Hrůša & Wiener Philharmoniker
10. Dezember 2025 19:30 Uhr
Großer Saal
Große Orchester IV

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10. Dezember 2025 19:30 Uhr
Großer Saal
Große Orchester IV

Hans Graf und das Bruckner Orchester Linz läuten




Das Programm auf einen Blick
Wie häufig in der Folklore liegen Schönheit und Grausamkeit dicht beieinander. So geht die scheinbar unbeschwerte Ausgelassenheit von Zoltán Kodálys Tänzen aus Galanta auf ›Anwerbungstänze‹ zurück, mit denen Husaren Männer für den Militärdienst warben. In Béla Bartóks Tanzpantomime Der wunderbare Mandarin wiederum thematisiert der Komponist die »Häßlichkeit und Widerlichkeit der zivilisierten Welt« mit kühnen modernen musikalischen Mitteln. Dem Werk gegenüber steht in der zweiten Hälfte Antonín Dvořáks Symphonische Dichtung Die Waldtaube nach der Balladensammlung Blumenstrauß nationaler Sagen des tschechischen Dichters Karel Jaromír Erben, ein folkloristischer Stoff, der uralt und modern zugleich wirkt. Leoš Janáček, der die Uraufführung des Werks in Brünn dirigierte, ließ sich maßgeblich von Dvořáks Variations und Instrumentationstechniken inspirieren, unter anderem in seiner programmatischen Rhapsodie Taras Bulba nach Nikolai Gogols gleichnamiger Novelle.
Zoltán Kodály 1882–1967
Tänze aus Galanta // 1933
Lento – Andante maestoso – Lento –
Allegretto moderato – Andante maestoso –
Allegro con moto, grazioso – Andante maestoso –
Allegro – Poco meno mosso – Allegro vivace –Andante maestoso – Allegro molto vivace
Béla Bartók 1881–1945
Der wunderbare Mandarin. Musik aus der gleichnamigen Pantomime op. 19 // 1918–19, 1923–24, 1926–28
Allegro – Energico – Vivo –
Moderato. Rubato – Più mosso – Comodo – Vivace –
Sostenuto – Allegretto – Tranquillo – Vivace –
Sostenuto – Agitato – Maestoso (subito) –Non troppo vivo – Vivo – Lento – Allegretto –
Tempo di Valse –
Allegro – Sempre vivace
// Pause //
Antonín Dvořák 1841–1904
Die Waldtaube. Symphonische Dichtung op. 110 // 1896
Andante. Marcia funebre –Allegro – Andante. Tempo I –Molto vivace – Allegretto grazioso –Andante – Tempo I. Meno mosso –Andante. Tempo I – Più lento
Leoš Janáček 1854–1928
Taras Bulba. Rhapsodie für Orchester // 1915, 1918
I Andrejs Tod
II Ostaps Tod
III Prophezeiung und Tod des Taras Bulba
Konzertende: ca. 21:30 Uhr
Wiener Philharmoniker
Jakub Hrůša Dirigent
Zoltán Kodály // Tänze aus Galanta
Wenn Sie mich fragen, in welchen Werken der ungarische Geist am vollkommensten zum Ausdruck gebracht wurde, kann ich Ihnen nur eine Antwort geben: in den Werken Kodálys. Diese Werke sind das Glaubensbekenntnis der ungarischen Seele.
Béla Bartók in seinem Vortrag Ungarische Volksmusik und neue ungarische Musik, 1927
Der Hauptmann begann mit bedächtig langsamen, eleganten Bewegungen. Dem folgten die Offiziere mit immer beschwingteren Choreografien, ehe die jüngsten der insgesamt zwölf Soldaten mit wilden, energetischen Sprüngen in den Tanz einstiegen … so darf man sich die im ausgehenden 18. Jahrhundert populären ›Anwerbungstänze‹ vorstellen, mit denen Husaren in Ungarn junge Männer für den Militärdienst zu rekrutieren versuchten. Erst mit Einführung der allgemeinen Wehrpflicht Mitte des 19. Jahrhunderts fand dieses Zeremoniell ein Ende, die Musik allerdings lebte in Form der Verbunkos weiter, die über sogenannte ›Zigeunerkapellen‹, bestehend aus Geige, dem klarinettenähnlichen Tárogató, Zymbal sowie bei größeren Ensembles auch Flöte, Dudelsack und Schlaginstrumente, den Weg in die Konzertsäle fanden.
