Karl Josef Kassing – Na So Was!

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Karl Josef Kassing

Na so was ! Gereimtes und Ungereimtes


Impressum 1. Auflage 2017 Copyright Fohrmann Verlag, Köln Inh. und Hrsg. Dr. Petra Fohrmann www.fohrmann-verlag.de Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Artwork: Karen Kühne, www.kuehne-grafik.de Zeichnung: Karen Kühne Printed in Germany ISBN 978-3-9818152-1-4 4


Inhalt Prolog

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So ist das Leben

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Aus der Verwandtschaft

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Hierzutage heutzulande

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Hurra, wir reden!

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Die liebe Liebe

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Unfromme Gesänge

105

Dichters Nabelschau

125

Epilog 145 Verspätetes Vorwort

147

Zum Autor

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Geleitwort zur Gesamtausgabe

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Die Zeichnungen von Karen Kühne haben sich aus einer Kritzelei beim Telefonieren entwickelt. Sollte jemand eine Ähnlichkeit zwischen den Figuren und dem Autor entdecken, so ist diese rein zufällig.

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Prolog Sinn-Gedicht „Was soll der Unsinn?!“ rief empört der Sinn. „Er nützt nichts, sondern stört nur die Vernunft, täuscht sie auch nicht, verkleidet er sich als Gedicht.“ „Ich wäre nutzlos? Das erstaunt!“ grinste der Unsinn gutgelaunt. „Ich sage, was der Sinn nicht wagt, und lache laut, wo er nur klagt.“ „Ob Sinn, ob Unsinn, eins ist wahr:“ stellt da ein Bass mit Nachdruck klar, „ihr hättet beide kein Gewicht, gäbe es mich, den Tiefsinn, nicht!“

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So ist das Leben

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Suche Neulich wollte ich zu mir, stand schon draußen vor der Tür, schellte, aber nichts geschah: So ein Pech, ich war nicht da! Und ich dachte: Das ist dumm! Sieh dich nach dem Kerl mal um. Ging mich suchen in dem Ort, wo ich hinkam, war ich fort. Hörte: Ja, der schaut mal rein, wird vielleicht im Stadtpark sein. Auch im Stadtpark war ich nicht, niemand hatte mein Gesicht. Doch ich gebe noch nicht auf, geh‘ die Straßen runter, rauf, schau‘ in fremde Fenster rein: irgendwo muss ich doch sein! Komm‘ ich abends spät nach Haus, ziehe ich mich müde aus, träume schlafend dann im Bett, dass ich mich gefunden hätt‘.

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Der glückliche Fund Einen Schlüssel Ehle fand unverhofft am Wegesrand, hob ihn auf und dachte nach, bis er dann begeistert sprach: „Der erschließt den Lebenssinn. Endlich weiß ich, was ich bin, weil ich diesen Schlüssel fand: Ha, ich bin ein Ele-fand!“ Und er trabte froh von hinnen, neu sein Leben zu beginnen, grau und groß. Den Zauberschlüssel trug er sorgsam mit dem Rüssel.

(Der Anreiz zu diesem Gedicht kommt aus meiner Kind­­heit. In dem Ordensinternat, wo ich sechs Jahre war, gab es auch einen Pater Ehle. Manchmal stellten wir uns zum Scherz hinter ihn und riefen: „Ehlefand ein Taschentuch!“ Dann drehte er sich um und spielte den Erzürnten. Dieser Satz hat sich mir, warum auch immer, unauslöschlich eingeprägt.) 12


Schauspieler Der spielt den Schuft, den Bรถsewicht, spielt ihn gern und perfekt. Wer ihn so sieht, vermutet nicht das Herz, das in ihm steckt. Der spielt den braven Biedermann, spielt ihn gern und perfekt. Wer ihn so sieht, sieht ihm nicht an den Schuft, der in ihm steckt!

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Fernöstlich Einst am Ganges auf und nieder schritt der große alte Lehrer, und ihm folgten viele Schüler als begeisterte Verehrer. Und er lehrte: „Nichts ist alles. Alles Sein ist nur die Hülle um den wahren Kern: die Leere. Leere ist die wahre Fülle!“ Dann entschwand der greise Weise eines Tages ins Nichtmehre. In den Köpfen seiner Jünger blieb der Lehre Kern: die Leere.

