WIRTSCHAFT UND POLITIK l UZ PERSÖNLICH
Wo bleibt der zweite Schritt? VON GEORG KREIS
GEORG KREIS
Der Autor ist Historiker an der Universität Basel und Leiter des Europainstituts. georg.kreis@unibas.ch
Sommertage haben es möglich gemacht, Hans Magnus Enzensbergers EuropaTraktat* zu lesen, das während Wochen auf der Hitliste der Sachbücher stand. Es ist überhaupt nicht erstaunlich, dass eine Schrift gut ankommt, die über die «Entmündigung Europas» klagt und das «sanfte Monster Brüssel» an den Pranger stellt. Es bedient ein stets gerne gegen «Europa» und «Brüssel» gerichtetes Unbehagen. Das Büchlein soll und könne zur Aufklärung beitragen, heisst es in der Anzeige. Es dürfte aber kaum Haltungen verändern, sondern weiterhin diffuse Ressentiments mit Argumenten versorgen. Allerdings ist es der EU
gegenüber nicht durchwegs negativ eingestellt. Neben den verantwortungslosen Politikern erscheint im Bild ein hoch qualifizierter und motivierter Beamtenapparat. Dessen Makel besteht nur darin, dass er eine Staatsräson für einen Staat pflegt, den es nicht gibt. Eine Akteurgruppe kommt bemerkenswerterweise in dieser Skizze konkret nicht vor: die Wählerschaft. Sie kommt nur indirekt vor als armes Objekt, als von Bürokraten und Technokraten hinters Licht geführte und entmündigte Bürger. Kants zentraler Satz zur Aufklärung, wonach Unmündigkeit vor allem selbst verschuldet ist, wird in dieser Aufklärungs-
schrift nicht ernst genommen. Schuld sind immer die anderen. Und «Europa» und «Brüssel» eignen sich eben als Chiffren dieser Andersheit. Vieles von dem, was Enzensberger vorbringt, wird grundsätzlich zu Recht bemängelt. Gleiches in nationalstaatlicher Ausprägung bleibt aber unkritisiert. Dabei tragen die nationalen Mitgliedsländer eine hohe Verantwortung für das, was auf der EU-Ebene problematisch ist. Eingangs wird auch eingeräumt, dass in sehr vielen und wichtigen Bereichen übernationale Regelungen der Probleme nötig sind, etwa in der Flugsicherung, den Fischfangquoten, der Endlagerung etc. oder bei der Zäh-
l Nr. 9 l 2011 l 9 mung der Monopolwirtschaft: «Kein einzelnes Land ist heute mehr in der Lage, ihnen die Stirne zu bieten...» Wenn nur nicht die Dunkelmacht der Lobbyisten wäre, die mehr Einfluss hat als die Parlamentarier. Enzensbergers Schrift gehört zur Gattung der Empörungsliteratur, die trotz der eingestreuten Zahlen letztlich nicht über einen allgemeinen Appell hinauskommt und wenig lösungsorientiert ist. Sie bleibt trotz Detailkritik auf die Ebene der allgemeinen Frage, ob die EU «a good thing» sei oder nicht. Wo bleibt der zweite Schritt? Nach der stets gerne erörterten Frage, was alles besser sein könnte, wartet noch immer die Frage auf uns – und auf Hans Magnus Enzensberger, wie wir alles besser machen können.
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