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5 Fragen an Verena Keßler
Wer sind deine literarischen Vorbilder?


Inwiefern beeinflussen sie dein eigenes Schreiben?
Von Sheila Heti find ich alles toll, Joan Didion hängt als Poster an meiner Wand, ich hoffe Jenny Offill schreibt bald mal wieder was Neues. Es sind aber eigentlich eher einzelne Bücher, die mir beim Schreiben ganz konkret helfen, die stapeln sich dann um meinen Laptop herum und wenn ich nicht weiter weiß, les ich ein bisschen darin, um in einen bestimmten Ton zu finden oder mich an der Struktur zu orientieren. Bei Eva gab es für jede Protagonistin andere Bücher, die oben auf dem Stapel lagen. Für Teil 1 waren Nach einer wahren Geschichte von Delphine de Vigan und Die roten Stellen von Maggie Nelson wichtig, für Teil 4 brauchte ich ganz andere Texte, da hatte ich zum Beispiel ständig die Bücher von Jenny Offill aufgeschlagen.
Es fällt uns schwer, über die Tatsache zu sprechen, dass ein Kind, das heute geboren wird, auf einem Planeten leben wird, der heißer ist als je zuvor seit der Entwicklung der menschlichen Zivilisation. Inwiefern glaubst du, dass dein Schreiben den Blick auf die Realität ändern kann?
Mir fällt das auch schwer! Und den Figuren im Roman geht es genauso. Aber das ist genau das, was mich beim Schreiben interessiert hat: Was macht dieses Wissen mit uns, wie reagieren wir darauf, welchen Raum nimmt das im Leben ein, neben allen anderen alltäglichen und persönlichen Themen?
Inwiefern das Buch den Blick auf die Realität beim Lesen ändert, kann ich nicht voraussagen, es kommt sicher auch darauf an, mit welcher Perspektive man reingeht. Da es aber vier Protagonistinnen mit ganz unterschiedlichen Zugängen zu diesen Fragen gibt, wird man sich vermutlich sowohl wiederfinden als auch an manchen Stellen Widerstand verspüren. So ging es mir zumindest beim Schreiben.

Eva ist dein zweiter veröffentlichter Roman. Ging dir das Schreiben dieses Mal leichter von der Hand? Kann man sich die Entwicklung des zweiten Buches im Schreibprozess einfacher vorstellen, weil Routinen entstanden sind?
Als leichter habe ich es nicht empfunden. Die beiden Bücher sind sehr unterschiedlich, ganz andere Figuren, ganz andere Stimmen, eine ganz andere Struktur – da gab es wenig, was sich einfach übertragen ließ. Eine Routine, die ich vom ersten Mal aber beibehalten habe, ist, bis 12 Uhr Handy und Internet ausgeschaltet zu lassen. Je nachdem, wie früh ich es an den Schreibtisch schaffe, sind das 3-4 Stunden ungestörtes Schreiben und da passiert dann auch das Allermeiste am Text.
Gerade im letzten Jahr sind sehr viele Titel erschienen, die sich mit dem Thema “Mutterschaft” auseinandersetzen, nun auch Eva. Woran könnte es liegen, dass das Thema derzeit so stark präsent ist?
Ich glaube, es gibt hier einen riesigen Nachholbedarf. Mutterschaft war so lange ein Thema, das als zu trivial angesehen und deshalb in der Literatur ausgespart wurde, dabei ist es doch das Gegenteil von trivial, es ist existentiell. Und deshalb glaube ich auch nicht, dass dieses Thema nur ein Trend ist, dafür kann man es aus zu vielen unterschiedlichen Perspektiven beleuchten, zu viele Menschen haben einen Bezug dazu, als dass man irgendwann sagen könnte: "Das ist jetzt wieder durch". Was ich mir wünschen würde, ist, dass sich bald genauso viele VaterschaftsBücher dazugesellen, oder überhaupt Elternschaft aus diversen Perspektiven erzählt wird.
Welche Bücher warten momentan in deinem Bücherregal darauf, von dir gelesen zu werden?
Ich freue mich sehr auf Das Liebespaar des Jahrhunderts von Julia Schoch und Prägung von Christian Dittloff.
Vielen Dank, liebe Verena, für das Interview!
Interview: Elsa Stappenbeck und Franziska Schwarz