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Forscher-Schicksal Ein Forscher griff ein Fliegenbein und machte einen Knoten rein. Das nahm die Fliege ziemlich krumm. Sie rief mit zornigem Gesumm: „Mein Herr, wie können Sie ...! Das Knoten von fremden Beinen ist verboten!“ Der Forscher drauf: „Das kann nicht sein. Die Wissenschaft vom Fliegenbein muss frei von allen Zwängen sein!“ Die Fliege aber, unbeirrt, hat mühsam sich das Bein entwirrt und ist empört davon geschwirrt. Der Forscher blieb enttäuscht zurück, beklagend dieses Missgeschick. Doch dann ermannte sich der Mann. „Ich werde zeigen, was ich kann! Ich trotze dem Verbote jetzt grade: ich verknote, ha, eines Tigers Pfote!“ Die Tat folgt auf das Wollen: Er dringt in einen Dschungel ein, das hinten muss ein Tiger sein, er greift beherzt nach dessen Bein – seitdem ist er verschollen.

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Der naive Ritter Ein Ritter hoch zu Ross den es schon oft verdross dass seine Rüstung rostete wenn’s draußen goss beschloss auf seinem Schloss: „Reit‘ ich bei Regen aus lass ich das Ding zuhaus!“ Es regnete schon bald. Er ritt durch einen Wald da lag im Hinterhalt der böse Kunibald. Der spannte mit Gewalt den Bogen und erschoss den Ritter auf dem Ross. Freund, hast du einen Feind der‘s böse mit dir meint lass deine Rüstung an auch wo‘s dir sicher scheint. Sonst bist du selber bald vielleicht im nächsten Wald ein mausetoter Mann!

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Der Graf von Rabeneck Gestatten: Kunz von Rabeneck, ehdem ein arger Leuteschreck, nie höflich, immer grob und barsch. Mein Lieblingsspruch: „Leck mich am ...“ 1 Graf, weh dir, weh! Ein Bettelweib am Weg einst stand, streckt flehend seine leere Hand. Ich stieß sie rücklings in den Dreck und rief noch höhnisch: „Alte, leck ...!“ Weh dir, Graf, weh! Seit jenem Tag bin ich verflucht, ein Geist, der ruhlos Ruhe sucht, erlöst, wenn jemand herzensmild mir den bewussten Wunsch erfüllt. Weh, Graf dir, weh! Nun laufen Sie doch nicht gleich weg. Halt! Rühren Sie sich nicht vom Fleck! Verdammt, auch der nicht! Na, dann leck ... Graf, weh dir, weh!

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Hier ist die mittelalterliche Handschrift leider nicht lesbar. 17


Bürgermeisters Geisterstunde Es heult den Mond von Ulaban der Hund des Bürgermeisters an. Der Bürgermeister schrickt empor: Probt noch so spät ein Kirchenchor? Verstohlen naht die Mitternacht und hat die Geister mitgebracht. Ein stummes Schwarz hüllt alles ein, unscheidbar werden Sein und Schein. Was nun im Dunkeln vor sich geht, ist nichts, was der Verstand versteht, nichts, was das Wort beschreiben kann. Der Ort erstarrt im Zauberbann. Vom nahen Kirchturm schlägt es drei, die Geisterzeit ist längst vorbei. Die ganze Stadt liegt ruhevoll, im Traum der Bürgermeister boll. 1

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ältere Vergangenheit von „bellen“


Limericks Einst kam ein Doktor aus Aalen und sprach zu dem Asten, dem Kahlen 1: „Ich gebe, welch Glück, dir die Haare zurück!“ Doch der sprach: „Wer soll das bezahlen?“ Ein Jeck fuhr nach Kölle am Rhein und wollt‘ sich im Karneval freu‘n. Doch er war ziemlich blau und rief nur „helau!“ – Da schmiss man ihn rein in den Rhein. 2 Ein junger Kaplan in Kapellen verliebte sich in eine Ellen. Doch sein alter Pastor zog ihn kräftig am Ohr – jetzt hat sie nichts mehr zu bestellen!

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Kahler Asten: der bekannteste Berg im Sauerland Der Karnevalsruf in Köln lautet bekanntlich „Kölle alaaf!“.

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Zuviel gewollt Ein Ball – ihm war Respekt zu zollen – der konnte um die Ecke rollen. Doch übermütig tönte er: „Seht alle her: ich kann noch mehr! Es komme, wie es wolle, ich ecke um die Rolle!“ Ein Ball – ein Wort! Und er begann das Kunststück, doch er kam nie an. Er blieb beim ungewohnten Ecken schon an der ersten Rolle stecken. Da steckt er noch und schämt sich sehr. Wer etwas kann, kann drum nicht mehr!

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Der Reifen Ein Reifen, jung und selbstbewusst, erklärte: „Ich hab‘ keine Lust, tagtäglich durch das Land zu hetzen und mein Profil so abzuwetzen. Auf diese Ehre kann ich pfeifen!“ brummte der Reifen. Und in der hintersten der Ecken gelang es ihm, sich zu verstecken, während die andern Reifen rollten landauf landab, so wie sie sollten. „Das kann ich mir ganz gut verkneifen!“ knurrte der Reifen. Und dann, bei einer Inventur, kam ihm doch jemand auf die Spur: „Die Zeit ist ja schon abgelaufen!“ Und er kam auf den Abfallhaufen. „Das kann ich wirklich nicht begreifen!“ klagte der Reifen.