Auch in Zoltán Kodálys Tänzen aus Galanta (Galántai táncok) spielen Verbunkos eine zentrale Rolle, griff der Komponist doch auf Tänze der Sinti und Roma aus der Gegend um die ungarische Kleinstadt Galanta (heute: Slowakei) zurück: »Galanta ist ein kleiner ungarischer Marktflecken an der alten Bahnstrecke WienBudapest«, so Kodály, »wo der Verfasser sieben Jahre seiner Kindheit verbrachte. Damals wohnte dort eine berühmte Zigeunerkapelle, die dem Kinde den ersten ›Orchesterklang‹ einprägte. Um 1800 erschienen in Wien einige Hefte ungarischer Tänze, darunter eines ›von verschiedenen Zigeunern aus Galántha‹. Jenen Heften entstammen die Hauptmotive dieses Werkes.« Anlass für die Komposition der Tänze aus Galanta waren die Feierlichkeiten zum 80
jährigen Bestehens der Philharmonischen Gesellschaft in Budapest, im Rahmen derer das Werk am 23. Oktober 1933 unter der Leitung von Ernö von Dohnányi uraufgeführt wurde. Für Kodály bildete die Auseinandersetzung mit der Volksmusik seiner Heimat eine Lebensaufgabe, der er sich als Komponist, aber auch als Musikethnologe und pädagoge widmete. Im Zentrum stand für ihn stets der Gesang als unmittelbarste Form künstlerischen Ausdrucks, dem er sich vor allem zu Beginn und am Ende seines Schaffens verstärkt widmete. Doch auch in seinen

Ein Dudelsackspieler des Eszterházy’schen Husarenregiments bei der Soldatenwerbung, Zeichnung von József Bikkessy Heinbucher, 1816
Instrumentalwerken, ihrer Form, Phrasierung und Melodik, zeigt sich Kodálys Ideal des Volksliedes, das für ihn die Grundlage aller Komposition darstellte: »Unser Zeitalter der Rationalisierung führt auf einen Weg, an dessen Ende der Mensch selbst zur Maschine wird; nur der Geist des Singens kann uns vor diesem Schicksal bewahren.«
Rondo Satzform, in der ein gleichbleibender Refrain mit unterschiedlichen Couplets abwechselt
Kodálys Tänze aus Galanta bestehen aus fünf nahtlos ineinander übergehenden Abschnitten. Nach einer von prunkvoll punktierten Rhythmen und rhapsodischen Soloeinwürfen der Klarinette geprägten Intrada stellt Letztere das sehnsuchtsvoll singende Hauptthema vor, das im Verlauf der Komposition mehrmals rondoartig wiederkehrt. Das im Allegretto moderato enigmatisch auf und ab tänzelnde Flötenthema greift im Anschluss die VerbunkoTradition auf, bei der ein langsamer Teil (›lassú‹ oder ›lassan‹) sich sukzessive steigert, bis er in eine rasante ›Friska‹ (oder ›friss‹) mündet. Nach der Wiederkehr des Hauptthemas im Tutti spielt die Oboe eine heiterunschuldige Tanzmelodie, die sich über das verspielte Miteinander der Holzbläser nach und nach auf das ganze Orchester ausbreitet, ehe rasante Sechzehntelkaskaden eine virtuose Schlussstretta ankündigen. Doch unversehens stockt der musikalische Fluss, ein neckisches Holzbläsermotiv scheint die überbordende Dramatik regelrecht zu verspotten, zuletzt verliert sich die Musik wieder in den rhapsodischen Weiten des Beginns … ehe die Tänzer ein letztes Mal all ihre Energie bündeln und das Werk mit virtuosen Sprüngen beenden.


