, wie für sie geschriebenen Opern in den großen Häusern Europas vergegenwärtigt. Natürlich mit Originalaufnahmen ihrer Rollen: Bellinis Norma, Puccinis Tosca und Cherubinis Medea.
Die Retrospektiven zeigen aber auch die Anfänge ihrer Karriere. Etwa, als die damalige Gesangsschülerin in den 1940er-Jahren auf Geheiß der strengen Mutter für Nazi-Besatzungssoldaten in Griechenland singt. Und sie streifen zudem ihre oft tragischen Lieben und die damit verbundenen Demütigungen.
Durch die fließende Verbindung schöner, aber auch schmerzhafter Erinnerung mit der schwierig zu lebenden Gegenwart gelingt es Larraín – und der ganz exzellent spielenden Angelina Jolie – ein facettenreiches und möglicherweise authentisches Porträt der Frau zu zeichnen, die zu den größten Opernsängerinnen der letzten 100 Jahre zählt.
Sie zeichnen das Bild einer Persönlichkeit, die hinter der schillernden, extravaganten Fassade verborgen ist, mit der sie sich selbst an ihren letzten Tagen noch umgibt. Die sich aber dennoch immer stärker zeigt: Eine extrem disziplinierte Künstlerin, die ihr ganzes Leben ihrer perfekten Stimme, ihrem Streben nach Vollkommenheit unterordnet. Eine Frau, die deshalb aber auch gespalten ist
GB 2024
Regie: Andrea Arnold
Mit: Nykia Adams, Barry Keoghan, Franz Rogowski u.a.
Verleih: MFA
Laufzeit: 119 Minuten
Start: 20. Februar 2025
(ewei). Die junge Bailey lebt mit ihrem Vater Bug in einem besetzten Haus in Kent, nahe London. Sie kommt einigermaßen zurecht mit der bunten Community, doch mit dem sprunghaften Vater gibt es ständig Ärger: Er ist nicht der Zuverlässigste, feiert gerne ziemlich zugekokst die Nächte durch und zwingt sie so, ihren Alltag selbst zu regeln. Anstatt sich um sie und ihre Nöte zu kümmern, konzentriert sich Bug lieber auf seine neue Geschäftsidee: Er will aus dem Sekret einer südamerikanischen Kröte eine halluzinogene Superdroge entwickeln und teuer verkaufen. Nachdem sie im Streit mal wieder von zu Hause abgehauen ist, trifft Bailey auf einer Wiese auf eine sonderbare Gestalt: Bird, der einen Faltenrock trägt und Purzelbäume schlagend aus dem Nichts regelrecht auf sie zufliegt. In einer Welt, in der es für Bailey keine Gewissheiten gibt, wird Bird zu ihrem engsten Vertrauten. Aber wer ist dieser rätselhafte Mensch eigentlich? Schillernde Handlung, hinreißend gespielt.
USA 2023
Regie: Greg Kwedar
Mit: Colman Domingo, Clarenc „Divine Eye“ Maclin u.a.
Verleih: Weltkino
Laufzeit: 107 Minuten
Start: 27. Februar 2025
(ewei). John „Divine G“ Whitefield verbüßt eine langjährige Haftstrafe im berüchtigten amerikanischen Hochsicherheitsgefängnis Sing Sing. Wegen eines Mordes, den er nicht begangen hatte. Der einzige Lichtblick im eintönigen Knastalltag ist das Theaterprojekt RTA (Rehabilitation Through Arts). John nimmt an den regelmäßigen Proben teil, übernimmt auch größere Rollen und freut sich auf die Aufführungen. Das Spiel auf der Bühne gibt ihm Kraft – auch die Vorstellungskraft, für einen Augenblick der Welt hinter den hohen Mauern zu entfliehen und sich an einen weit entfernten Ort zu versetzen. Doch wenn der Vorhang gefallen und der Applaus verhallt ist, kehrt er in seine Zelle, in die triste Realität zurück. Schließlich erkennt er aber sein Potenzial – und die Notwendigkeit, für seine tatsächliche Rehabilitation einzustehen. Doch da tritt der unberechenbare Clarence „Divine Eye“ Maclin auf den Plan – und krempelt die Gruppe um. Die kreative Routine gerät aus dem Gleichgewicht.