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Der Hampelmann Ich bin ein toller Hampelmann! An mir hängt eine Strippe dran, und fängt man da zu ziehen an, dann zeig‘ ich, was ich alles kann: Ich hebe munter Arm und Bein, und lässt man dann das Ziehen sein, dann lass‘ ich beide munter auch wieder runter. So ruck und zuck und auf und ab, sooft man zieht, nie mach‘ ich schlapp. Nur eines kränkt mich nicht zu knapp: ich würde gern mal selber, zapp!, die Strippe ziehen, um zu strampeln, und so nur für mich selber hampeln. Doch ach, wie fang‘ ich‘s an? Ich komm‘ nicht dran!

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Die Treppe

(von unten nach oben zu lesen) Einmal war auch sie ganz oben! vom Bewusstsein stolz erhoben: nie verdrossen, immer munter, Und sie trägt hinauf, hinunter, ehe jemand sie vermisst. dass sie schneller unten ist, drängt sie in das Fahrgestühl, Doch genug! Ihr Pflichtgefühl auf das weite Häusermeer. Und sie blickt erfreut umher soviel Kühnheit muss man loben! Schließlich steht sie schnaufend oben: steigt sie auf sich selbst empor. Stock für Stockwerk, stell dir vor, sagt sie zu sich selbst: „Ich wag‘ es!“ Und frühmorgens eines Tages wohinauf die andern gehen. Einmal will sie selber stehen, macht ein Wunsch sich in ihr breit: Doch allmählich mit der Zeit war es, wie es immer war. Tag für Tag und Jahr um Jahr nie verdrossen, immer munter. trug hinauf und trug hinunter, was sie sich und andern schuldig: Eine Treppe tat geduldig,

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Schneemann ahoi! Am Strand da stand ein Schneemann, sein Blick ging auf das Meer schon viele Wintertage, das Herz war ihm so schwer. Wie gern würd‘ er ein Seemann, er wusste nur nicht, wie. Er kann sich ja nicht regen, zum Seemann taugt er nie. Allmählich wird es milder, der Frühling naht heran. Da wird so eigenartig dem starren weißen Mann. Und es fing an zu tauen. Was mit dem Schnee geschah? Das „n“ begann zu schmelzen, dann schmolzen „c“ und „h“. Nun ist er doch ein Seemann, welch unverhofftes Glück! Wie um es zu verlängern, kehrt auch der Frost zurück. So blieb es sieben Tage: er blickte auf die See und stand, wie grad der Wind kam, auf Luv mal, mal auf Lee. 24


Dann kam die große Wende, nun taute es mit Macht, und auch der weiße Seebär schmolz schneller als gedacht. Ach, von dem ganzen Schneemann blieb nur ein nasser Fleck. Ahoi, du wackrer Seemann! Einmal muss jeder weg.

(Der Text kann gesungen werden auf die Melodie von „Mariechen saß weinend im Garten ...“, am besten nach Art eines Shantys.) 25


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Aus der Verwandtschaft

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Vorfahre als vorweltli ches glied dieser sip pe ist an zu führen der rie sensalaman der von oeningen (an dri as scheuchze ri) nach dem arzt scheuch zer benannt wel cher 17 2 6 das über drei fuß lange skel ett desselben für ei nen verstei ner ten vorsündfluth li chen menschen hielt und als sol chen bes chr ieb (al fr ed brehm). 29


Unterschied Den größten Teil von unsren Genen, den sollen wir (hört! hört!) mit jenen Schimpansen (nein!) gemeinsam haben, an denen sich die Flöhe laben. So‘n oller Affe wär‘ mein Vetter? Da wäre ja ein Frosch noch netter! Darüber mach‘ ich ein Gedicht: Das kann der nicht!

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Kuh Sie ruht im Gras behaglich wiederkäuend, und sieht so aus als ob sie dabei dächte: „Wie gut dass ich nicht denken muss!“

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Die Krähe An dem Fenster sitzend, sehe ich in Gegenüber-Nähe: Auf dem Dach sitzt eine Krähe. Wäre ich die Krähe, sähe ich jetzt in mein Fenster rein, säh‘ mich sitzen, auch allein, säh‘ mich denken, wenn man‘s sähe: Auf dem Dach sitzt eine Krähe.

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Pechvogel Die Amsel brach voll Ungeschick sich an der GlastĂźr das Genick. Nicht ohne Grund ist das geschehen: Sie hat zu tief ins Glas gesehen. Drum, willst du dich des Lebens freu‘n, lass dir das eine Warnung sein!

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