Karl Josef Kassing – Von Liebe und Tod, Mensch, Teufel und Gott

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Lieb Mens Teuf KARL JOSEF KASSING

Von

Liebe Tod, Mensch, Teufel Gott und

und



Karl Josef Kassing

Von

Liebe Tod, Mensch, Teufel Gott und

und


Impressum 1. Auflage 2016 Copyright Fohrmann Verlag, Köln Inh. Dr. Petra Fohrmann www.fohrmann-verlag.de Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Umschlaggestaltung und Layout: Karen Kühne, www.kuehne-grafik.de Printed in Germany ISBN 978-3-9810580-7-9 4


Vorwort Mit diesem Buch beginnt die Herausgabe der ge­sammel­ten Werke von Karl Josef Kassing. Sie fügen sich gut in das Programm eines Verlages, der vornehmlich Biografien publiziert. Seine Gedichte und Erzählungen sind mal heiter oder ernst, mal weltlich oder religiös. Das breite Spektrum eines Lebens stellt der Autor dar mit satirischem Humor und nachdenklichem Tiefgang. Jedes Buch und jeder einzelne Text spiegeln seine Gedanken über das mensch­ liche Leben und die Suche nach dem Sinn – über den Tod hinaus. Dr. Petra Fohrmann (Hg.)

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Inhaltsverzeichnis

Romanzen

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M채rchen

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Who is Huu?

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Sisyphos

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Zweifelhafte Predigten

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Media Vita

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Nachwort

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Zum Autor

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Ro manz e n

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Hafengarn I Jeden Abend, wenn die Matrosen an Land bei den Mädchen sind, kommen die Lichter der Stadt hinunter zum Strom. Auf seinen Wellen tanzen sie die ganze Nacht und schlendern erst im Morgengrauen müde heim, wenn die Matrosen grölend zu den Schiffen schwanken. Tagsüber trägt der Strom mit undurchdringlicher Miene Möwen und Schiffe, oder er blinzelt in die Sonne. II Da war der dicke Kabel Jau. Der hätte für sein Leben gern gewusst, wie man die vielen Schifferknoten macht: aus denen wurde er nicht schlau. Drum ging er zu dem Koch vom ‚Alten Tau‘. „Der hilft mir“, dacht er, „das ist mein Freund.“ Denn jener sagte oft: „Ich liebe Kabeljau!“ Jedoch der Koch war gar kein Freund, sondern nahm ein spitzes Messer ... Seitdem ist der dicke Jau verschollen. Nur die Krabben haben wissen wollen, dass er als Smutje angeheuert hat auf einem großen Pott ... Doch die Krabben wissen immer alles besser! 11


III Da war der alte Wassermann, der kam als junger Bursche einst flussab geschwommen und wollte in die große weite Welt. Doch gleich am ersten Tag im Hafen verliebte er sich heiß in eine Galionsfigur, die dort mit ihrem Schiff vor Anker lag. Er blieb und sah zu ihr hinauf drei Tage lang. Dann nahm er sich ein Herz und bat sie, mit ihm heim zu ziehen in sein Flussbett und seine Wasserfrau zu werden – sie lachte nur. Am andern Morgen war die Schöne fort samt ihrem Schiff. Vergebens suchte sie der Wassermann im ganzen Hafen, sogar im Schlamm: „Vielleicht ist sie so tief gesunken!“ dachte er – und fand sie nicht. Da zog er sich zurück in einen Wald aus Tang und fristete als Eremit sein Leben. Im Hafen hieß es, er sei heim in seinen Fluss, im Fluss: er habe in der weiten Welt sein Glück gefunden.

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IV Da war die schwarze Dolores – eigentlich hieß sie Elisabeth und war blond, die hatte Formen, davon wurden einem Mastbaum die Knie weich. „Gnädigste!“ hatte sogar schon mal jemand zu ihr gesagt. Aber zu ihren Freunden, da war sie gar nicht so, und ihr Freund war jeder, der es bezahlen konnte. Da sagte sie: „Nu komm schon, Kleiner!“ Oder sie sagte: „O lala!“ Denn Französisch konnte sie auch. Doch eines Abends sprang sie in den Strom ... Die ganze Nacht bemühte sich ein alter Aal um sie. Auch biss ein junger Krebs sie zärtlich in den Hintern. Sie aber ließ sich von den Wellen wiegen, die spielten mit dem langen schwarzen Haar. Am andern Morgen fand sie der Inspektor von der Hafenpolizei, ein forscher junger Mann. Der Aal war neidisch und der Krebs betrübt.

