Juni 2017

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Nr. 02 — 2 017

DAS MAGA ZIN DER B E R LI N E R PH I LH AR M ON I K E R

DIE MUSIK UND DIE NATUR € 7,00 (D)

Nr. 02 — 2 017

KWL_ANZEIGE_BPHIL_MAGAZIN_4C_230X290_1-2017.indd 1

27.01.17 10:39

NEUERFUNDEN AUS RUINEN

GUSTAVO DUDAMEL IM INTERVIEW

VOKALHELDEN JUGENDCHOR

Die Geschichte der Waldbühne

Der Dirigent spricht über seine Natur

Alteingesessene und Neuangekommene


VORSPIEL — EDITORIAL

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»128« heißt dieses Magazin der Berliner Philharmoniker, abgeleitet von der Anzahl der Mitglieder des Orchesters (wenn es voll besetzt ist). Mit diesem Namen und dem Seitenumfang des Hefts wollen wir betonen, woraus die Besonderheit dieses Kollektivs erwächst: aus den ganz individuellen Qualitäten jedes einzelnen Musikers, jeder einzelnen Musikerin, die schließlich im Spiel einen einzigartigen Ensemblegeist prägen.


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Liebe Musikfreunde, Italiener kommen selten auf den Gedanken, ihr Essen im Freien zu genießen: Man isst im Haus; die Gastgärten scheinen eher für Touristen eingerichtet zu sein – für Menschen also, die daheim, nördlich der Alpen, schon im März die Straßencafés stürmen, notfalls mit Mütze und Schal. Wollte man diese Beobachtung zu einer These zuspitzen, dann könnte man sagen: Je kälter eine Region, desto stärker der Drang nach draußen. Dass Open-Air-Konzerte vor über 300 Jahren ausgerechnet in England erfunden wurden, passt ins Bild. »Die Musik und die Natur« ist das Schwerpunktthema dieser Ausgabe, und natürlich widmen wir uns darin ausführlich der Leidenschaft, die gerade das deutsche und das englische Publikum für sommerliche Freiluftkonzerte kultivieren. Stefan Dohr, Solohornist der Berliner Philharmoniker, und sein Wiener Kollege Lars Michael Stransky unterhalten sich über ihr besonders naturaffines Instrument. Und wir gehen der Frage nach, warum gerade während der Industrialisierung die Naturschilderung so mächtig Einzug in die Musik hielt. Auch im Ressort Berliner Philharmoniker bleiben wir noch kurz beim Thema: Gustavo Dudamel, der dieses Jahr unser Waldbühnenkonzert leiten wird, spricht über das Dirigieren unterm Sternenzelt. Daneben würdigen wir den Berliner Koreaner Isang Yun zum 100. Geburtstag als großen Komponisten und Humanisten. Und wir schildern, wie musikalische Variationswerke nicht nur ein Thema, sondern auch uns Hörer verändern. Im Feuilleton schließlich berichtet eine Reportage vom Jugendchor der Vokalhelden und davon, wie dort Alteingesessene und Neuangekommene das Miteinander erproben. Mit dem Ende dieser Saison endet auch meine Amtszeit als Intendant der Stiftung Berliner Philharmoniker. Ich möchte mich deshalb an dieser Stelle ganz herzlich von Ihnen verabschieden und Ihnen für Ihr Interesse an unserem Magazin »128« danken.

Herzlich, Ihr Martin Hoffmann

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V O R S P I E L — I N H A LT

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INH A LT 16

Thema: die Musik und die Natur Ein Schwerpunkt

Gustavo Dudamel Der Dirigent im Interview

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Isang Yun Komponist und Humanist

Vokalhelden Ein Besuch beim Jugendchor

Fotos: Billdmaterial der Collage von shutterstock; Wolfgang Vieweg (Yun); Los Angeles Philharmonic Association (Dudamel); Annette Hauschild (Sylvia singt)

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TH E MA: DIE MUSIK UND D I E N AT U R

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Unter freiem Himmel Es gibt immer mehr Freiluftkonzerte – mit guten Gründen.

B E R LI N E R PH I LHAR MON I KE R

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»Das scheint meine Natur zu sein« Gustavo Dudamel im Gespräch Vo n B j ø r n W o l l

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Mein Instrument als Lebenspartner Rainer Seegers und seine Pauke

FE U I LLETON

60

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Vo n L e n a P e l u l l

Vo n J o h a n n e s E h r m a n n

Berliner Freiluftluftluft Der Kommentar

Ein Sinnbild des Lebens Variationswerke verändern nicht nur ein Thema, sondern auch uns Hörer.

Sprachforscher der Architektur Der Bildhauer Albert Weis und seine Arbeiten zur Philharmonie

Vo n E l i s a b e t h B i n d e r

Vo n S u s a n n e S t ä h r

Vo n N a t a l i e S c h w a r z

Fern sei die Zivilisation Während der Industrialisierung kam die Natur in die Musik.

Direkt ins Herz des Hörers Die Oboe ist Instrument des Jahres.

Der Musikbesessene Roger Willemsen auf CD

Vo n K e r s t i n K r u p p

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Neuerfunden aus Ruinen Die Geschichte der Waldbühne Vo n K e r s t i n K r u p p

28

30

Vo n Vo l k e r H a g e d o r n

38

»Das natürlichste Instrument« Stefan Dohr und Lars Michael Stransky über das Horn Vo n L e n a P e l u l l

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Smashing Pumpkins Das Vegetable Orchestra aus Wien Vo n S e b a s t i a n F a s t h u b e r

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Lieblingsnaturmusik CD-Empfehlungen unserer Autoren

Back to the Future Andrew Normans neue Oper

64 70

Sylvia singt Der Jugendchor der Vokalhelden

104 114

Vo n N i c o l e R e s t l e

Vo n G e r h a r d F o r c k

Die Glut des europäischen Geistes Das Musikfest Berlin 2017

Fragen zur Musikliebhaberei

74

118

Diesmal an Peter Raue

Vo n H a b a k u k Tr a b e r

78

»So hat der Spieler Lust« G. Ph. Telemann zum 250. Todestag Vo n W o l f g a n g S t ä h r

82

Wer, wenn nicht der Mensch … Isang Yun: Komponist und Humanist Vo n Vo l k e r Ta r n o w

88

»Hier sehen wir die Zukunft« Die Philharmoniker auf Zypern Vo n S t a n l e y D o d d s

VOR S PI E L

03 06 08 12

Vorwort Text & Bild Nachrichten Zahlenspiel

NACH S PI E L

116 122 127 128

Bücher und CDs Konzertkalender Cartoon Impressum


VORSPIEL — TE XT & BILD

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KERSTIN KRUPP

ELISABETH BINDER

VOLK E R HAG E DOR N

Kerstin Krupp schreibt seit fast zwanzig Jahren für die »Berliner Zeitung«. Viele Jahre begleitete und analysierte die Autorin, die Journalismus, Volkswirtschaft und Politik in Köln studierte, das bundespolitische Geschehen zwischen Parlament und Ministerien, bevor sie vor vier Jahren ins Feuilleton wechselte. Als kulturpolitische Korrespondentin beobachtet sie seither mit scharfem Blick die Kulturpolitik in Berlin und dem Rest der Republik. Ihre Arbeit ist stets geprägt von der Liebe zu den verschiedenen Künsten, vor allem der Musik, was nicht zuletzt den zahlreichen Porträts, die sie über Künstler und Kulturschaffende schrieb, und den Interviews, die sie mit ihnen S.16, 22 führte, anzumerken ist. "

Dr. Elisabeth Binder ist Redakteurin für besondere Aufgaben beim »Tagesspiegel« und schreibt dort über Gesellschaftsthemen. Aufgewachsen ist sie in Westfalen. Als Kolumnistin schreibt sie seit 1988 über Restaurants und seit 2004 über Fallstricke des Alltags. Ihr erstes großes OpenAir-Erlebnis hatte sie in den frühen Achtzigerjahren in New York bei »The Met in the Park«. In den USA sollte sie damals Amerikaner für die deutsche Sprache begeistern. Unvergesslich bleibt ihr ein Konzert auf der Agora in Ephesus. Seit Mitte der 1980er Waldbühnen-Fan, hofft sie mit vielen anderen, dass die kulinarischen Einschränkungen wieder zurückgenommen werden. Sie liebt schöne Sonnenuntergänge, Mozarts Oboenkonzert und Haydns »Schöpfung«. In ihren Picknickkorb gehören Salzgebäck, Weißwein, Käsewürfel, S.26 Oliven und Erdbeeren. "

Volker Hagedorn, geboren 1961, lebt als Journalist und Musiker in Norddeutschland. Nach dem ViolaStudium in Hannover arbeitete er als Redakteur der »Hannoverschen Allgemeinen Zeitung« und der »Leipziger Volkszeitung«. Seit 1996 ist er freier Autor u. a. für »Die Zeit«, den WDR und Deutschlandradio. Als Barockbratscher spielt er u. a. mit dem Cantus Cölln; an der Oper Hannover und beim Kunstfest Weimar realisierte er Musiktheaterprojekte. Zudem ist er Kammermusikjuror beim Preis der deutschen Schallplattenkritik. 2015 erhielt Hagedorn den Preis der Ben-Witter-Stiftung. 2016 erschien im Rowohlt Verlag sein Buch »Bachs Welt« über die S.30 Familie Bach bis 1700. "

Fotos: Paulus Ponizak (Krupp); Doiris Spiekermann-Klaas TSP (Binder); Birgit Kleber (Hagedorn); Bjørn Woll (Woll); privat (Stähr); Manfred Esser (Ehrmann)

TEXT & BILD


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BJØRN WOLL

S U S A N N E S TÄ H R

JOHANNES EHRMANN

Bjørn Woll, geboren 1976, studierte an der Universität Landau (Querflöte/ Gesang) und der Universität zu Köln (Musikwissenschaft, Musiktherapie, Psychologie). Von 2008 bis 2015 war er Chefredakteur der Musikzeitschrift »Fono Forum«; heute arbeitet er als freier Radiojournalist, unter anderem für den WDR, SWR und Deutschlandfunk, sowie für verschiedene Printmedien, darunter »Die Zeit« und die »NZZ«. Außerdem ist er Mitglied der Jury des Preises der Deutschen Schallplattenkritik im Bereich Oper und Gründungsmitglied des International Classical Music Award (ICMA). An der TU Dortmund ist er seit dem Sommersemester 2016 als Vertretungsprofessor für »Musikjournalismus/Musik und Medien« tätig. 2014 erschien sein Buch »Mehr als schöne Stimmen: Alltag und Magie des Sängerberufs« in der S.50 Edition Körber-Stiftung. "

Susanne Stähr, geboren 1964 in Bad Homburg, begann ihre Berufslaufbahn beim Deutschen Historischen Museum und bei den Berliner Festspielen. Als Pressesprecherin und Dramaturgin war sie an der Hamburgischen Staatsoper und bei der Münchener Biennale für neues Musiktheater tätig, ehe sie 2001 die Leitung der Kommunikation bei den Salzburger Festspielen übernahm. Seit 2007 ist sie als Dramaturgin dem Schweizer Lucerne Festival verbunden, arbeitet aber auch regelmäßig für die Berliner Philharmoniker: mit Einführungsvorträgen und als Autorin (u. a. für die Bände »Variationen mit Orchester« und »50 Jahre Konzerte in der Philharmonie«). Als Mitglied im Vorstand der Freunde der Berliner Philharmoniker verantwortet sie die Gestaltung der Matineen. Auf SWR2 moderiert sie die Sendung »TreffS.64 punkt Klassik – Neue CDs«. "

Johannes Ehrmann, geboren 1983, kam nach dem Studium über den Fußball zum Schreiben, u. a. beim Magazin »11Freunde« und dem Berliner »Tagesspiegel«. Mit dem Team des »11Freunde«-Livetickers gewann er den Grimme Online Award. Nach einem Gastspiel bei der Nachrichtenagentur dapd, für die er von der EM 2012 aus der Ukraine berichtete, wandte er sich verstärkt nicht-sportlichen Themen zu. Mit seinem lokalen ReportageEssay »Wilder, weiter, Wedding« (»Tagesspiegel«, 2013) gewann er den renommierten Theodor-WolffPreis der deutschen Zeitungen. Die Eindrücke des Weddings und seiner Bewohner verarbeitete er in seinem Debütroman »Großer Bruder Zorn« (Eichborn, 2016). Demnächst folgt »Die Winzigkeit des Glücks«, ein Brief an seine Zwillingstöchter. S.96 "


VORSPIEL — NACHRICHTEN

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HERBERT BLOMSTEDT Z U M 9 0 . G E B U R T S TA G Er gehört wohl mit zu den Dienstältesten seiner Zunft: Herbert Blomstedt feiert am 11. Juli 2017 seinen 90. Geburtstag, und das Dirigieren ist nach wie vor sein Lebenselixier. Der in Amerika geborene Sohn schwedischer Eltern wollte ursprünglich Geiger werden. Doch während des Studiums, bei dem er auch das Pflichtfach »Dirigieren« belegen musste, entdeckte er seine eigentliche Berufung. Er ging bei Igor Markevitch und Leonard Bernstein in die Lehre und begann seine Laufbahn als Dirigent 1954 beim Philharmonischen Orchester Stockholm. 1976 gab er sein Debüt bei den Berliner Philharmonikern – zusammen mit dem damals 20-jährigen Pianisten Krystian Zimerman. Die Aufmerksamkeit der Presse

richtete sich in erster Linie auf den frischgebackenen Preisträger des Chopin-Wettbewerbs, gleichwohl blieben die dirigentischen Qualitäten Blomstedts nicht unerwähnt: Er beeindrucke – so der Tenor der Kritik – mit Begeisterungsfähigkeit und Überzeugungskraft. Immer wieder wurde Blomstedt, der im Laufe seiner Karriere u. a. Chef der Sächsischen Staatskapelle in Dresden, der San Francisco Symphony, des NDR Sinfonieorchesters (heute NDR Elbphilharmonie Orchester) und des Leipziger Gewandhausorchesters war, von den Berliner Philharmonikern eingeladen. In den letzten Jahren hat sich die Zusammenarbeit zwischen Dirigent und Orchester intensiviert, nahezu jährlich tritt er an das Pult des Klangkörpers. Im Zentrum seiner Zusammenarbeit mit den Philharmonikern steht das Werk Anton Bruckners, für das

er als Spezialist gilt. »Bruckners Symphonien sind keine Dorfkirche, sondern Kathedralen«, schwärmte der Dirigent in einem Interview für die Digital Concert Hall. Bei seinem letzten Auftritt im Januar 2017 stellte er sich dem Orchester erstmals als Brahms-Interpret vor. Die Liebe zu dem spätromantischen Komponisten entdeckte Blomstedt aber bereits in seiner Jugend. »Brahms’ Musik wärmt das Herz und freut gleichzeitig den Intellekt«, meint er und kann sich über ein Geburtstagsgeschenk der besonderen Art freuen: Als Anerkennung für die Verdienste, die er sich in den letzten sechs Jahrzehnten um die Aufführung der brahmsschen Werke erworben hat, wird er im Juni 2017 mit dem Brahms-Preis der Brahms-Gesellschaft SchleswigHolstein ausgezeichnet. NR

Fotos: M. Lengemann (Blomstedt); Thomas Trutschel/photothek.net (Weinstein); Nicolas Roux Dit Buisson (Leister)

PHILH A R MONISCHE NACHR ICHTEN


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AMNON WEINSTEIN E R H I E LT H O H E AUSZ E ICHNUNG

10 J A H R E PHILHARMONISCHE EHRENAMTLICHE

D O P P E LT E S JUBIL ÄUM FÜR K ARL LEISTER

Der israelische Geigenbauer Amnon Weinstein wurde im Dezember 2016 mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. »Mit Ihren ›Geigen der Hoffnung‹ geben Sie, Amnon, diesen verlorenen Seelen eine Stimme zurück«, würdigte ihn der damalige Außenminister und heutige Bundespräsident FrankWalter Steinmeier in seiner Laudatio. Bei den »Violins of Hope« handelt es sich um Geigen, Bratschen und Celli, die Zeugnis ablegen von der Judenverfolgung der Nationalsozialisten: Weinsteins Vater Mosche, der seit 1939 eine Geigenwerkstatt in Tel Aviv betrieb, hatte sie von Holocaust-Überlebenden und jüdischen Musikern gekauft, die vor den Nazis fliehen konnten. Denn nach den Schrecken der Shoah wollte in Israel niemand mehr auf deutschen Instrumenten spielen. Amnon Weinstein nahm sich später dieser Geigen an, restaurierte sie und erforschte die Geschichte ihrer Besitzer. Die Sammlung der Familie Weinstein,

In der Philharmonie sind sie längst ein vertrauter Anblick: die musikbegeisterten Damen und Herren, die sich seit 2007 ehrenamtlich für das Orchester engagieren. Getreu ihrem Motto »Aktiv für die Berliner Philharmoniker« ist es ihre Mission, die Philharmonie zu einem noch angenehmeren Ort zu machen, als sie es ohnehin schon ist. Hierfür beantworten die »blauen Engel« Fragen rund um die Konzerte und das abendliche Programm, geben Auskunft zu Konzertreihen, betreuen Kinder und Jugendliche während Generalproben, weisen suchend blickenden Besuchern den Weg, bestellen Taxis und nehmen Tischreservierungen für den Restaurantbesuch nach dem Konzerterlebnis vor. Zudem engagieren sich die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer zwischen 43 und 80 Jahren – gegenwärtig sind nicht weniger als 65 von ihnen im Einsatz – bei der Betreuung der Gastkünstler: Sie sorgen für eine angenehme Atmosphäre in deren Garderoben und helfen, wenn nötig, mit Bügeleisen oder Kopfschmerztabletten aus. Weiterhin begleiten die Damen und Herren in hellblau-gelb mit großem Einsatz das »Vokalhelden«-Programm der Berliner Philharmoniker, damit sich die Chorleiter auf das Wesentliche konzentrieren können: die Musik. Dass das nun seit 10 Jahren bestehende ehrenamtliche Engagement ein Erfolgsmodell werden würde, deutete sich frühzeitig an: Bei der ersten Informationsveranstaltung im Vorfeld der Initiative kamen 300 interessierte Bewerberinnen und Bewerber, von denen schließlich 38 ausgewählt wurden – ehemalige Juristen, Tontechniker, Vorstände von Banken und Fluggesellschaften, Krankenschwestern, Lehrer und Bibliothekare. 24 von ihnen sind noch heute dabei! HH

Er ist einer der ganz Großen unter den Klarinettisten: Auf glatte sechs Jahrzehnte als professioneller Musiker blickt Karl Leister in diesem Jahr zurück. Es begann für den gebürtigen Wilhelmshavener 1957 mit einer

die weltweit in Ausstellungen gezeigt wird und anlässlich des internationalen Holocaust-Gedenktags am 27. Januar 2015 auch in der Berliner Philharmonie zu sehen und zu hören war, ist ein Symbol der besonderen Art: Sie steht für Trauer und Verlust, aber gleichzeitig auch für die Hoffnung, Dank der Musik zuversichtlich in die Zukunft blicken zu können. NR

Solostelle an der Komischen Oper. Doch schon 1959 wechselte er in gleicher Funktion zu den Berliner Philharmonikern. Dort spielte er 34 Jahre, davon allein 30 Jahre unter Herbert von Karajan, der für ihn die prägende Künstlerpersönlichkeit schlechthin war. Bis heute ist er zudem ein weltweit gefragter Solist und leidenschaftlicher Kammermusiker. Er war Mitbegründer der Bläser der Berliner Philharmoniker, der Berliner Solisten und des Ensembles Wien-Berlin. Im Rahmen der Karajan-Akademie widmete er sich dem musikalischen Nachwuchs. Seine Leidenschaft fürs Unterrichten führte auch dazu, dass er 1993 seine Stelle bei den Philharmonikern aufgab und eine Professur an der Berliner Hochschule für Musik »Hanns Eisler« annahm. Dokumentiert ist Karl Leisters künstlerisches Wirken auf zahlreichen Einspielungen, die nahezu das gesamte Spektrum der Literatur für Klarinette beinhalten. Dass sein Berufsjubiläum in diesem Jahr mit seinem 80. Geburtstag zusammenfällt ist mehr als ein guter Grund, ihm herzlich zu gratulieren und ihm alles Gute zu wünschen.


