Aktuelles Öffentlicher Dienst / Bund
Behörden Spiegel / Juni 2017
B
ehörden Spiegel: Herr Seidel, welchen Status quo verzeichnen Sie hinsichtlich des Fachkräftemangels? Seidel: Wir wissen, dass in allen technischen und naturwissenschaftlichen Bereichen erhebliche Probleme bei der Stellenbesetzung bestehen. Nach den mir vorliegenden Informationen können lediglich 30 Prozent der offenen Stellen angemessen besetzt werden. Diese Situation wird sich weiter zuspitzen aufgrund des demografischen Wandels. Das Durchschnittsalter in den technischen Fachverwaltungen ist höher als in anderen Bereichen. In einzelnen Fachverwaltungen gibt es einen Altersdurchschnitt über 55 Jahre. Deshalb wollen wir noch vor der Sommerpause alle Landesregierungen bitten, die Anzahl der unbesetzten Stellen und das Durchschnittsalter in den technischen und naturwissenschaftlichen Fachverwaltungen zu erheben. Behörden Spiegel: Wie sehen die jetzigen Bewerberverhältnisse aus?
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“Das Dienstrecht steht im Wege” Jan Georg Seidel zur Nachwuchsgewinnung im technischen Dienst
licht, wie Zulagen, Höhergruppierungen oder Erfahrungsstufen höher zu setzen, um den Öffentlichen Dienst von der Bezahlung her attraktiver zu machen.
(BS) Was muss der Öffentliche Dienst unternehmen, um heute und in Zukunft ausreichend Fachkräfte für die technischen und naturwissenschaftlichen Verwaltungen zu gewinnen? Im Gespräch mit dem Behörden Spiegel erläutert Jan Georg Seidel, Bundesvorsitzender der BTB Gewerkschaft Technik und Naturwissenschaft im DBB Beamtenbund und Tarifunion, den derzeitigen Bewerbermangel und macht Vorschläge, wie der Öffentliche Behörden Spiegel: Und die Möglichkeiten im Tarifrecht? Dienst insgesamt attraktiver werden kann. Die Fragen stellte Jörn Fieseler.
“Es ist sehr schwer, überhaupt neue Kollegen zu finden, die die Anforderungen erfüllen”, beschreibt Jan Georg Seidel, Bundesvorsitzender der BTB Gewerkschaft Technik und Naturwissenschaft, die Nachwuchssorgen in den technischen und naturwissenschaftlichen Verwaltungen.
Seidel: Für das Land BadenWürttemberg wurden Zahlen veröffentlicht. Sie sind für die gesamte Bundesrepublik exemplarisch. Dort kam auf drei Stellen ein Bewerber, der die Anforderungen erfüllte. Zudem ist Foto: BS/Fieseler zwischen Bewerbung und qualifizierter Bewerbung zu differen- weil sie damit ihren Lebensstanzieren. Es gibt zwar Ausschrei- dard nicht weiterführen kann. bungen mit 100 Bewerbern auf Die dritte Bewerbung kam von zehn Stellen, aber in der Aus- einer 70-jährigen Architektin. schärfung der Unterlagen wird Diese wollte vielleicht ihre Rente festgestellt, dass die wenigsten aufbessern. Aus formalen Gesichtspunkten konnte sie nicht den Anforderungen genügen. Hinzu kommt, dass im tech- eingestellt werden. Ähnliche Beispiele gibt es in nischen und im naturwissenschaftlichen Bereich Menschen allen Metropolen. Die ganze mit Berufserfahrung gesucht Rheinschiene ist mit technischen und werden. Der T r a n s f e r “In einzelnen Fachverwaltun- n a t u r w i s von prak- gen gibt es einen Altersdurch- senschaftlichen Fachtischer Erschnitt über 55 Jahre.” kräften fahrung aus sehr schwer der Wirtschaft in den öffentlichen Dienst zu besetzen. Wir erleben in den ist ein echter Mehrgewinn, der technischen und naturwissenaber bei den Rahmenbedingun- schaftlichen Verwaltungen in gen im öffentlichen Dienst nicht Düsseldorf und Köln ein starkes Wettbewerbsumfeld, mit starmehr zu realisieren ist. ken Arbeitgebern in der WirtBehörden Spiegel: War das schaft. Dort ist es sehr schwer, überhaupt neue Kollegen zu schon immer so? finden, die die Anforderungen Seidel: Nein. Im Jahr 2000 erfüllen. Viele springen schon war die Situation noch anders: während der LaufbahnausbilDa hatten wir in vielen Berei- dung wieder ab