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Rotkäppchen Richter: Hiermit eröffne ich das Verfahren gegen die vor­geladene und anwesende weibliche Person vulgo ‚Rot­käpp­chen‘. Wirklicher Name nicht zu ermitteln. Sie sind angeklagt wegen verbotswidrigem Verhalten in einem Na­tur­schutz­gebiet und, in Mittäterschaft mit einem Jagd­aus­übungs­berechtigten, wegen Tier­ quä­lerei in Tatein­heit mit einem schweren Verstoß gegen die Unterschutzstellung von Wölfen. Was haben Sie zu Ihrer Verteidigung vorzubringen? Rotkäppchen verständnislos: Wer? Was? Richter: Sie! Warum haben Sie im Naturschutzgebiet ver­bote­ner­weise den Weg verlassen und sogar Wild­ kräuter ab­gerissen? Rotkäppchen: Keine Wildkräuter, sondern Blumen. Nicht abgerissen, sondern gepflückt. Die wollte ich doch meiner Großmutter bringen. Richter: Zu der kommen wir später. Sie geben also den Tat­bestand des Naturfrevels zu! Warum haben Sie sich danach mit dem Jäger zusammengetan, um gesetzeswidrigerweise auch noch den Wolf zu töten? Rotkäppchen: Aber der hatte doch die Großmutter gefressen! Und mich auch! Richter: Erzählen Sie uns keine Märchen! Das Nah­ rungs­verhalten von Wölfen ist wissenschaftlich ge­nau­e­ stens un­ter­­sucht: Wölfe fressen keine Groß­mütter! Rotkäppchen: Aber wenn ich es Ihnen doch sage! Ich habe es doch selber miterlebt. Richter: Und wenn schon! Für Wölfe gelten stren­ge Schutz­bestimmungen, für Großmütter nicht. Berich­ ten Sie genau: Was hat der Jäger getan? Rotkäppchen: Ja, also der hat dem Wolf den Bauch auf­geschnitten, damit wir heraus konnten, meine Omi 36


und ich. Und dann haben wir Steine hineingetan und den Bauch wieder zugenäht. Richter: Und dann? Rotkäppchen: Dann wollte der Wolf weglaufen, aber er ist tot umgefallen. Richter: Schrecklich! Der arme Wolf! Hatten Sie denn gar kein Mitleid mit der gequälten Kreatur? Rotkäppchen verständnislos: Bitte, mit wem? Richter: Lassen wir das. Kommen wir zu Ihrem Komplizen. Wissen Sie, wo er sich jetzt aufhält? Rotkäppchen verständnislos: Bitte, wer? Richter ungeduldig: Ihr Komplize, der Jäger! Nun leugnen Sie nicht. Wir wissen Bescheid über Sie beide. Hatten Sie ein Verhältnis mit ihm? Rotkäppchen verständnislos: Bitte, was? Richter ungeduldig: Ein Verhältnis! Ob Sie mit ihm intim waren! Rotkäppchen völlig verständnislos: In Tiem? Bitte wo ist das? Da war ich noch nie! Richter sehr ungeduldig: Jetzt reicht es aber! Sie wollen uns wohl die jugendliche Naive vorspielen! Was ver­ schweigen Sie uns? Und warum? Rotkäppchen ängstlich: Aber ich verschweige doch gar nichts! Das wäre doch auch völlig zwecklos. Sie können doch alles bei den Brüdern Grimm nachlesen. Richter: Wer ist das denn nun wieder? Rotkäppchen eifrig: Aber die haben die ganze Ge­schich­te doch aufgeschrieben! Die wissen das alles doch am besten. Richter: Gut, dann werde ich diese Brüder zur Zeugen­­ aussage vorladen. Das Verfahren wird bis dahin ver­ tagt. 37


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Sisy ph o s

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Zeichnungen: Karl Josef Kassing Digitale Bearbeitung: Karen K端hne

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M e dia V ita Schauspiel

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Personen: Vorhangzieher (kann auch eine Frau sein) Drei Freunde: der Gebildete, der Verliebte, der Gewalt­ tätige; alle drei sind etwa 20 Jahre alt. Wenn der Sprecher nicht genannt wird, können die Reden auf die drei nach Belieben verteilt werden. Kellnerin: ziemlich kokett Alter Mann: ziemlich gebrechlich Wirt: ziemlich dick Apotheker: ziemlich eingebildet Ort und Zeit: Die Handlung spielt vom Abend bis in die Nacht. Schau­ plätze sind abwechselnd eine Wirtschaft und ein Fried­ hof.

