Karl Josef Kassing – Magdalena

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Karl Josef Kassing

Magdalena Ein Mysterienspiel zur Rolle der Frau in der Kirche


Impressum 1. Auflage 2016 Copyright Fohrmann Verlag, Köln Inh. und Hrsg. Dr. Petra Fohrmann www.fohrmann-verlag.de Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Artwork: Karen Kühne, www.kuehne-grafik.de Printed in Germany ISBN 978-3-9810580-9-3 4


VORBEMERKUNGEN Thema: Das Stück handelt von der Weihe einer katholischen Frau zur Priesterin. Es bildet zusammen mit der Ab­ handlung „Die Arbeiterinnen im Weinberg. Ein Plä­ doyer“ ein Doppelwerk.1 Beides sind unterschiedliche Zugriffe auf dasselbe Problem, von Anfang an als zu­ sammengehörig geplant, nun aus editorischen Grün­ den getrennt. Das gemeinsame Thema: Die Stellung der Frau in der katholischen Kirche. Das Plädoyer hat die theologische Argumentation zum Inhalt. Das Mysterienspiel führt die Weihe einer Frau zur Priesterin als dramatische Handlung vor Augen. In der Abhandlung kommt die Ratio zu ihrem Recht, im Drama das Gefühl zu sei­ nem. Man könnte auch sagen: Das Plädoyer zeigt, dass die Kirche sich in der Frauenfrage bewegen kann und muss. Das Schauspiel zeigt, wie ein Bischof ver­ sucht, in einer unbeweglichen Kirche etwas zu be­ wegen. Zeit und Ort der Handlung: Die Handlung spielt in einer zeitlosen Gegenwart, eher etwas später als früher. Schauplatz ist ein Bistum in irgendeinem Land in Euro­pa. Die Handlung wird wahrscheinlicher, wenn man dabei nicht an ein konkretes Land und Bistum denkt.

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Siehe Seite 109

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Personen: Die Kirche, die das Geschehen miterlebt und kom­ mentiert. Magdalena, die sich zur Priesterin weihen lässt. Der Bischof, der sie weiht. Sein Sekretär, der dagegen ist; er wird später Diöze­ san­­administrator (für das Bistum verantwortlich, so­ lange ein rechtmäßiger Bischof fehlt). Der Apostolische Nuntius, der auch dagegen ist. Ein Medienagent, der die Sache vermarkten will. Veronika, eine junge Ordensfrau, die Verständnis für Magdalena hat. Eine ältere Ordensfrau, die etwas mithört. Ein Theologiestudent, der seine eigenen Absichten hat. Ein Prälat, der etwas beobachtet. Ein Sprecher und zwei Sprecherinnen, die je einen Brief vorlesen. Hinweise für eine Aufführung: Die Titel der vier Akte (Die Berufung, Die Versu­ chung, Der Kreuzweg, Die Auferstehung) deuten das jeweilige Geschehen. Deshalb sind sie in eine Auffüh­ rung einzubeziehen: etwa durch Projektion, Textband bzw. Plakat vor dem Vorhang, oder ein Sprecher trägt sie vor. Die Schauspieler sollen eine gewisse Distanz zu ihrer Rolle wahren. Aber keine Person darf als Karikatur oder gar als unsympathisch dargestellt werden. Denn keine hat ganz Unrecht. Die Kirche ist in allen Szenen anwesend, wird aber von den übrigen Personen nicht bemerkt. Wenn sie 6


nicht selber spricht, wirkt sie statuenhaft, aber nicht steif oder gar leblos. Sie verfolgt das Geschehen auf­ merksam, lässt aber nicht erkennen, ob sie zustimmt oder nicht; es sei denn, dass ein Hinweis auf ihre Re­ aktion gegeben wird. In jeder Szene hängt ein großes Kreuz an der Wand, meist ohne Korpus. Es ist immer dasselbe, die Stelle kann wechseln. In den vier Szenen des III. Aktes (Der Kreuzweg) hängt eine Kreuz mit Korpus (Kruzifix) an der Wand.