oder beenden chen, z. B. in der Bauwirtschaft, kurz danach das Beamtenverkonjunkturell schlechte Zeiten, hältnis und wechseln in die freie sodass viele gute Fachkräfte ge- Wirtschaft zurück. wonnen werden konnten. Behörden Spiegel: Und in Jetzt ist das Pendel umgeschlagen und wird in den nächsten ländlichen Regionen? Jahren nicht zurückschlagen. Seidel: Hier sieht die Situation Mir liegen beispielsweise aktuell zwei Fälle aus Niedersachsen anders aus. In den Ballungszenvor, wo Headhunter Ingenieure tren ist der Öffentliche Dienst aus der Bauverwaltung für die im Wettbewerb, im ländlichen Wirtschaft gewinnen wollen. Es Bereich gibt es Menschen, die wird mit Großprojekten und fi- mit der Region stark verbunden nanziellen Verbesserungen ge- sind. Da ist eine Bezirksregieworben. Da liegt die Vermutung rung ein attraktiver Arbeitgeber, nahe, dass es Auftragnehmer auch wegen der Standortsicherder öffentlichen Hand sind und heit. Aber auch dort gehen die diese die Kompetenzen der Mit- Bewerberzahlen zurück. Die arbeiter in den Bauverwaltun- Auswahlmöglichkeiten werden gen sehr zu schätzen wissen. kleiner. Andere Ausnahmen sind Städte Im Ergebnis wird intensiv abwie Münster mit Universitäten. geworben. Bei den Naturwissenschaften Behörden Spiegel: Gibt es an- finden wir dort noch genügend Bewerber. Allerdings nicht bei dere Beispiele? den Ingenieuren. Bei Biologen Seidel: Ja. Die Stadt München scheint es noch einen Überhat kürzlich eine Architekten- hang zu geben, wir brauchen stelle ausgeschrieben. Eingrup- aber Chemiker, Bauingenieure, piert gemäß Tarifvertrag in die Elektroingenieure, MaschinenEntgeltstufe zehn. Beworben bauingenieure, um fachlich gut haben sich drei Personen. Davon aufgestellt zu sein. Biologen alhat eine Bewerbung die forma- lein reichen nicht. len Anforderungen nicht erfüllt, Behörden Spiegel: Woran liegt es fehlte die Qualifizierung zum Architekten. Die zweite Bewer- es, dass zu wenig Menschen mit bung kam von einer Architektin, technischer Ausbildung in den die sofort ablehnte, als sie die Öffentlichen Dienst kommen? Höhe des Gehalts erfahren hat,
Seidel: Über Jahre ist das meinsam im Verbund mit andePersonal in den technisch-na- ren Ländern auszubilden. Das turwissenschaftlichen Verwal- geht in sehr vielen Bereichen. tungen abgebaut worden. In- Und: Die Länder profitieren so zwischen haben wir an vielen auch von einem fachlichen AusStandorten überalterte Perso- tausch über die eigenen Grenzen nalkörper, d. h. wir haben einen hinweg. Das inzwischen nach erhöhten Bedarf. Im Gegenzug der Föderalismusreform unterwerden gute, qualifizierte Hoch- schiedlich entwickelte Dienstschulabsolventen viel stärker recht steht hier im Wege. am Markt umworben. Zum Beispiel über Partnerschaften, um Behörden Spiegel: Wären junge Menschen schon während auch Ausbildungsformen wie des Studiums für das Unterneh- die gemeinsame Akademie im men zu gewinnen. Dagegen bie- Öffentlichen Gesundheitsdienst tet der Öffentliche Dienst einen denkbar? Einstieg mit einer eineinhalbbis zweijährigen LaufbahnausSeidel: Eine Akademie in bildung bzw. Probezeit mit ge- Deutschland wäre genau richtig ringem Einkommen. Und das oder auch drei bis vier regional ist im föderalen System noch verteilt. Da sehe ich noch sehr unterschiedlich und schlechter viel Potenzial. geworden. Für Bewerber ist das ein Schritt zurück, den diese Behörden Spiegel: Wie wirkt bewusst in Kauf nehmen, um sich das Laufbahnwesen auf die dann verbeamtet zu werden. Fachkräftegewinnung aus? Die Verbeamtung ist der einzige große Mehrwert des ÖffentliSeidel: Das ist ein weiteres chen Dienstes. Die Statusfrage Hindernis. Insbesondere für den wird in Zukunft zur Gewinnung mittleren und gehobenen techvon Fachnischen kräften von Dienst ist “Im Ergebnis wird intensiv entscheies in vielen