Frankreich 2023
Regie: Anne Fontaine
Mit: Raphaël Personnaz, Doria Tillier u.a.
Verleih: X Verleih
Laufzeit: 121 Minuten
Start: 6. März 2025
(ewei). Von der durch unwegsames Gelände stolpernden Dame sind nur die hochhackigen Schnürstiefel aus feinem Leder zu sehen. Die ganze Erscheinung kommt erst ins Bild, als sie vor einem riesigen Fabrikgebäude auf einen elegant gekleideten Herrn trifft und fragt, was sie „auf dieser Müllkippe“ zu suchen haben.
Er – Maurice Ravel – führt sie in die Halle; der bisher dumpf hörbare Lärm wird lauter, deutlicher. Und rhythmischer. Ravel rühmt gegenüber seiner völlig verständnislosen Besucherin die „rhythmische Sinfonie“ der Maschinen, spricht gar vom „Marsch einer vorwärts schreitenden Zeit“.
Die Maschinenklänge gehen in ein Musikstück über, das die Tänzerin Ida Rubinstein 1928 für ihr nächstes Ballett bei Ravel in Auftrag gab. Und das nach Angaben von Regisseurin Anne Fontaine „alle 15 Minuten irgendwo auf der Welt zu hören“ ist: der Bolero. Die Geschichte seiner Entstehung und die Lebensgeschichte seines Komponisten sind Gegenstand dieses großartigen musikaffinen Films.
Den Ukulele-Hit „Somewhere over the Rainbow” kennt fast jeder. Dass das kleine Instrument deutlich mehr hergibt als eingängige Melodien, zeigt Larissa Leaves. Die Freiburgerin tritt mit Loopstation auf und setzt die Mini-Gitarre auch als Trommel ein.
überraschen:
Eine Band braucht Larissa Leaves nicht. Sie lässt einfach das Publikum den Rhythmus klatschen, trommelt dazu auf der Ukulele, nimmt das mit einer Loopstation auf und spielt dazu auf den Saiten. Die Begeisterung ist groß, zum Beispiel bei ihrem Auftritt im Oktober bei „Poesie & Popcorn“ im Vorderhaus Freiburg. Die 27-Jährige spielt, performt, erzählt. Zum Beispiel, wie sie beinahe an einem 6/8-Takt verzweifelt ist – ihn nach Monaten aber endlich mit Hilfe von Raphael Kofi vom African Music Festival Emmendingen geknackt hat. Den Song dazu bringt sie gleich danach. Mitreißend ist das. Und überraschend.
Man könnte sagen: kleines Instrument, große Kunst. „Auch mich verblüfft die Ukulele einfach immer wieder“, sagt Leaves. „Mega unterschätzt“ werde die kleine Gitarre. Bekannt gemacht haben sie Welthits wie „Somewhere over the Rainbow“ vom Hawaiianer IZ oder „Riptide“ von Vance Joy. Da treffen tolle Stimmen auf feinfühlige Klänge. Doch die Freiburgerin will ihren eigenen Weg gehen: „Meine Challenge ist, neue Sachen aus der Ukulele rauszuholen.“ Das Instrument fordere sie krass, gebe aber gleichzeitig auch viel zurück.
Bauchgefühl ist das A und O für Leaves, die mit bürgerlichem Namen Larissa Kastner heißt. Sie hat in ihrer Kindheit in der Nähe von Würzburg Klavier gelernt, sich aber wenig Fachwissen angeeignet: „Ich bin unfassbar schlecht in Musiktheorie.“ Sie arbeite daher vor allem über ihr Gehör. Ein zweiter Eckpfeiler sind Weggefährt·innen. „Es sind super viele Menschen um mich herum, die viel Inspiration geben.“ Vorbild ist auch Reggae-Sänger Gentleman. Mit ihm hat sie Sommer 2024 sogar kurz jammen können.