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SZENENFOLGE Prolog: Die Kirche stellt sich vor. S. 13 I. Die Berufung S. 17 Der Plan: Der Bischof erläutert seinem Sekretär seine Absicht, eine Frau zur Priesterin zu weihen. Der Sekre­ tär widerspricht ihm. Das Ja: Der Bischof vergewissert sich der Bereitschaft Magdalenas. Der Jubel: Magdalena drückt ihre Freude aus. Das Loblied: Die Kirche preist Magdalena und kün­ digt ihr Bedrängnis, aber auch Anerkennung an. II. Die Versuchung S. 35 Der Agent: Magdalena ist inzwischen geweiht worden. Der Agent versucht vergeblich, sie für einen MedienRummel zu gewinnen. Drei Briefe: Magdalena liest und überdenkt drei Briefe mit unterschiedlichen Stellungnahmen zu ihrer Weihe. Das Gesetz: Der Diözesanadministrator stellt Magda­ lena vor die Wahl: Gehorsam und Verzicht auf prie­ sterliches Wirken oder Exkommunikation. Sie ent­ scheidet sich für Gehorsam und Verzicht. Der Kampf mit dem Drachen: Die Kirche schildert prophetisch den Kampf des Drachen gegen die Frau. III. Der Kreuzweg S. 61 Die mystische Vereinigung: Magdalena kommt mit einem Theologiestudenten ins Gespräch. Der junge Mann ist aber mehr an physischer Annäherung inter­ essiert. 8


Veronika: Magdalena findet Verständnis bei einer jungen Ordensfrau. Die Verzweiflung: Magdalena hat erfahren, dass sie unheilbar krank ist. Die Vorstellung, dass ihr Leben sinnlos war, sowie das Gefühl der Gottferne führen zu einem Ausbruch von Verzweiflung. Das Klagelied: Die Kirche drückt ihr Mitgefühl mit Magdalena aus. IV. Die Auferstehung S. 79 Die Nachricht: Magdalena ist in der Zwischenzeit ge­ storben. Der Apostolische Nuntius und der Diözesan­ administrator äußern Genugtuung darüber, dass der Fall abgeschlossen ist. Da kommt die Nachricht, dass anderswo weitere Frauen zu Priesterinnen geweiht worden sind. Der Störenfried: Der amtsenthobene Bischof meditiert über die Rolle der Frauen im Neuen Testament und in der Kirche. Epilog S. 91 Die Kirche preist die frauliche Tüchtigkeit und Recht­ schaffenheit.

Anmerkungen S. 97 Zum Autor S. 107

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EINE STIMME Ich fühle in mir die Berufung zum Priester; mit welcher Liebe trüge ich dich, o Jesus, in meinen Händen, wenn auf mein Wort hin du vom Himmel herabstiegest. Mit welcher Liebe reichte ich dich den Seelen!

Therese von Lisieux 1 (Heilige und Kirchenlehrerin)

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Selbstbiographische Schriften, 11. Auflage Einsiedeln – Trier 1988, S. 198 11


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P RO LO G

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Den Prolog spricht die Kirche. Sie ist eine Frau mittleren, besser unbestimmbaren Alters und wirkt auf na­tür­ liche, unaufdringliche Art schön. Sie trägt ein langes, schlichtes Gewand und ein Kopftuch, das bis auf die Schultern reicht. Der Raum ist leer bis auf einen Schemel im Hintergrund. An einer Wand hängt das Kreuz. Die Kirche steht im Vordergrund, den Zuschauern zugewendet. Das Licht konzentriert sich auf sie. Ich bin die Kirche, die eine, heilige, allumfassende Kirche. Ich bin Gottes heilige Stadt, die weithin sichtbar auf dem Berg sich erhebt. Ich bin der Tempel des Allerhöchsten unter den Menschen. Durch meine Tore tritt man ins innerste Heiligtum vor Gott hin. An meinen Tisch wird das Mahl der unendlichen Liebe gefeiert. Ich bin alt und doch ewig jung, demütig und doch stolz, arm und doch überreich. Ich bin die trauernd Jubelnde, die verfolgt Trium-­ phierende, die ohnmächtig Herrschende. Ich ändere mich dauernd und bleibe doch dauernd mir treu: weil ich Gott und seinen Geboten treu bleibe. Ich bin eine Magd, denn ich diene dem höchsten Herrn: dem Allmächtigen. Ich bin eine Liebende, denn ich liebe Gott mit all der Liebe, die er mir schenkt. 14