Motiv aus den Tänzen aus Galanta in Kodalys Handschrift
Béla Bartók // Der wunderbare Mandarin
Als sich Zoltán Kodály und Béla Bartók Anfang des Jahres 1905 erstmals in Budapest trafen, beschlossen sie sogleich ihrer beider Begeisterung für die Erforschung traditioneller Volkslieder zu bündeln. Das Ergebnis wurde ein Jahr später als Sammelband unter dem Titel Magyar népdalok (Ungarische Volkslieder) veröffentlicht und enthält zehn von Bartók sowie zehn von Kodály transkribierte Volkslieder für Gesang und Klavier, mit dem Ziel, so beide Komponisten im Vorwort, »die Öffentlichkeit dazu zu bringen, Volkslieder kennen und schätzen zu lernen.« Während beide ihre Tonsprache damit auf demselben Grundmaterial aufbauten, schlug Bartók im Vergleich zu seinem ein Jahr jüngeren Kollegen mit der Zeit einen ungleich radikaleren Weg ein. Die dieser Radikalität innewohnende

Béla Bartók // Der wunderbare Mandarin
Sprengkraft entlud sich mit beispielloser Vehemenz am 27. November 1926, sieben Jahre vor Kodálys Tänzen aus Galanta, als Bartóks einaktige Tanzpantomime Der wunderbare Mandarin (A csodálatos mandarin) an der Kölner Oper Premiere feierte. Grund hierfür war neben Bartóks avancierter Musik zuvorderst die als anrüchig empfundene Handlung, die der Komponist selbst wie folgt zusammenfasste:
In ihrem Unterschlupf zwingen drei Zuhälter ein schönes junges Mädchen, Männer zu sich auf die Stube zu locken, die dann die drei vereint ausrauben. Der erste ist ein armer Bursche, der zweite auch nicht viel besser, jedoch der dritte, ein reicher Chinese, verspricht einen guten Fang. Das Mädchen tanzt für den Mandarin und erweckt seine heftige Begierde. Er ist in Liebe entbrannt, dem Mädchen graut es jedoch vor ihm. Die Zuhälter überfallen den Chinesen, rauben ihn aus, ersticken ihn in den Kissen, durchstechen ihn mit dem Degen, können aber nicht mit ihm fertig werden: er wendet die sehnsuchtsvoll verliebten Augen nicht von dem Mädchen. Endlich folgt das Mädchen seinen weiblichen Instinkten, ist ihm zu Willen, und der Mandarin sinkt leblos zu Boden.
Im Zusammenspiel mit Bartóks moderner, die Psychologie der Handlung mit radikaler Direktheit auslotenden Klangsprache, kam es zum Eklat, dem auch der Dirigent des Abends, der Kölner Generalmusikdirektor und Landsmann Bartóks Jenő Szenkár, zum Opfer fiel: »Wie soll ich aber beschreiben, welchen Skandal dieses Werk beim Publikum und besonders bei der Presse hervorrief«, hielt dieser später fest. »Am Schluss der Aufführung gab es ein Pfeifkonzert und PfuiRufe! […] Der Skandal war so ohrenbetäubend und drohend, dass der eiserne Vorhang fallen musste! […] Wohl waren einzelne ›Bravo‹Stimmen zu hören, aber das alles ging in dem Tumult verloren.« Im Anschluss musste Szenkár sogar im Büro des Kölner Oberbürgermeisters Konrad Adenauer vorstellig werden: »Dr. Adenauer empfing mich kühl und reserviert, platzte aber sogleich mit der Sprache heraus, machte mir die bittersten Vorwürfe, wie es mir eingefallen wäre, so ein Schmutzwerk aufzuführen, und forderte die sofortige Absetzung des Werks! Ich versuchte ihn von seinem Irrtum zu überzeugen; Bartók sei unser größter zeitgenössischer
Béla Bartók
Komponist, man möge sich nicht vor der musikalischen Welt lächerlich machen! Doch er beharrte auf seinem Standpunkt, das Stück musste vom Spielplan verschwinden!« Um seine Musik für das Publikum zu retten, fertigte Bartók Mitte der 1920erJahre eine stark gekürzte Konzertsuite des Bühnenwerks an; doch auch in rein musikalischer Form blieb dem Wunderbaren Mandarin mit seinen aberwitzigen Glissandi, spröden Clustern und kühnen Klangeffekten der Zuspruch des breiten Publikums seiner Zeit verwehrt.