Seit 2018 ist sie in Freiburg und hat sich gut vernetzt. Im Latino-Trio „Cuatrio“ spielt sie mit den Chilen·innen Susana Schnell und Tatán González Luis von El Flecha Negra. Beim Chor Soulfamily ist sie mit dabei. Mit ihrer Mitbewohnerin Anna M.lion arbeitet sie als Duo. Dazu gibt es Soloprojekte und Auftritte im Inund Ausland.
„Ich bin genau richtig da, wo ich stehe“
Die Ukulele ist Passion und Nebenerwerb. Als Heilpädagogin arbeitet Leaves und unterstützt dabei Menschen mit Traumastörungen. Zudem hat sie einen Teilzeit-Remote-Job für die Uni Würzburg. Ändern möchte sie das nicht. „Ich bin genau richtig da, wo ich stehe“, sagt Leaves und lacht. Herzlich und zugewandt wirkt ihre Art. Bodenständig obendrein: „Ich brauche einen Fuß auf dem Boden.“ Dabei gewinnt sie mit ihrer Art Musik zu machen viele Herzen. „You are such an amazing performer.
I can feel your vibe through the screen!“, schreibt eine Userin unter einem ihrer Instagram-Videos. Auch Musikerkollegin Susana Schnell ist angetan: „Larissa ist eine Seele von Mensch, die es schafft, andere anzuschauen und sie wissen zu lassen, dass sie das Beste sind, was sie haben.“ Energie und Emotionen zeichneten ihre Musik aus. Der Klang ihrer Ukulele sei einzigartig und ihr Spiel komme aus dem Bauch. „Es ist unmöglich, sich nicht in sie zu verlieben, wenn man mit ihr Musik macht.“
Ein Grund dafür ist vielleicht auch Humor. Für ihr Spiel hat Leaves nur an einer Hand modellierte Nägel. Wenn sie jemand fragt, warum das so ist, antwortet sie einfach mal: „Ich habe die andere Hand vergessen.“ Dass ihr das Leute glauben, findet sie absurd. Dennoch ist sie manchmal auch erschöpft davon, ihr Instrument immer wieder zu erklären. Wie sie genau auf die Ukulele kam, kann sie sich nicht erklären. Aus einer Musikerfamilie kommt sie nicht. Eines Tages hatte sie das Instrument in der Hand – und hat es nicht mehr losgelassen. „Ich wollte meine Nische finden“, betont Leaves. Und ihr Herz schlägt für Rhythmus. Jetzt versucht sie beides zu verbinden und lässt sich treiben von Begegnungen mit anderen Musiker·innen. Sie geben ihr Input und motivieren sie, neue Dinge auszuprobieren. Rund 20 Shows hat sie 2024 gespielt. Ein Highlight war ein Auftritt im Jazzhaus mit einer Multikulti-Truppe beim Tag der Migrant·innen. Kulturen und Musikstile sind da aufeinandergeprallt. „Das war der Hammer“, schwärmt Leaves. Als Nächstes steht ein Album an. Es heißt „This kitchen is for dancing“. Die erste Single „Awula“ kommt am 14. Februar. „Das wird eine Achterbahnfahrt“, sagt Leaves. Wenn sie nicht aus den Steilkurven fliegt, könnte die sie ein ganzes Stückchen weiter nach oben tragen.
Sieben Minuten trennen Auguste (links) und Ieva Petkunaite. Die Freiburger Zwillinge haben sonst aber viel gemeinsam: Sie studieren Klavier im Master-Studiengang der Musikhochschule und stauben als Duo Preise ab. Sogar ihre I-Phones verwechseln sie hin und wieder.
Die Schwestern sehen sich nicht nur super ähnlich. Sie teilen auch eine große Leidenschaft: Auguste und Ieva studieren Klavier und treten als Piano-Duo Petkunaite auf. Mit Erfolg: Bei acht internationalen Wettbewerben haben sie den ersten Platz geholt. Ihr jüngster Erfolg gelang im November in Rom. Dort klettern die gebürtigen Litauerinnen beim 33. internationalen Klavierwettbewerb „ROMA” aufs Siegertreppchen. Ende 2024 haben sie zudem den Förderpreis des Fördervereins Konzerthaus Freiburg erhalten.