abgeworben.” dender BeLändern zu deutung starr. Die sein. Das hat noch etwas Ex- beruflichen Möglichkeiten für klusives. eine Weiterentwicklung sind Beim Einkommen kann der Öf- meist nicht gegeben, es gibt ein fentliche Dienst nicht mit der Endamt, das oft die Sackgasse freien Wirtschaft konkurrieren. ist. Hin und wieder gibt es AusIm Schnitt betragen die Unter- nahmen, wenn jemand einen schiede um die 30 Prozent, wenn Aufstieg macht. In vielen Bunman z. B. die Tarifverträge aus desländern wurden die Laufder Metall- oder Baubranche bahnen zwar vereinfacht, ein als Vergleichsmaßstäbe heran- exakter Blick in das Dienstrecht zieht. zeigt: Bis man in die nächste Ebene kommt, sind die Hürden Behörden Spiegel: Bleiben wir nach wie vor die gleichen. Zum bei den Vorbereitungsdiensten. Beispiel die Beurteilung bis hin Sind diese noch zeitgemäß? zu Quotenregelungen. Seidel: Der Vorbereitungsdienst ist sehr unterschiedlich von Land zu Land. Für die meisten Bereiche, wie z. B. beim staatlichen Arbeitsschutz, aber unerlässlich. Er vermittelt den technisch gut ausgebildeten Kollegen Erfahrungen und Wissen, die sie woanders gar nicht sammeln können. Und er integriert die Kollegen in die Verwaltung. Schließlich sind die Kollegen im Staatsdienst tätig, d. h. an sie werden von der Gesellschaft besonders hohe Ansprühe gestellt. Etwa bei der Gefahrenabwehr, z. B. dem Strahlenschutz. Dann muss der Staat handlungsfähig und kompetent sein. Dazu brauchen die Kollegen nicht nur das technische Wissen, sie müssen auch das Verwaltungshandeln, etwa die schematischen Abläufe, kennen. Im Prinzip brauchen wir Verwaltungsingenieurwesen mit einem kleinen, qualitätsvollen Anteil Verwaltungrecht an dieser Stelle. Insgesamt haben viele Verwaltungsspitzen und die Politik noch nicht erkannt, wie wichtig die technischen und naturwissenschaftlichen Fachverwaltungen sind, um bei künftigen Anforderungen entwicklungsfähig zu sein. Der technische Fortschritt wird dem Staat zukünftig viel abverlangen. Behörden Spiegel: Nun hat Thüringen entschieden, in 13 Laufbahnen den Vorbereitungsdienst aus Kostengründen zu streichen. Seidel: Das ist nicht gut und in der Tat eine Fehlentscheidung. Besser ist es, wenn die Ausbildungszahlen zu gering sind, ge-
Behörden Spiegel: Wie kann der Öffentliche Dienst dem Dilemma entgehen und mehr Fachkräfte gewinnen?
Seidel: Momentan gewinnen türlich eine Verpflichtung, im Anschluss eine gewisse Zeit im wir genügend Menschen, die das Öffentlichen Dienst tätig zu sein. Beamtenverhältnis wünschen. Diese Zeit muss sinnvoll bemes- Über das Angestelltenverhältnis sen sein, damit man die Men- zu gehen, ist keine grundsätzlischen nach Ablauf nicht abrupt che Lösung. Allerdings könnten ältere Fachverliert. “Manche Länder greifen kräfte über Zum aneine besonderen muss schon auf duale dere tarifder ArbeitStudiengänge zurück.” rechtliche geber atRegelung traktiver werden hinsichtlich der Ent- für Techniker und Naturwiswicklungsmöglichkeiten und senschaftler gewonnen werden. der Einstiege. Es ist nicht nah- Dafür wäre eine eigene Entvollziehbar, das gut ausgebilde- geltordnung für Techniker und te Leute im höheren Dient in Naturwissenschaftler hilfreich. A 13 anfangen müssen, wenn Daran arbeiten wir als BTB, wir da einen erhöhten Bedarf müssen aber noch viel Überzeuhaben. Es gibt vergleichbare Be- gungsarbeit leisten, auch bei rufe, oder Mediziner, die können Partnern und Freunden. schon in einer höheren Besoldungsgruppe einsteigen, warum nicht auch bei Beamten im technischen Dienst? Behörden Spiegel: Also das Laufbahnrecht ändern? Seidel: Besser ist ein Fachkräftegewinnungsgesetz, wie es der Bund 2012 verabschiedet hat. Dadurch hat der Bund zahlreiche Möglichkeiten, Fachkräfte zu werben und zu gewinnen. Auch in den Ländern sind solche Gesetze notwendig. Wir brauchen natürlich ein Gerüst für den großen allgemeinen Teil im Dienstrecht. Wir brauchen auch den technischen Dienst im Staatsdienst – tatsächlich im Beamtenverhältnis. Darauf kann man ein Fachkräftegewinnungsgesetz draufsetzen, dass dann weitere Zusätze ermög-
