Behörden Spiegel April 2020

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Kommunalpolitik

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it Abschluss der Gebietsreform 1975 erschien die kommunale Landschaft in NRW klar strukturiert. Auf der einen Seite stehen die Landkreise, die für ihre Kommunen Aufgaben in den Bereichen Bildung, Soziales, Umwelt, Sicherheit und Ordnung wahrnehmen. Auf der anderen Seite gibt es die kreisfreien Städte, die alles selbst erledigen. Mit der Gründung der Städteregion Aachen im Oktober 2009 kam Abwechslung in diese Strukturen. Es war der Versuch, die starren Grenzen zwischen “kreisfrei” und “kreisangehörig” aufzuweichen und gleiche Aufgaben im überörtlichen Bereich gemeinsam zu erledigen. Die räumlichen Voraussetzungen dafür waren günstig. So hatte die Verwaltung des Kreises Aachen ihren Sitz bereits in der Stadt Aachen. Diese war an drei Seiten vom Kreis Aachen umschlossen. Das Modell einer Region, bei der vom bewährten Nebeneinander Kreis – Großstadt abgewichen wird, gibt es aber nur vereinzelt in Deutschland. Drei Landeshauptstädte – Hannover, Saarbrücken und Stuttgart – haben sich durch dieses Konstrukt enger mit ihrem Umland vernetzt. Die Absicht war stets dieselbe: vergleichbare Aufgaben gemeinsam erledigen, Doppelarbeit vermeiden, Geld sparen. Dieser Auftrag wurde auch der Städteregion Aachen mit dem “Aachen-Gesetz” erteilt. So sollten noch im Jahr der Gründung drei Prozent der Personal- und Sachkosten bei den gemeinsamen Aufgaben eingespart werden, bis Ende 2015 insgesamt zehn Prozent. Diese Zielmarke erreichte man sogar ein Jahr früher. Gleichwohl gab es ständig Streit über den Beitrag der Stadt Aa-

Erfolgreiche Einzellösung Reformbedarf bei der Städteregion Aachen?! (BS/Martin Lehrer) Während die vor gut zehn Jahren gegründete Städteregion Aachen weiter optimiert wird, ist von einer Reform oder Übertragung auf andere Städte und Kreise in NRW nicht mehr die Rede.

Gruppenbild der zehn Städte und Gemeinden, die sich zur Städteregion Aachen zusammengeschlossen haben. Foto: BS/adobe stock, hkama

chen zum Haushalt der Städteregion. 2016 beschlossen beide eine Ergänzung zum bisherigen Regelwerk. Danach sollte die Stadt Aachen zunächst einen Abschlag an die Städteregion zahlen. Dieser würde dann im Jahr darauf exakt abgerechnet. Die Umsetzung dieses von der NRW-Kommunalaufsicht gebilligten Vorschlags dauert noch an. Auch protokollarisch musste zwischen Stadt und Städteregion einiges klargestellt werden. So galt zunächst die “Bearbeitung von Ordensangelegenheiten sowie von Ehe- und Altersjubiläen” als übertragen auf die Städteregion. Doch ein Oberbürgermeister muss auch Bundesverdienstkreu-

ze verleihen können, so die Auffassung in Aachen. Also einigte man sich, dass die verwaltungstechnische Vorbereitung von Jubiläen und Ordensverleihungen bei der Städteregion bleiben sollte, der eigentliche Vollzug in der Stadt Aachen aber der Stadtspitze zustehe. Fünf Jahre nach Inkrafttreten sollten das Aachen-Gesetz und die Entwicklung der Städteregion evaluiert werden. Dies geschah Ende 2014 – und die Bilanz war positiv. “Die Städteregion Aachen hat sich bewährt. Insbesondere sind die erhofften Synergieeffekte eingetreten”, so das NRW-Innenministerium. Freilich äußerte die Städteregion auch Wünsche nach

Weiterentwicklung: zum einen mehr Befugnisse von oben, zum anderen wiederum mehr Möglichkeiten für die Stadt Aachen, Aufgaben an sich zu ziehen. Konkret betraf dies neue Aufgaben, die per bloßer Rechtsverordnung den Städten und Kreisen übertragen werden. Bereits 2015 setzte die damalige rot-grüne Landesregierung diesen Reformschritt um. Einem anderen Ansinnen gab sie nicht statt. So wollte die Stadt Aachen weiterhin in der bundesweiten amtlichen Gemeindestatistik eine separate Schlüsselnummer, um anderen Großstädten vergleichbar zu sein. Zugestanden wurde aber nur ein ergänzender Eintrag unter der