Ich bin eine Mutter, denn alle Kinder Gottes sind meiner Fürsorge anvertraut. Ich habe Töchter und Söhne, doch meine Liebe kennt keinen Unterschied. Meine Kinder wohnen in allen Ländern der Erde, doch meine Liebe ist grenzenlos. Meine Kinder sprechen in allen Sprachen der Welt, und ich verstehe sie alle. Alle, die durch die Taufe zu mir gehören, sind ein heiliges, von Gott berufenes Volk, eine königliche Priesterschaft, eine geschwisterliche Gemeinde, verbunden im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe. Die Liebe ist von diesen dreien das größte, und hätte jemand die Liebe nicht, so wäre er nichts. Die Liebe ist langmütig, sie ist gütig, sie lässt sich nicht erbittern. Die Liebe sucht nicht den eigenen Vorteil und spielt sich nicht auf. Die Liebe freut sich über die Wahrheit. Die Kirche setzt sich auf den Schemel im Hintergrund.

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I. D I E BE RU F U N G

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Der Plan Personen: der Bischof; sein Sekretär Der Bischof ist etwa 65 Jahre alt, sein Sekretär etwa 45 Jahre. Der Bischof ist leger, aber dezent gekleidet; der Sekretär trägt korrekte schwarze Priesterkleidung. Die Szene spielt im Arbeitszimmer des Bischofs. Zur Einrichtung gehören ein Schreibtisch mit Stuhl, vorne links ein kleiner runder Tisch und zwei Sessel. An der Rückwand das Kreuz. Die Kirche sitzt unbemerkt im Hintergrund auf einem Schemel. Der Bischof arbeitet an seinem Schreibtisch. Jemand klopft an die Tür. Bischof: Ja, bitte! Der Sekretär tritt herein: Exzellenz, ich möchte Sie um eine Unterredung bitten. Das heißt, wenn Sie Zeit haben. Bischof: So förmlich? Dann muss ich mir die Zeit ja wohl nehmen. Sekretär: Seit unserem Gespräch vorige Woche – Sie wissen, worüber – finde ich keine Ruhe mehr. Bischof: Das tut mir aufrichtig leid! Sekretär: Ich kann das, was Sie mir da eröffnet haben, einfach nicht glauben. Der Bischof steht auf, geht zu den Sesseln links: Setzen Sie sich erst einmal in aller Ruhe hin. Sekretär: Danke. Beide setzen sich, einander gegenüber. Sekretär: Sie wollen also wirklich eine Frau zum Pries­ ter weihen? Bischof: Zur Priesterin, ja! Je länger ich darüber nach­ denke, um so fester bin ich entschlossen. 19


Sekretär: Aber das ist doch völlig unmöglich! Bischof freundlich: Ich weiß! Sekretär: Offen gestanden, ich verstehe Sie nicht! Bischof: Das kann ich Ihnen nicht verdenken. Aber sehen Sie: als Bischof bin ich für die Seelsorge in den Gemeinden verantwortlich. Ich kann dieser Verant­ wortung schon jetzt nicht mehr nachkommen. Und Sie kennen die Prognosen: es wird noch schlimmer. Dabei müssen wir dem Reich Gottes doch ein Wachs­ tum wünschen! Um so unverzichtbarer wird das En­ gagement der Frauen. Müssen wir sie dann nicht auch als gleichberechtigte Mitarbeiterinnen im Weinberg des Herrn anerkennen? Sehen Sie, solche Gedanken lassen mir keine Ruhe mehr. Sekretär: Aber die Weihe einer einzelnen Frau ändert doch nichts an diesem Problem. Zumal sie doch gar nicht als Priesterin eingesetzt werden kann. Gegen das Kirchenrecht! Bischof: Ich weiß. Aber ich möchte einen Anstoß ge­ ben. Den Anstoß zu einer ernsthaften Diskussion, und zwar auf allen Ebenen der Kirche, auch im Vati­ kan. Eine Diskussion darüber, ob es wohl richtig ist, weiter­hin die Hälfte des Volkes Gottes generell von der amtlichen Mitverantwortung auszuschließen. Und ausgerechnet die, die an der Basis den größeren Teil der Arbeit machen. Sekretär: Aber darüber, was verboten oder erlaubt ist, entscheidet doch nicht die Nützlichkeit! Die theolo­ gischen Argumente müssen entscheiden. Bischof: Das tun sie ja auch! Es gibt kein einziges stichhaltiges Argument gegen die Ordination von Frauen. Im Gegenteil, die gewichtigeren Argumente sprechen dafür. Ich habe ja schon versucht, Ihnen das deutlich zu machen. Sekretär: Sie haben mich nicht überzeugt. Christus 20