Auf und ab rauschende Streichfiguren, übertönt vom signalhaften Hupen und Schreien der Bläser erzeugen zu Beginn das Bild des Straßenlärms einer Großstadt. Mit aggressiv insistierenden Figuren der Bratschen und Violinen zwingen die drei Zuhälter das junge Mädchen, Männer auf ihr Zimmer zu locken. Dreimal hebt sie darauf ihren Sirenengesang in der Klarinette an; nachdem sie erst einen alten Kavalier, anschließend einen arglosen Jüngling zu sich ruft – beide bargeldlos und umgehend von den drei Zuhältern hinausgeworfen –, erscheint beim dritten Mal der mysteriöse Mandarin, dargestellt von drei machtvoll abwärts fallenden Glissandi der Posaunen von As nach F. Dieses Motiv greift auch der anschließende Verführungstanz der Frau auf, der sich im Walzertakt, schwankend vor wankelmütigen Rhythmuswechseln, steigert, ehe der Mandarin auf dem musikalischen Höhepunkt die Arme um sie schlingt. In einem wilden Fugato gelingt es ihr, sich aus seinem Griff zu befreien, sie flieht, er jagt ihr hinterher, fällt, richtet sich wieder auf, stürzt ihr erneut nach und mit drei ekstatischen Akkorden endet die Konzertfassung von Bartóks Der wunderbare Mandarin in spannungsvoller Ungewissheit.
»Die Kölner sind im Allgemeinen im Theater sehr geduldig. Den reichen kakophonen Segen ließen sie widerstandslos über sich ergehen. Als aber [...] gewürgt und gestochen wurde, als der nichtumzubringende Wundermann minutenlang in den Schlingen hängen mußte [...], da meldete sich starker Protest. Einige Besucher verließen, ostentativ die Türe werfend, das Theater.«
Kritik zur Uraufführung im Kölner Tageblatt vom 29. November 1926
Antonín Dvořák // Die Waldtaube
Als Antonín Dvořák im September 1892 an Bord des deutschen Schiffes ›Saale‹ den Hafen von New York erreichte, um seine Stelle als Direktor des National Conservatory of Music of America anzutreten, standen ihm zweieinhalb Jahre voll schöpferischer Inspiration, Schaffenskraft und in der Folge beispiellosen öffentlichen Ruhms bevor. Anders als es die lebhaften Klänge der hier entstandenen 9. Symphonie eMoll oder des 12. Streichquartetts FDur vermuten lassen, litt der tschechische Komponist dabei unter einer Krankheit, deren Heilung in der ›neuen Welt‹ faktisch unmöglich war: Heimweh. So schrieb etwa seine Schwägerin Terezie Koutecká nach ihrem Besuch in New York am 25. Februar 1894 an Dvořáks Freund Alois Göbl: »Trotz seiner glänzenden Position und seines materiellen Wohlstands hat er schreckliches Heimweh nach seinem Land […]. Bei meiner Abreise aus New York, als mich alle an Bord begleiteten, brach Dvořák in Tränen aus und sagte: ›Wenn ich könnte, würde ich mit Ihnen fahren und wenn es nur auf dem Zwischendeck wäre.‹« Auch Dvořáks Sohn Ottokar hielt später fest: »Unter Stress begann mein Vater immer stärker zu rauchen und hatte Probleme mit seinen Nerven und Depressionen. […] Manchmal hatte er Angst vor Wägen und anderen Fahrzeugen auf der Straße. […] Er wollte an seine Geburtsstätte zurückkehren und sie niemals wieder verlassen.«
Vielleicht war es eben diese Sehnsucht nach der Heimat, die Dvořák veranlasste, sich schon bald nach seiner Rückkehr nach Prag im Frühjahr 1895 mit dezidiert böhmischen Themen zu befassen und sich dabei künstlerisch auf für ihn bisher unbekanntes Terrain zu begeben. So entstanden, beginnend im Jänner 1896, in rascher Folge die vier Symphonischen Dichtungen Der Wassermann op. 107, Die Mittagshexe op. 108, Das goldene Spinnrad op. 109 und Die Waldtaube op. 110, deren Programme er dem Blumenstrauß nationaler Sagen des Dichters Karel Jaromír