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Prolog Der Vorhangzieher tritt vor den Vorhang; er wirkt ge­ mütlich, spricht etwas herablassend: Meine Damen und Herren! Das Stück, das Sie jetzt sehen werden, handelt vom Tod, wie sein Titel ja schon andeutet: ‚Media vita in morte sumus‘ – das ist Latein und heißt: ‚Mitten im Leben sind wir im Tod.‘ Eigentlich hätte ich selbst den Tod spielen sollen. Wir haben uns aber überlegt, dass der Tod als mitspielender Knochenmann gar nicht benötigt wird. Ich werde also zuschauen. Damit ich auch etwas zu tun habe, ziehe ich den Vorhang auf und zu. Während seiner letzten Wort hört man hinter dem Vor­ hang Gerede und Lachen. Der Verliebte singt: Grüß mir mein holdes Kind vom Rhein. Sag ihr, ich komme wieder! Der Vorhangzieher horcht, lächelt, deutet mit dem Dau­ men auf den Vorhang und zieht ihn auf. Dann tritt er zur Seite hinter den Vorhang. Szene I In der Wirtschaft. Der Wirt und die Kellnerin hantieren im Hintergrund. Die drei Freunde sitzen an einem Tisch, trinken und albern: Durst ist schlimmer als Heimweh! – Wer nur säuft, wenn er Durst hat, ist ein Ochse! – Was ist der Unterschied zwischen dir und einem Fass? – Weiß ich nicht. – Das Fass wird beim Saufen immer leerer, du wirst immer voller! Der Verliebte blickt immer mal zur Kellnerin hinüber. Er singt auf obige Melodie (Grüß mir mein holdes Kind ...): Ta da da da da da da da ... 91


Die Kellnerin unterbricht ihn: Den Vogel, der morgens singt, holt abends die Katz‘! Gelächter und Scherze der drei Freunde: Wenn du die Katze bist, lassen wir uns gerne holen! – Hallo Kätzchen, wie wär’s mit uns beiden? Der Wirt mischt sich ein: Bei euch kann man mal wieder sehen: Müßiggang ist aller Laster Anfang! Die Freunde lachen: Darum gehen wir ja auch nicht! Wir bleiben hier sitzen! Ein alter Mann hinkt vorbei. Einer der Freunde: He, Opa! Hast du nicht gehört? Müßiggang ist aller Laster Anfang! Alter Mann vor sich hin: Ich suche. Einer der Freunde: Was suchst du denn? Alter Mann: Ich suche den Tod! Die Freunde sehen sich an; sie halten den Alten für verrückt: Hast du das gehört? – Der ist gut! – Mensch Alter, da musst du auf den Friedhof gehen! Alter Mann: Auf dem Friedhof war ich, da komme ich her. Fünfzig Jahre war ich auf dem Friedhof! Einer der Freunde: Nu mach aber mal ‘nen Punkt, Opa! Alter Mann: Gräber hab ich gemacht, fünfzig Jahre lang. Meine Frau hab ich begraben und meine Kinder, und alle andern Menschen, die ich kannte. Alt und müde bin ich geworden, aber den Tod hab ich da nicht gefunden. Jetzt will ich ihn suchen gehen. Die Freunde sehen sich betreten an: Tja, Opa, den Tod gibt es eben nicht umsonst. – Nichts ist umsonst, nicht mal das Sterben! Alter Mann: Bezahlen könnte ich es wohl ... Die Freunde: Du siehst auch gerade so aus, als ob du 92