Sollten wir in Zeiten der Klimakrise noch Kinder in die Welt setzen?
„Fortpflanzung ist ein Luxus, den wir uns nicht in dem Ausmaß leisten können, wie er gerade betrieben wird“, antwortet die Lehrerin Eva Lohaus der Journalistin. Zum einen leben wir auf einem Planeten mit begrenzten Ressourcen, zum anderen würden die Kinder in einer schlechteren, ungerechteren Welt aufwachsen. Das ist nicht nur Evas Standpunkt, sondern wissenschaftliche Gegebenheit. Doch der Hass, den so eine Meinungsäußerung – und dann noch von einer Lehrerin – nach sich zieht, bekommt Eva mit voller Wucht zu spüren. Sina, die Journalistin, hatte so eine feindselige Reaktion mit dem Artikel gar nicht beabsichtigt. Aber auch sie plagt das Thema Kinderwunsch. Seit Monaten versuchen sie es, doch es nistet sich einfach nichts ein. Vielleicht ist es besser so? Währenddessen schlägt sich Sinas Schwester Mona mit ihren Zwillingstöchtern und einem traurigen Teenager, der keine Hoffnung für die Zukunft sieht, herum. Sie hat kaum mehr Zeit für sich, und bald droht sie, an der Selbstaufgabe zu ersticken. Dann zieht in die Wohnung über Mona eine Frau ein, die voller Trauer ist und nicht mehr versteht, wie man sein Familienglück nicht schätzen kann. Verena Keßler erzählt von vier Frauen, deren Lebensentwürfe sich grundsätzlich voneinander unterscheiden, sich im Kern doch alle um (Nicht-)Mutterschaft drehen. Keßler legt den Finger in die Wunde und zeigt auf, mit was für einer Emotionalität und Intimität das Thema behaftet ist – jetzt, im Angesicht der Klimakrise, noch mehr denn je. Hochaktuell, großartig komponiert und voller Fragen, auf die eine Antwort alles andere als leicht ist.

Verena Keßler: Eva. Verlag Hanser Berlin, 208 Seiten, 24 €


Im Morgen wächst ein Birnbaum erzählt die Familiengeschichte des Autors Fikri Anıl Altıntaş. 1992 in Wetzlar geboren, wächst er als Sohn türkischer Eltern in einer hessischen Kleinstadt auf. Der Vater arbeitet als Türkischlehrer, während die Mutter die Familie mit ihrer Arbeit als Reinigungskraft über Wasser hält. Der Junge wächst inmitten von Sozialwohnblocks auf und entwickelt den Wunsch, als "deutsch" wahrgenommen zu werden, um dadurch endlich gesehen zu werden. Enttäuscht über die Realität in Deutschland und die Schwierigkeiten, mit denen die Familie zu kämpfen hat, versucht er, seinen eigenen Weg als türkisch-muslimischer Mann einzuschlagen. Und wird dabei, vor allem durch die Beziehung zu seinem Vater, vor die Frage gestellt, was Männlichkeit nun eigentlich bedeutet und wie sie, jenseits von Klischees, verstanden und gelebt werden kann. Fikri Anıl Altıntaş arbeitet inzwischen als politischer Bildner und freier Autor und schreibt für der Freitag, taz und pinkstinks.de. In seinen Texten beschäftigt er sich hauptsächlich mit Männlichkeit und Rollenbilder, Privilegien und der (De)-Konstruktion von nicht-weißen, muslimisch gelesenen Männlichkeiten in Deutschland. Er ist auf Instagram aktiv unter @_faanil und tätig als #HeForShe Deutschland Botschafter von UN Women Deutschland.
Fikri Anıl Altınta ş: Im Morgen wächst ein Birnbaum. BTB Verlag, 176 Seiten, 22 €

Illustration entnommen aus: Debbie Tung: Book Love. Eine Liebeserklärung an das Lesen. Graphix Loewe Verlag, 144 Seiten, 16 €


