5 minute read

INSIDE – News aus der Literaturszene

Ein Huhn namens Merkel Der Historiker, politische Journalist und Schriftsteller Martin Walker zog 1999 mit seiner Familie in den wunderschönen Südwesten Frankreichs. Hier, im Périgord, erfand er „Bruno“ – den „Chef de police“, der seit 12 Jahren im Mittelpunkt seiner höchst erfolgreichen Kriminalromane steht. Jeweils im April erscheint ein neuer „Bruno“ auf Deutsch, mit dem Walker immer im Mai auf Lesereise geht. Neues Buch – ja. Lesetermine – nein. Aber nach sieben Monaten Corona-bedingtem Lockdown war der gebürtige Schotte Anfang September erstmals wieder außerhalb seiner Wahlheimat in Hamburg unterwegs. Die ausgefallene Reise „durch kleinere und mittlere Städte“ fehlt dem bekennenden Spargelfan sehr: „Der Monat Mai ist Spargelzeit. Und in jeder Stadt sagt man mir: „Wir haben hier den besten Spargel in Deutschland.“ Seine langjährige Arbeit als politscher Journalist hingegen vermisst er nicht. „Ich verstehe die heutige Politik nicht mehr. Auch nicht, wie meine Landsleute für den Brexit und amerikanische Freunde für Trump stimmen können“, sagt der Studienfreund von Bill Clinton. Eine hemmungslose Untertreibung. Über die Tiefe seines mentalen Abschiedsschmerzes von der großen Politik lässt sich leichter spekulieren, wenn man einen Blick auf die Namensgebung seiner ersten Hof-Hühner wirft: „Zunächst hatte ich nur einen Hahn, der „Sarko“ hieß, nach dem damaligen französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy.“ Dann war da „die Hübsche – Carla Bruni. Das den ganzen Tag eifrig herumpickende Huhn hieß Hilary Clinton. Es gab die Übellaunige, FlügelMartin Walker schlagende, die die anderen Hühner ständig wegschubste. Die immer zuerst da war, wenn es Futter gab – Margaret ‚Maggie‘ Thatcher. Und Angela Merkel war das Huhn, das regelmäßig die meisten Eier gab.“ Leider ist die Lebens- und Amtszeit von Martin Walkers Polit-Hühnern inzwischen naturgemäß abgelaufen. „Aber Sarko und Angela haben mir ein gemeinsames Geschenk dagelassen – ein neuer Hahn, dessen Eltern sie sind. Ich habe ihn Macron getauft.“

Advertisement

Paul, Herr Taschenbier und das Sams Anlässlich des Erscheinens seiner Kindheitserinnerungen Wie alles kam. Roman meiner Kindheit gab der 82-jährige Sams-Erfinder Paul Maar jetzt in einem bewegenden Gespräch Auskunft über seine finsteren, von Schlägen des Vaters, Gewalt und Lesefeindlichkeit geprägten frühen Jahre; das Paradies bei seinen Großeltern; seine an Demenz erkrankte, geliebte Frau Nele; über Liebe, Hoffnung und den Einfluss der Kindheit auf sein Werk. Aber auch über Herrn Taschenbier aus den Sams-Romanen und dessen reales Vorbild – ein sehr schüchterner und stiller Bürogehilfe namens Wenner. „Mein Vater ließ auch an ihm seine schlechte Laune aus. Nur vor uns Kindern zeigte er sich ohne Scheu. Es war sehr traurig, das mit anzusehen, aber als Jugendlicher konnte ich ihm nicht helfen.“ Als erwachsener Autor stellte er ihm dann aber eine Figur zur Seite, „die all das verkörpert und im Übermaß besitzt, was ihm abgeht: Lebensfreude, Witz, Mut, Selbstsicherheit und eine große Portion Frechheit: das Sams.“ Paul Maar