Mal spielen sie vierhändig an einem Flügel. Mal an zwei gegenüberstehenden Instrumenten. „Wir kennen es nicht anders“, erzählen Ieva und Auguste. Mit sechs Jahren begannen sie in Litauen mit Klavierunterricht bei derselben Lehrerin. Am deutschen Gymnasium lernten sie die Sprache, die sie heute fließend sprechen.
Schnell war klar: Die Zwillinge wollen als Klavierduo durchstarten. Sie landeten 2018 in Freiburg bei Dozent Christoph Sischka. Ihr Fach ist ausgerichtet auf das Solo-Spiel, doch Sischka hat Erfahrung mit dem Duospiel und unterstützt sie dabei: „Sie haben in ihrem Bachelor- und Masterstudium eine enorme Entwicklung hingelegt, mit tollen Auftritten und zahlreichen internationalen Preisen.“ Ihr Repertoire für ein oder zwei Flügel sei eine sehr gute Voraussetzung für eine dauerhafte Karriere.
Ihr blindes Verständnis helfe beim Spiel. „Nicht weil wir Zwillinge sind, sondern weil man sich ein ganzes Leben kennt“, erzählen sie. Man müsse sich sehr gut spüren können und in Augenblicken kommunizieren. Einsätze müssten sie wenig üben, das klappe ganz natürlich. Ihr Talent schätzen sie gleich ein. Der Charakter sei aber unterschiedlich. „Ieva kann sich in stressigen Situationen schneller entspannen“, sagt Auguste. Auch ihre I-Phones tun sich schwer mit dem Unterscheiden. Bei der Face-ID zum Entsperren klappt es meist mit den Augen beider Schwestern. Im Sommer schließen sie ihr Masterstudium ab. Was sie sich für 2025 wünschen? „Glücklich sein.“ Ob sie nach dem Studium am selben Ort bleiben, ist offen. Es wäre für beide auch okay, in anderen Städten zu leben. Till Neumann
Wälder, Vergebung, Sehnsucht. Der Freiburger Musiker Teddy Smith (41) hat die EP „Black Woods“ veröffentlicht. Im Interview mit chilliRedakteur Till Neumann erzählt er, was ihn dazu inspiriert hat, welcher Song ihm am meisten bedeutet und was er mit Heimat verbindet.
Warum hast du eine Platte über den Schwarzwald gemacht?
Unser Titelsong handelt vom Schwarzwald. Insgesamt geht es auf der EP aber eher um Themen wie Erwachsenwerden, Loslassen oder Sehnsucht. Bei unserer neuen Singleauskopplung „Holy Water“ geht es um Erlösung/Vergebung.
Dieses Thema war für mich immer spannend – da es einerseits ein starkes Motiv in diversen Glaubensrichtungen und aber gleichzeitig auch ein persönlicher, innerer Dialog mit sich selbst ist.
Was hat dich inspiriert?
So anstrengend es ist – am meisten Inspiration habe ich, wenn es mir nicht gut geht. Musik ist für mich auch ein Schlüssel zu mir selbst oder eine Art innerer Dialog. Manchmal schreibe ich einen Song und merke dann erst Wochen später, dass es um etwas ging, das mich zu der Zeit stark beschäftigt hat.
Was bedeutet dir deine Heimat?
Ich bin in Freiburg, in einer Wohnung in der Nähe der Dreisam zur Welt gekommen, hab als Kind im Bächle gespielt und als Jugendlicher auf dem Schlossberg mit Freunden gechillt. Ich liebe meine Heimat und glaube, dass das in unserem Video zum Titelsong „Black Woods“ gut gezeigt wird.
Live: T. Smith im Kulturverein Mengen: 15.3.25
KLOPPEN BRING MICH HEIM (SINGLE)
Post-Punk, Alternative
(pid). Von der mit düsteren Sounds unterlegten Geschichte des ermordeten Dekans Albert Förderer zur melodischen Wohlfühl-Hymne: Die Freiburger Newcomer-Band Kloppen zeigt schon bei ihren ersten beiden Veröffentlichungen, wie facettenreich und emotional vielseitig ihre Musik ist. Die erste Single „Dekan“ flüstert bedrohlich von Mord und Vergänglichkeit. „Bring mich heim“ spielt den inhaltlichen und musikalischen Antagonisten.