hat die Weihe von Frauen offensichtlich nicht gewollt. Bischof: Ein öffentliches Wirken von Frauen wäre da­ mals im Judentum völlig unmöglich gewesen. Aber das muss doch deshalb nicht für alle Zeiten und alle Gesellschaftsformen gelten! Die Kirche tut heute so vieles, was Jesus nicht getan hat, und tut so vieles nicht, was er getan hat. Man muss also nicht nur fragen, was Jesus getan oder gelassen hat, sondern auch, wa­ rum er sich so verhalten hat, und ob diese Gründe heute noch gelten. Sekretär: Aber Sie stehen mit Ihrer Auffassung im Wider­spruch zur gesamten Tradition! Von Anfang an ist es die Lehre und Praxis der Kirche, dass die Frau keinen Anteil am kirchlichen Amt hat. Diese Lehre wurde bis heute nie in Frage gestellt. Bischof: Eben! Aber spätestens, wenn eine Tradition mehr schadet als nützt, wird es Zeit, sie kritisch zu überdenken. Denn wir sind der Gegenwart und der Zukunft mehr verpflichtet als der Vergangenheit. Im übrigen, sehen Sie sich doch die Geschichte der Welt und der Menschheit an: Der Wille des Schöpfers ist offensichtlich nicht das starre Festhalten an einem bestimmten Zustand, sondern Entwicklung. Sekretär: Mag sein. Aber woran wollen Sie erkennen, dass es Gottes Wille ist, ausgerechnet jetzt die altbe­ währte Struktur des Ordo zu ändern? Halten Sie es nicht auch für möglich, dass Sie da einer Selbsttäu­ schung unterliegen, indem Sie Ihren eigenen Wunsch für den Willen Gottes halten? Bischof: Diese Gefahr besteht genauso für die Verfech­ ter der Tradition. Sie fragen, woran man den Willen Gottes erkennt. Nun, Gott schickt uns Durchschnitts­ menschen weder einen Traum noch einen Engel, die uns sagen, was wir zu tun haben. Aber er gibt uns trotzdem Hinweise. Heute erleben wir, dass offen­ 21


sichtlich immer weniger Männer sich zum Priester­ tum berufen fühlen. Zur gleichen Zeit übernehmen Frauen in der Gesellschaft zunehmend Aufgaben, die bisher den Männern vorbehalten waren. Muss denn diese Entwicklung nicht als ein Fingerzeig Gottes ge­ deutet werden? Sekretär: Die Kirche hat sich nicht nach der Gesell­ schaft zu richten, sondern nach der offenbarten Glau­ benslehre. Bischof: Natürlich soll die Kirche nicht alles mitma­ chen, was die Gesellschaft so macht. Aber es wäre auch falsch, die Kirche von der Gesellschaft zu sehr zu trennen. Schließlich ist Gott auch in der Gesellschaft am Werk. Je mehr die Kirche aber hinter einem ech­ ten gesellschaftlichen Fortschritt herhinkt, um so mehr verliert sie an Glaubwürdigkeit. Und dass heut­ zutage die Frauen in unserer Gesellschaft immer mehr als gleichberechtigt anerkannt werden, ist ein echter Fort­schritt, dem sich auch die Kirche nicht verschließen darf. Oder sie stellt sich selbst ins Ab­ seits. Sekretär: Ins Abseits stellen Sie sich selbst, mit Ihrem offenen Ungehorsam gegen das kanonische Recht, gegen das oberste Lehr- und Hirtenamt. Hat Ihnen Ihre Eigenwilligkeit nicht schon genug Ärger einge­ bracht? Bischof gemütlich: Anscheinend nicht ... Sekretär: Mir ist jetzt nicht nach Scherzen zumute. Sie setzen leichtfertig die Gemeinschaft mit der gan­ zen Kirche aufs Spiel. Bischof: Leichtfertig? Sie können mir glauben, ich habe mich mit diesem Problem lange und ernsthaft auseinander gesetzt. Mein Gewissen und meine Ver­ nunft verbieten mir, weiter schweigend und untätig zuzusehen, wie die Kirche Schaden leidet. Dass mein 22


