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Sensitive Standorte und Bestände in Graubünden
Der Klimawandel ist bereits heute im Wald sichtbar. Es bestehen grosse Unsicherheiten betreffend der künftigen Entwicklung der Waldbestände. Vor allem im Schutzwald ist entscheidend, wie widerstands- und anpassungsfähig die heutigen Bestände noch sind und sein werden. Unser Ziel ist die Identifizierung von Standorten und Beständen, die besonders sensitiv/ empfindlich auf den Klimawandel reagieren weren, wie beispielsweise Standorte, an denen die Baumartenzusammensetzung vollständig ändern dürfte.
B. Huber, A. Zischg, M. Frehner, M. Vanoni
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Aufgrund des Klimawandels verändern sich die natürlichen Standortbedingungen im Wald. In der Anpassungsstrategie des Bundes von 2012 wurde die Behandlung von besonders klimasensitiven Standorten und Beständen als vordringlich genannt (https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/klima/publikationenstudien/publikationen/ anpassungklimawandelschweiz2012.html). Diese waren bis dahin nur vage definiert, weshalb im Forschungsprogramm Wald und Klimawandel diese Kategorie näher definiert und beschrieben werden sollte. Im Forschungsprogramm und insbesondere im Projekt «Adaptierte Ökogramme» (Frehner & Huber et al. 2019) wurden die Grundlagen erarbeitet, um diese prioritär zu behandelnden Wälder zu beschreiben. Es wurde folgendermassen vorgegangen: – Quantifizierung der Vegetationshöhenstufen:
Wo herrschen in Zukunft noch vergleichbare klimatische Bedingungen wie bei den heutigen
Waldhöhenstufen? Bis zum Ende des Jahrhunderts werden Verschiebungen der Vegetationshöhenstufen in der Höhe von bis zu 700 m «bergwärts» bei einer Erwärmung von bis zu 4,6°C modelliert. Das bedeutet, dass an einem Ort dann die Klimabedingungen vorhanden sind, die heute bis zu 700 m weiter unten vorherrschen. Damit ändern sich auch die für die Standorte künftig geeigneten Baumarten. Je nach Ausgangssituation und Stärke des Klimawandels wird erwartet, dass die Baumarten diese für sie noch optimalen
Gebiete nicht immer auf natürlichem Wege erreichen können. Die Vegetationshöhenstufen werden zurzeit neu berechnet, sowohl die heutigen (mit einem erweiterten StichprobenDatensatz aus kantonalen Kartierungen als Input sowie genaueren geologischen Grundlagendaten aus der harmonisierten GeoCover2Karte von swisstopo) als auch jene für die Zukunft (Periode 2070–2099, basierend auf ausgewählten Klimaszenarien
CH2018). – Suche nach sogenannten «analogen Standorten»:
Für tiefe Lagen bestehen heute am meisten Unsicherheiten, welche Baumarten in Zukunft die jetzigen ablösen könnten. Deshalb wurde nach vergleichbaren Standorten im Ausland gesucht. Dies sind Standorte, auf denen bereits heute vergleichbare klimatische Bedingungen – auf vergleichbaren geologischen Substraten – vorherrschen wie bei uns an den wärmsten und trockensten Lagen der Zukunft. Dies soll helfen, um eine Einschätzung zu den künftig geeigneten Baumarten und
Baumartenmischungen zu erhalten. – Baumartenempfehlung Klimawandel (Details dazu siehe Artikel zur Tree App (S. 37), die verwendeten Kategorien «empfohlene», «bedingt emp
In Zukunft verbreiteter Waldtyp auf den heutigen Fichtenstandorten 53*?