Erben entnahm. Nicht wenige Zeitgenossen reagierten überrascht, dass Dvořák im zu jener Zeit schwelenden KunstKonflikt zwischen ›Traditionalisten‹ und ›Neutönern‹ mit dem Aufgreifen märchenhafter Motive und konkreter Programme mit einem Mal auf Seite der Letzteren zu stehen schien. Hatte er mit seinem umfangreichen symphonischen und kammermusikalischen Schaffen zeitlebens Partei für die der ›absoluten Musik‹ verpflichteten Kollegen um seinen Förderer und Freund Johannes Brahms ergriffen, meinten viele nun, in dieser späten Hinwendung zur Programmmusik ein Einlenken zugunsten der Ästhetik Richard Wagners und Franz Liszts zu erkennen. So ereiferte sich etwa der ihm bisher gewogene ›Kritikerpapst‹ Eduard Hanslick anlässlich der Wiener Erstaufführung von Der Wassermann im Dezember 1896 in der Neuen Freien Presse: »Wie man einen so gräßlichen, jedes feinere Gefühl empörenden Stoff zu musikalischer Darstellung sich wählen könne, ist mir nicht recht begreiflich. […] Ich fürchte, Dvořák hat mit dieser detaillirten ProgrammMusik eine abschüssige Bahn betreten, welche am Ende direct zu – Richard Strauß führt.«
»Welch seltsam neueste Passion Dvořák’s für das Grauenhafte, Widernatürliche und Gespenstige, das seinem echt musikalischen Sinn, seiner liebenswürdig menschlichen Natur doch so wenig entspricht!«
Eduard Hanslick am 5. Dezember 1899 in der Neuen Freien Presse über die Wiener Erstaufführung von Die Waldtaube
Tatsächlich wollte sich Dvořák mit seinen vier Symphonischen Dichtungen, die er 1897 noch um eine fünfte mit dem Titel Heldenlied ergänzte, keinesfalls in eine Reihe mit den ›Neutönern‹ stellen. Vielmehr bilden die Werke eine faszinierende Schnittstelle zwischen seiner absoluten Instrumentalmusik und seinem musikdramatischen Schaffen, dem er sich in den folgenden Jahren bis zu seinem Tod mit der Komposition der Opern Teufelskäthe (1898), Rusalka (1900) und Armida (1903) praktisch ausschließlich widmete. Welchen Einfluss er damit auf die musikalische Avantgarde seiner Zeit ausübte zeigt dabei schon allein die Tatsache, dass die Uraufführung der Waldtaube 1898 in Brünn von Leoš Janáček, die Wiener Erstaufführung im Jahr darauf von Gustav Mahler geleitet wurde.

Antonín Dvořák // Die Waldtaube
Die Geschichte der Waldtaube ist so schlicht wie tragisch: Während eine Frau um ihren verstorbenen Gatten trauert, lernt sie einen jungen Mann kennen, der sie umwirbt und den sie schließlich heiratet. Als jedoch das Gurren der Waldtaube erklingt – die Seele des Verstorbenen symbolisierend – erfahren wir, dass die Frau ihren Mann vergiftet und die Trauer nur vorgespielt hat. Von Gewissenqualen gepeinigt stürzt sie sich in die Fluten eines Flusses.
Dieser märchenhaftschauerlich Tonfall des Werkes ist schon vor dem Erklingen der ersten Note mit der Spielanweisung gegeben: Andante. Marcia funebre. Im gleichförmig schreitenden Tempo eines Trauermarsches stellen Streicher und Flöten ein klagendes Thema vor, das im weiteren Verlauf immer wieder von schluchzenden Vorhaltsketten der Violinen durchbrochen wird, deren Theatralik schnell offenbart, dass es sich hier um gespielte, unechte Trauer handelt. Plötzlich erklingt munterer Trompetenklang aus der Ferne: Ein junger Bursche nähert sich und umgarnt die Frau mit harfenumrauschten Liebesbekundungen. Ihr Widerstand – symbolisiert durch die Wiederkehr des Trauermarsches –bricht nach und nach. Im Molto vivace des Mittelteils findet die Hochzeit der Frischverliebten statt: derb, wild, von zügellosen Taktwechseln angespornt und schließlich in ein sinnliches Allegretto grazioso mündend. Doch unvermittelt erklingen Triller und Tremoli in Flöte, Oboe und Harfe: »Aus den Zweigen der frisch grünenden Eiche, die das Grab ihres – durch sie vergifteten – ersten Gatten beschattet, ertönt das klagende Gurren der Waldtaube«, ist in der Partitur zu lesen. Die Musik schwillt an, steigert sich zu dramatischer Wucht und kulminiert an jenem Punkt, an dem die Frau zuletzt »dem Wahnsinn verfällt und in den Wellen den Tod findet«. Noch einmal beginnt der Trauermarsch, doch just als man denkt, die Musik wolle im trostlosen Pianissimo versinken, überraschen uns sphärische Harmonien in den Holzbläsern: Das mahnende Gurren der Waldtaube verwandelt sich in mystische Rufe aus der Höhe und die Seele der Verstorbenen scheint, geläutert und gerettet, in den Himmel aufzusteigen.