Verhalten wie Ungehorsam aussieht, tut mir leid. Aber ich sehe keine andere Möglichkeit. Sekretär: Sie könnten Ihre Meinung in Thesenform zur Diskussion stellen. Sie könnten eine Eingabe beim Vatikan machen. Sie könnten versuchen, ein Votum der Bischofskonferenz herbeizuführen. Alles das bliebe im Rahmen des Erlaubten. Bischof: Aber es bliebe auch wirkungslos! Solche An­ stöße gibt es doch schon, aber sie werden nicht ge­ wünscht und also nicht beachtet. Nein, der Anstoß muss so kräftig sein, dass sich die Diskussion nicht so einfach mehr abwürgen lässt. Sekretär: Der Zweck heiligt trotzdem nicht die Mit­ tel. Das Bischofsamt ist Ihnen vom Heiligen Vater übertragen worden. Also sind Sie auch verpflichtet, Ihr Amt in Übereinstimmung mit ihm auszuüben. Bischof: Einverstanden. Daraus folgt aber nicht, dass ich verpflichtet bin, alle Versäumnisse oder gar Irrtümer mitzutragen, die ich sehe. Im Gegenteil, manchmal hilft man jemandem am besten, indem man ihn korri­giert. Sekretär ärgerlich: Das ist doch bloßer Sophismus! Sie stellen die Autorität des obersten Lehr- und Hir­ tenamtes in Frage. Wie können Sie das vor Ihrem Ge­ wissen verantworten? Bischof: Eine Autorität verliert man am sichersten, wenn man sie selber verspielt. Und genau diese Ge­ fahr sehe ich. Warum? Weil wir Oberhirten zwar Um­ kehr predigen, aber selber zum Umdenken zu wenig bereit sind. Weil wir gehorsamen Glauben auch da fordern, wo wir einsichtige Begründungen schuldig bleiben. Weil wir die Gläubigen lieber auffordern, mehr um Priesternachwuchs zu beten, als uns selbst zu unserer Verantwortung auch für Fehlentwick­ lungen zu bekennen. 23


Sekretär: Sie verweisen auf die Gläubigen. Haben Sie auch bedacht, wie sehr Sie gerade unter den kirchen­ treuen Gläubigen Verwirrung stiften würden? Die Weihe einer Frau muss zwangsläufig zu Streit und Spaltungen führen. Als Bischof sollten Sie aber für Frieden, nicht für Unfrieden sorgen! Bischof: Unzufriedenheit und Spannungen gibt es doch auch jetzt schon, und sie werden sich um so mehr steigern, je mehr wir sie ignorieren. Aber Sie mögen recht haben: Wahrscheinlich sind viele gute Katholiken auf die Weihe einer Frau zur Priesterin seelisch noch nicht vorbereitet. Und warum ist das so? Weil die Kirche ihnen jahrhundertelang erklärt und zu glauben befohlen hat, dass es nicht geht. Ge­ rade deshalb sind wir aber jetzt auch verpflichtet, ih­ nen zu sagen: Es geht doch! Da die Hirten ihrer Herde solange mit dem Irrtum vorangegangen sind, müssen sie es jetzt auch mit der Wahrheit tun. Sekretär: Mit all dem überzeugen Sie mich nicht. Auf sich gestellt, kann der einzelne irren. Dagegen gibt es nur eine Hilfe: Treue zur Kirche, zum Lehramt, zur apostolischen Tradition. Exzellenz: Sie haben sich auf Ihr Gewissen berufen. Sie stürzen auch mich in einen Gewissenskonflikt! Sie drängen mich zum Ungehor­ sam gegen das oberste Lehr- und Hirtenamt. Bischof: Nein, ich dränge Sie nicht. Ich erwarte nicht, dass Sie meinen Plan unterstützen. Sekretär steif: Sie bringen mich trotzdem in eine schwierige Lage. Ich würde Ihre Absicht auch dann unterstützen, wenn ich darüber schwiege. Bischof freundlich: Auch das brauchen Sie nicht. Ich erteile Ihnen hiermit den Auftrag, den Apostolischen Nuntius über alles, was Sie von mir erfahren haben, zu informieren. In vierzehn Tagen kommt er aus Rom zurück. Bis dahin bitte ich Sie aber zu schweigen. 24