VORSPIEL — NACHRICHTEN

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Er wollte nichts weiter als ein guter Geiger werden, erzählte Rainer Kussmaul einst in einem Interview des SWR. Der Musiker, der von 1993 bis 1998 Erster Konzertmeister der Berliner Philharmoniker war, ist im März 2017 nach schwerer Krankheit im Alter von 70 Jahren in Freiburg gestorben. Die Mitglieder des Orchesters trauern um einen Kollegen, der nicht nur aufgrund seiner künstlerischen, sondern auch seiner menschlichen Größe in Erinnerung bleibt. Offenheit, Humor, Empathie und Respekt gegenüber anderen – all das zeichnete Rainer Kussmaul aus. »Er war eine der prägenden Musikerpersönlichkeiten der Ära Abbado«, erinnert sich Ulrich Knörzer, Mitglied des Orchestervorstands. »Er beeindruckte uns nicht nur durch seinen zugleich warmen und klaren Ton, sondern auch durch seine unerschöpfliche Neugier. Dass er zu den Pionieren und Meistern der Barockvioline gehört, zeugt von seinem weiten künstlerischen Horizont.« Der 1946 in Schriesheim bei Heidelberg geborene Rainer Kussmaul stammte aus einer Musikerfamilie und erhielt den ersten Unterricht vom Vater, Solobratscher im Orchester des Nationaltheaters Mannheim. Von Anfang an war es für ihn selbstverständlich, auch den Beruf des Musikers zu ergreifen. Nach dem Studium in Mannheim, setzte er seine Ausbildung in Stuttgart bei Ricardo Odnoposoff fort. 1969 gewann er als Mitglied des Stuttgarter Klaviertrios, das er mitbegründet hatte, den renommierten ARD-Musikwettbewerb. 1977 erhielt er eine Professur an der Freiburger Musikhochschule, von der er sich beurlauben ließ, als er in Nachfolge von Leon Spierer die Stelle des Ersten Konzertmeisters bei den Philharmonikern antrat. Die Entscheidung, von der Hochschule ins Orchester zu wechseln, hing eng mit der großen Wertschätzung

zusammen, die er Claudio Abbado entgegenbrachte. Rainer Kussmaul hat somit sämtliche Facetten des Geigenspiels kennengelernt – als Kammer- und Orchestermusiker, als Solist und Lehrer. »Er war eine universelle Persönlichkeit und stand – im angenehmen, positiven Sinn – über den Dingen.« Voller Dankbarkeit denkt Daishin Kashimoto, seit 2009 Erster Konzertmeister der Philharmoniker und ein ehemaliger Schüler Kussmauls, an den Unterricht bei ihm. Das sei kein typisches Lehrer-Schüler-Verhältnis gewesen, vielmehr begegnete Kussmaul seinen Schülern auf Augenhöhe, als erfahrener Künstler, der sich mit einem weniger erfahrenen austauscht. »Er verstand sich vor allem als Wegweiser. Dabei brauchte er keine Worte, um zu erklären. Man musste nur sein Spiel hören.« Nicht nur für Daishin Kashimoto war der Geiger ein väterlicher Mentor, sondern auch für Raimar Orlovsky, der zu Kussmauls KonzertmeisterZeiten noch Jungphilharmoniker war und die Ruhe, die Geduld sowie die humorvolle Art des älteren Kollegen bewunderte. Aus einer Eingebung beim Kaffeetrinken heraus entstand

1995 nach einer gelungenen Aufführung von Bachs Brandenburgischen Konzerten unter der Leitung von Claudio Abbado die Idee, mit philharmonischen Musikern ein Ensemble für Alte Musik zu gründen, das zwar historisch informiert, aber doch undogmatisch und auf modernen Instrumenten spielend die Werke barocker Meister interpretiert. Das war die Geburtsstunde der Berliner Barock Solisten, die Kussmaul bis 2010 künstlerisch leitete. »Er hat das Ensemble mit seiner ganz eigenen Klangvorstellung sehr geprägt«, erzählt Raimar Orlovsky. »Aber er war immer wieder dankbar über Impulse und Anregungen von uns Ensemblemitgliedern. Mit ihm zu musizieren war Privileg und Freude zugleich!« Neben der Musik gab es eine weitere große Leidenschaft in Rainer Kussmauls Leben: den Fußball. Auf diesem Gebiet war der Geiger ein absoluter Fachmann und konnte sich auch noch nach Jahren an sämtliche Ergebnisse und Tore erinnern. Das sei – so Raimar Orlovsky – eine zusätzliche Ebene gewesen, auf der man sich über das Musikalische hinaus mit ihm austauschen konnte. NR

Fotos: Hochschule für Musik Freiburg (Kussmaul); Musikhochschule Lübeck (Brandis)

ZUM TOD VON R AINE R KUSSMAUL


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TR AUE R UM THOMAS BRANDIS »Vielleicht waren wir zu meiner Zeit auch ein gutes Orchester, aber jetzt finde ich es hervorragend – ausgeglichen, mit auf der Welt einmaligen Holzbläsern und herausragenden Streichern in allen Gruppen«, schwärmte Thomas Brandis über die Berliner Philharmoniker. Der ehemalige Erste Konzertmeister des Orchesters, der am 30. März 2017 im Alter von 81 Jahren verstarb, zeigte bis zuletzt großes Interesse an der Entwicklung und den Aktivitäten der Philharmoniker. Nur wenige Tage vor seinem Tod hatte der Geiger, der sich auch als Solist und Kammermusiker sowie als Lehrer höchstes Renommee erworben hat, das Konzert mit dem zukünftigen Chefdirigenten Kirill Petrenko besucht und ein Interview für die Digital Concert Hall gegeben. Thomas Brandis, der in seiner Heimatstadt Hamburg und in London bei Max Rostal studiert hatte, begann seine Laufbahn als Konzertmeister

bei den Hamburger Symphonikern und wechselte 1962 zu den Berliner Philharmonikern. »Die erste Probe unter Herbert von Karajan war überwältigend«, erinnerte er sich. Aber auch seine gesamte Zeit als Erster Konzertmeister empfand er als beglückend. Sie habe ihm zahlreiche künstlerische Höhepunkte beschert. Zu ihnen zählte er die Eröffnung der Philharmonie, Karajans ersten Beethoven-Zyklus, die ersten Osterfestspiele in Salzburg, die Aufführung des Verdi-Requiems in Venedig sowie das Moskauer Gastspiel, bei dem das Orchester die Zehnte Symphonie von Dmitri Schostakowitsch aufführte und damit den anwesenden Komponisten zu Tränen rührte, weil er bislang noch keines seiner Werke so hervorragend interpretiert gehört hatte. Thomas Brandis gehörte zu den Mitgliedern der Philharmoniker, die sich engagiert dafür einsetzten, dass sich das Orchester auch für Musikerinnen öffnete. Der Gründung der Orchester-Akademie hingegen stand er kritisch gegenüber, weil er

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der Meinung war, dass es Aufgabe der Hochschulen sei, gute Instrumentalisten heranzubilden. Auch wenn er bei den Philharmonikern eine »herrliche Zeit« verlebte, entschied sich Thomas Brandis 1983, das Orchester zu verlassen. Nicht nur die Orchesterkollegen, sondern auch Herbert von Karajan bedauerten seinen Weggang sehr. In einem persönlichen Abschiedsbrief bedankte sich der Dirigent bei dem Geiger: »Ich kann Ihnen nicht sagen, wie sehr ich die Arbeit mit Ihnen geschätzt und geliebt habe. Ihr Einfühlungsvermögen war mir immer ein Rätsel, es muss eine Gedankenübertragung gewesen sein, da Sie immer genau das taten, was ich dachte und wünschte.« Thomas Brandis wollte noch einmal beruflich aufbrechen – mit dem Brandis-Quartett, das er 1976 gegründet hatte und dem er sich fortan verstärkt widmete. In den gut 25 Jahren seines Bestehens wurde das Ensemble auf Festivals im Inund Ausland gefeiert. Außerdem wandte er sich dem Unterrichten zu: Als Lehrer wirkte er u. a. an der Universität der Künste in Berlin, an der Lübecker Musikhochschule und an der Royal Academy of Music in London. Zahlreiche heutige Geiger der Berliner Philharmoniker waren seine Schüler. Dadurch bleibt sein Stil, seine Art des Musizierens bis heute im Orchester präsent und macht den Geiger unvergessen. »Thomas Brandis’ außerordentliche Musikalität wurde in vielen Aufnahmen dokumentiert«, würdigt Knut Weber, Mitglied des Orchestervorstands, den verstorbenen Kollegen. »Auf komprimierte Weise offenbarte sein Spiel die Qualitäten der Berliner Philharmoniker während der KarajanJahre. Mit einem singenden, vollen Ton und einem unfehlbaren Gespür für musikalische Dramaturgie. Auch nach seinem Ausscheiden aus dem Orchester blieb er uns in herzlicher Freundschaft verbunden. Wir werden ihn vermissen.« NR


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VORSPIEL — Z AHLENSPIEL

ZA HLENSPIEL Wie viele klassische Open-Air-Konzerte gibt es in Deutschland? Musikfest Bremen Bremen 19.08.–09.09.

Schleswig-Holstein Musik Festival Lübeck 01.07. – 27.08.

Sommerliche Musiktage Hitzacker Hitzacker 29.07. – 06.08.

Niedersächsische Musiktage Hannover 02.09.–01.10.

Klassik Sommer Hamm Hamm 22.06.–22.07.

Wege durch das Land, Literatur und Musikfest Detmold 25.05.–13.08.

Musikwochen Weserbergland Hameln 30.04.–18.06.

Kammermusikfest Kultursommer Kloster Kamp Musikfestwoche auf Nordhessen Neukirchen-Vluyn Schloss Berleburg Thüringer Kassel 13.–20.08. Bad Berleburg Schlossfestspiele 07.05.–13.08. Musica 03.–09.07. Sondershausen Sacra Nova Altenberger Internationales Sondershausen Pulheim Kultursommer Heinrich Schütz Fest 16.06.–08.07. 11.–13.05. Odenthal Kassel 10.06.–30.09. 21.09.–24.09. Beethovenfest Internationale Bonn Chorbiennale 08.09.–01.10. Beethoven@home Aachen Kronberg Academy Bad Hersfelder Bad Honnef 09.–17.06. Festival „Cello Plus“ Festpielkonzerte/ 01.–31.05. Open Air Klassik Kronberg Opernfestspiele Burg Monschau 28.09.–03.10 Bad Hersfeld Monschau 06.05.–06.08. 18.–27.08. Burghofspiele im Rheingau Sommer Eltville/Rhein 15.07.–02.09.

Darmstädter Residenzfestspiele Darmstadt 28.07.–06.08. Heidelberger Schlossfestspiele Heidelberg 16.06.–04.08.

Schwarzwald Musikfestival Freudenstadt 19.05.–05.06.

Musikfestwochen Donau-Oberschwaben Riedlingen 06.05.–23.07. Internationales Bodensee-Festival Friedrichshafen 06.05.–05.06.

Bachwoche Ansbach Ansbach 28.07.–06.08. Festival Schloss Kapfenburg Lauchheim 21.–30.07. Augsburger Mozartfest Augsburg 19.–28.05. Mozart@Augsburg 01.–15.09.

Oberstdorfer Musiksommer Oberstdorf 27.06.–13.08.


12 8 — A U S G A B E N R . 0 2 . 2 017

Putbus Festspiele Putbus 19.05.–10.06. Schönberger Musiksommer Schönberg 25.06.–16.09. Festspiele Mecklenburg-Vorpommern Schwerin 17.06.–15.09. Elblandfestspiele Wittenberge Wittenberge 14.–15.07.

Internationales Festival junger Opernsänger Rheinsberg 30.06.–13.08.

Musikfestspiele Potsdam Sanssouci Potsdam 09.–25.06.

Bebersee Festival Prenzlau 26.08.–03.09.

Classic Open Air Berlin 20.–24.07.

Brandenburgische Sommerkonzerte Brandenburg 10.06.–10.09.

Händel-Festspiele Halle 26.05.–11.06.

Dresdner Musikfestspiele Dresden 18.05.–18.06.

Bachfest Leipzig Leipzig 09.–18.06. Schumann Festwoche Leipzig 09.–17.09.

Moritzburg Festival Dresden 05.–20.08.

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Klassische Open-Air-Konzerte haben eine lange Geschichte: Schon vor über 300 Jahren gab es in England professionell organisierte und kommerziell orientierte Freiluftmusiken, die nicht nur der Aristokratie, sondern einem breiten Publikum offenstanden (siehe S. 16). Dennoch ist das Open Air vor allem ein Phänomen des 20. Jahrhunderts. In den letzten Jahrzehnten hat dieses Format eine ungeheure Konjunktur erlebt, befördert natürlich durch die große Anzahl neu gegründeter Sommerfestivals in so gut wie jeder Region des Landes. Die Antwort auf unsere Zahlenspielfrage, wie viele klassische Open-Air-Konzerte es in Deutschland gibt, muss also ehrlicherweise lauten: Genau weiß das niemand, das Angebot ist unüberschaubar. Mithilfe der Datenbank des Deutschen Musikinformationszentrums (die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt) haben wir hier eine Auswahl sommerlicher Festtage, Festspiele, Festwochen oder Musikfeste zusammengestellt, die auch Konzerte in freier Natur anbieten. Einzelveranstaltungen wie das Waldbühnenkonzert der Berliner Philharmoniker oder das Klassik Open Air in Nürnberg sind darin nicht berücksichtigt.

Bergwaldtheater Weißenburg Festspiele Weißenburg 27.05.–09.08. Mai

Audi Sommerkonzerte Ingolstadt 29.06.–29.07.

Internationales Musikfest Kreuth am Tegernsee Kreuth 18.–29.07.

Festspiele Europäische Wochen Passau Passau 29.06.–06.08.

Juni Juli August September

Quelle: www.miz.org


Billdmaterial der Collage von shutterstock


THEMA: D I E M U S I K U N D D I E N AT U R

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Unter freiem Himmel

»Das natürlichste Instrument«

E s g i b t i m m e r m e h r F r e i l u f tko n ze r te – m i t g u te n G r ü n d e n .

S te f a n D o h r u n d L a r s M i c h a e l Stransky über das Horn

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Neuerfunden aus Ruinen D i e b ewe g te G e s c h i c h te d e r B e r l i n e r Wa l d b ü h n e

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Berliner Freiluftluftluft O p e n -A i r- Ko n ze r te s i n d e i n e n o t we n d i g e A u s n a h m e .

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Fern sei die Zivilisation Wä h r e n d d e r I n d u s t r i a l i s i e r u n g k a m d i e N atu r i n d i e M u s i k .

Smashing Pumpkins D a s Ve g e t a b l e O r c h e s t r a a u s Wien spielt auf Gemüse.

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Lieblingsnaturmusik CD-Empfehlungen u n s e r e r A u to r e n


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T H E M A : D I E M U S I K U N D D I E N AT U R — O P E N A I R


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UNTER FREIEM HIMMEL Puristen mögen sie ein Graus sein und künstlerisch ein Kompromiss – und doch gibt es immer mehr Open-Air-Konzerte. Mit guten Gründen. Vo n Ke r s t i n K r u p p

E S M U S S E I N unvergessliches Musikerlebnis in frei-

er Natur gewesen sein, das der neue König seinen Londonern da bescherte – und zwar allen Londonern: Am 17. Juli 1717 glitt Georg I. auf seinem Prunkschiff über die Themse von Whitehall zum Souper nach Chelsea, begleitet von Georg Friedrich Händels eigens für diesen Anlass komponierter »Wassermusik«. Der preußische Botschafter in London beschrieb das seinerzeit wie folgt: »Neben der Barke des Königs war die der Musiker, über 50 an der Zahl, die alle möglichen Instrumente spielten, wie Trompeten, Hörner, Oboen, Querflöten und Blockflöten, Violinen und Bässe. Es fand so allgemeinen Beifall, dass es dreimal wiederholt werden musste, obwohl jede Aufführung eine Stunde dauerte.« Wer ein Boot besaß, setzte die Segel, griff zum Ruder und folgte dem Spektakel flussabwärts. Und auch am Ufer der Themse drängte sich das Publikum. »Our Haendel« nannten die Londoner ihren neuen Lieblingskomponisten, zu dem sich der Deutsche mit solchen Freiluftaufführungen endgültig erheben konnte. Denn anders als bei den höfischen Konzerten in den Schlössern und Palästen hatte hier jeder Zugang, ob Adliger, Bürger oder Proletarier. Geld, Stand, Kleidung und Benehmen – all das spielte keine Rolle, alle durften den Klängen lauschen. Die Musik kam zu den Menschen. MIT PICK NICK KORB UND D ECK E

Musik unter freiem Himmel, das gemeinsame Erlebnis in der Natur, das Wegfallen rigider Benimmkonventionen,

all das lockt bis heute jedes Jahr Hunderttausende hinaus in die Parks, Schloss- und Klostergärten, zu den Ruinen oder an die Seeufer, wo sie, gerüstet mit Picknickkorb und Decke, klassische Musik genießen. Speziell seit dem 20. Jahrhundert werden solche sommerlichen Freiluftmusiken verstärkt gepflegt. Anfangs waren es nur vereinzelte Veranstaltungen dieser Art, etwa als sich Herbert von Karajan im Juni 1939 mit den Wiener Philharmonikern aus dem Schutz des Konzertsaals wagte und in das Athener Odeon lud, ein antikes Theater am Fuße der Akropolis. Inzwischen sind Open-Air-Abende fester Bestandteil im saisonalen Zyklus fast aller Konzerthäuser. Und die Zahl der sommerlichen Festspiele wächst stetig, wie der Deutsche Orchesterverband auf Nachfrage freudig mitteilt. Eine Übersicht zu behalten, ist kaum mehr möglich. Von einer Krise der klassischen Musik, wie sie seit Jahren gern bejammert wird, keine Spur. Allein von 2005 bis 2014 ist die Zahl der Konzertbesucher von rund 3,9 Millionen auf 5,2 Millionen gestiegen, parallel zur Anzahl der Konzerte. Die Freiluftmusiken allein ziehen noch einmal so viele Zuhörer an. Natürlich wurde schon immer außerhalb geschlossener Mauern musiziert, sobald es das Wetter erlaubte. Der Musikwissenschaftler Hartmut Grimm etwa sieht eine Wurzel der heutigen Freiluftvergnügen in den englischen pleasure gardens, privat betriebenen Lustgärten im 17. und 18. Jahrhundert. Allein in London wurden zur Hochzeit mehr als fünf Dutzend solcher Parks "

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Schon in den Londoner pleasure gardens des 18. Jahrhunderts gab es Musik für ein bunt gemischtes Publikum im sommerlichen Grün.

gezählt, einer der bekannteren war Vauxhall Gardens am Ufer der Themse. Zwischen Hecken oder an Teichen spielten Musiker für die durch das sommerliche Grün wandelnden Besucher auf. Der Eintrittspreis war moderat, das Publikum entsprechend gemischt – anders als in den Opern- und Konzertsälen, die während der heißen Wochen ohnedies geschlossen hatten, wenn sich der Adel und die Reichen auf ihren Landsitzen vergnügten. Die Musiken im Park füllten die temporäre kulturelle Lücke und fanden so großen Anklang, dass die Idee bald in anderen europäischen Städten kopiert wurde. In Wien etwa öffnete Joseph II. 1766 das kaiserliche Jagdareal des Praters für die Öffentlichkeit, und rasch etablierte sich dort ein riesiger Vergnügungspark mit Promenaden, Ringelspielen, Feuerwerken, Kaffeehäusern – und natürlich auch mit Freiluftkonzerten. Eine ähnliche, wenn auch jüngere Entstehungsgeschichte hat der Tivoli in Kopenhagen. MITSCHMETTERN IM KERZENSCHEIN

Als Vorbild für das aktuelle Festivalfieber, das Europa seit einigen Jahren im Griff hält, käme allerdings eher das Tanglewood-Festival infrage, das wohl größte und wichtigste Klassik-Festival in den USA. 1937 als Sommerdomizil für das Boston Symphony Orchestra eingerichtet (das auf diese Weise in der Orchesterpause zusätzliche Einnahmen zu erzielen gedachte), tummeln sich inzwischen auf den Wiesen in den Berkshires täglich bis zu 15.000 Menschen, Tendenz steigend. Anders

als sein Vorgänger James Levine gilt der seit zwei Jahren amtierende Chefdirigent des BSO, Andris Nelsons, als begeisterter Anhänger dieser acht TanglewoodWochen. »Ich kann hier fast die Wälder meiner Heimat riechen«, schwärmt der Lette über die liebliche Hügellandschaft. In den USA, wo sich die Orchester ohne staatliche Subventionen selbst finanzieren müssen, sind solche organisatorisch aufwendigen und kostspieligen Vergnügen vergleichsweise rar gesät. In Europa aber richtet inzwischen bald jede größere Kommune einen eigenen Konzertreigen aus, größere Orchester sowieso. Die Berliner Philharmoniker etwa laden seit den 1980er-Jahren zum Saisonabschluss in die Waldbühne (siehe Seite 22), die Münchner Philharmoniker auf den Odeonsplatz, das London Symphony Orchestra auf den Trafalgar Square und die Wiener Philharmoniker in den Park des Schlosses Schönbrunn. Ein Klassiker ist die Arena von Verona, in die seit über hundert Jahren Opernfans pilgern, vielleicht auch, um einmal den Gefangenenchor aus Verdis »Nabucco« im Schein unzähliger Kerzen hemmungslos mitschmettern zu dürfen. Und selbst in ländlicheren Gegenden in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern oder am Bodensee, im österreichischen Bregenz, haben sich musikalische Sommerfrischen über viele Jahre etabliert. In Nürnberg aber findet seit dem Jahr 2000 mit dem Klassik Open Air das größte Festival seiner Art auf dem europäischen Kontinent statt; bis zu 90.000 Menschen


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finden sich dort an einem Tag ein. Die Staatsphilharmonie Nürnberg lädt bei freiem Eintritt in den Luitpoldhain, jene Parkanlage, in der einst die Nationalsozialisten auf ihren megalomanen Reichsparteitagen die Massen aufmarschieren ließen. Schon vormittags gibt es ein Familienkonzert, das eigentliche Ereignis am Abend wird dann mit einem großen Feuerwerk abgeschlossen. »Wir erreichen allein mit diesen Auftritten nahezu doppelt so viele Menschen wie zu allen Konzerten unserer Saison zusammen«, sagt Marcus Bosch, Generalmusikdirektor von Staatstheater und Staatsphilharmonie Nürnberg. Fast ebenso viele Musikliebhaber finden sich zwei Wochen später am selben Ort noch einmal ein, um der Staatsphilharmonie zu lauschen. Nicht nur dem Publikum, auch dem Musiker Bosch jagt es den einen oder anderen Schauer über den Rücken, wenn er die aufmerksam lauschende Menschenmasse im Rücken spürt, die Begeisterung fühlt. Besonders gelungene Solopartien bejubelt die Menge gerne aufgekratzt mit Zwischenapplaus, ohne dass irgendjemand seinen Nachbarn scharf zur Ruhe zischeln würde. Das ist es aber nicht allein, was für den Dirigenten die Faszination ausmacht. Es ist auch die musikalische Neudefinition des historisch belasteten Geländes. »Wie sich die Energie dieses Ortes umgedreht hat, von einem Platz der Massenmobilisierung hin zu einem offenen kulturellen Treffpunkt, ist wunderbar zu sehen«, sagt Bosch – und berührt damit auch eine Parallele zur Berliner Waldbühne.