Kloppen gründete sich im vergangenen Jahr. Erste Gigs und der Entschluss, ihre Musik zu veröffentlichen, folgten. Im Laufe des Jahres wurde die Band komplett: Paul (Bass, Gesang), Clemens (Gitarre), Flo (Gesang, Gitarre), Andreas (Schlagzeug) und Johannes (Synthesizer) sind Kloppen. Kloppen wie Hauen – oder wie aufs Maul.
Aufs Maul ist „Bring mich heim“ weniger. Stattdessen dominieren klare, fröhliche Sounds. Die Gitarren tanzen verspielt die Melodie, während Schlagzeug und Bass ein treibendes Fundament bauen. Es zuckt das Bein, es nickt der Kopf – Zeit, dass der Sommer zurückkommt. „Bring mich heim“ sollte man live hören, in der Sonne, mit kühlem Bier.
Kloppen bewegt sich irgendwo zwischen Post-Punk, New Wave und Indie. Eigentlich egal. Die Jungs haben Bock. Und arbeiten schon an der dritten Single.
DIE HAIDUCKEN AUF DAS LEBEN! Klezmer, Balkan
(pid). Schunkelnd und bedächtig beginnt es. Dann kreischt eine fröhlich-aufgekratzte Klarinette und erzählt säuselnd von klirrenden Gläsern und stampfenden Füßen. Schmerz und Euphorie liegen nah beieinander. Was sich schon im ersten Song „Vo Bist Du Gewesen Vor Prohibition“ andeutet, zieht sich durch das zweite Album von Die Haiducken, das am 22. Februar erscheint.
Trotz spürbarer Wehmut ist „Auf das Leben!“ ein verdammt tanzbares Album. In „Safran from Odessa“ soliert jedes Bandmitglied über einen treibenden Klatschrhythmus. Man wartet nur darauf, selbst in den Kreis der Musiker zu springen. Und sei es nur für ein Tanzsolo. Der sparsam eingesetzte Gesang macht ihn umso eindrucksvoller – vor allem in seiner Mehrstimmigkeit.
Die Haiducken verbinden lebhafte und todtraurige Klezmer- und Balkanmusik – mal zum Tanzen, mal zum Genießen. Neben treibenden Trommeln, wiegendem Akkordeon und schriller Klarinette verliert die Band die politische Message nicht aus den Augen: „Zeig’ was Größe ist. Sei kein Faschist“, heißt es etwa in der Eigenkomposition „Riesen“. Auch der antifaschistischen Hymne „Bella Ciao“ verpasst die Band ihren unverkennbaren persönlichen Touch – auf Italienisch und Deutsch.
Live: Release-Party am 22. Februar im Jazzhaus Freiburg
(tln). Ein Piano, ein Musiker: Der Freiburger Tim Kornhaß hat sein erstes Album rausgebracht. Mit „Tales from Upstate“ (Geschichten aus dem Hinterland) liefert er sieben Songs mit einem simplen Konzept: er und das Klavier. Der 24 Jahre alte Student der Musikhochschule lebt in Gundelfingen. Während des Studiums war er ein Jahr lang in den USA. Als Stipendiat lebte er im New Yorker Hinterland. So erzählt seine Musik vom Aufbruch. Der Opener „Leaving Home“ hat Schwermut in sich. Getragene Töne versprühen einen Mix aus Traurigkeit und Nostalgie vor der Reise ins Ungewisse. Danach nimmt der Sound mit „The Flight“ Fahrt auf. Die Finger des Jazzpianisten fliegen über die Tasten. Man spürt ein nervöses Kribbeln, ist mitten im hektischen Treiben am Airport. Dann ein Bruch, die Musik wird schwerelos. Willkommen in der Gleitphase über den Wolken.