bezahlen könntest! – Das können ja wir nicht mal immer! Gelächter, in das der Wirt einstimmt. Alter Mann: Geld hab ich genug, daran braucht es nicht zu scheitern. Die Freunde werden aufmerksam: Wo willst du denn Geld her haben? Alter Mann: Gefunden hab ich es, beim Graben auf dem Friedhof. Bei einem alten Kreuz hab ich einen Schatz gefunden. Die Freunde: Einen Schatz? – Donnerwetter! – Aber wo hast du ihn denn jetzt? Alter Mann: Wieder vergraben hab ich ihn, bei dem Kreuz. Ich dachte, den hebst du dir auf. Da liegt er heute noch. Die Freunde stoßen sich an. Sie werden auf einmal übertrieben höflich: Aber weshalb stehen Sie denn noch? – Bitte nehmen Sie doch Platz! – He, Mädchen, einen Schnaps für diesen Herrn da! Der Alte will ablehnen. Die Freunde: Doch, Sie müssen unbedingt unser Gast sein! – Sie waren mir von Anfang an sympathisch. – Ich hab ja immer schon gesagt: der Opa, ich meine, dieser Herr ist ein feiner Kerl. – Auf Ihr Spezielles! Der alte Mann trinkt, hustet. Ab jetzt redet der Gebildete für die Freunde: Um noch mal auf das Geld, ich meine, auf diese Sache mit dem Tod, zurückzukommen: wir wären schon gerne bereit, Ihnen zu helfen, wo wir Sie doch so gut leiden mögen. Aber, ich meine, so ganz billig wird das natürlich nicht. Alter Mann: Geld hab ich genug, daran braucht’s nicht 93


zu scheitern. Gebildeter: Tja, so einfach ist das natürlich nicht ... Aber Ihnen zu Gefallen ... Was meint ihr? Die andern nicken eifrig: Unbedingt! – Dem Mann muss geholfen werden! Gebildeter: Also dann ... ich meine, zuerst müssten wir natürlich den Schatz mal sehen! Alter Mann: Das könnt ihr. Dazu brauchen wir nur auf den Friedhof zu gehen. Da liegt er noch in der Erde. Gebildeter: Tja, also dann ... Könnten wir nicht vielleicht jetzt sofort mal hin? Ich meine, um so schneller kann Ihnen doch dann geholfen werden! Alter Mann: Sicher, wir brauchen nur auf den Friedhof zu gehen. Die Freunde: Tja, also dann ... ich meine ... Sicher! – Dann mal los! Sie sehen sich an und stehen auf. Der Wirt, der sich bisher im Hintergrund gehalten hat, kommt nach vorn: Wenn ich die Herren noch um die Bezahlung bitten dürfte ... Gebildeter: Schreib’s zu dem anderen. Morgen haben wir Geld, da bezahlen wir alles zusammen. Die drei Freunde gehen mit dem alten Mann ab. Alter Mann im Abgehen: Geld hab ich, an Geld braucht‘s nicht zu scheitern. Wirt mit Verbeugungen: Bitte sehr, auf Wiedersehen, die Herrschaften. Also bis morgen! Er sieht ihnen nach und reibt sich überlegend das Kinn. Der Verliebte wirft der Kellnerin noch eine Kusshand zu und singt dann im Abgehen: Grüß mir mein holdes Kind vom Rhein. Sag ihr, ich komme wieder. 94


Der Vorhangzieher deutet den Abgehenden mit dem Daumen nach, lächelt spöttisch und zieht den Vorhang zu. Szene II Auf dem Friedhof; Abenddämmerung. Die drei Freunde und der alte Mann kommen. Alter Mann: Hier ist es. Hier bei dem Kreuz liegt der Schatz. Einer der Freunde: Sind Sie auch sicher? Im Dunkeln kann man sich leicht irren. Alter Mann: Hier ist es. Ich bin ganz sicher. Auf dem Kreuz steht eine Inschrift. Der Gebildete: Lass mich mal sehen. Zum Glück scheint der Mond hell genug. Er beugt sich vor und buchstabiert: Media vita in morte sumus. Gewalttätiger: Was heißt das? Gebildeter: Das ist lateinisch. Vita das Leben, morte der Tod. Das heißt: Das Leben ist kein Tod, oder so ähnlich. Der Gewalttätige übernimmt von jetzt an das Kom­ man­do: Dummer Quatsch! Hier ist das Kreuz. Und wo ist der Schatz? Alter Mann: Drei Schuh hinter dem Kreuz und sechs Schuh in der Erde, da liegt er, seit ich ihn wieder da vergraben habe. Gewalttätiger: Verdammt! Wir hätten einen Spaten mit­ nehmen sollen. Gebildeter: Pst! Fluch hier lieber nicht. Mann kann nie wissen ... Gewalttätiger: Hast du etwa Angst? 95