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Damit das Publikum die Freiluftmusik entspannt genießen kann, nehmen die Musiker einiges auf sich. Sonne, Wind, Regen – auf alle denkbaren Wetterkapriolen müssen die Streicher und Bläser vorbereitet sein. »Ich habe immer mein Survival Kit dabei«, sagt Sarah Willis, Hornistin der Berliner Philharmoniker, mit einem Schmunzeln. Dazu gehört warme Kleidung genauso wie farblich abgestimmte Klammern für die Noten, damit ein plötzlicher Windstoß die Blätter nicht vom Ständer wirbelt. Multiple Szenarien wollen bedacht sein. In der Regel beginnen die Konzerte am frühen Abend, der Himmel strahlt noch, Sonnencreme und -brille dürfen also nicht fehlen. Sinkt die Sonne, hilft nur noch großzügig verteiltes Mückenspray gegen das von den Pultlampen angelockte Fluggetier, während Feuchtigkeit und Kühle vor allem den Holzblasinstrumenten, den Pauken sowie den Geigen zusetzen und die saubere Intonation gefährden. Das Horn hingegen ist zum Spielen in freier Natur gedacht (siehe Seite 38). Wird es aber zu kalt, sammelt sich auch in dessen Bögen vermehrt Kondenswasser, und es kommt mitunter zu unerwünschten Kieksern. »Das klingt jetzt alles wie ein Albtraum«, sagt Sarah Willis, »aber das ist es nicht, im Gegenteil: So ein OpenAir-Konzert ist wunderbar, wenn alles klappt. Die Atmosphäre ist fantastisch, unser Publikum kommt Lesen Sie weiter in sogar, wenn es regnet.« Und wenn traditionell La Ola, der "  aktuellen die Publikumswelle, schon vor dem

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KO MME NTAR

BERLINER FREILUFTLUFTLUFT Open-Air-Konzerte wie in der Waldbühne können nur eine Ausnahme sein. Aber sie sind eine überaus notwendige Ausnahme. Vo n E l i s a b e t h B i n d e r

PURISTEN LEHNEN Open-Air-Konzerte strikt ab mit

der Begründung, dass es viel zu viele Störfaktoren dabei gebe. Geräusche, unerwünscht, schrecklich, disharmonisch. In welch armer, enger Welt sie leben! Jeder Dirigent interpretiert ein Werk auf seine ganz besondere Weise. Aber auch Dirigenten sind nur Menschen, selbst die größten Genies, die ja oft genug zu Gast sind beim letzten Konzert der Berliner Philharmoniker vor den Sommerferien. Und wenn die Natur mitdirigiert, dann kann das Werk noch größer werden. Veteranen des jährlichen Waldbühnenkonzerts wissen das. Manche sind von Anfang an dabei gewesen, Jahr für Jahr. Sie kennen die Musik an einem perfekten Sommerabend, das Spiel der Wolken, die vielen Purpurtöne

zum Abschied der Sonne, den fernen Vogelflug, das sanfte Dröhnen der Motoren eines in der Ferne vorbeifliegenden Jets. Das kaum merkliche Rauschen der Bäume ist ihnen Musik, so wie die Symphonie der Vögel, die gewissermaßen als Vorgruppe auftreten und später als leiser, an den Pianissimo-Stellen manchmal aufflammender Chor in den Hintergrund treten. In dieses Klangkunstwerk fügen sich das leise Klirren der Gläser, das Rascheln der Decken und später, wenn es dunkel geworden ist, das Zischen der Wunderkerzen harmonisch ein. Und manchmal auch der spontane Schrei eines Babys, eigentlich zur Unzeit, aber gerade darum vielleicht besonders bedeutungsschwer und prompt mit spontanem Gelächter belohnt.


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Man ist frei von der Anspannung eines Geistes, der Musik nur in vermeintlicher Perfektion erträgt.

Auch die andere Seite des Wetters ist den Langjährigen wohl vertraut. Der endlose Landregen, das Zusammenrücken unter knisternder Plastikfolie, die wärmende Heiterkeit, die sich gerade unter widrigen Umständen ausbreitet, der geteilte Schal, wenn es spät noch kälter wird. Sankt Martin in der Waldbühne, keine Seltenheit. Doch, gerade auch das Teilen gehört hier zum Ritual. Die Picknicks der ersten Jahre waren noch vergleichsweise bescheiden. Später kühlten Champagnerflaschen in silbernen Gefäßen neben ausladenden Kandelabern auf der Brüstung, die mit frisch gestärkten, weißen Tischtüchern bedeckt waren. Ach, es gab auf den hinteren Rängen auch Käsewürfel und Weintrauben aus Tupperdosen, dazu Chianti oder Sauternes, Nüsse, selbstgebackene Kekse, Bulettchen. Wer früh kam, dinierte oft am opulentesten. Aber Opulenz stand gar nicht unbedingt im Vordergrund. Es war das geteilte Mahl, eine Ikone unserer Kultur, die diesen einen Abend im Jahr geprägt hat. Immer wieder bieten sich Fremde gegenseitig von ihren Speisen und Getränken an. Was heißt schon Fremde? Fremd ist man einander ja nicht, geeint schließlich durch die Liebe zu erstklassiger Musik und ein weites Herz, dessen Vorstellungskraft am Horizont nicht endet und schon gar nicht an den Mauern eines Konzerthauses mit noch so exquisiter Akustik. Auch wenn manche Besucher von Jahr zu Jahr die immer gleichen Delikatessen mitbringen, weil das zum Ritual gehört und so ein Ritual am besten einstimmt auf ein unvergleichliches, nie mehr zu imitierendes Konzerterlebnis, ist es doch ein Mahl der Vielfalt. Weil man sich versteht, weil man gemeinsam, wirklich gemeinsam, tafelt. Natürlich gibt es keine Idylle, die nicht von bösen Mächten irgendwie umzingelt wäre. Dass die Philharmoniker mit ihren Stammgästen gemeinsam darum

kämpfen, dass dieses Picknick nicht endgültig Opfer auswärtiger kommerzieller Interessen wird, spricht ebenfalls für den Geist, der hier herrscht. Mag die Opulenz der mittleren Jahre empfindlich eingedämmt sein, die Erinnerung bleibt. Der gute Geist des Möglichen lässt sich nicht vertreiben und setzt sich vielleicht irgendwann wieder durch. Ja, das Freiluftkonzert kann nur eine Ausnahme sein, sonst würde wohl eine musikalische Anarchie ausbrechen, aber es ist eine überaus notwendige Ausnahme. Wer weiß, welche Lust es ist, in freier Luft zu leben, sich von allen Gefangenschaften zu entbinden, vor allem von der eines Geistes, der die Musik nur unter der Anspannung vermeintlicher Perfektion erträgt, kann sich immer noch freuen an diesem Erlebnis. Die Natur ist ein großartiger Maestro. Sie nimmt die Dirigenten auf ihre Schwingen und führt sie in eine neue Welt, ein schönes, wildes Land, das jedem Orchesterwerk einen besonderen Adel verleiht, weil es auch dort besteht, wo nichts mehr kontrollierbar ist. Egal wo Menschen sich auf dieses Abenteuer einlassen – und sie tun es ja auch anderswo, in Glyndebourne zum Beispiel oder bei der »Met in the Park« –, bindet die Naturmusik eine eingeschworene Gemeinde zusammen. Es ist schön, wenn man das im Anschluss noch einmal im Fernsehen erlebt; so mancher schaut sich die Aufnahme direkt nach der Heimkehr an. Man sieht dann die Solisten besser, hört auch manches anders, korrekter, wenn man so will. Aber das berauschende Gefühl des unendlichen Himmels, in den die Klänge hinaufwehen, das ist dann schon verflogen. Nur die Berliner Luft selbst kann davon sprechen, wie es ist, sie zu besingen, jubelnd im Chor der 20.000, wenn das Orchester schon auf Autopilot spielt, weil sich der Dirigent, irgendwie trunken vor Glück, in die Kulissen verabschiedet hat.£<

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FERN SEI DIE ZIVILISATION Während im 19. Jahrhundert Gott, Zeit und Raum schrumpfen, dehnen sich in der Musik Felder und Wälder, Berge und Meere aus. Vo n Vo l ke r H a g e d o r n

ES WAR EIN GROSSSTÄDTER, der in Wien die »Pastorale« schrieb. Für uns heute mögen 250.000 Einwohner nicht mehr viel sein, aber um 1800 hatte selbst London noch nicht die Millionengrenze erreicht (im Gegensatz übrigens zu Peking). Wien war eine Metropole, deren Vorstädte und -orte rasant ins Umland hineinwuchsen. Und Ludwig van Beethoven, 36 Jahre alt, träumte dort von Land und Ruhe umso mehr, als es unruhige Zeiten waren. 1805 hatten Napoleons Truppen die Stadt kampflos besetzt, ehe sie bei Austerlitz Russen und Österreicher vernichtend schlugen und tausende russischer Kriegsgefangener in den Spitälern, Klöstern und Schulen der Kaiserstadt lagen. Die »Pastorale« entstand 1807 und 1808, nach Napoleons Abzug und ein Jahr vor seiner Wiederkehr nebst Beschuss der Stadt.

Mit den Napoleonischen Kriegen beginnt ein Jahrhundert umwälzender Veränderungen, an dessen kalendarischem Ende mehr als 200.000 Kilometer Eisenbahnschienen Europa überziehen und elektrische Telegrafenleitungen ein erstes World Wide Web bilden. Sein historisches Ende ist der Erste Weltkrieg. Und in diesem Jahrhundert, in dem Triumphe der Wissenschaft und soziales Elend gleichermaßen die Welt entzaubern, breitet sich in der Musik die Natur aus. Nicht als Genrestück barocker Hirtenidyllen oder kurzer Seestürme für die Opernbühne, nicht als effektvolle »Jahreszeiten« oder als sakrale Hirtenmusik, sondern als orchestrale Projektionsfläche – ganz zu schweigen von unzähligen Naturmetaphern in den Liedern von Schubert bis Wolf, den Flüssen, Wäldern, Bergen in Klavierimpressionen von Liszt bis Grieg. "

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SONNE NAUFG ANG UND G R A SE ND E RIND E R

An der Bruchstelle zwischen der Säkularisierung und der Natur als neuem Hoffnungsträger steht Joseph Haydns »Schöpfung«, 1799 im Wiener Burgtheater erstmals öffentlich aufgeführt. Fern der Liturgie entdeckt ein Zeitgenosse der Aufklärung die Bibel neu – das führt zu stilistischen Spannungen. Während im »Chaos« die Verunklarung harmonischer Bezüge weit in die Zukunft weist, zitiert ein Bariton fast im Duktus eines Papageno aus der Genesis. Und während der Sonnenaufgang noch heute als atemberaubende Erweiterung des Klangraums zu erleben ist, führt Haydn die Tiere wie in einem postbarocken Kasperletheater vor. Seine Rinder grasen im Pastoralrhythmus, den man schon aus »Messias« und »Weihnachtsoratorium« kennt, und die sakrale Erzählung dazu wirkt fadenscheinig, ehe noch Darwin geboren ist. Beethoven nannte die »Schöpfung« seines Lehrers »ein Lehrgedicht«. Seiner eigenen »Pastorale« gab er die Erklärung »mehr Ausdruck der Empfindung als Malerei« mit auf den Weg, um nicht in den Verdacht der Tonmalerei zu geraten, die Kritiker sogar Haydn vorgeworfen hatten. »Malereien«, hatte 1771 der einflussreiche Ästhetiker Johann Georg Sulzer am Beispiel von Meeresbrausen, Donner und Blitz geschrieben, »sind dem wahren Geist der Musik entgegen, die nicht Begriffe von leblosen Dingen geben, sondern Empfindungen des Gemüts ausdrücken soll.« Hector Berlioz kannte diesen Diskurs nicht. Er war anno 1829 dabei, als Beethovens »Pastorale« erstmals (und exzellent) in Paris gespielt wurde. »Wir haben es hier mit wahrer Natur zu tun«, schrieb er vier Jahre später und fand an den Imitationen nur auszusetzen, dass der Gesang einer Nachtigall von Instrumenten mit halbtöniger Stimmung nicht zu realisieren sei – ein Problem, das nicht nur Nachtigallen betrifft und in neuer Dimension eigentlich erst von Olivier Messiaen gelöst wurde. Im vierten Satz der Symphonie hörte Berlioz weit mehr als nur einen Sturm. »Das ist kein Regen mehr, kein Wind, das ist eine grauenhafte Katastrophe, die universale Sintflut, das Ende der Welt«, schrieb er 1833. Berlioz hatte da schon das Ende der napoleonischen Ära und die Julirevolution von 1830 miterlebt – keine Weltuntergänge, aber er wusste, wie jäh und grundlegend sich die Verhältnisse ändern können. Auch Beethovens Landidyllen beeindruckten ihn, der dank seiner Heroen Gluck und Weber stark von der Bühne dachte. Er schrieb sie fort in der »Scène aux champs« seiner »Symphonie fantastique« (kurz nach der Erstaufführung der »Pastorale«, kurz vor der Julirevolution), mit Hirtendialogen zwischen sanft raschelnden Bäumen, auf die er in seiner Programmnotiz eigens hinweist. Die Ungewissheit des verliebten Helden ist in der flimmernden Atmosphäre zu spüren, und seine Enttäuschung "

»Das ist kein Regen mehr«, schrieb Berlioz über den »Sturm« in der »Pastorale«. »Das ist das Ende der Welt.«

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»DAS NATÜRLICHSTE INSTRUMENT« Kein anderes Instrument hat eine so hohe Affinität zur Natur wie das Horn. Ein Gespräch mit Stefan Dohr und Lars Michael Stransky, Hornisten der Berliner und der Wiener Philharmoniker. Vo n L e n a Pe l l u l


OB JAGDSZENE IM WALD oder Son-

nenaufgang in den Bergen – fast immer, wenn in der Musik die Natur geschildert wird, kommt das Horn ins Spiel. Und auch sonst gibt es einige Gründe dafür, es als das »natürlichste« Instrument zu bezeichnen. Weil aber Horn nicht gleich Horn ist, haben wir mit zwei Experten über dieses Instrument und seine besondere Affinität zur Natur gesprochen: Stefan Dohr ist seit 1993 Solohornist der Berliner Philharmoniker, wo er in der Regel ein modernes F-/B-Doppelhorn spielt; sein Kollege Lars Michael Stransky ist seit 1996 Hornist der Wiener Philharmoniker, die aus klanglichen Gründen traditionell an der älteren Bauform des Wiener Horns festhalten.

Jagdhorn bei der Parforcejagd (Deutschland, um 1935)

128: Waren Sie schon einmal auf der Jagd? Lars-Michael Stransky: Ich schieße auf Tiere grundsätzlich nur mit der Fotokamera. Stefan Dohr: Nein! Ich bin nur auf der Jagd nach richtigen Tönen. Das klassische Signalinstrument des Militärs ist ja die Trompete, bei der Jagd aber – »im Wald und auf der Heide« – kommt traditionell das Horn zum Einsatz. Und auch sonst wird es wie kein anderes Instrument mit »Natur« assoziiert. Woher kommt das? Dohr: Nach der menschlichen Stimme darf das Horn wohl als das natürlichste Instrument bezeichnet werden, da es in seiner Ursprungsform von den Hornträgern unter den Wiederkäuern sozusagen spielfertig geliefert wird. Stransky: Und dazu muss man sagen, dass das Horn nach der Pauke das Instrument mit den meisten Obertönen ist und daher einen sehr weichen Klang hat. Folglich passt es bestens in die Natur. Außerdem hat das Jagdhorn durch seine weite Bauart den Vorteil, dass man es hoch zu Ross besser umhängen kann. Sie haben es gerade erwähnt: In seiner Urform geht dieses Instrument tatsächlich auf Tierhörner zurück, etwa von Rindern oder Widdern, von Elefantenstoßzähnen oder Schneckenschalen.