Kornhaß beherrscht sein Instrument. Zwischen beschwingt, angriffslustig und einfühlsam oszillieren die Töne, die er seinem Klavier entlockt. Dem jungen Musiker, auch aktiv als Trompeter einer HipHop-Band, ist ein abwechslungsreiches Werk gelungen, mit vielfältigen Stimmungen. Was ihn von anderen Pianisten unterscheidet? Die Suche beginnt. Möglicherweise auch für ihn selbst. Ein vielversprechender Auftakt ist geglückt.
(tln). Kollektiv im Aufwind. Sechs Musiker haben sich in Freiburg zum Kollektiv „Proberaum“ zusammengetan. Nach vielen Solo- und Komboprojekten wollten die Songwriter und Instrumentalisten Energien bündeln und mehr Bühnenpräsenz. Nach mehreren Singles haben sie Ende 2024 ihr erstes gemeinsames Album veröffentlicht. Es heißt „Fühl doch was du willst“ und kommt entschleunigt um die Ecke. Die Frontmänner Laurids, Milan, Peezy und Louey liefern Indie mit HipHop-Hintergrund. Der Opener „Wenn ich einmal sterbe“ zeigt die Stärken der Crew. Texte, die unter die Haut gehen, mit einfühlsamen Melodien. Sänger Laurids erzählt von der Bedeutungslosigkeit von Geld und der Schönheit des endlichen Lebens. Bodenständig und grundsympathisch kommen die Freiburger rüber. Ihre Releaseparty im Waldsee war ein umjubelter Erfolg. Gepusht wurde sie mit einem Gastauftritt des Freiburger Durchstarters Kasi. Ein Star-Feature der Güteklasse A.
Die Musik von Proberaum hat, was derzeit angesagt ist: deutsche Texte, eine Portion Traurigkeit und Lost-Sein, Verplantheit und Tiefe. So zu hören auch in „Melancholie“, einem der Live-Highlights der Band. Die sechs Musiker machen sich langsam einen Namen. Das Projekt nimmt Fahrt auf. Vielleicht bald auch über Freiburg hinaus?
Die Freiburger Geschmackspolizei ermittelt schon seit 20 Jahren gegen Geschmacksverbrechen, vor allem in der Musik. Für die cultur.zeit verhaftet Ralf Welteroth fragwürdige Werke von Künstlern, die das geschmackliche Sicherheitsgefühl der Bevölkerung empfindlich beeinträchtigen.
Es geht auch im Jänner aka Veganuary um die Wurst, auch wenn dieser längst zum fleischlosesten aller Monate im Kalenderjahr avanciert ist. Saumagen-Junkies scheint das ungemein zu triggern. Uns ist das im Prinzip Wurst, prinzipiell sogar gänzlich seidentofuseitans-egal.
Wir müssen uns aber rein dienstlich Michael Wurst widmen. Namen sind nur Schall und Rauch, solche Ausnahmen bestätigen das. Ruhrpottler durch und durch, Stadionsprecher des VfL Bochum, vermutlich hauptsächlich mit Curry-Wurst großgezogen, singt und musiziert er sich leider seit vielen Jahren schon frei von jeglichem Unrechtsbewusstsein durch das Ruhrgebiet. Solo („Ruhrpott, mein Ruhrgebiet“) oder auch als Sänger der Partyband Die Tweens, bestehend aus ihm und den Zwillingsbrüdern Manfred und Werner Wurst, respektive seinem Vater und Onkel. Clankriminalität in Reinkultur.
Ein gewisser Buddy, der sich auch am Ballermann tummelt, reiht sich nahtlos ein. In seinem Song „Vegan“ heißt es: „Ach du Scheiße, ich glaub ich bin Vegan und das seit 20 Jahrn, das konnt doch keiner ahn, doch in Bier steckt kein Tier!“
Der Rest seines Oeuvres ist nicht minder bedenklich, Autogrammanfragen seien an folgende Adresse zu richten: BUDDY, Sebastian Erl, Bonner Str. 104, D-51145 Köln. Danke Buddy, wir sind schon unterwegs!