Während in ländlichen Regionen noch genügend Nachwuchskräfte für den technischen Dienst gefunden werden, etwa bei den Vermessungstechnikern hier im Bild, sieht es in Metropolen ganz anders aus. Foto: BS/Karl-Heinz Laube, pixelio.de
Neuer Hauptstadtvertrag Bund erhöht Ausgleichszahlungen an Berlin erheblich
(BS/mfe) Vertreter der Bundesregierung und des Berliner Senats haben sich auf einen neuen Hauptstadtfinanzierungsvertrag geeinigt, der kürzlich unterzeichnet wurde. Der Kontrakt gilt für die Jahre 2018 bis 2027 und sieht unter anderem eine massive Steigerung der Zahlungen Seidel: Nicht durch das Ab- des Bundes an das Land Berlin für die Bewältigung hauptstadtbedingter senken der Einstellungsanfor- Sicherheitsaufgaben vor. derungen. Wir brauchen in den technischen Verwaltungsdiensten Menschen mit fundiertem Wissen und Sachverstand. Das kann man sich nicht über Wikipedia anlesen. Das gilt übrigens auch für die Verwaltungsspitzen, dort brauchen wir nicht nur Verwalter, sondern Führungskräfte mit Fachverstand. Bis dato werden die Anforderungen runtergeschraubt und fehlendes Wissen soll durch Fachschulungen kompensiert. Das gelingt nicht richtig, kostet viel Zeit und ist nicht der geeignete Weg. Der Öffentliche Dienst muss so attraktiv sein, das die guten Fachkräfte zu uns kommen wollen. Behörden Spiegel: Wie? Seidel: Es gibt viele Möglichkeiten. Manche Länder greifen schon auf duale Studiengänge zurück. Zum Beispiel in der Bauverwaltung. Dort wird ein Studium zum Bauingenieur angeboten und der praktische Teil kann in der Verwaltung abgeleistet werden. Oder die Finanzierung läuft mit Anwärterbezügen, wie es im allgemeinen Verwaltungsdienst schon immer gemacht wurde. Das ist ein sehr gutes Mittel. So kann ein Stück weit Bildungs- und Sozialpolitik betrieben werden, indem Menschen der Zugang zu einer höheren Bildung ermöglicht wird. Zu so einem Studium mit Anwärterbezügen gehört na-
Für den Bund unterschrieb Finanzminister Dr. Wolfgang Schäuble (CDU, 2.v.l.) den neuen Hauptstadtfinanzierungsvertrag. Für das Land Berlin wiederum unterzeichnete unter anderem der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) den Kontrakt, der bis 2027 gilt. Foto: BS/Bundesministerium der Finanzen
Die entsprechenden Mittel sollen von derzeit noch nur 60 Millionen Euro pro Jahr auf zunächst 100 Millionen Euro jährlich anwachsen. Ab 2022 sollen es dann sogar 110 Millionen und ab 2023 schließlich 120 Millionen Euro pro Kalenderjahr sein. Dies entspricht einer Verdoppelung der Mittel ab der zweiten Hälfte der Vertragslaufzeit im Vergleich zur derzeit noch geltenden Regelung. Über die gesamte neue Finanzierungsperiode betrachtet, fließen in diesem Bereich damit 1,1 Milliarden Euro nach Berlin. Sie werden verwendet, um zum Beispiel den Objektschutz vor konsularischen Vertretungen oder die Absicherung von Demonstrationszügen sicherzustellen. Bundesfinanzminister Dr. Wolf-
gang Schäuble (CDU) erklärte zu dem neuen Vertragswerk: "Berlin ist die Hauptstadt aller Deutschen: Hier findet unsere Demokratie statt. Hier erleben ausländische Besucher ein würdiges und attraktives Schaufenster der Bundesrepublik." Der Bund nehme seine Verantwortung bei der Bewältigung der Mehraufwendungen durch den Kontrakt wahr. Dazu gehörten nicht nur der Beitrag des Bundes zur Gewährleistung der Inneren Sicherheit, sondern auch die Unterstützung von Berlins beeindruckendem Kulturangebot. Durch die lange Laufzeit bis 2027 sorge der neue Hauptstadtfinanzierungsvertrag für Planungssicherheit, zeigte sich der Ressortchef überzeugt.