Düstere Geheimnisse
Ganze 13 Jahre hat es gedauert, bis Bret Easton Ellis, berühmt vor allem durch American Psycho und Unter Null, einen neuen Roman veröffentlichte. Einen besonderen: Schon vor zwanzig Jahren entwickelte der Protagonist den Drang, der nicht zufällig auch den Namen „Bret“ trägt und zahlreiche Parallelen zum Autor aufweist, aufzuschreiben, was ihm und einigen Freund:innen zu Beginn des Abschlussjahres 1981 auf der Buckley School widerfahren ist. Es ist nicht klar, was nun der Fiktion entspricht und was den Fakten, der Autor selbst hält sich dazu bedeckt. Aber das ist eigentlich auch gar nicht wichtig. Der Roman, der sich zu Anfang ganz unbeschwert liest und von einigen wohlhabenden Jugendlichen erzählt, die kurz vor dem Eintritt ins Erwachsenen-Leben stehen und den kalifornischen Sommer unbeschwert mit Drogen, Feiern und Sex zelebrieren, entwickelt sich im weiteren Verlauf zu einer düsteren und verstörenden Erzählung. Die heile College-Welt bekommt Risse, als eine Reihe von Morden im schillernd-bedrohlichen Los Angeles durch den Killer „Trawler“ geschehen und der mysteriöse Robert Mallory zu der Clique stößt. Bret findet ihn schon ab der ersten Begegnung seltsam und spürt, dass Robert ein Geheimnis besitzt, das aufgedeckt werden muss. Das Buch ist eine Reise in das Los Angeles der 80er Jahre: Grausam, düster, komisch und gleichzeitig faszinierend, absolut nichts für schwache Nerven. Die Story entwickelt eine fesselnde Sogkraft, der ich mich kaum entziehen konnte.

Bret Easton Ellis: The Shards. Verlag Kiepenhauer & Witsch, 736 Seiten, 28 €

Weißes Rauschen
Gehalten von ihrem Partner fährt die junge Kommissarin Elin Warner der Verlobungsfeier ihres Bruders in einem supermodernen Hotel versteckt in den Wäldern auf dem Gipfel eines Berges entgegen. Ein schönes Ereignis in einer beeindruckenden Landschaft. Idyllisch. Doch bereits in der Gondel der Seilbahn ist die Protagonistin erfüllt von innerer Unruhe und bösen Vorahnungen. Nach einem einschneidenden Ereignis bei der Arbeit an ihrem letzten Fall, ist Elin beurlaubt und versucht die Phantome des Falles loszuwerden. Auch die Beziehung zu ihrem Bruder ist keine gute und obwohl sie nicht erahnen kann, was bereits Schreckliches im ehemaligen Sanatorium vor sich geht, fühlt sie sich von diesem Ort bedroht. Sarah Pearse gelingt es, eine beklemmende Atmosphäre zu schaffen, die sich in jedem Kapitel enger auf die Brust legt. Oft verschlägt einem das plötzliche Auftreten des Mörders den Atem. Gefangen durch einen Schneesturm, gibt es nur noch eine Möglichkeit, für Elin sich und ihre Lieben zu retten.

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Ohne Geld, ohne Plan, aber dafür mit den Seepferdchen im Kofferraum.
Habt ihr Lust auf einen total verrückten Roadtrip von vier Freunden in einem Golf Bon Jovi und einem Aquarium voller Seepferdchen im Kofferraum? Stellt euch vor, Take That haben sich gerade getrennt, die Welt tanzt Macarena und Bundestrainer Berti Vogts kämpft bei der EM ums berufliche Überleben. In diesem Setting verabschieden sich Tobis Eltern in einen zweiwöchigen Urlaub. Tobi will die Gelegenheit beim Schopfe packen und drei Projekte angehen: Zum ersten Mal mit Lisa schlafen, die Führerscheinprüfung bestehen und sich um Papas Seepferdchen kümmern. Alle drei Projekte werden scheitern - soviel darf hier verraten werden. Stattdessen erhält sein Kumpel Georg eine Nachricht von seiner totgeglaubten Mutter aus London. Daraufhin klaut dieser mit Tobi und zwei Freund:innen ein Fahrschulauto, und reist von der Ostsee über die Niederlande bis nach England. Zierfische in Händen von Idioten ist ein kurzweiliger und lustiger Roman, der uns zurück in den EM-Sommer 1996 katapultiert und einfach einen Riesenspaß macht. Kein Wunder, denn der Autor ist Autor für die Heute Show, Pastewka und für LOLLast One Laughing. Gute Fahrt beim Lesen!


Manuel Butt: Zierfische in Händen von Idioten. Kein & Aber, 384 Seiten, 24 €

Das ist mein aktuelles Buch
Amjahid:

Let's talk about sex, Habibi. Piper Verlag, 224 Seiten, 18 €

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