Naturhorn auf einer Wandmalerei aus dem 14. Jahrhundert (Schloss Runkelstein bei Bozen)


Fotos: Heribert Schindler (Aufmacher); akg-images / Imagno (oben links); akg-images / Erich Lessing (unten links); Terry Linke (oben rechts); Sebastian Hänel (unten rechts)

Auch das hölzerne Alphorn und das Didgeridoo zählen zu den Naturhörnern. Können Sie als klassisch ausgebildete Hornisten all diese Instrumente spielen? Stransky: Ich habe noch nicht alle ausprobiert, aber prinzipiell ist die Technik der Tonerzeugung immer dieselbe, wie auch bei allen anderen Blechblasinstrumenten. Und auf allen diesen Naturhörnern spielt man in der sogenannten Naturtonreihe. Was bedeutet das? Dohr: Die Naturtonreihe ist auf den ventillosen Naturhörnern vorgegeben und entspricht im Wesentlichen der Obertonreihe. Der Unterschied ist eigentlich nur, dass die Naturtonreihe aus realen Tönen besteht, während die Obertonreihe mitschwingende Teiltöne beschreibt. Man kann sich das am besten mithilfe von Sinuswellen vorstellen: Die Welle des Grundtons hat eine bestimme Größe, und dazu stehen die Obertöne immer als Teiler im ganzzahligen Verhältnis, also 2:1, 3:1, 4:1 und so weiter. Der erste Oberton (2:1) ist die Oktave, der zweite (3:1) die darüber sitzende reine Quint, der dritte (4:1) die darüber sitzende reine Quart und gleichzeitig die zweite Oktave vom Grundton. Irgendwann aber werden die Intervalle der Obertonreihe so klein, dass wir sie, obwohl es sich um reine Intervalle handelt, nicht mehr als rein wahrnehmen. Und da kommt die temperierte Stimmung ins Spiel. Dohr: Genau. Die ist ein – wenn auch nur geringfügig – manipuliertes Stimmungssystem, das vor knapp 250 Jahren eingeführt wurde. In diesem System wird die Oktave in zwölf gleiche Halbtöne unterteilt, wobei Obertöne, die sehr nah beieinanderliegen, zusammengefasst werden. Wie funktioniert diese Korrektur der Naturtöne auf Ihrem Instrument? Dohr: Beim Naturhorn wird die Tonhöhe mit der Hand korrigiert. Der VentilhornSpieler braucht das nicht. Bei uns ist das erste Ventil ein Ganzton, das zweite ein Halbton, das dritte anderthalb Töne, und mit dem Umschaltventil beim modernen Doppelhorn haben wir die Möglichkeit,

chromatisch über mehr als vier Oktaven zu spielen. Stransky: Durch die steigenden Ansprüche der Komponisten und den Erfindungsgeist der Instrumentenbauer wurde die Entwicklung des Horns immer weiter vorangetrieben, bis hin zu unserem modernen, mit Ventilen versehenen Doppelhorn. Hätte Mozart das schon gekannt, ich bin mir sicher, er hätte noch viel komplizierter für das Horn geschrieben, als er es – für seine Zeit – ohnehin getan hat. Aber jede Entwicklung braucht eben ihre Zeit. Nebenbei bemerkt: Die Entwicklung des Horns ist in Wien etwa hundert Jahre früher zum Stillstand gekommen – genau darum lieben wir dieses Instrument auch so sehr. Die Wiener Orchester sind weltweit die einzigen, die es bis heute prinzipiell einsetzen. Worin liegen denn die klanglichen und technischen Unterschiede zwischen dem Wiener Horn und dem international üblichen Doppelhorn? Dohr: Also, das Wiener Horn hat einen schönen, runden, obertonreichen Klang, der mit keinem anderen Horn zu vergleichen ist. Die Technik ist allerdings nicht ganz so ausgereift wie beim Doppelhorn. Hohe Töne zu treffen ist auf dem Wiener Horn eine Herausforderung für den Spieler. Stransky: Dafür ist das Doppelhorn durch seine schwerere Bauart – es sind schließlich zwei Instrumente in einem – auch etwas schwerer in Schwingung zu versetzen und daher etwas härter im Klang. Aber auch präziser. Sind denn noch technische Neuerungen zu erwarten? Oder ist das Instrument, ähnlich wie die Geige, ausentwickelt? Dohr: Das Modell, das ich spiele, gibt es in dieser Bauart schon seit über hundert Jahren, und das Wiener F-Horn ist ja wie gesagt noch älter. Im Berliner Musikinstrumenten-Museum fand 2014 die hervorragend kuratierte Ausstellung »Valve. Brass.Music« statt. Dort waren tolle Ventilblasinstrumente aus aller Welt zusammengetragen, die den überwältigenden Einfalls- und Erfindungsreichtum von Instrumentenbauern belegen, "

Lars Michael Stransky, 1966 in Trier geboren, studierte zunächst Horn an der Musikhochschule Köln und später Wiener Horn an der Universität für Musik in Wien. Seit 1996 ist er Mitglied der Wiener Philharmoniker.

Stefan Dohr, 1965 in Münster geboren, studierte Horn an den Musikhochschulen in Essen und Köln. Seit 1993 ist er Mitglied der Berliner Philharmoniker. Daneben spielt er u. a. auch im Ensemble Wien-Berlin.

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SMASHING PUMPKINS Das Vegetable Orchestra aus Wien nutzt Kürbisse, Karotten und Paprika als Instrumente. Das ist nicht nur eine launige Idee, sondern zeitigt auch spannende Ergebnisse. Vo n S e b a s t i a n F a s t h u b e r


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WA S G R O OV T D E N N DA so unverschämt, dass man gleich mitwippen muss? Es klingt ein bisschen wie eine elektronisch erzeugte Bass Drum, es könnte sich aber auch um ein echtes Schlagzeug handeln. Oder hat hier jemand Alltagsgeräusche gesampelt und zu perkussiven Klängen verarbeitet? Heiteres Musikraten mit dem Wiener Vegetable Orchestra und seiner CD »Automate«. Die Auflösung lautet: Alle drei Antworten sind falsch, tatsächlich hört man hier – Gemüse. Diese Basstrommel ist ein von Hand geschlagener Kürbis. Die Idee, mit Kürbissen, Lauch, Tomaten, Karotten oder Petersilienstängeln Musik zu machen, wirkt auf den ersten Blick wie skurriler Aktionismus. Und tatsächlich liegen genau darin die Anfänge des Vegetable Orchestra, das in Wien auch als Erstes Wiener Gemüseorchester bekannt ist: 1998 hatte sich an der Wiener Universität für angewandte Kunst spontan ein bunter Haufen aus jungen Künstlern, Musikern, Architekten und Autoren zusammengefunden, um in einer Performance zu untersuchen, ob Gemüse als Instrumentarium taugt.

Ein ausgefeiltes künstlerisches Konzept habe da gar nicht dahintergestanden, erinnert sich Jürgen Berlakovich, im Orchester zuständig vor allem für Kürbisse und Auberginen (die in Wien Melanzani heißen): »Der

Das Gemüse klingt jedes Mal ein bisschen anders, es verliert ja schnell an Feuchtigkeit. erste Auftritt war komplett improvisiert, es sollte nur eine einmalige Sache sein. Doch es zeigte sich gleich, dass das Musizieren mit Gemüse etwas Besonderes ist, das auch funktioniert und beim Publikum sehr neugierige Reaktionen hervorruft.« Fast zwanzig Jahre und unzählige Konzerte weltweit sind inzwischen vergangen, und noch immer haben die elf Mitglieder des Vegetable Orchestra nicht das Gefühl, die


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Möglichkeiten ihres natürlichen Instrumentariums ausgereizt zu haben. »Es wird nicht langweilig«, sagt Berlakovich. »Derzeit forschen wir an einer Gemüseorgel.« Dass sich keine Routine einstellt, liegt auch an der Beschaffenheit der Instrumente: »Das Gemüse klingt jedes Mal ein bisschen anders. Schon beim Konzert herrschen andere Voraussetzungen als nachmittags beim Soundcheck, weil die Instrumente schnell an Feuchtigkeit verlieren. Wir können uns dem Klang, den wir haben wollen, immer nur annähern.« Gemüse richtig zum Klingen zu bringen, ist eine durchaus aufwendige Angelegenheit. Für jeden Auftritt wird bei null begonnen, das Gemüse muss besorgt, ausgehöhlt und zurechtgeschnippelt werden. Wenn das Vegetable Orchestra auf Tournee ist, beginnt der Tag mit einem Marktbesuch. Anschließend werden die Instrumente gebastelt, was mitunter etwas Zeit braucht.

Fotos: Zoefotografie (Aufmacher); Heidrun Henke

Um das Mundstück einer Karottenblockflöte zu schnitzen, braucht es höchste Präzision. »Manches wie die Melanzani kann man als Readymade verwenden, oder man schneidet sie in mehrere Scheiben, dann hat man eine Art Kastagnette«, erklärt Berlakovich. »Schwieriger wird es bei Blasinstrumenten wie der Karottenblockflöte. Da geht es um Präzision, besonders beim Schnitzen des Mundstücks.« Der Materialaufwand ist beträchtlich, für jedes Konzert werden rund fünfzig Instrumente benötigt. Und weil in der Hitze des Gefechts öfters mal etwas entzweibricht, muss immer genügend Reserve vorhanden sein. Das Orchester hat auch schon versucht, der Natur ein wenig nachzuhelfen. Gemeinsam mit Genetikern unternahm es Versuche, Instrumente zu züchten. »Das Gemüse sollte schon im Prozess des Wachstums zu einem Instrument werden. Leider ist uns das nie wirklich gelungen. Grundsätzlich geht es uns aber nicht darum, real existierende Instrumente nachzubauen, das Gemüse soll für sich stehen. Das lässt sich aber leider nicht so leicht machen.« Denn damit das Gemüse klingt, ist einiges an Tontechnik vonnöten. Mindestens zwei hauseigene Tonleute nimmt das Vegetable Orchestra auf seine Konzertreisen mit. Pflichtausstattung sind große, analoge Mischpulte. Die Mikrofonierung ist eine kleine Wissenschaft, die Soundchecks nehmen zwei Stunden und länger in Anspruch. Das Repertoire des Vegetable Orchestra reicht von komponierten Stücken über freie Improvisationen bis zu Interpretationen von Klassikern wie dem »Radetzkymarsch« oder Kraftwerks »Radioaktivität«. Und die

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Konzerte enden nicht etwa, wenn der letzte Ton verklungen ist. Im Anschluss wird das Publikum stets noch zum gemeinsamen Essen auf die Bühne gebeten. Die Gemüseabfälle, die beim Bauen der Instrumente anfallen, verkocht man bereits tagsüber hinter der Bühne zu einem leckeren Süppchen. Apropos Gemüsesuppe: Am häufigsten werden die Musiker gefragt, ob sie allesamt Vegetarier oder Veganer seien. Berlakovich winkt schmunzelnd ab: »Nein, auch bezüglich unserer Essgewohnheiten sind wird ein ziemlich durchmischter Haufen.« Als Bio-Band oder gar Zurück-zur-Natur-Combo versteht sich das Vegetable Orchestra nicht. Es macht einfach mit ungewöhnlichen Mitteln Musik. Und diese verdient, ernst genommen zu werden, auch wenn sich die Musiker selbst nicht allzu bierernst nehmen: »Wir versuchen konzentriert, aber auch locker zu sein. Einmal ist nach einem Konzert eine klassisch ausgebildete Musikerin zu uns gekommen und hat gesagt, dass sie die Leichtigkeit, mit der wir musizieren, faszinierend fand. Das ist im Grunde das schönste Lob.«¤<

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Foto: Peter Adamik


BERLINER PHILHARMONIKER

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»Das scheint meine Natur zu sein«

»So hat der Spieler Lust«

D e r D i r i g e n t G u s t avo D u d a m e l im Gespräch

G . P h . Te l e m a n n o d e r: Wa s h e i ßt h i e r » d e u t s c h e M u s i k«?

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Back to the Future A n d r ew N o r m a n u n d s e i n e O p e r »Z u m M o n d u n d zu r ü c k«

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Ein Sinnbild des Lebens Va r i at i o n s we r ke ve r ä n d e r n a u c h i h r e H ö r e r.

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Direkt ins Herz des Hörers Die Oboe ist Instrument des J a h r e s 2017.

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Die Glut des europäischen Geistes D a s M u s i k f e s t B e r l i n 2017

Wer, wenn nicht der Mensch… D e r Ko m p o n i s t a l s H u m a n i s t: I s a n g Yu n zu m 10 0 . G e b u r t s t a g

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»Hier sehen wir die Zukunft« Z e i c h e n f ü r d e n D i a l o g: d i e P h i l h a r m o n i ke r a u f Zy p e r n

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Mein Instrument als Lebenspartner Diesmal mit Rainer Seegers u n d s e i n e r P a u ke


B E R L I N E R P H I L H A R M O N I K E R — G U S TAV O D U D A M E L

»DAS SCHEINT MEINE NATUR ZU SEIN« Der Dirigent Gustavo Dudamel im Gespräch über das Musizieren unterm Sternenzelt, sein Verhältnis zu Stadt und Land und seinen entspannten Umgang mit Druck und Hektik. Vo n B j ø r n Wo l l

D I E S E R M A N N S C H E I N T über unerschöpfliche Energiereserven zu verfügen, nicht nur auf dem Podium. Gerade reist Gustavo Dudamel durch Europa, gemeinsam mit seinem Simón Bolívar Orchestra. Allein in der Elbphilharmonie gibt er fünf Konzerte an fünf Tagen mit sämtlichen Beethoven-Symphonien. Dazwischen nimmt er sich noch, ganz Medienprofi, die Zeit für ein Interview. Das soll nun sogar gefilmt werden – eine spontane Idee des Filmteams, das Dudamel für eine Dokumentation auf der Tour begleitet. Auch das ist kein Problem für den schwarzen Lockenkopf, auf dem sich langsam die ersten grauen Strähnen einschleichen. Dabei geht es ihm gar nicht gut, der Magen rebelliert. Doch nach einer Dusche erscheint er, leicht verspätet, aber gut gelaunt, in seiner Suite im Hotel Vier Jahreszeiten an Hamburgs Binnenalster. Von Hektik keine Spur, obwohl bereits die nächste Probe drängt. Ganz im Gegenteil: Dudamel ist in Plauderlaune und fragt zunächst einmal den Interviewer aus, gibt dann aber auch lebhaft Antwort in seinem durch den spanischen Akzent charmant eingefärbten Englisch.

128: Herr Dudamel, im Sommer dirigieren Sie in der Hollywood Bowl und in der Berliner Waldbühne. Dirigieren Sie gerne draußen unterm Sternenhimmel?

Gustavo Dudamel: Mein erstes Konzert mit den Berliner Philharmonikern war 2008 in der Waldbühne, und mein erstes Konzert mit dem Los Angeles Philharmonic war 2005 in der Hollywood Bowl. Ich sehe diese Konzerte als eine gute Möglichkeit für einen Zugang zur klassischen Musik: Sie bieten einem großen Publikum die Chance, herausragende Werke, aufgeführt von exzellenten Musikern, zu hören. Außerdem haben diese Auftritte eine ganz besondere Atmosphäre: Man ist von der Natur umgeben mit dem Sternenhimmel als Gewölbe. Ich genieße das sehr! Macht es für Sie einen Unterschied, ob Sie in einem Konzertsaal mit einer perfekten Akustik oder auf einer Open-Air-Bühne dirigieren? Natürlich ist die Situation eine andere, allein schon, weil das Orchester elektronisch verstärkt werden muss. Aber heute ist die Technik so weit, dass wir einen wirklich guten, ausbalancierten Klang erreichen können. Demgegenüber steht die Persönlichkeit des Orchesters – und die ändert sich nicht mit dem Wechsel der Bühne. Sie behält ihren unverwechselbaren Charakter, egal ob drinnen oder draußen. "

Foto: Los Angeles Philharmonic Association

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B E R L I N E R P H I L H A R M O N I K E R — G U S TAV O D U D A M E L

Wie ist das Verhältnis der Musiker zu Freiluftveranstaltungen? Für die Orchester sind sie ein besonderer Anreiz: Es ist wunderbar, für 2000 Menschen in einem Konzertsaal zu spielen, aber vor einem Auditorium mit 20.000 Zuhörern aufzutreten setzt ganz andere Energien frei. In dieser Atmosphäre kann eine sehr tiefe, ungezwungene Verbindung zwischen den Musikern und dem Publikum entstehen. Es gibt jedoch auch Kritiker, die Open-Air-Konzerte ablehnen, weil nicht die Musik, sondern das Event im Vordergrund stehe. Wir dürfen uns von solchen Vorwürfen nicht verrückt machen lassen! Natürlich gibt es eine Tradition der Aufführung in Konzertsälen, aber Tradition meint ja nicht, dass wir uns dahinter verbarrikadieren sollen. Für mich hat sich die Klassik zu sehr in den sogenannten Elfenbeinturm zurückgezogen, auch weil das von einigen, nennen wir sie Traditionalisten, so gewollt ist. Ich respektiere das, aber die Zeiten haben sich geändert. Wir müssen der klassischen Musik wieder zu einer größeren Wirkung verhelfen, nennen wir es ruhig kolossal – in einem guten Sinn. Den Berliner Philharmonikern liegt zum Beispiel viel an der Waldbühne, weil sie dort in einer ganz besonderen Umgebung für ein großes Publikum spielen können. Es ist doch wunderbar, wenn ich mit Musik so viele Menschen auf einmal erreichen kann. Da müssen wir das elitäre Bild der Klassik als einer gesellschaftsfernen Kunstform korrigieren. Besteht nicht die Gefahr, dass unsere Aufmerksamkeit von der Umgebung und störenden Geräuschen abgelenkt wird? Ist der Konzertsaal nicht der bessere Ort, um den Detailreichtum und die komplexe Struktur der Kompositionen wirklich zu erfassen? Natürlich kann es bei Open-Air-Konzerten mit so vielen Menschen einmal unruhig werden. Aber wenn es eine spannende Interpretation ist, wird das Publikum ganz schnell aufmerksam, und es entsteht eine erwartungsvolle Stille. Das habe ich selbst so erlebt. Ich erinnere mich an ein Konzert mit dem Simón Bolivár Orchestra in einem Stadion meiner Heimatstadt mit Beethovens Fünfter vor 15.000 Menschen. Schon nach den ersten Tönen hatten wir die volle Aufmerksamkeit des Publikums, das die Aufführung euphorisch begleitet hat mit einer Stimmung fast wie bei einem Konzert der Rolling Stones. Natürlich ist das eine andere Publikumsreaktion als in einer Philharmonie, allein schon, weil die Umgebung eine andere ist. Wir dürfen da nicht so rigoros sein! Manchmal verzweifele ich schier daran, wie steif unser Umgang mit klassischer Musik ist. Da wünsche ich mir mehr Offenheit und Flexibilität – und das hat wahrlich nichts mit Oberflächlichkeit zu tun. Die Berliner Philharmoniker spielen sicher nicht oberflächlich in der Waldbühne, sie haben die gleiche Qualität und Intensität wie in der Philharmonie.

Ändert sich unsere Wahrnehmung der Musik, wenn wir sie gemeinsam mit 15.000 anderen Menschen hören? Absolut, und das hat etwas mit der Energie zu tun, die von einer so großen Menschenmenge freigesetzt wird. Dabei geht es nicht nur darum, was auf der Bühne passiert. Natürlich wird das Orchester im Angesicht einer solchen Menge ganz anders aktiviert, aber die Aufmerksamkeit des Publikums, seine gespannte Erwartung ist ebenso essenziell. Diese besondere Verbindung zwischen den Musikern und dem Publikum ist für mich wie eine große Liebesbeziehung. Auf dem Programm des Waldbühnen-Konzerts steht unter anderem Wagners »Waldweben«. Inspiriert Sie der Ort speziell bei diesem Stück – das »Waldweben« im Wortsinn umgeben von Bäumen? Es war vor allem die Natur, die Wagner zu seiner Komposition inspirierte. Wir fahren heute mit dem Auto oder der U-Bahn, aber damals war es noch notwendig, zu Fuß zu gehen. Diese unmittelbaren Erfahrungen draußen in der Natur haben diese Werke geschaffen. Und Wagners Musik hat unzählige Naturbezüge, deshalb ist die Waldbühne ein perfekter Ort, um sie aufzuführen. Auch ein weiteres Werk des Programms ist stark von der Natur inspiriert … … die »Rheinische« von Schumann, genau. In dieser Symphonie hören wir die majestätische Schönheit der Natur. Es geht dabei aber nicht nur um den Rhein, sondern auch darum, was der Fluss für die Menschen bedeutet hat. Das ist ganz ähnlich wie bei Wagner. Es ist ein überwältigender Blick auf die Schönheit der Natur mit musikalischen Mitteln, den diese Komponisten uns vermitteln. Sind Sie selbst eigentlich eher ein Stadtmensch, oder leben Sie lieber auf dem Land, in enger Verbindung mit der Natur? Ehrlich gesagt bin ich eher ein Stadtmensch, allein schon, weil ich in der Stadt arbeite. Aber ich mag beides: Wenn ich die Möglichkeit habe, bin ich gerne in der Natur. Und je älter ich werde, umso wichtiger wird es mir, denn mein Geist braucht diese Orte, wo er Ruhe und Stille findet. Mir ist es immer leicht gefallen, zu lesen oder Partituren zu studieren. Selbst wenn es um mich herum laut ist, kann ich mich gut fokussieren. Aber mit zunehmendem Alter fällt mir das ein bisschen schwerer, und ich beginne, diese Orte der Ruhe in der Natur bewusst zu genießen. Sie haben gerade gesagt, dass es bei Schumann und Wagner um die Natur und die Verbindung des Menschen zur Natur geht. Sind wir nicht gerade dabei, all diese Schönheit, von der die Komponisten uns erzählen, zu zerstören – oder haben sie schon längst zerstört? Musik funktioniert immer in zwei Richtungen: Mit seiner »Pastorale« gibt Beethoven uns ein persönliches "

Foto: Holger Kettner

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Gustavo Dudamel und die Berliner Philharmoniker in der Waldbühne, 2014

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»Die Persönlichkeit eines Orchesters ändert sich nicht mit dem Wechsel der Bühne – egal ob drinnen oder draußen.«

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BERLINER PHILHARMONIKER — ANDREW NORMAN