Leoš Janáček // Taras Bulba
»Nicht weil er seinen eigenen Sohn erschlug, um ihn für den Verrat an seinem Volk zu strafen […]; nicht wegen des Märtyrertodes seines zweiten Sohnes […]; sondern darum, weil ›sich auf der ganzen Welt keine Feuerflammen, keine Folterqualen finden, die imstande wären, die Kraft des russischen Volkes zu vernichten‹ – um dieser Worte willen, die in die sengenden Funken und Flammen des Scheiterhaufens fallen, auf dem der ruhmreiche Kosakenhauptmann Taras Bulba den Tod erlitt […], habe ich diese Rhapsodie nach der von N. W. Gogol verfaßten Sage komponiert.« Große Worte fand Leoš Janáček anlässlich der Prager Erstaufführung seiner Rhapsodie für Orchester Taras Bulba 1924, drei Jahre nach deren Uraufführung in Brünn. Zum einen bezog er sich damit auf Nikolai Wassiljewitsch Gogols gleichnamige Erzählung und dem dort dargestellten Kampf zwischen Saporoger Kosaken und Polen im RussischPolnischen Krieg der Jahre 1654 bis 1667, zum anderen spiegelte diese Geschichte auch Janáčeks Gegenwart wider: Den Kampf Russlands gegen Deutschland und ÖsterreichUngarn im Ersten Weltkrieg.

Fast zwanzig Jahre zuvor hatte der Komponist Gogols Text kennengelernt, der 1835 in der Kurzgeschichtensammlung Mirgorod erschien war, benannt nach der ukrainischen Stadt Myrhorod, in deren Nähe der Schriftsteller einen Großteil seiner Jugend verbracht hatte. Den Aufstand der Kosaken gegen die polnische Fremdherrschaft setzte Gogol mit dem fiktiven Helden Taras Bulba ein blutiges, selbst wiederum unverhohlen nationalistisches Bild entgegen, dessen archaische Kraft gerade vor den Geschehnissen des Ersten Weltkriegs enorme Faszination auf Janáček ausübte.
In Gogols Erzählung verpflichtet Taras Bulba seine beiden Söhne Andrej und Ostap, am Aufstand der Kosaken gegen Polen teilzunehmen. Während der Belagerung von Dubno verliebt sich Andrej, der jüngere und sensiblere der Brüder, in die Tochter des polnischen Heerführers und kämpft fortan auf Seiten des Gegners. Als Taras Bulba von diesem Verrat erfährt, jagt er Andrej in ein abgelegenes Waldstück und erschießt ihn. »Bleich wie ein Laken war der arme Andrej«, erzählt Gogol, »leise, leise regten sich seine Lippen und murmelten einen Namen. Doch war es nicht der Name des Vaterlandes und nicht der Name seiner Brüder –es war der Name der schönen Polenmaid.« Als Ostap im Getümmel der anschließenden Schlacht gefangengenommen wird, folgt ihm der hierbei verwundete Taras Bulba nach Warschau, wo er Zeuge der Folter und Hinrichtung seines Sohnes wird. Wieder auf dem Schlachtfeld gerät auch er zuletzt in die Hände der Polen, die ihn an einen Baumstumpf nageln und bei lebendigem Leib verbrennen, währenddessen Taras Bulba jene Worte ruft, die Janáček zur Komposition des Werkes inspiriert haben.
Im ersten Satz Andrejs Tod folgt Janáček dem Schicksal des jüngeren Sohnes Taras Bulbas: Eine sehnsuchtsvolle Kantilene des Englischhorns über warm pulsierenden Streichakkorden zeichnet das Charakterbild eines melancholischen, empfindsamen Menschen, in das sich nach und nach ein unruhiges chromatisches Motiv und Glockenschläge einschleichen. Orgelklänge und zarte Melodien der Holzbläser symbolisieren Andrejs heimliche Besuche bei seiner Geliebten in Dubno, die ihn über einen unterirdischen Gang durch eine Klosterkirche führen. Die
Leoš Janáček // Taras Bulba
Musik schwillt zu immer größeren Bögen an, ehe mit einmal Glockenklänge und scharfe Dissonanzen in den Violinen die nahende Schlacht ankündigen. Taras Bulba galoppiert mit einem markanten Posaunenmotiv einher, es kommt zu einer wilden Verfolgungsjagd, an deren Ende der Vater seinen Sohn kaltblütig erschießt. Noch einmal erklingt das

sehnsuchtsvolle Liebesmotiv, die Worte Gogols in Erinnerung rufend, der Andrej noch einmal den Namen der Geliebten in den Mund legt.
