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In welchem Klima wollen wir leben?

Ein Kunst-Editorial von Nora Malles

Es ist ein Jahr vergangen, seit sich unser Leben von Grund auf verändert hat. Das Corona- Virus hat sich rasend schnell über den Planeten verbreitet und uns gezwungen, einige Dinge zu überdenken. Was sich für einige wenige Menschen zunächst als fast schon willkommene Ruhephase darstellte, war zur selben Zeit für andere der Beginn eines Kraftakts: Ohne die gewohnte und oftmals funktionierende Routine, die mehr als nur das finanzielle Auskommen sicherte, eröffneten sich alle Bereiche des Lebens tangierende Fragestellungen. Die folgenden Seiten erzählen die Geschichte einer Frage, die hier am Ende steht – aber auch im Zentrum dieser zwölften Berliner Stiftungswoche.

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Wir beschäftigen uns momentan hauptsächlich mit uns selbst. Das wirkt nahezu verständlich, da keine Situation mit einer anderen deckungsgleich scheint. Teilweise sind es lediglich Facetten, die in den Unterschieden auszumachen sind, aber deutlich genug, um die Relevanz der eigenen vermeintlichen Probleme zu hinterfragen. Es geht sowohl um die Art und Weise unseres täglichen Miteinanders als auch um die Zukunft unseres Planeten. Wie soll dieser Ort für die kommende Generationen beschaffen sein?

Die Kunstwerke von Carina Linge, Arthur Metz und Achim Mohné sind zunächst grundverschieden. Sie haben unterschiedliche Phänomene des Menschlichen und Ökologischen als Thema. Dennoch eint sie die Herangehensweise der Künstler*innen an ihre Sujets – sie isolieren, betrachten, reflektieren und kontextualisieren. Zudem sind alle drei Künstler in der Lage, einen derart tiefen und durchdringenden Blick auf ein Phänomen zu werfen und schließlich auf den Bildträger zu transportieren, dass selbst der ultra-hochaufgelöste Scan einer Nutzpflanze es vermag, ein Gefühl von Nähe, Vertrautheit, Wärme und Empathie zu evozieren.

Autorin Nora Malles ist seit 2017 in der Kommunikationsagentur Kaiserwetter tätig. Dabei ist sie u. a. für das Projektmanagement der Berliner Stiftungswoche zuständig. Sie hat in Dresden, Stockholm und Berlin Kunstgeschichte studiert, in den Redaktionen der FAZ und monopol Erfahrungen gesammelt und daneben für verschiedene Galerien und Kunstmessen gearbeitet sowie unterschiedliche Ausstellungen kuratiert.

Carina Linge

Niederungen, C-Print auf Dibond, 2020, 100 × 150 cm

Courtesy: Galerie Jarmuschek + Partner

In »New Age of Dissent« setzt Carina Linge geschickt einen Link zur britischen Journalistin, Autorin und Feministin Laurie Penny, die in dem 2011 erschienenen Band »Notes from the New Age of Dissent« ihre Blog-Texte versammelt. Laurie Penny, die sich selbst als feministische Futuristin bezeichnet, schreibt wütende, leidenschaftliche und zugleich durchaus humorvolle Texte über die Ängste und Frustrationen, die eine Mehrheit der jüngeren Generation kennt. Sie gibt damit jenen, die ihre stillen Ängste nur als anhaltende Unzufriedenheit ausdrücken können, eine Stimme. Dies trifft auch auf die Künstlerinnen und deren Arbeiten zu, welche Carina Linge in ihren psychogrammartigen Porträts präsentiert. Während die innere Gefühlswelt der Protagonistinnen sichtbar gemacht wird, offenbaren die Fotografien auf subtile Weise Einblicke in Phänomene unserer Zeit, die diese Künstlerinnen bewegen und umtreiben – etwa sexuelle Identität, Ausgrenzung, Benachteiligung und Kapitalismuskritik.

Ohne Brief, C-Print auf Dibond, 2019, 120 × 80 cm

Courtesy: Galerie Jarmuschek + Partner

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Darf ich meine persönliche Situation mit anderen vergleichen?

Darf ich mich beschweren, obwohl ich alles habe?

Wie überstehe ich die Einsamkeit?

Geht es mir wirklich gut?

Wann kann ich jemanden zur Begrüßung wieder umarmen?

Wie ändert sich unser Zusammenleben in Zukunft?

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Arthur Metz

Let there be Light (die modernen Messen I), 2019, Aquarell auf Papier, 270 × 190 cm

Courtesy: Positions Berlin GmbH

In seiner Serie »Trouble-fêtes« entführt Arthur Metz die Betrachter*innen in eine Parallelwelt, die losgelöst vom Studien- oder Büroalltag mit einem Ausbruch aus dem Normalen lockt. Fein, subtil und einfühlsam fängt er mit Schatten erzeugenden Farbverläufen und zartem Pinselstrich die ambivalenten Stimmungen einer Szene ein, der das Feiern eine Ersatzreligion geworden ist. Was früher oft einen großen Anlass wie eine Hochzeit oder einen Jahreswechsel gebraucht haben mag, geschieht nun am Wochenende im Club, in der Bar und auf dem Festival. Die Gelegenheiten sind zahlreich, das Geld fließt und die Partyindustrie boomt. Der Tanzende wird zum Konsumenten und das Gefühl des Dazugehörens sowie das Versprechen eines unvergesslichen Abenteuers sind die Produkte, die es zu kaufen gilt.

Trouble-fêtes IV, 2020, Aquarell auf Papier, 25 × 21 cm

Courtesy: Positions Berlin GmbH

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Wie gestaltet sich unser Zusammensein in Zukunft?

Wie können wir trotzdem zusammen sein?

Wird es wieder so, wie es vorher war?

Sind meine Erinnerungen realistisch oder idealisiere ich sie?

Wie geht es den Kindern? Wie wirkt sich die Situation auf ihre Entwicklung aus? Wie erklärt man ihnen, was gerade geschieht?

Was kann ich für andere tun?

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Achim Mohné

Kapuzinerkresse (Tropaeolum), 2017, Echt Pigmentdruck auf Hahnemühlepapier, 144 × 111 × 4_cm

Courtesy: Galerie Judith Andreae

Achim Mohnés Arbeiten des Projekts »DI_GI_TA_LIS a plant scan project« liegen eine Performance des Medienkünstlers zugrunde, bei der Pflanzen mittels eines High-Tech-Verfahrens gescannt, ausgedruckt und schließlich als Pigment-Print ausgestellt werden. Im Rahmen dieser künstlerischen Aktion verarbeiten Köche das pflanzliche Material zu veganen Gerichten und servieren es den Besucher*innen. Achim Mohné beschäftigt sich in seiner künstlerischen Arbeit mit der Funktion von Bildern, die er als Bindeglied sozialer, interdisziplinärer und intermedialer Handlungen versteht. Über die ästhetische Artikulation seiner fotobasierten Arbeiten verweist der Künstler auf ethisch-ökologische Themen der heutigen Umwelt- und Klimadebatte, der Ernährung, des Konsums und der Nachhaltigkeit.

Roter Fingerhut (Digitalis purpurea), 2019, Echt Pigmentdruck auf Hahnemühlepapier, 144 × 111 × 4_cm

Courtesy: Galerie Judith Andreae

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Wie finde ich Ruhe?

Weiß ich noch, wie es vorher war?

Was bedeutet eigentlich Normalität?

Was hat sich geändert?

Was geschieht gerade in anderen Ländern?

In welchem Klima wollen wir leben?

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