Schotten dicht Corona-Maßnahmen in der örtlichen Verwaltung (BS/Katarina Heidrich) Während die Straßen leer sind, verlagert sich auch in den Kommunalbehörden die Kommunikation auf Telefon und Internet. Alle Städte und Gemeinden stehen zurzeit vor der Herkulesaufgabe, sich nach innen und nach außen neu zu organisieren. Die Digitalisierung hilft, aber auch sie löst nicht alle Probleme. Die Stadt Detmold ist seit dem 18. März für Publikumsverkehr nur eingeschränkt erreichbar. Um den Dienstleistungsbetrieb der Stadtverwaltung aufrechtzuerhalten, arbeiten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtverwaltung im Schichtbetrieb sowie im Homeoffice. Jubilarbesuche seitens des Stadtoberhauptes sind bis auf Weiteres eingestellt. Bürgermeister Rainer Heller betont: “Durch die Corona-Krise sind wir alle gefordert. Der Schutz besonders der Risikogruppen hat oberste Priorität. Gleichwohl ist die Funktionsfähigkeit vieler Bereiche sicherzustellen. Für Fragen der Bürgerinnen und Bürger hat die Stadt ein Bürgertelefon eingerichtet. Bundesweit hat laut einer Umfrage nur jede fünfte Kommune einen Notfallplan. Vor allem in den kleineren mit unter 5.000 Einwohnern fehlten solche Konzepte. Als größte Herausforderung nennen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister bundesweit, den Verwaltungsbetrieb aufrechtzuerhalten. 40 Prozent der Kommunen haben nach eigenen Angaben für den Publikumsverkehr gar nicht mehr geöffnet, fast 60 Prozent bieten einen eingeschränkten Service an. Dadurch kommt es zu längeren Bearbeitungszeiten der Anliegen der Bürgerinnen und Bürger. So etwa auch bei den Arbeitsagenturen und kommunalen Jobcentern, die aufgrund der wirtschaftlichen Lage vieler derzeit Hochkonjunktur haben. Außerdem gibt es seit dem 18. März keinen offenen Kundenzugang in die Gebäude mehr. Beides zusammengenommen führte zur

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Überlastung des Telefonnetzes und des Providers. Weil das Anrufaufkommen innerhalb von ein paar Tagen auf das Zehnfache des üblichen Niveaus gestiegen war, wurden lokale Rufnummern geschaltet. Viele Städte und Gemeinden haben auf ihren Internetseiten spezielle Seiten eingerichtet, um über Entwicklungen in ihrem ¬Gebiet zu informieren. Oft gibt es, wie im Fall von Baden-Württemberg, auch auf der Landesseite eine Zusammenstellung der Informationsangebote aller größeren Städte und Kreise. Für die Akzeptanz der Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus, die die Bürgermeister vor Ort beschließen müssen, ist Informationsmanagement das A und O. Florian Kling, Oberbürgermeister von Calw, betont: “Ich als Bürgermeister muss da auch Aufklärungsarbeit leisten, nicht jeder Bürger liest eine Landesverordnung und kann die neusten Gesetze vollumfänglich deuten.”

Interkommunaler Austausch Damit die Kommunen sich auch gegenseitig kontaktieren und informieren können, hat der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) auf der Austauschplattform “Netzwerk Kommunen” einen eigenen Bereich zum Corona-Virus eingerichtet. Dort können Dokumente hochgeladen, wichtige Links geteilt, aber auch Fragen und Umfragen gestellt werden. Experten zu verschiedenen Bereichen können zudem über das integrierte Nachrichtenmodul persönlich angeschrieben werden. Die Kommunen hätten zurzeit zahlreiche offene Fragen, wie etwa zu den Hilfen für Kulturschaffende, zum

Wie auf europäischer Ebene, so auch im kommunalen Bereich: Der Trend heißt Isolation. Foto: BS/tillburmann, pixabay.com