Der zweite Satz, Ostaps Tod, beginnt mit dem spannungsvollen Nebeneinander wogender Harfenklänge und kraftvoll marschierender Streichermotive, aus denen sich schließlich ein kämpferisch vorwärtsdrängender Rhythmus herausschält. Was wie eine Charakterstudie des zwischen Stolz und Schmerz schwankenden Gefangenen Ostap anmutet, wird im Mittelteil von einer feierlichen Mazurka abgelöst, den Triumph der Polen symbolisierend und immer wieder unterbrochen von wehmutsvollen Einwürfen Ostaps. Markante Tuttiakkorde im Fortissimo stellen die Folter des Gefangenen dar, die dieser still erduldet, ehe ihm zuletzt ein verzweifelter Schrei entfährt: »Vater! Wo bist du? Hörst du nicht, was sie mir tun?« Janáček inszeniert ihn als dissonanten Ruf der EsKlarinette, dem der in der Menge stehende Taras Bulba, wiederum im tieferen Register desselben Instruments dargestellt, antwortet. »›Ich hör es!‹ klang es stark durch die Stille; und jedem einzelnen unter dem zahllosen Volk kroch kalt ein Schauer den Rücken herunter. Die berittenen Wächter durchforschten hastig die Menge. […] Taras aber […] war verschwunden, als sei er nie dagewesen.«
Der abschließende Satz beschreibt die Prophezeiung und Tod des Taras Bulba. Schmerzhafte Bläsereinwürfe über prasselnden Sextolenketten in den Streichern stellen das Züngeln der Flammen des Scheiterhaufens ebenso wie den unbeugsamen Charakter des Kosaken dar.
Krakowiak polnischer Volkstanz im raschen 2/4Takt
Im Rhythmus eines Krakowiak feiern die Polen Ihren Sieg über den Taras Bulba, dessen kraftvolle Stimme immer wieder in den Posaunen durch das Getümmel dringt. Nachdem es ihm mit seinen warnenden Rufen gelungen ist, seinen Kameraden zur Flucht zur verhelfen, steigert sich die Musik in der Coda zu einem triumphalen Hymnus: Orgelklänge, Blechbläserfanfaren und Streichtremoli untermalen Taras Bulbas letzte Worte, ehe das Werk zwischen volksliedhafter Verklärung und archaischer Wucht zur finalen Apotheose findet.
Andreas Meier
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Sa, 19. Sep 2026, 19:30 Rakitina, Dohr & Bruckner Orchester Linz
Di, 20. Okt 2026, 19:30 Jacquot, Tamestit, Apkalna & WDR Sinfonieorchester
Mi, 18. Nov 2026, 19:30 Mäkelä & Royal Concertgebouw Orchestra
Do, 3. Dez 2026, 19:30
Altinoglu & Wiener Philharmoniker
Fr, 15. Jän 2027, 19:30 Hrůša, Gerstein & Bamberger Symphoniker
Di, 2. Mär 2027, 19:30 Altinoglu, Hagen & hrSinfonieorchester
Mi, 17. Mär 2027, 19:30 Manacorda, Saadi & Bruckner Orchester Linz
Mo, 12. Apr 2027, 19:30 Bychkov, Cho & Tschechische Philharmonie
Mo, 24. Mai 2027, 19:30 Fischer, Altstaedt & Budapest Festival Orchestra
Abonnements und Infos: +43 (0) 732 77 52 30 brucknerhaus.at


Dirigent
Jakub Hrůša ist Chefdirigent der Bamberger Symphoniker, Generalmusikdirektor des Royal Opera House Covent Garden sowie designierter Musikdirektor der Tschechischen Philharmonie. Er ist regelmäßig Gast bei den bedeutendsten Orchestern der Welt: den Berliner, Wiener und Münchner Philharmonikern, der New York Philharmonic, dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, dem NHKSinfonieorchester, bei Chicago und Boston Symphony, dem Lucerne Festival, dem Gewandhausorchester Leipzig, dem Royal Concertgebouw, dem Mahler Chamber Orchestra und dem Cleveland Orchestra, der Staatskapelle Dresden, dem Orchestre Philharmonique de Radio France, dem Orchestre de Paris und dem Tonhalle Orchester Zürich. Er dirigierte an der Opera of Chicago, bei den Salzburger Festspielen, an der Wiener Staatsoper, am Royal Opera House, der Opéra National de Paris, der Oper Zürich und beim Glyndebourne Festival.