Gebildeter: Ich? Nein, ich meine nur ... Alter Mann: Einen Spaten kann ich besorgen. Ich hab ja meinen alten Spaten noch hinten im Schuppen stehen. Ich bring auch gleich eine Laterne mit. Die Freunde: Ja natürlich. – Das ist gut. – Aber schnell! Alter Mann im Abgehen: An einem Spaten soll es nicht liegen. Die drei Freunde beraten flüsternd. Der Verliebte: Mensch, wer hat eine Idee? Gewalttätiger: Für Geld tu ich alles! Die beiden andern: Erst müssen wir’s mal haben. – Richtig! Aber dann? – Wir müssen ihm irgendwas versprechen. Ist ja egal, was; halten brauchen wir’s doch nicht. – Wenn er hinterher was von uns will, kennen wir ihn gar nicht. Gewalttätiger: Für Geld tu ich alles! Verliebter: Pst, da kommt er wieder! Der alte Mann kommt mit Laterne und Spaten: Hier ist ein Spaten. Daran soll’s nicht liegen. Gewalttätiger: Gib schon her! Er fängt an zu graben. Nach einiger Zeit: Ich werd verrückt! Hier liegt wirklich was. Die beiden andern: Was denn? – Beeil dich! Der Gewalttätige gräbt weiter, hebt einen Kasten aus der Grube, bricht den Deckel mit dem Spaten auf und greift hinein. Man hört Münzen klirren. Gewalttätiger: Ich werd verrückt! Geld! Geld!! Mensch, der ganze Kasten ist voll! Die beiden andern drängen sich heran: Lass mich auch mal ...! – Phantastisch! Alter Mann: Da habt ihr das Geld. Jetzt will ich meinen Tod! Die drei Freunde beachten ihn gar nicht: Geld, Mensch! 96


– Jede Menge! – Jetzt können wir saufen! Alter Mann lauter: Wann bekomme ich meinen Tod? Gebildeter: Nur ruhig, wird ja schon werden. Alter Mann noch lauter: Ich will meinen Tod! Gewalttätiger: Halt’s Maul, Opa! Alter Mann immer lauter: Ich will meinen Tod! Ihr habt ihn mir versprochen! Gewalttätiger: Verschwinde, aber schnell! Alter Mann schreit: Ich will meinen ... Der Gewalttätige packt ihn und drückt ihm die Kehle zu. Als er ihn loslässt, sinkt der alte Mann tot zu Boden. Die beiden andern: Was ist mit ihm? – Was hast du gemacht? Gewalttätiger: Das Maul gestopft hab ich ihm! Der Gebildete beugt sich zu dem Alten nieder und schüttelt ihn: He, Alter! Er richtet sich wieder auf: Der ist tot! Der Verliebte nach einer Pause: Das hätte nicht kom­ men dürfen! Gebildeter: Dass du aber auch gleich so brutal sein musst! Was machen wir jetzt? Gewalttätiger: Jetzt macht euch nur nicht in die Hosen! Er hat‘s doch genau so gewollt! Verliebter: So hatte er’s aber bestimmt nicht gemeint! Gebildeter: Vielleicht doch! Er hat ja richtig gebettelt um seinen Tod. Jetzt hat er ihn. Ich meine, wir haben eigentlich nur unser Versprechen gehalten. Verliebter: Glaubst du das wirklich? Gebildeter: Na klar! Die Frage ist nur: was machen wir jetzt? Gewalttätiger: Das ist kein Problem! Wir vergraben den Alten, nehmen den Schatz und hauen ab. 97