Personal, dem Umgang mit der Gewerbesteuer, dem Vergaberecht, dem Bauordnungs- und dem Bauplanungsrecht, heißt es vom DStGB zur Begründung. Der Behörden Spiegel hat unter “behoerden.blog” ebenfalls eine Austauschplattform ins Leben gerufen. Der Diskussionsraum dient dem Austausch des kommunalen Personal- und Organisationsmanagements zum Umgang mit COVID-19. Beides kann gerade den kleineren Kommunen ohne Notfallplanung helfen. Aber nicht nur der nationale Austausch hat es zurzeit schwer. Am Beispiel von Frankfurt/Oder und dem polnischen Słubice wird deutlich, dass auch grenzübergreifende interkommunale Kooperationen betroffen sind. Die “Doppelstadt” verfolgt bereits seit 2010 einen gemeinsamen Handlungsplan, der Grundlage für die Arbeit des Frankfurt-

Słubicer Kooperationszentrums ist. Unter anderem werden Stadtverordnetenversammlungen gemeinsam abgehalten und es gibt eine teilweise grenzüberschreitende Innenstadtentwicklung. Allein die Viadrina-Universität hat Gebäude auf beiden Seiten der Grenzen. Momentan weiß niemand sicher, wann Uni oder Grenze wieder öffnen. Frankfurts Oberbürgermeister, René Wilke, kritisiert die kommunale Abschottungspraxis mit Blick auf den Landkreis OstprignitzRuppin, der per Allgemeinverfügung die “Landkreis-Grenzen” geschlossen hat. “Unverständlich ist für mich dabei vor allem die Annahme, dass das Virus vor Grenzen haltmachen würde. Wenn wir so anfangen, kann sich bald jede Stadt einmauern. Diese Logik funktioniert selbst in der Theorie nur, wenn man es auf ewig macht.”

Position “Städteregion Aachen” in den Tabellen der Landkreise. Problematischer waren die Forderungen nach Ausweitung der Kompetenzen. So verlangte die Städteregion die Schulaufsicht über sämtliche Schultypen – nicht nur für Grund-, Haupt- und Förderschulen. Denn für Realschulen, Gesamtschulen, Gymnasien und Berufskollegs ist die Bezirksregierung zuständig. “Regionale Bildungspolitik hat einen hohen Stellenwert bei uns und mit einer einheitlichen Schulaufsicht könnten wir diese effektiver gestalten”, so die Begründung von Markus Terodde, Bildungs- und Jugenddezernent bei der Städteregion. Einen größeren Aktionsradius möchte man bei der Regionalplanung – in NRW Sache der Regierungsbezirke. Dahinter steckt der Wunsch, gemeinsam mit den östlichen Nachbarkreisen Heinsberg, Düren und Euskirchen planen zu können – just dem alten Regierungsbezirk Aachen, der 1975 im größeren Bezirk Köln aufging. Doch ein Problem würde selbst diese Kompetenzausweitung nicht lösen: die mangelnde Koordination mit den Nachbarstaaten Belgien und Niederlande. “Hier fehlen uns schlichtweg die Instrumente”, stellt Terodde, der auch für Strukturentwicklung zuständig ist, fest. Beiden Forderungen – Erweiterung der Schulaufsicht und Übertragung der Regionalplanung – erteilte bereits die frühere Landesregierung unter Hannelore Kraft eine Absage – mit Hinweis auf geltendes Landesorganisationsrecht und den Effizienzvorteil größerer Planungs- und Aufsichtsbezirke. Auch die jetzige schwarz-gelbe Landesregierung schloss sich dieser Auffassung an. Auf zwei Landtagsanfragen 2017 und 2018 seitens mehrerer SPD-Abgeordneter, in denen konkret nach einem Reformentwurf für das Aachen-Gesetz gefragt wurde, antwortete sie beide Male in dem Tenor, dass daran kein Bedarf bestehe. Auch die kommunalen Spitzenverbände Städtetag, Land-kreistag sowie Städte- und Gemeindebund NRW haben sich in den vergangenen Jahren nicht mit der Städteregion und einer möglichen Reform beschäftigt. “Wenn solche Initiativen aus einer Region kommen, tragen wir das grund-