Guten Appetit wünscht ansonsten, für Ihre Freiburger Geschmackspolizei: Ralf Welteroth
Bei der ersten Freiburger
VORERST GIBT ES KEINE ZWEITE AUFLAGE DER FREIBURGER BUCHMESSE
von Erika Weisser
Im vergangenen Mai ging in den Hallen des Kulturzentrums Schopf 2 erstmals die „freiBUCH“ über die Bühne. Etwa 2000 Besucher und rund 200 Mitwirkende waren dabei bei dieser dreitägigen Pop-up-Buchmesse, die als Auftakt für ein neues, in regelmäßigen Abständen zu organisierendes Format gedacht war. „Erste Freiburger Buchmesse“ stand optimistisch auf den Plakaten, die allenthalben für die Veranstaltung warben. Nach Auskunft von Arne Bicker wird es jedoch keine zweite Auflage geben. Zumindest in diesem Jahr nicht.
Der Journalist und Autor hatte die Idee der „freiBUCH“ und setzte sie zusammen mit einem 20-köpfigen, rein ehrenamtlichen Vorbereitungsteam um. In „extrem zeitfressender“ Planungs-, Organisations- und Koordinationsarbeit und mit einem „minimalen Budget“ von knapp 9000 Euro.
Mit diversen Zuschussanträgen sei er „gegen viele Wände gelaufen“; die einzige größere finanzielle Unterstützung kam vom Kulturamt der Stadt. Dazu kamen kleinere Spenden und die Standgebühren der Aussteller –regionale Verlage, Selfpublisher und Freiburger Autoren, die sich und ihre Werke an Gemeinschaftsständen präsentierten.
Die Buchmesse selbst, resümiert Bicker, sei ein großer Erfolg gewesen: Die hier angebotene „Gelegenheit, alle Akteure der örtlichen Buchbranche untereinander zu vernetzen und mit den Lesenden in direkten Austausch zu kommen“, sei sehr gut angenommen worden. Sie sei auch für ihn persönlich „eine richtige Freude“, ein „fröhliches, friedliches, von unfassbar vielen bereichernden Gesprächen geprägtes Fest der Bücher“ gewesen.
Bicker hat weiterhin „größtes Interesse“ daran, dass dieses Fest eine Zukunft hat. Zumal er nur positive Rückmeldungen bekommen hat, auch von den Verlegern, die die Buchmessen-Initiative und die dort
entstandenen Kontakte „sehr schätzen“. Der Herder-Verlag habe gar Räume im Verlagshaus angeboten. Allerdings mit dem Zusatz, sich an der sonstigen Organisation nicht beteiligen zu können. Von anderen möglichen Partnern, darunter die Freiburg Wirtschaft, Touristik und Messe GmbH, sei auf seine Anfrage gar keine Antwort gekommen. Oder die Auskunft, dass es derzeit weder finanzielle noch organisatorische Kapazitäten gebe. Und allein mit dem städtischen Zuschuss sei die „sehr, sehr aufwendige Messe“ nicht zu stemmen.
Und er selbst will das auch nicht mehr. Allerdings erhebt er keinen Alleinanspruch auf die „freiBUCH“: Er gebe das Konzept und die damit gemachte Erfahrung gerne in gute Hände weiter. „Der Ball ist auf dem Spielfeld“, sagt er. Und überlegt sich, ob er selbst spielen soll: im Lotto – um den immerhin möglichen großen Gewinn für „gescheite Bedingungen für die Fortsetzung dieser Messe“ zur Verfügung zu stellen.
von Maja Lunde
Übersetzung: Ursel
Allenstein
Verlag:
btb 2025
320 Seiten, Hardcover
Preis: 25 Euro
Die Relativität der Zeit
(ewei). Norwegen ist das Gastland der Leipziger Buchmesse im März. Dort wird neben vielen Autorinnen-Kollegen auch Maja Lunde zu Gast sein. Nicht nur mit ihren berühmten Büchern des „Klima-Quartetts“, im Gepäck hat sie auch ihren neuen Roman „Für immer“, dessen Übersetzung im Januar erschienen ist.
Darin thematisiert sie den uralten Menschheitstraum von der Unsterblichkeit auf ganz eigenwillige Weise. Dabei verknüpft sie allmählich die Leben dreier anfangs völlig unabhängiger Protagonistinnen miteinander – deren familiäre und freundschaftliche Umfelder inklusive.