Verliebter: Und wenn jemand den Alten entdeckt? Gewalttätiger: Mensch, sei doch vernünftig! Wer wird schon auf dem Friedhof eine Leiche suchen! Gebildeter: Das meine ich auch. Aber wie trans­por­ tieren wir den Schatz? Die Kiste ist ja schon ziemlich morsch. Verliebter: Ich schlage vor: ich geh ins Dorf und be­ sorg uns was für den Transport. Ihr könnt in der Zeit den Alten ja schon mal unter die Erde bringen. Die beiden andern: Einverstanden. Aber bleib nicht zu lange. – Und halt ja die Klappe! Verliebter: Mann, wofür hältst du mich? Ich bin schnell wieder zurück. Vielleicht brauch ich aber etwas Geld. Er greift in den Kasten und nimmt einige Münzen heraus. Dann geht er ab und summt dabei leise seine Melodie. Die beiden andern: Los, wir müssen uns beeilen! – Wo willst du denn hin mit ihn? – Am besten hierhin, wo der Schatz lag. Da hat vorher keiner gekuckt, da kuckt auch hinterher keiner. – Gut! Der Gewalttätige fängt an zu graben: Eine Sauarbeit! Gebildeter: Wenn ich es mir so überlege: genau genom­ men tun wir sogar noch mehr, als wir ihm versprochen haben. Er wollte nur seinen Tod. Aber jetzt begraben wir ihn sogar! Gewalttätiger: Genau! Ich komme mir richtig wie ein anständiger Mensch vor! Der Vorhangzieher tritt hinter dem Vorhang hervor. Er nickt zu den letzten Worten ironisch anerkennend und weist mit dem Daumen auf die beiden. Dann zieht er den Vorhang zu. 98


Szene III In der Wirtschaft. Zunächst der Apotheker mit der Kellnerin allein. Er macht ihr den Hof. Kellnerin, ihm einen Pokal bringend: Da ist Ihr Wein. Während des folgenden Dialogs hantiert sie an den Tischen; er dreht sich nach ihr hin und her. Apotheker: Sie sind immer so freundlich zu mir. Kellnerin: Das bin ich zu allen Gästen. Das gehört sich so. Apotheker: Könnten Sie sich nicht vorstellen, dass Sie zu mir noch etwas freundlicher sind als zu den anderen Gästen? Kellnerin: Vielleicht ... Aber warum sollte ich das? Apotheker: Vielleicht, weil ich Ihnen besser gefalle als die anderen! Er setzt sich in Positur. Sie lacht ihn aus. Apotheker: Vielleicht, weil ich Ihnen mehr zu bieten habe als die anderen! Die Kellnerin lacht. Apotheker: Sie sollten nicht über mich lachen. Ich meine es ernst: Sie müssen meine Frau werden. Ich biete Ihnen mein Herz und meine Apotheke. Die Apotheke ist eine Goldgrube! Der Verliebte kommt, wirft einen schiefen Blick auf die beiden, setzt sich: Bedienung! Apotheker: Überlegen Sie sich’s, schönes Kind. Ich meine es ernst! Kellnerin geht zum Verliebten. Der: Was soll denn das heißen: ‚schönes Kind‘? Kellnerin: Nur so ein Kompliment. Der Herr Apo­the­ ker ist ein freundlicher Mensch. Verliebter: Da steckt was dahinter! Was sollst du dir überlegen? Kellnerin: Der Herr hat mir einen ernsthaften Antrag gemacht. 99


Verliebter: Was? Dieser Giftmischer? Kellnerin: Ich verbitte mir, dass du so über einen Gast redest. Das gehört sich nicht. Außerdem: lieber einen Giftmischer als einen Habenichts. Verliebter: So! Wenn ich aber vielleicht gar kein Habe­ nichts wäre ...? Kellnerin: Ich weiß, du hast ein Herz voll Treu und Liebe. Ein Kasten voll Geld wär‘ mir aber lieber. Verliebter: Wenn ich aber vielleicht einen Kasten voll Geld hätte ...? Kellnerin: Ph! Du auch gerade! Verliebter: Schon oft ist einer arm gegangen und reich wiedergekommen. Da hat man Beispiele für. Der Apotheker hat die beiden misstrauisch beobachtet. Nun ruft er: Hallo, schönes Kind! Sie geht zu ihm hin. Apotheker: Meine Liebe, haben Sie sich die Sache inzwischen überlegt? Kellnerin: Aber Herr Apotheker, nicht so stürmisch! Da müssen Sie mir doch Zeit zu lassen! Der Verliebte hat die beiden misstrauisch beobachtet. Er schlägt mit der Faust auf den Tisch und ruft: Bedienung! Der Wirt erscheint; der Verliebte winkt ihn ärgerlich wieder weg. Die Kellnerin geht zum Verliebten: Ich hab‘s mir überlegt: wenn du einen Kasten voll Geld hast, nehme ich dich. Sonst nehme ich die Apotheke! Verliebter: Ist das dein festes Wort? Kellnerin: Ja! Verliebter: Abgemacht! Morgen hab ich das Geld! Die Kellnerin geht lachend und kopfschüttelnd ab. Der Apo­theker winkt ihr nach, dann ruft er zum Verliebten hinüber: 100