BACK TO THE FUTURE In seiner Oper »Zum Mond und zurück« vermengt Andrew Norman Vergangenheit und Zukunft, um auf unsere Gegenwart zu blicken. Vo n L e n a Pe l u l l

die totale Retrospektive« – diagnostiziert die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« in ihrem Rückblick auf die Opernpremieren der diesjährigen Osterfestspiele in Salzburg und Baden-Baden. Es scheint fast so zu sein, als blicken die Menschen in turbulenten Zeiten eher zurück als nach vorne, halten sich eher an Altbekanntem fest, als sehenden Auges voranzuschreiten. »Rampensingen vom Feinsten« statt risikofreudiger Überwindung des postmodernen Regietheaters. Dies ist wohl dem Umstand geschuldet, dass gesellschaftliche und politische Ungewissheiten mit Blick auf das Vergangene leichter kontrollierbar und mit größerer Sicherheit identifizierbar scheinen und sich auf diese Weise – trotz allem – Ordnung stiften lässt. » AU F D E M P R O G R A M M ,

VE RGANG E N E VI S ION E N

Andrew Norman schaut auch zurück. Allerdings orientiert er sich an einer anderen Vergangenheit, den vergangenen »Zukunftsvisionen« nämlich. Der 1979 in Grand Rapids, Michigan, geborene und in Los Angeles beheimatete Komponist ist ganz gewiss kein Neuling, sondern einer der derzeit gefragtesten zeitgenössischen amerikanischen Künstler. Ende Juni wird sein erstes partizipatives Opernprojekt, »A Trip to the Moon – Zum Mond und zurück«, ein Auftragswerk der Stiftung Berliner Philharmoniker, des London Symphony Orchestra und der Los Angeles Philharmonic Association, in der Berliner Philharmonie zur Uraufführung gebracht. Norman hat für dieses Werk

nicht nur die Musik komponiert, sondern auch das Libretto verfasst. Entstanden ist ein Stück Musiktheater mit instrumentalen und vokalen Parts unterschiedlichster Schwierigkeitsgrade: Neben den Vokalhelden-Kinderchören (siehe Seite 96) werden Jugend- und Erwachsenenchöre sowie Mitglieder der Berliner Philharmoniker und jugendliche Instrumentalisten unter der Leitung von Sir Simon Rattle an der Produktion mitwirken. Schon lange Zeit habe er die Idee gehabt, die Science-Fiction- und Fantasy-Welt des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts samt ihrer technischen Zukunftsvisionen zum Gegenstand seiner ersten Oper zu machen. Inspirieren ließ sich Norman also vor allem von Georges Méliès’ Film »Le Voyage dans la Lune« (»Die Reise zum Mond«), mit dem dieser 1902 in Anlehnung an Jules Vernes Roman »Von der Erde zum Mond« (1865) den ersten Science-Fiction-Film schuf. In seinem häufig zitierten Werk erzählt der Autorenfilmer Méliès in einer Mischung aus hinreißender Naivität und tricktechnischem Erfindungsreichtum eine eher unrühmliche Begegnung zwischen einer Gruppe »Erdlinge« und den Bewohnern des Mondes. Diese Begegnung nimmt Norman als Ausgangspunkt für seinen Opernstoff: Der Kameramann Georges fliegt mit einigen Astronomen auf Forschungsreise zum Mond, wo die Rakete bei der Landung zu Schaden kommt. Erdbewohner treffen hier auf die fremden Mondbewohner und umgekehrt. Über ein verschwundenes Mondkind kommt

Foto: Jessa Anderson

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»Mich treibt die Frage um, wie eine Gesellschaft das Andere annimmt.«

es zu heftigen Auseinandersetzungen, die jedoch über die gemeinsame Angst vor dem schrecklichen Mondmonster und dessen Bekämpfung überwunden und in gegenseitigen Respekt verwandelt werden. Schließlich helfen die Mondbewohner bei der Reparatur der verunglückten Rakete, und es kommt zu einem versöhnlichen Lebewohl. M US I K, D I E STE LLU NG B E Z I E HT

Andrew Normans musikalische Werke verdanken sich einem Widerspruch, den nicht viele zeitgenössische Komponisten so leben wie er: dem Widerspruch zwischen orchestraler Farbigkeit und Energie auf der einen und einer mutigen, autonomen Neuartigkeit auf der anderen Seite. Norman möchte mit seiner Musik Stellung beziehen. »Meine Themen sind das Fremde und Andere. Gerade nach den politischen Ereignissen der letzten Jahre hat mich die Frage umgetrieben, wie eine Gesellschaft das Andere annimmt beziehungsweise abwehrt und wie der Mensch all seine Ängste in die Andersartigkeit des Fremden projizieren kann.« Zwei sich völlig fremde Gesellschaften als Allegorie auf die aufflammende Fremdenfeindlichkeit, die erstarkenden rechten Bewegungen in Europa und Amerika, auf Donald Trump. Stoff gab es also genug. Ihn in die Opernform zu gießen sei nur folgerichtig gewesen, so Norman. Nach dem Vorbild der mittelalterlichen Moralitäten-Schauspiele, also der Idee einer zusammenkommen" den Gemeinschaft, die sich selbst

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Abbildung original: Staatsbibliothek zu Berlin - PreuĂ&#x;ischer Kulturbesitz, Musikabteilung

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EIN SINNBILD DES LEBENS Variationswerke führen zum Kern der Kompositionskunst, musikalisch wie philosophisch. Denn sie verändern nicht nur ein Thema, sondern vor allem uns Hörer. Vo n S u s a n n e S t ä h r

A M E N D E I S T alles wieder wie am Anfang. Oder doch nicht? Johann Sebastian Bach beginnt seine »GoldbergVariationen« mit einer Aria, schlicht und ergreifend, verinnerlicht und schnörkellos. Etwa 70 Minuten später beendet er sie mit genau demselben Stück, Note für Note. Und doch hört man plötzlich etwas ganz anderes. Denn dazwischen liegt eine atemberaubende Wanderung durch 32 verschiedene Veränderungen, die das schlichte Thema nach allen Regeln der Kunst variieren und dabei wahre Gebirge der

Wer sich auf das Abenteuer Variation einlässt, hört danach mit neuen Ohren. Polyfonie auftürmen. Das ist ein hochkomplexes musikalisches Abenteuer, aber wer sich darauf einlässt, der hört danach die Welt mit neuen Ohren. Weshalb die simple Aria plötzlich eine Abgeklärtheit ausstrahlt und einen inneren Frieden, sie kündet nun von einem paradiesischen Glück, wie es ihr wohl kaum einer bei der ersten Begegnung zugemessen hätte. So funktioniert es, das Wunder der musikalischen Variationskunst. Dieses Verfahren verändert nicht nur ein bestimmtes Thema mit seinem motivischen Material, mit

seiner Harmonik, Rhythmik und all den anderen Parametern. Es verändert vor allem uns selbst – und ist genau damit ein Sinnbild des Lebens, das Jahr um Jahr durchschreitet, Generation auf Generation folgen lässt, Epoche auf Epoche, in immer neuen Ausformungen. D I E N ÄC H S T E S T U F E D E R E R K E N N T N I S

Strenggenommen hat auch Richard Wagner in den 16 Stunden seiner monumentalen »Ring«-Tetralogie nichts anderes bewerkstelligt als Bach in den »Goldberg-Variationen«. Der Vierteiler eröffnet mit der heilen Welt, mit den unschuldig plätschernden Wellen den Rheins, auf denen die Rheintöchter schwimmen, die das Rheingold hüten sollen. Mit dem Raub dieses Schatzes, also der Plünderung der Natur, aber setzt sich eine Handlung in Gang, die eine Parabel ist auf das menschliche Streben nach Macht und Reichtum, auf unsere katastrophalen Irrungen und Wirrungen. Sie führen bei Wagner geradewegs in den Untergang – alles, was einmal war, muss wieder vergehen. Mit dem Ergebnis, dass die letzten Klänge des gigantischen Werks sich zurück zum Urzustand begeben, auch wenn es nicht mehr ganz dasselbe ist wie ehedem – die Unschuld ist verloren gegangen. Trotzdem könnte das Drama nun wieder von vorn beginnen, freilich auf einer anderen Stufe der Erkenntnis. Alles ist schon einmal dagewesen, behaupten die einen, während die anderen die bange Frage stellen: Kann sich die Geschichte wirklich wiederholen? Man kann die "

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B E R L I N E R P H I L H A R M O N I K E R — VA R I AT I O N E N

erste Aussage bestätigen – nichts anderes haben Bach und Wagner in ihren so denkbar verschiedenen Werken getan – und muss die folgende Frage gleichwohl nicht bejahen. Denn die Wiederkehr oder die Beschwörung des Vergangenen ist keine bloße Rekapitulation, sie wird neu erlebt und gedeutet, ist per se also bereits Veränderung. Vielleicht ist die Kunst der Variation insofern sogar die philosophischste Form der Musik. Die naturnächste ist sie ohnehin. »Alle Gestalten sind ähnlich, und keine gleichet der andern«, heißt es in Goethes Gedicht »Die Metamorphose der Pflanzen«, das die Bauprinzipien der Flora schildert: wie sich aus einem einzigen Samen Wurzeln, Stängel und Stämme, Zweige und Blätter, Blüten und Früchte entwickeln. Die göttliche Schöpfung als Urbild der Variation. An diesen Gedanken knüpft wohl die Arbeit eines jeden Komponisten an. Eine bestimmte Idee wird im Verlauf des Werks weiterentwickelt und zur Blüte gebracht, sie ist also der musikalische Samen, der Nukleus, der den Zusammenhalt stiftet oder – modern gesprochen – die DNA, die einer ganzen Symphonie zugrunde liegt. Insofern ist jedes Musikstück Metamorphose und Variation, auch wenn es nicht expressis verbis so benannt ist. Wird aber ein Werk ausdrücklich als »Variationen über …« tituliert, dann ist davon auszugehen, dass hier das Verfahren wie auf einem Präsentierteller ausgestellt werden soll oder, anders gesagt, dass die Machart zugleich die Botschaft ist. Für die Urheber bietet sich dabei die Chance, die eigene Kunst

in ihren verschiedensten Facetten zu demonstrieren und zu beweisen, was in der »Kompositionswissenschaft« so alles möglich ist. Je unbedeutender und nichtiger dabei das Thema erscheint, desto stärker wirkt die schöpferische Kraft der variativen Arbeit. »Nacht muss es sein, wo Friedlands Sterne strahlen«, wie es in Schillers »Wallenstein« heißt. Schon Ludwig van Beethoven machte sich diesen Mechanismus zunutze, als er Anfang der 1820er-Jahre seine »Diabelli-Variationen« schuf. Denn das Thema, das er 33 charakteristischen Veränderungen unterzog, ist ein ziemlich

Beethoven kommentiert, parodiert, verzaubert, zerstampft, verklärt … fantasielos komponiertes Menuett, und Beethoven benutzt es nicht nur wie einen Steinbruch, indem er es in seine einzelnen Bestandteile zerschlägt und gnadenlos seziert, nein, er scheint sich auch regelrecht darüber zu belustigen. »Diabellis ›Walzer‹«, schreibt der Pianist Alfred Brendel, »wird von Beethoven kommentiert, kritisiert, verbessert, parodiert, verlacht, ad absurdum geführt, missachtet, verzaubert, veredelt, beklagt, beweint, zerstampft und schließlich humoristisch verklärt.« Und wir dürfen staunen, zu welchen


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Lesen Sie weiter in der aktuellen Igor Levit

Geistesflügen ein wahrer Könner selbst mit solch einer platten, banalen Vorlage imstande ist.

Foto: Robbie Lawrence

PÄ DAG O G I K U N D S P E K TA K E L

Doch nicht nur die Komponisten liebten die Variationskunst, auch das Publikum konnte, zumal im 19. Jahrhundert, gar nicht genug davon bekommen. Das Genre bot für die Hörer gleich einen doppelten Vorzug. Zum einen enthält es einen pädagogischen Ansatz, bei dem alles genau erklärt wird: Zuerst erklingt das Thema, das wir uns bei dieser Gelegenheit bitte tunlichst einprägen sollen, dann wird es zunächst behutsam variiert, nämlich so, dass man es noch leicht wiedererkennt, nur mit ein paar Figurationen oder ähnlichen Zutaten, ehe die Variationen immer freier werden und man schon genau aufpassen muss, um den Bezugspunkt nicht zu verlieren. Eine Steigerungskurve wird hier in wachsendem Schwierigkeitsgrad vollzogen, aber wer konzentriert bei der Sache bleibt, wird mit einem Erfolgserlebnis belohnt. Zum anderen entpuppen sich die Variationen jedoch auch als wunderbare Bühne für die Virtuosität: Mit jeder Veränderung erhöht sich in der Regel für die Interpreten der technische Anspruch, bis hin zu teuflisch vertrackten Anforderungen am Ende. Genau diesen Appeal bedienen all die Bravourvariationen und -fantasien, wie sie im Zeitalter der großen Virtuosen, von Nicolò Paganini bis Franz Liszt, über etliche Opernarien oder andere bekannte Stücke

Ausgabe Nr. 02/2017

komponiert wurden. Die Konzertbesucher durften sich dabei zuweilen wie im Zirkus fühlen und glauben, einem Drahtseilakt ohne Netz beizuwohnen. Mit derlei halbseidenen Kabinettstücken wollte der ganz und gar ernsthafte Johannes Brahms natürlich nichts zu tun haben, doch schuf auch er etliche Variationszyklen. Dabei ging er eher vor wie bei einer Versuchsanordnung, um dem gestaltbildenden Potenzial der Musik nachzuspüren. Er skelettierte dazu das Material und untersuchte seine Substanz, ließ es aber auch in herrlichen Kantilenen aufblühen

Brahms skelettiert das Material und lässt es dann herrlich aufblühen. und leidenschaftlich durchglühen. Selbst sein hartnäckiger Antipode Richard Wagner, der es lieber mit dem Neuen hielt, zeigte sich tief beeindruckt, als er 1864 Brahms’ »Händel-Variationen« zu hören bekam: »Man sieht, was sich in den alten Formen noch leisten lässt, wenn einer kommt, der versteht, sie zu behandeln«, räumte Wagner generös ein. Für Brahms wurde die Kunst der Formbildung, der Verarbeitung und des motivisch-thematischen Beziehungsreichtums zum Schlüssel seiner musikalischen "


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BERLINER PHILHARMONIKER — OBOE

DIREKT INS HERZ DES HÖRERS Mal intim und innig, mal bukolisch und burlesk: Die Oboe ist Instrument des Jahres 2017. vo n N i c o l e R e s t l e


Foto: Heribert Schindler

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S I E E R H E B T B E I einem Konzert stets als erste ihre Stimme: Die Oboe mit ihrem langgezogenen, näselnden Ton gibt den Kammerton a' an und damit den anderen Instrumenten Gelegenheit zu einem letzten »Feintuning«, ehe der Dirigent ans Pult tritt und seinen Taktstock hebt. »Das ist eigentlich völlig umsonst, weil keiner hinhört. Ein etwas überholter Brauch, aber er gehört zur Tradition«, meint Albrecht Mayer, Solo-Oboist der Berliner Philharmoniker. Abgesehen davon erfüllt die Oboe, die 2017 von den Landesmusikräten in Schleswig-Holstein und Berlin zum Instrument des Jahres ausgerufen wurde, wichtige Aufgaben im symphonischen Zusammenspiel: »Sie bringt Licht ins Orchester und schafft eine intime, innige Stimmung, ohne forcieren zu müssen. Sie ist eine Botschafterin der Einfachheit«, erklärt Solo-Oboist Jonathan Kelly. Dieses Image verdankt die Oboe nicht zuletzt ihrer »schlichten« Herkunft. Als Abkömmling der Schalmey, dem Instrument der Hirten, steht sie für pastorale, lyrische, zärtliche Stimmungen: »Naive Anmut, unberührte Unschuld, stille Freude wie Schmerz eines zarten Wesens, alles dies vermag die Oboe im Kantabile aufs glücklichste

Dass die Oboe den Kammerton angibt, ist ein schöner Brauch, aber eigentlich überholt.

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wiederzugeben«, heißt es in Hector Berlioz’ Instrumentationslehre. Hinzu kommen noch schelmische, bukolische, ja manchmal auch burleske Seiten. Das tiefere Englischhorn steuert vor allem elegische, melancholische und traurige Momente bei. Kurz, die Oboe sei – darüber sind sich der philharmonische Oboist Andreas Wittmann und der Englischhornist Dominik Wollenweber einig – ein Instrument, dessen Klang zu Herzen gehe, die Seele berühre und der menschlichen Stimme am nächsten komme. Und ihr Kollege Christoph Hartmann ergänzt: »Die Oboe prägt den Bläsersatz. Wir liegen in der Mitte des Spektrums und beeinflussen somit den klanglichen Charakter des kompletten Satzes.« S TÄ R K E N U N D S C H WÄC H E N

Die philharmonischen Oboisten wissen um die Stärken ihres Instruments – und um seine Schwächen: Im Vergleich zu anderen Instrumenten verfügt die Oboe über einen relativ kleinen Tonumfang und eine begrenzte dynamische Bandbreite. Außerdem ist sie sehr temperatur- und witterungsempfindlich, was sich sofort in der Ansprechbarkeit des Mundstücks niederschlägt. "

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BERLINER PHILHARMONIKER — GEORG PHILIPP TELEMANN

»SO HAT DER SPIELER LUST« Georg Philipp Telemann oder: Was heißt hier »deutsche Musik«? Vo n Wo l f g a n g S t ä h r

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VO R 10 0 J A H R E N schien der Fall erledigt. »Telemann ist heute vergessen und verachtet. Man versucht nicht einmal, ihn kennenzulernen«, klagte damals Romain Rolland und schrieb im Gegenzug »L’Autobiographie d’un illustre oublié«, die in Deutschland unter dem Titel »Memoiren eines vergessenen Meisters« erschien: eine Ehrenrettung für Telemann. »Seit dem Tage, da die Größe Johann Sebastian Bachs erkannt wurde, ist alles, was zu seiner Zeit groß war, weniger als nichts geworden«, empörte sich Rolland. »Die andern sind zu Staub geworden; mehr als alle: Telemann, den die Nachwelt den Sieg entgelten ließ, den er zu seinen Lebzeiten über J. S. Bach davonzutragen wagte.« Doch auch die Ignoranz kennt ihre Konjunkturen. Der Universalgelehrte Romain Rolland, der Literaturnobelpreisträger von 1915 und Gründervater der französischen Musikwissenschaft, läuft mittlerweile selbst Gefahr, »vergessen und verachtet« zu werden, während Georg Philipp Telemann vom fahlen Rand ins leuchtende Zentrum des Musiklebens zurückgekehrt ist. Längst überwunden die Zeiten, da man ihn für einen langweiligen Blockflöten-Komponisten hielt, für einen öden Vielschreiber und seelenlosen Serientäter. Als »Avantgardist« rühmt ihn heutzutage sogar ausdrücklich ein moderner Nachfolger wie Wolfgang Rihm: »Telemann war ein Beweger, fortschrittlicher als sein Freund Bach.«

als junger Kapellmeister in Diensten des Reichsgrafen von Promnitz schrieb Telemann zahlreiche Ouverturen, »weil Se. Excellence der Herr Graf kurtz zuvor aus Franckreich kommen waren und also dieselben liebeten«. Doch hatte Telemann beim Grafen Promnitz, der in der Niederlausitz und in Oberschlesien residierte, nicht allein die hohe, höfische Kunst aus Frankreich studiert, sondern auch die Alltagsmusik der Wirtshäuser und Dorffeste, namentlich die polnische und »hanakische« (mährische) Folklore. Die Improvisationen der ländlichen Musikanten kamen seinem eigenen ungestümen Temperament vollkommen entgegen: »Man sollte kaum glauben, was dergleichen Bockpfeiffer oder Geiger für wunderbare Einfälle haben«, schwärmte Telemann. »Ein Aufmerckender könnte von ihnen, in 8 Tagen, Gedancken für ein gantzes Leben erschnappen.«

Auch die Ignoranz kennt ihre Konjunkturen: Lange missachtet, wird Telemann heute wiederentdeckt.