Für seine Aufnahmen mit den Bamberger Symphonikern erhielt er 2023 einen ICMA für Hans Rotts 1. Symphonie und 2022 einen ICMA für Bruckners 4. Symphonie, den Jahrespreis der deutschen Schallplattenkritik für Mahlers 4. Symphonie, einen BBC Music Magazine Award für die Aufnahme von Martinůs 4. Symphonie und Dvořáks Klavierkonzert mit Ivo Kahánek sowie Gramophone und BBC Music Magazine AwardNominierungen für MartinůViolinkonzerte mit Frank Peter Zimmermann. Bei den deutschen OPUS KLASSIKPreisen 2023 wurde er zum Dirigenten des Jahres gekürt. Hrůša studierte an der Akademie der musischen Künste in Prag unter anderem bei Jiří Bělohlávek. Er ist Präsident des International Martinů Circle und der Dvořák Society. Er war der erste Gewinner des SirCharlesMackerrasPreises und wurde 2020 mit dem AntonínDvořákPreis der tschechischen Akademie für klassische Musik und mit dem Bayerischen Staatspreis für Musik ausgezeichnet. 2023 wurde Jakub Hrůša die Ehrenmitgliedschaft der Royal Academy of Music in London verliehen.

Kaum ein anderer Klangkörper wird enger mit der Geschichte und Tradition der europäischen klassischen Musik in Verbindung gebracht als die Wiener Philharmoniker. Im Laufe seines mehr als 180jährigen Bestehens prägte das Orchester das musikalische Weltgeschehen. Die Faszination, die die Wiener Philharmoniker seit ihrer Gründung durch Otto Nicolai im Jahre 1842 auf die größten Komponisten und Dirigenten sowie auf das Publikum in aller Welt ausüben, beruht auf der bewusst gepflegten Homogenität des Musizierens und auch auf der einzigartigen Geschichte des Orchesters. Tragende Säulen sind die demokratische Grundstruktur, die die gesamten künstlerischen und organisatorischen Entscheidungen in die Hand der Orchestermitglieder legt, sowie die enge Symbiose mit dem Orchester der Wiener Staatsoper. Die Statuten der Wiener Philharmoniker legen fest, dass nur ein Mitglied des Orchesters der Wiener Staatsoper Mitglied der Wiener Philharmoniker

werden kann. Die internationale Konzerttätigkeit der Wiener Philharmoniker setzte Anfang des 20. Jahrhunderts ein. Sie brachte das Orchester quer durch alle Kontinente mit regelmäßigen Gastspielen in Deutschland, Japan, den USA und China. 2018 wurde die Orchesterakademie der Wiener Philharmoniker gegründet. Die Akademistinnen und Akademisten werden mittels Probespiel in einem international ausgerichteten Verfahren ausgewählt und zwei Jahre lang auf höchstem Niveau ausgebildet. Mit seinen jährlich mehr als 40 Konzerten in Wien, darunter das Neujahrskonzert und das Sommernachtskonzert im Schlosspark von Schönbrunn, die in viele Länder der Welt übertragen werden, mit seinen seit 1922 stattfindenden Aufführungen bei den Salzburger Festspielen und mit mehr als 50 Konzerten im Rahmen internationaler Gastspiele zählen die Wiener Philharmoniker zu den führenden Orchestern der Welt. Seit 2008 werden sie von Rolex als Exklusivsponsor unterstützt.

Herausgeberin
Linzer Veranstaltungsgesellschaft mbH, Brucknerhaus Linz, Untere Donaulände 7, 4010 Linz
Künstlerischer Direktor
Norbert Trawöger
Programmplanung & Dramaturgie
Andreas Meier (Leitung), Paula Schlüter
Redaktion
Andreas Meier
Grafik
Anett Lysann Kraml, Lukas Eckerstorfer
Abbildungen gemeinfrei (S. 7, 8 & 18), privat (S. 9 & 14), Mährisches Landesmuseum (S. 16), I. Ehm (S. 23), J. Wesely (S. 24–25)
Programm- und Besetzungsänderungen vorbehalten LIVA – Ein Mitglied der Unternehmensgruppe Stadt Linz
Wir danken für Ihren Besuch und wünschen Ihnen ein schönes Konzert!
