Der Herr scheint ja ein rechter Witzbold zu sein! Verliebter: Man tut, was man kann! Aber wenn Sie gestatten, setze ich mich zu Ihnen. Apotheker: Bitte sehr! Der Verliebte setzt sich zu ihm hinüber: Ich hab da nämlich eine Frage. Sie sind ja doch, wie ich gehört habe, ein tüchtiger und berühmter Apotheker. Der Apotheker lehnt geschmeichelt ab: Was die Leute so reden ... Verliebter: Ich brauche da nämlich eine bestimmte Menge von so einem bestimmten Gift. Wieviel wovon soll ich da nehmen? Apotheker lachend: Sie sind wirklich ein Witzbold! Wofür brauchen Sie das Gift denn überhaupt? Verliebter: Sagen wir mal, so für zwei Personen. Apotheker: Köstlich! Hahaha! Dafür nimmt man ge­ wöhnlich ... Er beugt sich zu dem Verliebten hinüber und flüstert ihm etwas ins Ohr. Dann: Völlig ge­schmack­los, wirkt schnell und zuverlässig. Fünf Tropfen für jeden dürf­ te reichen. Wenn’s kräftige Personen sind, auch etwas mehr. Verliebter: Lieber etwas mehr! Und ...ich meine ... könnte ich das Zeug auch bei Ihnen bekommen? Apotheker: Aber natürlich! Sie glauben gar nicht, wer das alles kauft! Für die Ratten, sagen die Leute immer. Er lacht wieder. Verliebter: Und ... könnte ich das Zeug auch heute abend noch bekommen? Sagen wir mal: jetzt gleich? Apotheker: Aber selbstverständlich! Dienst am Kun­ den ist mein oberstes Gebot! Ich wollte sowieso gleich nach Hause. Da kommen Sie am besten einfach mit. Er winkt dem Wirt: Hallo! Der Wirt kommt. Apotheker: Bitte zahlen! Verliebter: Lassen sie nur. Das übernehme ich. 101


Zum Wirt: Ich würde auch noch gern eine Flasche von Ihrem Klaren mitnehmen. Wirt: Sehr gern! Er gibt der Kellnerin einen Wink, die holt die Flasche. Der Verliebte gibt dem Wirt einige Münzen. Ich nehme an, das reicht fürs Erste! Dann brauche ich aber noch etwas, um etwas zu transportieren. Vielleicht eine Schubkarre? Wenn Sie mir bis morgen früh eine leihen könnten? Wirt: Gern, immer zu Diensten! Drüben im Schuppen steht eine. Wenn Sie vielleicht mitkommen wollten ... Apotheker: Köstlich köstlich! Ein Witzbold, wie er im Buch steht! Der Wirt geht mit den beiden ab. Der Verliebte kehrt noch einmal zurück, stellt sich in Positur und singt, mit Kusshand zur Kellnerin hin: Grüß mir mein holdes Kind vom Rhein. Sag ihr, ich komme wieder! Geht ab. Der Vorhangzieher tritt hinter dem Vorhang hervor. Er nickt zu den letzten Worten ironisch anerkennend und weist dabei mit dem Daumen auf den Verliebten. Dann zieht er den Vor­hang zu. Szene IV Friedhof; Nacht. Der Gewalttätige ist dabei, die Grube zu­zu­schaufeln. Dann gibt er dem Gebildeten den Spaten: Hier! Kannst auch mal was tun! Der Gebildete schaufelt: Man macht sich ja doch schwer dreckig bei sowas. Gewalttätiger: Das kannst du wieder abbürsten, wenn‘s trocken ist. 102