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Telemanns schöpferischer Elan übersteigt jedes Vorstellungsvermögen des Normalsterblichen. Brachte es Bach auf fünf Jahrgänge von Kirchenkantaten, so hinterließ Telemann mindestens 31. Und während Bach nur wenige »Ouverturen«, die später sogenannten Orchestersuiten, komponierte – vier sind uns geblieben, viel mehr werden es auch nie gewesen sein –, kam Telemann auf über eintausend! Nicht alle diese Werke haben die Musikgeschichte revolutioniert, natürlich nicht. Gleichwohl war Telemann einer der findigsten Neuerer. Ihm verdanken wir beispielsweise das erste Solokonzert für die Bratsche. Und auch als Komponist für die damals brandneue Oboe d’amore vollbrachte er wahre Pioniertaten. Jede französische »Ouverture« beginnt mit einer Ouvertüre, doch meint dieser Name in der Barockmusik zugleich die nachfolgende Suite stilisierter Tänze und fantasievoll charakterisierter Sätze. Telemanns Erfindungsreichtum kannte gerade auf diesem Gebiet keine Grenzen. Ohne Übertreibung könnte man die Ouverture als sein Lebenswerk betrachten, als den roten Faden, der sich längs der Zeitachse durch alle Wechselfälle, Stationen, Ämter und Aktivitäten dieses umtriebigen Komponisten zieht. Schon

M U S I K M I T M I G R AT I O N S H I N T E R G R U N D

Telemann huldigte in seinen Ouverturen dem »vermischten Geschmack«, der seiner Epoche als Inbegriff des »deutschen« oder »ächten« Geschmacks galt. Deutsche Musik? Über sie lesen wir bei Johann Joachim Quantz, einem zeitgenössischen Flötisten und meinungsbildenden Komponisten, die erstaunlichste Definition. Quantz schreibt 1752: »Wenn man aus verschiedener Völker ihrem Geschmacke in der Musik, mit gehöriger Beurtheilung, das Beste zu wählen weis: so fließt daraus ein vermischter Geschmack, welchen man, ohne die Gränzen der Bescheidenheit zu überschreiten, nunmehr sehr wohl: den deutschen Geschmack nennen könnte.« Mit anderen Worten – »das Deutsche« in der Musik ergibt sich aus der gelungenen Mischung fremdländischer Eigenarten und Errungenschaften: Musik mit Migrationshintergrund. Das 18. Jahrhundert kannte und schätzte das Ideal des weltläufigen, umfassend gebildeten, publizistisch aktiven und unternehmerisch ambitionierten Musikers – ehe sich mit dem fatalen Hang zur Spezialisierung auch in der Musik die eindimensionale Talentförderung durchsetzte: die »tönende Instrumentwerdung des Menschen«, wie sie Heinrich Heine in späteren Zeiten anprangern sollte. Von Grund auf anders sah dagegen die Musikwelt aus (und offenbar auch das Menschenbild), als Georg Philipp Telemann 1721 einem Ruf aus Hamburg folgte und von Frankfurt am Main in das Amt des Kantors am Johanneum und Musikdirektors der fünf Hamburger Hauptkirchen wechselte.Lesen Sie weiter in Das Arbeitspensum, das er hier fortan bewältigen der aktuellen musste – Unterricht, Aufsicht und Leitung der Kantoreien, Komposition von Kantaten, Passionen, Musik für städtische Ausgabe Nr. 02/2017 Fest- und Gedenktage –, hätte normalerweise Stoff "

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BERLINER PHILHARMONIKER — ISANG YUN

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WER, WENN NICHT DER MENSCH … Isang Yun komponierte aus der leidvollen Erfahrung eines Lebens zwischen den Fronten. Sein Klang gewordener Humanismus ist auch 100 Jahre nach seiner Geburt noch zu entdecken. Vo n Vo l ke r Ta r n ow

und Erde einnehmen können. Betrachtet man das Universum materialistisch, tendiert unsere Bedeutung zweifellos gegen Null. »Unser Menschendasein ist nur ein Sandkörnchen«, äußerte Yun kurz vor seinem Tod 1995. »Aber es ist wichtig. Wenn nicht der Mensch empfindet, wer sollte dann empfinden!« ARTI FI Z I E LL U N D DOCH S I N N LICH

Yuns Musik ist hochartifiziell und doch sinnlich. Schon seine frühen Werke, etwa »Bara« oder »Fluktuationen« für Orchester, unterscheiden sich vom Allerweltsstil der Nachkriegsmoderne durch ihren farbigen Klang. Der 1917 im Süden Koreas, am Fuße des heiligen Berges Jiri geborene Komponist studierte ab 1956 in Paris, wechselte aber schon im Folgejahr nach West-Berlin. Seine Lehrer Reinhard Schwarz-Schilling und Boris Blacher, der in China aufgewachsen war, machten ihm klar, dass es nicht darauf ankommt, aktuell zu sein, sondern originell. Dafür brachte der Koreaner die besten Voraussetzungen mit, träumte er doch davon, die Klangvorstellungen der traditionellen koreanischen, ja insgesamt ostasiatischen Musik mit einem europäischen Instrumentarium umzusetzen. Aber er eignete sich auch die Zwölftontechnik an. Es dauerte zehn Jahre, bis er 1966 mit dem Orchesterstück »Réak« seinen künstlerischen Durchbruch feiern konnte. Die Freude währte nur kurz. 1967 wurde er Opfer eines "

Foto: ullstein bild - Ingrid von Kruse

Komponisten Ralph Vaughan Williams stammt angeblich der Satz: »Niemand schreibt eine Symphonie, der nichts Furchtbares erlebt hat.« Träfe das zu, müsste Isang Yun einer der allergrößten Symphoniker des 20. Jahrhunderts sein. Und das ist er auch. Nur standen der angemessenen Würdigung drei Dinge im Wege: die als obsolet geltende Gattung Symphonie, die partielle Rekonstruktion der Tonalität, schließlich der Umstand, dass Yuns Werke persönliche Erfahrungen reflektieren und politische Botschaften enthalten. Damit konnte er in einer Musikszene, die bis in die 1980er-Jahre von serieller Gefühls- und Gedankenlosigkeit geprägt war, nicht reüssieren. Aber eine stattliche Reihe von Schülern und eine sehr rührige Internationale Isang-Yun-Gesellschaft bewahren das Gedächtnis an den Mann, der aus dem zweigeteilten Korea ins zweigeteilte Berlin kam, der an das Prinzip des Yin-Yang glaubte und an den ewigen Wandel. Wie konnte Isang Yun eine derart überbordende Bekenntnismusik mit unmittelbarer Wirkung auf den Hörer schreiben? Die Antwort darauf lautet schlicht und ergreifend: Weil er ein Mensch war. Es ist nämlich unser menschliches Privileg, Musik zu schaffen, zu spielen und zu hören. Musik ist die umfassendste emotionale und zugleich intellektuelle Formulierung unseres Daseins. Und sie führt uns in das Zentrum des Seins, trägt dazu bei, dass wir – nach taoistischer Lehre – eine Mittlerposition zwischen Himmel VO N D E M E N G L I S C H E N


Aus dem zweigeteilten Korea kam Isang Yun 1957 ins zweigeteilte Berlin. Lesen Sie weiter in der aktuellen Ausgabe Nr. 02/2017


Das #United-ByMusic Orchestra und Stanley Dodds

»HIER SEHEN WIR DIE ZUKUNFT« Das Europakonzert der Berliner Philharmoniker fand dieses Jahr auf Zypern statt. Unmittelbar zuvor setzte das Orchester auch ein Zeichen für den Dialog auf der geteilten Insel. Vo n S t a n l ey D o d d s F o to s vo n M o n i k a R i t te r s h a u s


Stanley Dodds (oben) Christian Stadelmann (unten)

D E R K O N TA K T N A C H Pafos entstand durch den Kulturreferenten der deutschen Botschaft in Nikosia, der uns fragte, ob wir nicht Lust hätten, das Europakonzert auf Zypern zu veranstalten. Anlass sollte Pafos’ Jahr als Kulturhauptstadt Europas 2017 sein. Beim ersten Kontakt mit den Organisatoren kam die Idee auf, ob man nicht ein Zeichen für den Dialog zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen auf der Insel setzen könnte. Daraus entstand wiederum die Idee, ein Orchester mit jungen Musikern aus beiden Teilen Zyperns zusammenzustellen. Gemeinsam mit Orchestermitgliedern der Berliner Philharmoniker sollten diese jungen Musikerinnen und Musiker im Rahmen des Europakonzertes unter meiner musikalischen Leitung auftreten. Das Auswärtige Amt, das auch das Europakonzert unterstützt hat, signalisierte sofort die Bereitschaft, uns zu helfen.

Knut Weber (oben) Das Europakonzert der Berliner Philharmoniker mit Mariss Jansons und Andreas Ottensamer (unten)

Im Januar 2017 flog ich dann nach Pafos, um mich mit den Beteiligten zu treffen. Georgia Dötzer, die Organisatorin des Kulturprogramms von Pafos 2017, und die deutsche Botschaft brachten mich mit zwei jungen Musikern zusammen, die 2016 ein Kammerorchester mit Musikstudenten gegründet hatten. So lernte ich Nihat Ağdaç und Natalie Neophytou vom Cyprus Chamber Orchestra kennen, ohne die dieses Projekt nie realisiert worden wäre. Nihat stammt aus dem türkischen und Natalie aus dem griechischen Teil der Insel. In ihrem Kammerorchester spielen tatsächlich je genau zur Hälfte griechische und türkische Zyprioten. Ich war gleich begeistert von der Energie und dem Enthusiasmus der beiden. Nihat und Natalie haben dann auf Basis des Kammerorchesters ein Jugendorchester zusammengestellt, das #UnitedByMusic Orchestra. "

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B E R L I N E R P H I L H A R M O N I K E R — L E B E N S PA R T N E R


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MEIN INSTRUMENT A LS LEBENSPA RTNER Diesmal mit Rainer Seegers und

Fotos: Annette Hauschild

seiner Pauke

M E I N E E R S T E S I N N VO L L E B E G E G N U N G mit der Pauke war mit vierzehn Jahren. Ich hatte zuvor Unterricht auf dem Drumset erhalten und überhaupt schon als Kind viel auf Dingen herumgetrommelt. Das baut einerseits Aggressionen ab, und andererseits ist es interessant zu beobachten, was dabei an Geräuschen herauskommt. Meine Affinität zur Pauke hat sich jedenfalls erst spät entwickelt. Damals war es ja grundsätzlich so, dass alle, die im Orchester Schlagwerk spielten, sich irgendwann zur Pauke hochgearbeitet haben. Man wurde nicht unter vierzig Jahren Pauker. Das Schlagwerk insgesamt hat mich also schon mein Leben lang begleitet. Aber als Lebenspartner würde ich es trotzdem nicht sehen. Ich habe immer gerne gespielt und war, ganz egal in welcher Musikrichtung, auf dem Instrument zu Hause. Meine Eltern mussten mich immer vom Üben wegholen, damit ich endlich mal Schulaufgaben machte. Ich habe wirklich sehr viel Zeit mit dem Instrument verbracht. Aber das lief alles nebenher, die Pauke schlich sich erst mit der Zeit in mein Leben ein. Es war nicht geplant, dass sie diesen Platz in meiner Biografie einnehmen sollte; ich wollte nie Musiker werden. Im Nachhinein bin ich aber sehr froh darüber. Richtig interessiert habe ich mich für die Pauke erst, als ich die Zusammenhänge verstanden habe, das ganze Drumherum, meine Rolle im Orchester und die der anderen Orchesterstimmen. Dazu war ich mit vierzehn Jahren zu jung, und daher spielte ich vor allem Schlagzeug. Die Pauke ist einfach ein Gesellschaftsinstrument. Man kann sie nicht einzeln denken.

Ich empfinde die Pauke sehr wohl als »Melodieinstrument«. Man kann mit ihr viele verschiedene Stimmungen ausdrücken, und sie hat klanglich einen hohen Stellenwert im Orchester. Die Pauken sind im Schlagwerk die einzigen Instrumente, auf denen man in jedem Moment jeden Ton mit einer eigenen Qualität erzeugen können muss. Diese Genauigkeit schafft auch etwas Liebevolles zwischen Spieler und Instrument. Dabei ist das Handwerk natürlich nur die Voraussetzung – das A und O ist die Klangvorstellung. Die Pauke ist dabei auch ein sehr anspruchsvolles Instrument, gerade was ihre Bauweise angeht. Es gibt weltweit nur wenige Exemplare, denen man auch wirklich alle Wesenszüge entlocken kann, die das Instrument in sich birgt – auf denen man also weich spielen kann, leise oder laut, ohne dass es undeutlich oder hässlich klingt. Es ist schwer, einen guten Charakter zu erwischen. Das hat aber auch physikalische Gründe. Im Gegensatz zum Drumset und anderen Schlaginstrumenten habe ich nie eine eigene Pauke besessen. Ich habe von Anfang an beschlossen: Eine Pauke kommt mir nicht ins Haus, auch aus Rücksicht auf meine Mitbewohner. Ich wollte üben gehen und mich nicht zu Hause mit dem Instrument beschäftigen. Ich habe aber oft auf Tischen, Stühlen und Kissen geübt. Tatsächlich besteht bei mir also immer eine große Distanz zum Instrument. Ich halte die Pauke ja auch nicht am Mund oder am Hals. Es ist eine innere Gemeinschaft, die mich mit der Pauke verbindet. < Aufgezeichnet von Katharina Fleischer

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Foto: Albert Weis


FEUILLETON

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Sylvia singt I m J u g e n d c h o r d e r Vo k a l h e l d e n s i n g e n A l te i n g e s e s s e n e u n d N e u a n g e ko m m e n e .

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Sprachforscher der Architektur D e r B i l d h a u e r A l b e r t We i s h at sich mit der Berliner Philharmonie auseinandergesetzt.

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Der Musikbesessene Eine CD-Edition erinner t an Roger Willemsen als l e i d e n s c h a f t l i c h e n M u s i k ve r m i t t l e r.

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Fragen zur Musikliebhaberei Diesmal an den R e c h t s a nwa l t u n d Ku n s t l i e b h a b e r Pe te r R a u e


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FEUILLETON — VOK ALHELDEN

SYLVIA SINGT Zwei Dutzend Jungen und Mädchen aus Berlin und aller Welt singen im Jugendchor der Vokalhelden – und erproben dabei auch das Verhältnis zwischen Alteingesessenen und Neuangekommenen. Vo n J o h a n n e s E h r m a n n F o to s vo n A n n e t te H a u s c h i l d


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FEUILLETON — VOK ALHELDEN

»ANDERS ALS S ONST«, sagt Sylvia nach kurzem Zö-

gern. Sie scheint nicht gleich zu wissen, was sie antworten soll auf die etwas anmaßende Frage, wie es in ihr drinnen aussieht in den Minuten nach einer Probe, wie sie sich also jetzt gerade fühlt, nach anderthalb Stunden Singen mit ihrem Jugendchor. Zugegeben, es ist auch nicht die geistreichste Einstiegsfrage, weil sie gleich mitten rein geht und es sowieso niemandem leicht fällt, offen über seine Gefühle zu sprechen. Sylvia, 15 Jahre, geboren in Nairobi, Kenia, überlegt, sie schaut in den nun fast leeren Probenraum, wo eine Betreuerin die letzten Stühle vor die Wand stapelt. »Anders«, sagt Sylvia noch einmal, und dann: »Glücklich.« Kurze Pause. »Aufgeregt. Neugierig.« Sylvia hält wieder kurz inne. Dann schaut sie unvermittelt hoch, ihr Blick ist fest, man meint da ein leichtes Glänzen zu erkennen in ihren Augen. »Eigentlich sind da jetzt alle Gefühle in mir, die man sich vorstellen kann«, sagt sie. »Nur Traurigkeit nicht, und Wut auch nicht.«


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MITT WOCHS IN DER PUMPE

Sylvia singt im Chor, zum ersten Mal in ihrem Leben. Wenn ihr vor einem Jahr jemand gesagt hätte, du kannst singen, sie hätte ihn ausgelacht. Aber jetzt singt sie, morgens nach dem Aufstehen, zwischendurch, wenn ihr langer Tag eine kurze Pause hat. Ende Januar, bei der Chorfahrt ins brandenburgische Beetzseeheide, hat sie am bunten Abend sogar vor hundert Kindern und Betreuern auf der Bühne gesungen. Und jeden Mittwoch singt sie natürlich auch, ab fünf Uhr nachmittags. Dann kommt Sylvia hierher, in die Pumpe, so heißt das Jugendzentrum an der Berliner Lützowstraße, dessen langer Schornstein aus rotem Backstein weit über das sonst eher triste Neubau-Niemandsland zwischen Kurfürstenstraße, Landwehrkanal und Potsdamer Straße hinausragt. Hier, in dem alten Pumpwerk VII aus den 1880er-Jahren, probt Sylvia Woche für Woche mit dem Jugendchor der Vokalhelden, dem Chorprojekt der Berliner Philhar-

Ein Heim, das ist noch keine Heimat. Es ist nur der Anfang davon. moniker, das seit 2013 besteht. Der Jugendchor, das sind gut zwei Dutzend Mädchen und Jungen, teils sind sie den Kinderchören der jüngeren Vokalhelden entwachsen, teils sind sie ganz neu dabei – nicht nur im Chor, auch in Deutschland. Sie kommen aus Syrien und dem Irak, aus Afghanistan oder, wie Sylvia, aus dem Osten Afrikas. »I didn’t speak any Deutsch«, sagt Sylvia über die Tage ihrer Ankunft im vergangenen Herbst, die neue Sprache erobert sich nun langsam ihren Raum, auch wenn Sylvia sich im Englischen immer noch ein bisschen wohler fühlt, neben Swahili (Suaheli) ist es die zweite Amtssprache in Kenia. Es sind die Vokabeln ihres neuen Lebens, die sie stets auf Deutsch nennt, »Heim« ist so ein Wort oder »Betreuer und Vormund«. Letzterer hat ihr auch vom Jugendchor erzählt, es muss kurz nach ihrer Ankunft gewesen sein, sie weiß es nicht mehr genau. So vieles kam auf sie zu in diesen ersten Wochen in dem fremden Land, so viel hat sie lernen, verstehen, entscheiden müssen, dass sie das Datum nicht mehr genau präsent hat. Ganz im Unterschied zu einem anderen Datum, dem entscheidenden, das nennt sie ohne zu zögern: 26. September 2016. Ihr erster Tag in Deutschland, der Beginn eines neuen Lebens. D E R A N F A N G D E R H E I M AT

Ein Heim, das ist keine Heimat, nur der Anfang davon. Sylvia geht in eine Willkommensklasse in Zehlendorf, eine lange Fahrt mit Bus und Bahn von ihrem Heim aus,

das tief im Südosten der Stadt liegt, in Schöneweide. Vier Mädchen, elf Jungen, alles unbegleitete Minderjährige, wie es im Fachjargon heißt, die Betreuer wohnen im gleichen Haus. Zum neuen Schuljahr will Sylvia in eine richtige Klasse wechseln, in einer richtigen Schule, am liebsten die John-F.-Kennedy-Schule, da sprechen sie auch Englisch. Auf die Jugendchorprobe freut sie sich auch deswegen, weil sie da ihre Freundin Karolyne sieht, auch sie aus Kenia geflüchtet, die beiden sprechen miteinander ihre Muttersprache, ihre Stammessprache, Kikuyu. Zwei kenianische Mädchen im großen, kalten Berlin. Um das, was Sylvia hinter sich hat und weshalb sie in Deutschland ist, soll es hier allerdings nicht gehen. Es muss nicht weiter ausgeführt werden, dass eine 14-Jährige nicht ohne Not ihr Heimatland verlässt, um ganz alleine durch die Wüste und übers Meer in ein tausende Kilometer entferntes Land zu gelangen. Sylvia ist jetzt hier, eine von 83 Millionen Menschen in Deutschland und eine von rund 200 Vokalhelden und Vokalheldinnen. Es ist kurz nach fünf in der Pumpe an der Lützowstraße, Haus 3, die Stühle stehen in einem großen Halbkreis um das Pult des Chorleiters Johannes Wolff herum. Zum offiziellen Probenbeginn ist erst eine Handvoll Jugendliche da. »Die anderen befolgen das akademische Viertel«, sagt Wolff und zuckt mit den Schultern. Was willste machen? Um zehn nach geht es los, die Stimmbildnerin übernimmt das Warm-up, Dehnübungen, Zähneputzen mit der Zunge, gezieltes Atmen, Blubbern, ein erster C-Dur-Dreiklang. Bis kurz vor der Pause um viertel vor sechs trudeln die letzten Nachzügler ein, mal alleine, mal zu zweit oder dritt. Sylvia war pünktlich. Sie steht mittig in der zweiten Reihe in ihrem Shirt mit dem »Love your life«-Aufdruck, die Haare am Hinterkopf straff zu einem Pferdeschwanz gebunden, eine Armbanduhr am linken Handgelenk, ein feines Goldkettchen am rechten. Sie ist bei der Sache, scheint bei manchen Ansagen ein Lächeln zu unterdrücken, dann ist da wieder ein konzentriertes Stirnrunzeln. Die Tür steht offen, feuchte Frühlingsluft kommt herein. Einer der Jungs wirft in einer kurzen Pause seinen Kaugummi nach draußen. D I E A LT E N U N D D I E N E U E N

Es ist ein ambitioniertes Projekt, dieser Jugendchor, der heterogenste Teil des ganzen Vokalhelden-Programms, das räumen die Verantwortlichen ungefragt ein. Im Grunde besteht er aus zwei Gruppen, zum einen die erfahrenen Vokalhelden, zumeist Mädchen, derenSie StimLesen weiter in men bald vier Jahre Training hinter sich haben, man hört der aktuellen es, kräftige, sichere Töne kommen von ihnen. Und dann gibt es die Neuen, die Flüchtlinge, nichtAusgabe wenige Jungen Nr. 02/2017 auch, von denen manche zum ersten Mal Noten in der Hand halten, die aus völlig unterschiedlichen Kulturräumen stammen. "

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FEUILLETON — ALBERT WEIS


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SPRACHFORSCHER DER ARCHITEKTUR Albert Weis hat sich bildhauerisch mit der Berliner Philharmonie auseinandergesetzt. Vo n N at a l i e S c hwa r z

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FEUILLETON — ALBERT WEIS

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Albert Weis vor den Fenstern von Alexander Camarro in der Philharmonie R E C HTS O B E N

philharmonie (auftakt VII), 2011 R E C HTS U NTE N

philharmonie (grise), 2011 VO R H E R I G E S E ITE

taped (silver), 2015, Aluminiumklebeband und gefaltetes Papier auf Wand, Ausstellungsansicht: Kunstraum Alexander Bürkle, Freiburg

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D E R B I L D H A U E R Albert Weis erforscht Räume, Gebäude, ganze Stadtteile, und so kreisen seine vielfältigen Arbeiten immer wieder um die Sprache der Architektur, die er entschlüsselt und übersetzt. Alltägliches neu zu begreifen – das möchte er dem Betrachter ermöglichen. 1969 in Passau geboren, studierte Weis an der Akademie der Bildenden Künste in München. Nach längeren Aufenthalten in Großbritannien, Italien und Frankreich lebt er seit vielen Jahren in Berlin. Im vergangenen Jahr gewann er den Wettbewerb für das neue Lutherdenkmal vor der Marienkirche in Berlin-Mitte. Als ehemaliger Sängerknabe bei den Regensburger Domspatzen verfügt Albert Weis über eine fundierte musikalische Ausbildung, die auch sein künstlerisches Interesse an der Berliner Philharmonie geweckt hat. Sein Werkkomplex »philharmonie« entstand 2010/2011 und besteht aus Fotos, Papierarbeiten und Metallskulpturen.