sätzlich mit”, erklärt Dr. Marco Kuhn, Erster Beigeordneter des Landkreistages NRW. Es dürfe aber durch solche Modelle nicht zu Verwerfungen im kommunalen Finanzausgleich kommen. Bei der Städteregion Aachen sei dies nicht der Fall gewesen. Differenziert beurteilt Rudi Bertram, seit 1999 Bürgermeister der regionsangehörigen Stadt Eschweiler, den Nutzen des Zusammenschlusses: “Vieles wäre auch im alten Kreis Aachen nicht anders gelaufen”. Von Vorteil sei, dass bei jeder übergemeindlichen Aufgabe überlegt werde “Was können wir bündeln?” Jedoch hätten es die zehn Städteregion Mitglieder beispielsweise nicht geschafft, sich auf einheitliche Gewerbesteuerhebesätze zu einigen. Zu divergierend seien offensichtlich die Interessen der Kaiserstadt Aachen und einer 8.600-Einwohner-Gemeinde wie Roetgen. Hätte das Aachen-Modell Schule gemacht, wären Bonn und der Rhein-Sieg-Kreis die nächsten gewesen. Denn der Kreis umschließt die Bundesstadt – ähnlich wie Aachen – an drei Seiten. Seit der Gebietsreform 1975 gibt es aber keine weiteren Konstellationen dieser Art mehr in NRW. Doch eine Städteregion war in und um Bonn niemals Thema. Der Grund – so vermutet Pressereferent Antonius Nolden vom RheinSieg-Kreis – lag wohl im BonnBerlin-Vertrag von 1994. Dieser verpflichtete Stadt und Region zu enger Zusammenarbeit, um in den Genuss der “Ausgleichsmilliarde” zu kommen. Möglicherweise hat das Regionsmodell auch deshalb keine Nachahmer gefunden, weil die Bedingungen für interkommunale Zusammenarbeit kontinuierlich verbessert worden sind. “Man hätte eine engere Kooperation auch mit Zweckverbänden realisieren können”, urteilt Bürgermeister Bertram in der Rückschau. Dennoch steht der Kommunalpolitiker, der die Gründung der Städteregion Aachen aktiv begleitet hat, voll hinter dem Konzept: “Die Zusammenarbeit zwischen den Verwaltungen und deren Chefs hat sich deutlich zum Positiven entwickelt.” Und wo das Gesetz noch getrennte Gremien vorschreibe – etwa Krisenstäbe bei Stadt und Städteregion zur Bekämpfung des Corona-Virus –, tage man gemeinsam.

Martin Lehrer M.A. ist freier Journalist in Köln mit den Schwerpunkten öffentliche Verwaltung und Informationstechnologie. Bis 2019 leitete er die Öffentlichkeitsarbeit beim Städte- und Gemeindebund NRW. Foto: BS/privat

Stärkung lebendiger Ortskerne BBSR-Studie für kleine Kommunen (BS/Katarina Heidrich) Auch wenn sie momentan verwaist sind: Ortskerne sind das Aushängeschild und ein Attraktivitätsindikator kleinerer Städte und Gemeinden. Wie diese ihre Zentren als lebendige und nutzungsdurchmischte Wohn- und Versorgungsstandorte stärken können, zeigt eine Studie des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR). “In den Ortskernen bündeln sich idealerweise Funktionen wie Wohnen, Handel und Gewerbe, Kultur und Bildung. Sie schaffen Raum für Kommunikation und Begegnung und tragen dazu bei, dass sich Menschen mit ihrem Ort verbunden fühlen. Gleichzeitig werden vielerorts Herausforderungen sichtbar: Dazu zählen leerstehende Wohnungen, Läden und Gewerbebauten, sanierungsbedürftige Gebäude und öffentliche Räume, in die investiert werden muss”, betont Institutsleiter Markus Eltges.

Um den verschiedenen Nutzungsansprüchen gerecht zu werden, sind Kooperationen zwischen Stadtverwaltung, Kommunalpolitik, Eigentümern und Investoren sinnvoll, wie die Studie “Strategien der Innenentwicklung” zeigt. Die Arbeitshilfe benennt zehn Strategien zur positiven Innenstadtentwicklung. Etwa von der kritischen Bestandsaufnahme über die Partnersuche für Innenstadtentwicklung bis hin zur Schaffung von Grün- und Freizeiträumen.


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