Bei Jenny beginnt es mit heftigem Bauchzwicken während der Winterferien. Sechs Monate später weiß sie, dass ihr wegen einer unheilbaren Krankheit nur noch wenig Zeit bleibt. Rentnerin Margo will nach dem Verkauf ihres Hauses unbeschwert reisen, ihr Mann Otto verbringt seine Zeit aber lieber mit seinen Balkonpflanzen. Und Krankenschwester Eva läuft bei jeder Geburt, bei der sie assistiert, die Zeit davon.
Doch an einem Sommertag bleibt die Zeit stehen. Kein Mensch wird mehr geboren, keiner stirbt, Urlaube haben kein Ende, nur die Pflanzen wachsen weiter, die Natur verändert sich jahreszeitengemäß. Und das Gefühl, beschenkt worden zu sein, wandelt sich in Verzweiflung.
von Han Kang
Übersetzung:
Ki-Hyang Lee
Verlag:
Aufbau 2024
315 Seiten, Hardcover
Preis: 22 Euro
(ewei). Als die südkoreanische Schriftstellerin Han Kang im Dezember 2024 den Literatur-Nobelpreis erhielt, war die deutsche Übersetzung ihres jüngsten Romans noch nicht auf dem Markt; sie erschien erst eine Woche später. In ihrer Preisrede in Stockholm deutete sie indessen an, dass „Unmöglicher Abschied“ eine Art Schneetraum sei. Der wird allerdings zum Alptraum. Geht es zunächst noch um eine offenbar schwierige Freundschaft zwischen zwei einsamen, weit voneinander entfernt lebenden Frauen, so kommt nach und nach ein bis heute verdrängtes Kapitel der Geschichte des Landes ans Licht: Auf der Insel Jeju, wohin die Ich-Erzählerin Gyeongha von Seoul aus im Schneetreiben reist, um den kleinen weißen Vogel ihrer einzigen, wegen eines Unfalls im Krankenhaus internierten Freundin Inseon zu versorgen, findet sie bald Spuren eines ungeheuerlichen Verbrechens: 1948 wurden auf der Insel mehr als 30.000 Menschen von staatlichen Einsatzkräften ermordet, als sie gegen die von der Regierung eingesetzte rechtsgerichtete Inselverwaltung demonstrierten.
Inseons Angehörige waren unter den Opfern, ihre Familiengeschichte ist eng mit diesem Massaker verknüpft. Und auf einmal versteht Gyeongha die oft schroffen Reaktionen der meist unnahbaren Freundin.
von Robert Neisen und Andreas Lehmann
Verlag:
Herder 2024
284 Seiten, gebunden
Preis: 25 Euro
(ewei). „Der SC als Verein der kleinen Leute aus dem Arbeiterviertel Stühlinger, der treu zur Republik stand und sich nach 1933 in Opposition zum Nationalsozialismus begab“ – diese Darstellung, schreiben die Autoren im Resümee, gehöre in das Genre der Legenden.
Wie auch die lange tradierte Behauptung, dass das Regime sich für diesen Widerstand rächte und 1937 das zehn Jahre zuvor errichtete Wintererstadion abreißen ließ, eine durch nichts begründete Erzählung sei. Robert Neisen und Andreas Lehmann weisen dies auch nach: In einer sorgfältig recherchierten Untersuchung über die Entwicklung des Vereins von 1918 bis 1945 liefern sie Belege dafür, dass der Verein „nur scheinbar unpolitisch war“ und dass er sich – bereitwillig – für die Ziele des NS-Regimes instrumentalisieren ließ. Und dass einer ihrer Stars, Hans Baumgart, 1933 Mitglied von NSDAP und SS wurde und zum Leiter des KZ-Außenlagers Karlshagen bei Peenemünde aufstieg, wo er 1943 für die Hinrichtung zweiter Mitglieder der französischen Réseau Alliance verantwortlich war.
Und nicht zuletzt, dass das Wintererstadion am östlichen Ende des Flugplatzes nur abgerissen wurde, weil es dem für den geplanten Luftkrieg benötigten Ausbau im Weg stand. Kein leichter, doch sehr erhellender Stoff.