(Bild: B. Huber)
fohlene» und «gefährdete Baumarten» sind dieselben wie bei der Tree App): Die Baumartenempfehlungen Klimawandel wurden auf den Grundlagen des Projekts «Adaptierte Ökogramme» entwickelt. Diese Grundlagen werden laufend aktualisiert und sind kompatibel mit der Tree App, welche ebenfalls die gleichen Grundlagen als Inputdaten nutzt. Die Tree App liefert Punktinformationen, die sensitiven Standorte und Bestände liefern flächendeckende kantonale Planungsgrundlagen. Mithilfe dieser Grundlagen und der neuen Waldstandort-Hinweiskarte Graubünden (siehe Artikel Waldstandort-Hinweiskarte GR, S. 14) werden flächig Baumartenempfehlungen für die Zukunft erstellt. Diese Empfehlungen können nun mit der Baumartenzusammensetzung aus der Bestandskarte der Betriebspläne verglichen werden. Während die Waldstandorttypen und die Klimaprojektionen Angaben liefern, welche Baumarten in naturnahen Bestockungen zukünftig vorkommen sollten, gibt die Bestandskarte Auskunft über die
heute vorhandene Bestockung. Durch diesen Vergleich können Gebiete eruiert werden, in denen die Unterschiede und der erwartete Baumartenwechsel am grössten sind, sogenannte sensitive Bestände. Auch wird ersichtlich, wo für die Zukunft wichtige Samenbäume heute noch fehlen oder wo die Schutzfunktion in Zukunft stark gefährdet sein wird und deshalb ein frühes Eingreifen wichtig ist. All diese Aspekte sollen bei der Priorisierung von Anpassungsmassnahmen helfen. Diese Daten werden noch aufbereitet und sollen den Forstbetrieben im Verlaufe des Jahres 2021 in geeigneter Form zur Verfügung gestellt werden. Die Resultate bauen auf im Feld erarbeiteten Grundlagen auf. Als Ausgangslage (Istzustand) wird die im Feld erstellte Höhenstufenkarte Graubündens (Atragene, 1997–2004) verwendet und die Angaben zu den real vorkommenden Baumartenanteilen stammen aus den Bestandskartierungen. Auch für die Modellierung der Vegetationshöhenstufen und die Beschreibung der Baumarten pro Standorttyp (Grundlage für Baumartenprojektion) flossen kantonale Grundlagen ein.
Unsicherheiten bleiben
Das Vorgehen zur Identifizierung der besonders sensitiven Standorte und Bestände ist eine Hilfe, um bei ungewisser Zukunft sinnvolle Entscheide zu treffen. Die Klimaveränderung bis zum Ende des Jahrhunderts ist nicht sicher vorhersagbar. Vor allem die Annahmen zum zukünftigen Ausstoss von Treibhausgasen machen Vorhersagen unsicher. Die komplexe Topografie in den Alpen beeinflusst die Ergebnisse zusätzlich. Es ist möglich, dass eine Baumart an einem Ort weiterhin überleben kann, ihre Wüchsigkeit aber wegen vermehrter Trockenheit abnimmt. Das bedeutet, dass diese Bäume in der Oberschicht vermutlich Probleme bekommen werden, die Verjüngung aber noch gedeihen kann und die neuen Bestände eine geringere Oberhöhe erreichen. Bei wenig bis keiner Übereinstimmung zwischen den heute vorhandenen Baumarten und den in Zukunft als geeignet erwarteten Baumarten muss vermehrt damit gerechnet werden, dass bei klimatischen Extremereignissen innert kurzer Zeit grössere Ausfälle entstehen. Mit einer hohen Vielfalt von geeigneten Baumarten (mindestens als Samenbäume) steigt die Resilienz. Das heisst, die Wahrscheinlichkeit, dass nach Störungen Baumarten vorhanden sind, die sich natürlich verjüngen können und dass sich neue Waldbestände selbstständig in passender Baumartenzusammensetzung bilden, wird grösser. Eine hohe Baumartenvielfalt ist auch wichtig, um Ausfälle zu ersetzen, falls in Zukunft weitere Baumarten krankheitsgefährdet fast komplett ausfallen, wie z. B. in den letzten Jahren die Esche. Wichtig bleiben das beobachtende Auge und der Sachverstand der Bewirtschaftenden. Die Standortkunde sollte künftig in allen forstlichen Ausbildungsgängen einen höheren Stellenwert erhalten. Sie sollte auch bodenkundliche Grundlagen enthalten und Klimakunde vermitteln, damit die Waldbauer der Zukunft die rasanten Änderungen in unserer Umwelt besser meistern können.
Dank: Das Projekt ist ein Pilotprojekt des Amts für Wald und Naturgefahren Graubünden und der Forschungsprogramms «Wald und Klimawandel» (vertreten durch S. Augustini, BAFU und P. Brang, WSL).
Barbara Huber (Abenis AG) und Dr. Monika Frehner sind Forstingenieurinnen und Standortkundlerinnen.
Dr. Andreas Zischg ist Professor für die Modellierung von Mensch-Umwelt-Systemen am Geographischen Institut der Universität Bern.
Dr. Marco Vanoni ist Bereichsleiter Schutzwald & Waldökologie beim Amt für Wald und Naturgefahren.
Literaturverzeichnis auf www.buenderwald.ch