128: Was hat Sie dazu bewogen, sich künstlerisch mit der Berliner Philharmonie zu beschäftigen? Albert Weis: Obwohl ich sehr musikinteressiert bin, habe ich die Philharmonie jahrelang nur umkreist und mich nicht hineingetraut. Ich habe einen inneren Abstand gefühlt und wusste doch gleichzeitig, dass dies eine längere Beziehung werden würde. Zuvor hatte ich mich intensiv mit der Architektur der Berliner Nachkriegsmoderne beschäftigt, mit der Gropiusstadt und der Hufeisensiedlung von Bruno Taut. Welche Erinnerungen haben Sie an Ihren ersten Besuch in der Philharmonie? »Ist da was gefaltet? Ist da was gefügt? Überlagert sich da was?« – Diese Fragen haben mich von Beginn an beschäftigt. Die Philharmonie besteht aus sehr komplexen, einander überlagernden Räumen. Die Decke des Foyers etwa gleicht einem Gewölbe, einem Himmel, der sich faltet. Fasziniert hat mich die Skulptur »Auftakt« von Bernhard Heiliger im Foyer. Aber eigentlich war es gar nicht so sehr die Skulptur selbst: Sie wird von unten angestrahlt und wirft einen Schatten an die Decke – und dieser eigentümliche Schatten gibt für mich die Formensprache der Philharmonie wieder. Mir ging es nicht darum, dieses Gebäude abzubilden oder darzustellen, sondern sein Vokabular, seine Sprache zu erforschen. "


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FEUILLETON — ROGER WILLEMSEN

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DER MUSIKBESESSENE Dank einer CD-Edition können wir Roger Willemsen noch einmal als leidenschaftlichen Vermittler zwischen Klassik und Jazz erleben. Vo n G e r h a r d F o r c k

Humanisten zu bezeichnen, ist sicher keine Übertreibung. Kaum überschaubar das Spektrum der Themen, denen sich der studierte Germanist, Philosoph und Kunsthistoriker widmete, und dessen Drang, die Verhältnisse auf diesem Planeten mit scharfem Blick und hohem ethischen Anspruch zu erkunden, ihn bis an »die Enden der Welt« führte. Zunächst als Dozent, Herausgeber und Übersetzer (u. a. Thomas Moore und Umberto Eco) tätig, begann Anfang der 1990er-Jahre seine Fernsehlaufbahn als Moderator, später auch als Produzent von Kultursendungen wie »Willemsens Woche«, »Nachtkultur«, »Willemsens Zeitgenossen«. Dabei führte er Interviews mit rund 2000 Gästen, von Yassir Arafat über den Dalai Lama und Michail Gorbatschow bis hin zu Yehudi Menuhin und Madonna. Zudem entstanden unter seiner Regie Porträts von so unterschiedlichen Personen der Zeitgeschichte wie Gerhard Schröder und Marcel Reich-Ranicki. Hauptberuflich war Roger Willemsen jedoch stets Autor: Regelmäßig erschienen seine Essays und Kolumnen in der »ZEIT«, im »Spiegel« und in der »Süddeutschen Zeitung«. Seit 2002 widmete

er sich verstärkt literarischen Arbeiten, darunter Bestseller wie »Deutschlandreise«, »Gute Tage«, »Afghanische Reise«, »Der Knacks«, »Die Enden der Welt« und zuletzt »Das Hohe Haus – Ein Jahr im Parlament«. Willemsen war Schirmherr mehrerer Literaturfestivals und lehrte als Honorarprofessor für Literaturwissenschaft an der Humboldt-Universität in Berlin. Er engagierte sich darüber hinaus bei verschiedenen Hilfsorganisationen (Terre des Femmes, Afghanischer Frauenverein e. V., CARE International) und war lange Jahre Botschafter von Amnesty International. ÜBER ALLE HORIZONTE

Universell war auch seine Passion für die Musik. Roger Willemsen war ein geradezu Musikbesessener, dessen Weitblick auch hier über alle Horizonte hinausreichte. Unvergessen ist die von ihm konzipierte und moderierte Konzertreihe »Unterwegs – Weltmusik mit Roger Willemsen« im Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie. Buchstäblich Unerhörtes bot er dort seinem Publikum; unterstützt wurde er dabei von Birgit Ellinghaus, Deutschlands »Grande Dame« der Weltmusikszene. Bezeichnend für ihn "

Foto: Anita Affentranger

R OGER WILLEMSEN als universellen


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Roger Willemsens Passion für die Musik war universell. Sein Weitblick reichte über alle Horizonte hinaus.


FEUILLETON — MUSIKLIEBHABEREI

FR AGEN ZUR MUSIKLIEBHABEREI

Diesmal an den Rechtsanwalt und Kunstliebhaber Peter Raue

Foto: Regina Schmeken

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Der Rechtsanwalt Peter Raue, 1941 in München geboren, hat seine Leidenschaft für die Künste ganz ins Zentrum seiner beruflichen Tätigkeit gestellt: Er spezialisierte sich früh auf Urheberrecht sowie alle Anliegen in der Kunst und im Kulturbetrieb und gilt auch international als einer der großen Juristen auf diesem Gebiet. So vertrat er u. a. Botho Strauß gegen die Zeitschrift »Theater heute«, Heiner Müller im Streit mit den Brecht-Erben, war an der Neuordnung des Berliner Ensembles beteiligt und an der Umwandlung der Berliner Philharmoniker in eine Stiftung. Als sein eigentliches Lebenswerk betrachtet Raue den Verein der Freunde der Nationalgalerie. Er zählte 1977 zu den Wiedererweckern dieses 1929 gegründeten, von den Nazis zerstörten Fördervereins und leitete ihn bis 2008 als Vorsitzender. Rund hundert Kunstwerke konnte der Verein für die Nationalgalerie ankaufen und vierzig Ausstellungen in alleiniger Trägerschaft organisieren. Sein größter Coup gelang Raue 2004, als er 200 Gemälde aus dem New Yorker MoMA für sieben Monate in die Nationalgalerie holte: »Das MoMA in Berlin« wurde mit 1,2 Millionen Besuchern eine der erfolgreichsten Ausstellungen in Europa. Auch als Kunstsammler wurde Raue bekannt. Im Berliner Büro seiner Kanzlei Raue LLP am Potsdamer Platz im Kollhoff-Tower präsentiert er mittlerweile rund 600 Gemälde.

Was hören Sie zurzeit, Herr Raue? Ich bin Eklektiker, höre immer wieder die CDs, die ich kaufe oder geschenkt bekomme. Das geht munter durcheinander! Zurzeit: Anna Prohaskas »Serpent & Fire« und Albrecht Mayers herrliche Einspielung von Oboenkonzerten unter dem Titel »Lost and Found«, dann wieder Haydn-Symphonien mit den Berliner Philharmonikern. Jüngst und begeistert »Piano Works« von Philip Glass mit dem (mir bis dahin unbekannten) Pianisten Víkingur Ólafsson. Im Auto die Wiederholungen: Immer wieder die »Winterreise« mit Thomas Quasthoff, die herrliche Einspielung von Brahms’ Vierter Symphonie mit Carlos Kleiber, dann auch herzlich gerne mal die Piaf und die Knef. Haben Sie Hörrituale? Allenfalls zur Weihnachtszeit mit den Oratorien, in der Fastenzeit mit den Passionen. In der Wohnung: möglichst laut. Dirigieren Sie manchmal heimlich vor der Stereoanlage mit? Geht gar nicht, würde mich vor meiner hochmusikalischen Frau nur lächerlich machen. Wohin ziehen Sie sich zurück, wenn Sie Stille suchen? Ganz ehrlich: Suche ich nicht. Kraft spendende »Stille« finde ich im Konzert, aber da geht es ja gerade nicht still zu. Und doch ist es so still wie Meereswellen oder Waldrauschen. Hat Berlin in Ihrem Kopf so etwas wie einen eigenen Soundtrack? Natürlich nicht. Ein eigenes Bild ja, und das ist immer, immer wieder die Philharmonie. Können Sie sich an Ihre erste Begegnung mit klassischer Musik erinnern? Ja: Elly Ney gab im Jesuitenkloster in

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Pullach bei München einen Klavierabend. Meine Mutter kaufte mir aus diesem Anlass meine erste lange Hose. Elly Ney spielte Werke mit so fremden Namen wie »Appassionata«, »Pathétique«, »Mondscheinsonate«. Dass sie damals noch öffentliches Auftrittsverbot hatte wegen ihrer Nähe zu den Nazis und als Verehrerin von Adolf Hitler – das hat mir keiner erklärt. Von ihrer Beethovennahen Erscheinung, ihrem bodenlangen Gewand, ihrem dramatischen Spiel war ich hingerissen. Damals war ich zwölf. Zwei Jahre später Fischer-Dieskau mit der »Winterreise« im Münchner Herkulessaal. Das bleibt fürs Leben. Gab es ein Konzerterlebnis, das Sie besonders bewegt hat? Die »Matthäus-Passion« in Salzburg und in Berlin, in Szene gesetzt von Peter Sellars mit den Berliner Philharmonikern unter der Leitung von Simon Rattle, gehört zum Schönsten und Tiefsten, was ich je (mindestens viermal) gehört und gesehen habe und was mir nie mehr aus dem Kopf gehen wird. Singen Sie oder spielen Sie ein Instrument? Ich singe allenfalls unter der Dusche. Und dann nur, wenn ich ganz sicher bin, dass es niemand hört. Die Blockflöte blieb die letzten 60 Jahre unberührt. Gibt es Musik, die Sie überhaupt nicht ertragen? Orgelkonzerte außerhalb der Kirche sind einfach nichts für mich. Wenn Sie sich entscheiden müssten: Mozart oder Beethoven? Keine Sekunde ein Zögern: Mozart (schon wegen seiner Da-Ponte-Opern). Er bliebe fast immer der Sieger. Einzige Konkurrenten: Bach und Schubert, jener vor allem wegen der Klaviersonaten.©<


NACHSPIEL — BÜCHER UND CDS

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W IEDER ENTDECKT Eine literarisches Werk und eine klassische CD, neu empfohlen. Diesmal von Raimar Orlovsky

Buch

Der Zauberberg Thomas Mann S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main Verschiedene Ausgaben ab 12,95 Euro

Thomas Manns »Der Zauberberg« begleitet mich von Jugend an, war aber keinesfalls meine erste Berührung mit dem Werk des Literaturnobelpreisträgers. Ich hatte mich über verschiedene Essays, »Felix Krull«, »Tonio Kröger«, »Joseph und seine Brüder«, »Der Tod in Venedig« und natürlich »Buddenbrooks« dem »Zauberberg« genähert, nicht ahnend, welchen Kosmos Thomas Mann mir in diesem Roman öffnen würde. Beim ersten Lesen war ich in gut einer Woche »durch«, und die Wirkung auf mich spüre ich noch heute. Ich war wie betäubt, aber nicht erschlagen – einfach nur glücklich, einen ersten Blick in die Welt dieses Sanatoriums in Davos getan haben zu dürfen. Es dauerte nicht lang bis ich nicht anders konnte, als diesen Roman ein zweites Mal zu lesen. Dabei entdeckte ich immer mehr Details in Manns unnachahmlichen Charakterstudien. Für mich ist nicht Hans Castorp der Held, sondern eindeutig Settembrini! Ich verliebte mich förmlich in Madame Chauchat, in ihre freizügigegoistische und gleichzeitig laszive Art, Hans Castorp streckenweise in den Wahnsinn zu treiben. Ich tauchte

ab in die fremde Welt von Davos und war traurig, als ich wieder am Romanende angekommen war. Es packte mich die Sehnsucht nach »meinen« Figuren des »Zauberbergs«; ich sehnte mich danach, ein Mal mit am Tisch im Speisesaal zu sitzen, ein Mal das Ins-Schloss-Fallen der Glastür durch Clawdia Chauchat zu erleben, ein Mal den Ausführungen Settembrinis »live« lauschen zu dürfen. So sehr sehnte ich mich nach dieser Welt, dass ich bald meinen dritten Anlauf nahm, den »Zauberberg« zu lesen. Bis heute waren es insgesamt acht Mal. Mittlerweile betrachte ich das Werk aus einer anderen Perspektive und sehe auch Parallelen zu unserem Orchester: Die Berliner Philharmoniker sind ein eigener Kosmos, bestehend aus unterschiedlichsten Charakteren, sind eine Welt, der man sich, ähnlich dem »Zauberberg«, nur schwer entziehen kann, wenn man erst einmal dazugehört. Dieses Orchester hat auf mich eine magische Anziehungskraft, vergleichbar »meinem« Roman, den ich wohl bald zum neunten Mal werde lesen müssen ...


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Raimar Orlovsky absolvierte sein Violinstudium bei Herbert Koloski, Werner Heutling, Thomas Brandis und Walter Forchert. Bevor er 1991 zu den Berliner Philharmonikern kam, spielte er u. a. im Stuttgarter Bach-Collegium und im Chamber Orchestra of Europe. Er ist Gründungsmitglied und Geschäftsführer der Berliner Barock Solisten und des Ensembles Concerto Melante; zudem engagiert er sich im Brahms Ensemble Berlin. In der Orchester-Akademie der Berliner Philharmoniker lehrt er seit 2003 historische Aufführungspraxis. Daneben widmet er sich dem Auffinden und Edieren von bislang verschollenen Werken des 17. und 18. Jahrhunderts. Foto: Heribert Schindler

CD

Amadeus-Quartett Franz Schubert Streichquartett »Der Tod und das Mädchen« Quartettsatz c-Moll Deutsche Grammophon

Wie Thomas Manns »Zauberberg« begleitet mich die Aufnahme von Franz Schuberts Streichquartett »Der Tod und das Mädchen« sowie des Quartettsatzes in c-Moll mit dem Amadeus-Quartett von früh an. Vielleicht gab sie sogar den Ausschlag, Geige nicht nur zu spielen, sondern zu versuchen, auf dem Instrument Dinge auszudrücken, für die Worte nicht ausreichen. Der Primarius des Amadeus-Quartetts, Norbert Brainin, hatte eine so unnachahmliche Art und Weise zu spielen, die mich vom ersten bis zum letzten Ton immer gefesselt hat. Ich wusste als jugendlicher, aufstrebender Geiger kaum davon, wie sehr Musik etwas ausdrücken kann, bis ich rein zufällig im Radio dieses Ensemble mit diesem Werk hörte; wie unglaublich einfühlsam Brainin das Thema aus Schuberts »Der Tod und das Mädchen« vorstellt, mit welcher Schlichtheit und Demut, mit welch überzeugender »Sprache«. Man leidet als Zuhörer förmlich mit, man spürt mit welcher Empathie Brainin Schuberts Botschaft vermittelt. Dabei ist keinesfalls alles perfekt: Da ist durchaus mal ein

»Schleifer« zu hören, der nicht ganz zur Intonation passt, da ist mal eine Wendung minimal »aus der Zeit«, dennoch aber keinesfalls störend »auseinander« im Verbund mit seinen drei Quartettkollegen. Man traut sich kaum zu atmen, auch heute noch stehen mir beim Hören dieser Aufnahme oft Tränen in den Augen. Sie ist wie eine Botschaft aus einer anderen Welt – von zeitloser Gültigkeit. Wenn ich dieses Werk (wie auch den Quartettsatz in c-Moll) dagegen mit den heutzutage besten Streichquartetten dieser Welt höre, bin ich zwar oft von deren Perfektion und Homogenität angetan, gleichzeitig aber auch maßlos enttäuscht, weil es ihnen nicht gelingt, die Botschaft dieser Musik auch nur ansatzweise zum Erklingen zu bringen. Es bleibt etwas auf der Strecke, dem ich mit Wehmut hinterherträume: den emotional durchlebten Ausbrüchen auf der einen Seite und der schlichten Demut dem Werk Schuberts und seiner musikalischen Aussage gegenüber auf der anderen. Norbert Brainin mit seinem Amadeus-Quartett konnte irgendwie beides – das ist für mich auch heute noch großartig!