Lisa Eckhart

Gecancelt Ist es ein Literaturskandal oder nur ein Skandälchen? Jedenfalls bringt er/es das deutsche Feuilleton mal wieder auf Betriebstemperatur: Die Kabarettistin und studierte Slawistin Lisa Eckhart wollte auf dem Hamburger Harbour Festival 2020 ihren für den Kühne-Preis für das beste Debüt des Jahres nominierten Roman Omama vorstellen. Aber sie wurde von den Veranstaltern des Literaturfestivals wieder ausgeladen, u.a., weil zwei andere Autorinnen nicht mit der 28-jährigen Österreicherin auf der Bühne stehen wollten. Als Kabarettistin vermag Lisa Eckhart zweifelsohne zu polarisieren, macht sich gerne mit rassistischen und antisemitischen Anspielungen politisch angreifbar und würde manchen Niveau-Limbo-Wettbewerb mühelos für sich entscheiden. Als solche war sie aber nicht eingeladen. Hätten die Autorinnen Eckhart auf dem Festival mit ihrer Kritik konfrontieren oder sich von ihr distanzieren können? Navid Kermani, Friedenspreisträger der Deutschen Buchhandels 2015, ging bei seiner Eröffnungsrede des Festivals in der Elbphilharmonie darauf ein: „Ihre Weigerung, mit Frau Eckhart auf einer Bühne zu stehen, gilt nicht dieser oder jener Aussage, sie gilt nicht der Kabarettistin, sie gilt dem Menschen, den Sie für verächtlich erklären.“ Er sprach auch die Einschränkung der Meinungsfreiheit durch die sogenannte „Cancel Culture“ an. „Umso mehr erschrecke ich, wenn wir Schriftsteller anfangen, uns gegenseitig zu verbieten.“ Cancel Culture ist eine aus dem US-amerikanischen Raum stammende Form des Kulturkampfes, um umstrittene oder missliebige Künstler, Organisationen oder Firmen aus der Öffentlichkeit zu drängen, sie künstlerisch und gesellschaftlich unglaubwürdig zu machen und wirtschaftlich zu schädigen. Der möglichen Verkäuflichkeit des Romans Omama, vom Verlag als „wilder Ritt durch die Nachkriegsgeschichte: tabulos, intelligent, böse, geschliffen – und sehr, sehr komisch“ charakterisiert, dürfte das wohl keinen Abbruch tun.

Gut Ding will Weiler haben Seit seinem ersten Roman Maria, ihm schmeckt’s nicht, orientiert sich Jan Weiler an den Lebenslinien seiner Familie. Als Sohn und Tochter die Pubertät ereilte – die Zeit, wenn Eltern anfangen, schwierig zu werden –, wurde aus dem hoffnungsfrohen Nachwuchs Das Pubertier. Aus Lebenslinien werden Lebensstufen: Die Kinder sind flügge, die Eltern altern und werden als Die Ältern zum Wortspiel-Titel seines neuen Buches. Wie es ist, in diese Phase „so reingeschoben zu werden“, erläuterte der 52-Jährige vor kurzem. „Man selbst ist Anfang 50, fühlt sich wie Ende 30, und die Kinder verhalten sich, als sei man 79.“ Plötzlich sehe man für sich „keine Anschlussverwendung“ mehr und gäbe „auch alle Formen von paternalistischen Vorträgen total auf.“ Heimische Serviceverträge wie Frühstück machen würden einseitig gekündigt. Erlaube man sich aber ein nachmittägliches Nickerchen und erwache aus unruhigen Träumen, stehe der Sohn schon vor der Couch, blicke auf einen herunter und frage: „Na, Seniorendämmerung?“ „Dabei pofen die ja dauernd selber.“ Die Jugend sei ja „irre schnell, pragmatisch und wahnsinnig klug in der Kommunikation miteinander.“ Er finde es aber sehr traurig, dass sie keine Langeweile mehr hat: „Als ich klein war, fand ich Langeweile etwas Tolles. Man legt sich auf den Boden, dann tanzt der Staub so in der Luft herum, und man hat Langeweile. Wenn die Langeweile haben, dann fühlen sie sich regelrecht krank. Wenn nicht irgendetwas zischt, brummt, fiept oder pfeift, keine Nachrichten, Mitteilungen, Fotos erscheinen, dann werden sie voll unruhig. Es tut mir echt leid, dass die das nicht mehr haben können.“ Er habe jetzt mehr Zeit für Langeweile, sei „öfter alleine zuhause, kann mich auf den Boden legen und diese Staubdinger angucken.“ Jan Langeweiler – Jan Weiler wer hätte das gedacht?