Sekretär: Haben Sie denn schon konkret jemand ins Auge gefasst? Bischof hebt schweigend und abwehrend die Hände. Sekretär: Ich bitte Sie, ich flehe Sie an: Weihen Sie keine Frau zum Priester! Bischof freundlich: Zur Priesterin! Sekretär: Darauf kommt es jetzt doch wirklich nicht an! Bischof: Doch, mir schon. Genau darauf! Sekretär steht auf: Exzellenz, ich bitte darum, von mei­nen Aufgaben als Ihr Sekretär entpflichtet zu wer­ den. Bischof: Unsere Wege werden sich sowieso trennen. Bitte gedulden Sie sich aber noch bis zur Rückkehr des Nuntius. Dann überbringen Sie ihm einen Brief von mir. Darin werde ich dem Papst meinen Rück­ tritt anbieten. Sekretär: Dann entschuldigen Sie mich jetzt. Er schickt sich an, den Raum zu verlassen. Auch der Bischof ist aufgestanden. Als der Sekretär schon an der Tür ist, sagt der Bischof: Bitte, einen Augenblick noch. Ich möchte Ihnen danken für unsere bisherige gute Zusammen­arbeit. Und seien Sie nicht zu bekümmert! Irgendwann tref­ fen alle Wege wieder zusammen. Spätestens bei Gott: coincidentia oppositorum in Deo! Der Sekretär lächelt etwas gequält, nickt schweigend und verlässt den Raum.

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Das Ja Personen: der Bischof; Magdalena Raum: eine Kapelle. Auf der rechten Seite ein Bild oder eine Statue Marias. Davor ein Ständer mit brennenden Kerzen sowie ein Opferstock für das Kerzengeld. Davor eine Kniebank. In der Rückwand ein farbiges Fenster. Eingang von links. Neben dem Eingang zwei gepolsterte Hocker. An einer der Wände hängt das Kreuz. Die Kirche sitzt unbemerkt, aber aufmerksam zuhörend im Hintergrund. Der Raum ist anfangs dämmrig. Er wird im Laufe des Gesprächs heller. Am Ende dringt farbiges Licht durch das Fenster. Magdalena kniet betend vor dem Marienbild. Sie ist etwa 45 Jahre alt, sieht schlicht aus, fast unscheinbar, aber nicht bieder. Sie trägt ein dunkelblaues Kostüm mit heller Bluse. Der Bischof betritt den Raum, steht eine Weile neben der Bank und betet auch. Dann räuspert er sich. Magda­ lena steht auf, der Bischof gibt ihr die Hand. Bischof: Ich habe Sie hierher gebeten, weil wir hier ungestört sind – und unbeobachtet. Nur der liebe Gott sieht uns und hört uns. Magdalena deutet auf das Bild: Und Maria! Bischof: Das ist mir auch sehr recht! Er deutet auf die beiden Hocker: Machen wir es uns doch bequem. Die beiden setzen sich. Pause. Dann der 26