NACHSPIEL — BÜCHER UND CDS

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NEU ERSCHIENEN Buch

Lebenserinnerungen eines Berliner Philharmonikers Martin Fischer 176 Seiten, zahlreiche Abbildungen Privatdruck, herausgegeben von Alexander Wilde, Berlin, 2016 12,95 Euro, zu erwerben im Shop der Philharmonie

Herbert Blomstedt Mission Musik Gespräche mit Julia Spinola 183 Seiten, 17 Abbildungen Henschel Verlag, Leipzig, 2017 24,95 Euro

36 Jahre lang, von 1960 bis 1996, war Martin Fischer Mitglied der Bratschengruppe der Berliner Philharmoniker. Nun hat er im Selbstverlag seine Lebenserinnerungen veröffentlicht. Der Sohn eines Organisten und Musiklehrers erzählt von seiner Kindheit in Königsberg, die geprägt war von den ersten musikalischen Eindrücken, der Lust am Geigenspiel, aber auch von der Hitler-Zeit. Krieg, Flucht und Aufenthalt in einem dänischen Kinderheim bestimmten das Leben des Heranwachsenden. Schließlich der Neuanfang in Berlin: Noch während der Gymnasialzeit bekommt Fischer die Gelegenheit, im RIASSchulfunkorchester mitzuwirken. Die Erlebnisse in diesem Orchester bestärkten ihn darin, eine professionelle Musikerlaufbahn einzuschlagen, und er beginnt sein Musikstudium in Berlin. Weil es an der Hochschule keine

Bratscher gab, entschloss er sich, auf das tiefere Streichinstrument umzusteigen. Die Studienzeit in Berlin und Freiburg sowie die beruflichen Anfänge als Kammermusiker und Mitglied der Festival Strings Lucerne werden ausführlich beschrieben, ebenso das Probespiel 1960 bei den Berliner Philharmonikern und die menschlichen und künstlerischen Begegnungen mit Kollegen, Dirigenten und Solisten. Fischer schildert nicht nur seine Arbeit als Musiker, sondern auch als Vorstand der philharmonischen »Kameradschaft« (heute: Gemeinschaft), der er sich mit großem Engagement widmete. Und eines wird in jeder Zeile dieser Erinnerungen deutlich: die tiefe Dankbarkeit für ein Schicksal, das ihm nicht nur einen erfüllenden Beruf, sondern in Ehefrau Helga auch eine wunderbare Lebensgefährtin beschert hat. NR

Selbst mit bald 90 Jahren studiert Herbert Blomstedt vor einer Aufführung jede Partitur eingehend aufs Neue, auch wenn er sie schon viele Male dirigiert hat. Trotz seines Weltruhms ist er bemerkenswert bescheiden geblieben. Denn Blomstedt ist davon überzeugt, dass es eine absolute Sicherheit in musikalischen Fragen niemals geben kann: »Selbstzweifel begleiten mich immer. Selbstzweifel sind gut. Das Umgekehrte, ein Zuviel an Sicherheit, ist tödlich in der Kunst.« In seinen Gesprächen, die er auf gemeinsamen Reisen und an biografisch wichtigen Orten mit der Journalistin Julia Spinola geführt hat, gibt Blomstedt tiefe Einblicke in seine musikalischen und menschlichen Überzeugungen. Er berichtet von seiner Kindheit in

Schweden, dem Studium bei Igor Markevitch und Leonard Bernstein und seiner künstlerischen Tätigkeit. Und obgleich dabei Blomstedts gesamte Biografie mit den Stationen Stockholm, Kopenhagen, Oslo, San Francisco, Dresden, Leipzig und Hamburg abgehandelt wird, wirkt die Lektüre nie trocken. Auch deshalb, weil der Leser den gläubigen Protestanten als universell gebildeten, offenen, interessierten und den Menschen zugewandten Zeitgenossen kennenlernt: »Ich betrachte Musiker nicht als Mittel zum Zweck. Es schlummern mysteriöse Fähigkeiten in ihnen – Fähigkeiten, die ich nicht habe und die man hervorkitzeln kann. Man sollte sie ein bisschen behandeln wie Engel: Sie sind Botschafter von etwas Göttlichem.« HH


12 8 — A U S G A B E N R . 0 2 . 2 017

Dirigenten Peter Gülke 296 Seiten, 7 Abbildungen Olms Verlag, Hildesheim, 2017 22,- Euro

Claudio Monteverdi Biografie Silke Leopold 256 Seiten, 19 Abbildungen Reclam Verlag, Stuttgart, 2017 28,- Euro

Zwischen Napoleon und Prospero: In diesem ambivalenten Spannungsverhältnis beschrieb Carl Dahlhaus vor 30 Jahren den Dirigenten, der in Anlehnung an die Hauptfigur aus Shakespeares »Sturm« mit imperialer Geste über jenen Zauberstab verfüge, der das Publikum in ein Wunderreich à la Christoph Martin Wielands Dschinnistan entlässt. Zweifellos ist der Dirigent der umstrittenste Repräsentant des Musiklebens, denn er produziert selbst keinen einzigen Ton, »sortiert nur Luft« und nimmt dennoch den meisten Beifall entgegen. In keinem anderen Beruf reüssiert man mit so unterschiedlichen Begabungen, und bei keinem klaffen die Urteile so weit auseinander; selbst Orchestermusiker haben oft die Vorstellung, Dirigieren sei eine leicht erlernbare Tätigkeit – oder schier unbegreifliche Magie. Mahler, Furtwängler

Noch vor 50 Jahren war er bestenfalls in Expertenkreisen bekannt und hoch geschätzt: Claudio Monteverdi, der zu Beginn des 17. Jahrhunderts die abendländische Musik einschneidend veränderte und dessen Madrigale überall in Europa gesungen wurden. Bereits als 15-Jähriger trat er mit ersten Arbeiten an die Öffentlichkeit und prägte bald eine Epoche, die zu den größten Umbruchphasen der Musikgeschichte zählt. Denn mit der Aufgabe der strengen Vokalpolyfonie gewannen in der Musik Emotionen und kompositorische Freiheiten die Oberhand: Gemeinsam mit anderen Komponisten läutete Monteverdi das barocke Generalbasszeitalter ein und trieb die Entwicklung von Oper und Oratorium maßgeblich voran. Gleichzeitig setzte er in der Instrumentalmusik auf filigrane Virtuosität sowie auf eine Betonung der Affekte, welche den Instrumentalisten einen ähnlich emotionalen Ausdruck abverlangten, wie ihn die textgebundene Vokalmusik zu vermitteln

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oder Karajan sind gleichermaßen Gegenstand von Heldenverehrung wie des Schamanentums verdächtig. In seinem neuesten Buch nähert sich der Dirigent, Musikwissenschaftler und Musikschriftsteller Peter Gülke der Orchesterleiterzunft an: in 17 überaus lesenswerten Porträts, die von Persönlichkeiten wie Bülow, Strauss und Mahler über Toscanini, Furtwängler und Abendroth bis hin zu Jochum, Kempe, Karajan, Wand, Sanderling Markevitch, Kleiber und Harnoncourt reichen. Neben dem einen oder anderen Bonmot – »Wenn einer singt, bestimmt er; wenn mehr als einer singt, bestimme ich« (Karajan) – erhält der Leser aufschlussreiche Einblicke in das Innere der Orchesterarbeit und lernt darüber hinaus Unbekannte wie Felix Weingartner oder Joseph Trauneck kennen. HH

imstande war. In diesem Jahr jährt sich Claudio Claudio Monteverdis Geburtstag zum 450. Mal – Grund genug für die Monteverdi-Expertin Silke Leopold (die bereits in der Reihe »Große Komponisten und ihre Zeit« als Autorin für den MonteverdiBand gewonnen werden konnte), eine wunderbar zu lesende Biografie vorzulegen, die von Monteverdis Anfängen in Cremona über seine Zeit am Hof von Mantua bis hin zu seiner venezianischen Domkapellmeisterschaft an San Marco führt. Trotz der nur spärlich vorhandenen Zeugnisse gelingt hier ein faszinierendes biografisches Panorama, das mit der Musik- und Kulturgeschichte sowie mit den politischen Ereignissen der Zeit verknüpft wird. HH


NACHSPIEL — BÜCHER UND CDS

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Georg Philipp Telemann und seine Zeit Siegbert Rampe 569 Seiten, zahlreiche Abbildungen Laaber-Verlag, Laaber, 2017 44,80 Euro

Der Fall Hindemith Versuch einer Neubewertung Günther Metz 95 Seiten Wolke Verlag, Hofheim, 2016 17,- Euro

Nachdem Siegbert Rampe in der Reihe »Große Komponisten und ihre Zeit« bereits die Bände über Händel, Vivaldi und C.P.E. Bach vorgelegt hat, ist nun seine Telemann-Biografie erschienen. Mit ihr schließt sich eine über eine lange Zeit klaffende Lücke in der Rezeptionsgeschichte dieses großen Komponisten, der als Autodidakt begann und die Anfänge seiner Lehrzeit so schilderte: »In der Musik hatte ich binnen wenig Wochen so viel begriffen, dass der Canthor mich, an seiner Statt, die Singstunde halten hieß, obgleich meine Untergebenen weit über mir hervorragten. Während dieser Zeit componirte er; sobald er aber den Rücken wandte, besahe ich seine Partituren, und fand immer etwas darin, so mich ergetzte.« Rampe, der u. a. Cembalo und Hammerklavier bei Kenneth Gilbert und Ton Koopman studiert hat, lässt seine Leser am

Selbstbild Telemanns mit Zitaten aus dessen vier Autobiografien teilhaben, wobei die subjektiven Einblicke um zahllose weitere Quellen ergänzt werden. Auf diese Weise gelingt es, das anschauliche Bild eines Komponisten zu zeichnen, der quasi ständig Noten zu Papier brachte, aber – wie in Hamburg – zeitgleich auch noch als Kantor, städtischer Musikdirektor, Konzertunternehmer, Opernchef und findiger Verleger agierte. Erst gegen Ende seines Lebens frönte Telemann einem musikfernen Hobby: Er ging unter die Botaniker und legte sich einen Garten voller exotischer Blumen an. Ein detailliertes Werkverzeichnis samt Register sowie eine umfangreiche Chronik, in der Telemanns Lebensdaten in den Kontext historischer und musikgeschichtlich relevanter Ereignisse gestellt werden, runden dieses hervorragend gelungene Buch ab. HH

Um das drohende Verbot der Uraufführung von Paul Hindemiths Oper »Mathis der Maler« durch die nationalsozialistischen Machthaber abzuwenden, veröffentlichte Wilhelm Furtwängler unter der Überschrift »Der Fall Hindemith« im November 1934 in der »Deutschen Allgemeinen Zeitung« einen Artikel, in dem er sich für den Komponisten und sein Werk einsetzte sowie die Vorgehensweise der NS-Kulturpolitik kritisierte. Aber mehr noch: Der Dirigent stellte seine Ämter zur Disposition, falls die Oper nicht herauskäme – und trat schließlich zurück, weil er sich gegenüber dem Regime nicht durchsetzen konnte. »Der Fall Hindemith« bildete die Eskalation einer Entwicklung, die sich – wie der Musikwissenschaftler und Hindemith-Forscher Günther Metz zeigt – seit der Machtübernahme Hitlers schon angekündigt hat. Anhand von zeitgenössischen Dokumenten, vor allem Zeitschriftenartikel, beschreibt er, wie sich das

Urteil über Hindemith in kurzer Zeit änderte. Sah sich Hindemith in den 1920er-Jahren einer konservativreaktionären Kritik ausgesetzt, so waren die Anfeindungen ab 1933 vor allem ideologischer Natur. Schließlich wurde gegen ihn ein generelles Aufführungsverbot verhängt. Ein wichtiger Aspekt des Buchs ist die Frage, warum der Komponist trotz der offenkundigen Demütigungen durch die Nationalsozialisten zurückhaltend blieb, lange auf seine Rehabilitierung hoffte und sich erst spät zur Emigration entschloss. Günther Metz kommt zu dem Schluss, dass Paul Hindemith – darin seinem Opernhelden Mathis ähnlich – einzig seiner Bestimmung folgte: durch seine Kunst zu wirken. NR


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NEU ERSCHIENEN CD

Ein feste Burg ist unser Gott

New Era

Herbert von Karajan

Werke von Georg Philipp Telemann Concerto Melante Deutsche Harmonia Mundi, CD

Werke von Carl und Johann Stamitz, Mozart und Danzi Andreas Ottensamer Albrecht Mayer Emmanuel Pahud Kammerakademie Potsdam Decca, CD

The Sacred & Choral Recordings Diverse Solisten und Chöre Berliner Philharmoniker Wiener Philharmoniker Deutsche Grammophon, 29CDs

Dass Concerto Melante 2017 eine Telemann-CD herausbringen würde, hatte man erwarten können. Schließlich ist der am 25. Juni vor 250 Jahren gestorbene Barockmeister Namensgeber des Originalklangensembles: Das Pseudonym »Signor Melante« stellte sich Telemann einst aus den Buchstaben seines Nachnamens zusammen. Mit der neuen Platte schlägt das aus Berliner Philharmonikern und befreundeten Musikern bestehende Ensemble die Brücke zum 500. Jahrestag der Reformation: Den Rahmen bilden zwei Kantaten, die Telemann 1730 zum 200. Jahrestag der Augsburger Konfession komponierte und die hier erstmals auf CD erklingen. Hinzu kommen, ebenfalls als Weltersteinspielungen, drei Triosonaten sowie Johann Walters »Ein feste Burg ist unser Gott« in unterschiedlichen Fassungen. Eine beschwingt musizierte und auch dank der guten Sänger abwechslungsreiche CD mit schlüssiger Dramaturgie. AC

Warum die neue CD des philharmonischen Soloklarinettisten »New Era« heißt, merkt man sofort, wenn man sie nach Concerto Melantes Telemann hört. Während der 1750erJahre brach in Mannheim tatsächlich eine neue Ära an: in der Musiksprache, die wir heute als Wiener Klassik bezeichnen, aber auch im Instrumentarium. Die Klarinette war damals ein neu entwickeltes Instrument, das ordentlich Furore machte. »Ach, wenn wir auch nur clarinetti hätten«, seufzte Mozart noch 1777 in einem Brief. Andreas Ottensamer stellt gewichtige Konzerte der sogenannten Mannheimer Schule vor, zwei Klarinetten- und ein Doppelkonzert mit Albrecht Mayer am Englischhorn. Hinzu kommen zwei Arien von Mozart (mit Emmanuel Pahud) und eine Fantasie von Franz Danzi auf eine mozartsche Melodie. Stilecht leitet Ottensamer selbst die federleicht aufspielende Kammerakademie Potsdam. AC

Und noch ein Zeitsprung – zurück in eine andere Interpretationsära. Die Deutsche Grammophon hat eine neue, schön gestaltete Box mit Aufnahmen Herbert von Karajans zusammengestellt. Mit einem Repertoire, an das man bei seinem Namen nicht auf Anhieb denkt: geistliche Chorwerke. Dabei musste der junge Karajan als GMD in Ulm und Aachen selbstverständlich Chöre dirigieren, auch hatte er als Kind beim Salzburger Domorganisten Unterricht erhalten. Die 29 CDs entrollen ein erstaunliches chorsymphonisches Panorama, von Mozarts Requiem 1961 mit den Berliner Philharmonikern bis zur Wiener Aufnahme von 1986. Dazwischen findet sich, zum Teil in mehreren Einspielungen, das »große« Repertoire von Bach über Haydn, Beethoven, Mendelssohn, Verdi, Bruckner und Brahms bis zu Strawinsky. Zwei Drittel der Aufnahmen entstanden mit den Berliner, die übrigen mit den Wiener Philharmonikern. AC


N ACHS P I EL — KO N Z ER T K A L EN D ER

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KONZERTE

d e r S t i f tu n g B e r l i n e r P h i l h a r m o n i ke r

Juni

MI 31.05. 20 U H R FR 02.06. 20 U H R SA 03.06. 19 U H R

Philharmonie Berliner Philharmoniker Sir Simon Rattle Imogen Cooper

Dirigent Klavier

Adès Powder Her Face Suite – Auftragswerk der Stiftung Berliner Philharmoniker gemeinsam mit dem Philadelphia Orchestra, Saint Louis Symphony Orchestra, Carnegie Hall, Danish National Symphony Orchestra und London Philharmonic Orchestra, Uraufführung der komplettierten Fassung Mozart Klavierkonzert C-Dur KV 503 Strawinsky Chant funèbre – Deutsche Erstaufführung Le Sacre du printemps (1947) DO 08.06. 20 U H R FR 09.06. 20 U H R SA 10.06. 19 U H R

SO 18.06. 20 U H R

Kammermusiksaal

Jazz at Berlin Philharmonic Stefano Bollani Trio und Gäste Vincent Peirani Akkordeon Mitglieder der Berliner Philharmoniker Geir Lysne Leitung

Igor Levit

Mediterraneo – Italienische Nacht Monteverdi – Morricone – Rota – Rossini – Puccini – Leoncavallo Kuratiert von Siggi Loch

Dirigent Saxofon

Adams City Noir Dvořák Symphonie Nr. 9 e-Moll »Aus der Neuen Welt« MO 12.06. 20 U H R

Kammermusiksaal Originalklang Akademie für Alte Musik Berlin Georg Kallweit Violine und Leitung Marais Tempête aus der Tragédie en musique Alcyone Lalande Suite aus dem Divertissement Les Fontaines de Versailles Telemann Ouvertürensuite C-Dur »Hamburger Ebb und Fluth« TWV 55:C3 Händel Wassermusik HWV 348 – 350

Klavier

Bach Goldberg-Variationen BWV 988 DI 20.06. 20 U H R

Kammermusiksaal Igor Levit

Klavier

Beethoven Diabelli-Variationen op. 120 Rzewski 36 Variations on The People United Will Never Be Defeated!

DI 13.06. 20 U H R

Kammermusiksaal Leonidas Kavakos Kirill Gerstein Amihai Grosz Bruno Delepelaire Albrecht Mayer Stefan Dohr

Violine Klavier Viola Violoncello Oboe Horn

Schumann Drei Romanzen op. 94 Brahms Horntrio Es-Dur op. 40 Klavierquartett g-Moll op. 25

Philharmonie Berliner Philharmoniker Gustavo Dudamel Timothy McAllister

MO 12.06. 20 U H R

Philharmonie

DO 15.06. 20 U H R FR 16.06. 20 U H R SA 17.06. 19 U H R

Philharmonie Berliner Philharmoniker Sir Simon Rattle

Dirigent

Dvořák Bläserserenade d-Moll Turnage Remembering – In memoriam Evan Scofield – Auftragswerk Brahms Serenade Nr. 2 A-Dur op. 16 DO 22.06. 20 U H R

Kammermusiksaal

Philharmonie Berliner Philharmoniker Yannick Nézet-Séguin Joyce DiDonato

MI 21.06. 20 U H R FR 23.06. 20 U H R SA 24.06. 19 U H R

Dirigent Mezzosopran

Ravel Ma Mère l‘Oye, Suite Berlioz La Mort de Cléopâtre Strawinsky L’Oiseau de feu

Prisma Kammermusik Scharoun Ensemble Berlin Emmanuel Pahud Flöte Thierry Fischer Dirigent (Yun, Jarrell) Yun Distanzen für Bläserquintett und Streichquintett, dem Scharoun Ensemble gewidmet Jarrell ...un temps de silence..., Konzert für Flöte und Orchester – Uraufführung Schubert Oktett F-Dur D 803

SA 17.06. 15 U H R SO 18.06. 11 U H R

SA 01.07. 20.15 U H R

Philharmonie

Waldbühne Berlin

Gesangssolisten und Mitglieder der Berliner Philharmoniker und jugendliche Instrumentalisten, Vokalhelden-Kinderund Jugendchor, Vokalhelden-Projektchor Sir Simon Rattle Dirigent Simon Halsey Einstudierung Ela Baumann Regie

Berliner Philharmoniker Gustavo Dudamel

Norman Zum Mond und zurück – Auftragswerk, Uraufführung

Dirigent

Schumann Symphonie Nr. 3 Es-Dur »Rheinische« Wagner Einzug der Götter in Walhall aus Das Rheingold, Siegfrieds Rheinfahrt und Trauermarsch aus Götterdämmerung, Waldweben aus Siegfried, Walkürenritt aus Die Walküre (Konzertfassungen)


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DER SCHLUSSSTR ICH vo n P a s c a l H e i l e r

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NACHSPIEL — IMPRESSUM

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IMPR ESSUM

c hs te D ie nä am h e int c s r e be 7 Ausg a e r 2 01 b m e t 5 . Sep

128 – Das Magazin der Berliner Philharmoniker wird herausgegeben von der Berliner Philharmonie gGmbH für die Stiftung Berliner Philharmoniker Herbert-von-Karajan-Straße 1, D–10785 Berlin Telefon: +49 (0)30 254 88-0, Fax: +49 (0)30 254 88 323 E-Mail: magazin128@berliner-philharmoniker.de Internet: www.berliner-philharmoniker.de

Herausgeber

Martin Hoffmann

Chefredakteur

Carsten Fastner

Redaktion Redaktionelle Mitarbeit

Bildredaktion Korrektorat Art Direktion und Gestaltung Illustrationen

Anzeigen Anzeigenvermarktung

Erscheinungsweise

Vertrieb

ISSN

Natalie Schwarz, Mária Géczi, Anne Schkutek Alexandra Sauer, Hendrikje Scholl Joppe Berlin: Rüdiger Joppe, Annette Gräf Joppe Berlin: Rüdiger Joppe, Frances Franzke

Berliner Philharmonie gGmbH, Herbert-von-Karajan-Str. 1, D –10785 Berlin

Verlag

Druck

Arnt Cobbers (AC), Harald Hodeige (HH), Nicole Restle (NR), Alexandra Sauer (AS) Stephan Kock

S. 3, Martin Hoffmann, Porträt: Kinky Illustrators

Credits

Auflage

Gerhard Forck (GF)

Natalie Schwarz Runze & Casper Werbeagentur GmbH Evelyn Alter, E-Mail: alter@runze-casper.de, Tel. +49 (0)30-280 18 149 4 × jährlich 13.500 Exemplare PieReg Druckcenter Berlin GmbH Benzstraße 12, 12277 Berlin Printed in Germany DPV Vertriebsservice GmbH Süderstraße 77, D – 20097 Hamburg www.dpv-vertriebsservice.de 2194-0694

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