Gebildeter: Hoffentlich! Pause. Er hört auf zu schaufeln: Was der wohl so lange im Dorf macht? Ich meine, so langsam müsste er aber zurück sein. Gewalttätiger: Da mach ich mir auch schon Gedanken drüber. Hoffentlich hält er auch die Klappe! Gebildeter: Seit der sich verliebt hat, ist nichts mehr mit ihm anzufangen. Gewalttätiger: Sein dämliches Lied geht mir so lang­ sam auf die Nerven! Er parodiert: Sag ihr, ich komme wieder! Der Gebildete schaufelt etwas, hört wieder auf: Wieviel in der Kiste wohl drin ist? Der Gewalttätige: Weiß ich nicht. Jedenfalls ‘ne ganze Menge! Gebildeter: Ja! Ein Drittel für jeden. Pause. Dann der Gewalttätige: Die Hälfte wär‘ mehr! Gebildeter: Sicher! Wir sind aber drei. Pause. Dann der Gewalttätige: Die Hälfte wär‘ viel mehr! Gebildeter: Sicher! Pause. Sie sehen sich an. Dann der Gebildete: Du meinst ...? Der Gewalttätige fährt sich mit dem Daumen über die Kehle. Gebildeter: Aber das können wir doch nicht machen! Gewalttätiger: Warum nicht? Du hast doch eben selbst gesagt, wir können ihm nicht trauen. Das ist ein ganz hinterlistiger Bursche! Gebildeter: Ja, aber ... Gewalttätiger: Lass mich nur machen! Wozu hab‘ ich denn mein Messer? Pst, ich glaube, da kommt er. Kein Wort! Man hört den Verliebten leise sein Lied pfeifen, mit den 103


letzten Tönen kommt er an. Er schiebt eine Schubkarre. Gewalttätiger: Na endlich! Muss dich denn unbedingt jeder hören? Verliebter: Man wird ja wohl noch pfeifen dürfen. Nach einem Blick in die Grube: Ihr seid noch nicht fertig? Gewalttätiger: Wir haben auf dich gewartet. – Wie war’s bei dir? Verliebter: Gut! Ich hab eine Schubkarre mitgebracht. Und dann hab ich hier auch noch was zu trinken für euch. Er lacht: Einen Leichentrunk! Der Gewalttätige: Das ist gut. Gib mal her! Er nimmt einen tüchtigen Schluck. Der Gebildete: Lass mir auch noch was drin! Er trinkt auch und bietet die Flasche dann dem Verliebten an: Hier, nimm du auch! Der Verliebte wehrt ab: Danke, ich hab in der Wirt­ schaft schon genug. Aber trinkt ihr doch noch! Der Gewalttätige nimmt die Flasche: Prost! So jung kommen wir nie mehr zusammen! Er reicht die Flasche dem Gebildeten: Ein paar Tropfen sind noch drin! Gebildeter: Auf das, was wir lieben! Er trinkt, wirft dann die leere Flasche in die Grube: Opa soll auch was haben! Verliebter: Der arme Alte! Ja ja, manchmal geht’s schnell. Gewalttätiger: Manchmal schneller, als man denkt! Verliebter: Aber ihr hättet hier doch schon fertig machen können! Gewalttätiger: Wir haben auf dich gewartet. Verliebter: Warum? Gewalttätiger: Darum! Er sticht auf ihn ein. 104


Verliebter: Ihr Schweine! Er bricht zusammen. Der Gewalttätige tritt nach ihm: Nu mal höflich! Verliebter röchelnd: Ihr ... vergiftet ... der Schnaps ... Er stirbt. Gewalttätiger: Was hat er gesagt? Der Gebildete fasst sich an den Leib, krümmt sich: Die dreckige Sau! Er taumelt, bricht zusammen. Gewalttätiger: Was ist ... verdammt ... ich ... Er bricht gleichfalls zusammen. Eine Zeitlang geschieht nichts. Dann hört man von der Seite her leise Schritte. Vorsichtig schleicht der Wirt heran, als Silhouette an seinem Bauch erkennbar. Als er die drei Leichen sieht, schrickt er zurück. Dann entdeckt er den Kasten, öffnet ihn, greift hinein, pfeift vor Über­ raschung. Er blickt sich nach allen Seiten um, lädt den Kasten auf die Schubkarre, nimmt auch die Laterne und schiebt ab. Als er weg ist, tritt von der Seite der Vorhangzieher vor, schüttelt spöttisch den Kopf, deutet mit dem Daumen hinter dem Wirt her und zieht den Vorhang zu.

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