Bischof: Haben Sie inzwischen über meine Frage nachgedacht? Magdalena: Ja. Bischof: Und haben Sie sich entschieden? Magdalena: Mein Verstand sagt „ja“, mein Gefühl „nein“. Bischof: Warum sagt Ihr Verstand „ja“? Magdalena: Mein Verstand sagt mir, dass es keine stichhaltigen Gründe gegen eine Weihe von Frauen gibt. Wie schon Paulus erklärt: „Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau: denn ihr alle seid einer in Christus Jesus.“ Dann aber müssen die Frauen auch als gleich­ berechtigt in der Kirche anerkannt werden. Und es ist notwendig, die Diskussion hierüber mit Nachdruck und Offenheit voranzutreiben. Ich stimme allem zu, was Sie selbst mir dazu gesagt haben. Bischof: Und warum sagt Ihr Gefühl dennoch „nein“? Magdalena: Mein Gefühl sagt mir, dass ich zu schwach und unwürdig bin. Warum gerade ich? Wa­ rum nicht eine andere, stärkere, würdigere? Etwa eine Ordensfrau, die sich ohnehin schon dem Herrn ge­ weiht hat? Bischof: Ich darf eine Ordensfrau nicht in Konflikt mit dem Gehorsam bringen, den sie ihren Oberen schuldet. Im übrigen: wer ist schon würdig? „Denn das Schwache in der Welt hat Gott sich erwählt, um das Starke zu besiegen.“ Das ist auch von Paulus. Pause. Dann Magdalena: Mich bedrückt die Vorstel­ lung, Mittelpunkt des öffentlichen Interesses oder gar eines Streites zu werden. Bischof: Denken Sie an Maria: Gerade ihre Demut gab ihr den Mut, zu ihrer Berufung Ja zu sagen. Pause. Magdalena beginnt zögernd, spricht immer sicherer: Das stelle ich mir als etwas unbegreiflich Großes 27


und Schönes vor: die Liebe Christi an die Menschen weiterzugeben. Bischof: Sie wissen, dass ich Sie nicht drängen oder überreden will. Es muss wirklich Ihr eigener, ganz freier Entschluss und Wille sein. Magdalena: Seien Sie unbesorgt! So leicht überredet man mich nicht. Bischof: Das beruhigt mich. Es ist aber auch notwen­ dig, dass Ihr Verstand und Ihr Gefühl übereinstim­ men. Ihr Verstand hat schon Ja gesagt. Was sagt denn jetzt Ihr Gefühl? Magdalena lächelnd: Mein Gefühl sagt mir, dass mein Verstand recht hat. Bischof: Sind Sie ganz sicher? Magdalena: Ja. Pause. Dann Bischof: Merkwürdig, jetzt bekomme ich selber fast Angst vor Ihrer Entschlossenheit. Magdalena: Sie werden vielleicht auch noch mehr auszustehen haben als ich. Bischof: Wäre Jesus damals jedem Streit ausgewi­ chen, hätte man ihn nicht gekreuzigt. Aber dann gäbe es heute auch kein Christentum. Magdalena: Sicher. Aber dass Sie meinetwegen Schwie­ rig­keiten bekommen, die Vorstellung gefällt mir nicht. Bischof: Ach wissen Sie, ich bin ein alter Mann, was kann man mir schon tun? Und wenn der Anstoß ge­ geben ist, werde ich wieder ein braver Sohn der Mutter Kirche und füge mich allem, was die höhere Weisheit über mich beschließt. Darum bitte ich auch Sie: nach der Weihe kein weiteres unnötiges Ärgernis, sondern demütiger Gehorsam. Der Stein ist ins Wasser geworfen, mag Gott die Kreise sich ausweiten lassen, wie er es will. Magdalena: Das ist mir klar: ich werde nicht als Pries­ te­rin wirken können. Ich kann nur ein Zeichen sein, dem man widersprechen wird. 28


Bischof: Das dürfen Sie sich nicht zu leicht vorstellen. Von offizieller Seite wird man Ihnen höflich und sachlich erklären, dass Ihre Weihe laut kanonischem Recht ungültig ist und dass Sie sich selbst aus der Kirche ausgeschlossen haben. Aber auch aus der Menge der frommen Gläubigen werden Sie keineswegs nur Zu­ stimmung erfahren. Sie werden angegriffen und an­ gefeindet werden, gerade auch als Frau. Ihr Weg wird ein Kreuzweg sein. Sind Sie zu einem solchen Opfer bereit? Magdalena nach kurzer Pause: Ja. Bischof: Wir haben nicht mehr viel Zeit. In vierzehn Tagen erfährt der Apostolische Nuntius die Neuigkeit – von meinem Sekretär und von mir selbst. Wenn es Ihnen recht ist, weihe ich Sie heute in einer Woche. Genaueres erfahren Sie noch. Halten Sie zur Vorbe­ reitung dreitägige Exerzitien, für sich selbst. Aber bitte, schweigen Sie über unser Vorhaben unbedingt und zu allen. Dass Sie gegen das Kirchenrecht verstoßen wollen, brauchen Sie nicht zu beichten: davon dispen­ siere ich Sie hiermit. Magdalena: Ich werde bereit sein. Bischof: Ich bitte Sie herzlich: wenn Sie Ihren Ent­ schluss doch noch ändern, teilen Sie es mir unverzüg­ lich mit. Wie Sie sich auch entscheiden – ich habe volles Verständnis für Sie. Magdalena: Ich würde es Ihnen sagen. Aber es wird nicht der Fall sein. Bischof: Gut! Ich lasse Sie jetzt allein. Bitte warten Sie noch etwas, ehe Sie gehen. Wir müssen nicht unbe­ dingt zusammen gesehen werden. Er gibt ihr die Hand zum Abschied, bleibt noch einen Augenblick vor dem Marienbild stehen und geht hinaus. Magdalena tritt vor das Marienbild, wirft Geld in den Opferstock und steckt eine Kerze an. 29


Der Jubel Derselbe Raum wie zuvor. Magdalena steht; durch das Fenster strahlt farbiges Licht auf sie. Die Kirche sitzt wie zuvor im Hintergrund. Magdalena: Voll Freude bin ich, denn man hat mir gesagt: „Zum Haus des Herrn wollen wir gehen!“ Schon stehen meine Füße vor seinem Portal. Wie lieblich ist doch Deine Wohnung, Herr, wie selig, wer in Deinem Tempel weilen und immerfort Dich preisen darf! Hoch preist meine Seele den Herrn, und mein Geist frohlockt in Gott, meinem Heiland. Denn er hat auf seine niedrige Magd geschaut. Großes tut an mir der Allmächtige, dessen Name heilig ist. Sein Erbarmen bewährt sich immer wieder neu: er erhöht die Niedrigen und überhäuft die Hungernden mit Gaben. Wie schön ist es, Dir, Herr, zu danken und Deinem Namen, Höchster, Lob zu singen! Wie groß sind Deine Taten, Herr, wie unergründlich Deine Wege!

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Wer fromm ist, wächst wie eine Palme, die man ins Haus des Herrn verpflanzt. Hoch preist meine Seele den Herrn, denn Großes tut an mir der Allmächtige. Magdalena beginnt zu tanzen, mit verhaltenen, ausdrucksvollen Bewegungen, in der Art eines fernöstlichen Tempeltanzes. Sie lauscht dabei nach innen, wie auf eine nicht hörbare Musik.

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Das Loblied Wenn Magdalena zu tanzen beginnt, steht die Kirche auf und tritt etwas vor. Magdalenas Tanz drückt aus, wovon die Kirche spricht. Magdalena bemerkt die Kirche nicht. Kirche: Du bist schön, meine Freundin, anmutig wie ein Veilchen auf der Flur, wie eine Lilie in den Tälern. Dein Wuchs ist dem einer Palme gleich. Deine Augen sind wie zwei sanfte Tauben, deine Lippen sind wie volle Beeren an einem Weinstock. Alles an dir ist schön, meine Freundin, und kein Makel ist an dir. Aber du bist ein Garten, der noch verschlossen ist, meine bräutliche Tochter. Erwacht, ihr Winde, kommt von Nord und Süd, weht durch den Garten, damit sein Blütenduft hinströmt durch die ganze Stadt. Des Nachts auf deinem Lager sehnst du dich nach dem, den deine Seele liebt: und du erhebst dich, die Stadt zu durchstreifen und den Geliebten zu suchen. Doch bald schon finden dich die Wächter, die in der Stadt die Runde machen, die Wächter auf den Mauern und an den Toren: Sie reißen dir deinen Schleier weg, und werfen dich in den Staub. 32


Aber stärker als Verfolgung und Not ist die Liebe: Die Wasser aller Ströme können ihr Feuer nicht löschen. Darum höre, meine Tochter, und neige dein Ohr: Dein Geliebter, der König, verlangt nach deiner Schönheit. Im Festgewand wird man dich zu ihm geleiten, Mit Freude und Jubel wirst du einziehen in seinen Palast. Du bist so schön, meine Freundin, und so gewaltig wie eine Löwin. Alle, die dich sehen, sollen Gott preisen! Bei den letzten Worten der Kirche hört Magdalena auf zu tanzen. Sie steht still, die Arme über der Brust gekreuzt, den Blick auf das Fenster gerichtet.

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